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Das Sumpfviertel ist eine stille Gegend und würde noch stiller sein, wenn es dort weniger Pensionate gäbe. Ängstliche Leute, die eine ruhige Wohnung in der Nähe der Straße Saint-Antoine suchen, sind in Gefahr, viermal täglich auf jene großen schwatzenden Karawanen zu stoßen, die zum Lyceum Charlemagne geführt werden. Diese brave Jugend ist die Hoffnung des Vaterlandes, aber der Schrecken der Nachbarschaft. Den Eltern darf man das nicht sagen; denn die Mütter und Schwestern werden ja nie glauben, daß ein sanfter und in der Familie höflicher Junge in Reih und Glied mit seinen Kameraden unverschämt und grob wird. Indessen alle Bürgersleute, die zu Spott und Gelächter Anlaß geben könnten, Leute mit irgend welcher äußeren Besonderheit, und alle Frauen ohne Ausnahme suchen viertelstündige Umwege auf, um den Neckereien dieser Schuljugend zu entgehen.
Agathe hatte eines Morgens, als sie mit Emma ausgegangen war, diese wichtige Vorsichtsmaßregel außer Augen gelassen. Sie waren im »Paradies der Damen« gewesen, in der Straße Saint-Antoine, um ein Sommerkleid auszusuchen. Bei der Rückkehr nach der Vogesenstraße bemerkte sie einen Schülerhaufen, der im Geschwindschritt sich dem Thore des Lyceums zuwandte. Um eine Begegnung zu vermeiden, stürzte sie unbedachterweise in die Sankt Katharinen-Gartenstraße und sah sich gefangen zwischen zwei unendlich langen Schülerreihen, wie zwischen zwei Gartenmauern. Die armen Mädchen durcheilten etwa die Hälfte ihres Weges ohne besonderen Unfall; höchstens daß die kleinen Knaben, welche vorangingen, eine Bemerkung über Emmas »Schätzchen« losließen; aber in der Gegend von Nummer 4, vor der Kaserne der Feuerwehr, drängten die Schüler der Prima und Sekunda, verstärkt durch eine mathematische Abteilung, sich im Kreise um sie und bombardierten sie mit ihren Späßen: »Mein Fräulein, habe ich nicht die Ehre gehabt, mit Ihnen in der Closerie des Lilas zu tanzen?«
»Mein Fräulein, wenn ich nicht fürchtete Ihnen Anstoß zu geben, würde ich Ihnen für einen Groschen Bonbons anbieten.«
»Mein Fräulein, haben Sie die Gewogenheit, meinen Arm bis zu Ihrer Pension anzunehmen!«
»Mein Fräulein, bitten Sie doch unsern Spieß um meine Hand; er wird sie Ihnen nicht abschlagen.«
»Mein Fräulein, besuchen Sie mich doch Donnerstag im Sprechzimmer; ich heiße Süßholz.«
»Das ist nicht wahr, Fräulein, er heißt Schuhwichs.«
Wo die Aufsichtslehrer ihren Kopf hatten, weiß ich nicht; der eine schaute nach den ersten Schwalben aus, der andere lugte nach dem Zinnschenktisch einer Schnapsbude; während Emma, kirschrot im Gesicht, mit beiden Ellbogen arbeitete, um den Feind zu durchbrechen, und die dicke Agathe Faustschläge in die Masse schleuderte.
»Ich kenne dich, schöne Maske,« sagte ein belesener Jüngling zu der Magd; »du bist der als Frau verkleidete Vulkan und willst Venus nach Paris begleiten.« Ein anderer deklamierte einige kräftige Scherze, die der gute Panurg für die Damen seiner Zeit erfunden hatte.
