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Zweites Kapitel

Am nächsten Tage um acht Uhr morgens, gerade als Henri im Begriff war, seine Atelierpuppe anzuziehen, ließ Schneeball einen sehr großen, sehr mageren, sehr höflichen und ein wenig schüchternen Herrn mit einer grandiosen Nase eintreten; es war Herr Gaillard. Nachdem er Platz genommen, begann er mit bedeutenden Umschweifungen zu erklären, daß sein Grundstück zur größeren Bequemlichkeit der Käufer ein für allemal eingeteilt worden sei, und daß es nicht anginge, aus einer Parzelle zwei gleichwertige Hälften zu machen, da jede Parzelle nur fünfzehn Meter Fassade habe; daß es ferner außerordentlich schwierig sein dürfte, den Wert des übrigbleibenden Bruchs, der infolgedessen nicht auf die Straße sehen würde, zu berechnen, und daß, wenn Herr Tourneur nicht in der Lage oder der Laune sei, eine ganze Parzelle zu kaufen – selbst auf die Gefahr hin, einen Teil davon wieder zu verkaufen – die ganze Sache besser unterbliebe.

»Mein Herr,« entgegnete Henri, beinahe ebenso verstört wie Herr Gaillard, »ich bin weder ein sehr geschickter Käufer, noch ein sehr erfahrener Wiederverkäufer. Ich bin, wie Sie sehen, ein Künstler. Herr von Chingru – nein, es ist besser, ich spreche ganz aufrichtig, obgleich, was ich Ihnen mitzuteilen habe, nicht so ganz leicht zu sagen ist. Sie sind nicht nur Eigentümer von Baustellen, mein Herr, Sie sind auch Vater. Ich habe in so enthusiastischen Ausdrücken von Ihrem Fräulein Tochter sprechen hören, daß ich den unbezwinglichen Wunsch in mir erwachen fühlte, sie zu sehen, mich mit ihr zu unterhalten. Der Kauf einer Baustelle war nur ein Vorwand, und ich gestehe, daß ich zu meinem Besuch eine Stunde ausgesucht, in der ich Ihr Fräulein Tochter allein zu finden hoffte. Durch List habe ich es erreicht, zehn Minuten lang mit ihr plaudern zu dürfen, ich habe sie hinreißend schön und vortrefflich erzogen gefunden, und da Sie von selbst eine Unterredung mit mir gesucht, die ich meinerseits heute oder morgen herbeizuführen getrachtet haben würde, gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, daß es mein höchster und glühendster Wunsch ist, die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu gewinnen.«

Herr Gaillard führte den Finger lebhaft an die Nase, und Henri fuhr fort: »Ich sehe vollkommen ein, daß ein solcher Wunsch zum mindesten ein sehr seltsamer ist. Sie kennen meinen Namen kaum. Gestatten Sie mir übrigens, Ihnen zu sagen, daß ich vierunddreißig Jahre alt bin, daß das Publikum meine Bilder liebt und sie leidlich gut bezahlt. Ich habe in fünf Jahren die Summe von fünfzigtausend Franken verdient und von meinen Ersparnissen das Mobiliar angeschafft, das Sie hier sehen; es ist nahezu die genannte Summe wert. Ich kann eine Anzahl von Bestellungen im Wert von achtzigtausend Franken nachweisen, die ich bis zum 1. Januar 1857 ausgeführt haben werde, ohne mich zu diesem Zweck sonderlich beeilen zu müssen. Das sind meine Aktiva, wie mein Vater sagen würde. Was die Passiva betrifft, so habe ich keinen Centime Schulden. Ich könnte zu meinem Haben noch das Vermögen meines Vaters zählen, zehntausend Franken Rente, im Geschäft auf ehrenhafteste Weise zusammengebracht, doch dies nur nebenbei; da mein Vater die zärtliche Gewohnheit hat, mich nach Belieben arbeiten zu lassen, ohne mich auch nur im geringsten zu unterstützen, werde ich ihm nicht den Aerger bereiten, ihn um eine Mitgift zu ersuchen. Wenn Sie mich der Ehre teilhaftig machen, mir die Hand Ihrer Fräulein Tochter zu gewähren, so beschwöre ich Sie, all Ihr Hab und Gut für sich zu behalten und nach Ihrem eignen Gutdünken damit zu schalten: ich werde genug für Frau und Kinder verdienen. Ich verhehle mir nicht, daß alles das die Ungleichheit unsrer Verhältnisse nicht aufhebt, dazu müßte ich viel reicher oder Sie viel ärmer sein; aber ich kenne kein Mittel, um mich in einem Tage zum reichen Mann zu machen, und bin nicht egoistisch genug, Ihnen den Ruin zu wünschen. Was ich Ihnen aber glaube versprechen zu können, ist, daß an dem Tage, an dem Ihr Fräulein Tochter in den Besitz ihres Vermögens gelangt, ich einen Grad des Wohlstandes erreicht haben werde, der mich in den Stand setzt, mich einer, ohne Arbeit mir zufallenden Million nicht zu schämen. Ich weiß nicht, mein Herr, ob es mir gelungen ist, mich Ihnen verständlich zu machen.«

