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VIII.

Der letzte Schlag.

Am andern Morgen erhob sich die Sonne strahlend aus den goldigen und purpurfarbenen Wolken.

Mexiko war in einem Freudenrausche.

Die Stadt hatte ihr Festgewand angelegt; sie schien zu den schönen Tagen der Ruhe und des Friedens zurückgekehrt zu sein. Die ganze Bevölkerung war auf den Straßen und eilte mit Geschrei, Gesang und Lachen dem Paseo von Bucarelli zu.

Von verschiedenen Seiten ertönte Militärmusik, Trommeln und Trompeten.

Offiziere des Generalstabs, in ihren reichen, goldgestickten Uniformen mit Federhüten, ritten hier und dorthin, um Ordres zu ertheilen.

Die Truppen verließen die Casernen und marschirten zu dem Paseo, wo sie sich zu beiden Seiten der großen Allee aufstellten.

Die Artillerie nahm vor der Reiterstatue des Königs Karl IV., welchen die Leperos mit Fernando Cortez verwechseln, Stellung und die nur elfhundert Mann starke Cavallerie ordnete sich auf der Alameda.

Die Leperos benutzten diese Gelegenheit, um sich durch das Sprengen von Petarden zu belustigen, die sie zwischen den Füßen der Spaziergänger losließen.

Gegen zehn Uhr Morgens ertönte lautes Jubelgeschrei, welches rasch näher kam.

Es war das Volk, welches dem Präsidenten der Republik zujauchzte.

Der General Miramon erschien in der Mitte eines glänzenden Generalstabs.

Der Gesichtsausdruck des Präsidenten war freudig, er schien über die unaufhörlichen Rufe, es lebe Mirarmon, glücklich zu sein, denn sie bewiesen ihm, daß das Volk ihn noch immer liebte; es bezeigte ihm auf seine Weise seine Dankbarkeit für den heroischen Entschluß, den er gefaßt hatte, eine letzte Schlacht im offenen Felde zu wagen, anstatt den Feind in der Stadt zu erwarten.

Der General verneigte sich lächelnd nach allen Seiten.

Sobald er den Eingang des Paseo erreichte, donnerten zwanzig Kanonenschüsse zugleich und verkündeten so seine Anwesenheit den auf der Promenade versammelten Truppen.

Darauf durchliefen rasche Ordres die Reihen der Soldaten, die Musik der Regimenter begann zu spielen, die Trommeln und Trompeten ertönten, der Präsident ritt langsam an der Front vorüber und die Revüe begann.

Die Soldaten schienen voll Muth; die Menge theilte ihnen ihre Begeisterung mit, und so empfingen sie den Präsidenten mit dem lebhaften Rufe: Es lebe Miramon!

Die Besichtigung des Generals war streng und gewissenhaft. Es war keine jener Paraderevüen, deren Schauspiel die Regierenden von Zeit zu Zeit dem Volke geben, um es zu belustigen; nein, denn sobald die Truppen die Stadt verließen, gingen sie in die Schlacht, es handelte sich darum, ob sie wirklich im Stande waren, dem Feinde einige Stunden später die Stirn zu bieten.

Die Befehle des Generals waren auf das Genaueste ausgeführt worden, die Soldaten, gut bewaffnet, zeigten einen kriegerischen Ausdruck, den man mit Freuden bemerkte.

Sobald der Präsident die Reihen durchschritten, hier und dort an Soldaten, die ihm bekannt waren, oder die er zu kennen vorgab, einige Worte gerichtet hatte, – ein altes Mittel, welches stets Erfolg hat, da es der Eigenliebe der Soldaten schmeichelt – stellte er sich in die Mitte eines Rundtheils des Paseo und ließ mehre Manöver ausführen, um sich über die Instructionsstufe der Truppen zu unterrichten.

Diese Manöver, von denen einige sehr schwierig waren, wurden vollkommen befriedigend ausgeführt.

Der Präsident sprach den Generälen seine vollkommene Zufriedenheit aus, worauf das Defiliren begann; nachdem die Truppen vor dem Präsidenten vorübergezogen waren, nahmen sie ihre ersten Stellungen wieder ein und schlugen ein provisorisches Lager auf.

