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(Vermittelt uns die Bekanntschaft einiger Herren, die der Mäßigkeitsbewegung in keiner Weise Vorschub zu leisten geneigt sind.)
Jetzt stand er auf der Straße und schimpfte fürchterlich gegen das geschlossene Fabrikstor: »Ös Hundling, ös Falotten, ös Bagasch verfluchte. An Arbeiter außischmeißen? Ös graupert's Burschoag'findel, ös Tagdiab, Bluatsauger! An Famülienvodan zun behandeln wia an Püls? Pfui Teufü! So Gaunerbuam mitanand. Oba spült's enk net! Sunst, wann m'r die Gall überlauft, bring i so an Sauhund um. Heunt wüll scho' jeder so a Lausbua an Werkführer außisteck'n und Leut' mattan, dö was das schon lang verlurn hab'n, wo so a Hundsbua erst hinschmecken muaß.«
Man möge das Befreiende des Sichaustobens noch so hoch einschätzen, man wird dennoch zugeben müssen, daß diese Anhäufung von Verbalinjurien in einem Atem die Grenze des Erlaubten weit überschritt.
Man wird weiters fragen, wem das ganze Lexikon von Kraftausdrücken zugedacht war? Nun, ganz einfach dem Werkführer der Fabrik, weil er Herrn Blaschke, der in gänzlich unmöglichem Zustand seinen Arbeitsort betrat, kurzerhand vor das Tor setzen ließ.
Es läßt sich nun gewiß vermuten, daß der schwergekränkte Mann nach vollständiger Erschöpfung seines Vorrates an Schimpfworten sich weiter getrollt hätte. Um 2 eine so einfache Lösung von Konflikten zu verhüten und dem Romanschreiber Gelegenheit zu geben, mehr oder minder spannende Kapitel auszuspinnen, hat das Schicksal für den Deus ex machina in Gestalt der wohllöblichen Polizei gesorgt. Diese war in dem konkreten Fall durch zwei Wachmänner vertreten. Der erste war ein sehr jovialer, rotwangiger, blaunasiger, bald pensionsreifer Herr.
Er blieb im Vorüberschlendern für einen Augenblick stehn, klopfte Blaschke leicht auf die Schulter und sagte so gemütlich, als es die polizeiliche Würde zuließ:
»Geh ham, leg di nieder und sag, es war nix! Hab'n s' di schon wieder außig'lahnt heut am Montag? Mit dem Dampf, was d' hast, kunnt'st leicht die ganze Fabrik allan treib'n.«
Dabei lachte er über das ganze Gesicht, der Witz mit dem »Dampf« schien zu kostbar.
Der Angeredete blickte mit trüben Augen den Wachmann an, und als er endlich zur Überzeugung gekommen war, für sein Leid eine teilnahmsvolle Seele und in Summa einen alten Bekannten gefunden zu haben, fing er zu schluchzen an.
»Dös hat m'r vön dö roten Raubersbuam, Herr Wachmann. Dö Bombenwerfer, dö Aufwickler, dö an Famülienvodan unglückli machen, weil er in d' Arbat wüll. Herr Wachmann, Sö kennen mi« (er hatte damit in Anbetracht einiger Arretierungen zwecks Ausnüchterung nicht unrecht) »und wia S' mi kennen, wissen S', daß i a natraler Kerl bin . . .«
»Is schon recht. Geh ham, alter Schwammertandler, 3 und mach d'r an kalten Umschlag aufs Hirn.« Mit diesen Worten wollte sich der scherzhafte Hüter der Ordnung wieder an seine Runde machen.
In den Gefühlen Herrn Blaschkes schien sich jedoch eine vollständige Wandlung vollzogen zu haben. War sein Ehrgeiz verletzt, reizte ihn die herablassende Freundlichkeit oder die Uniform des Polizisten – kurz, er schlug aus seiner weichmütigen, trostheischenden Stimmung in deren Gegenteil um.
