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Klearchos und Tissaphernes

Wie sehr die Hellenen durch die Botschaft von Kyros' unglücklichem Ende niedergedrückt waren, kann man sich leicht vorstellen. Ihre Lage war mit einem Schlage aus einer vielversprechenden in eine von den schwersten Gefahren bedrohte umgewandelt. Die Hoffnungen, die sie auf Kyros' Dankbarkeit setzen konnten, wenn sein Unternehmen gelang, waren dahin; kaum daß sie noch Aussichten hatten, das nackte Leben zu retten. Kyros, mit dem Lande ganz vertraut, hatte sie immer auf den besten Wegen geführt; jetzt sollten sie, Hunderte von Meilen von der Heimat entfernt und ohne alle Kenntnis der Lage und Beschaffenheit des Landes, sich selbst die Wege finden. Bis dahin hatten sie ohne Sorge von dem reichlich gewährten Solde gelebt; wie bald mußte jetzt ihr erspartes Geld aufgebraucht und sie in bitterer Not sein! Sie konnten sich vorkommen wie Männer, die aus einem endlosen Walde ohne freundliche Menschen, ohne Weg und Steg, aber reich an Gefahren aller Art, den erlösenden Ausgang zu suchen haben.

In ihrer Verzagtheit durften sie es noch als ein Glück ansehen, daß wenigstens einer unter ihnen war, der, wenngleich ebenso wie sie von dem jähen Umsturz tief erschüttert, doch seine Besonnenheit behielt. Es war der rauhe, harte Klearchos. Wie er unter gewöhnlichen Umständen bei seinen Soldaten eher verhaßt als beliebt war, im Drange der Schlacht aber durch seine Umsicht und Unerschrockenheit ihre Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang stärkte, so kam er jetzt, wo sie der Verzweiflung nahe waren, bei dem ganzen Hellenenheer zum höchsten Ansehen. Er, bisher nur Oberst einer einzelnen Schar, wurde jetzt der Feldherr des Heeres, nicht durch förmliche Wahl, sondern man leistete ihm freiwilligen Gehorsam, weil man das Vertrauen zu ihm halte, er würde in jedem Falle den besten Rat finden.

Der erste Plan, den er faßte, konnte freilich nicht zum Ziele führen. Ariäos, der Oberst von Kyros' asiatischem Heere, war, am Tage vorher geschlagen, drei Meilen weit bis zu dem Orte zurückgeflohen, wo die letzte Rast gehalten war. Zu ihm schickte Klearchos zwei Boten und ließ ihn auffordern, um die persische Krone für sich selbst zu kämpfen, die Hellenen würden ihm ebenso beistehen, wie bisher dem Kyros. Aber er lehnte das Anerbieten ab, weil unter den Großen des Reiches viele von größerem Ansehen und Macht seien, die es nicht dulden würden, daß er den Thron besteige. Dagegen ließ er sagen, er würde am nächsten Morgen zum Rückzug nach Sardes aufbrechen; wenn sie wollten, möchten sie sich ihm anschließen.

Noch bevor Klearchos diese Antwort erhalten, erschienen persische Gesandte vor dem Lager, fragten nach den Obersten, und als diese herbeigekommen, verlangten sie im Namen des Großkönigs, das Heer solle die Waffen ausliefern und das Weitere seiner Gnade anheimstellen. Klearchos antwortete: »Wir haben gesiegt und die Sieger pflegen nicht die Waffen auszuliefern.« Und zu seinen Genossen sagte er: »Gebt ihnen Bescheid, wie es euch gut und geziemend scheint, ich kehre sogleich zurück.« Er hatte ein Opfertier schlachten lassen und war soeben abgerufen, die Götterzeichen zu beschauen. Von den Obersten nahm zuerst Kleanor, der älteste unter ihnen, das Wort und sagte: »Wir werden lieber sterben, als uns ergeben.« Ein anderer: »Wenn der König sich als Sieger ansieht, warum kommt er nicht und holt unsere Waffen?« Ein Dritter: »Das Beste, was wir haben, sind unsere Tapferkeit und unsere Waffen. So lange wir nun Waffen haben, kann uns die Tapferkeit helfen; geben wir sie aber ab, so wird es bald um unser Leben getan sein.« Noch andere indessen wollten den König nicht erzürnen und sagten, mit den Waffen, die sie bis jetzt für Kyros geführt, könnten sie ja auch dem König helfen. Der Sprecher unter den Gesandten war ein Hellene aus dem Gefolge des Tissaphernes, mit Namen Phalinos. Als Klearchos zurückkam, fragte er, ob sie schon die Antwort erhalten hätten. Phalinos erwiderte: »Deine Genossen haben eins und das andere gesagt, nun laß uns hören, was du meinst.« Darauf Klearchos: »Es freut mich, daß du, ein Landsmann von uns, unter den Gesandten bist. Gib uns denn einen Rat, was sich in solcher Lage für Hellenen geziemt. Du weißt ja, daß in ganz Hellas bekannt werden wird, was du uns jetzt sagst.« Phalinos gab eine ausweichende Antwort. »Wenn ihr die geringste Aussicht habt, über die Macht des Königs zu siegen, so rate ich die Waffen nicht auszuliefern; wenn ihr aber einseht, daß es unmöglich ist, so ist mein Rat: Rettet, was zu retten ist.« Klearchos erwiderte: »Du hast deine Meinung ausgesprochen, von uns aber sage dem König, wenn er uns als Freunde benutzen will, so ist es für ihn besser, daß wir die Waffen behalten, als daß wir sie ausliefern, und ebenso ist es für uns besser, wenn wir von ihm als Feinde behandelt werden.« Mit diesem Bescheid gingen die Gesandten zum König zurück.