»Ja, mein Herr,« erwiderte Herr Gaillard, »und obgleich Sie Künstler sind, scheinen Sie mir ein rechtschaffener Mann zu sein.«

Henri Tourneur errötete bis an die Stirn.

»Verzeihen Sie mir, es war nicht meine Absicht die Künstler zu kränken, von denen ich überhaupt nichts weiß. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie wie ein verständiger Mann, etwa wie ein Beamter, ein Kaufmann, ein Notar denken und sich nicht zu jener freien Moral bekennen, die Leuten Ihres Standes eigen. Im übrigen haben Sie eine angenehme Persönlichkeit und ich glaube, daß Sie meiner Tochter gefallen würden, wenn sie Sie näher kennen lernte. Sie hat stets einen ausgesprochenen Sinn für Malerei, Musik, Stickereien und wie all diese kleinen gesellschaftlichen Talente sonst noch heißen, gehabt. Ihr Alter stimmt zu dem Rosalies: Ihr Charakter scheint mir die richtige Mischung von Ernst und Heiterkeit zu haben. Außerdem kommt es mir vor, als ob Sie sich auf Geschäfte verstünden, und ich glaube, daß Sie im stande sind, ein nicht unbedeutendes Vermögen zu verwalten. Kurz und gut, Sie gefallen mir und ich bitte Sie aus diesem Grunde, bis auf weiteres Ihren Fuß nicht wieder über unsre Schwelle zu setzen.«

Henri stürzte aus allen Himmeln. Herr Gaillard beeilte sich hinzuzufügen: »Ich würde Ihnen das nicht sagen, wenn ich Sie für einen so ungefährlichen Mann hielte wie zum Beispiel Herrn von Chingru. Aber da ich vorsichtig bin, halte ich es für notwendig, in Ihrem Interesse, wie im Interesse meiner Tochter, Erkundigungen über Sie einzuziehen. Ich glaube gern, daß Ihr Lebenswandel durchaus vorwurfsfrei ist, aber wenn Sie trotzdem irgend ein Verhältnis hätten, das später zu einer Quelle des Unglücks für meine Tochter würde, so wären Sie dennoch der letzte, der es mir mitteilte – habe ich recht? Sie haben mir versichert, daß Sie Berge Goldes verdienten, wohlan, ich glaube Ihnen, obwohl es mir etwas wunderlich vorkommt, daß ein einziger Mann im stande sein sollte, in ein und einem halben Jahre für achtzigtausend Franken Bilder zu fabrizieren. Ich glaube Ihnen, aber um mein Gewissen zu entlasten, muß ich unbedingt Erkundigungen darüber einziehen. Ich muß mit Ihrem Herrn Vater Rücksprache nehmen, um zu hören, ob er niemals Ursache gehabt hat, über Sie zu klagen; ich halte es für geboten, in Ihrer Nachbarschaft nachzufragen, ob Sie niemand etwas schuldig sind.«

»Mein Herr!«

»Ich glaube Ihnen, aber man hat zuweilen Schulden, ohne es zu wissen. Welche Schule haben Sie besucht?«

»Das Gymnasium Charlemagne, Schule und Pension Jauffret.«

»Gut, ich werde mich bei dem Chef der Anstalt nach Ihnen erkundigen. Ich halte Sie nicht für ein Ungeheuer, aber ich bin ein vorsichtiger Mann. Das ist so meine Art, ein Fehler wenn Sie wollen, aber ein Fehler, bei dem ich mich stets sehr wohl befunden habe. Wäre ich weniger vorsichtig gewesen, würde ich wahrscheinlich im Jahre 1836 meine Baustellen an die Gesellschaft St. Germain verkauft haben – das wäre eine nette Geschichte gewesen! Wenn ich einer der vielen leichtsinnigen Väter wäre, hätte ich meine Tochter im vorigen Jahre an einen Wechselmakler verheiratet, der sich inzwischen eine Kugel durch den Kopf gejagt hat; also nur Geduld, junger Mann, Sie fahren nicht schlecht dabei, wenn Sie warten. Verdienen Sie meine Tochter, sollen Sie sie haben, aber lassen Sie den Dingen ihren Lauf. Ich bin ein vorsichtiger Mann, versuchen Sie nicht, mich umzustimmen. Wäre mein Vater so vorsichtig gewesen wie ich, würde ich jetzt ein vermögender Mann sein. Arbeiten Sie, arbeiten Sie – ich bin ein vorsichtiger Mann!«

