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Erzählt von einer Hochzeit und deren lustigem Verlauf. Zwei neue Helden treten auf.
Wenn Eltern Töchter besitzen, sind sie nach uralter Sitte bestrebt, sie so rasch als möglich unter die Haube zu bringen. Und die Töchter beeilen sich ebensosehr, so rasch als möglich diejenigen zu verlassen, die bis nun ihre natürlichsten Beschützer und Freunde gewesen sind, um mit beiden Füßen in ein Dasein voll dunkler Fragen zu springen.
Da wir wissen. daß Gustl und seine Ehefrau in vergangenen Tagen bräutlicher Liebe eine Tochter gezeugt und bisher großgezogen hatten, und da diese Tochter ihr Herz an einen Geliebten verloren hatte, der bekanntlich Fleischhauer war, sich verheiraten und selbständig machen wollte, so geschah das einzig Vernünftige, vielleicht (wer weiß es) auch Unvernünftige: es wurde der Hochzeitstag angesetzt.
Und da das Verlöbnis geheimgehalten worden war, so erregte die Entdeckung der Tatsache in 155 Bekanntenkreisen ein mit Unmut gemischtes Erstaunen. Der Unmut galt der »Geheimniskrämerei« und das Erstaunen dem Umstand, daß Annerl, wenn überhaupt, auch noch eine so gute Partie mache. Bräute werden stets unter die Lupe genommen.
Vor längerer Zeit schon hatte Gustl seinen Cheffreund durch sein bedrücktes Wesen mißtrauisch gemacht. Denn Herr Brückl kannte seinen Freund gründlich.
»Wannst von mir was willst,« sagte er, »so ruck aussi damit und tua di net so zarr'n wia a Anspannerroß.« Dieser Vergleich drückte alle Mißachtung gegen eine Kollegenschaft vom einspännigen Fuhrwerk aus, das er eigentlich gar nicht als existenzberechtigt erkannte, vor allem, wenn es sich noch des verhaßten Taxameters bediente.
Die Stunden der Berserkerwut Gustls fielen mit seltenen Ausnahmen stets auf den Nachmittag. Sie deuchten ihn das, was einem anderen für eine ausgiebige Siesta gegolten hätte. Der ihnen vorhergehende Zustand der Nüchternheit fand ihn stets als einen Menschen, dessen Unsicherheit von Reue über die Exzesse des Vortages zeugte. In diesem Zeitraum, der durch allmähliche Stärkungen seine Linderung fand, war er von allen Teufeln der Zerknirschung, Selbstanklage, Furcht und Scham gepackt. Diese Stimmungen kannten alle, am meisten der Kellerlacher.
Da nun zum allgemeinen Erstaunen die Standratschen seit einigen Tagen ihrer Art Siesta entsagte und sich verhältnismäßig großer Nüchternheit 156 befleißigte, so war das Mißtrauen Herrn Brückls einigermaßen gerechtfertigt, der trotz aller scheinbaren Unverwundbarkeit dennoch eine heikle Stelle besaß: die Unlust, zu borgen. Er liebte es daher, sich für einen über und über verschuldeten Mann auszugeben, dem jeden Tag die zwei Zeuge samt Rossen gepfändet werden konnten.
Aber Gustl war doch ein derartiges Attentat auf die heiligsten Empfindungen des Freundes nicht zuzutrauen.
Daher fiel die Beantwortung der an diesen gestellten Aufforderung, eine Wünsche kundzutun, ganz verblüffend für Herrn Brückl aus.
»Waßt, Toberl,« hatte Gustl gesagt, »mein Madl heirat' in drei Wochen. Jetzt möcht' i di halt als mein' alten Spezi bitten, daß du ihr als zweiter Beistand gehst. Und dein' Mirzl sollt' Kranzeljungfer werd'n. 'n Ehrentag halten m'r da im Standwirtshaus ab. Waßt, es war' mir und 'n Madl a große Freud' . . .«
Herr Brückl versank in einen minutenlangen Zustand tiefster Nachdenklichkeit, währenddessen er dichte Rauchwolken seiner Virginia entlockte. Endlich meinte er mit der Unbeweglichkeit, die ihm eigen war:
»Von mir aus, es gilt. Und dann no ans: die Hochzeit halt i aus. Verstehst? Aber wannst irgend a Wurt drüber verlierst, so gib i all's auf und nimm d'r aa no 's Zeug weg. Die andern glauberten rein, i bin a Millionär. Alsdann Gosch'n halt'n, wannst net willst, daß i z'ruckschiab.«
157 Gustl, der wie alle schwachen Menschen vor dieser Bitte an den Freund gezittert hatte, die ja ursprünglich nichts zu bedeuten hatte und keinerlei Geldauslagen betraf, fühlte sich angesichts solcher Großmut überwältigt.
»Toberl,« hub er mit Tränen in seinen rotgeränderten Augen an, »Toberl, das vergiß i d'r auf mein'n Totenbett net. Das schwür i d'r . . . Das vergiß i d'r net. Und wann sie anmal aner reib'n wollt' an dir . . . nur a unrecht's Wurt . . . der braucht nimmer dran z' denken, wo er aufstehn will. Da brauch'n dö Straßenkehrer nur 's Bluat in 'n Kanal schwab'n. Schuft mein Nam', wann i . . .«
Herr Brückl, völlig unangetastet von diesen Ausbrüchen einer heiligen Freundschaftsempfindung, unterbrach ganz rauh:
»Du waßt, was i g'sagt hab': d' Papp'n halten! Jetzt kumm eini und schnaps'n mir uns an' Liter aus.«
Zwei Stunden später hatte Gustls Siesta begonnen, zur allgemeinen Befriedigung des Standplatzes, der an eine »melancholische Krankheit« der Standratschen zu glauben begonnen.
»Gelt, du Lausbua, du wamperter! Du Apach' du! . . .« usw.
Das Standlokal war festlich geschmückt. Als der Einzug des Brautpaares und der Hochzeitsgäste erfolgte, war das Gastzimmer von Berufsangehörigen dicht gefüllt. Das geräumige, durch eine Glaswand 158 vom Gastzimmer getrennte Extrazimmer war als Festraum reserviert.
Lauter wetter- und weingerötete joviale Gesichter, lauter helle oder etwas zwinkernde oder auch gerötete oder mit Hängesäcken versehene, verschwommene Augen hefteten sich mit Blicken von Freundschaft und Teilnahme auf das junge Paar.
Die rundliche Braut und der untersetzte, muskulöse Bräutigam drückten allseits Hände, waren rot vor Freude und Aufregung, hatten als bestes Aushängeschild ihres Wohlbefindens blitzende Augen und blanke Zähne, die sie unbewußt bei ihrem Lächeln wiesen – und hatten den Widerschein von Gutmütigkeit, der eigentlich das Schönste an ihnen war, obwohl sie sich auch sonst nicht zu verbergen brauchten.
Kein Zeremonienmeister wies die Tafelordnung. Man setzte sich, mit Ausnahme des Brautpaares, wie es sich gerade schickte und überließ wünschenswerte Änderungen einer späteren Stunde.
Gustl hatte als Brautvater einen ziemlich vorsintflutlichen Frack an und strich überall herum, da es ihn nicht auf einem bestimmten Platze litt. In einer Ecke des Zimmers stand auf zwei Schragen, als Beitrag des Wirtes, ein volles Eimerfaß Bier, umhüllt von in Eiswasser getauchten Tüchern. Dahin lugte nun oftmals Gustl mit der Begehrlichkeit, die große und kleine Kinder beim Anblick eines Kirschbaumes erfüllt. Das Selbstpflücken des Obstes und das Selbsteinschenken aus einem Fasse sind Genüsse, denen nur wenige widerstehen können.
