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Kalt und grau starrt die Eiswelt, darüber wölbt sich der blaue Äther. Im Osten kündet eine schwache Röte das Nahen des ersehnten Weltlichts. Im pulverigen Schnee des Kleinvenedigers steht windumtost ein Tourist, durch das Gletscherseil verbunden nut zwei Bergführern, zur kurzen Rast, um den Lungen eine kleine Erholung zu gönnen.
Im Sturmwind, der bitterkalt weht und den Körper durchschauert, schwingt sich das menschenverbindende Seil, bis der Leiter der Expedition durch einen Ruck das Zeichen zum weiteren Anstieg giebt. Tief sinkt der eisenbewehrte Fuß ein in den pulverigen Schnee, den in solcher Höhe die Sonne nicht mehr tagsüber erweichen, der daher über Nacht auch nicht gefrieren kann. Immer aufwärts!
Neben dem weißen Zelt des Rainerhorns tritt in hehrer Majestät der König dieser Eiswelt, der Großvenediger, in die Erscheinung, ein gigantisches Schneehorn in unheimlicher, düsterer Farbe, grau und starr. Diesem Gipfel gilt der erwartungsvolle Blick, ihn zu bezwingen, soll alle Kraft aufgewendet werden.
Hell wird es ringsum in der Eiswelt, am Kegel des Rainerhorns flammt es auf, die Firnfelder der Schwarzwand erglühen – Sonnenaufgang in der Eiswelt! Welch ein Schauspiel!
Doch grau und düster bleibt der König selbst. Soll ihm Aurorens Morgenkuß versagt bleiben? Kann ein majestätischer Eisgipfel von solcher Erhebung ausgeschlossen sein vom rosigen Licht, das die ganze Welt umfängt?
Betroffen hält der Tourist inne, der fragende Blick gilt diesem Rätsel. Am straffgespannten Seil stehen gleichmütig die Bergführer, sie läßt diese Naturerscheinung kalt und ihre Gedanken gelten nur dem »schwachen Steiger«, der vor dem letzten Stück der Eiswanderung zu zaudern scheint, vielleicht steigunfähig geworden ist.
Graf Egon Rothenburg, der staunende Tourist, versucht eine Drehung am Seil, der Führer an der Spitze tritt einen Schritt zurück, um für die Bewegung des »schwachen Steigers« im Seil Luft zu geben. Ein Blick nach rückwärts klärt das Phänomen auf: das große Wiesbachhorn hält den Sonnenstrahl, der links und rechts die Firnwelt überflutet, auf, dieser gigantische Nebenbuhler, der dritte im Bunde dieser Riesenferner, verwehrt dem Venediger den Morgengruß Aurorens, im Schatten des Wiesbachhornes trauert die Venedigernadel grau und starr.
Doch höher und höher klettert der Sonnenball, zu beiden Seiten des Wiesbachhornes brechen die Strahlenbündel aus, die Eiszinke wird überstiegen, und im Nu erglüht der Venediger wie ein Jüngling unter dem ersten süßen Kuß der geliebten Braut.
Licht allum, strahlender Glanz und Schimmer. Der vom Wind aufgewirbelte Firnschnee glitzert und funkelt diamantengleich, märchenhafte Musik ertönt leise, hervorgerufen durch das Klingen und Klirren der feinen Eisnadeln des Gletscherschnees, welche in die gähnenden Eisschründe sausen. Krystallmusik!
Ein Ruck am Seil, der Führer an der Spitze drängt zum letzten Anstieg. Immer höher, hinan zum Gipfel des lockenden, glänzenden Venedigers. Langsam, Schritt für Schritt auf der letzten Firnkante. Dennoch geht der Atem kurz und hastig, in der dünnen Luft haben die Lungen doppelte Arbeit. Bleich werden die Gesichter, auch die der wetterharten Führer.
Staubschnee bedeckt das Firnfeld auf scharfer Schneide, glänzend und blendend, dem Wanderer schwere Hindernisse bietend, ihm zeigend, daß es nicht jedem vergönnt ist, in die nächste Nähe eines Bergkönigs zu gelangen.
Schier atemlos, erschöpft keucht Graf Egon aufwärts am straffgespannten Seil, das geblendete Auge starrt in die sich öffnende Aussicht nach Ost, West und Süd, ohne das gewaltige Bild erfassen zu können. Da – ein Blick nach vorne – in unmittelbarster Nähe taucht das kühne Horn des Venedigers auf, schillernd und glitzernd im Eismantel, übergossen von flimmerndem Licht, und darüber der dunkelblaue Himmel.
Noch ein Anstieg, die letzte Schneewächte ist erreicht, der Großvenediger bezwungen. Rasch die Steigeisen abgeschnallt, um die unerträgliche Schneekälte von den Füßen wegzubringen, dann gilt der Blick dem herrlichsten aller Schauspiele auf Erden.
Trunken, beseligt richtet Graf Egon den Blick in die Eiswelt ringsum, die für ihn eine besondere Bedeutung hat, sein Auge sucht die Glocknergruppe, die in blendender Pracht östlich aufstarrt, und deren höchste Erhebung im Großglockner, wie hier der Großvenediger, zum Wirkungsbereich des neuen Bezirkshauptmanns gehört.
Vor wenigen Tagen hat der Gletscherherr, der Bezirkshauptmann von Lienz, den Glockner bestiegen, heute galt die mühevolle Gletscherwanderung dem zweiten Unterthanen.
