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O ein Politiker, das ist ein Wesen
Wie es die Götter selber nicht gewesen;
Eiskalt, wenn er die Linie passirt,
Im Nanquinfrack, wenn er am Nordpol friert,
Der beste Reiter, den die Erde sah
Auf Hengsten, – Stuten und der ratio ultima –
Er weiß – so ist der Shakspeare ihm lebendig –
Sein much ado about nothing auswendig
Bei jeder neuen diplomatischen Sendung
Sieht man ihn näher menschlicher Vollendung –
Nur eine Stufe noch und Himmel ist besiegt
Er wird zum Ideal, wenn er sich selbst belügt.
Altes Schauspiel.
Es scheint als habe die Vorsehung den Schülern des Ignaz von Loyola für ihre Thaten der Arglist eine noch härtere Strafe zudictirt als die Verfolgung, welche sie im vorigen Jahrhunderte traf. Der Geist der Schlangenklugheit, der diesem Orden jene unglaubliche Macht in Europa verlieh, entwich so plötzlich, als er den frühern Brüdern der Congregation in hohem Grade beigewohnt hatte. Dieselbe plumpe Anmaßung und Ungeschicktheit, mit der die heutigen Jesuiten in Frankreich so zu Werke gehen, daß ihre eifrigsten Vertheidiger die beredtsten Ankläger ihrer sträflichen Absichten werden, zeichnete auch das Wirken der Jesuiten gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts aus. England verdankt ihnen die Begründung seiner Freiheit und Verfassung, die sie vernichten wollten, während ihre Anstrengungen den ihnen befreundeten Stuarts Verlust des Thrones, Verbannung und Untergang zuzogen.
Seit der Geburt des Prinzen von Wales warfen die Jacob umgebenden Priester die Maske, wenn sie je eine vorgenommen, völlig ab. Durch einen katholischen Thronfolger erhielten ihre Anstrengungen das Siegel der Dauer; ihre heller erleuchteten Kapellen hallten von den Ausbrüchen überschwenglicher Freude wieder, während sie doch aus den im Uebermuth des Sieges offen gelassenen Thüren die drohenden Stimmen des Volkes hätten vernehmen sollen, das nur auf den Moment wartete hinein zu brechen, um die Tempel des Antichrists zu vernichten. Daß jene Stimmen selbst zu den Ohren des von seinen Schmeichlern umgebenen Königs gedrungen, bewies nur zu bald ein verderblicher Schritt, zu dem ihn die mitten im Rausch der Freude überkommende Furcht trieb. Das Gerücht, der Prinz von Wales sei ein untergeschobenes Kind, mit Jubel und Entsetzen im ganzen protestantischen England geglaubt, veranlaßte Jacob feierliche Beweise der Aechtheit anzuordnen, an die, eben weil sie vom Könige ausgingen, Niemand glaubte. Aber das Vertrauen des Monarchen – auf eigene Kraft und auf göttlichen Beistand – hatte seinen Höhenpunkt erreicht, er setzte Alles daran nur das Eine zu gewinnen. Noch so viel Besinnung hatte Jacob, um einzusehn, daß alle seine Unterthanen mit wenig Ausnahmen gegen dies, sein eines Ziel, eingenommen waren, daß seine Verordnungen nicht als Gesetze sondern als Edicte des Gewalthabers galten. Ihnen den Stempel des Gesetzes aufzudrücken, vermochte nur ein Parlament, aber unter den Millionen seiner getreusten Unterthanen konnte der König, dem die Wahl in die Hände gegeben war, nicht einige hundert Glieder ausfindig machen, die seinen Vorschlägen zur Aufhebung der ältern kirchlichen Gesetze beigestimmt hätten. Vor der Geburt des Prinzen von Wales hatte er sich deshalb an den vermuthlichen Thronfolger gewandt, Oranien verweigerte aber seine Einstimmung selbst unter des Königs lockendem Versprechen, seinem Bunde mit Europas Fürsten gegen Ludwig von Frankreich beizustehn. Ergrimmt über die feste Antwort des Erbstatthalters hatte nun der Monarch selbst die ersten Schritte zu dem Bruche gethan, der zu seinem Verderben ausschlagen sollte.