159 Frau Sedlmaier, die eine Dame von beträchtlichem Körperumfang und noch beträchtlicherer Energie war, erspähte ihren Gatten anläßlich seines Herumstreifens und Liebäugelns mit dem Bierfaß. Sie hielt ihn am Rockaufschlag fest, agierte lebhaft mit der erhobenen Rechten, deren Zeigefinger sie gestreckt hielt, und flüsterte so leise, als sie ihrem Organ an Schmiegsamkeit und Weiche abzugewinnen vermochte:
»Du, Alter, das ane sag' i dir: Wannst di heut vielleicht wieder ansaufst und fangst zum Skandalieren an und schimpfst als wia a Cabskutscher und beleidigst eppa 'n Beistand – so derlebst was von mir. Heut, am Ehr'ntag von unsern anzigen Kind, brauchst ka Viech z' sein. Wann heut was passiert, an so an' heiligen Tag . . . meiner Seel', ich geh von dir furt und laß mi scheiden auf unsre alten Tag'. Schau nur, wia überhaupt dei Krawattl sitzt! Scham' di a bißl! Ja! Und schleich' net immer so bei dem Faßl umernand! Hörst? Denn wannst di gar so still und dasig herumschleichst, is ma das so verdächtig, wia wann a klan's Kind ganz stad is. Weil's dann sicher recht wach im Dreck sitzt. Jetzt, i hab' vorderhand ausg'red't.«
Draußen im Gastzimmer, wo sich eine aufgeräumte Kollegenschar vom Kutschbock drängte, lachte, disputierte, aß und trank, hielt ein herkulischer Hochzeitsgast an einen jungen Fiaker mit unendlich spitzbübischem Gesicht eine nicht minder eindringliche Standrede.
»Du Maxl, jetzt reiß' deine Künigllöffeln auf und los guat zua! Wannst heut an dem Ab'nd vielleicht 160 die Standratschen wieder aufraz'n willst, daß er an' G'stanken macht und mit'n Toberl zum Schimpf'n anfangt, und machst aus der Hochzeit an' Wirb'l: dann heb' i di bei deine Uhrwasch'ln und mach' mit dir a Windradl. Z'erst g'hör'n deine Loser mir, nacha dir. Kannst s' muring mit Kren zum Gabelfruahstuck fressen, wannst no an' Appetit g'spürst. Denn deine Darm kannst d'r unter die Tisch' suach'n. Mirk d'r alsdann das, was i d'r g'schwor'n hab'.«
Diese beiden Standreden bezeichnen mit voller Deutlichkeit die verborgenen Quellen, aus denen der Groll und die Schimpfwut des Sedlmaier Gustl stammten . . .
Die Hochzeitsgesellschaft war die denkbar würdigste. Da war vor allem der Herkules, der Maxl, alias das »Erdzeisl«, in so liebevoller Form verwarnt hatte. Er war eigentlich die Zelebrität, der Clou des Abends. Denn außer hervorragenden Eigenschaften als Rosselenker besaß er noch die des Preisringers, preisgekrönten Schwergewichtsathleten und Preisschnapsers. Sein Erscheinen auf der Hochzeit galt als ganz besondere Auszeichnung und Ehrung des Bräutigams, den das Du-Wort seitens des erhabenen Mannes wie eine hohe Ordensdekoration dünkte.
Ferner zierten die Gesellschaft als zwei intime Spezis des jungen Ehemannes (nicht etwa Freunde schlechthin) zwei Fachkollegen, nicht weniger rotgesichtig und muskulös als dieser, nur mit einem minderen Zug von Gutmütigkeit, vielmehr dem einer rauflustigen Anmaßung ausgestattet, die sich noch erklären wird.
161 Der (nach Herrn Brückl) zweite Beistand, ein Vetter des Bräutigams und Kommis in einem Delikatessengeschäft, stand im grellsten Gegensatz zu den erwähnten Fleischhauerjünglingen und noch einer anderen Gruppe, dem gleichen Stande angehörig. Er hauchte förmlich Vornehmheit aus. Sein Haar, obwohl geteilt (und wie mit Messerschärfe geteilt), war nur andeutungsweise gewellt, und nicht so »umgangsmäßig« gelockt wie das des Bräutigams, den ich bei dieser Gelegenheit gleich mit seinem Namen, Brandstätter, nennen will und dessen Friseur seinem Klienten eine förmliche Negerwolle auf das Haupt komponiert hatte. Des weiteren besaß der Ladenadonis einen Schnurrbart, der in seiner Weiche und seinem Seidenglanz sowie seinem Schwung einzig dastand als Produkt sowohl der Natur wie der Inspiration eines sensitiven Friseurs.
Die Kleidung war kavalierswürdig, die Hände von unendlicher Zartheit und Gepflegtheit, mit einem kokett verlängerten Nagel des kleinen Fingers der Linken, dabei geschmückt mit einigen Ringen, die auch der Nichtkenner für echt halten mußte.
Die schon erwähnte Abwesenheit eines Zeremonienmeisters hatte ihn auf einen Platz verwiesen, der ihn von aller unmittelbaren Nähe junger Weiblichkeit, deren übrigens genug da war, ausschloß. Einstweilen schien er sich jedoch über diesen Umstand zu trösten, hüllte sich in eine blasierte Düsterheit und schien den Vorgängen um sich nur mit der beobachtenden Angeregtheit des Weltmannes gegenüberzustehen.
162 Ein Sitznachbar des Delikatessenjünglings war ein alter Mann, mit von Arbeit gekrümmtem Rücken, gichtischen Fingern und einem verhutzelten Gesicht. Er war ein Oheim des Bräutigams und ehemals Schweinestecher seines Zeichens. Er lächelte unaufhörlich sehr vergnügt, hielt halblaute Selbstgespräche und nippte mit unendlichem Wohlbehagen aus seinem Weinglas.
Trotz der Verwandtschaft beider mit dem jungen Ehemann waren sie sich bis jetzt vollkommen fremd geblieben, denn es war sonst eine Seitenverwandtschaft. Und da sie kaum im Lehmann, geschweige denn im Gotha standen, so waren sie sich über die Beziehungen ihrer beiden Häuser vollkommen im unklaren.
An der Seite der Braut leuchtete ein liebes, fröhliches Gesicht mit kohlschwarzen Augen, es gehörte der ersten Kranzeljungfer, der Tochter Herrn Brückls, der lustigen Mirzl, an. Sie schien ihrem Vater alles was an Lachen je vorher in diesem vorhanden gewesen sein konnte, abgenommen zu haben, zu ganz besonderem eigenen Gebrauch. Denn Mirzl lachte immer, zu jeder Zeit, wie ihr Vater niemals.
Jetzt also saß sie neben der strahlenden jungen Frau und ließ ihre schwarzen Augen lustiger blitzen als sonst. Und oft blieben diese Augen mit einem eigenen Aufleuchten auf einer diskret gewellten Frisur und einem seidenweichen, schön geschwungenen Schnurrbart haften, der von einer weißen gepflegten, beringten Hand zeitweise zurechtgewiesen ward.
163 Vielleicht hätte Mirzl ihr Feuerwerk schamhaft eingestellt, wenn es erwidert worden wäre. Jedoch der blasierte Held hatte eine andere ihn interessierende Entdeckung von Frauenschönheit gemacht. Er starrte unverwandt an einen etwas entfernten Platz der anderen Seite der Tafel. Und dort saß in ihrer süßen Schönheit Poldi und lauschte mit sichtlich gesellschaftlicher Freundlichkeit den Worten ihres Nachbarn. Dieser, ein alter Herr, der bei einem ihn offenbar äußerst anregenden Gesprächsgegenstand trotzdem sehr stumpf vor sich stierte. hatte außer seinem nichtssagenden, harten Augenpaar eine herabhängende trotzige Unterlippe, die ihm etwas verstockt Tyrannisches verlieh. Die derben Hände mit einigen verkrümmten Fingern (die dem Hörensagen nach im »Hakelziehen« gebrochen waren) hielt er nach Bauernmanier geballt vor sich auf dem Tisch, wenn die Rechte nicht, in keineswegs zu kurzen Pausen, das Weinglas nach dem Munde führte.