»Meine Berge!« rief Graf Egon und hielt betroffen inne, denn dünn wie aus einer Kinderkehle klang seine sonst sonore, kräftige Stimme. Kaum daß die zwei Führer aufhorchten; die akustischen Verhältnisse auf solcher Höhe verschlingen menschliche Laute oder machen sie fast unhörbar.
Ein Schatten flog herunter und verhüllte die Venedigernadel mit den kühnen Steigern. Woher sie nur so schnell gekommen sein mag, diese gewaltige Wolke im blauen Äther! Und von allen Seiten schwimmen dunkle Wolken auf die Glocknergruppe zu, über welcher sie sich zu einer ungeheuren Bank vereinigen.
Sorglich beobachten die Führer dieses Schauspiel wie den umgesprungenen Wind, der ihnen nimmer gefallen will, daher sie, wozu auch die Kälte treibt, zum Abstieg drängen. Dräuend, unheimlich wogt die dunkle Wolkenmasse über dem Glocknergebiet, wirre Nebelschleier tauchen auf und treiben diesem Chaos zu, sich zu vereinigen. Es raucht aus allen Thälern gespenstisch herauf. Verschwunden das helle Licht, graue Dämmerung liegt über diesem versteinerten Meer von Eis und Fels.
»Gilt diese Drohung mir?« flüsterte Egon, der neue Bezirkshauptmann.
»Auf!« rief der Führer und seilte sich und den Touristen wieder an. Flink versorgte sich der zweite Bergmensch am Seil, und der Proviantrest wurde im Schnerfer untergebracht. Ein Ruck des Vordermannes am Seil und hurtig ging es im weichen Schnee den Steilhang hinunter mit dem willenlosen Touristen, dem Sattel zu zwischen Klein- und Großvenediger, welchen ein wütender Sturmwind umtoste.
Der Abstieg gilt dem Schlatenkees, die Expedition steuert dem Gschlöß zu mit thunlichster Eile, denn wirr wirbelnder Neuschnee fordert rasches Verlassen der Eisregion. Dumpfer Donner der breiten Sturzfälle begleitet die Wanderer.
Wo sonst die Klüfte des Schlatenkeeses entzückend blauen, im Schneesturm verschwindet diese Herrlichkeit, das wirre Geflock verdeckt das Farbenspiel ewigen Eises und bildet trügerische Brücken, denen rechtzeitig auszuweichen höchste Sorge des Bergführers ist.
Gefahr ringsum! Sturm und Eisnadeln umtosen die Bergfahrer, schlagen schmerzend in die Wangen, trüben den Blick.
Kein sicherer Tritt mehr im trügerischen Neuschnee, im weißen Chaos, wo überall der Tod lauert.
Dennoch vorwärts, es gilt das Leben.
Egon hatte alle Träumerei abgeschüttelt, sich ermannt im wachsenden Verständnis der Gefahr; tapfer und furchtlos schreitet er im straffgespannten Seil vorwärts in die Tiefe. Die Führer sind dieser Wanderung wie dem Schneesturme gewachsen, echte Matreyer Gestalten, erprobte Bergführer, die mit den Kameraden von Kals und Heiligenblut wetteifern und gleich tüchtig sind.
Der Tauernbach, zischend und tosend, zwängt sich durch das Gewirr von haushohen Glimmerblöcken, die der Natur Urgewalt einst von den Eismauern geworfen – der oberste Teil vom Gschlöß ist erreicht.
Der Vordermann steht und winkt. Doch Graf Egon, vom Wirbelschnee geblendet, stapft weiter, erst ein Ruck am Seil des Hintermannes belehrt ihn, einzuhalten. Die Führer treten zum Touristen, seilen ihn los und erklären, die Gefahr sei überwunden, es empfehle sich, in einer der Gschlößhütten zu übernachten, die in der nächsten Viertelstunde erreicht sein werde.
»Dank Euch für diese wackere Führung!« sprach der Graf.
Bescheiden wehrte der Vordermann ab. »War nit so arg! Wenn Sie's erlauben, führen wir Ihnen zur Gschlößhütten und gehen dann hinunter nach Matrey. Wir möchten gern heim, mit Verlaub!«
»Nur zu! Doch vorerst in die Hütte! Der Sturm ist doch zu ungemütlich!«
»Keine Angst, Herr! Kann leicht sein, ischt morgen 's beste Wetter! Er hat halt seine Mucken, der Großvenediger, wie alle großen Herren!« lachte der Vordermann, und sein Kamerad grinste dazu.
Trüb und kläglich präsentierte sich das Hochthal Gschlöß. Im Wirbelschnee und den Pfützen allum schien es, als sollten die Sennhütten ertrinken. Blökend stand das Vieh in den primitiven, zum Schutz gegen Wettersturz erbauten Ställen, die weiter nichts als einige Dächer auf Pfählen sind.
An einer Hütte machten die Wanderer Halt und einer der Führer trat lärmend ein, Quartier für den Touristen fordernd. Eine braunverwitterte Hütte, die anspruchslosen Gästen zur Not als Sommerfrische dienen kann, mit einigen Holzgelassen und dürftiger Einrichtung.
Bald kam der Bergführer mit dem Senner heraus.
»Herr, haben S' die Ehr' und nehmen S' Quartier! Für einen langt es noch, die zwei anderen Stuben haben zwei Weibets. Fehlt sich nix, Herr!«
Rasch erledigte nun Graf Rothenburg die Ablohnung der Führer, seine Extraspende rief bei den sonst so ernsten Bergmenschen hellen Jubel hervor, und ihr Jauchzen klang noch zurück ins verschneite Gschlöß, als die Bergführer bereits im Abstieg zum Tauernhaus begriffen waren.