»Ös Greandippler, wann mir ausrucken, habt's eh die Guri von hint, wie dö Spinatjuri auf eahnere Aufschläg'. Flohbentl, Zwieflkrowot verhatschter . . . !«
Ich muß gestehen, daß ich den diversen Stimmungsumschlägen des grollenden Staatsbürgers ratlos gegenüberstehe, aber mehr noch der Geduld des biederen Wachmannes, der sich damit begnügte zu sagen: »No, wart nur, bis di dein' Alte in die Hand' hat, da wirst mehr derleb'n, als in unserm Flöhtrüherl.« Dann entfernte er sich ruhig.
Der abermals in den tiefsten Tiefen seines Unmutes Aufgeregte hatte sich wieder gegen das Fabrikstor gewendet, als von einer Seitengasse ein anderer, noch ganz junger Wachmann auftauchte, den seine Runde in die Nähe des beschimpften Objektes führte.
Unter Runde versteht man jene Spaziergänge des staatlichen Organes, die sich mit denen eines Kollegen kreuzen, bei welcher Gelegenheit einer den andern befragt, was sich Neues ereignete; die Anlaß geben, sich um Dinge zu bekümmern, die weit außer seiner Interessensphäre liegen 4 und bei Anlässen, die seine Anwesenheit zu einer Sache der Dringlichkeit machen würden – abwesend zu sein.
Als der junge Wachmann sich dem bedrohten Fabrikstor näherte und den gottsjämmerlich schimpfenden Blaschke erspähte, erklärte er sich gleich mit ersterem solidarisch. Er vernahm eben folgende lästerlichen Worte:
»Ölendige Sauhütt'n! A paar Schab Stroh und a Flasch'n Petroleum und a hundert Kila Dynamit, daß d' in d' Luft gehst, wia a Praterballon. Saujud, preußischer Haderlump . . .«
»Entfernen Sie sich oder ich muß einschreiten,« unterbrach der Wachmann die staatsverbrecherische Periode.
Blaschke schien durch den Anblick der neuen Uniform sich des Respektes bewußt zu werden, den jeder Staatsbürger ohne Ausnahme jeglicher Uniform entgegenzubringen hat. Er, als ehemaliger, gedienter Soldat, empfand plötzlich die Neigung, seine militärische Vergangenheit ins beste Licht zu setzen. Daher salutierte er stramm. Die Strammheit war nur durch die Geste vertreten, während der Mann an und für sich bedenklich schwankte.
»Herr Wachmann,« begann er in rapportierendem Tone, »i, a alter Kaiserlicher von dö Vierer Hoch und Spleni, unterm Herrn Hauptmann Greifinger dient, verheirat't, unbescholten . . . .«
»Entfernen Sie sich, sag' ich, machen S' keine G'schichten, oder ich muß Sie arretieren«, war die nochmalige herrische Aufforderung. Inzwischen hatten sich schon Passanten und viele zur Schule ziehende Kinder zum Stehenbleiben bemüßigt gesehen.