Da Miramon die Soldaten nicht unnütz ermüden wollte, indem er sie nöthigte, in der großen Hitze zu marschiren, hatte er beschlossen, erst mit einbrechender Nacht aufzubrechen; bis dahin sollten die Truppen auf dem Paseo campiren.

Unter den Offizieren, welche den Generalstab des Präsidenten bildeten und die mit ihm nach dem Palast zurückkehrten, befand sich Don Melchior de-la-Cruz, Don Antonio Cacerbar und Don Jaime.

Obgleich Don Melchior sehr erstaunt war, Denjenigen, welchen er nur unter dem Namen Don Adolfo kannte und den er bis dahin nur mit dem Schleichhandel beschäftigt glaubte, in militärischer Kleidung zu erblicken, so grüßte er ihn doch mit ironischem Lächeln. Don Jaime erwiderte kalt seinen Gruß und entfernte sich eilig, obwohl er eine Unterhaltung mit ihm nur wenig zu fürchten hatte.

Was Don Antonio betrifft, so bemerkte er ihn nicht, da er das Gesicht Don Jaime's niemals unbedeckt gesehen hatte.

Während der Präsident in den Palast zurückkehrte, war Don Jaime auf dem Platze Mayor vom Pferde gestiegen und hatte sich mit dem Grafen und Dominique vereinigt, mit denen er hier ein Zusammentreffen verabredet hatte, die ihn jedoch nicht wieder erkannt haben würden, wenn er nicht gerade auf sie zugekommen wäre.

»Ihr geht mit der Armee?« fragten sie ihn.

»Ja, meine Freunde, ich gehe,« antwortete er, »aber bald werde ich wieder hier zurück sein; leider wird der Feldzug nicht lange dauern. Während meiner Abwesenheit bitte ich, Eure Wachsamkeit zu verdoppeln; verliert das Haus meiner Schwester nicht aus den Augen: einer unserer Feinde wird in der Stadt bleiben.«

»Nur einer?« meinte Dominique.

»Ja, aber er ist Der, welcher von Beiden am Meisten zu fürchten ist. – Derselbe, welchem Du so ungeschickter Weise das Leben gerettet hast, Dominique.«

»Gut, ich kenne ihn,« versetzte der junge Mann, »er mag sich in Acht nehmen.«

»Und Don Melchior?« sagte der Graf.

»Dieser wird uns nicht mehr beunruhigen,« entgegnete mit seltsamer Betonung Don Jaime; »also, meine lieben Freunde, wachet mit Aufmerksamkeit und laßt Euch nicht überraschen.«

»Wenn es sein muß, werden uns Leo Carral und unsere Diener unterstützen.«

»Es würde vorsichtiger sein; auch wäre es vielleicht besser, sie in dem Hause unterzubringen.«

»Wir werden daran denken.«

»Nun wollen wir scheiden; ich habe im Palast zu thun; auf baldiges Wiedersehen, meine Freunde.«

Sie schieden.

Don Jaime trat in den Palast und begab sich nach dem Cabinet des Präsidenten.

Der Huissier kannte ihn, er machte daher keine Schwierigkeit, ihn passiren zu lassen.

Miramon nahm die Rapporte entgegen, welche ihm einige Recognoscirungsreiter über die Bewegungen des Feindes abstatteten.

Don Jaime setzte sich und wartete geduldig, bis der Präsident seine Fragen beendet haben würde.

Endlich hatte der Letzte seinen Rapport abgestattet und sich entfernt.

»Nun,« fragte Miramon lächelnd, »habt Ihr den Gesandten gesehen?«

»Gewiß, gestern, als ich Sie verließ, General.«

»Und das berüchtigte Schreiben?«

»Hier ist es,« antwortete er, ihm dasselbe überreichend.

Der General schien überrascht, nahm das Papier und überflog es schnell.

»Nun?« fragte Don Jaime.

»Wir haben nicht allein Vollmacht, zu thun, was wir für gut finden,« antwortete er, »sondern ich bin sogar aufgefordert, strenge gegen diesen Mann einzuschreiten.«

»Das ist wunderbar, Ihr habt auf meine Ehre mehr gethan, als Ihr versprachet. Wie habt Ihr Das bewerkstelligt?«

»Ich habe einfach um den Brief gebeten.«

»Ihr seid der geheimnißvollste Mann, den ich kenne; jetzt ist es an mir, mein Versprechen zu halten.«

»Das eilt nicht.«

»Ihr wollt ihn nicht verhaften lassen?«

»Im Gegentheil, aber erst nach unserer Rückkehr.«

»Wie Ihr wollt; aber, was werden wir bis dahin thun?«

»Wir werden ihn hier unter dem Befehl des Platzcommandanten zurücklassen.«

»Wahrhaftig, Ihr habt Recht.«

Der Präsident schrieb eine Ordre, siegelte dieselbe und rief den Huissier.