Der schlanke Aristokrat konnte nun sein Gelaß in der Gschlößhütte beziehen und den Touristen durch Toilettewechsel in einen gesellschaftsfähigen Menschen verwandeln, soweit der Schnerferinhalt hierzu Material bot.
Jetzt präsentierte sich Graf Egon wesentlich anders, als vorher im Kostüm des Hochtouristen. Eine mittelgroße Figur, schlank, fast zierlich von Gestalt, mit edelgeformtem Gesicht und rötlich-blondem Schnurrbart, hellblickenden Augen und sorgfältig gepflegtem, blondem Haupthaar. Unverkennbar trat der Typus des österreichischen Vollblutaristokraten in Erscheinung und Allüren hervor, jede Bewegung Noblesse und Diskretion ausdrückend, die sogleich ihre Bethätigung fand, als Graf Egon durch die dünnen Holzwände der einfachen Hütte Stimmengeflüster aus der Nachbarstube vernahm.
Was nun für den Rest des Tages und im Zustande begreiflicher Ermüdung nach vollbrachter Venedigertour beginnen?
Egon steht am Hüttenfenster und blickt durch die halbblinden, spinnwebenumzogenen Scheiben hinaus in die trostlose Öde. An den Fenstervertiefungen hat sich Schnee angesetzt, es wirbelt winterliches Geflock unablässig hernieder, ein wahrhaftiger Wintersturm im September als Mahnung zu rascher Sommerfrischebeendigung auf einsamer Höhe. Was nun beginnen, um die Zeit bis zum Abend zu verbringen?
Egon hat keine Lektüre mit, den Proviantrest nahmen die durch solche Spende erfreuten Führer mit; wenn der Senner nichts bieten kann, wird sich der Hüttengefangene hungrig in das wenig verlockende Hühnerfedernbett legen müssen.
Gedämpfte Stimmen klingen herein, dann das Geräusch von Stuhlrücken, und alsbald schwirrt Saitenklang leise ins Gemach, eine Zither wird gestimmt. Egon horcht auf. Mutmaßlich rüsten die Damen, welche der Bergführer drastisch »Weibets« genannt, sich zu einem Konzert in der Hochwildnis. Eine metallisch harte Stimme singt unter Zitherbegleitung frisch und schneidig:
»Der Adam hat d' Lieb auf'bracht,
Der Noah 'n Wein,
Der David'l 's Zithernschlag'n,
Müssen Tiroler g'west sein!«
»Alle Wetter!« flüsterte Egon vor sich hin und seine Gedanken versuchten, ein Bild der unsichtbaren, zweifellos schneidigen Sängerin zu entwickeln. Dem Dialekt nach muß die Dame Tirolerin sein, ob der Schneid' vielleicht etwas emancipiert oder mit einem Mangel von gesellschaftlichem Firnis behaftet. Vielleicht auch glaubt sich die kecke Sängerin unbelauscht, daher das frische Dreingehen mit dem neuen Verschen:
»Im heurigen Jahr
Geht all's Paar und Paar,
Grad' i' bin alloan,
Wie a Stoandl am Roan.«
Munteres Saitengeschwirr im Ländlertakt folgt dem übermütigen Schnaderhüpfl und lustiges Gekicher darauf. Die harte Stimme schmettert dann in einem Anflug von Appenzeller Dialekt:
»All' Lüt' händ Schätzeli,
As i ha' no' kei's;
Es gilt an' Sechsbätzi,
I krieg amol ei's!«
Ein heller Jauchzer schloß das Schweizer Schnaderhüpfl, der Fußboden zitterte, die Sängerin schien einen Solotanz zu absolvieren.
Unwillkürlich sprach Egon: »Na, das kann gut werden!«
Doch alsbald trat Ruhe im anstoßenden Gemach ein, kaum ist das leise Zitherspiel zu hören, eine Art Präludium ernster Art. Und zu dem weichen Saitenspiel begann nun eine andere Mädchenstimme von bezauberndem Wohlklang süß und lieblich zu singen:
»Von meine Berg' muß ich steig'n,
Wo's gar so lieblich ist und schön,
Kann nimmer in der Heimat bleiben ...«
Unwillkürlich war Egon näher zur Holzwand getreten, um keinen Laut dieser sympathischen Stimme zu verlieren, und mit wohligem Behagen sog sein Ohr diese melodischen Schmeicheltöne ein.
Um so grausamer war die jähe Unterbrechung des süßen Gesanges durch den rauhen Ruf des Senners:
»Der Retzel Retzel = Mehlspeise, bayerisch Schmarrn genannt. ischt firti, kemmt's essen, Weibets!«
Eine Thür flog krachend zu, und gleich darauf ward die Thür zu Egons dürftiger Stube aufgerissen, der verwilderte Senn erschien beim Grafen und gröhlte: »Wennst Hunger hascht, kimm!«
Ein Lächeln huschte über des jungen Grafen schön geschnittene Lippen, Egon dankte und fragte: »Wo ist der dining room?«
Der Senn grinste ob des ihm unverständlichen Wortes und erwiderte: »Kimm in die Kuchel, da essen wir alli z'sammen!«
Sofort folgte Egon dieser Aufforderung zum Diner, weniger aus Hunger denn aus Neugierde, die Sängerinnen auf dem neutralen Boden der gebirglerischen Table d'hote kennen zu lernen.