»Mi arretiern?« war die verwunderte Frage. »Mi 5 woll'n S' arretiern? Mi? Dös gibt's sein Lebtag net. Hab' i Ihner was tan? Han?«
»Machen S' kein Aigsehn und schaun S', daß S' weiterkommen, sonst erleb'n S' was!«
»Sie armer Batschachter vom Juriregiment (vergnügtes Schmunzeln der Passanten und laute Ausbrüche der Heiterkeit seitens der Schuljngend), gengen S' erst ham und lassen S' Ihnere Baner numerieren, dann kummen S' wieder, i wart' da am Fleck auf Ihner, da am Fleck, wo i steh'.«
Und der im Stadium ironischer Gemütlichkeit gelandete Herr Blaschke bemühte sich, den angedeuteten Fleck dadurch kenntlich zu machen, daß er sich bückte und mit dem Zeigefinger an der Fußspitze vorbei auf den Erdboden tippte. Zu gleicher Zeit versetzte ihm eine unsichtbare Macht einen Stoß, so daß er fast wie aus einem Geschütz geschnellt, in der Art schädelkämpfender Neger, gegen den Wachmann anrannte, so verhängnisvoll, daß dieser umfiel und unter Blaschke zu liegen kam. Das Hallo war ein allgemeines. Die Knaben führten förmliche Indianertänze um die Helden dieses ergötzlichen Schauspieles auf. Nun folgte die dramatische Steigerung. Der bis zur Wut erzürnte und beschämte Unterlegene befreite sich so rasch als möglich, riß den noch immer am Boden liegenden Betrunkenen empor und erklärte ihn für verhaftet. Dieser fing an, sich aus Leibeskräften zu wehren. Jedermann amüsierte sich köstlich bei dieser Balgerei. Ein eben hinzugekommener Passant rief: »Je, das is ja der Blaschke. Herr Wachmann, lassen S' den gehn, der tuat kan Menschen was, 6 nur schimpfen kann er wia a Rohrspatz, wann er sein Klamsch hat. Dafür kriagt er von seiner Alten Birn, daß er zwa Täg net stehn kann.«
»Mischen Sie sich in keine Amtshandlung und schaun Sie, daß Sie weiterkommen!« war die Antwort des vor Zorn und Aufregung purpurroten Sicherheitsorganes. Zu gleicher Zeit bemühte er sich vergeblich, seinen Arrestanten vorwärts zu bringen. Die Menschenmenge schwoll immer mehr an. Verdächtige, sehr defekt gekleidete Bursche machten sich das Vergnügen, gellende Pfiffe und Hooo!-Rufe auszustoßen, gelegentlich einen Schulknaben mit einem Fußtritt beehrend, daß er an das ringende Paar anflog, kurz, die Stimmung war eine famose und äußerst animierte. Jetzt ertönte der schrille Ton des Signalpfeifchens. Von ferne kam Antwort und alsbald war der erstbeschriebene, humoristische Wachmann zur Stelle, seinem Kollegen Hilfe zu bringen. Als er sah, um wen es sich handelte, konnte er eine Äußerung des Unmutes nicht unterdrücken. – Der Übereifer dieser Jungen!
»Das hätt' i mir denken können, daß S' an Patzen machen,« knurrte er seinen Amtsgenossen an. »Wann i woll'n hatt', hätt' i den Kerl ah arretieren können. Jetzt hab'n m'r an Auflauf und weg'n nix und wieder nix.« Dann wandte er sich an den Arretierten, der beim Anblick seines wohlwollenden Bekannten plötzlich ganz ruhig wurde:
»Gengen S' ruhig mit den Herrn Wachmann und machen S' kane Dummheiten! Sonst hat's der Ochsenzehmt gnädig, verstengen S'? Schlafen S' Ihner aus und san S' froh, wann nix nachkummt! Bei Wachebeleidigung und Renitenz gibt's kane Würstln. Allo, marsch!«
7 Und diese kurze, kernige Epistel machte einen merkwürdigen Eindruck auf den eben vorher so zornwütigen Blaschke. Zerknirscht und geduldig wie ein Lämmchen nahm er die Begleitung seines Feindes an, der, um allen Eventualitäten vorzubeugen, seinen Gefangenen am Ärmel hielt. Gefolgt von einer johlenden, sich drängenden Menschenmenge, schritten die beiden dem Kommissariate zu. – – – –
Unter den Zusehern, denen die Szene unstreitig alle Emotionen einer gesunden und harmlosen Heiterkeit verschaffte, befanden sich zwei Herren, die in ihrem Äußeren und Gehaben verrieten, daß sie, um den Anblick des Sonnenaufganges nicht zu versäumen, schon vierundzwanzig Stunden vorher den Flaum des Bettes von sich abgeschüttelt.