Der alte Herr war der Hausherr des Sedlmaier Gustl, der aus allzu durchsichtigen Gründen seinen Zinstyrannen zu Gaste gebeten hatte. Ursprünglich war dieser ein des Lesen und Schreibens unkundiger, vom Lande eingewanderter Maurergeselle gewesen. Geiz, Habsucht, bäurische Pfiffigkeit und Skrupellosigkeit, verbunden mit einer nie rastenden Energie des Erwerbens, hatten ihn endlich zum Besitzer einer erträgnisreichen Zinskaserne gemacht, für deren Bewohner und deren Hausmeister er ein täglich erscheinender Schrecken war. Denn jeden Tag um eine bestimmte Stunde erschien er mit seiner bäuerlichen 164 Bedächtigkeit und inspizierte das Haus vom Keller bis zum Dachboden. Der kleinste Fehler entging seinen harten, grauen Augen nicht, und er war mit der Kündigung sowohl einer Partei wie des Hauszerberus gleich zur Hand. Besonders ein Zinsrückstand ward unerbittlich mit sofortigem Hinauswurf geahndet, soweit die Gesetze diesen Ausdruck zur Anwendung kommen ließen.
Dieser liebenswürdige, alte Herr war also Poldis Tischnachbar und brachte alle Künste der Unterhaltung, die bei einem jungen, schönen Mädchen am Platze sind, in Anwendung. Er warf eben einen fürchterlichen Blick nach einem äußerst verschüchterten Hochzeitsgast in einem schier unmöglichen »Salonrock«.
»Schaun's S' Ihner den an,« sagte Poldis liebenswürdiger Tischnachbar und glich in diesem Augenblick einer vermännlichten Erinnye; »der is mir an' ganzen Monat Zins schuldi. An' ganzen Monat«, betonte er mit hohler Stimme nochmals. »Und zum Pfänd'n hat er nix g'habt. Jetzt . . . sag'n S' m'r: g'hört so a Hundling net glei aufg'hängt?«
Die arme Poldi mit einem bedrückten Herzen und der Erinnerung an ähnliche Missetaten ihrer Familie mußte gleichwohl lächeln und konnte nur ihrer Meinung Ausdruck geben, daß die Strafe doch eine zu harte wäre.
»Wenn S' das manen, san S' am Holzweg, Fräul'n. Wo kummert unseraner da hin? Seg'n S', i hab' an' Bekannten g'habt, der leicht si amal zehn Guld'n von mir aus bis zum ersten, wia er g'schwor'n hat. Seg'n S', seit der Zeit san's zehn Jahr' und 165 dö zehn Guld'n hab' i bis heut no net. Jetzt . . . sag'n S': g'hört so a Fallot net am Galing?«
In dieser Weise unterhielt Herr Weißmann, wie sich Gustls jovialer Hausherr nannte, eine geraume Zeit Poldi. Jeden Augenblick erkannte er eine Persönlichkeit des schimpflichen Galgentodes für würdig. Nicht allein, weil sie speziell ihm, sondern weil sie irgend jemand anderem etwas schuldete.
Der Blick der glücklichen Braut fiel endlich auf die Freundin und deren Nachbarn.
»Jessas, Poldi, wo sitzt denn du?« rief sie, aufspringend und zu Poldi eilend. »Du g'hörst do zu mir. I hab' mi bis jetzt wirkli net um di kümmern können. San S' net bös, Herr von Weißmann«, sagte sie mit vielem Takt, »wann i Ihner a Zeitlang der Nachbarschaft beraub'. Aber zwa alte Freundinnen hab'n so manches z' reden, was nur sie allan interessiert. Gelt ja, Polderl? Der Herr von Weißmann entschuldigt schon.«
Es war eine Schwäche des ehemaligen Maurergesellen, sich entweder Herr Hausherr oder Herr von Weißmann angeredet zu wissen. Die schlaue Annerl trug dieser Schwäche Rechnung. Herr »von« Weißmann brummte etwas, das einer herablassenden Zustimmung gleichen konnte, tat dann nach Entfernung der Freundinnen einen wackeren Zug aus seinem Glase und ließ die Blicke wieder mit einem tödlichen Groll auf dem unglücklichen Gast im Salonrock haften.
Diesem, einem armen Tagschreiber bei einer gerichtlichen Körperschaft, war die Ehre einer Einladung deshalb zuteil geworden, weil er dem Sedlmaier Gustl 166 mit seinen Ratschlägen und Eingaben in einer Strafsache einst einen Dienst erwiesen, den der stets dankbare Gustl äußerst hoch einschätzte. Seit der Zeit hatte dieser eine Art juridischen Freund gewonnen. Hätte der juridische Freund jedoch die Vermutung hegen können, an dem heutigen, fröhlichen Abend seinen ehemaligen Hausherrn hier zu treffen, er hätte wohl auf die Einladung einen, wenn auch schmerzlichen Verzicht geleistet. Die Blicke des ehemaligen Tyrannen vergällten ihm den Appetit. Und dessen Befriedigung war das Hauptmotiv, das den gutherzigen, dankbaren Gustl bei seiner Einladung geleitet.
Außer Hörweite sagte die junge Frau zu Poldi: »Sag' m'r nur, i begreif' net, wer di zu dem grauslichen Kerl hat setzen können. Du waßt ja, grad weil's der Hausherr is . . . Sunst möcht' i dem alten Ruach am liabsten Kronäug'ln eingeb'n.«
Poldi beteuerte, daß nur sie allein an der Platzwahl die Schuld trage.
»Wieviel der nur aufhäng'n liaßt,« meinte sie lächelnd.
»Ah, das glaub i. I kenn' ihn. Ka' Ratenjud kann so grauslich sein wia der. Nur glei pfänd'n . . . Durt schau hin!« Und Annerl wies lachend und heimlich auf den Winkelschreiber und Herrn Weißmann. »Schau, wia der alte Wucherer eahm mit dö Aug'n fressen will. Aber jetzt bleib a bißl bei mir, bis si a besserer Tischherr für di finden wird. Schau, die Mirzl wird dir g'fall'n. Wia liab als s' nur is! . . .«
167 Und binnen kurzem saß Poldi an der Seite der lustigen, hübschen Mirzl und beide Mädchen hatten bald das Zutrauen zueinander gefaßt, das einfache, harmlose, reine Naturen verbindet.
Herr Brückl aber saß auf seinem Stuhle, unbewegt, wie er auf seinem Kutschbock zu sitzen pflegte, und drehte nach alter Gewohnheit ein Zündholzschächtelchen zwischen den Fingern. Eine Art Komiteeherr nahte sich ihm, flüsterte ihm etwas zu, worauf Herr Brückl geruhte, kurz zu nicken, ohne seiner Miene irgend etwas zu gönnen, das Anteilnahme an der Meldung verriet. Hierauf entfernte sich der Herr, der sich alsbald als fixer Klavierspieler entpuppte und einige rauschende Akkorde anschlug.
Eine gewisse moderne Art »seliger Schmälzl«-Literatur läßt die Wiener Lust von Tönen Beethovens, Schuberts, Mozarts durchklingen. Bei Gott! Wenn man von den Konzertsälen absieht, man spürt mit keinem Hauch etwas von dem Walten jener Großen. Ihre Kunst durchdringt nicht diese häßliche Zeit der Tingeltangel-, Operetten-, Nigger- und Zigeunermusik. Schrille Grammophons, gepfiffene importierte Gassenhauer scheußlichster Sorte durchgellen die Straßen. Dir arme, einfache Volkskunst stirbt mit ihren Vertretern aus. Wie lange noch – und die schlichte, süße Wiener Musik ist gewesen.
Aber die Kunst hat dennoch nicht allen Boden verloren. Und die Musik liebt einstweilen noch der echte deutsche Wiener vor allem, die entweder befeuernd oder sentimental, das heißt innig und gemütvoll wirkt.