Der dining room war die echte Sennküche, raucherfüllt, schwarz, kaum vom knisternden Spreißelfeuer des offenen Herdes etwas erleuchtet. Schon beim ersten Schritt in diesen stickigen Raum ward Egon von einem Hustenreiz befallen, der Qualm benimmt den Atem. Schon will der Graf zurückweichen, da mahnt der Senn: »Hock Di' nieder, aftn geniert Dich der Rauch nimmer!«
Eben wirbeln die Damen in die schwarze, qualmige Küche, und mit deren Verhältnissen vertraut, nahmen die Mädchen sogleich an dem in einer Ecke angebrachten Tische und den Stühlen Platz. Über die Köpfe der Damen zog der Rauch hinweg, ohne Belästigung der sitzenden Personen, während der aufrecht stehende Gast direkt im Qualm sich befand und hustete, daß ihm das Wasser aus den Augen schoß.
Die Dame mit der harten Metallstimme rief denn auch wohlmeinend: »Setzen, Herr, sonst versticken Sie!«
Egon verbeugte sich, so schlecht dies im heftigsten Hustenanfall ging, und befolgte den Rat, indem er am Küchentisch Platz nahm. Sitzend war auch er vom Rauch nicht weiter belästigt und bald vom Stickhusten befreit, so daß er seinen Blick auf die Damen richten und sich vorstellen konnte.
»Graf Rothenburg,« sprach Egon unter höflicher Verbeugung, welche die kleinere junge Dame durch liebliches Kopfnicken erwiderte und dabei lispelte: »Ida Piffrader.«
Die harte Stimme erklang: »Ich heiße Hedwig Zoderer. Sind Sie ein wirklicher Graf?«
Die Dunkelheit in der Hüttenküche hinderte Egon, das kecke Fräulein zu betrachten, welches die schnippische Frage selbst zu bereuen schien, indem Hedwig wie entschuldigend beifügte: »Wissen S', Euer Gnaden, da heroben im Gschlöß sind wirkliche Grafen etwas Rares!«
»Da habt's den Retzel! Hiatz esset, und plauschen könnt's Ihr spater!« gröhlte der Senn und stellte die rußige Pfanne auf zwei Hölzer, die zum Schutz der Tischplatte vorher aufgelegt worden waren.
Sanft bat die zierliche Ida: »Hansl, die Löffel, sei so gut!«
»Jessas ja, die hun i' ganz vergessen! Freilich, die Weibets können decht nit mit die Fingerln zugreifen!« meinte der Senn und legte die Blechlöffel auf den Tisch.
Nun hieß es einfach zulangen und schlankweg aus der Pfanne essen, denn Teller hatte der Herbergsmann nicht im Besitz.
Die starkknochige Hedwig, eine Erscheinung vom echten Pusterthaler Typus, lachte auf: »Gelten S', Herr Graf, so feines Service ist Ihnen gewiß was Neues!«
Ida errötete vor Verlegenheit über die Keckheit der Freundin und vermochte keinen Bissen hinabzubringen.
Egon wußte sich in diese Gesellschaft nicht mit gewünschter Raschheit hineinzufinden, und den fettigen Blechlöffel auch nur anzugreifen, war dem Aristokraten völlig unmöglich.
Der Senn bemerkte den Widerwillen des Herrn und brachte ihm ein Gläschen Meisterwurzgeist, gutmütig sagend: »Trink erscht a Tupfele Geischt, Herr, aftn schadet Dir's Butterschmalz nit im schwachen Magen!«
»Danke, mein Lieber!« erwiderte Egon und nippte von dem scharfen Schnaps, dessen wenige Tropfen wie Feuer im Gaumen brannten. Um die Aufmerksamkeit abzulenken, fragte der Graf hüstelnd: »Die Damen scheinen gleich mir in dieser Einöde eingeschneit zu sein?«
Während sich Ida begnügte, bejahend zu nicken, ergriff Hedwig bereitwilligst die Gelegenheit, das Wort zu führen. »Sie irren, mein Herr! Wir sind keine streunenden Touristen, wir sind wahrhaftige Sommerfrischlerinnen!«
»Wie? Hier in dieser unwirtlichen Höhe soll eine Sommerfrische sein?« fragte erstaunt Graf Egon.
»Und ob! Die feinste Sommerfrische im ganzen Osttirol! Unser Gschlöß sieht bloß heut so miserabel aus; sonst aber ischt es ein feines Platzl, hoch und gut. Eine so gute Luft finden S' nicht leicht wo anders!«
»Ja, aber –« meinte Egon einwenden zu sollen.
»Sie meinen von wegen der Unterkunft und Verpflegung? Ja, für verwöhnte Stadtherren ischt 's Gschlöß freilich kein Aufenthalt!«
Ida erglühte und mahnte die Freundin: »Aber Hedwig!«
»Laß mich nur schwätzen, der Herr Graf – wie heißen S' eigentlich?«
»Graf Egon Rothenburg, der Gnädigsten aufzuwarten.«
»Schön von Ihnen, Herr Graf, wenn S' wirklich einer sind.«
Nun wurde die zierliche Ida böse, und sich an den Grafen wendend, bat sie, die übermütigen Reden der Freundin gütigst entschuldigen zu wollen, sie seien nicht eben übel gemeint, immerhin unpassend.
Egon verbeugte sich dem zierlichen Fräulein gegenüber und lud mit einer eleganten, doch Spott ausdrückenden Handbewegung Hedwig ein, ihre Bemerkungen fortzusetzen.