Der eine stak in vollständiger Balltoilette, um von einer näheren Beschreibung seines Habitus abzusehen. Nur sei erwähnt, daß die, vorige Nacht wohl blendend weiße Hemdbrust deutliche Spuren von Gulasch und Bierresten aufwies, sowie daß der am Vortage gewiß frisch gebügelte Zylinder den Verdacht nicht ausschloß, es hätte irgend jemand aus Vergeßlichkeit ihn als Sitzgelegenheit benützt; und nachdem er zum Bewußtsein gelangt, der Gegenstand eigne sich nicht zu solcher Verwendung, hätte er mit geballter Faust und steifem Arme versucht, den früheren Zustand der Form von innen nach außen wieder herzustellen.
Der andere hüllte sich in einen Überzieher, dessen Farbe zwischen der von Segelleinwand und der eines grauschillernden Kanarienvogels die Mitte hielt. Der Hut, mit einer Krempe von der Breite eines Fingers, balancierte mit dem hinteren Rande auf dem Hemdkragen, sonst wäre wohl allen Vermutungen Tür und Tor geöffnet gewesen, als schwebe er in der Luft, oder es sei nur die materialisierte Form einer astralen Kopfbedeckung.
8 Hatte der erstere Herr Gestalt und Gesicht eines vollkommen normalen, erwachsenen und, was die Weiber nennen, »bildsaubern« Menschen, so reichte ihm sein Begleiter, die aufgestellte vordere Hutkrempe inbegriffen, gerade bis zum schwertförmigen Fortsatze des Brustbeines. Keinen Millimeter höher. Das Gesicht machte den Eindruck, als sei es im Zustande der fötalen Weichheit durch irgendeine mechanische Gewalt in der Richtung von oben nach unten zusammengequetscht worden. Im Munde hielt er eine Virginiazigarre, deren Kürze den Gedanken nahelegte, sie wäre so weit abgeraucht. Das war aber keineswegs der Fall, sie stak vielmehr mit ihrer Spitze tief im Halse ihres Eigentümers, allem Anscheine nach dessen Wohlbefinden in keiner Weise beeinträchtigend, zumindesten nicht die Ausbrüche heitersten Lachens hindernd.
»Geh, Huxtl, wia der den Poli ang'rennt hat, war do zum Hinwerd'n. Geh, Bruader, da steht nix mehr auf«, meinte er mit allen Anzeichen günstigster Unterhaltungslaune.
»Kenn 'hn jo eh«, sagte der andere, »wohnt mit mir in an Haus. Jetzt waßt, wann i die reanscherte Karnali hätt', sein' Alte, i gangt überhaupt nimmer ham. Ehender an Strick. – A so a Weiberl is a Freud, Jessas na!« sang er vor sich hin. »Habe die Ehre, Herr Wachmann!« wendete er sich zu dem blaunasigen Gesetzeshüter.
»Morg'n, Herr Huxtl«, erwiderte dieser. »Na was is, wieder Fruah wurd'n mit der Produktion?«
»Was S' net glaub'n. Das is schon die zweite Fruah. Gelt, Tschickerl?« Die zur Bestätigung auffordernde 9 Frage galt dem Gefährten, der statt aller Antwort zu krähen anhub:
»Weil i a alter Drahrer bin,
A so a Au–ufdrahrer bin . . .«
indem er sich bemühte, zur Vervollkommnung der Schönheit dieser Liederperle auf das verdoppelte U des Diphthonges einen Nachdruck zu legen, daß es sich anhörte, als hätte der Sänger das Aufstoßen, eine künstlerische Pointierung, die durch Guschelbauer förmlich Tradition geworden.