Klearchos teilte den Obersten mit, die Götterzeichen seien für einen Kampf mit dem König ungünstig, für die Vereinigung mit Ariäos günstig gewesen. Bald darauf traf auch die vorhin erwähnte Antwort von Ariäos ein, und sie brachen, als es dunkel geworden, nach dem früheren Rastorte auf und erreichten ihn um Mitternacht. Die Obersten schlossen mit Ariäos einen Vertrag, sich einander nicht zu verlassen, sondern sich gegenseitig zu helfen; die Barbaren gelobten noch außerdem, daß sie die Hellenen nach bestem Wissen führen würden. Zur Bekräftigung und Heiligung dessen wurde nach persischer Sitte ein Stier, ein Wolf, ein Eber und ein Widder geschlachtet, das Blut ließ man in die Höhlung eines Schildes rinnen, und die Führer der Hellenen tauchten ihr Schwert, die der Barbaren ihre Lanze in das Blut.

Klearchos besprach sich nun mit Ariäos über den Weg, welchen sie wählen wollten, ob denselben, auf dem sie gekommen, oder einen anderen. Ariäos sagte: »Auf dem früheren Wege würden wir verhungern müssen, denn wir haben schon auf dem Herwege oft Mangel gelitten, und wo es an Vorräten nicht fehlte, haben wir alles aufgezehrt. Ich denke, euch einen besseren Weg zu führen, er ist zwar länger, geht aber durch fruchtbare Gegenden. Übrigens müssen wir in den ersten Tagen möglichst weite Märsche machen, damit wir dem König um zwei oder drei Tagereisen voraus kommen, dann wird er uns nicht mehr einholen, da er mit einem kleinen Heer sich nicht an uns wagen wird und mit einem großen nur langsam vorwärts kommen kann.«

Am nächsten Tage brachen die Verbündeten auf. Gegen Abend war aus einigen Zeichen zu erkennen, daß sich königliche Truppen in der Nähe befanden. Klearchos wollte sie nicht angreifen, zumal da seine Soldaten den ganzen Tag nichts gegessen hatten und vom Marsch ermattet waren, aber um keine Furcht zu zeigen, ging er in der Richtung weiter, die bisher verfolgt war, und wurde darin vom Feinde nicht gestört. So kam man in die nächsten Dörfer, doch war hier alles von den Königlichen ausgeraubt, sie hatten sogar die Hütten verbrannt. Die Vorhut der Hellenen fand noch allenfalls erträgliches Unterkommen, aber die Nachfolgenden, in vollem Dunkel angelangt, mußten sich auf den nackten Boden hinwerfen, wo jeder gerade war. Und dazu entstand noch infolge eines heftigen Streits, der unter einer Gruppe von Soldaten ausgebrochen war, plötzlich ein wüster Lärm, so daß die Entfernteren in Furcht gerieten, der Feind möchte das Lager überfallen haben. Die Nacht verging daher unter Angst und Bangen. Am Morgen sandte Klearchos einen Herold durch das Lager und ließ ausrufen: »Wer den anzeigt, der in der Nacht das Heer ins Bockshorn gejagt, erhält ein Talent Silber Belohnung« (3600 Mark). Dieser Scherz überzeugte die Soldaten, daß ihre Furcht grundlos gewesen war.