Während er den Verkehr der Holländer auf jede Art störte, schlummernde Ansprüche weckte, Algierischen Piraten erlaubte ihre Beute aus den Niederlanden in London feil zu bieten, griff er zum äußersten Mittel seinen königlichen Willen durchzusetzen. Zwar hatte er schon die traurige Erfahrung gemacht, daß, als er im Regiment seines natürlichen Sohnes, des Herzogs von Berwick, katholische Rekruten aus Irland einrangieren wollen, der Oberstlieutenant Beaumont ihre Zulassung verweigerte, und mit fünf Hauptleuten cassirt werden mußte; indessen blieb, da alle bürgerliche und geistliche Behörden ihm entgegen waren, die Armee seine letzte Zuflucht jetzt, wo es den verweigerten Gehorsam erzwingen galt.
An der Spitze seiner Generalität stand der König in dem Kriegskleide, wie einst Englands Seehelden ihn unerschrocken in den blutigen Meerschlachten mit den Niederländern auf dem Verdeck erblickt hatten, und die Bataillone seines wohlgeübten Heeres standen in der weiten Hunslowhaide aufmarschirt. Notare saßen auf kleinen dazu errichteten Bühnen und die Minister gingen hinter dem Könige, mehr wie Zuschauer als Teilnehmer. Ein Regiment nach dem andern sollte hier vor Gott und König aufgefordert werden, seine Einwilligung in die Aufhebung der Testakte und der katholischen Gesetze zu geben; was hatten auch bei diesem Akte die Minister zu thun, wo die Erhaltung der Reichs-Verfassung von dem Willen der Soldaten abhängig gemacht war? Alle bedeutendere Namen waren längst aus dem Geheimenrathe verschwunden, Halifax erschien kaum noch bei Hofe, die Ormonds, die großen Stützen der Restauration lebten auf ihren Gütern, Sunderland ging gähnend umher. Vater Peter unterhielt sich mit Oberst Kirk über Kriegsdisciplin und Taktik, ein Gespräch, auf das Churchill mit Vergnügen zu horchen schien. Er rief Sunderland heran und flüsterte ihm zu:
»Mylord, was gilt die Wette, Vater Peter wird Generalissimus. –«
»Warum nicht?« entgegnete Sunderland, »so gut er Geheimerrath geworden. Vielleicht wird Oberst Kirk dafür Jesuit.«
»Wenn er seinen Schnurrbart behalten könnte!« sagte Churchill. »Er streicht ihn sehr wohlgefällig. Wie muß auch den Mann, der von der Pike auf gedient, das Schauspiel erfreuen! Aus Englands König wird ein römischer Kaiser, aus den unnützen Parlamentern werden nützliche Prätorianergarden und Oberst Kirk wird Prätorianerhauptmann, somit ein Königsmacher von ganz antiker Gestalt. Man sieht aus seiner Stellung, er hat die Antike studirt.«
»Auch nach dem Schnitt des Kleides,« sagte Sunderland. »Schade daß der alte Dalziel nicht mehr unter uns ist. Die Freude über das Soldatenfest wüsche vielleicht sein Collet von Gemsleder weiß, und kräuselte seinen Zwickelbart, der bis zum Knie reichte.«
Feversham bestieg mit einer leichten Verbeugung gegen den König jetzt sein Pferd und commandirte das Vorrücken des ersten Bataillons. Der Major von Lichtfield ließ die Grenadiere im Parademarsch vorrücken, schwenken und Front machen.
»Sonderbar!« sagte Churchill. »Allen legitimen Stuarts ist unsere Magna Charte ein Stein des Anstoßes, weil sie tumultuarisch durch Vertrag mit den bewaffneten Baronen abgeschlossen wurde, und heut wiederholt der König aus freien Stücken das Schauspiel von Running-Mead.«
»Wir bekommen vielleicht eine neue Magna Charta,« sagte der Minister.
