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Neuntes Kapitel.

So war Herr Johannes Rathenow noch nimmer in sein eigen Haus gekehrt als in der Nacht. War er an den Zäunen entlanggeschlichen und durch das Hinterpförtlein eingetreten, daß ihn keiner sähe.

»Und ich bin doch im Recht!« sprach er, auf sein Ruhebette gelehnt, und kam kein Schlaf ihn an. Er zog die Kleider auch nicht aus. Und wenn ihm einmal die Augenlider zufielen, sprang er rasch wieder auf, denn die Bilder im Traume waren noch schlimmer. Dann horchte er auf das Rascheln der Maus und auf die Katze, die über die Dächer sprang. War ihm doch fast die Musika des Sturms, der die Wetterfahnen drehte und die Schilder über den Thüren hin und her schlug, lieber als die Stille, die darauf eintrat. Denn, wenn die Glocken anschlugen, wartete er, daß sie läuten sollten, und wenn eine Fackel vorüberging, sah er den Brand über die Dächer schlagen.

Ehe noch der erste Hahn krähte, zog er an der Schelle, und bald darauf stand die Jungfer Elsbeth vor seinem Lager. Der Vater, der sich doch immer freute, wenn das liebe Kind frisch und holdselig vor ihn trat, und geschmückt, wie es einem Fräulein ziemte, heute sah er nichts von dem, auch nicht, wie ihr Antlitz so blühend strahlte von einer Freude, als seines grau war und voll Falten. Niederknien hieß er sie, und dann sprach er:

»Du bist nunmehr achtzehn Jahre, meine liebe Tochter, und über die Jahre hinaus so an Gesundheit und Kraft Deines Leibes, als an Witz und Verstand. Bist desgleichen itzo mein einzig Kind, seit Deine Brüder der Gott, der Himmel und Erde schuf, in seinen unbegreiflichen Schlüssen von uns rief. Also ruht auf Dir allein des Vaters Sorge und des Vaters Hoffnung, und Du mußt ihm tragen helfen beides. Hätte gern Dich noch spielen lassen als ein Kind, herzlich gern, liebe Elsbeth; aber was hülf' es Dir, so der Blitz einschlägt und trifft Deinen Vater, und Du stehst da, eine unerfahrene Waise unter Gräbern und Trümmern, was Dir ein Garten dünkte mit Blümlein und Vogelgesang. – Ich höre auch Vögel singen, aber es sind nicht Finken und Nachtigallen, es sind die Raben und Krähen, die Nachteulen und die Sturmvögel, die über den grauen Wolken nach Atzung schauen. – Ja, liebes Kind, das Unwetter ist am Himmel, und es zieht nicht vorüber, es hat denn eingeschlagen. – Wir sind ein altes Haus, aber die Mauern haben Risse, in den Grundfesten ist der Stock; wir sind ein alter Stamm, aber er schoß zu hoch gen Himmel und hat sich übertragen, und sind mehr dürre Äste dran, denn blühende. – Du weißt wie Dein Urgroßvater fehl ging. Er war ein Mann von hohem Sinn und großen Gaben, aber er überhob sich selber. Schlimmer noch, er überhob sich über die Gerechtigkeit. Und das soll keiner; kein Mensch soll die Hand strecken über das hinaus, was recht ist. Er kam um in der Fremde. Mein Vater Mattheus und ich, wir haben gerungen und gekämpft, den bösen Makel auszulöschen. Gott, was hat es uns gekostet! Umsonst. Was wir wollten und unternahmen für gemeines Bestes, sie nahmen's nicht hin, wie es gegeben war, sie argwöhnten, es sei anderes hinter dem Schilde; sie flüsterten: wer weiß warum? Es ist die Sippe des Albertus. So, Kind, erbt des Vaters Fehl auf Kind und Kindeskind fort. – Es giebt auch einige, die sagen, mein Vater Mattheus that unrecht, daß er seinen Schwager richten ließ auf dem neuen Markte. Er that nicht unrecht vor Gott und der Stadt: denen war er geschworen. Ob er vor sich unrecht that, wer weiß das!« – setzte Herr Johannes mit gedämpfter Stimme hinzu. »Manches Mal, liebes Kind, züngeln die bösen Geister, wenn der Schlaf mich nachts fliehet, mir zu: Dich lasset nicht schlafen Deines Vaters Mattheus Wimmern und Ächzen in den ewigen Flammen! – Wer macht ungeschehen das Geschehene! Das ist der Herr, und wir sind arme Kinder des Staubes. – Doch das war es nicht, warum ich zu Dir spreche. Sie hassen uns, weil ich das Aug' nicht zudrücken mag, bin ihnen ein Stein der Ärgernis, daran ihre Schwäche sich stößt. Den Stein möchten sie forthaben, stürzen wollen sie mich und verderben –«