Plötzlich sauste wie vom Himmel herab ein Hagelwetter von Ohrfeigen, trieb die Belagerer auseinander und setzte die Gefangenen in Freiheit. Emma, vor Mattigkeit und Schreck zusammenbrechend und mehr tot als lebendig, fühlte sich wie entführt von einem großen jungen Manne mit schwarzem Barte. Sie hörte noch undeutlich ein schreckliches Durcheinander von ärgerlichen Schreiern: »Ah! o! uh! Elender Feigling! ist das gemein!« Sie sah einige Bücher ringsum auf das Straßenpflaster fliegen; dann schlossen sich ihre Augen und sie sah nichts mehr.
Als sie wieder zu sich kam, war sie in einem unbekannten Zimmer. Agathe hielt ihr ein Riechfläschchen vor; ein Mann schön wie der Tag, oder eher wie der Abend, kniete vor ihr und streichelte leise ihre Hände. Mechanisch ließ sie ihre Augen über die vier Wände hingleiten und sah sich umgeben von großen Herren und großen Damen in prächtigen Umrahmungen. »Wo bin ich?« fragte sie.
Ihr Befreier antwortete mit ernster und sanfter Stimme in einem fremden Accent: »Bei mir, mein Fräulein; entschuldigen Sie die Freiheit, die ich mir nahm, und die Armut meiner Behausung.«
Sie bemerkte jetzt, daß ihre Kleidung in Unordnung geraten war, und erhob sich rasch, um in ein Nebenzimmer zu gehen und sich in Muße herzurichten. Der junge Mann erriet ihre Absicht. »Ich habe nur dieses Zimmer,« sagte er, »und überlasse es Ihnen; ich bin sehr glücklich, wenn Sie es einen Augenblick für das Ihrige ansehen wollen. Wir sind im Erdgeschoß; ich kann ganz gut im Hofe so lange warten.«
Als er hinaus war, fiel Emma der dicken Agathe um den Hals. »Was für ein Abenteuer!« rief sie; »wenn nur mein Vater nichts davon erfährt!« Sie suchte nach einem Spiegel, um ihr Haar zu ordnen, fand aber nur einen ganz kleinen Handspiegel. »Unser Freund ist nicht kokett,« sagte sie.
»Denke eher, er ist nicht reich,« entgegnete Agathe und wies mit dem Finger auf die Strohstühle, den weißen Holztisch und das Mietwohnungsbett. »Das ist nicht für zweihundert Franken Mobiliar, mit Ausnahme der Bilder, die sehr viel gekostet haben. Aber nun bist du ja fertig; wir können den Herrn hereinrufen.« Sie öffnete die Thür und rief: »Kommen Sie her, junger Mann! Wir sind in Ordnung.«
Der Unbekannte war das Bild eines Italieners in voller Schönheit und voller Kraft. Er war nicht mehr ein Jüngling, sondern ein Mann von reichlich dreißig Jahren, groß, braun, breitschultrig, kräftig gefärbt und strahlend von Gesundheit. Seine Augen und Zähne, seine gutgepflegten Fingernägel und einige Schmucksachen, die er an sich trug, bildeten Glanzpunkte, von denen ein Mädchen wie Emma geblendet werden mußte. Aber sein gewählter Anzug ebenso wie die Schönheit der Gemälde schien unverträglich mit der Bescheidenheit des Mobiliars. Seine elegante Haltung und die gewählte Ausdrucksweise stand ebenfalls in schreiendem Widerspruch mit diesem Zimmer für dreihundert Franken jährlich, das im Erdgeschoß lag, nach der Straße hinaus, wie eine Portierswohnung.
Er fragte seine Schützlinge, ob sie nichts nötig hätten.