Henri brachte acht Tage damit zu, das bekannte Thema: »Der Teufel hole die Vorsicht und die vorsichtigen Leute« zu variieren. Trotzdem führte er selbst einen Akt der Vorsicht aus, und lockerte die Bande, die ihn an Mellina fesselten. Er schickte ihr einen Flügel, den er ihr versprochen hatte, und ließ sie nicht mehr vor.

Am achten Tage erschien Chingru und kündigte ihm Herrn Gaillards Besuch an. Er erzählte ihm, daß Gaillard in ganz Paris umhergelaufen sei, sich auf allen Ministerien, vornehmlich in der Abteilung der bildenden Künste nach ihm erkundigt habe, daß er alle Kunsthändler interpelliert, die Kataloge der letzten Ausstellungen durchstöbert, die fünf letzten Salons von Théophile Gautier nachgeschlagen und einen ganzen Aktenstoß brillanter Resultate eingesammelt habe. »Er ist über alles orientiert; er weiß, daß du bei der allgemeinen Preisbewerbung als vierter den historischen Preis für die ›Organisation der römischen Kolonien‹ erhalten hast, was ihn besonders zu rühren schien. – Ueber den kitzlichsten Punkt hat er mit mir gesprochen, es versteht sich von selbst, daß ich keine Silbe von Mellina gesagt habe.«

Um halb fünf kam Herr Gaillard. Er leitete das Thema mit einem kräftigen Händedruck ein, von dem der Maler ganz entzückt war.

»Mein junger Freund,« sagte er, »ich bin an vierzig bis fünfzig verschiedenen Orten gewesen, an denen man mir viel von Ihnen erzählt hat. Jetzt ist die Reihe an mir selbst, Sie ein wenig zu studieren. Auch würde ich es nicht ungern sehen, wenn Sie mit meiner Tochter näher bekannt würden, da Sie nicht mich, sondern sie heiraten wollen. Vor allen Dingen also müssen wir uns, etwa drei Monate lang, alle Tage sehen; dann können wir ja weiter über die Sache sprechen.«

Henri dankte ihm, vollständig hingerissen.

»Wie gut Sie sind! So gestatten Sie mir also, Fräulein Rosalie zu besuchen?«

»Beileibe nicht! Wie eilig Sie es haben! Das würde ein nettes Gerede im Hause geben, wollte ich jeden Abend einen jungen Mann bei mir sehen; und wenn die ganze Geschichte nachher ins Wasser fällt, wüßte ganz Paris, daß Herr Henri Tourneur und Fräulein Rosalie Gaillard füreinander bestimmt gewesen, daß er ihr den Hof gemacht habe und aus der Heirat nichts geworden sei. Man würde Gründe suchen und erfinden, und wer weiß, was da alles zusammengeschwatzt würde.«

Henri hielt sehr zur rechten Zeit einen Ausbruch der Ungeduld zurück. »Wissen Sie irgend einen andern Ort, an dem wir uns täglich sehen könnten?«

»Keinen einzigen, das ist's ja gerade. Denken Sie nach, Sie sind jung, behaupten verliebt zu sein, an Ihnen ist's, etwas herauszufinden.«

»Wenn es sich nur um eine fünf- bis sechsmalige Zusammenkunft handelte, würden die Theater und Konzerte genügen, aber für eine so lange Zeit reichen diese Lokale nicht aus. Ich habe eine Idee! Sie wollen nicht, daß ich zu Ihnen komme, nun gut, so kommen Sie zu mir.«

»Aber ich bitte Sie, mit meiner Tochter!«

»Weshalb nicht? Vor allem bin ich Künstler. Sie haben niemals ein Atelier gesehen?«