»Sie werden es nicht,« sprach die Jungfrau. »O Vater, lieber Vater, verliere nicht den Mut. Du weißt nicht –«

»Alles weiß ich, aber den Mut, nein, den sollen sie mir lassen. Mut vor allem, was mir ins Aug' tritt. Aber was man nicht sehen kann! – Als man vorüberging an dem Platze, wo der Wardenberge Haus stand, stöhnte es aus den Kellern, der Wind sprach hundert Stimmen. Es geht zu Ende mit unserm Hause, wie mit ihrem.«

Das war es gar nicht, was die Jungfrau zu hören vermutet.

»Sie werden Deinen Vater anklagen, sie werden ihn richten.«

»Lieber Vater! Heilige Mutter Gottes, was redest Du?«

»Ein Stern mag täuschen, der Sterne viele, die dasselbe sagen, reden wahr. »So lange die Kette in Deinem Hause bleibt, wird Deines Hauses Recht bestehen,« das sprach die Stimme zu Deiner Elternmutter Fides; und hat die Stimme noch getäuscht?«

»Aber Du hast sie ja wieder.«

»Ich habe sie nicht mehr,« sprach Herr Johannes. »Doch davon genug, mein Kind. Es gehen arge Dinge vor. Der ganze Rat ist wider mich, all die meine Freunde waren, sind es nicht mehr. Sie toben wie ein unruhig Meer, und bohren wie Maulwürfe. Anklagen werden sie mich, verstricken, absetzen, ins Gefängnis werfen. Der Weg zum neuen Markt ist von dort nicht weit. – Liebes Kind, was wird dann aus Dir, ich habe keinen Freund.«

»Doch, Du hast einen!« rief Elsbeth, und sprang auf und that die Hände zusammen und dann fiel sie den Vater um den Hals, daß er schier verwundert war, und nicht wußte, was es sollte. »Du hast einen Freund, Du hast viele Freunde, der Henning ist in der Stadt, er wird gleich hier sein, er war gestern hier – o Vater, was hast Du für Freunde – der Kurfürst, der Kanzler – die großen Herren. O, was mußtest Du gestern nicht zu Hause sein, als der Henning kam; er konnte es gar nicht abwarten.«

»Der auch so ungestüm!«

»Von Spandow kam er, von des Markgrafen Hofgelage. Ach, Vater, was hat er gesehen und gehört! Mit den vornehmsten Herren und Rittern ist er in einer Stub' gestanden, und sie haben alle mit ihm gesprochen, und freundlich, und Ringelrennen hat er mit angesehn, und der Markgraf hat mit ihm geredet und ihn seinen muntern Henning genannt.«

»Darum blieb der Bursch so lange fort.«

»Freilich, und wir ängsteten uns so, als die Leute rückkamen ohne ihn. O Vater, Du kennst ihn aber gar nicht wieder, so schaut er aus. Er kann stundenlang von erzählen, von der Herrlichkeit, von den Fahnen und Teppichen, und wie drei Edelknechte die Schleppe tragen der schönen Frau Markgräfin, und wie die Edelfräulein ihr die Kissen bringen, wenn sie sich niedersetzt, und mit Posaunen und Trompeten wird alle Tag zu Mittag geblasen, nicht wie bei uns nur zu großen Hochzeiten. Und Edelknaben tragen die Schüsseln auf, und wie die ausgeschmückt sind als Türme, Schlösser und Wälder, das ist gar lieblich zu hören. Und nach der Tafel spendet der gnädige Herr, was über blieb, an die Armen und Preßhaften, und läßt auch klein Geld auswerfen aus den Fenstern.«