»Bist net stad, Tschickerl?« warnte mit vieler Gravität der mit Huxtl Angesprochene, der bezirksbekannte Volkssänger, Liederdichter und Gesangshumorist, seinen lustigen, drahrerbegeisterten Genossen. »Wann di der Herr Wachmann mitnimmt, wirst schaun. Geht's d'r wia 'n Blaschke, dann kannst im Kammerl singen soviel als d' willst. Geln S' Herr Wachmann, Sie sperrn den Hundling ein? Verdienen tät' er's.«
Tschickerl, dessen bürgerlicher Name wohl nur den Registern des Meldeamtes vertraut sein mochte und der sich an seinen Spitznamen ungefähr so gewöhnt hatte, wie ein Azorl, der aber seit einigen Jahren den ursprünglichen Rufnamen mit dem eines Flockerl vertauschte, geriet durch die Aussicht, eventuell »eing'naht« zu werden, in einen Zustand, den nur die spaßhafteste Vorstellung an uns zu bewirken vermag.
»Gehst net doni? Hörst, da legst di nieder, Bruader. Meiner Seel, dös war a Hetz. In Tschickerl einnahn! Geh' a so a Gaudee war no net da g'wesen. Dös müaßt' do' in d'Zeitung kummen. In Tschickerl . . .«
Wie gesagt, diese Vorstellung hatte ohne Zweifel in Beziehung auf ihre Absurdität etwas so Bestechendes, daß 10 von dem heiteren Lachen sogar der biedere Wachmann und der durch das ausgiebige Drahn etwas melancholische Vertreter der Volksmuse angesteckt wurden.
»Geh, Bruader, auf dös hin schau'n mer jetzt, wo's a guat Fruahstuck-Golasch gibt. A Viertel mit Gis dazua, – höher geht's nimmer, Bruader. Herr Wachmann, wann S' beim Stiegl vurbeikumma, so sagn S', der Wirt soll Ihna a Viertel von dem geb'n, den si der Tschickerl nur an sein' Namenstag vergunnt. Wissen schon, was?«
Diese etwas dunkle Hindeutung galt dem Umstand, daß Tschickerl sich in ebenso zarter, als durch den Umgang mit Behörden gebotener Weise für die kitzelnde Vorstellung zu revanchieren versuchte, der Wachmann könnte ihn – den Tschickerl! – arretieren wollen. Zur Belohnung dieses, das Wohlbefinden des kleinen Mannes äußerst fördernden Heiterkeitsanlasses gebührte dem Wachmann ein in besagter diskreter Form angebotener Gratisliter. Eine salutierende Geste bestätigte die Annahme dieser liebenswürdigen Spende.
Dann entfernten sich nach herzlicher Verabschiedung die zwei nacht- und schlafmordenden Gesellen, um durch ein saftiges Golasch und einen Gespritzten die Lebensgeister für eine weitere Bierreise in den Zustand der Tauglichkeit zu versetzen.
Tschickerl, der seinen Spitznamen der Kleinheit und Gedrücktheit seiner Gestalt verdankte, die ihn einem zerkauten »Tschick« (Zigarrenstumpf) selbst nur noch in dessen Diminutivform ähnlich erscheinen ließ, war ein liederlicher Junggeselle, unverbesserlicher Nachtschwärmer und begeisterter Verehrer seines sangeskundigen Freundes. Da er zugleich als Anteilhaber eines vierstöckigen Hauses ein durch keinerlei Arbeit geschändetes, auskömmliches Leben zu führen 11 imstande war, benützte er seine Zeit zu ausgedehnten Exkursionen und eingehenden Alkoholproben jeglicher Form und jeglichen Gehaltes und war Wirten und Nachtkaffeebesitzern ebenso bekannt, wie Branntweinverschleißern und Würstelmännern.
Sein Freund und »Zweschbenröster«, wie die scherzhafte Bezeichnung für ein so inniges Verhältnis lautete, ließ sich im Bewußtsein seiner künstlerischen Vollkommenheit ungeniert freihalten und nahm die Bewunderung des zwerghaften Mannes als einen ihm gebührenden Zoll der Anerkennung gnädigst hin. In einer Art jedoch war er ihm unter. Soviel Huxtl auch an Konsum von Alkoholika und Abbruch des Schlafes zu ertragen vermochte, Tschickerl war ihm noch immer vorbildlich für die Art geblieben, wie man ein »fermer Drahrer« ist. – – – – –
Lassen wir die beiden würdigen Gestalten auf ihrer Rundreise nach Sensationen des gröbsten Suffes allein und wenden uns dem Schicksale des arretierten Blaschke zu, den der Wachmann mit allen Anzeichen einer eben bestandenen gefährlichen Waffentat den Augen der mitfolgenden Gaffer durch einen Schwubs in das Wachzimmer entzog.