Beim flackernden Schein des Herdfeuers hatte Hedwig jedoch das Blitzen eines wertvollen Brillants am Finger des Grafen wahrgenommen, und dieser Anblick beseitigte in dieser gebirglerischen Unschuld jeglichen Zweifel an der Echtheit des Grafentitels. »Alsdann, Herr Graf, wissen S', im Gschlöß sommerfrischeln bloß arme Geistliche und Leut' aus Lienz und Matrey, die um billiges Geld eine gute Luft haben wollen. Wir sind die Schmalzkost gewöhnt und die schlechte Unterkunft auch. Ich und die Ida sind heuer schon den zweiten Sommer heroben im Gschlöß, für diesmal freilich waren wir die längste Zeit da, denn es herbstelt schon tüchtig.«
»Fast könnte man sagen, es wintert!« fügte Egon ein.
»Glauben S' decht das nicht, Herr Graf! Wenn S' ein bissel Glück haben, ischt es morgen der schönste Tag und da werden S' gucken, wie es schön ischt heroben im Gschlöß!«
Zu Lob und Preis dieses einsamen Hochthales ergriff nun auch Fräulein Ida das Wort und schilderte warmfühlig und in auffallend wohlgewählten Worten die Schönheit des Gschlößhochthales, das bezaubernde Wasserspiel der Sturzfälle und die Herrlichkeit der schimmernden Eiswelt.
Mit Wohlbehagen hörte Egon dieser melodischen Stimme und begeisterten Schilderung zu, die wie bestrickende Musik erklang. Und fast schmerzlich berührte es ihn, als Hedwig, in der Ungeduld, auch wieder zu Wort zu kommen, das Loblied Idas mit der Frage unterbrach, ob nicht noch etwas musiziert werden sollte.
»Es wird wohl schon zu spät dazu sein,« meinte Ida und griff nach dem Glase Wasser, das der Senn nach dem Abräumen vor jeder Dame auf den Tisch gestellt hatte.
Erschreckt rief Egon: »Gnädiges Fräulein werden doch nicht auf die fette Speise Wasser trinken wollen?«
Statt Ida erwiderte die redelustige Hedwig: »Mit Verlaub, Herr Graf, ein Tiroler sind Sie nit, sonst müßten Sie wissen, daß zum Retzel das Wasser am besten schmeckt.«
»Nicht möglich!«
»Wohl, wohl! Wenn einer zum Retzel einmal Bier trinkt, schmeckt ihm die Schmalzkost nimmer. Der Mann ischt dafür verdorben. Aber nun wollen wir noch eins singen!«
»Den Damen sehr verbunden. Doch verstatten Sie eine Frage: Wo ist das Musikzimmer?«
Die Fräulein lachten lustig auf, und Hedwig belehrte den mit den Hüttenverhältnissen so sichtbarlich unvertrauten Gast dahin, daß es außer den bereits bewohnten Zimmerchen nur einen gemeinsamen Raum, die Küche, gebe. Bei dem jetzigen Schneewetter wäre zudem ein Aufenthalt anderswo viel zu kalt.
»Wenn die Damen also geruhen wollen, Polyhymnia zu Wort kommen zu lassen – der Raum für Musen und Grazien ist allerdings wenig entsprechend.«
»Herr, Du hast ja noch keinen Brocken g'essen!« fiel der Senn so plump dazwischen mit seinen rauhen Gutturaltönen, daß sowohl die Fräuleins wie Graf Egon ob dieses Kontrastes lachen mußten.
»Bald's Du mir a Cigarren schenkst, Herr, kannst mich auslachen wie d' magst!«
Hedwig lachte: »Unser Hotelier ischt wenigstens gut verständlich! Spenden Sie eine Cigarre, Herr Graf, ich will dem wackeren Hansl eine Cigarette schenken!«
Egon erklärte, kein Raucher zu sein und daher leider nicht dienen zu können.
»Was, der Herr raucht nit? Da bischt netta a halbeter Mensch!« rief der enttäuschte Senn, dem nun Hedwig eine Cigarette anbot. »Na, Weiberl, selle Luftverpester mag i nit!« gröhlte Hansl und wies die Cigarette enttäuscht zurück.
Ida kicherte belustigt: »Luftverpester in dieser Hüttenküche und mit solchem Qualm ischt gut!«
Indes sich Hedwig eine Cigarette anzündete und munter paffte, stopfte Hansl sein Nasendampfl, eine kleine kurze Meranerpfeife, zum beginnenden Entsetzen des Grafen, und legte dann ein Stückchen glühender Kohle auf den feuchten Tabak. Schon die ersten Wölkchen aus dieser Pfeife gaben ein Aroma, das den Nichtraucher ängstlich werden ließ.
Hedwig lachte: »Es wird schon noch besser! Wir sind diesen Tabak aber schon gewohnt, und immer ischt man ja nicht gefangen durch das Grobwetter!«
»Ist denn Hübsches zu unternehmen von hier aus?« fragte Egon und bemühte sich, einen Hustenanfall niederzuzwingen.
Ida gab abermals eine Schilderung der Umgebung, eine Schilderung, die deutlich eine höhere Bildung erkennen ließ und wesentlich von jener Hedwigs abstach. »Herr Graf sollten den nächsten Sonntag im Gschlöß verbringen und unsere Kirche besuchen.«
»Hier in dieser Einöde eine Kirche?« fragte verwundert Egon.