»Da hat der Henning denn auch ein Schaustück abbekommen,« sprach der Vater, der inzwischen aufgestanden war und, es schien, nicht sehr neugierig auf die Freudenausbrüche der Tochter gehört. Denn er kramte am Schreibtisch und sah auch zum Fenster hinaus.

»Freilich! Weißt Du das schon! Aber es ist kein Schaustück,« sprach Elsbeth und nestelte auf ihrer Brust. »Es ist echtes Gold – sieh nur, Vater.«

»Was der Henning für Glück hat!« sprach Herr Johannes fast noch im selben Tone, und er blickte nur halb auf das Kettlein und sah nicht, wie rot die Jungfer wurde, denn er schaute auch zum Fenster hinaus, und sah etliche Männer im Gespräch die Nagelgasse heraufkommen, auf sein Haus los. Denn nun war es Tag, wenngleich ein grauer Wintertag. »Wofür bekam er das?«

»Für« – Elsbeth stockte. »Sie sagten – er sagte – der gnädige Herr Kurfürst sagte – ich sollte es haben.«

»Dir hat's der Kurfürst geschickt?«

»Nein, nicht ausdrücklich mir,« fiel Elsbeth rasch ein. »Der gnädige Herr Kurfürst kennt mich ja nicht. Aber zum Henning hat er gesagt, und der Henning hat es mir wieder gesagt, der gnädige Kurfürst sagte, das Kettlein solle er der bringen, die –«

Itzo hätte wohl Herr Johannes aufmerksamer zugehört, wenn schon um andern Grund, so nicht draußen ein Geräusch auf der Treppen gewesen, und es gleich an die Thür gepocht hätte. Und was er auf der Gassen gesehen, das ließ ihn erwarten, was kam, und sein Herz schlug vernehmlich.

»Das ist zu arg« – »Es geht zu weit« – »Wir dulden's nimmer!« so rief es und polterte vor der Thür, unterschiedliche Stimmen, und über die Gassen, und um die Ecken ward es auch laut, und sie schlugen die Fenster auf und riefen hinaus: was es gebe?

»Der Bürgermeister muß uns helfen,« so schrie eine rauhe Stimme, und darauf traten in die Stuben etliche vier und fünf von den Bürgern. Waren dabei Baltzer Boytin, der Roßtäuscher, und Hans Zademack, der Gewandschneider, und Hans Kleinsmedt, der war von den Schuhmachern. Auch von den Knochenhauern war einer dabei und einer von den Bäckern, der hielt eine Rolle in der Hand mit einem Siegel, das herunterhing, und schauten alle wild und erzürnt.

»Wir dulden's nicht!« rief der von den Knochenhauern.

»Was, Ihr Meister?« trat ihnen Herr Johannes entgegen. Da wollten alle vier und fünf zugleich antworten, aber Hans Zademack machte sich Wort: »Es ist zu arg, ist nicht erhört, was sich der Rat herausnimmt. Die Thore uns verschlossen, uns, den Bürgern. Sind die Thore da, daß man sie schließt und das Fallgitter niederläßt, für die Butenmenschen, so uns feind sind, und wir nicht mögen; aber nimmer für die, so drinnen wohnen und sie gebaut haben. Unser ist die Stadt, die Mauern und Thore, daß wir ziehen können hinaus und hinein, als uns beliebt.«

»Es sei denn,« unterbrach der Bürgermeister, »daß Ihr's durch Übertretung habt verwirkt.«