»Ist der Oberst Cacerbar hier?« fragte er.

»Ja, Excellenz.«

»Er möge die Ordre an den Platzcommandanten überbringen.«

Der Huissier nahm das Papier und ging.

»Das wäre gethan,« sagte der Präsident.

Don Jaime blieb bei dem General bis zur Stunde des Abmarsches.

Mit Einbruch der Nacht begannen die Truppen über den Platz zu defiliren, umgeben vom Volke, welches sie mit lauten Vivats begrüßte.

Sobald die Truppen vorüber waren, verließ der General mit seinem Generalstabe den Palast.

Eine zahlreiche Escadron Cavalerie hielt auf dem Platze.

»Wer sind diese Reiter?« fragte der General.

»Meine Cuadrilla,« antwortete Don Jaime sich verneigend.

In dichte Mäntel gehüllte, den Kopf mit breitrandigen Hüten bedeckt, ließen diese Reiter nur den untern Theil ihres bärtigen Gesichts erkennen.

Der Präsident suchte vergeblich ihre Züge zu erkennen.

»Sie werden Ihnen unbekannt sein,« sagte Don Jaime leise zu ihm; »diese Bärte sind falsch, selbst ihr Anzug ist eine Verkleidung; aber glauben Sie meinem Wort, sie werden in der Schlacht nicht weniger tüchtig drein schlagen.«

»Davon bin ich überzeugt und ich danke Euch.«

Man setzte sich in Marsch.

Don Jaime erhob seinen Degen, die Reiterei machte eine Schwenkung und schloß sich ihnen als Nachhut an; es waren dreihundert Mann.

Im Gegensatze zu der mexikanischen Cavalerie, deren hauptsächliche Waffe die Lanze ist, trugen sie Carabiner, den geraden Bogen der afrikanischen französischen Jäger und Pistolen im Halfter.

Um Mitternacht machte man Halt.

Es war Befehl gegeben, keine Bivouacfeuer anzuzünden.

Gegen drei Uhr Morgens langte ein Recognoscirungsbote an.

Er wurde sogleich zum Präsidenten geführt.

»Ah! ah! Du bist es, Lopez,« sagte der General, ihn erkennend.

»Ja, mein General,« antwortete Lopez, indem er dem neben dem Präsidenten sitzenden Don Jaime zulächelte, der nachlässig eine Cigarre rauchte.

»Was giebt es Neues? Hast Du Nachrichten über den Feind?« fragte Miramon.

»Ja, General und ganz neue!«

»Um so besser; wo steht er?«

»Vier Meilen von hier.«

»Gut, dann werden wir ihn bald erreicht haben.«

»Welches Corps ist es?«

»Das des General Don Jesus Gonzales Ortega.«

»Bravo,« rief erfreut der Präsident, »Du bist ein kostbarer Bursche; nimm, das ist für Dich.«

Und er drückte ihm einige Goldstücke in die Hand.

»Berichte mir das Nähere,« fuhr er fort.

»Der General Ortega hat elftausend Mann bei sich, dreitausend Mann Cavalerie und fünfunddreißig Kanonen.«

»Hast Du sie gesehen?«

»Ich bin fast zwei Stunden mit ihnen gegangen.« »In welcher Stimmung sind sie?«

»Ei, General, sie sind wüthend auf Sie.«

»Gut, ruhe Dich aus, Du kannst eine Stunde schlafen.«

Lopez verneigte sich und ging.

»Endlich,« sagte Miramon, »werden wir dem Ziele nahe sein.«

»Wie viel Truppen haben Sie, General?« fragte Don Jaime.

»Sechstausend Mann, elfhundert Mann Cavalerie und zwanzig Kanonen.«

»Hm,« meinte Don Jaime, »gegen elftausend!«

»Es ist nicht ganz das Doppelte, mein Freund; der Muth wird die Zahl ergänzen.«

»Gebe es Gott.«

Um vier Uhr wurde das Lager abgebrochen, Lopez diente als Führer.