168 Die ersten, rauschend gegriffenen Akkorde brachten erst wahre Festesstimmung unter die Versammelten. Das frühere Gelächter, Gesumme, Gekicher und Geschrei verstummte. Die Männer hoben die Gläser, tranken einander zu, ältere Frauen lächelten gerührt vor sich hin und die jungen Mädchen begannen leise den Takt mit den Füßen zu klopfen und blickten, ebenfalls lächelnd, in eine unbekannte Weite, voll Sehnsucht und Erfüllung. Braut und Bräutigam hatten sich bei der Hand gefaßt und saßen, die Helden des Abends, stillglücklich da.
Das Leben hat Augenblicke der reinsten Poesie selbst für den Rohesten. Warum also nicht für zwei harmlose, ungelehrte, derbe. aber gutmütige Menschen? Und das war, wie schon erwähnt, die Hauptzierde des jungen Ehepaars: seine Gutmütigkeit.
Da alles in der Natur eher stillsteht als das Mundwerk des Menschen, so mengten sich bald wieder in die Klänge des Klaviers heitere Stimmen, Gelächter und einige Versuche, bekannte Weisen mitzusingen. Nach dem Klavierspiel folgte eine Pause, die nur für einige Beteiligte etwas Aufregendes hatte.
Es ward nämlich nach dem Brautvater geforscht, dessen längere Unsichtbarkeit besorgniserregend wirkte, da man seine Exzentrizitäten kannte.
Die »Standratschen«, deren Natur ein längeres Stillsitzen nicht vertrug, trieb sich, sonst allen sehr bemerkbar, in der Schar der Gäste sowohl im Festsaale als auch im Gastzimmer umher.
Gustl fühlte sich heute als Herr des ganzen lustigen Wirbels, Hochzeit genannt. Sein »Madl« war jetzt 169 junge Frau, er selbst war jetzt doppelter Vater, sein Spezi der »Kellerlacher« und er waren nun fast blutsverbrüdert und die lustige Mirzl dünkte ihm wie eine zweite Tochter. Solche Freuden ließen sich nicht an einen Platz gebannt völlig auskosten. Deshalb strich er überall umher. Zeitweise trat er auf die Schwelle und hielt mit einem vor der Tür des Kaffeehauses stehenden Markör über die Straße Gespräche, die von dem hohen Bewußtsein der Einführung der Ehe zeugten.
»Wett'n m'r, Josef, daß 's a Bua wird. So sicher als i da steh' und du dort. A Bua wird's . . . und was für aner aa no . . .«
Dann kehrte er wieder ins Schanklokal zurück, hielt Besprechungen mit seinen Kollegen und erschienenen Freunden, tat fleißig, von seiner Frau ungesehen, Bescheid und war der glücklichste aller Väter, die eine Tochter ausgeheiratet haben. Seine Pockennarben glühten, der Hals reckte sich immer höher und die schlau sein sollenden pantomimischen Zuckungen des Mundes, der Nase und der geröteten Augen waren eindrucksvoller als je.
In dem gelegentlichen Zustand, in dem sich der Sedlmaier Gustl jetzt befand, befleißigte er sich eines leisen Flüsterns, eines gewaltsamen Rollens der Augäpfel und einer Betätigung seines über die Schulter gestreckten Daumens, der stets die Richtung nach Toberl anzeigen sollte, in welcher Weltgegend sich dieser auch befinden mochte.
»Sauber lauft's,« hauchte er. »A Hochzeit hat mei Madl wia a Fürschtin. A Hochzeit, die s' am 170 Totenbett net vergessen wird. I will ihr heut nur net die Freud' verderb'n . . . aber sunst müaßt i wanen . . . A so packt's mi. 's anzige Kind weggeb'n! Aber i will net dran denken. A Gaudi muaß 's heut geb'n . . . Und a Coupleterl wird steig'n mit 'n Toberl . . . . Und wann i für an',« die Stimme verstärkte sich, schlug vor Rührung um und endete in der Tonstärke eines Zephirhauches, »in n' Tod geh'n kunnt, so für 'n Toberl. Für eahm laß i mi massakrieren, ohne daß i Muh! sag'. Die ganze Hochzeit halt er aus . . . und seine zwa fermen Zeugln . . . Und er als Beistand . . . Und sein Madl . . . Und die Uhr die er mein' Madl umg'hängt hat . . .«
Also Gustl wurde voll Besorgnis von Eingeweihten gesucht. Und als er endlich gefunden wurde, geschah dies im Abwaschraum neben der Küche, wo er einem tellerreinigenden Hausmädchen alle vorhergegangenen Umstände erzählte und die Möglichkeit weit von sich wies, er könnte »a Madl werd'n«.
»Hörst, Gustl,« sagte der Sucher, »vergiß di net! Nacha kummt 's Duettensingen. Mit an Deabl därfst net vielleicht kumma.«
Gustl umarmte den Warner und schwur so fürchterliche Eide, zur Sekunde zur Stelle zu sein, daß dieser sich beruhigt entfernte und jedenfalls den Abwaschraum als das ungefährlichste Gebiet betrachtete, an dem die Standratschen weilen konnte.
Mittlerweile hatte sich an der Festtafel ein kleines Ereignis vollzogen, das der allgemeinen Heiterkeit die 171 Würze des Pikanten verlieh. Und das war so gekommen:
Der Delikatessenkavalier, mit dem nicht zu erklärenden Duft von Vornehmheit, hatte sich plötzlich vereinsamt gefunden.
Bisher hatte er versucht, durch hypnotisierende Blicke die Aufmerksamkeit derjenigen zu erregen, die ihn seiner eigenen Aufmerksamkeit für einzig würdig gedeucht. Es war vergeblich gewesen. Nun war ihm durch einen schnöden Eingriff der Braut die weitere Möglichkeit genommen, seine Augenangriffe bis zu einem verheißungsvollen Erfolg weiterzuführen.
Daher klopfte er einigemal an sein Glas, um der Gesellschaft kundzutun, daß ein Trinkspruch an die Reihe käme. Als Beistand und einzige gesellschaftlich mögliche Persönlichkeit in diesem Kreise fühlte er sich verpflichtet, der guten vornehmen Sitte Genüge zu tun. Sein mit Würde gebrachtes Klopfen hatte endlich Erfolg. Es trat die wünschenswerte Stille ein. Man blickte auf den schönen Mann, der in erhabener Stellung erst mit gesenktem, dann weit umherschweifendem Blick dastand.
Da ein steter Zusammenhang zwischen Festzimmer und Schwemme bestand, drängte sich von außen an die geöffnete Tür eine Sammlung natur- und weingeröteter Gesichter, die mit gespannt blickenden Augen nach dem Sprecher starrten.
Nun kam eine Rede, wie sie in den »Ratgebern für Redner« reichlich zu finden sind. Herkömmlich gefühlvolle Redensarten, mit einigen witzig sein sollenden Einstreuungen versehen. Die ganze geschmacklose 172 Zusammenstoppelung war eigentlich so ziemlich ganz für Poldi bestimmt, auf die der Redner an ihrem nun entfernten Platze am anderen Ende der Tafel manchen Glutblick warf.
Die Anwesenden, die gottlob zu urwüchsig waren, um an dem Schwulste viel Vergnügen zu finden, murmelten indes taktvoll nach Beendigung des »Speechs« einigen Beifall und nahmen diesen als alleinigen Anlaß, dem Brautpaar mit derberen Zügen als sonst Gesundheit zuzutrinken. Die ganze Rede war im übrigen eine vor dem offiziellen Feuerwerk losgegangene und daher wohl aufscheuchende, aber wirkungslos verpuffende Rakete.
Der erzürnte Löwe sah sich auf allen Seiten zurückgedrängt. Denn Poldi hatte keinen seiner Blicke aufleuchtend erwidert. Nur einem funkelnden Augenpaar, das mit förmlicher Verehrung an seinem Munde hing, war er nicht begegnet: dem der lustigen Mirzl. Diese fand offenbar an den witzigen und gefühlvollen Wendungen des mit einem entzückend schönen Schnurrbart und einer so tadellos gescheitelten wie vornehm gewellten Frisur versehenen Redners allein den reinsten Gefallen.