»Herr Graf sind an derselben vorbeigegangen und haben sie, wohl geblendet vom Schneetreiben, nicht bemerkt. Die Gschlößkirche ischt eine Kapelle, ausgehöhlt aus einem der haushohen Glimmerblöcke, die in grauer Vorzeit das wandernde Eis herabgetragen haben mag. In solchem Felsenkirchlein ein andächtig Gebet zu verrichten, ischt wohlig. Der Mensch glaubt sich hier oben in der Eiswelt dem Allmächtigen näher als unten im Thale und der Niederung!«
Vom Herd leuchtete es auf in züngelnden Flämmchen, der rote Schein verklärte das zarte Antlitz Idas und ließ erkennen, daß das zierliche Mädchen von bezauberndem Liebreiz umflossen ist. Doch nur zu schnell erlosch der freundliche Schein und trübe Dunkelheit erfüllte alles in der Küche, die von Hansls Tabakswolken erfüllt war. Länger zu verweilen in dieser beißenden Tabaksluft ward Egon zur Qual; auch Ida begann zu hüsteln, und so wurde die Abendsitzung zum Mißvergnügen Hedwigs, die noch eine Cigarette rauchen wollte, aufgehoben. Die Fräuleins bezogen ihre Stube, und Egon suchte fröstelnd sein Gemach auf.
Das fröhliche Gebimmel der Blechglocken des zur Weide schreitenden Almviehes weckte Egon, der alsbald ins Freie trat und mit Entzücken den klaren Himmel, den herrlichen Morgen im schönen Hochthal beschaute.
Wundersam leuchtet das Schlatenkees, durchzogen von himmelblauen, vielfach gewundenen Klüften, der Tauernbach tobt im gigantischen Schaumsturz zu Thal, dessen Gischt im Sonnenlicht wie Milliarden Diamanten erstrahlt. Majestätischer Donner rollt darüber. Ein Rauschen und Toben hier, und oben das Schweigen des gewaltigen Eismeeres.
In den Schaumsturz des Tauernbaches werfen sich wie im tollen Jubel andere Gletscherbäche im lotrechten Fall, so daß der Gischt haushoch aufstäubt und im Sonnenlicht Regenbogenfarben erscheinen in blendender Pracht. Mancher dieser Bäche, der hoch oben als breiter Fall wallt, versickert in der Tiefe und erreicht das stäubende Wasser nur in Gestalt von Strahlen, die, in ansehnlicher Entfernung voneinander aus Spalten und Felsen gepreßt, einem Springbrunnen gleichen, dessen breiter Strahl durch die Löcher einer Gießkanne getrieben wird. Ein wundersamer Anblick, diese von den Felsen zerschlagene Kraft, die dennoch vermöge ihrer lebendigen Stärke selbst durch Risse und Berghöhlen den Weg zu Thal zu finden weiß.
Staunend, ergriffen betrachtete Egon dieses gewaltige Schauspiel in der Eiswelt, über welches der reinste Himmel blaute. Wer hätte geahnt, daß hier eine solche überwältigende Alpenschönheit zu finden sei! Gestern der wütende Schneesturm, heute ein köstlicher Morgen, herbstlich frisch, doch von bezaubernder Reinheit.
Egon erinnerte sich an die schwärmerische Schilderung des Fräulein Ida über die Felskapelle und begann dieses Bauwerk zu suchen. Am stäubenden Bach, in dessen Sprühregen die Regenbogen schwankten, lagen Glimmerblöcke, und in einem dieser haushohen Kolosse war richtig die Kapelle, ausgehöhlt, geschmückt mit Altar, versehen mit ein paar Betstühlen.
Leisen Schrittes betrat Egon dieses einzige Gotteshaus, in welchem Dämmerung herrschte, so daß das Auge sich erst daran gewöhnen mußte.
Eine weißgekleidete Gestalt kniete am Betstuhl, die Morgenandacht verrichtend.
Wie schlicht dieses Kirchlein ist, und wie es wirkt in dieser Einfachheit auf das Menschengemüt, so erhebend, befreiend! Draußen der schimmernde Sonnenglanz, das Flimmern der Eisfelder und Wasserstürze, hier im Innern Ruhe und mystische Dämmerung; kein stolzes Münster, nur eine Kapelle im gigantischen Felsblock und dennoch ergreifender wirkend, mahnend an Zeiten, die vor Jahrtausenden gewesen.
Egon trat ins Freie, aufatmend im belebenden Sonnenschein, und bald darauf erschien auch Ida, die weißgekleidete Beterin, dem Gschlößgast einen guten Morgen darbietend.
Ein Wonnegefühl durchlief Egon beim Beschauen dieser Mädchenblume, und herzlich drückte er Idas schmale Hand. Im Sonnenlicht zeigte sich, wie bildhübsch dieses Mädchen ist in knospenden Formen, das reiche nußbraune Haar in Zöpfen geflochten und um den zierlichen Kopf gesteckt, den Glanz reiner Jugend und Tugend in den braunen Rehaugen, die liebliche Sanftmut künden, Treue und Hingebung. Schön geschnitten die Lippen, perlengleich die blinkenden Zähnchen, leicht gerötet die zarten Wangen, feinknochig; ein Hauch von Weichheit liegt über diesem zierlichen Geschöpf, das eher einer Prinzessin gleicht denn einer –
»Wer sie wohl sein mag?« fragte sich Egon und wollte eben die Lippen auf das schmale Händchen drücken.