»Ist, was unser Recht ist, Übertretung?« fuhr Hans Zademack fort, und wies auf die Rolle. »Wir von den vier Gewerken haben, als da in der Stadt keine Hilfe ist für uns, unsere Beschwerden niederschreiben lassen wider den Rat, der da kein Rat ist, sondern ein Unrat, denn er thut wider die Stadt Satzungen und Gottes Gebot, und verkehrt die Ordnungen, da er die Ordnung halten soll. Als darum, daß uns keiner hilft, der uns helfen sollte in den Mauern, wollen die Gewerke hinausgehen, und haben uns vier gekürt, als ihre Verordneten, daß wir außer den Mauern Hilfe suchen, als vordem unsere Väter gethan, bei dem Herrn, der nicht über die Stadt allein gesetzt ist, sondern er ist über das ganze Land, und soll zuschaun zum Rechten überall. Als wir nun itzt in der Früh ausreiten wollen, und der gute Herr Baltzer Boytin will uns das Geleite geben mit den Seinen bis Spandow, wo der gnädige Markgraf Hof hält, da lassen sie uns nicht zum Thor 'naus.«

»Sie lassen uns nicht zum Thor raus,« riefen die andern. »Wiesen uns die Äxte und lachten und höhnten.« – »Wer?« –

»Des Rats seine Gesellen!« rief Zademack. »Ihre Knechte und Leibeigenen haben sie an die Thore gestellt, mit Spießen und Keulen. Raufer, schlechte Kerle, Wenden, kassubische Gesichter. Ist das recht, ist das erhört an guten Bürgern?« – »Mord und Totschlag!« rief der Knochenhauer, »so Ihr das hingehen laßt, so seid Ihr kein Bürgermeister. So wir das dulden, sind wir nicht Bürger mehr. Das ist ein Schimpf und eine Schande!« – »Sie läuten die Sturmglocken und es geschieht was!«

Herr Johannes ließ sich den Mantel umgeben und setzte sein Barett auf, denn er hatte mit Verwunderung zugehört. »Ich bin doch noch Bürgermeister.« – »Zeigt's ihnen, Herr, bei Gott, es ist hohe Zeit, daß Ihr's ihnen zeigt. Sie munkeln, Ihr wärt's am längsten gewesen.« – »Reden will ich noch ein Wort mit ihnen, so lang ich's bin.« – »Und wir wollen Euch nachschreien, daß es ihnen in die Ohren gellt!« rief der Knochenhauer. – »Die Glocken sollen's ihnen noch besser in die Ohren läuten,« rief Hans Kleinsmedt. »Auf ihre Köpfe komm es, Blut und Brand!«

Vergebens winkte ihm Herr Baltzer, daß er zu heftig war. Der Bürgermeister hatte es auch gehört und hielt inne.

»Ihr seid im Recht und das ist unerhörte Eigenmacht. Aber der Rat ist Rat, und nur im Rate widerlegt man Unrecht. Ihr wollt zum Markgrafen, und das ist Euer Recht. Zeigt mir Eure Schrift –« Hans Kleinsmedt zog sie zurück und lächelte und alle lachten, aber am höhnischsten hinter dem Rücken des Bürgermeisters der Roßtäuscher. »Mit Verlaub,« sprach Hans Zademack, »uns hat Herr Matthis Blankenfelde gestern abend ansagen lassen, wir hätten nichts mit Eurer Wohlweisheit, zu verkehren, und sollten Euch nicht unsere Schrift vorweisen, bei des Rates Achtung. – Ihr könntet sie noch einmal zerreißen,« setzte er leiser hinzu.