»Sie werden entschuldigen,« antwortete die dicke Agathe; »wir haben nötig, sofort abzuschieben, damit unser Herr die Geschichte nicht erfährt. Emma, bedanke dich bei dem jungen Manne; wir sind ihm eine dicke Weihkerze schuldig.«
»Ich fühle mich reichlich belohnt,« erwiderte er lächelnd; »reden wir nicht weiter von einem Dienste, den ich mich fast schämen muß, Ihnen erwiesen zu haben. Wollte Gott doch, ich hätte jemand getötet, um dem Fräulein einen Gefallen zu thun!«
»Das würde mir sehr leid thun,« entgegnete Emma auf der Thürschwelle, »während ich jetzt sehr glücklich über die Begegnung mit Ihnen fortgehe.«
Er geleitete sie bis auf die Straße mit vielen nicht ungeschickten Verbeugungen, und als im Augenblick der Verabschiedung das junge Mädchen ihm ihre Danksagung zum letztenmal wiederholte, schaute er sie traurig an und sprach: »All das ist vielleicht ein großes Unglück für mich; denn ich besitze nichts mehr, was dazu gehört um Ihre Hand zu werben, und ich fühle es doch, daß ich Sie mein Lebenlang lieben werde.«
Bei diesem plötzlichen, wie aus der Pistole geschossenen Geständnis erzitterte Emma sehr heftig.
»Nehmen Sie sich in acht,« erwiderte sie davonstürzend; »Sie wären ein Kind des Todes!«
Der Italiener folgte ihr mit den Augen bis ans Ende der Straße, ohne daß es ihm einfiel ihr nachzueilen. Er blieb eine Weile träumend und barhaupt in der Thür stehen, als ein Mensch, den es wenig kümmert, was die Leute dazu sagen. Bald erinnerte er sich, daß er ja weder Emmas Namen noch Wohnung kannte, und fing an zu laufen, aber zu spät.
Nach einer Viertelstunde kam er zurück, fand sein Zimmer noch weit offen stehen und machte sich sofort daran drei Briefe zu schreiben, die ich hier wiedergeben will, weil sie seinen Gemütszustand getreu schildern. Man erlaube mir, in der Übersetzung die italienische Unbefangenheit beizubehalten.
»An den hochedlen Herrn Grafen Marsoni, in seinem Palaste zu Bologna.
Sehr geschätzter Freund!
Seit deinem letzten sehr liebenswürdigen Briefe habe ich dir noch keine Zeile geschrieben, weil ich dir nichts zu melden hatte. Ich vegetierte eher als daß ich lebte, und die Geschichte einer Pflanze schreibt man nicht. Bin ich denn erst von heute an ein Mann, weil ich heute erst angefangen habe zu lieben? Ja, ich liebe! Das große Wort ist heraus, du kannst es allen Freunden mitteilen, ja, der ganzen Welt; ich wollte, daß die Kunde davon bis in den Himmel gelangte. Dein Meo, der unempfindlicher war, wenngleich nicht so tugendhaft als Hippolyt, dein Meo, den ihr immer schaltet, er habe das eiskalte Herz eines Engländers, er brennt lichterloh vor Liebe. Er hat die gewaltsame Erschütterung erlebt, welche die festgewurzelten Grundsätze und die ernstesten Entschlüsse umstürzt. Soll ich dir das Bild meiner Angebeteten zeichnen? Nein. Schau die Sonne an, wie sie zum erstenmal aus dem blonden Morgengewölk emporsteigt, und sei überzeugt, sie glänzt matter, als sie! Frage mich nicht, ob sie reich und adlig ist; ich glaube, sie gehört dem Mittelstande an, der hierzulande die intelligenteste, anständigste und in Wahrheit die erste Klasse bildet. Aber sollte sie auch die Tochter eines geringen Mannes sein, du weißt, daß ein Liebender an solchen Hindernissen keinen Anstoß nimmt. Aber es werden voraussichtlich andere um sie sein, auf die sie mich selber hingewiesen hat. ›Todesgefahr‹ sagte sie mir; vielleicht also ein Nebenbuhler! ... Nun, er mag kommen! ich werde ihm zeigen, was meine Freunde und ebensogut meine Feinde wissen, daß Feuer und Schwert Spielzeug sind für die Söhne des Hauses Miranda. Dieser Name, den ich nicht mehr das Recht habe zu führen, bringt mich auf die Geschäfte ... (ich sage nicht: ernste Geschäfte, denn Ernsteres als die Liebe giebt es nicht), aber auf die langweiligen Geschäfte. Sende mir doch die tausend Thaler zurück, die ich dir nach und nach in den letzten fünf Jahren geschickt habe, um im Verein mit meinen künftigen Ersparnissen, den Grundbesitz und den Titel der Miranda zurückzukaufen. Dieses Geld wird mir hier wahrscheinlich nötig sein, denn du begreifst wohl, daß der verliebte Meo sich nicht mehr mit Arbeiten schinden will. Lege dazu auch von dem deinigen, worüber du gegenwärtig eben verfügen kannst, aber vergiß nicht, daß ich vielleicht nie imstande sein werde, es zurückzuzahlen. Kurz also, hilf mir, daß ich glücklich werde; dies ist die einzige Seligkeit, wonach von jetzt an strebt
dein treuer und ergebener Freund Bartolomeo Narni, der leider noch weit entfernt ist, wieder zu werden Graf von Miranda.« |
Der zweite Brief war adressiert an Herrn Silivergo, Direktor der französisch-italienischen Buchdruckerei in Paris.