Der Herr Kommissär runzelte bei Einlieferung des bezirksbekannten, aber harmlosen Trunkenbolds und Krakeelers die Brauen. Teufel! Wollte man an einem Montag früh alle Elemente dieser Sorte einliefern, man brauchte ein drei Stock hohes Haus allein für Arreste. Nun ließ sich nichts mehr machen als ein Protokoll aufnehmen, im ganzen aber die Sache auf »Unzurechnungsfähigkeit im Zustande der Volltrunkenheit« hinausspielen.
»Wann uns der B'suff d'Pritsch'n anspeibt, soll er nix z'lachen hab'n«, sagte einer der Wachmänner, als man den nun vom Schlafe Halbbezwungenen mit einigen Püffen 12 in das Loch expedierte. »Wann's wenigstens a halbwegs urndlicher Einbrecher war! Aber so Frischg'fangte glaub'n, wann s' nur arretiern. Wird Ihnen schon mit der Zeit vergehn«, wandte er sich an den pflichteifrigen, von seiner Autorität durchdrungenen Kollegen, der ob des Undankes für seine Tat ganz verblüfft dastand, »wird Ihna schon vergeh'n, wann s' es anmal mit andre z'tuan hab'n, die Ihner hinterrucks mit an Feitl a bißl kitzln, daß 's Bluat kummt.«
Als nach einigen Stunden Herr Blaschke in seinem buen retiro mit schmerzendem Kopf und hämmernden Schläfen erwachte, blickte er erst erstaunt um sich. Bald jedoch hatte er sich über die Örtlichkeit vergewissert, und an Stelle der früheren Berserkerwut war eine tiefe Niedergeschlagenheit getreten, eine Mattigkeit und Trostlosigkeit erfüllte ihn, daß man ihn mit einem nassen Fetzen hätte niederschlagen können. Nur langsam reihte sich Erinnerung an Erinnerung. Wenn das seine Alte erfuhr! Er zuckte förmlich zusammen. Lieber sollten sie ihn für längere Zeit einsperren.
Ein Räuspern, von der anderen Seite des »Gemaches« kommend, belehrte ihn, daß er einen Mitbewohner habe. Von der Pritsche richtete sich jemand empor und kam auf ihn zu. Eine herabgekommene, verwahrloste Säufergestalt, gekrönt durch einen Kopf mit ungepflegtem Haupthaar, längere Zeit unrasiertem Kinn und einer Trinkernase.
»Meiner Seel«, gröhlte der Verkommene, »das is ja der Blaschke. Na so was! Hab'n s' di a wieder anmal da einig'steckt? Das is a seltenes Vergnüg'n. Hast bisher immer a Glück g'habt mit die He, wannst ah d' Goschen ausg'laart hast, wia a alte Koberin.«
13 »Hätt mr's denken können, daß du's bist, Fischer. Hast wohl alle Woch'n dein Quartier da?«
»Dösmal wir i jedenfalls no a anders kriag'n, vielleicht Alserstraßn.«
»Was hat's denn geb'n?«
»An Wirbel beim Grünzweig. I kumm d'r eini, an klan' Klamsch hab' i schon g'habt, will m'r der nix einschenken. I mach' an Bahöll, und hast es net g'segn und sixt es net ah, hat d'r Jud ane auf d'Gluahn, daß eahm für a Zeitlang 's Schaun vergehn wird. Dann hab' i no extra all's umdraht, a zwa'n a paar Fotz'n geb'n, bis der Poli kumma is.«
Blaschke saß eine Zeitlang sinnend da. Dann meinte er:
»Hast so was notwendi?«
»Notwendi?« lachte der andere. »Hast es du notwendi? Du kummst nur immer guat draus, weil's d' a so Griasler bist trotz deiner großen Gosch'n, und net um an Kreuzer Guri hast. Warum saufst denn? Der Sunntag und d'r Montag g'hörn immer dir. Kannst nocha über wem andern red'n? Wann i sauf', wir i hamurisch, und a unrechts Wurt – so hab' i an beim Würgl.«
Blaschke stützte den Kopf auf seine zitternden Hände. Wieder schwieg er eine Weile still. Und über sein verwüstetes, verschwelgtes Gesicht rann eine Träne.