»Matthis Blankenfelde!« rief Herr Johannes. »Ließ er das Euch sagen?«

»Und noch mehr anderes, gestrenger Herr,« trat itzt Baltzer Boytin vor, »was sich für uns nicht schickt, daß wir's Euch wiedersagen. Denn für uns seid Ihr noch die Obrigkeit, so Gewalt hat über uns. Uns schiert nicht, was der Rat meint und spricht wider Euch, der nicht unser Rat ist, sondern sein eigener. – Nein. Herr Johannes Rathenow,« setzte er hinzu, »das ist nicht mehr zu dulden; und wenn's zum Ärgsten kommt, komme es über den, der die Hände in den Schoß legte. Von Euch, als Bürgermeister, fordern wir in Sitte und Gebührlichkeit, daß Ihr das Thor uns aufschließn laßt; denn noch heut will die Bürgerschaft ihre Klage anbringen bei dem gnädigen Herrn. Der wird uns ein Ohr leihen, wenn andere taub sind.«

Herr Johannes hätte auch taub sein müssen, so er das Geschrei draußen nicht vernommen, denn allerwegen in der Stadt ward es laut. Und itzt hörte man's unter den Dienstleuten im Haus heulen und schreien, und herein stürzte die Muhme Gertraud und rang die Hände: »Hab ich's nicht gesagt, Herr Johannes, es kommt, es kommt! Sie halten itzo Rat, die Herren, sie setzen Dich ab. Der Ausrufer im Scharlachrot ruft es aus an allen Ecken, Du bist verstrickt, Johannes. Ach Christ Jesus, ich hab's gesagt!«

»Zur langen Brücken!« rief Herr Johannes, und schellte an der großen Glocke, die all sein Ingesinde zusammenrief. »Die Sonntagswämser an! Die Degen und Hellebarden! Den Stab voran! Bin noch Bürgermeister und will ein Wort mit ihnen reden.« »Gnädiger Herr,« flüsterte Baltzer Boytin ihm zu, »so Ihr's vergönnt, ich hätte noch ein besonder Geschäft mit Euch vorher. Die Summe führ ich bei mir, um die Verschreibung zu lösen. Es ist die Stunde.« – »Auf der langen Brücken,« nickte ihm der Bürgermeister zu. »Es soll alles offen und klar geschehen.«

Und da er vor seine Thür trat, zornig als er war, zogen sie die Mützen und winkten mit den Tüchern, und einer schrie ihm das zu, der andere das; denn es war bald ruchbar worden, daß er nach dem Rathaus ziehe, mit den Herren ein Wort zu reden. Die Nachbarn nickten ihm aus den Fenstern und schalten gegen die Kölnischen. Was Wunders, es wohnen ja Berliner um Sankt Nikolas. Da rief einer: »Es thut nimmer gut, so die kölnischen Großmäuler am Ruder sind.« Ein anderer aber: »Es thut nimmer gut, so die Herren einer Stadt das Regiment über die andere führen.«, Und ein dritter meinte: »Es thut auch nimmer gut, so man Öl und Wasser mengt. Denn wie man's auch schüttelt, es wird nicht eins, es bleibt zwei, und das Öl ist oben und das Wasser unten.« – Und aus allen Häusern lief's dem Bürgermeister zu, ihm ein ordentlich Geleit zu geben, daß Jungfer Elsbeth oben am Fenster, die zuerst voller Angst war, nun frohen Sinnes ward. Noch mehr aber ward sie's, da sie unter den Leuten den Henning sah. Der ritt auf einem Roß und hatte einen scharlachnen Rock an, ausgeschlitzt und gepufft mit Seiden, und auf seiner Kappen trug er eine Feder; war's die des Raubvogels, aber er hatte sie hübsch zustutzen und vom Goldschmiede sauber fassen lassen. Sah er schier wie ein Ritter aus. Er hatte wohl Geldes genug, um das zu thun, wunderten sich aber doch die Leute und munkelten allerhand. Herr Johannes sah ihn nicht, denn Henning war hinter ihm, und war's ein arges Gedränge, und das nahm immer überhand, je weiter sie kamen.

War's aber am Mühlendamm, denn dieses Weges zogen sie, wo die Gasse gar schmal wird, und sie konnten gar nicht durch. Denn hier hielt der Ratsschreier und verlas die Klage, die der Rat aufgesetzt wider den Bürgermeister, und die sie hörten, wunderten sich und erschraken sehr, und etliche Ratsherren, die mit waren, um sie dem Johannes ins Haus zu tragen und ihn vorzuladen vor den Rat, nickten bei jedem Punkte und erklärten, daß dem so sei, und wie es gekommen. Da sank vielen der Mut, und die auch sonst mehr des Johannes Freunde waren als des Rates, ließen den Kopf sinken und meinten, es sei schlimmer als sie gedacht.

