Karl Adolph
Von früher und heute
Karl Adolph

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Drei Geschichten vom Amt

I.
Der verschwundene Akt

Gewisse Dinge muten fast wie Übertreibungen an, wie Erzählungen aus dem modernen Pitaval, wenn auch unblutige. Rohe Naturen mögen sich an solchen Schilderungen ergötzen. Der Edle lächelt voll verzeihender Güte und erklärt, man sage ihm durchaus nichts so Neues. Die menschliche Natur sei im Grunde eitel Schwäche. Ein haltloses Gerüst, dem man keine allzugroßen Lasten aufbürden dürfe.

Vom Zimmer zwölf war der Alarmruf ausgegangen: Der Akt Exh. 315 B,2,/IV ex 1902 sei in Verlust geraten. Von Zimmer zwölf sprang der Funke auf Zimmer sechs, wo er acht Insassen aus dem seligen Bewußtsein erfüllter Beamtenpflicht peitschte, sprang in die Zimmer sieben, acht, neun, elf, raste hinab in die Evidenzhaltung, in beide Liquidaturen und schien nicht übel Lust zu haben, zur Direktion selbst überzuspringen, und von da . . . o Götter!

Der Akt Exh. 315 B,2,/IV war eine Art 51 Scheintoter, der alle Vierteljahre einmal zu einer Art Scheinleben gelangte. Man merkte ihm seine Vergangenheit an. Er hatte sich allmählich herausgemästet, strotzte von Dicke und war wie ein alter Herr anzuschauen, der nicht allzuviel auf sein Äußeres hält.

Jedes Vierteljahr nahm ein Referent den Akt vor. Mit einer Art von humoristisch-grimmig-resignierter Miene wurde der Akt in der letzten Zeit (die eine Spanne von drei Jahren umfassen mochte) von dem jeweiligen Referenten in »Frist« getan. Das bedeutet, er malte mit Rot- oder Blaustift etwas hin, das man als Kreis ansprechen konnte, schmierte das nächste Quartalsdatum darauf, und der Akt war glücklich wieder erledigt bis zum nächsten Vierteljahr.

Aber auch ihm schien eine Stunde der Erlösung zu schlagen. Und wie erhabene Dinge stets oder meist von kleinen Zufälligkeiten bestimmt werden, so war es auch diesmal der Fall.

Ein sehr strebsamer Beamter der hohen k. k. Statthalterei hatte in löblichem Diensteifer die Entdeckung gemacht: in einem soundso befindlichen Amte sei ein soundso bezeichneter Akt in Verwahrung usw.

Wer nun weiß, was es bedeutet, das amtliche Interesse einer hohen k. k. Statthalterei zu erregen, wird die Bestürzung begreifen, die sich aller bemächtigte, als der von besagtem hohen Amte urgierte Akt (dessen Inhalt die Eintreibung von zwei Kronen vierzig Hellern betraf) ganz einfach unauffindbar blieb.

52 Der erste Herr Vorstand heischte dringendst nach Aufklärung einer ganz unfaßbaren Tatsache des Verlustes eines amtlichen Schriftstückes. Das Haustelephon war ununterbrochen im Gange. Es war wie in Zeiten eines Belagerungszustandes. Jeden Augenblick konnte der noch irrlichternde Funke einen ganz Schuldlosen (in diesem Falle der Herr Vorstand) mit Blitzesgewalt niederschmettern.

Sein Stellvertreter, der zweite Herr Vorstand, schien gebrochen. Seine hohe Gestalt, die sonst was Aufrechtes, Unbeugbares hatte, schien um einige Faustlängen verkürzt. Sonst von äußerster Liebenswürdigkeit und Bonhomie, hüllte er sich in eine bedrohliche Passivität, hörte auf keine amtliche wie private Anfrage, sondern ging mit visionärem Gesichtsausdruck umher wie ein erhabener Märtyrer.

Der Adjunkt Kerner, der von einer ruhigen, sachlichen Gründlichkeit war und auf der Suche nach irgendeinem Schriftstück es mit einem ehemaligen indianischen Fährtensucher aufnehmen konnte, erreichte es endlich, den Anfangsfaden des im ersten Augenblick verwirrt erscheinenden Knäuels zu finden.