»Sehr geehrter Herr!
Ich wäre der undankbarste und geringste Mensch, wenn ich je den edlen Eifer vergessen könnte, womit Sie mir Existenzmittel gewährt haben, als ich, der unbemittelte Verbannte, zum erstenmal an Ihre Thüre klopfte. Indem Sie mir trotz meiner eingestandenen Unerfahrenheit, den ehrenvollen und einträglichen Beruf eines Korrektors gaben, haben Sie mich buchstäblich vor dem Hungertode bewahrt. Glauben Sie also, verehrter Herr, wenn ich Sie ohne vorgängige Kündigung heute verlasse, wo meine Dienste Ihnen einigen Nutzen bringen, es geschieht nicht, um in schnöder Weise sich einer Schuld der Dankbarkeit zu entledigen, sondern nur, weil ich nicht mehr Herr meiner selbst bin, und weil eine meinen Willen lähmende Übermacht tyrannisch über mein Leben gebietet. Diese unwiderstehliche Macht, brauche ich sie Ihnen noch zu nennen? Man erreicht das ehrwürdige Alter nicht, in dem Sie stehen, teurer und vortrefflicher Herr, ohne wenigstens einmal die Übergewalt der Liebe zu empfinden. Ach, könnte ich Ihnen nur die göttliche kleine Hand zeigen, die ich so eben noch in der meinen halten durfte, Sie würden zu allererst mich zur Fahnenflucht auffordern und meinen Entschluß billigen, nunmehr ganz meiner Liebe zu leben. Ich weiß zwar, daß ich die Druckerei in große Verlegenheit setze und daß mein Austritt Ihnen einigen Geldverlust bringen wird in einem Augenblicke, wo Sie mit Arbeit überhäuft sind und alle Ihre Leute nötig haben; aber darf man denn das Geld in die Wagschale werfen, wo es sich um ein Lebensglück handelt? Übrigens würde auch das Geschäft von mir notwendig nachlässig betrieben werden, Ihnen also mehr Nachteil als Nutzen bringen. Setzen Sie sich an die Stelle eines Menschen, der nie geliebt hat und jetzt zum erstenmal Liebe empfindet; wie könnte der sich wohl mit etwas anderem ernsthaft befassen, als mit seiner Liebe? Genehmigen Sie also, lieber Herr, meine Entlassung aus dem Amte, das Sie mir so gütig angeboten hatten, und seien Sie versichert der ewigen Erkenntlichkeit Ihres sehr ergebenen
B. Narni.«
Diese beiden Briefe schrieb er ohne Zögern und ohne Verlegenheit um das richtige Wort, indem er seine Feder dem freien Laufe seiner Gefühle folgen ließ. Ebensowenig aber zögerte er, die folgende moralische Seltsamkeit vom Stapel zu lassen.
»An die hochberühmte Signora Aurelia, Chorführerin in der Kaiserlich Italienischen Oper in Paris.