Übrigens mochte sich wohl der König ebenso vor den Hellenen, wie diese vor ihm gefürchtet haben. Denn morgens schickte er Herolde, welche nicht mehr die Auslieferung der Waffen fordern, sondern einen Vertrag vorschlagen sollten. Als die Herolde gemeldet wurden, war Klearchos vor allem darauf bedacht, kein dringendes Verlangen nach Erlösung aus ihrer Not blicken zu lassen. Den Herolden wurde gesagt, sie müßten warten, bis er Zeit für sie habe. Dann stellte er die Soldaten auf, aber nur die, welche noch vollständige Waffen hatten und auch sonst den besten Eindruck machten. Hierauf begab er sich mit den anderen Obersten zu den Herolden und fragte sehr gemessen, was sie wollten. Als sie ihren Auftrag ausgerichtet, erwiderte er: »Meldet dem König, daß es wohl vor Abschluß eines Vertrages noch zum Kampfe wird kommen müssen. Denn wir haben nichts zu essen, und ich darf meinen Soldaten nicht von Vertrag sprechen, bevor sie ihren Hunger gestillt haben.«

Die Herolde ritten davon und waren bald wieder zurück, ein Beweis, daß der König ganz in der Nähe war. Sie brachten Wegweiser mit, welche das Heer, wenn es auf den Vertrag einginge, zu einem Orte führen sollten, wo Speise und Trank zu finden war. Klearchos zog sich mit den Obersten zurück und nach kurzer Beratung waren sie einig, so schnell als möglich den Vertrag abzuschließen, indessen ließ er die Herolde wieder längere Zeit warten, damit es schiene, als ob die Obersten noch viel zu bedenken gehabt hätten, ehe sie dem Wunsche des Königs nachgaben. Endlich wurde der Bescheid erteilt, und das Heer folgte den Wegweisern. Der Weg, den man sie führte, war einer der schlimmsten, welche die Hellenen zu überwinden hatten. Man kam in eine wasserreiche, aber darum auch sehr fruchtbare Gegend Babyloniens, durch welche zahlreiche Kanäle und Gräben gezogen waren, ohne eine einzige Brücke. Um diese Jahreszeit waren die Kanäle sonst nicht mit Wasser gefüllt, die Perser hatten also wohl die Schleusen aufgezogen, um den Hellenen den Marsch, soviel sie konnten, zu erschweren. Allein wenn die Barbaren meinten, ihnen hier eine erschreckende Probe zu geben, welche große Schwierigkeiten mit ihrem Rückzuge verbunden sein würden, und sie dadurch mürbe zu machen, so irrten sie. Sofort legten sie überall unter Klearchos Leitung munter Hand an, Notbrücken herzustellen. Es lagen da viele umgefallene Dattelpalmen, und wo diese nicht ausreichten, wurden andere gefällt. Alle Soldaten bis zum Alter von dreißig Jahren waren dazu kommandiert, und Klearchos stand da, in der Linken die Lanze, in der Rechten den Stock, trieb sie zu rüstiger Arbeit an, und wo er einen Trägen bemerkte, scheute er sich nicht, ihn zu schlagen, griff aber auch, obwohl er fünfzig Jahre alt war, selbst mit an, und seinem Beispiel folgten viele andere ältere Männer. Der Lohn für die Mühe war allen sehr willkommen, sie kamen in Dörfer, wo sie sich für ihr Geld reichlich und gut verpflegen konnten. Unerschöpflich waren die Massen von Getreide und Datteln, Wein und Essig, beides aus den Palmen gewonnen. Und wie herrlich waren die Früchte! Die besten Datteln, die sie je in Hellas gegessen, waren hier nur Sklavenspeise, die für die Herren von wunderbarer Schönheit und Größe. Auch das süße Mark der Palmen schmeckte den Hellenen vortrefflich, nur bewirkte es Kopfschmerz.