»Oder,« entgegnete der Lord; »es gilt die englische Constitution verbessern. Man wird unsere Parlamenter in einen polnischen Reichstag verwandeln; wo allerdings die englische Stimmfähigkeit – wenigstens unserer Bauern – einen bessern Wirkungskreis erhält.«
Feversham stellte jetzt den Soldaten den Willen des Königs vor. Er sprach vorweg von ihrer Einwilligung als von einer Sache, die sich von selbst verstände, und rühmte nun die ihnen vom Könige erwiesene Auszeichnung, die ersten zu sein, denen er seinen Willen vortrüge. Er setzte etwas hinzu, wie der Name der Corporation, welche zuerst in diese heilsame Verbesserung willige, unsterblich in Englands Geschichte leben werde, was aber, indem sein Pferd einige Sätze machte, halb verloren ging. Er erließ jetzt ein Commando, das so viel bedeutete als, man solle durch ein deutliches und vernehmliches Ja seine Bereitwilligkeit erklären und zur Unterschrift bei den Notaren eilen. Feversham schwieg und die Soldaten schwiegen. Die Grenadiere blickten auf ihre Officiere, die Officiere richteten unverwandt den Blick auf den König.
Dieser fühlte, daß die französische Leichtigkeit, mit welcher Feversham das Geschäft zu beschleunigen geglaubt, hier nicht am Orte sei. Er trat selbst hervor, und sprach einige Worte mit mehr Wärme als gewöhnlich, die indessen mit dem herben Satze schlossen, daß wer kein treuer Diener seines Königs sein wolle, überhaupt nicht Diener des Königs bleiben könne. Feversham erklärte diesen Nachsatz officiell dahin, daß, wer einen Augenblick zögere den Wünschen seiner Majestät nachzukommen und den Akt zu unterschreiben, sogleich entlassen werden solle. Jetzt commandirte der Major, wer sich weigere laut mit ihm des Königs Heil auszurufen und an den Tisch des Notars zu treten, habe die Waffen zu strecken. Er rief: »Es lebe König Jacob, der Vertheidiger des Glaubens!« Nur zwei Hauptleute und wenige Katholiken sprachen es nach. Das ganze übrige Bataillon streckte in demselben Augenblick die Büchsen. Die Officiere traten vor den König, legten ein Knie beugend ihre Degen ihm zu Füßen und traten stumm zurück.
Einstimmig berichten die Geschichtsschreiber, der König habe mehrere Minuten sprachlos dagestanden. Der Mann, der sein ganzes Leben trotzig dem einen Vorsatze gewidmet hatte, starrte, als er denselben Trotz bei einer Classe seiner Unterthanen wiederfand, auf deren Ergebenheit er alle seine Hoffnung gebaut hatte. Nicht die Erfahrung allein, die Art wie er sie gemacht, schien in ihren schlimmen Folgen unberechenbar. Nach einer Weile drehte er den Officieren den Rücken und befahl ihnen die Waffen wieder zu ergreifen mit der Drohung, nie solle ihnen mehr die Ehre widerfahren um ihre Meinung gefragt zu werden. Die Officiere hoben ihre Degen, die Soldaten die Büchsen auf, das Bataillon schwenkte und marschirte vorüber, aber was geschehen, war vor den Augen der ganzen Armee geschehen. Man wagte kein zweites Bataillon zu befragen. Nur um den Schein des Scheines zu retten, mußten die übrigen Regimenter wie das erste Bataillon vor dem Generalstabe defiliren und Front machen; der König selbst würdigte sie keines Blickes.