Und die Aufdeckung der einfachen Tatsache, daß – nun, daß einem gewissen Schupf das Verschwinden des Aktes mit vernichtendster Beweiskraft nachgewiesen werden konnte, erweckte nachhaltiges, mit sittlichem Abscheu gemischtes Aufsehen. Wenn je einem, so war es diesem räudigen Schaf der Amtsherde zuzutrauen.

Die höhere Beamtenschaft bildete auf dem 53 Korridore erregte Gruppen. Sie besprach den Vorfall mit Gründlichkeit und einem Zusatz von moralischem Abscheu.

»So was kann doch auf keinen Fall geduldet werden, meine Herren,« sagte in nervöser Erregtheit der Herr Offizial Haller. »Bedenken Sie nur, daß durch solches Vorgehen einer ganz unverantwortlichen Persönlichkeit, wie eines Kanzleigehilfen, für das Amt die ärgsten Konsequenzen erwachsen können.«

Ein äußerst Gutmütiger hielt dafür, daß man mildernde Umstände, wie geistige Umnachtung, ins Auge fassen könne. Dieser Deutung der Angelegenheit trat der bedächtige, mit menschlicher Verworfenheit vertraute Adjunkt Kerner (dem die Auffindung der Spur zu danken war) mit allem Nachdrucke entgegen. Wenn er auch menschlich fühlte, aber Dienst blieb unter allen Umständen Dienst. Wo käme man nachher mit solchen unangebrachten Gefühlen der Duldung hin? Zumal da es sich gar nicht einmal um einen wirklichen Beamten handle. Da kämen doch wenigstens Erwägungen kollegialer Natur in Betracht.

»Saubere fünfundzwanzig aus n Salz, ka' Diurnum auszahl'n und außischmeiß'n.« Das war der Tenor seiner Überzeugung. Natürlich, unser von falscher Humanität beeinflußtes Zeitalter würde sich niemals zur Anwendung jener einfachen und gesunden Doktrinen einer guten alten Zeit bequemen.

Also der Täter, wenigstens der mutmaßliche, war gefunden (denn noch fehlte das 54 Eingeständnis), und er hieß, wie erwähnt, Schupf, war Schreibhilfskraft oder, wie es schöner hieß, Kanzleihilfsbeamter mit einem Diurnum von drei Kronen fünfzig Hellern pro Tag, monatlich auszahlbar, und diente schon an die zehn Jahre. Während andere, weit später eingetretene Kollegen schon die schwindelnde Stufenhöhe der beamtenhierarchischen Leiter als Kanzleioffizianten erklommen hatten, trieb sich Schupf, halb geduldet, halb mit Bedauern betrachtet, als eine Art von Amtstrottel umher.

Er bildete den Zielpunkt des düstersten Mißtrauens seiner Vorgesetzten. Sein entsetzliches Tagewerk war, mit einwandfreier Sicherheit zu beweisen, daß er irgendeinem, irgendwie und irgendwo geschossenen Amtsbock vollkommen fernestand. Schon die Berührung eines Schriftstückes machte dieses unrein für eine geraume Zeit.

In Wirklichkeit machte er des Tages viele Hunderte von Akten auf diese Weise unrein. Nicht vielleicht, daß er sich in ihren Inhalt zu versenken hatte, sondern er mußte sie ganz einfach arithmetisch ordnen. Auf dieses Mindestmaß hatte man seine Beamtentätigkeit beschnitten.

Mit angegebenem Akte hatte er in Wirklichkeit sich nicht in anbefohlener Tätigkeit beschäftigt. Aber da er sonst äußerst kollegial und dienstwillig war, bürdete man ihm mancherlei im Vorbeigehen auf, wo man selbst zu kommod war, und so kam es, daß er oft die »Hände voller Pratzen« hatte und seine eigenen Kinder nicht von denen fremder Leute unterscheiden konnte.

55 Nun hatte sich eine fürchterliche Schicksalstragödie entwickelt.

Der erste Chef behandelte Schupf gleich Luft. Er dankte gar nicht einmal für einen alleruntertänigst dargebrachten Gruß. Der zweite Herr Vorstand, der sonst oft so leutselig im Diminutiv zu fragen pflegte: »Na, wia hab'n m'rs denn, Herr Schupferl?« erschien mit durchfurchter, düsterer Miene im Zimmer des Inkulpaten und forderte sämtliche Akten ab. Dann wurde der unglückselige Schupf mit Wartezeit zur Disposition gestellt. Das heißt, daß der zweite Herr Vorstand mit eisiger Kälte zu bemerken geruhte, für Herrn Schupf fände sich absolut keine Arbeit mehr, und es stehe ihm frei, aus dieser Tatsache die Konsequenzen zu ziehen.