»Nein, dies ist das erste und –«

»Das Atelier eines Künstlers ist völlig neutraler Boden, einem öffentlichen Ort vergleichbar, der im Sommer schattig, und im Winter gut geheizt ist; man geht hin, wenn man Lust hat, und wieder fort, wenn man genug hat, man trifft sich, gibt sich Rendezvous und ein jeder ist von früh bis spät daselbst zu Haus. Der Fremde, der nach Paris kommt, besucht Ateliers, wie er Schlösser und Kirchen besucht, ohne daß es dazu einer Eintrittskarte oder einer besondern Erlaubnis bedürfte. Die einzige Bedingung ist, daß er beim Kommen grüßt und beim Gehen dankt, und eigentlich ist es sogar der Künstler, der ihm dankt.«

»Aber ich will nicht, daß Frankreich und das Ausland hier vor meiner Tochter defilieren.«

»Ohne Sorge! Ich verschließe meine Thür.«

»Man müßte für diese Besuche aber doch irgend einen glaubwürdigen Vorwand finden.«

»Nichts einfacher als das! Ich male Ihre Tochter.«

»Um keinen Preis, mein Herr! glauben Sie, ich würde so etwas von Ihnen annehmen?«

»Sie können mir das Porträt ja bezahlen!«

»Für solchen Luxus bin ich nicht reich genug.«

»Sie denken wohl, ein Porträt ist sehr teuer!«

»Ich weiß, zu welchen Preisen Sie Ihre Bilder verkaufen!«

»Meine Bilder ja, aber mit Porträts ist das ganz etwas andres. Sie werden doch nicht ein Porträt mit einem Bilde verwechseln wollen!«

»Nun der Unterschied ist kein so großer, sollte ich meinen.«

»Was, kein großer? Aber mein lieber Herr Gaillard, was macht denn den Preis eines Bildes? Die Farbe oder die Leinwand ist es doch nicht, sondern die Erfindung. Bilder sind nur deshalb so teuer, weil so wenig Menschen eine glückliche Erfindungsgabe besitzen. Aber bei einem Porträt ist die Erfindung nicht nur überflüssig, sondern geradezu gefährlich, man soll nichts als das Modell genau kopieren. Der erste beste Maler versteht sich auf ein Porträt. Ein Photograph, ein Handwerker, ein Mensch, der weder lesen noch schreiben kann, bringt Ihnen in zehn Minuten ein prächtiges Porträt mit Rahmen für zwanzig Franken zusammen. Vor dieser Konkurrenz waren wir, wohl oder übel, gezwungen, unsre Preise herabzusetzen, in der Hoffnung, uns dafür bei unsern Bildern wieder schadlos zu halten. Auf den Boulevards ist der Preis der Porträts überall angeschlagen, sie werden nicht mehr gekauft, sondern geradezu verschenkt: ein kleines Porträt fünfzig, ein großes hundert Franken, freilich ohne Rahmen.«

»Das würde mich nicht hindern, aber was werden meine Freunde sagen, wenn sie das Porträt meiner Tochter von dem berühmten Henri Tourneur bei mir sehen?«

»Sagen Sie ihnen doch, Sie hätten es auf den Boulevards machen lassen?«

»Versprechen Sie mir, das Bild nicht mit Ihrem Namen zu unterzeichnen?«

»Ich verspreche Ihnen alles, was Sie wollen. Wann ist die erste Sitzung?«

»Ich will Ihnen etwas sagen! Ich habe jedes Jahr einen Urlaub von vierzehn Tagen ohne Abzug vom Gehalt. Seit zwei Jahren habe ich von meinem Recht keinen Gebrauch gemacht, ich wollte mir die Zeit für eine Reise nach Italien zusammensparen. So bin ich also augenblicklich in der Lage, sechs Wochen Urlaub nehmen zu können. Lassen Sie mich über diese Sache fünf bis sechs Tage gemächlich verhandeln, ich möchte nicht gern die Aufmerksamkeit des gesamten Ministeriums auf mich ziehen; Sie wissen, ich bin vorsichtig.«

Er ging, und der Maler hatte Gelegenheit, vergnüglich über die Nichtigkeit der menschlichen Weisheit nachzudenken: Ein Familienvater, der aus Vorsicht seine Tochter in ein Atelier führt!