Aber der Löwe achtete noch nicht der Maus und es wäre für diese besser gewesen, er hätte nie von ihr Wahrnehmung gemacht.
Der Delikatessenjüngling fühlte sich also sowohl seitens der Gesellschaft als auch seitens Poldis im tiefsten beleidigt. Am meisten jedoch durch Poldi. Denn er war einer jener unseligen Männer, die durch ihre bloße Erscheinung verwüstend auf Frauenherzen zu 173 wirken glauben. In dem Bestreben, eine fürchterliche Rache an der zu nehmen, die das Unglück hatte, sich nicht mit Gedankenschnelle in eine pomadisierte, geschniegelte Puppe zu verlieben, beschloß er von nun ab, mochte ihn die Gelegenheit später mit Poldi zusammenführen (so bei einem eventuellen Tanz), diese gänzlich als Luft zu behandeln.
Arme Poldi! Trotz ihres heiteren, lächelnden Gesichts war ihr Herz bedrückt und schwer und trug die Last seiner grauen Alltagssorgen auch in diese frohe Gesellschaft glücklicher, argloser Menschen.
Der gedemütigte Sieger ergriff das Mittel aller in ihrer Eitelkeit gekränkten Männer. Er warf sich nach dem gefaßten Entschluß der Demütigung einer Person der Unterhaltung mit der Gesellschaft in die Arme. Der links neben ihm sitzende, alte Verwandte des Bräutigams und seine Nachbarin zur Rechten, eine augenscheinlich auch der Fleischhauerzunft zugehörige Dame, die er beide bisher in ungezogenster Weise nicht beachtet hatte, erschienen ihm als die geeignetsten Werkzeuge der Rache an einer Undankbaren. Zu gleicher Zeit kitzelte ihn der Gedanke an die dankbare Verehrung der von ihm in eine Unterhaltung Gezogenen.
Den alten Herrn an seiner Linken hatte diese Nichtbeachtung seitens seines vornehmen Nachbarn nicht im mindesten gestört. Er hatte, wenn gesprochen wurde und er an dem Stoffe der Unterhaltung ein Interesse entdeckte, die Hand als Schalltrichter ans Ohr gehalten, oft sehr ohne ersichtlichen Grund gegrinst, indem er seine Augen verschwinden ließ und 174 das Gesicht in Tausende Fältchen zog, aber jedenfalls sein Glas öfter geleert als einer in der ganzen Runde mit Ausnahme Herrn Weißmanns.
»Sie sind also ein Kollege des Bräutigams?« leitete der Beistand die Unterhaltung ein.
Ein vergnügtes Schmunzeln war die Antwort des Befragten, der abermals sein Glas zur Hälfte leerte und einem unsichtbaren Gegenüber zunickte.
»Ja, ja«, meinte er dann und verzog im Nachkosten des eben gehabten Genusses sein Gesicht, daß es einer übergebratenen Kartoffel glich.
»Ich meinte, Sie sind ein Fachkollege meines Cousins, unseres Bräutigams«, sagte der Delikatessenheld deutlicher und lauter.
»A so . . . Ja, i bin ganz g'wiß der Onkel.«
»Das weiß ich. Ich meine nur, Sie sind von seiner Branche.«
Der alte Herr begriff nicht. Er schüttelte wehmütig das Haupt und hielt dann die Hand ans Ohr.
»Sie sind doch ein Fleischhauer?«
»Ah so! Fleischhacker manen S', daß i bin. O beilei'. I war vierzig Jahr' Saustecher. Netta vierzig Jahr'!« war die mit Selbstbewußtsein gegebene Antwort.
»Na – ich denk', das ist doch dasselbe. Abstechen ist abstechen!«
Es ist merkwürdig, wie das Interesse für ein geliebtes und vertrautes Thema das Gehör schärft. Der alte sonst so taube Onkel Saustecher ward auf einmal ganz munter und plauderlustig und feinhörig.
175 »Aber woher!« meinte er. »A Saustecher is no lang ka Fleischhacker. Dös is Million und ans. He, he, he, he! Sie hab'n a schöne Idee!« Und der alte Herr kicherte, ja lachte ganz ausnehmend.
Zum Unglück für Herrn Zipfer (wie der Delikatessenhändler hieß) war er schon seit langem von den Fleischhauerdioskuren mit düsterem Mißtrauen beobachtet worden. Seine überhebende, hochnäsige Art, seine parfümierte Eleganz hatten das Mißfallen der beiden robusten Jünglinge erweckt. Und an ihr für Fachgespräche geschärftes Ohr waren die Worte des alten Onkels gedrungen. Nun konnten sie sich nicht mehr zurückhalten.
»Du, hörst das, Schanl! Der Herr da . . . hurch zua . . . halt an' Saustecher für an' Fleischhacker.«
»Du, Alberl, höchere Tanz kunnt der Herr bei aner Hochzeit nimmer auffistecken. An' Saustecher für an' Fleischhacker z' halten . . .«
Da diese von einem dröhnenden Gelächter begleitete Äußerung inmitten der Klavier- und einer eben eingetretenen momentanen Gesprächspause sehr laut getan ward, erreichte sie auch das Ohr des nicht allzu weit sitzenden Bräutigams. Sein junges Ehegemahl hatte gerade mit seiner linken Hand seine minder zarte in herzlichem Drucke umfangen.
»He! Alberl,« forschte interessiert der Bräutigam über den Tisch, »wer sagt, daß . . .«
»Da, dein Herr Beistand mant, daß a Saustecher und a Fleischhacker (nach einer teuflischen Pause) . . . alles ans war'.«
176 Die Bestätigung des Gehörten schien den jungen Ehemann fast zu erdrücken. Er wurde blutrot vor einem sich losringenden Gelächter.
»Hörst, Ederl,« rief er seinem Verwandten und Trauzeugen zu, nachdem sich die Erregung einigermaßen gelegt, »bist sunst so a fermer Kerl und verstehst aa was; aber all's was recht is: da hast di blamiert!« Dann schlug er sich im Übermaß des kitzelnden Vergnügens auf den Schenkel und gab zum Schluß seinem jungen Weibe ebenfalls einen gutgemeinten, obwohl ziemlich derben Schlag auf die ausgeschnittene rosige Schulter.
»Aber, Pepi!« war die sanfte Mahnung.
»Sei stad, Alte (die junge Frau errötete vor Vergnügen über die ihr Frauentum kennzeichnende Benennung), aber wannst sa was hörst . . . A Fleischhacker und a Saustecher, der Steffel und a Radiwurz'n . . . Hahahaha!«
Dieser uralte Vergleich erweckte allseits erneute Heiterkeit. Wie die Banalität ja immer Siegerin bleibt. Am meisten fiel mit einem dröhnenden Baß Herrn Zipfers Nachbarin zur Rechten ein. Sie vermochte längere Zeit nur immer zu sagen:
»Wann das mein Seliger wußt . . . Der drahrert si net amal, sundern zehnmal im Grab um.«
Dann erstickten Lachtränen ihre Mannesstimme.
Die Sache schien Flügel bekommen zu haben, Denn auch aus dem Schankzimmer dröhnten Laute unbezähmbarer Lachlust herein. Man hörte einen Fiaker sagen:
177 »Jetzt, wann so was mögli is, dann sag' i aa, daß 's zwischen an' Gasbock und an' Fiakerroß kan' Unterschied gibt.«
Die zwei Preisringkampfanwärter erörterten den Fall weiter mit fachmännischer Gründlichkeit.