Die von Kälte erstarrten Truppen waren in schlechter Stimmung.

Gegen sieben Uhr Morgens machte man Halt; die Armee wurde in eine ziemlich vortheilhafte Stellung gebracht, die Geschütze in Batterie gesetzt.

Don Jaime ordnete seine Reiter hinter der regulären Cavalerie.

Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, frühstückte man.

Um neun Uhr Morgens ließ sich ein Tiroteo hören, wie es die Spanier nennen: es waren dies die Feldwachen, welche an der Spitze der Colonnen Ortega's hinziehend, auf das von Miramon gewählte Schlachtfeld vorrückten und ein lebhaftes Gewehrfeuer begannen.

Nichts wäre dem Präsidenten leichter gewesen, als die Schlacht zu vermeiden; er wollte es nicht, es trieb ihn zum Schluß.

Miramon war von seinen bewährtesten Offizieren umgeben: Velez Cobos, Négrete Ayestaran und Marquez.

Als er den Feind erblickte, stieg er zu Pferde, durcheilte die Reihen der kleinen Armee, ertheilte seine Instructionen mit fester und entschlossener Stimme, versuchte, Allen den warmen Eifer, der ihn entflammte, einzuflößen und seinen Degen erhebend, rief er mit weitschallender Stimme:

»Vorwärts!«

Die Schlacht nahm augenblicklich ihren Anfang.

Die Juaristenarmee war, da sie sich unter dem Feuer des Feindes sammeln mußte, in offenbarem Nachtheil.

Miramon's Soldaten, durch das Beispiel ihres jungen Befehlshaber – er war erst sechsundzwanzig Jahre – angefeuert, kämpften wie Löwen und leisteten Wunder von Tapferkeit.

Vergeblich suchten die Juaristen sich in ihren gewählten Stellungen zu behaupten; mehrmals wurden sie durch die kräftigen Ladungen ihrer Feinde zurückgeworfen.

Trotz ihrer Uebermacht konnten die Soldaten nur Schritt für Schritt vorrücken, da der Feind unaufhörlich auf sie eindrang.

Die Offiziere Miramon's, in welche seine Seele übergegangen zu sein schien, stellten sich an die Spitze der Truppen, rissen sie mit sich fort und warfen sich in das dichteste Gewühl; noch eine Anstrengung und die Schlacht ist gewonnen, Ortega zum Rückzug gezwungen!

Miramon eilt herbei: er übersieht die Lage mit unfehlbarem Blick.

Der Augenblick ist gekommen, die Cavalerie auf das Centrum der Juaristen zu richten und durch eine entscheidende Ladung Bahn zu brechen.

Der Präsident ruft: »Vorwärts!«

Die Cavalerie zögert.

Miramon wiederholt den Befehl.

Die Reiter dringen vor; aber anstatt zu laden, geht die Hälfte derselben zu dem Feinde über und erhebt die Lanze gegen die andern Getreuen.

Durch diese plötzliche Desertion in Verwirrung gebracht, machen die übrigen fünfzig Reiter kehrt und zerstreuen sich nach allen Richtungen.

Als die Infanterie sich so schmählich verlassen sieht, kämpft sie nur noch muthlos.

Der Ruf: »Verrath! Verrath! Rette sich, wer kann!« durchläuft die Reihen.

Vergeblich versuchen die Offiziere, die Soldaten vor dem Feinde zu sammeln, ihre Verwirrung ist zu groß.

Bald ist die Flucht allgemein.

Miramon's Armee existirt nicht mehr. Ortega ist noch einmal Sieger, aber in Folge eines unwürdigen Verraths, in demselben Augenblick, wo die Schlacht für ihn verloren war.

Wir haben gesagt, daß Don Jaime's Reiterei hinter der Miramon's Stellung genommen hatte.

Sicherlich würden diese dreihundert Mann, wenn sie den Ausgang der Schlacht hätten ändern können, dieses Wunder vollbracht haben; selbst als die Flucht allgemein war, kämpften sie noch mit einer Erbitterung ohne Gleichen gegen die Cavalerie der Juaristen, welche die Flüchtigen verfolgte.

Don Jaime hatte einen Zweck, indem er diesen ungleichen Kampf verlängerte.