Daß das Unglück nie einzeln kommt, mußte sich auch hier bewähren. Nachrichten von der Entfernung der ersten Pairs, – die Höflinge flüsterten von mehr als Entfernung – waren eingelaufen und liefen stündlich ein. Der greise Lord Wharton hatte eine Reise nach Spaa unternommen, eben dahin waren Clarendon's Söhne gereist, des Königs eigne Schwäger. Der aufbrausende Lord Mordaunt war so weit gegangen dem Könige einen Abschiedsbrief zu schreiben, er reise nach dem Haag, Admiral Herbert hatte seine Entlassung eingereicht, nachdem er, ohne dem Abfall wenigstens einen Schein zu leihen, schon im Haag Oranien seine Aufwartung gemacht. Ein Staatssecretair trug das Schreiben vor.
Jacob rief höhnend aus: »Etwa auch seines religiösen Gewissens halber, das dem verschwenderischen Wüstling ohne Religion verbietet in einem Lande zu dienen, wo man hundert Katholiken dulden will?«
»Sir, es geschieht allerdings,« sagte der Vortragende, »dessen Erwähnung im Briefe, der Admiral befindet sich in Gesellschaft des Lord Shrewsbury, welcher kürzlich die katholische Kirche verlassen hat.«
»Wie viele Männer,« sagte der König, »mit einem male die Lust am Ungehorsam und die Verfolgungssucht religiös macht, denen ihr ganzes Leben hindurch die Religion zuwider war.«
Jefferies trat vor und bemerkte mit funkelndem Blicke: »Sir, wenn, wie ich nicht zweifle, den Lords die sträfliche Absicht der Flucht aus dem Königreiche kann nachgewiesen werden, so eröffnen sich Ew. Majestät die Mittel mit ihren confiscirten Gütern treuere Unterthanen zu gewinnen.«
Oberst Kirk lachte die Achseln zuckend, Jacob seufzte und rief ohne an Jefferies die Antwort zu richten: »Ich will mir keine Freunde erkaufen.«
Sir Edward Hales meldete die Anwesenheit des gestern aus dem Tower entlassenen Loscelyne. Als die Nachrichten vom Abfall der treu Geglaubten sich drängten, hatte Jacob endlich nachgegeben einen, dem keine Untreue nachgewiesen werden konnte, zu entlassen. Dennoch hatte er ihn noch nicht sehen mögen, und ertheilte auch jetzt seine stumme Einwilligung, vielleicht nur um Jefferies, der als Opponent bei allen Begnadigungen auftrat, seinen Unwillen zu erkennen zu geben. Raleigh Loscelyne erschien in dem Kreise der hohen Beamten, aber der König sah ihn nicht oder wollte ihn nicht sehen. Alte Freunde des Ritters erschracken über seinen geisterhaften Anblick, mehr erschrack der Entlassene wie sich Alles verändert hatte, seit er in diese glänzenden Cirkel das letzte mal getreten. Die Übersättigung schien ihm hohl aus allen Gesichtern zu sprechen, wo sonst der Witz in der Quintessenz des Lebens schwelgte. Die üppige Cavalierzeit Karls des Zweiten hatte sich überlebt; die Sinne waren stumpf geworden, der Witz hatte seinen Köcher ausgeschossen, die Galanterie, die mit rohen Griffen den Schleier der Anmuth und Sitte zerreißend, nur am äußersten Genusse sich geletzt, den Reiz verloren. Man konnte lächeln und man spottete lächelnd über alles, was man begriff und nicht begriff; darauf war die gerühmte Kraft der geistreichen Zeit zurückgeführt. Nirgends strahlte ein Wille, jede Productionskraft schien ausgestorben und der allgemeinen Leerheit öffnete sich selbst keine neue Lebensader in der Kunst, die sie entwürdigt hatte den Lüsten zu dienen. Und doch sprach sich in der allgemeinen Schlaffheit und Mattigkeit ein Verlangen aus, die hohle Sehnsucht nach Etwas, was aber dies sei, das Befriedigung gewähren sollte, wußte Niemand.