Nämlich war der erste Punkt: daß er die Bitt- und Beschwerdeschrift, so die ehrsame Gewandschneiderinnung an den Rat, alten und neuen, aufgesetzt und ihm zu Händen übergeben, nicht nur schnöde von sich gewiesen, auch dann nicht, als es seine Pflicht gewesen, sie dem Rate übergeben, vielmehr auf offenem Markte in kleine Stücke gerissen, so dem Rat zu großer Gefährde, als der ehrsamen Innung und den andern Gilden zum Schimpf.

Item, daß, wie itzt durch guter Leute Aussagen erwiesen, der Köpkin Zarnekow in der Stadt gewesen, der doch der Stadt böser Feind sei, und hätte die Obrigkeit, die darüber gesetzt ist, ein Aug' aufhaben müssen; habe sie's aber zugedrückt und ihn nicht fangen lassen, und sei der Zarnekow, der Stadt zum Schaden, wieder hinauskommen mit etlichen seiner Spießgesellen.

Item sei der gnädige Markgraf, Kurfürst Friedrich der Andere, mit etlichen seiner Herren an dem Tage, wo das geschehen, in der Stadt gewesen, wie itzo auch erweislich worden, und habe der Bürgermeister, an welchem es ist sich zu erkundigen und zu schauen, so fürnehme Fremde in der Stadt Weichbild kämen, auch da das Aug' zugedrückt, habe der Rat also dem hohen Herrn keinen Ehrentrunk senden können, als es sich schickt, was der Stadt zum unverwindlichen Schaden gereichen möge.

Item so habe er sich am selben Tage krank vermelden lassen, wo die Herren zusammen kamen zum Bankett bei Thomas Wynsen, allein darum, daß sie's nicht billigen mögen, Wie er da auf dem Markte die Schrift zerrissen und Anlaß gegeben zu Aufruhr und bösem Gerede; und, sei nicht krank gewesen, nur sei's Ärger und Hochmut, und habe er um deswillen durch viele Tage sich nicht sehen lassen im Rathaus, was der Stadt und gemeinsamem Besten zum großen Schaden gereicht.

Item hätten etliche böse Buben in der Nacht nach dem Feste mehrere ehrbare Herren, so sich überladen, unter dem Fürgeben, sie nach Haus zu führen, hier und dorthin getragen, was sich nicht sagen lasse, zu großem Ärgernis aller und Schaden vieler. Denn so mancher huste noch, und müsse das Siechbett hüten; sei aber der ehrenwerte Herr Tydeke von Aken, die Zierde der Stadt und der beste Bürgerfreund, so krank worden, daß er gestern des Todes verblichen. Und so zwar nicht ermittelt, wer die bösen Buben waren, wisse es doch jedermann, und mit wem sie zusammenhingen und ihm gehorchten, und der verkehre itzo im Haus des Bürgermeisters, ob er doch sonst nicht hineinkommen dürfen, was überall in den Familien groß Ärgernis gegeben und müsse es vermittelt werden.

Item habe der Rat dem Johannes Rathenow sagen lassen, daß er nicht recht habe, um sich allein mit dem Henning Mollner zu verhandeln, wegen seiner Forderung an die Stadt; sintemalen das ein alter Streit sei von wegen beider Städte Rechten, und dürfe kein einzelner aus beiden Städten, und sei er auch Bürgermeister, dem Rechte etwas vergeben; habe der Johannes darauf geantwortet, daß er sich darum nicht kehre. Habe der Rat nachmalen ihm geboten, daß er die siebenundvierzig Schock Groschen nicht zahle, und habe er wieder erklärt, daß er doch zahlen werde; was Drohung sei, Ungehorsam und Verrat.