Dann begann die ratenweise Folterung. Schupf saß ganz gebrochen vor einem absoluten Nichts an Akten. Nicht, daß ihn deren auf den Nullpunkt herabgedrückte Mindestzahl geniert hätte. Unter anderen Umständen hätte er diese Tatsache lächelnd ertragen. Aber nun . . .

Jede halbe Stunde wurde er zum zweiten Herrn Vorstand befohlen, der dann, mitleidslos in einen Akt vertieft, den Vorgeladenen gar nicht beachtete, bis dieser nach fünfminutigem, geduldigem Ausharren hoffnungslos zur Tür hinauswankte.

Nach dem fünften Besuch hatte der Herr Vorstand mit einer Art ruhiger Ergebung in eine vom Schicksal aufgedrungene Notwendigkeit sich zu folgender Äußerung herbeigelassen:

»Wissen S', mein liaber Herr von Schupf, i 56 hab' immer was auf Ihna g'halten. Mir tuat's lad um Ihna . . . Bei dö viel'n Dienstjahr' . . . Vielleicht aber, wann S' Ihna um was anders umschauerten; vielleicht bei der Tramway als Kondukteur oder bei an' Theater als Statist . . . Wissen S', Herr von Schupf, Sie san halt amal für den Dienst net tauglich . . .«

»I halt's nimmer aus,« sagte der unglückliche Schupf, nachdem er, in seinem Zimmer und an seinem Platze angelangt, aus blöden Augen nach dem von allen Akten reingefegten Tische stierte, »i halt's nimmer aus. Meiner Seel', i pack' mi' z'samm' und geh' ham oder glei' in dö Donau. An' Menschen so z' martern . . . Unser Heiland hat aa sein Kreuz trag'n müass'n, aber wia i . . . Mehr als a Mensch vertrag'n kann, soll ma' net von eahm verlanga. I pack' z'samm' . . . hin is hin . . .«

Die Kollegen gaben ihm jedoch zu bedenken, daß ein Sprung in die Donau mancherlei beinhalte: erstens zur jetzigen Zeit wäre es ein widerrechtliches Verlassen des Dienstes; zweitens könnte der Donausturz höheren Ortes als unliebsame Demonstration aufgefaßt werden; drittens würden sich bei einer doch immer noch zu gewärtigenden Vorrückung die Chanzen zugunsten eines Hintermannes geltend machen. Es wurden noch so viele schwerwiegende fachliche Gründe angeführt, bis Schupf, zwar schweren Herzens, aber infolge neu angestachelten Lebensmutes sich bereit erklärte, seine Dienste, wenn auch einstweilen negativ, dem Amte erhalten zu wollen.

Dann begab er sich auf Zimmer zehn, wo 57 in rührender Ahnungslosigkeit all der aufregenden Ereignisse ein Beamter über einen Akt gebeugt saß und den Schupf vertraulicher- und undankbarerweise seinen Hof- und Leibwucherer benannte, da nicht nur er allein, sondern auch ein Großteil der Kollegen den ganzen Monat über den Beamten anzupumpen pflegten. Von ihm entlieh er auch jetzt mit »diensthöflichem« Ersuchen gegen Versprechen »ehebaldigen Rückschlusses« zwei Kronen und begab sich damit auf die Suche nach einem bestimmten Diener. Mit dem hatte er eine vertrauliche Besprechung, bei der die zwei Kronen neuerlich ihren Herrn wechselten, welches Schicksal ihnen übrigens in Bälde abermals bevorstand, denn der Diener sagte:

»Wird g'macht, Herr Schupf. Alsdann zwa Liter. Sag'n S' mir nur, was war's denn eigentli' mit dem Akt? Ich hab' a biss'l was g'hört, i bin grad von der Statthalterei kumma.«

Schupf erzählte hocherregt von dem außerordentlichen Fall. »Wia a Waserl sitz' i jetzt drin, ohne an' Strach Arbat. Tummeln S' Ihna, daß m'r a bißl die Surg'n vergengan.«

Der Diener hatte mit dem tiefsten amtlichen Interesse der Mär von dem verschwundenen Akt gelauscht.