Man weiß gar nicht, eine wie große Wirkung der Anblick eines schönen Ateliers auf die Phantasie einer Frau haben kann, das Atelier eines Malers vornehmlich, immer vorausgesetzt, daß der Künstler reich ist und Geschmack hat, fesselt und blendet schon auf der Schwelle. Das reine Licht, das in geraden Linien von oben fällt, spielt zwischen den Stoffen, den Tapeten, den reichen Kostümen, den alten Möbeln und Waffen. Jemand, der an eine Einrichtung gewöhnt ist, in der jedes Ding seine bestimmte Verwendung hat, bleibt vor diesem organisierten Durcheinander bewundernd stehen. Für eine geistreiche Frau – und welche Frau wäre es nicht – wird in allem, das sie hier umgibt, ein tiefer Sinn liegen; jede gewirkte Tapete wird ihr eine Legende, jeder altertümliche Bierkrug ein Lied, jede etrurische Vase einen Roman, jede Stahlklinge ein Epos verkörpern. Jeder Pfeil wird in ihren Augen in Kurare, jenes afrikanische Gift getaucht sein, das den sicheren Tod gibt. Die zusammengekauerten Gliederpuppen in den Ecken scheinen geheimnisvollen Sphinxen gleich, welche schweigen, weil sie zu viel zu sagen haben würden. Der Eigentümer all dieser Herrlichkeiten aber, der König dieses glänzenden Reiches, kann kein gewöhnlicher Sterblicher sein. Wer ihn in seiner liebenswürdigen Gastfreundschaft, inmitten so vieler Hieroglyphen sieht, die ihm selbst keine sind, bewundert ihn unwillkürlich. Seine Kleidung, wie sie auch sein möge, trägt nur dazu bei, den Reiz zu erhöhen. Ist er in Baumwolle gekleidet, scheint er aus Indien zu kommen, trägt er Flanell, denkt man sich seine Gewandung in Schottland aus australischer Wolle gewebt, niemand würde glauben, daß sie aus der Belle Jardinière bezogen sei; die roten Pantoffeln aus der Rue Montmartre aber verwandeln sich in Babouchen aus Kairo oder Beirut.

Wenn die Thür nach dem kleinen Schlafzimmer halb geöffnet ist, wird ein Bett mit persischen Decken behangen sichtbar; unwillkürlich wird man an einen Harem erinnert, und würde nicht über Gebühr erstaunen, wenn plötzlich ein paar Odalisken, eine Amphora auf dem Haupte, erschienen. Geht nun gar ein schöner Neger in orientalischen Gewändern wie Schneeball im Atelier ab und zu, so ist die Illusion vollständig.

Noch ein paar Tropfen Malaga in einem venetianischen Glase kredenzt und Rosalie Gaillard, die niemals etwas andres als Wasser getrunken, wird sich tausende von Meilen von Paris entfernt träumen.

Die erste Sitzung war entscheidend. Henri hatte den gesamten Grund und Boden eines Blumenhändlers aus Neuilly in seinen Garten verpflanzen und Blumenrabatten bis in das Atelier hinein anlegen lassen. »Wenn ich zu ihr ginge,« dachte er, »würde ich ihr täglich ein Bouquet bringen, ich möchte nicht, daß sie zu kurz käme.«

Rosalie liebte wie alle Pariserinnen die Blumen schwärmerisch, und seit Jahren hoffte sie auf den Besitz eines Gartens. Durch eine seltsame Laune der Natur hatte dies Kind, von einem wenig geschmackvollen Elternpaar stammend, alle Bedürfnisse einer schönen, eleganten Lebensweise. Rosalie hätte lieber auf Nahrung als auf Musik verzichtet; sie hielt Blumen für notwendiger als ein Paar Stiefel. Ihre Augen leuchteten beim Anblick eines schönen Gespannes auf, obgleich sie niemals anders als zu Fuß oder in einem Omnibus über die Straße gekommen war. Sie liebte elegante Toiletten, ohne jemals selbst Toilette gemacht zu haben; sie tanzte allabendlich in der Phantasie, ohne jemals einen Ball besucht zu haben, und kaufte in Gedanken alle Parks und Schlösser, die sie auf der vierten Seite des »Constitutionnel« zum Verkauf angezeigt sah.

Mit dieser Geschmacksrichtung würde sie ohne die begründeten Hoffnungen, die sie hegte, aufrichtig zu beklagen gewesen sein. Ein Leben voller Entbehrungen, vor allem der Mangel an Verständnis für ihre Neigungen, dem sie fortwährend begegnete, würde ihr Herz, bis auf den Grund verbittert, ihren Anschauungen jene graue Färbung gegeben haben, die man so leicht bei alten Jungfern findet, hätte sie nicht das Vermögen ihres Vaters gekannt und wäre sie nicht über ihre Zukunft beruhigt gewesen. Das große unbebaute Terrain, ihr ganzer Horizont, wurde ihr oft zum Trost; ihre Devise war: »Es wird eine Zeit kommen!« und von dieser Hoffnung lebte sie. Im tiefsten Innern ihres Herzens hatte sie sich eine köstliche Zufluchtsstätte bereitet, der nichts fehlte, nicht einmal die Liebe eines jungen schönen Mannes, der gewiß eines Tages kommen würde. In ihrem Schutz ertrug sie geduldig die Mühen des Haushalts, die unliebsamen Nähereien, die Unterhaltung der Freunde ihres Vaters und die unaufhörlichen Piquetpartieen, mit denen dieselben die Abende verbrachten.