Zeuge des unwürdigen Verraths, der die Niederlage herbeiführte, hatte er den Offizier beobachtet, welcher zuerst mit seinen Soldaten zum Feinde übergegangen war. Dieser Offizier war Don Melchior, Don Jaime hatte ihn erkannt und innerlich geschworen, sich seiner zu bemächtigen.

Die Cuadrilla des Abenteurers bestand nicht aus gemeinen Reitern, das hatten sie bewiesen und bewiesen es noch; mit kurzen Worten hatte Don Jaime ihnen seine Meinung zu erkennen gegeben.

Die Reiter stießen ein Wuthgeschrei aus und warfen sich dem Feinde entgegen.

Ein gigantischer Kampf von dreihundert Mann gegen dreitausend entwickelte sich: die Cuadrilla verschwand fast vollständig, als wäre sie plötzlich von der furchtbaren Masse ihrer Gegner verschlungen worden.

Dann trat eine Bewegung unter den Juaristen ein, ihre Reihen öffneten sich und durch den freien Raum führte die Cuadrilla in ihrer Mitte Don Melchior als Gefangenen mit sich.

»Zum Präsidenten!« rief Don Jaime, indem er an der Spitze seiner Truppen gegen Miramon vordrang, der sich vergeblich bemühte, einige Detachements wieder zu sammeln.

Die Lieutenants Miramon's, die alle seine Freunde sind, haben ihn nicht verlassen, sondern geschworen, mit ihm zu sterben.

Die Cuadrilla gab eine letzte Ladung, um den General zu befreien.

Endlich entschloß sich Miramon, nachdem er einen trostlosen Blick auf das Schlachtfeld geworfen, dem Rathe seiner Getreuen Folge zu leisten und den Rückzug anzutreten; der ganze Rest seiner Armee bestand kaum in tausend Mann, die Andern waren todt, in die Flucht geschlagen oder zum Feinde übergegangen.

Die ersten Augenblicke des Rückzugs waren furchtbar; ein namenloser Schmerz hatte Miramon erfaßt, nicht durch seine Niederlage veranlaßt, die er geahnt hatte, sondern durch den feigen Verrath, dessen Opfer er geworden war.

Als man von dem Feinde nicht mehr erreicht zu werden fürchten brauchte, befahl der Präsident Halt zu machen, um die Pferde verschnaufen zu lassen.

Gegen einen Baum gelehnt, die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf gesenkt, war Miramon in tiefes Schweigen versunken, welches seine lautlos neben ihm stehenden Generäle nicht zu unterbrechen wagten.

Da schritt Don Jaime auf ihn zu und wenige Schritte vor dem Präsidenten stehen bleibend, sagte er:

»General!«

Bei dem Tone dieser Freundesstimme erhob Miramon den Kopf und dem Abenteurer die Hand reichend, sprach er:

»Seid Ihr es, mein Freund? Oh! warum bin ich so hartnäckig gewesen, Euch nicht zu glauben?«

»Was geschehen, ist nicht zu ändern, General,« antwortete freimüthig der Abenteurer; »aber bevor wir den Ort verlassen, an dem wir uns befinden, haben Sie eine Pflicht zu erfüllen, einen exemplarischen Gerechtigkeitsact auszuüben.«

»Was meint Ihr?« fragte er mit Erstaunen.

Die andern Generale waren, ebenso überrascht, näher getreten.

»Sie wissen, weßhalb wir besiegt worden sind?« nahm der Abenteurer wieder das Wort.

»Weil wir verrathen wurden.«

»Aber der Verräther, kennen Sie ihn, General?«

»Nein, ich kenne ihn nicht,« versetzte er unwillig.

»Wohlan, aber ich kenne ihn, ich war in seiner Nähe, als er seinen feigen Plan ausführte, ich überwachte ihn, denn ich hatte schon seit langer Zeit Verdacht gegen ihn gefaßt.«

»Was thut Das! dieser Elende ist doch nicht mehr zu erreichen.«

»Sie irren, General, denn ich führe ihn mit mir; ich habe ihn inmitten seiner neuen Kameraden aufgesucht, ja, ich würde bis in die Hölle gedrungen sein, um mich seiner zu bemächtigen.«

Bei diesen Worten durchlief ein Schauer der Freude die Reihen der Soldaten und Anführer.