»Du, Schanl, an' Ochsen stech'n und a Sau schlag'n . . .«
»No ja, es gibt ja Leut', die 'n Himmel für grean anschau'n!«
»Und dö manen, mir tan an' Ochs'n erst mit Chlorofurm einreib'n und geb'n eahm vielleicht an' kalt'n Umschlag aufs Hirn, daß eahm net schlecht wird! I hab' amal an' Ochs'n g'habt, dem hab' i so zuag'red't und so Tanz vurg'macht, daß m'r dös Viech vur lauter Lach'n war' hin wur'n und mi bitt hat, i soll's d'rschlag'n, aber net – o'stech'n, weil's ja do (hier folgte ein atembeschwerendes Stillhalten) ka Sau, sundern a Ochs is . . .«
Der alte verhuzelte Saustecher, die unschuldige Ursache all der famosen Witze, kicherte lustig in sich hinein. Dem Anschein nach hatte er schon seit langem keine Stunde so ungetrübter Heiterkeit ausgekostet wie heute. Er drohte den beiden Fleischhauern schalkhaft mit dem von der Gicht verunstalteten Zeigefinger,
»Ja, ja, ös habts leicht z' lachen heutzutags. Aber der alte Edinger hätt' enk no was aufz'lösen geb'n kinna vur a paar Jahrln. Marand . . . dö Säu, dö i mein Lebtag g'stoch'n hab' . . .«
»Aber nöt g'schlag'n«, fiel ein witziger Zwischenruf, der wieder schallende Heiterkeit hervorrief.
»Na, wann das mein Seliger derlebt hätt' . . .,« schluchzte eine tiefe Baßstimme.
Der eine Fleischhauer nahm in schöner Verehrung vor dem Fachveteranen das Wort:
»Wann ma 'n Vodan Edinger anschaut . . . der hat was mitg'macht. Wann er aa nur a Saustecher war sein Lebtag . . . aber der kunnt unseran no was aufzag'n. Alle Achtung! Der is no aus der alten Schul' und a Fotz'n von eahm war no a verdeante. Aber dö heutigen . . . Du, Alberl, was kann denn aner? Stech'n . . . ala bonör. Bluattret'n . . . ala bonör. Aber a Sau herricht'n, wia a Sau urndli herg'richt' g'hört . . .«
Jedenfalls außerstande, dem Niedergang der zeitgenössischen Saustechkunst bis zu seinen äußersten Konsequenzen zu folgen, nahm Schanl einen tüchtigen Schluck.
Alberl ergänzte den Gedankengang, indem er hinzufügte:
»Damals hat ma aber aa mit kan' Hackl g'arbeit't.«
Schanl, der den halben Mund noch voll Wein hatte, bekam in einem urplötzlich losbrechenden Lachkrampf den Rest in die »unrechte Kehle«, fuchtelte mit den Armen, ward rot wie ein Krebs und schrie entsetzlich:
179 »Net – sunst wir i a Laberl. Meiner Seel', daß i heut so lachen muaß, hätt i net denkt.«
Der arme Herr Zipfer, der Held, der mit den ausschweifendsten Gedanken an Herzenssiege zum Feste gekommen war, saß als Mittelpunkt aller Geselligkeit da, aber in anderer Weise, als er gedacht. Er ward rot und bleich vor Scham und Entrüstung.
Da plötzlich erstand ihm ein Beistand und eine Retterin, an die er nicht gedacht, die er bis nun gar nicht seiner Aufmerksamkeit gewürdigt hatte: die lustige Mirzl.
Sie erhob sich erregt. Ihr hübsches Gesicht glühte und ihre kohlrabenschwarzen Augen funkelten vor Entrüstung.
»Seids denn alle Narr'n 'word'n?« rief sie. »Was hat euch der Herr 'tan, daß er für euchere blöden Fleischhacker- und Saustecherwitz herhalten soll? 's dürft in der ganzen Welt nix Schöneres und Besseres geb'n als an' Fleischhacker,« fügte Mirzl mit großer Verachtung hinzu.
Die beiden Jünglinge fühlten sich durch das mutige Eintreten des hübschen Mädchens plötzlich ernüchtert und gedemütigt.
»Dö Fräul'n hat recht,« sagte Schanl. »Hörst, Alberl, jetzt is 's aus mit die Tanz. No ja . . . mir hab'n ja den Herrn net beleiding'n wollen, es war halt nur a G'spaß. Aber . . .« Hier mußte Schanl 180 die Faust vor den Mund pressen, um nicht abermals loszubrechen.
»Weil's wahr is,« fuhr die kampflustige Mirzl fort, »wann a Herr was Besseres und Feineres is, mant ma scho, der is guat gnua für an' jeden Spaß.«
Dann, wie sich ihres Eintretens schämend, setzte sich Mirzl nun höchst verlegen und dennoch glücklich. Ihr Held hatte sie mit einem Glutblick bedacht, der das Herz der armen Mirzl nun vollends verwundete.
Zum Glück für alle Beteiligten ließ der Klavierspieler einen rauschenden Marsch ertönen. Ein Fiakerkollege nahm zwei Stühle, die er in der Nähe des Klaviers aufstellte. Eine Bewegung ging durch die Anwesenden.
»Bleaml und Blaml,« murmelte man allseits. Bald darauf, als der Pianist in einem betäubenden Fortissimo geendet, rief der, eine Art Komiteeherrn spielende andere Fiaker:
»Der Herr Brückl und der Sedlmaier werd'n sich die Ehre geb'n, eahnere berühmten Duette vurzutrag'n!«
Auf den einen Stuhl war eine Ziehharmonika, auf den andern eine Gitarre gelegt worden. Dann ging eine neuerliche Bewegung durch die Versammelten. An der Seite Herrn Brückls kam der Sedlmaier Gustl, der in voller Ahnungslosigkeit der vorhergegangenen Ereignisse bis jetzt im Abwaschraum geweilt und mitten in einer Darstellung eines lang vergangenen Ereignisses begriffen war. Er schilderte der Abwaschmaid nämlich das Erscheinen der Trümmler Tini auf dem Standplatz.
181 »Is das Ihner Zeug? fragt s' mi. Und wia s' mi dös g'fragt hat! Gar net so schlecht mant s'. Hab'n S' a Idee? Ob das mei Zeug is . . .«
Gustl mußte seine Schilderung unterbrechen und dem an ihn ergangenen Rufe folgen. Im Schankzimmer erwartete ihn schon Toberl, und mit der etwas gemachten Gleichgültigkeit, die Künstler zur Schau zu tragen lieben, wenn sie sich der Öffentlichkeit zeigen, erfolgte unter jubelndem Händeklatschen seitens der Gesellschaft der Einmarsch.
Toberl und Gustl ließen sich, nachdem jeder eines der vorbereiteten Instrumente an sich genommen, auf den Stühlen nieder.
Eine lautlose Stille war eingetreten. Einige noch nachdrängende Worte wurden mit einem unwilligen »Bßt!« zum Schweigen gebracht. Vom Schankzimmer drängte, was konnte, herein, belagerte die Tür und hielt den Atem an. Das berühmte Duettistenpaar »Bleaml und Blaml« sollte sich ja produzieren.
Herr Brückl gab dem ihn unverwandt betrachtenden Klavierspieler ein Zeichen. Einige gedämpfte Akkorde, ein Hinübergleiten in eine Melodie – dann erstarben die Klavierklänge und die Harmonika übernahm bis auf die Note genau die Fortführung, Gitarreklänge mischten sich ein und dann . . .
Ja, war es möglich? Das war die schimpfende Stimme der »Standratschen«, die mit einem so hellen, klingenden Tenor ein Lied begann? Und der schmelzende Bariton, der nun einfiel: das war das Stimmwerkzeug des »Kellerlachers«?
182 Es war ein liebes Wiener Lied, das sich den Hörern entgegenrang. Kunstlos – mag sein; aber mit so viel Kunst vorgetragen, daß es auch ein verwöhntes Ohr gefangennehmen mußte. Der Beifall brach nach Beendigung donnernd los.
Nun war erst die einer Hochzeit würdige Stimmung gekommen.
Es folgten in bunter Abwechslung Heiteres und Ernstes und dabei vollkommen Reines.