Seit einem Jahre war ihr Herr von Chingru wie ein Mittelwesen zwischen jenen Männern und der guten Gesellschaft erschienen, etwa wie in der Skala der Tiere der Affe zwischen Hund und Mensch steht. Als sie Henri Tourneur gesehen, gestand sie sich, daß sie das Ideal gefunden, und suchte nicht weiter. Seine Person, sein Geist, sein Garten, sein Atelier waren für sie die höchste Vollkommenheit. Hätte ihr jemand gesagt, daß es Höheres gäbe, hätte sie geglaubt, man wolle sie zum besten haben.

Während der Maler ein Porträt in ganzer Figur, viertel lebensgroß skizzierte, studierte er bis in die kleinsten Details die vollendete Schönheit, die ihn gleich anfangs so geblendet hatte. Der erste Blick hatte nicht getrogen. Man muß schon ein wenig Künstler sein, um beurteilen zu können, ob ein junges Mädchen wahrhaft schön ist.

Der Glanz der Jugend, die Frische der Haut, eine reizende Fülle, bilden zuweilen eine künstliche Schönheit, welche ein bis zwei Jahre dauert, und mit dem ersten Wochenbett verschwindet. Man hat ein entzückendes Mädchen geheiratet und schleppt eine häßliche Frau durchs Leben. Die wahre Schönheit liegt nicht auf der Oberfläche, sondern im Bau und in der Gliederung, welche niemals einer Veränderung unterworfen ist, daher kommt es, daß eine wirklich schöne Frau, trotz der äußeren Verheerungen des Alters, ihr lebenlang schön bleibt.

Rosalie hat diese unvergängliche Schönheit, welche die Runzeln und die Zeit nicht zu fürchten braucht. Wer Italien kennt, kann sie sich leicht vorstellen, wenn ich ihm sage, daß Rosalie einer Römerin mit kleinen Füßen glich.

Zum großen Erstaunen von Herrn Gaillard, welcher seine Tochter nicht wieder erkannte, war das Eis bald gebrochen. Er hatte sie niemals so heiter, so gesprächig, so lebhaft gesehen. Rosalie überließ sich ohne Zwang einer erlaubten Neigung. Sie lief in den Garten, sprang im Atelier umher, nahm jedes Stück in die Hand, fragte, lachte und schwatzte wie eine Drossel zur Zeit der Weinlese. Sie schien plötzlich wieder ein Mädel von vierzehn Jahren zu sein, so lebhaft brach ihre lang zurückgedrängte Jugend hervor.

Henri lebte in einer förmlichen Ekstase, wenn er sich auch etwas mehr zurückhielt. Nach allen Entbehrungen, zu denen ihn die Not verurteilt hatte, fielen ihm Vermögen und Glück gleichzeitig in den Schoß.

Er hatte im Lauf von fünfzehn Jahren so manches angenehme Verhältnis gehabt, das ihm ziemlich teuer zu stehen gekommen war, und staunte, sich plötzlich um seiner selbst willen von einem Mädchen geliebt zu sehen, das schöner und geistvoller war als alle, die er je gekannt. Er hatte wohl die Möglichkeit einer Geldheirat ins Auge gefaßt, etwa wie der Soldat im Feld seine Aufnahme im Invalidenhaus voraussieht, aber er hatte niemals geglaubt, daß ein Vermögen so schön sei, noch jemals gehört, daß eine Million so kleine Hände und so große Augen habe. Die Freude verklärte sein etwas ausdrucksloses Gesicht; er war zwei Monate lang wirklich hübsch. Wenn er während einer Pause seine Geige nahm und die gefälligsten Motive aus »Jeanettens Hochzeit«, oder die heitersten Melodien aus den »Trovatelles« spielte, glaubte Rosalie einen begeisterten Künstler zu sehen.