»Nicht doch, Herr Graf!« sprach sanft das Fräulein und zog die Rechte zurück, »das ischt nicht Brauch in der Eiswelt! Doch was ich fragen wollte: Sind Herr Graf zufrieden mit diesem Morgen?«
»Ich preise das gestrige Unwetter, das mich zwang zur Zuflucht, denn ohne die Einkehr wäre mir dieser zaubervolle Alpenmorgen wohl nicht zu teil geworden.«
»Ja, unser Gschlöß ischt einzig im Sonnenlicht! Man übersieht gern, daß es im Innern dieses Alphüttendorfes weniger verlockend ist. Dafür aber, sehen Sie dort, die Pracht der Eispyramiden in der Farbe des Vergißmeinnicht und andere dunkel wie die Blüte des Eisenhutes. Und blicken Sie tiefer, ist es nicht, als träte der Fuß in Silber und Seide?«
»Wie meinen das gnädiges Fräulein?«
»Hier das Gras, welches am Boden wuchert, ist es nicht vergleichbar mit silberglänzenden, seidegleichen Büschen, die den Firnschmelz im Sonnenglanz nachzuahmen suchen?«
»Ich staune über Ihre Kunst der Vergleiche und farbenreichen Schilderung, welche dem Fremdling die Augen öffnet, ihn sehen lehrt!«
»Solche Kunst, so sie überhaupt eine zu nennen ist, lernt sich von selbst durch längeren Aufenthalt heroben.«
»Das will ich gerne glauben; doch fehlt das geschulte Auge, wird auch das Sehvermögen mangelhaft bleiben. Ich darf mich guter Augen rühmen, und dennoch hätte ich ohne Ihre gütige Beihilfe das seltsame Gras nicht gesehen, wiewohl wir mitten in diesen seidegleichen Büscheln stehen. Ein herrlich Fleckchen Erde und glücklich derjenige, der es mit freier Zeit gemächlich bewohnen, kennen lernen darf und kann!«
»Ja, es ischt schön heroben für anspruchslose Gäste! Der Abend im Hotel Hansei wird Ihnen genügenden Aufschluß über den Mangel jeglichen Komforts gegeben haben! Tirol ischt keine Schweiz, Herr Graf, und ich denk', es ischt gut so. Ein städtisches Hotel hier im Gschlöß müßte die ganze Alpenschönheit zerstören, meinen Sie nicht auch?«
»Ich denke doch, im Bezirke Lienz und Matrey habe der Fremdenverkehr belebend und befruchtend gewirkt, so daß sich auch die Unterkunftsstätten bessern und mehr bieten könnten!«
»Herr Graf sind wohl völlig fremd hier, denn sonst würde Ihre Ansicht eine andere sein. Es hat lange genug gedauert, bis bei uns überhaupt erkannt wurde, daß der Verkehr gewinnbringend an sich sei. Inzwischen steigerte sich lediglich die Profitgier, man bietet möglichst wenig und verlangt soviel wie in komfortablen Hotels. Suppenteller als Waschbecken werden Sie häufig antreffen.«
Egon lachte auf.
»Das ischt keine Übertreibung, ich bin aus Lienz und habe Erfahrungen!«
»Gnädiges Fräulein sind aus Lienz?«
»Bitte, Herr Graf, lassen Sie das ›gnädige‹, weil mir nicht gebührend, weg, oder –«
»Oder?!«
»Ich sage fürder ›Euer hochgräfliche Gnaden‹ zu Ihnen! Doch nun soll das Frühstück folgen; die Siebenschläferin Hedwig dürfte inzwischen auch schon auf sein!«
»Die Damen haben wohl einen Ausflug vor?«
»Doch nicht! Aber falls Herr Graf nichts dagegen haben, werden wir Sie gerne bis zum Tauernhaus hinabbegleiten!«
»O weh! Fräulein mahnen mich zur Abreise.«
»Nicht doch, Herr Graf! So es Ihnen heroben gefällt, werden wir Sie nicht verdrängen. Allzulang wird unser Aufenthalt im Gschlöß nicht mehr dauern; unsere Sommerfrischzeit endet mit den nächsten Tagen.«
»Fräulein ziehen dann nach Lienz?«
»Gewiß, dort ischt unsere Residenz!«
Egon hatte eine weitere Frage auf der Zunge, doch sprach er sie nicht aus, ebensowenig sagte er, daß das Geschick auch ihn nach Lienz führen werde. Dafür streifte sein schönheitsfreudiger Blick die zierliche Mädchengestalt, die nun der Hüttenherberge zu wippte, wie ein Bachstelzlein dem murmelnden Wässerchen zu. Und knapp vor dem Hütteneingang drehte sich Ida graziös um und rief dem Grafen zu: »Wie wäre ein Frühstück im Freien? Bei solchem Prachtmorgen ischt ein Aufenthalt im dining room doch schrecklich!«
»Einverstanden, mit Freuden stimme ich bei!« erwiderte Egon.
Ida verschwand in der Hütte.
Der Graf hatte Zeit, über mancherlei nachzudenken; so über die offenkundige feinere Bildung und das geschulte Benehmen dieses jungen Fräuleins, mit dessen Schliff der tirolische Dialekt manchmal scharf kontrastierte. Wer dieses reizende, sanfte Persönchen nur sein mag? Die Personalien festzustellen soll eine der ersten Aufgaben Egons als Bezirkshauptmann in Lienz sein, das nahm der Graf sich nun fest vor.