»Irgendwohin müassen S' den Hundling (so benannte er respektloserweise das Schriftstück) do verschuastert hab'n. In der ›Frist‹ liegt er net ein?« Das war ein Fachausdruck.

Schupf verneinte traurig.

»Alsdann, Herr Schupf, z'erst tan m'r uns a biss'l stärk'n, und dann – wia mir gebaut san, 58 mir finden den Akt so sicher wia nur was. Mir zwa Dschungelbrüada! . . .«

Das Wort war ein scherzhafter Hinweis auf eine nahe Bezirksverwandtschaft in schon sehr »entern« Gründen . . .

Mittlerweile nahmen die Dinge den ernsten, drohenden Schritt des Verhängnisses. Man konferierte hinter der geschlossenen Tür des ersten Herrn Vorstandes. Alles, was sich anmaßen durfte, Rat und Stimme zu haben, war vereinigt. Alle Diener standen auf Posten, mit Ausnahme des »Dschungelbruaders«, der augenblicklich als im Solde Schupfs anerkannt und als von der Statthalterei noch nicht zurückgekehrt erklärt wurde.

Der Herr Vorstand erläuterte den Fall folgendermaßen: Entweder sei der bewußte Akt verlorengegangen, was einer Art von Katastrophe gliche, oder er sei noch unter den Lebenden, was für den Schuldtragenden den moralischen und bürgerlichen Tod bedeute. Es bleibe, wenn bis morgen die Unauffindbarkeit des Aktes zu konstatieren wäre, nichts anderes übrig, als alle Herren und Hilfskräfte zu verpflichten, sich in den Nachmittagsstunden dem Studium sämtlicher Faszikel, die in Summa nur die Kleinigkeit von vierzig- bis fünfzigtausend Akten enthalten dürften, hinzugeben. Ein durch vielerlei Räuspern unterbrochenes Beifallsgemurmel sprach dem Plane des Herrn Vorstandes zu. Trotzdem man den Schuldigen erkannt zu haben glaubte, überführt war er noch nicht. Sein hilfloses Leugnen allen Verschuldens deutete ja wohl in letzter Linie auf den bekannten 59 Verbrechertrotz, und wenn auch wirklich sich in diesem auszustoßenden Mitglied der Gesellschaft die Kette der Verruchtheit schloß – was fragte die Oberbehörde um das Opfer? Vom Amte als solchem verlangte sie nur den Akt: den sagenumsponnenen, kreisverzierten, ziffernverschmierten und auch tintenbeklecksten Akt, der von so vielen Wurst- und Butterbrotexzessen gar schöne Dinge zu erzählen gewußt hätte.


»Prost, Herr Schupf! Warten S', i schenk Ihna no a Glasl ein. Was? Der Wein vom Braun is net ohne. No . . . und denken S' no auf den Akt? Stund' dafur! Wer waß, wer 'n verhaut hat. I wir Ihna was sag'n: bleib'n S' dabei, Sö hab'n den Akt in Schneider geb'n (gemeint war der zweite Vorstand) und damit basta! Sagen S' ganz anfach, Herr Vurstand, den Akt hab' i Ihna geb'n, so wahr i dasteh, jetzt derinner i mi. Was kann er Ihna tuan, Herr? Sag'n S', was kann er Ihna tuan? Prost, Herr Schupf! Aber ehrlich und offen g'sagt, wia mir zwa Dschungelbrüada san . . . Hab' i Ihna je an' schlechten Rat geb'n? Fix Laudon . . . dö Akten, dö i heunt zum Einteilen hab'.«

Es war zur selben Zeit, da alle zwei Herren Vorstände ihren berufenen Stab um sich gesammelt und alle Möglichkeiten erwogen hatten, wie dem launischen Flüchtling auf die Spur zu kommen sei, der aus dem wohlbehüteten Neste der »Frist« oder eventuell »Registratur« seinen Weg in ganz unbekannte Weiten genommen. Man war versucht, an einen entkommenen Nesthäkling zu denken.

60 Ja, zur selben Zeit vertat Herr Schupf seine zwei entliehenen Kronen in Gemeinschaft mit dem von ihm gedungenen Diener. Beider Gesichter waren nicht allein von der Leidenschaft amtlicher Tätigkeit gerötet. Schupf, der sich wie ein von seiner Herde ausgestoßener Elefant vorkam, hatte sich dem die zwei Liter aufbewahrenden Diener angeschlossen und holte sich bei diesem Trost auf zweierlei Art.