Herr Gaillard erfüllte auf das gewissenhafteste seine Rolle als Störenfried; er verflocht Henri Tourneur immer aufs neue in eine Unterhaltung. Der gute Mann gehörte zu jener bedauernswerten Klasse von Unwissenden, welche in einem Alter lernen wollen, in dem man nicht mehr lernen kann. Ganz und gar für die römische Geschichte eingenommen, wie man in der Naturgeschichte nur für Insekten und Muscheltiere eingenommen sein kann, hatte er zwei oder drei Bände altmodischer Gelehrsamkeit gelesen und wieder gelesen, die er nun bei jeder Gelegenheit citierte und diskutierte, um, wie er sagte, das bescheidene Feld seiner Kenntnisse zu vergrößern. Henri stand seinen Mann mit dem Respekt, den man dem Alter, dem Gelde und der Eigenschaft eines künftigen Schwiegervaters schuldig ist. Wenn Herr Gaillard des Disputierens müde war, und die jungen Leute sich wieder mit Eifer in das Thema ihrer Liebe und ihrer Hoffnungen stürzten, pflegte er nur allzu bald wieder das Wort zu ergreifen und sich in weitschweifigen Warnungen zu ergehen, die sich in die Worte zusammenfassen lassen: Liebt euch nicht zu sehr, ihr wißt, noch ist nichts entschieden.

Trotz alledem war Henris Atelier ein Paradies auf Erden, vor dem Schneeball Wache stand. Herr von Chingru versuchte verschiedene Male vorzudringen, da er irgend ein Geheimnis vermutete. Aber er fand stets das Bronzegesicht Schneeballs, der ihm unentwegt die Antwort gab: »Herr ist ausgegangen, Herr meiniger essen in Stadt, guter kleiner Weißer sein abgereist auf Land, Tier zu jagen und zu schießen.«

Sein Herr hatte ihn diese romantische Sprache »Freitags«, Robinsons treuen Genossen, gelehrt. Anstatt ihn in eine Schule zu schicken, wo man ihn Französisch gelehrt haben würde, hatte er sich selbst die Pflichten eines Lehrers auferlegt. »Nimm dich in acht, daß du nicht zu gelehrt wirst und nicht sprechen lernst wie die andern,« sagte er ihm zuweilen, »du könntest sonst deine Farbe verlieren.« Und Schneeball that alles, um sich seine Farbe zu erhalten, welche für ihn die schönste der Welt war.

Mit dem Schluß von Herrn Gaillards Ferien gegen Ende Juli, war das Porträt fertig, doch wurde es nicht zu einem Einrahmer geschickt, wo zwanzig andre Maler es hätten sehen können, sondern Henri bestellte einen Handwerker, der die Maße nahm und drei Wochen später einen Rahmen im Preise von fünfhundert Franken brachte, den Herr Gaillard für zwanzig Franken erstand, ohne zu handeln, während er die fünfzig Franken für das Porträt gegen Quittung zahlte.

Am nächsten Sonntag gab er all seinen Freunden eine Abendgesellschaft mit Bier und Spritzkuchen; anwesend waren ein alter Notar aus Villiers le Bel, drei alte Expedienten, Rosalies Schreiblehrer und ein gewesener Mützenschirmfabrikant, der sich von den Geschäften mit tausend Thaler Rente zurückgezogen hatte. Um halb acht Uhr kam man zusammen. Um neun Uhr kündigte Herr Gaillard eine Ueberraschung an: Er nahm den Lampenschirm von der Lampe, während seine Schwester eine grüne Sergegardine zurückzog, welche Rosalies Porträt verhüllt hatte. Ein allgemeiner Schrei der Bewunderung ertönte.

»Der schöne Rahmen,« schrie der Mützenschirmfabrikant.

»Aber nein, das ist ja das Porträt Ihrer Tochter!« der Notar.

»Und wie ähnlich!« rief der Chor der Beamten.

»Habe ich das nicht gut gemacht?« fügte Herr Gaillard hinzu und küßte seine Tochter auf die Stirn.

»Ich möchte mir nur eine Bemerkung erlauben,« sagte der Schreiblehrer, der bisher den Mund noch nicht aufgethan hatte; »warum haben Sie mit dieser Ueberraschung nicht gewartet bis zum 4. September, dem Tage der heiligen Rosalie?«

»Weil ich für den Namenstag meiner Tochter eine andre Ueberraschung für sie in Aussicht habe,« erwiderte Herr Gaillard, schnell gefaßt.

»Sie haben die Mittel dazu!« rief der Chor.