Meine allerliebste Aurelia,
erinnerst du dich, daß du mir oft vorgeworfen hast, ich sei so kalt wie Schnee und kenne nicht den wahren Enthusiasmus der Liebe? Und doch glaubte ich dich zu lieben und litt unter deiner Ungläubigkeit so sehr, daß ich, um dich zu überzeugen, die leidenschaftlichsten Ausdrücke brauchte, deren die Dichter sich zur Schilderung der Liebe bedient haben. Heute aber fühle ich endlich, daß du recht hattest dich zu beklagen, denn ich habe etwas ganz Neues und Unbekanntes empfunden, was ich in meinem ganzen jungen Leben nicht einmal geahnt hatte! Ich glühe und ich friere, mein Herz pocht ganz rasend und steht plötzlich still; ich fühle mich zugleich kühn wie ein Löwe und schüchtern wie ein Lamm; kurz, ich bin ein völlig anderer Mensch geworden. Du würdest diesen Irrsinn begreifen, wenn du nur die Anstifterin gesehen hättest. O, wie ist sie schön! wie klar sind ihre Augen! wie sanft ist ihre Stimme! Ihr ganzes Wesen ist durchdrungen von Unschuld und Kindlichkeit; sie ist ein Engel. Von jetzt an ist mein Leben in ihre Hand gegeben; denn falls es mir nicht gelingt, sie zur Frau zu bekommen, werde ich eher in den Tod gehen, als sie mit einem andern verbunden sehen. Da bin ich also der beglückteste und der unglücklichste Mensch zugleich! Ich werde dir meine Freuden und Leiden erzählen; denn können wir nicht gute Freunde bleiben? Liebst du mich wahrhaft, wie du mir gesagt hast und ich es dir glaube, so wird dir eine Sache nicht gleichgültig sein, die jetzt das einzige Ziel meiner Gedanken ausmacht. Ich will dir von ihr erzählen und du sollst mich in meinem Kummer trösten, in Gefahren mich beraten, und wo es nötig ist, mir beistehen; diese Rolle ist würdig deines Herzens. Und zum Entgelt kannst du rechnen auf die ehrliche Freundschaft und unerschütterliche Ergebenheit deines herzlich teilnehmenden
Meo.«
Der Mann, der hier mit dem naiven Egoismus und der mitleidlosen Aufrichtigkeit eines Kindes sein Inneres enthüllte, ist einer der edelsten und mutigsten Männer des jungen Italiens. Bartolomeo, oder im vertrauten Umgange Meo Narni, Bürger der berühmten Stadt Bologna, ist der letzte Sproß einer Familie, uralt wie die Caetani und die Pepoli. Im Festsaale ihres alten Palastes hat Annibale Caracci die heiligen drei Könige gemalt, knieend vor dem Wappen der Miranda (einem goldnen Sterne im blauen Felde) mit der stolzen Inschrift: Miranda regibus.Die Inschrift ist mehrdeutig, mit Absicht. »Bewundernswert für Könige« ist der Stern, der die Magier leitet; aber auch die Familie Miranda, welche diesen Stern im Wappen führt. Anmerk. des Übers. Die reinen Einkünfte dieses vornehmen Hauses beliefen sich noch vor zehn Jahren auf sieben- oder achttausend römische Thaler (Scudi = 4 Mark 50 Pfennige) und Meo, ein stattlicher und auf den besten Schulen in Piemont erzogener Jüngling, war angesehen und beliebt bei seinen Mitbürgern. Der Glanz seines Namens, sein edelmütiger Sinn, die Redefülle, womit er den Ideen der Neuzeit Ausdruck gab, das alles warb für ihn trotz seiner großen Jugend die Stimmen der Bologneser und man wählte ihn zum Vertreter in jene erste Versammlung, die Rossi zu seinem Unglück berufen hatte. Er war noch Deputierter unter der römischen Republik, und die Ehre der Volksvertretung kostete ihm all sein Gut. Übrigens gab er dasselbe mit allen Ehren hin, wie die alten Römer, indem er den Armen Brot und Kleider