Nachdem sie sich hier drei Tage aufgehalten, erschien Tissaphernes mit einem Schwager des Großkönigs und drei anderen persischen Großen nebst vielen Sklaven. Als die Obersten sie empfingen, sprach Tissaphernes gar freundlich zu ihnen (ein Dolmetscher, d. h. einer, der beider Sprachen mächtig war, übertrug die Rede ins Hellenische): »Ihr wißt, ich bin der nächste Nachbar eurer Heimat, und da ich euch nun in großer Not sehe, liegt es mir am Herzen, euch mit Erlaubnis des Königs sicher nach Hellas zu schaffen; ich hoffe, daß ich mir damit von euch und eurem ganzen Vaterlande Dank erwerben werde. Der König weiß meine Verdienste um ihn zu schätzen, ich habe ihm die erste Nachricht von Kyros' Empörung gebracht und war der einzige in der Schlacht, der vor euch nicht floh. So versprach er mir denn, sich meine Bitte für euch zu überlegen, befahl mir aber zugleich, euch zu fragen, weshalb ihr gegen ihn zu Felde gezogen seid. Als Freund rate ich, gebt eine vorsichtige Antwort, damit ich meine Absicht beim König erreiche.« Nach Beratung mit seinen Genossen erwiderte Klearchos: »Wir wußten nicht, daß uns Kyros gegen den Großkönig führen wollte, aber als er, der uns viel Gutes erwiesen, in Bedrängnis geriet, schämten wir uns vor Göttern und Menschen, ihn im Stiche zu lassen. Jetzt ist Kyros tot, und wir wollen weder den König um seine Herrschaft bringen, noch seinen Untertanen Leid zufügen. Wenn uns niemand hindert, wollen wir friedlich in unsere Heimat zurückkehren und für alles dankbar sein, was uns zugute getan wird; werden wir aber feindselig angegriffen, so werden wir mit Hilfe der Götter uns unseres Lebens zu wehren wissen.«

Mit dieser Antwort war Tissaphernes zufrieden und sagte: »Bis ich wiederkehre, soll Waffenstillstand zwischen uns sein.« Drei Tage darauf stellte er sich wieder ein. »Freilich,« sprach er, »ist es mir nicht leicht geworden, den König zu euren Gunsten zu stimmen, aber endlich habe ich es erreicht. Wir sind bereit, einen Vertrag mit euch zu schließen, des Inhalts: Ihr sollt auf eurem Rückzug nicht befeindet werden und sollt, wo Lebensmittel zu Kauf geboten werden, euch für euer Geld damit versorgen; wo man sie euch nicht verkauft, dürft ihr nehmen, was ihr braucht. Ihr müßt aber schwören, daß ihr gegen die Lande, durch die ihr kommt, nichts Feindseliges unternehmen werdet.« Auf diesen Vertrag gaben sich die beiderseitigen Führer die Hände und beschworen ihn mit den heiligsten Eiden. Beim Abschied sagte Tissaphernes: »Bald komme ich mit meinem Heer, um euch nach Hellas zu geleiten und selbst in meine Provinzen zurückzukehren.«

Klearchos hoffte, Tissaphernes binnen kurzem zum gemeinsamen Abmarsch mit den Seinigen eintreffen zu sehen, aber es verging Tag auf Tag, ohne daß er sich wieder blicken ließ. Während dieser Zeit erschienen die Brüder und andere Verwandte des Ariäos, welche auf seiten des Königs standen, in seinem Lager, das sich dicht an dem der Hellenen befand, und ebenso kamen geringere Perser zu den Soldaten des Ariäos; sie bemühten sich, den Führer und das Heer den Hellenen abwendig zu machen, indem sie versicherten, der König werde alles verzeihen, was sie gegen ihn verbrochen, wenn sie sofort zu ihrer Pflicht zurückkehrten. Dies war auch wohl der Grund, warum Tissaphernes seine Wiederkehr so auffallend verzögerte, er wollte den Unterhändlern Zeit lassen, die Hellenen des Beistands ihrer bisherigen Kampfgenossen zu berauben.

Den Hellenen entging es nicht, daß sich diese mehr und mehr von ihnen abwandten, und viele warnten den Klearchos. »Warum bleiben wir hier?« sprachen sie, »ist es nicht offenbar, daß der König uns verderben will, damit wir uns nicht in der Heimat rühmen können: Wir, eine Handvoll Hellenen, haben den Großkönig im Herzen seines Reiches besiegt und sind, seines Zornes spottend, wohlbehalten zurückgekehrt? Zwar jetzt stellt er sich, als sei er zum Frieden geneigt, aber er wartet nur, bis seine Heeresmassen zusammengezogen sind, um uns dann mit seiner ganzen Macht zu erdrücken. Laß uns so schnell als möglich weiterziehen.«

Klearchos teilte diese Besorgnisse, aber der Aufbruch schien ihm ebenso, ja noch mehr gefährlich, als das Verbleiben. Er sagte: »Wenn wir jetzt unsere Zelte abbrechen und davonziehen, kann der König sagen, daß wir den beschworenen Vertrag aufheben und ihm aufs neue Feindschaft ansagen wollen. Wer wird uns dann Wegweiser geben, die uns durch dies unbekannte Land führen? Welche Flüsse wir sonst noch zu überschreiten haben, weiß ich nicht, aber über den breiten Euphrat müssen wir jedenfalls, und da ist der Übergang ganz unmöglich, wenn uns Feinde daran hindern. Auch meine ich, wenn der König auf unser Verderben ausginge, hätte er nicht nötig gehabt, den Vertrag zuerst durch seine Abgesandten beschwören zu lassen und ihn dann zu brechen.«