Als der Vater Peter sich freundlich dem Ritter näherte, durchzückte Raleigh der Gedanke, daß dies der Moment sei, wo die römische Kirche Englands Boden wieder erobern müsse. Entnervte Wüstlinge waren es ja von je, die, wenn sie den letzten Tropfen aus dem Kelch der Lust geleert, neue Spannung der Sinne suchten, indem sie sich dem Fanatismus hingaben. Wie viele Protestanten hatte so die römische Kirche in ihren Schooß zurück gelockt! Ein neuer Rausch, der nicht zur Besinnung kommen läßt, verlängerte den früheren Taumel unter der Vorspiegelung der gewonnenen Heiligkeit. Wie, wenn das ganze England jetzt so erschöpft, so des Trostes war bedürftig worden, daß es blind in die Arme des ersten besten stürzte, der ihm einen solchen vorspiegelte! Die Unterhaltung mit dem Vater Peter beruhigte ihn wieder. Wo die Eitelkeit mit solchem Stolz und so wenigen Mitteln sich brüstete, brauchte der Engländer nicht besorgt zu sein. Ob die Männer am Hofe, die hier nicht dem Könige, sondern der eignen Eitelkeit dienten, zum Abfall verführt wurden, dünkte ihm gleichgültig.
Es erhob sich jetzt ein Lärm im Lager, welcher die Aufmerksamkeit der um den König stehenden erregte, indem ein Haufe Soldaten dem Orte, wo sich noch der Generalstab befand, tumultuarisch zueilte. Die erste Besorgniß, daß es einen Auflauf bedeute, verschwand in dem Augenblicke, als man die Soldaten meist unbewaffnet einen Juden in schlechter Tracht und mit rothem Barte, der ihm wenig Ansprechendes gab, auf unfreundliche Art hereinschleppen sah. Jetzt zauste ihn einer dergestalt am Backenbart, daß dessen rechte Seite vollständig in der Hand des Soldaten sitzen blieb, ohne daß man einen Schaden oder Blut auf der Backe wahrnahm. Das laute Gelächter der rohen Menge schützte ihn nicht vor ärgeren Anschuldigungen.
»Nun ist der Spitzbube ganz heraus!« rief man, und schleppte ihn an den Ohren in die Nähe der Generale. Einige Worte in gutem reinen Englisch, die dem Ergriffenen im Schmerz entfuhren, verriethen, daß der Stand seiner Bildung ein besserer sei, als worauf seine zerlumpte Kleidung deutete. »Er ist kein Jude, kein Jude!« schrie es, »ein Spion, ein Spion!«
»In der That scheint es so,« sagte Jefferies, dessen scharfer Blick, so selten er die Unschuld eines Angeschuldigten heraus fand, eben so sicher die Schuld entdeckte.
Der Mann, dem so ganz unfreiwillig und wider Wunsch das Glück einer Audienz beim Könige zu Theil wurde, hatte mit der Freiheit nicht den Muth verloren. In halb jüdischem Dialect beklagte er sich trotzig über das ihm widerfahrne Unrecht. Als Handelsmann habe er den Herren von der Armee nützliche Waaren nachgeschleppt, da sei man auf seinen Kram losgefahren, habe ihm sein bestes Zeug fortgerissen, und er verlange nun Genugthuung. Die Soldaten schrieen von allen Seiten, er habe falsche Würfel geführt, das habe sie veranlaßt, nachzusuchen in seinem Kram, wo man eine Menge geschriebener Zettel gefunden, die was schlimmes bedeuten müßten, denn der Hausirer hätte viel darum geboten, wenn man sie ihm zurückgäbe. Auch Briefe in unleserlicher Sprache waren zum Vorschein gekommen. Alle diese Anschuldigungen überschrie der Gefangene mit solcher Heftigkeit, daß, während noch einige Officiere mit hinein redeten, der laute Streit jede Ermittelung der Wahrheit hinderte. Am seltsamsten schien es, daß allen Eifers der Angeber ungeachtet, von den