»Dürfte man fragen,« sagte der Notar, »wie hoch das Bild Ihnen kommt?«

»Siebzig Franken, alles in allem.«

»Das ist teuer und wieder nicht teuer, und von wem ist es?«

»Von niemand, es ist ein Porträt.«

»Von niemand?« schrie eine Stimme, die die ganze Gesellschaft erbeben machte, »das Porträt ist ein Tourneur, zweite Phase, und seine achttausend Franken wert.«

Herr Gaillard fiel wie vom Blitze getroffen in seinen Stuhl zurück.

»Guten Abend, Papa Gaillard; meine Damen, ich habe die Ehre; ganz der Ihre, meine Herren,« rief Herr von Chingru, den das Mädchen, ohne ihn anzumelden, hereingelassen hatte. »Es ist eine Teufelshitze!«

»Es ist sehr schwül,« sagte der Notar und atmete schwer.

»Die Atmosphäre ist mit Elektricität geladen,« rief ernstlich bedrückt der Schreiblehrer.

»Morgen wird es regnen,« rief der Chor.

In dieser Weise ging die Unterhaltung bis zehn Uhr fort, dann blies Herr von Chingru zum Rückzug und alle folgten ihm; zum erstenmal hatte es ein Aergernis bei Herrn Gaillard gegeben.

Am nächsten Morgen sprach Chingru im Atelier vor und Schneeball ließ ihn ein. Er erzählte das Ereignis des vorigen Abends und beglückwünschte seinen Freund aufs wärmste.

»Nach einem solchen Eklat,« sagte er, »ist die Sache abgemacht. Der alte Römer hat den Rubikon überschritten, ich gratuliere. Wenn ich nicht gewesen wäre – –«

»Ich weiß, was ich dir schuldig bin, und werde es dir nie vergessen.«

»Wahrhaftig, mein Alter, wenn du mir danken willst, hast du jetzt die beste Gelegenheit dazu, ich habe ebenfalls eine reiche Heirat für mich entdeckt.«

»Alle Wetter, die scheinen ja für jeden da zu sein!«

»Eine brillante Sache, sage ich dir. Ich habe schon angefangen, die Cour zu schneiden.«

»Bravo!«

»Das Schlimme daran ist, daß man Auslagen machen muß, Bouquets, Geschenke, und daß ich augenblicklich keinen Sou in der Tasche habe.«

»Ich glaubte, es ginge dir ganz gut?«

»Man zahlt mir meine Renten nicht. Der Himmel bewahre dich davor, mein Freund, jemals Pächter zu haben.«

»Du willst also Geld? Da nimm.«

»Zweihundert Franken, was soll ich mit zweihundert Franken anfangen?«

»Man hat ganz hübsche Bouquets für diesen Preis. Aber wenn du fünfhundert brauchst, komm mittags wieder, ich werde sie dir geben.«

»Lieber Freund, ich sehe mit Kummer, daß wir noch weit auseinander sind. Um mir zu helfen, müßtest du mir zehntausend Franken geben.«

»Für Bouquets?«

»Für Bouquets und verschiedene andre Dinge. Es scheint, du bekommst einen Schreck, bin ich dir etwa nicht gut für zehntausend Franken?«

»Sei mir nicht böse, aber du weißt, daß ich mich ganz plötzlich, von einem Tage zum andern verheiraten kann. Ich habe mein Vermögen auf fünfzigtausend Franken angegeben und Herr Gaillard würde außer sich sein, wenn diese Angabe nicht stimmte.«

»Du kannst ihm ja meinen Besitztitel dafür präsentieren.«

»Ah, das ändert die Sache. Wenn du mich dazu berechtigst, habe ich nichts dagegen. Wo liegen denn deine Besitzungen?«

»Du verlangst eine Hypothek! Aber ich bitte dich, wofür hältst du mich denn? Einem Wucherer gibt man wohl eine Hypothek, aber einem Freunde sollte doch die Unterschrift genügen, meine ich. Ich werde dir meine Unterschrift geben.«

»Sehr verbunden!«

»Du schlägst mir meine Bitte ab?«

»Unbedingt.«

»Nimm dich in acht, du weißt nicht, was geschehen kann.«

»Komme, was da mag.«

»Du bist noch nicht verheiratet.«

»Was soll das heißen? Welchen Ton schlägst du gegen mich an?«

»Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit. Wenn du bis dahin – –«

Der Maler hatte genug. Er öffnete die Thür, packte Chingru bei den Schultern und warf ihn der Länge nach in einen Korb voll Hortensien, welche sich von diesem plötzlichen Ueberfall niemals wieder erholten.


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