»Seg'n S', Herr Schupf, so Dschungelbrüada wia uns därf gar nix genier'n,« erläuterte der Trostspender, indem er Akten für die Registratur, die haufenweise vor ihm lagen, für das Einordnen in die Fächer sortierte und den letzten Rest des Weines austrank. Plötzlich wurden seine Augen unnatürlich groß vor geheimer Aufregung.

»Was für a Zahl hat der Hundling g'habt?« vergewisserte er sich erst, indem er ein Konvolut anstarrte, das alle von Schupf schon hundertmal vorgebrachten Kennzeichnungen aufwies.

»Dreihundertfufzehn B, zwa, Strich, römisch vier,« würgte mit der Aufregung eines Mannes, der auf eine langgesuchte Goldader stößt, Schupf hervor.

»No . . . seg'n S', dann hab'n m'r 'hn. Da is er. Herr – a Glück hab'n m'r g'habt, a Glück, daß 's höher net geht. Schau'n S' Ihnern nur an, ob er's wirkli' is?«

Mit zitternden Händen griff Schupf nach dem ihm bekannten Ungetüm, das sich, einmal gesehen, der Erinnerung unauslöschlich einprägte. Ja, es war der kreisverzierte, ziffernbeschmierte, 61 hin und wieder etwas fettige Akt (nun, auch Akte haben ihre Schicksale), der in Schupfs verwirrten Vorstellungen geeignet schien, ein Staatsgefüge ins Wanken zu bringen. Dann aber legte sich ihm eine neue Zentnerlast der Sorge aufs Herz.

»Was mach'n m'r jetzt mit eahm?« frug er beklommen. Denn neue gewaltige Möglichkeiten tauchten empor. Er hatte erwiesenermaßen den Akt zuletzt in der Hand gehabt, hatte gegen das Hohnlächeln des zweiten Herrn Vorstands die Behauptung gewagt, diesem das Schriftstück übergeben zu haben (erst ziemlich in letzter Stunde war diese Behauptung auf den Rat des getreuen Dieners produziert worden), kurz – es türmten sich neue Berge von Schwierigkeiten auf.

»Was m'r jetzt mach'n?« antwortete der in allen Schulen der Lebenskunst erzogene Aushilfsdiener (nun, ist er schon definitiv, während Herrn Schupfs Schicksal noch heute in Schwebe steht). »Aber Herr! Den Akt hau'n m'r 'n Schneider zuwi. G'schwor'n hab'n S' heut eh schon a paarmal, daß er's bald selber glaub'n muaß. Mir von dö Dschungeln san ja 'brennt. Aber Herr . . .«

Und es geschah also zur selben Stunde, da der Herr Vorstand den verzwickten Fall neuerdings einem vor Schauern des moralischen Abscheus zitternden zweiten Beamtenschub auf das eingehendste erklärte.

»Es wird nichts anderes übrig bleiben, meine Herren, als daß ich an Ihren Privatfleiß appelliere. Die Tage sind jetzt licht und lang (o Himmel, vor Ostern!), und unserem vereinten 62 Bemühen muß die Auffindung des dringenden Stückes gelingen. Der Schuldige wird zu strenger Verantwortung gezogen werden, meine Herren, denn gewisse Dinge darf man doch nicht durch die Finger laufen lassen.«


Am nächsten Tage erschien Schupf mit dem unbekümmertsten Gesicht im Amte, als wäre seine amtliche Lammswolle nie beschmutzt worden. Alles harrte der Entwicklung der Dinge. Wenn die hohe k. k. Statthalterei noch einen Tag warten müßte! . . . Die Folgen waren wirklich nicht auszudenken. Und dann der schuldtragende Schupf, der sich so selbstzufrieden vor seinem leeren Tische rekelte . . .

Und dann auf einmal, es war so zur Frühstückspause, erschien der zweite Herr Vorstand und fragte mit der alten Leutseligkeit von stets: »No, mein liaber Schupferl, wia hab'n m'rs denn?«

O ihr wandelbaren Götter!

Am Abend tranken Kanzleihilfsarbeiter und Aushilfsdiener Bruderschaft. Selbstverständlich für den außeramtlichen Gebrauch. Was den Akt anlangt – nun, es zieren ihn immer noch neue Kreise. Die Wißbegierde der hohen k. k. Statthalterei hat bis heute noch nicht die laufenden zwei Kronen vierzig einzubringen vermocht. 63



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