angezeigten Papieren nichts zum Vorschein kam. Zwei Irländer schworen Stein und Bein Briefe und Zettel, worin ein Aufruf an die Engländer gestanden, gesehn zu haben, sie müßten unterwegs von andern fortgerissen sein. Der Hausirer betheuerte mit großer Frechheit vor den hohen Anwesenden, die Irländer hätten zu tief in die Brandweinflasche gesehn, er könne kaum Geschriebenes lesen und wirklich fand man, als die Umstehenden ihn vor des Königs Augen durchsuchten, nichts von Papier an seinem Leibe. Jener schwor entrüstet solche Beleidigung vor des Königs Gericht zu bringen und nicht zu ruhn bis ihm die letzte Düte bezahlt sei. Dieser Eifer, der Unbefangenheit heucheln sollte, konnte indessen einen Mann nicht täuschen, der an der Gerichtsbank sein Auge geübt hatte:
»Guter Freund!« sagte Jefferies, »Deine rechte Backe ist uns jetzt hinlänglich bekannt, wie es aber unter der linken aussieht, verbirgt uns noch immer Dein rother Bart. Thue ihn ab, und komme vor Deinen König, wie Dein Gott Dich rasirt hat.«
Der Gefangene erblaßte, seine Augen starrten ungewiß, ein Zittern verrieth, daß seine Fassung nur eine gemachte gewesen. Als man ihm sehr unsanft den andern Bart abgerissen, sagte Jefferies ruhig zum Könige gewandt:
»Sir! ich habe mich nicht geirrt; es ist der Thomas Lower, ein Mann, der, schon in Monmouths Diensten thätig, allzeit fertig ist, Waaren aus Holland bei uns einzuschmuggeln. Steht sonst nichts in Ew. Majestät Belieben mit dem Burschen, können wir ihn sogleich den letzten Sprung thun lassen. Er ist reif zum Galgen.«
Als Lower sah, daß ihn weder Trotz noch Bitten vor dem in der Eil errichteten militairischen Galgen retten möchten, wurde er stiller. Bei Jefferies scharfem Inquiriren, mit wem er im Lager Verbindungen unterhalte, war er stumm geblieben; jetzt aber, als ein feister Haltunsfest mit sauber gedrehter Schlinge ihm zu dem hölzernen Denkmal der Gerechtigkeit voranschritt, ward ihm die Sache bedenklicher. Er probirte einige mal seine Halsbinde, und als er fand, daß es sich mit seiner Constitution nicht vertrage, wenn sie fester zugeschnürt werde, machte er Halt, und erklärte, bekennen zu wollen. Da er indessen nicht mehr von sich gab, als daß er Briefe an einen gewissen Sanson gehabt von einem vornehmen Herrn aus Holland, winkte Jefferies ihm lächelnd zu, um eine so geringe Eröffnung solle er sich nicht in seinem Berufswege aufhalten.
Lower machte zögernd einige Schritte und plötzlich Kehrt!
»Mylord!« rief er mit schlauer Miene. »Wenn die Schlinge bis zum Hals gewachsen, so hört der Mann auf und der Mensch fängt an. Es wundert mich aber wirklich, wie Ew. Herrlichkeit großer Scharfsinn sich doch nicht höher als in die Region der Nasen versteigt.«
Er deutete auf den ihm abgenommenen Backenbart, und nahm jetzt eine sehr künstlich angefügte Perücke zur Verwunderung der Umstehenden vom Kopfe. Darauf kniete er komisch vor dem Lordkanzler nieder, der von seinem Plattkopf ein Schreiben nahm. Es war mit Orangeband umwunden jedoch ohne Aufschrift.
»An wen es ist? fragt die Miene Ew. Herrlichkeit. Weiß der Himmel ich schwiege, da Niemand mehr verrathen darf als er weiß. Da es aber eine Dame ist, und man doch Umstände macht wenigstens bei schönen Damen, ehe man sie hängt –«
Der König hatte den Brief ergriffen, geöffnet und las jetzt zu Jefferies, Peter und Hales, die ihm zunächst standen den Inhalt.