Item habe er in des Rates Rechte eingegriffen, von wegen des Hans Makeprang, den sie vorm Thore niedergeworfen, und sei es an dem Rat gewesen, in seiner Weisheit, daß er thut, was nötig war, und hätte das auch gethan, als es in der Ordnung ist; habe aber der Bürgermeister, nachdem er eine trotzige Meldung in den Rat geschickt, dem er vorsitzen solle, aber nicht Befehle geben, dem vorgegriffen und vor dem Volke geklagt über den Rat, dessen Ansehen er doch vertreten solle und es nicht schelten. Habe eigenmächtig den Gemeinen geraten, sich selber Recht zu schaffen, und dem Henning Mollner zu folgen, und dazu von seinen Knechten gegeben, und Waffenstücke aus seiner Rüstkammer; was Aufreizung sei zu Ungehorsam und Selbsthilfe. Denn so die dem Volke vorangehn sollten in guten Werken und Gehorsam gegen die Obrigkeit, selbst dagegen thäten, sei das ein übel Beispiel, und komme es auf dessen Kopf, der es verwirkt.

Item und schließlich, ob sich darohne schon noch viel Punkte der Beschwerde fänden, sei aus alledem und noch vielem mehr ersichtlich, wie der Bürgermeister des Sinnes sei, vom Rate ganz abzufallen und sich an die Gemeinen zu hängen, gleichwie zu Zeiten seines Großvaters des Albertus und des Tile Wardenberg, woraus den Geschlechtern und der Stadt Wesen dazumalen ein unüberwindlicher Schade erwachsen. Darum allein treibe er die Auszahlung an den Henning Mollner, und wolle ihm zahlen wider des Rates Gebot, und habe ihn, dem er vordem das Haus verboten, wieder in das Haus gezogen, und lasse sich rühmen durch ihn und seine Gesellen in den Weinkellern und Trinkstuben, wo die vom Rate verhöhnt würden, und es seien die Gassen und Winkel voll lästerlicher Rede und aufrührerischem Geschrei, dazu der Bürgermeister schweige und es gern höre. Also sei des Rates Pflicht und aller guten Bürger, dem Unwesen zu steuern und, was an ihnen, zu thun, den Gehorsam herzustellen und alte Ordnung, als bei der die Stadt geblühet und gediehen, und Recht geschehen sei von alters her.

So lautete die Klage, was die Hauptsache war, aber sie war noch mit vielen Worten umwebt, daß es nicht jeder aus dem Volk verstünde, und verlas auch der Ratsschreier nicht alles mit lauter Stimme, vielmehr ging er, auf den Wink des Ratsherrn neben ihm, schneller über die Punkte weg von dem Anhang, den der Bürgermeister sich im Volke gemacht, und verlas sie undeutlich. Einer aber, der eben aus seiner Hausthüren getreten, hatte alles gehört. Es war Pawel Strobant, des Haus am Mühlendamm stand; und war seine Kopfwunde inzwischen geheilt, ob er schon etwas entstellt aussah. Er war nie schön.

Der sprang itzo mit einem Male von seiner Hausschwellen in den Kreis, und weg hatte er dem Schreier das Papier aus der Hand geschnappt, ehe sich der's versah. »Wozu soll der Wisch sein?« rief er. –

»Herr Pawel Strobant, wißt Ihr, was Ihr thut?« rief Herr Markus Trebuß, der Ratmann. »Bin bei Sinnen, lieber Gevatter.« – »Her die Schrift, daß Gott erbarm! Wir haben keine Kopei. Ihr vergreift Euch an des Rates Ansehn.«

»Was! sieht der Rat so aus!« rief Herr Pawel, und hielt das zerknillte Papier in die Höh. »Ist das Respekt, solchen Wisch in des Bürgermeisters Haus zu tragen? Zurück, Ihr Herren, schreibt eine bessere Kopei! Die mag für Köln gut sein, für Berlin ist sie zu schlecht.« Da wollte Herr Trebuß das Papier ihm weghaschen, aber der Pawel war größer und hielt es hoch in die Lüfte: »Schaut, schaut, Ihr guten Freunde von Berlin, was die Weisheit von Köln ausgeheckt! Mit dem Wisch wollen sie uns unsern Bürgermeister absetzen. Nicht wahr, um einen von der kölnischen Mache heranzubringen? Schmiert Eure Schuh allein, Euer Thran riecht zu schlecht.« Vergebens haspelte der kleine Trebuß, das Papier wieder zu erwischen, und vergebens winkte er seinen Begleitern, daß sie ihm hülfen. Es war Herr Pawel Strobant einer, mit dem niemand ohne Not anband.