»I glaub' gar, du zaunst?« frug Fischer. »Hörst so a Mannsbild wia du g'hört unter d'alten Weiber in d'Versurgung. Geniert's di eppa, daß d' wieder anmal da herin dunsten muaßt? Ha? Was sollt' denn i dann sag'n?«
14 »Du hast recht, i treib's net besser wia du, hab' aber mehr Grund dazua. Mein' Alte kennst. So a Bisgurn müaßt' 'n besten Menschen zu an B'suffn mach'n. Anmal is s' a Alzerl älter wia i und dann is s' überhaupt kan Auskummen mit ihr.«
»Warum binderst s' dann net anmal urndli o? I an deiner Stell' hätt' dös Krokodül schon halbert derschlag'n. Frag', ob si mein' Alte nur zum Muxn trauet.«
Blaschke hob erregt den Kopf empor.
»Du, vergleich' dein Weib net mit mein'! Is a Kunst, so a arms Ding wia die deine z'haun. Und zwa herzige Kinder hast. Bei dir war anmal all's net notwendi.«
»Geh, Tepp! Willst di vielleicht am Heilg'n außihaun? Was geht di mein' Alte am und dö Bankerten, die eh net von mir san? Dein Drach war m'r no liaber, als dö zaunerte Karnalli. Soll unserans ka Vergnüg'n habn? D'ganze Woch'n arbat'n und dö paar Netsch hamtrag'n? Jetzt wird s' schon a alte Klesch'n, hint nix, vurn nix, und i brauch' was zun Anhalt'n. Dö deine hat wenigstens, was m'r a Füll haßt. Und auf all's andre wird . . .«
Es ist unnötig, den Satz zu vollenden, um so mehr, als in dem Augenblick die Türe aufging und Blaschke aufgerufen wurde.
Der Kommissär ließ ihn vor sich führen. War es der trost- und hilflose Ausdruck im Gesichte des armen Sünders, war es die leise Furche, die die einzige Träne der Reue und Selbstqual verursacht, oder die ganze, nun verzehnfacht zum Ausdruck kommende Harmlosigkeit des einer kurzen Kerkernacht Entstiegenen – der Beamte fühlte sich fast zur Rührung geneigt. Und doch war eine allzumilde Auffassung der 15 Sachlage sehr schwer, wenn nicht ganz unmöglich. Die unanfechtbare, dienstliche Anzeige des Wachmannes lag vor, die Affäre hatte unendlich viele Zeugen besessen, dann, der Mann war als Trinker und Lärmmacher unverbesserlich. Im übrigen Leben ein ehrlicher, auch fleißiger Arbeiter, war er nur zu sehr dem Schnaps zugetan.
»Na, Blaschke, Sie sollten sich aber schämen! Wissen Sie, was für Nichtswürdigkeiten Sie wieder angestellt? Diesmal gibt es keinen Pardon. Wir können nur berücksichtigen, daß Ihr Urteilsvermögen durch schwere Betrunkenheit herabgesetzt war. Aber dem Wachmann den Ringkragen herabzureißen . . . .«
Und der arme Blaschke hob bittend die Hände. »Spirrn S' mi ein, Herr Kommissär, so lang als's geht. Nur vur zwa retten S' mi: vur meiner Alten und vur 'n Branntweiner.« – 16