Eine Glanznummer bildete stets ein Couplet, dessen Refrain etwas Überwältigendes dadurch erhielt, daß die sich gegenüberstehenden Sänger mit den Fingern auf der Nase klimperten. Der Gegensatz zwischen den zwei Figuren der Vortragenden, das ernste, unbewegliche Gesicht des »Kellerlachers«, das bewegte Mienenspiel der »Standratschen« wirkte nämlich so unendlich komisch.
Nach einer kurzen Pause, in der man in Anhoffnung auf neue Kunstgenüsse einstweilen den leiblichen huldigte, stellten sich die zwei Sänger auf. Es folgte das von Gustl schon vorher so geheimnisvoll angekündigte »Coupleterl«. Es bildete eine Verherrlichung des heutigen Abends und eine schlichte Huldigung für das Brautpaar. Die letzten zwei Strophen lauteten folgendermaßen:
Die Liab soll uns halten
So fest und so g'wiß,
Wie ja do a Herrgott
Im Himmel drob'n is.
Und gebert's ka Treu' mehr,
Ka' Glaub'n mehr im Leb'n –
War's besser, wir taten
Den Abschied uns geb'n. 183
San wir a nur anfache
Arbeitersleut' –
Kann niemand uns wehr'n,
Daß es Leb'n uns so g'freut.
So recht wia zwa Spezi,
Voll Lieb und Vertrau'n,
Woll'n wir in Gott's Nam'
Unser Nest uns halt bau'n.
Weiß Gott, es war nicht das, was man eine Liederperle nennt. Es war kein Kunstwerk; Herr Brückl, sein Urheber, war kein Dichter, wenigstens hätte er sich nie für einen solchen gehalten. Und doch! Erschütterung erweckten diese einfachen Worte, getragen durch eine Melodie, wie sie nur das Wien des Volkes zu ersinnen vermag.
Die sonst so resche, energische Mutter der jungen Frau schluchzte laut. Ihrem Beispiel folgte mehr oder minder die ganze Weiblichkeit. Sogar an Herrn Weißmanns stumpfe, geldgierige Seele schien etwas gerührt zu haben, von dem er sich keine Rechenschaft zu geben wußte, das sich nicht in Papier umsetzen, auf keine Bank tragen und durch keine Zinssteigerung erringen ließ. Die übrige Herrenwelt schneuzte sich lebhaft und in manchem zwinkernden Auge blinkte etwas, das nicht nur dem schnöden Weine zugeschrieben werden konnte.
Die junge Frau aber hatte den Kopf an die Brust des Gatten gelehnt, der sie mit derbem Arme umschlungen hielt und vor sich starrte, und sie sah ihn aus tränenüberquellenden Augen an. Und in diesen Augen war so recht der Schwur zu lesen, daß sie ihm die 184 Treue und Liebe wie ein guter Spezi halten wolle für das ganze Leben . . .
Da eine Gesellschaft durch Rührung auf die Dauer nicht erhalten werden kann, kam der Pianist dem Lustigkeitsbedürfnis durch einige flotte Walzerweisen entgegen. Das offizielle Programm war beendet, alles andere kam auf Kosten der allgemeinen Geselligkeit.
Die beiden Fleischhauerjünglinge erachteten die Zeit für gekommen, mit ihrem großen Vorbild, dem Schwergewichtsathleten, Preisringer und Boxer anknüpfen zu können. Sie lavierten im Durcheinander von Aufstehen und Platzwechseln geschickt an seine Seite und brachten es so weit, sich als begeisterte Adepten der vorgeschilderten edlen Künste vorzustellen. Der große Gast war so gnädig, den beiden nicht nur Gehör zu schenken, sondern auch seinem Bedauern Ausdruck zu geben, daß er sein Handwerkszeug nicht mitnehmen konnte, sonst hätte er den Anwesenden Proben seiner Kunst gegeben, daß alles gestaunt hätte.
Da die beiden Dioskuren aber nicht nur dem edlen Sport der Athletik und des Ringkampfes huldigten, sondern auch andere Ambitionen hegten, die in der Hochschätzung des Duettistenpaares »Bleaml und Blaml« neue Nahrung fanden, begannen sie, G'stanzeln zu singen, kunstvoll zu jodeln und zu pfeifen.
Und weil sie, mochten sie sonst Amateure welcher Kunst immer sein, niemals ihren Beruf vergaßen, so kam dieser auch im Gesang nicht zu kurz, wie das folgende G'stanzel beweist:
Da fahr'n ma dann nach Nußdorf 'naus,
Da wohnt a klane Frau,
Die hat a schware Sau:
Die spirr'n ma dann in' Saustall ein,
Das wird für uns die harbste Gaude sein.
Halloh!
Und die Gesellschaft fiel im Chorus ein:
Die Deutschmasta, die Deutschmasta,
Die Deutschmasta san da.
Halloh!
Wie stets, wenn die Geister des Weines, der Musik und des Gesanges sich einer Gesellschaft bemächtigen, fängt jenes merkwürdige Gesumme, Gelächter, Geschrei und Gekreisch an, das die Festlichkeit des Volkes begleitet. Man hatte schon längst die alte Sitzordnung aufgegeben. Jedermann hatte den ihm zusagenden Nachbarn gefunden, vielmehr jeder Nachbar seine Nachbarin, und so kam es, daß Poldi, die sich mit der lustigen Mirzl so rasch angefreundet und gut unterhalten hatte, auf einmal wieder vereinsamt saß. Denn Mirzl konnte ihre Aufmerksamkeit nicht zwischen einer rasch errungenen Herzensfreundin und einem schön geschwungenen Schnurrbart samt gewelltem Lockenhaupt teilen, das die Gelegenheit wahrgenommen, sich der mutigen Verteidigerin zu nähern. Die Freundin mußte sich bescheiden, und sie tat dies auch in liebenswürdigster und gefälligster Art.
»Ja, Polderl,« sagte nach geraumer Zeit die Braut, als sie wieder Gelegenheit gefunden, sich um Poldi zu kümmern; »sitzt d' denn scho wieder ganz 186 allan? Natürli . . .,« fügte sie mit einem schelmischen Blick auf die in ein Gespräch mit dem wunderbaren Produkt einer Friseurinspiration ganz versunkene Mirzl hinzu: »Armer Hascher, die hat ka Zeit mehr für di. Aber wart'. An' Tischherrn wirst kriag'n . . .« Sie schlug die Hände zusammen.
»Ja, Polderl, wann's ös beinand' sitzts, ös werd'ts das schönste Paar abgeb'n, das ma si nur denken kann. Na,« fuhr sie auf eine lächelnd abwehrende Bewegung Poldis fort, »i lug net, wanns ös zwa net das schönste Paarl seids, was i je g'seg'n hab'. Schau, Poldi,« und die junge Frau setzte sich neben die Freundin, »i hab' mein Pepi sicher gern und i rafert mit jeder, die ihn mir nehmen wollt'. Aber wann i zwa wußt, die i mitanand' Tag und Nacht einspirr'n kunt', ohne Angst wärts es du und der Pepi. Auf di wär' i net eifersüchtig, so schön als d' bist, Polderl. Waßt . . . du muaßt amal an' hab'n, der di verdient. Und kan' Fleischhacker oder so was. I hab' dir's eh scho amal g'sagt: Du bist ane, die an' Mann an' Respekt einjagt . . . du verstehst mi do, Herzerl, und a jeder Mann war' net für di. Du muaßt an' kriag'n, der so is, daß du so viel Respekt vor eahm hast wia er vor dir . . .«
Die liebe, in ihrer Ausdrucksweise ungelenke, junge, neugebackene Frau sprach unbewußt eine tiefe Wahrheit aus: gleich geselle sich zu gleich.
In diese Unterredung der Freundinnen, in jegliche andere Unterredung gellte plötzlich eine Stimme, die, 187 jeden tenoristischen Reizes entkleidet, sich so gab wie an Tagen, da der Stand in sommerlicher Stille schlummerte.