»Ihr schürt Empörung, Herr Strobant!« – »Empörung? Ihr seid der Ausbund von Empörern, Ihr vom Rate.« – »Ihr seid selbst ein Ratmann!« – »Hat man mich um Rat gefragt? Wer ist Euer Rat? Ehren Matthis' Sippe, Blankenfelder Speichellecker, kölnische Pilze! Ihr wollt ratschlagen zu beider Städte Frommen? Hinter unserm Rücken, bei Nacht und Nebel? Hintern Zaun mit Euren Ratschlägen, wissen uns selbst zu raten! Über der Spree wohnen auch Leute. Zurück, zurück! Habt umsonst Euch auf den Weg gemacht. Zurück, oder der Pawel Strobant leuchtet Euch. Ist mir so was erlebt! Mit solchem Wisch will man uns den Bürgermeister nehmen! Warum nicht gar den Marienturm. Respekt für Alt-Berlin! Seht, so respektier' ich Köln.«

Und damit zerriß er die Klage in tausend kleine Stücke und streute sie in die Luft.

»Empörung! Empörung!« rief Herr Trebuß und die um ihn. Ja er hatte gut schreien. Da riefen tausend Kehlen um ihn her auch »Empörung!« aber sie meinten's anders, und noch manches Schmähliche gegen die Kölner. Die Mühlen auf dem Mühlendamm machen doch sonst einen Lärm, daß man sein eigen Wort nicht hört, und so ist's von je gewesen und wird bleiben als die Mühlen da sind; aber heute hörte man sie so wenig als das Bächlein, das durch die Felsen rauscht, wenn ein Sturm in den Bergen wütet und die himmelhohen Bäume wirft, daß sie sich beugen und brechen. So strömte, stürzte und schrie es von allen Seiten. »Platz! Platz! Für den Bürgermeister!« hieß es und der Strom drängte gegen Sankt Peter zu. »Hans Rathenow soll leben!« rief es, und Hans Rathenow lebte bis in die grauen Wolken.

»Macht Euch auf Eure Beine, gute Freunde von Köln!« rief Herr Pawel. »Ehre, dem Ehre gebührt, Ihr seht, unsere Nachbarn wollen sich's nicht nehmen lassen, wollen Euch den ersten Besuch machen. Seht auf Eure Hacken, daß wir sie nicht abtreten.«

Der Andrang war unwiderstehlich. Die Kölner wurden getrieben, und halb Berlin strömte über den Mühlendamm, daß die Fischweiber drüben beinahe in ihre Kasten geworfen wurden, und nun ging's durch die breite Straße, recht zum Trotz den reichen Kölner Herren, die dort wohnten, unter ihren Fenstern fort, nach der langen Brücke zu.

Könnten viele fragen, warum es denn nicht den nähern Weg ging durch die Gasse, die zum Oderberger Thor führt, grad zu nach dem Rathaus auf der langen Brücken? Muß wohl seinen Grund gehabt haben. –

Herr Johannes, wie er in der Mitte der Seinen einherschritt, sah recht stattlich als ein Bürgermeister aus, und schien's auch selbst zu fühlen und zu mögen, daß die andern es ihm ansahen. Und das Volk und die jungen Gesellen, so ihm nachliefen, das blitzte von Waffen und Fahnen, daß es nicht wie ein schlimmer, sondern wie ein Tag der Ehren war für den alten Herrn, der um einen Kopf höher ging als sonst, und wer ihm begegnete, gnädig zunickte.


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