»Wahrhaftig Gott!« rief Cobos, »dieser Elende verdient, geviertheilt zu werden.«

»Führt den Mann vor,« befahl Miramon trübe, denn sein Herz war peinlich berührt, zur Härte gezwungen zu sein: »er wird gerichtet werden.«

»Das soll nicht lange währen,« bemerkte der General Négrete, »er wird den Tod der Verräther erdulden, und von hinten erschossen werden.«

»Man hat nur nöthig, seine Identität zu constatiren, um das Urtheil an ihm vollstrecken zu lassen,« fügte Cobos hinzu.

Auf einen Wink Don Jaime's erschien Don Melchior, von zwei Soldaten geführt.

Er war bleich, abgezehrt, seine Kleider zerrissen und mit Blut beschmutzt, die Arme waren ihm auf dem Rücken befestigt.

Die Offiziere hatten sich zu einem Kriegsrath unter dem Vorsitz des General Cobos gesammelt.

»Wie ist Euer Name?« fragte dieser.

»Don Melchior de-la-Cruz,« antwortete er mit dumpfer Stimme.

»Gesteht Ihr, zum Feinde übergegangen zu sein und die unter Eurem Befehl stehenden Soldaten mit Euch geführt zu haben?«

Er antwortete nicht, aber sein ganzer Körper erbebte von einem convulsivischen Zittern.

»Der Verrath dieses Mannes ist dem Tribunal erwiesen,« begann Cobos von Neuem, »welche Strafe hat er verdient?«

»Die der Verräther,« antworteten die Offiziere einstimmig.

»So vollstrecke man das Urtheil,« befahl Cobos.

Der Verurtheilte wurde vor die Front geführt und mußte niederknien.

Zehn Corporale bildeten ein Peloton und stellten sich sechs Schritt hinter ihm auf.

Darauf näherte sich der General Cobos dem Verurtheilten.

»Feigling und Verräther,« sagte er zu ihm, »Du bist des Ranges, zu welchem Du erhoben worden bist, unwürdig; im Namen aller unserer Gefährten erkläre ich Dich für degradirt und aus ihren Reihen ausgestoßen.« Ein Soldat entkleidete Don Melchior darauf der Insignien seines Ranges und gab ihm eine Ohrfeige.

Der junge Mann stieß das Gebrüll eines Tigers aus bei dieser Beleidigung, blickte verstört um sich und wollte sich erheben.

»Feuer!« commandirte der General Cobos.

Eine Salve ertönte; der Verurtheilte stieß einen Todesschrei aus und fiel mit dem Gesicht auf die Erde, indem er sich in entsetzlichen Convulsionen wand.

»Endet, endet!« sagte Miramon mitleidig.

»Nein,« antwortete Cobos in rauhem Tone, »er sterbe wie ein Hund: je mehr er leidet, um so vollständiger wird unsere Rache sein.«

Miramon machte eine Bewegung des Abscheu's und befahl, das Zeichen zum Aufsitzen zu geben.

Man brach auf.

Nur zwei Männer waren bei dem Elenden geblieben und betrachteten den in wildem Schmerz zu ihren Füßen sich Windenden.

Diese beiden Männer waren der General Cobos und Don Jaime.

Don Jaime neigte sich über ihn, hob ihm den Kopf auf und zwang ihn, seinen erlöschenden Blick auf ihn zu richten.

»Vatermörder, Verräther an Deinem Vaterland und an Deinen Brüdern,« sagte er zu ihm mit dumpfer Stimme, »Deine Brüder sind es, die sich heut' an Dir rächen; stirb wie ein Hund, der Du bist. Deine Seele wird zum Teufel gehen, der Deiner harrt, und Dein Körper wird den wilden Thieren zum Raube dienen!«

»Gnade!« rief der Elende, indem er zurücksank, »Gnade!«

Eine letzte Zuckung bewegte seinen Körper, seine verzerrten Züge nahmen einen furchtbaren Ausdruck an, er stieß einen entsetzlichen Schrei aus und rührte sich nicht mehr. Don Jaime stieß ihn mit dem Fuße an. Er war todt.

»Einer!« sagte der Abenteurer, indem er sein Pferd wieder bestieg.

»Wie?« fragte der General Cobos.

»Nichts, es ist eine alte Schuld, die ich abtrug,« gab er mit scherzendem Lachen zur Antwort.


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