»Eilen Sie, Mylady. Fletcher von S. muß beginnen. Ganz England wünscht und hofft, aber ohne einen Mann, der die Standarte der Freiheit zuerst aufpflanzt, haben wir auf Sand gebaut. Die Thore von Hull werden sich ihm öffnen, Devon und Sommerset aufstehn, aber der Mann muß Namen und Arm leihen. Alle Mittel, die wir in Ihre Hand legten, überweisen Sie ihm und beten für guten Ostwind.«
Der König knüllte den Zettel zusammen und blickte wild umher. »Aufruhr!« rief er, als wolle er auf den Gesichtern seiner Großen lesen, wen die Anklage treffe. »Ist denn nicht genug Blut vergossen, daß sie im Westen nach neuem lüstern sind? Schweigt Ihr Alle – Alle Theilnehmer am Complott? Habe ich keinen einzigen treuen Unterthanen mehr in England?«
Er rief dies mit solcher Heftigkeit, daß man des Königs Worte weit umher verstand. Jefferies blickte fragend auf Kirk. Dessen spöttische Ruhe ermunterte ihn wenig, doch neigte er sich halb vertraulich zum Könige, die Rechte, als Zeichen der Ergebenheit, auf die Brust gelegt, als Raleigh Loscelyne schnell vortrat und sich vor dem Könige auf ein Knie niederließ. Auch er legte seine rechte Hand an die Brust, der Blick suchte aber nicht wie der des Oberrichters den Boden. Die Augen unter den hohen Brauen stolz zum Könige aufrichtend, sprach er mit fester Stimme:
»Sir! wenn Sie treue Unterthanen suchen, werfen Sie nicht Ihre Augen auf die blutgierigen Diener der Habsucht. Ist es ein Dienst für die Krone und meines Königs erlauchtes Haus, nicht diesem Jefferies ihn vertraut! Englands edle Geschlechter sind nicht so entartet, wenn ein Stuart zu ihnen fleht, ihn verrathen zu können. Mir, Sir, den Auftrag, ich wäre nicht der erste Loscelyne, der allein für seinen König blutet, wenn ringsum in der Rebellion die besten abfallen.«
Dabei stand der Ritter auf, ohne den Befehl des Königs abzuwarten. Jacob sah in jeder Handlung um ihn, welche Entschlossenheit und Trotz andeutete, einen Eingriff in seine königlichen Rechte. Am wenigsten liebte er es, wenn er selbst Zeichen der Schwäche glaubte verrathen zu haben, er wollte immer fest und zwar allein fest sein. Einen Schritt zurücktretend sagte er deshalb zu den Umstehenden:
»Beim Himmel! es scheint nicht, als komme Sir Raleigh aus einem Gefängniß, in welchem er Demuth gelernt wie man mir sagte. Lordkanzler, ich glaubte einen Gnadenbrief unterschrieben zu haben, es scheint aber als hättet Ihr Euch in der Ausfertigung versehen und mir eine Bestallung zum Präsidenten des Conseils vorgelegt.«
Ohne vor dem zornigen Blick des Monarchen zu erschrecken, sagte Raleigh, unverwandt den seinigen auf ihn gerichtet:
»Sir, wenn die Gefahr groß war und die Zeit drängte, zauderten die Loscelynes nie, um den König zu retten, und sollten sie auch gegen die höfische Sitte verstoßen. Sie verlangten nach einem ganz treuen Diener; der werde ich bleiben, und wenn ich den Zorn Euer Majestät darüber auf mich lüde.«
»Ich glaube der Stolz des Ritters sähe es gern,« sagte der König, »wenn ein Stuart sich ihm zu Füßen würfe und ihn anflehte ihn zu retten. Gelobt sei Gott, die Zeiten des Vasallenhochmuths sind vorüber, wo Englands Könige einem Northumberland und Warwick für ihr heiliges Recht zeitlebens verbindlich blieben, und Gott sei gelobt, daß Jacob der Zweite noch auf dem Throne sitzt, noch die Krone auf dem Scheitel fühlt, noch über dreißig Tausend gebietet um durch den Aufstand einer Handvoll Rebellen nicht gezwungen zu werden sich in die Arme eines von stolzem Wahne aufgeschwollenen Ritters zu werfen.«