austeilte. Denn das Elend war groß, da die Fremden, die den kleinen Leuten in Rom zu verdienen geben, Italien wie die Pest flohen; das bare Geld war so knapp, daß die Regierung Achtsoustücke im wahren Werte von zwei Centimen ausprägte. Des armen Meo 40 000 Franken Rente war da nur ein Tropfen auf den heißen Stein; sein großmütiger Streich aber machte ihn verhaßt bei den Konservativen, verdächtig beim Triumvirat, in den Augen der Mehrzahl lächerlich, und nur bei einigen armen Teufeln beliebt. Indessen er war seiner Neigung gefolgt, was bei einem Italiener viel heißen will. Als die Franzosen gegen Rom anrückten, bewies er auf der Rednerbühne mit großer Beredsamkeit, daß ein Widerstand unmöglich sei; aber nachdem sein Antrag verworfen war, schlug er sich wie ein Mann, der nichts zu verlieren hat. Nach Einnahme der Stadt wurde er dem französischen General als Plünderer der Paläste und Kirchen bezeichnet und daraufhin vor ein Kriegsgericht gestellt. Auf der Bank der Angeklagten aber dachte er nicht an seine Verteidigung, sondern hielt eine herrliche Rede über die Zukunft Italiens. Er hatte ganz vergessen, sich Entlastungszeugen zu schaffen. »Ich habe sie nicht nötig,« sagte er; »die Belastungszeugen genügen mir schon.« Unsere Offiziere sprachen mit Glanz den Enthusiasten frei, der einen solchen Duft von Ritterlichkeit ausströmte.
Indessen, da nicht alle Welt ihm seine Streiche verziehen hatte, so liquidierte er und ging in die Verbannung. Die Abwicklung der Geschäfte nahm nicht lange Zeit in Anspruch. Seine sämtlichen Gläubiger teilten sich einfach in seine Habe. Ein Kornwucherer, Namens Giacomo Filippo, ließ sich um den Preis von 80 000 Franken das Stammgut der Miranda und den Grafentitel zuschlagen. Nur bei diesem letzten Posten vergaß der unbesonnene Jüngling nicht, sich das Recht des Rückkaufes vorzubehalten; nicht weil das Gut zweimal so viel wert war, sondern weil daran der Titel hing. Nach Rechnungsabschluß fand er sich fast so nackt und bloß wie der heilige Johannes.
Mit diesem einzigen Unterpfande in der Tasche, schiffte er sich nach Frankreich ein, wo er niemand kannte, und verbrachte seine schönen Jugendjahre damit, auf dem Pflaster von Paris sauer sein Brot zu erwerben. Im Jahre 1852 verschaffte ihm ein ehrlicher Buchdrucker einen Lebensunterhalt, als die Bilder seiner Ahnen seinen letzten Besitz ausmachten. Dank dem vortrefflichen Papa Silivergo wurden vierundzwanzig Generationen der Miranda vor dem Trödler bewahrt auf ebenso wunderbare Weise, wie Moses aus dem Nil gerettet ward. Das weitere wissen wir ja schon. Erstaunlich ist aber, daß ein junger Mann, der kaum dreitausend Franken jährlich verdiente, davon in fünf Jahren mehr als fünftausend Franken übersparen konnte. Freilich üben die Italiener, groß und klein, wenn es sein muß, eine heroische Genügsamkeit. Diese Maccaroniesser und Salatliebhaber besitzen von Natur eine Enthaltsamkeit in der Ernährung, die ihnen Reichtum und Unabhängigkeit verbürgt. Wehe dem Menschen, der viele Bedürfnisse hat! Der vornehme Meo, der auch üppig gelebt hatte wie andere, gewöhnte sich rasch, bescheiden Haus zu halten. Er nahm seine Mahlzeiten in einem weltverlornen Winkel ein; aber er war beständig gekleidet wie ein vornehmer Herr, er trank von Zeit zu Zeit eine Tasse Kaffee bei Tortoni und hatte immer einige Scheidemünzen für die Armen, die er nicht anders mochte von sich gehen lassen.