Es dauerte ein Weilchen, da erschienen beide Fräuleins und schleppten die Stühle aus der Qualmküche heraus, hinterdrein trug der ob solcher Neuerungen schimpfende Hansei den wackeligen fettglänzenden Tisch und stellte ihn vor der Hütte auf.
»So, da habt's ihn! Alles wegen so einem verzwickten Stadtfrack!« polterte Hansei und stapfte in seinen eisenbeschlagenen Holzschuhen in die Küche zurück.
»Guten Morgen!« sprach die derbknochige Hedwig zum Grafen und holte dann in einer Flasche Wasser vom nahen Brunnen, während Ida in die Küche eilte, um die Milch- und Kaffeekannen herauszutragen. Die Geschirre hatte sie auf einem Zirbenteller, den sie so sicher trug, als sei das Servieren ihr zur Gewohnheit geworden. Allerliebst hatte Ida die Ärmel des weißen Kleides aufgestülpt, so daß die Arme sich in schlanker, eleganter Form zeigten. Ein Mädel zum Dreinbeißen, hübsch und zierlich.
Die vom Brunnen langsam zurückkommende Hedwig konnte Egon jetzt um so schärfer beschauen, da das hagere Mädchen just im hellsten Sonnenlicht daherschritt. Ihr rotblondes Haar gewann in dieser Beleuchtung, dafür steigerte sich das starke Rot der Wangen zur Farbe der Pfingstrose und wirkte abträglich. Schien Ida die personifizierte Milde und Weichheit, so zeigte sich in Hedwig etwas Schroffes, fast an Emancipation gemahnend, und aus den grauen Augen leuchtete es manchmal seltsam glühend, verlangend auf, bis sich eine Art Schleier darüberzog.
Egon ertappte sich auf dem Gedanken: »Nicht mein Geschmack!« und wandte sich um so freudiger Ida zu, welche drollig über den Mangel an Servietten, Tischtuch, Zuckerzange und dergleichen spottete und dem Grafen versicherte, daß er den Kaffee ruhig genießen könne, denn die Bohnen wie das Service hätten die Fräuleins selber mit heraufgenommen.
In der That duftete der Mokka gut und die dicke Milch dazu gab ein köstliches Frühstück am herrlichen Morgen.
Egon griff in das Brotkörbchen aus Zirbenholz, nahm eine Semmel und drückte sie nach alter Gewohnheit.
Ida lachte vergnügt auf: »Nicht drücken! Sie dürfen mit dem Hammer draufschlagen!«
»Uff! Wie alt ist wohl diese Semmel?« meinte Egon.
»Die Brotbötin kommt alle Samstag herauf –«
»Und heute ist Freitag, das genügt!« lachte der Graf mit.
Hedwig hatte sich bisher am Gespräch nicht beteiligt; nun aber warf sie ein: »Na, in zwei Tagen hat diese Wirtschaft gottlob ein Ende! Ich hab' es genug und sehne mich heim!«
Das klang so schroff, übellaunig, daß selbst die an den häufigen Stimmungswechsel der Freundin gewöhnte Ida fragte, was denn Unangenehmes sich ereignet habe.
»Ach, laß mich in Ruhe! Ich langweile mich! So lange nichts thun ischt auch nichts!«
Egon fühlte in diesen Worten eine Art Vorwurf, als ob er etwa das gelangweilte Fräulein zu sehr vernachlässigt hätte und wandte sich zu Hedwig mit der Frage, ob er irgendwie dienen, zur Erheiterung beitragen könnte.
Über Hedwigs Lippen huschte ein Lächeln der Befriedigung, ihre Katzenaugen öffneten sich weit und ein lodernder Blick fuhr dem Grafen entgegen, heiß, verlangend, unheimlich.
Unwillkürlich beugte sich Egon in die normale Lage, wie sein Platz am Tische sie gebot, zurück, worauf Hedwig die Augen halb schloß und mit den Lippen höhnisch zuckte.
Ida hatte den sich blitzähnlich abspielenden Vorgang beobachtet und ihre Rehaugen waren wie erschrocken auf die Freundin gerichtet, deren Verhalten ihr völlig unverständlich erschien.
Die Unterhaltung stockte. Egon entschloß sich zum Aufbruch nach Matrey, und sein Schnerfer war rasch gepackt.
Da Hedwig sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte und selbst auf das Rufen Idas nicht mehr erschien, mußte Egon sich darauf beschränken, dem Fräulein Hedwig beste Empfehlungen zu senden und von Ida kurzen Abschied zu nehmen.
Treuherzig meinte das zierliche Mädel: » Mi perdoni, ich hätte Sie gerne bis zum Tauernhaus hinabbegleitet, da aber Hedwig nicht mit will, kann ich auch nicht fort! Auf Wiedersehen, wenn Sie zufällig mal nach Lienz kommen!«
Ein kurzer Händedruck, ein kurzes Ineinanderversenken der Blicke, und Graf Egon schritt thalauswärts, hinab zum Matreyer Tauernhaus.
Nicht lange, dann zwang ihn die Sehnsucht, das liebliche Fräulein noch einmal zu sehen, zum Wenden. Und richtig, die zierliche Mädchenblume steht gleichfalls und winkt mit dem Taschentuche freundlich zum Abschied.
Fast hätte Egon gejauchzt, doch erinnerte er sich in diesem Augenblick an die stereotype Mahnung in seiner Studienzeit: »Das schickt sich nicht für einen Theresianisten!« und der Jubelruf blieb in der Kehle stecken.