Raleigh trat jetzt einige Schritte zurück, sein Gesicht verrieth keine Spur der Kränkung. Doch Andere fühlten statt seiner, wenn auch nicht für ihn. Die Priester redeten dem Könige zu, und indem in ihm selbst die Besorgniß mitsprach, ging er gern in den von Jefferies ihm gemachten Vorschlag ein, den Ritter mit einem Auftrage zur Ergreifung der Schuldigen zu entfernen:
»Sein chevaleresker Eifer,« sagte der Lordkanzler leise zum Könige, »bürgt für eine gewissenhafte Ausführung.«
In der That mochte es aber nöthig sein, einen Mann von diesen festen Grundsätzen abzusenden, denn wohin der König blickte, zweifelhafte Gesichter traten ihm entgegen. Es scheint an's Unwahrscheinliche zu gränzen, daß man erst jetzt den Hausirer fragte, an wen der Brief gerichtet sei um durch Verhaftung des Empfängers dem Ausbruch der Verschwörung zuvor zu kommen. Einestheils gränzen alle Maaßregeln in Jacobs letzter verwirrter Regierungszeit an's Unwahrscheinliche, solche Heftigkeit ohne Ueberlegung sprach sich darin aus, auf der andern Seite aber mochte man annehmen Jefferies habe schon für sich den Spion nach der Adresse des Briefes befragt, denn als dieser jetzt die Lady Harriet Wentworth nannte, lächelte der Kanzler und blickte suchend in das Gesicht des Ritters von Avalon.
Ein Verhaftsbefehl mit ausgedehnter Vollmacht war im Augenblicke dem Ritter eingehändigt, da es nur des Eintragens zweier Namen bedurfte um die immer fertig gehaltenen Papiere der Art zu einem furchtbaren Werkzeuge despotischer Willkühr zu machen. Eine krankhafte Röthe flog über Raleighs Gesicht, dessen Kerkerfarbe kein Erblassen zuließ; ein leiser Fieberanfall schien Gewalt über ihn zu gewinnen, indem das verhängnißvolle Pergament zwischen seinen Fingern zitterte. Aber er ermannte sich, daß es nicht erst Lord Bellasis besorgten Zurufs bedurfte: »Bedenken Sie, Sir, daß des Königs Wohl in ihren Händen ruht!« Auf sein Pferd sich schwingend galloppirte er von dannen und war fast aus den Augen der Generale entschwunden, als ein Eilbote dem Könige einen Brief einhändigte.
Hastig eröffnete ihn dieser, während die Blicke Aller ängstlich auf ihm hafteten. »Von unserm Gesandten am Haag,« sagte Jefferies. »Von D'Albeville,« ein anderer. Der König hörte auf nichts. Todtenblässe überzog sein Gesicht, der Brief entfiel seinen Händen, er athmete wie nach Luft schöpfend, und auf Hales sich stützend ging er in sein Zelt. Sunderland, Churchill und Peter griffen nach dem Briefe, Jefferies blickte mit hinein, als sie ihn durchflogen.
Vater Peters Schreck war nicht geringer als der des Königs; nur daß sein volles geistloses Gesicht durch die Todtenblässe einen noch dümmern Anstrich gewann. Sein halb offner Mund, seine halb gefalteten Hände sprachen die Frage aus, zu der seine Zunge die Kraft schien verloren zu haben: »Was ist nun zu thun?«
»Des Königs eigner Schwiegersohn!« rief Jefferies, Sunderland lächelte. Godolphin, der nach ihnen hinein blickte, sagte:
»Nichts anderes, als Alles zu widerrufen, was, seit wir den Thron bestiegen, geschehen ist.«
»Wenn das selbst noch helfen kann!« rief Churchill.
»Vor Allem ist es Pflicht zu schweigen,« sagte Godolphin, dem Sunderland lächelnd entgegnete:
»Bis die Glocken der City es über die Themse läuten, was Jedermann in England nach vier und zwanzig Stunden weiß!«