»Gelt ja, du Lausbua, mi willst obidrahn? Mi? Ha, und warum? Weilst vielleicht mei Madl hast zur Hochzeit führ'n därf'n? Aber mirk d'r's. Dös vergiß i d'r net. Dös wird no a End' nehmen, daß d' di net umz'schau'n brauchst. Mirk d'r den heutigen Tag! Amal kummt die Zeit. An' jeden Bam laßt unser Herrgott net in Himmel wachsen. Was krump is, kann no allweil gradbog'n werd'n. Waßt, du Pülcher, du niederträchtiger, wann's ma net um mei Madl war', der i ihr'n Ehr'ntag net verderb'n will, kunnt'st von mir so viel Grobheiten hab'n als du's nur derleiden kannst. Du Gauner, du ehrloser . . . Alsdann, i bin's Karnikl. I bin derjenige, der dös g'sagt hab'n soll? Aber i schwir d'r's . . .«
In dem Schankzimmer stand der »Kellerlacher« und suchte mit ruhiger Sachkenntnis aus der Zigarrenschachtel, die ihm der Kellner entgegenhielt, eine Virginiazigarre heraus. Und ihm schleuderte die »Standratschen« die obigen wüsten Schimpfworte zu.
Ein Mann drängte rücksichtslos durch die um die beiden angesammelte Gruppe der Hochzeitsgäste. Es war der Fiakerathlet.
»Wo is der Erdzeisl?« keuchte er mit heiserer Stimme. »Wo is er? Gebts mar 'hn her, daß i 'hn auf der Stell' dertritt. Was hab' i eahm heut g'sagt: Er soll m'r die Standratsch'n in Ruah lass'n an dem 188 heutigen Tag. Na! Justament net. Aber zarrt's mar 'hn her. D' Baz muaß aussa . . .«
Doch der »Erdzeisl« war schon lange mit seinem Zeuge davongefahren, nachdem er seinen mephistophelischen Gelüsten Genüge getan.
Indes gab es unter den Hochzeitsgästen eine fürchterliche Erregung. Diejenigen, die Gustl kannten, waren über sein heutiges Verhalten ergrimmt, während die mit seinem Wesen Unvertrauten an den Ernst der Situation glaubten und jeden Augenblick Tätlichkeiten befürchteten. Gustls Frau und Tochter hingen sich an ihn, die eine mit regelrechten Püffen, die andere mit tränenvollen Beschwörungen. Nur die lustige Mirzl blieb gänzlich ungerührt auf ihrem Platze und duldete es errötend, daß ihre Hand in der eines anderen ruhte, und lauschte voll Wonne Worten, die in einer Sardinenbüchse konserviert zu sein schienen, so ölig klangen sie.
Der Delikatessenheld hatte es, wie erwähnt, im Trubel des Plätzewechselns verstanden, seinen Platz an der Seite der lustigen Mirzl zu erringen, der er mit einer Art rachesüchtigen Hinterhalts gegen die unschuldige Poldi den Hof machte. Mochte er auch den Tausch für einen unvorteilhaften finden, was die Schönheit beider Mädchen anlangte, aber die geschmeichelte Eitelkeit erwies sich als sieghafter gegen den Geschmack, und die lustige Mirzl mit ihren schwarzen lachenden Augen, ihrem hübschen, lieben 189 Gesicht konnte ebensogut ein Männerherz fesseln als irgendeine andere.
Und viele Verhältnisse würden nicht angesponnen, wäre die Ermutigung aus weiblicher Seite nicht. Das nennt man dann Liebe auf den ersten Blick . . .
Auf Gustl wurde also von allen Seiten eingedrungen, mit Vorwürfen, Beschwörungen, Bitten, Püffen und der Aufforderung »gescheit« zu sein, eine Aufforderung, die in solchen Fällen der, an den sie gerichtet ist, mit dem Justament-Nichtgescheitsein beantwortet.
Schanl und Alberl, denen der Wein schon beträchtlich zu Kopfe gestiegen war und die gern eine Probe ihrer körperlichen Tüchtigkeit gegeben hätten, fanden eine passende Gelegenheit, sich hervorzutun, besonders vor den Augen ihres großen Vorbildes. Sie hatten im Augenblick ganz vergessen, daß der Stänkerer doch eigentlich der Brautvater und kein beliebiger zugelaufener Gast war.
»Hörst, Schanl,« meinte Alberl, »manst net, daß ma mit dem a bißl Tauchen spiel'n sollten?« Sie hatten Gustl zwischen sich bekommen und begannen nun, ihn einer dem anderen sich mit der Schulter zuzuschupfen.
Aber wie erstaunten die beiden Athleten, als sie sich plötzlich jeder von einer Eisenfaust im Genick erfaßt und um sich selbst gewirbelt sahen. Schanl war von dem großen Vorbild, Alberl aber von Herrn Brückl gepackt worden.
»Büaberln,« sagte dieser mit seiner tiefen, ruhigen Stimme, ohne alle Erregung und ohne einen Zug 190 seines marmornen Gesichts zu verändern, »wer mir den Mann nomal angreift, is a Leich'.«
Der Ringkämpfer und leuchtendes Vorbild drohte mit ebensolcher Perspektive, indem er noch von nachherigem »Ausbanln« sprach, ein Fachausdruck, den die Jünglinge wohl zu würdigen wußten.
Ihre mit einer plötzlichen Ernüchterung erwachte Beschämung war grenzenlos. Aber zu ihrem Glück und zur Erleichterung der Gesellschaft machte sich Gustl abermals bemerkbar, jedoch in dem bei ihm bekannten überschwänglichen Gegensatz.
»Toberl,« schluchzte er ergriffen, »wann i d'r das jemals vergiß, so Schuft mein' Nam'. Dös vergiß t d'r net auf mein' Totenbett (eine merkwürdig häufig wiederkehrende Redefloskel Gustls), was d' heut für mi 'tan hast. I bin manchmal a bißl resch, aber i hab's nia net so g'mant. Toberl . . . was d' mein' Madl heut 'tan hast . . . die ganze . . . Hochzeit . . . deine Zeug'ln . . . die Uhr . . . dein Madl'« . . .
Der brave Gustl mußte innehalten, da ihn das Schluchzen zu ersticken drohte.
Aber in dem Augenblick erhob sich ein jubelndes Hochgeschrei. Der junge Ehemann, die junge Frau und viele Hochzeitsgäste drängten um einen großen, schönen, blonden Mann, der nach allen Seiten die Hände zum Drucke reichte und mit einem Lächeln, das jedes Herz erwärmen mußte, die Versammelten grüßte.
»Mir hab'n ja g'wußt, daß S' kummen!« sagte Annerl voll innigsten Vergnügens.
191 »Und wann i am Nordpol g'wesen war' . . . Gelt, Pepi, du erlaubst es schon?« Und ohne eine Erlaubnis Pepis abzuwarten, gab er der jungen, sich nicht im mindesten sträubenden jungen Frau einen herzhaften Kuß. Zu gleicher Zeit überreichte ein Fiaker, dessen Fahrgast der junge Siegfried gewesen, diesem ein prachtvolles Bukett voll dunkler Rosen. Das Bukett wanderte in Annerls Hände, die in freudiger Überraschung über die Pracht der Blumen dastand.
Dann drückte der Angekommene dem Bräutigam, mit dem ihn eine frühere Hausgenossenschaft und eine Schülerfreundschaft verband, die sich ins Leben fortsetzte, herzlich die Hände.
»Daß i euch all'n zwa'n das Beste wünsch', brauch' i d'r net erst sag'n. Sollts recht glücklich werd'n und g'sund bleib'n und a glücklich's Alter mitanand erreichen und viele Kinder soll'n euch a Freud' machen! D' Hauptsach' bei an' Wunsch is, daß er vom Herzen kummt. Alsdann no amal: Unser Herrgott g'segn' euch den Eh'stand! Jetzt gebts m'r a bissel was z' essen und z' trinken und dann könnts mi hab'n, zu was 's wollts!« 192