Endlich nach mehr als zwanzig Tagen kam Tissaphernes mit seinem Heere an; man brach gemeinsam auf und hatte bald den Tigris hinter sich, über den eine Schiffbrücke führte. Als man auf diesem Wege an Dörfer kam, welche der Königin-Mutter Parysatis gehörten, forderte Tissaphernes die Hellenen auf, sie zu plündern. Wie er aus Neid stets einen bitteren Haß gegen Kyros gehegt, so haßte er auch dessen Mutter, welche alles, was sie vermochte, zu Kyros Emporkommen getan, und freute sich, wenigstens eine kleine Rache an ihr nehmen zu können, indem er ihre Günstlinge, die Hellenen, eines ihrer Besitztümer zerstören ließ. Sie erbeuteten dort viele Schafe und reichliches Getreide.

Die Barbaren des Ariäos hielten sich nun immer nahe dem Tissaphernes und waren offenbar schon förmlich zu den Persern übergegangen. Man kann es dem Ariäos verdenken, daß er nach der Schlacht leichtfertig einen Vertrag mit den Hellenen beschworen und nun sich zu ihren Gegnern geschlagen hatte. Aber seine Schuld erscheint doch etwas minder schwer, wenn man erwägt, in welcher Lage er gewesen wäre, falls er als treuer Bundesgenosse mit den Hellenen nach Ionien gezogen und dann ohne sie dem ganzen Zorn des Königs überlassen geblieben wäre.

Die Hellenen hatten besondere Wegweiser und blieben immer in vorsichtigem Abstand hinter den Barbaren; in der Nacht war ihr Lager von diesen stets über eine halbe Meile entfernt. Mit Lebensmitteln wurden sie dem Vertrage gemäß ausreichend versorgt. So zogen Hellenen und Barbaren einen Monat lang hintereinander her, weder als erklärte Feinde noch als gute Freunde. Keiner traute dem anderen, und wenn beide Teile aus demselben Walde Holz oder von denselben Feldern Futter für die Zugtiere holten, ging es nicht leicht ohne blutige Raufereien ab.

Klearchos glaubte nicht, daß die Perser den beschworenen Vertrag brechen wollten, und meinte durch eine offene Aussprache dem Mißtrauen des Tissaphernes ein Ende machen zu können. Er ließ ihm daher sagen, daß er mit ihm zu sprechen wünsche. Tissaphernes lud ihn sofort zu einer Zusammenkunft in seinem Zelte ein.

Als die beiden Feldherren beisammen waren, sprach Klearchos: »Du siehst uns, wie mir scheint, als Feinde an, und die Folge davon ist, daß auch wir glauben, gegen dich auf der Hut sein zu müssen. Dieser gegenseitige Argwohn könnte leicht zu wirklicher Feindseligkeit führen, darum will ich dir beweisen, daß wir höchst töricht wären, wenn wir nicht deine Freundschaft als den größten Vorteil und deine Feindschaft als die größte Gefahr für uns betrachteten. Zum ersten und vor allem hindern uns die geschworenen Eide, euch feind zu sein. Wer einen Eid bricht, stürzt sich in das schwerste Unglück; denn wer ist schnell genug, dem Zorne der Götter zu entfliehen? In welches Dunkel könnte er sich vor ihnen verbergen, welche noch so feste Burg würde ihn schützen, da den Göttern alles untertan ist, und sie über alles mit gleicher Macht herrschen? Aber ferner –unter allen Menschen bist du derjenige, der uns am besten helfen kann. Ohne dich liegt eine tiefe Nacht auf unserem ganzen Wege, denn wir kennen euer Land nicht; jede menschenreiche Gegend müßten wir fürchten und noch viel mehr die menschenleere Wüste, wo uns niemand beistehen kann. Dagegen, wenn du es willst, ist jeder Weg uns offen, jeder Fluß überschreitbar, brauchen wir um unseren Unterhalt nicht in Sorge zu sein. Wären wir wahnsinnig genug, dir nach dem Leben zu stehen, so würden wir in dir unseren Wohltäter töten und hätten von dem Großkönig die grausamste Rache zu erwarten. Aber nun will ich dir auch sagen, was für Dienste wir euch als Freunde leisten können. Wir wissen, daß die Mysier, die Pisidier und andere Völker gar schlimme Nachbarn für euch sind, die Ägypter aber sich eurer Herrschaft entziehen wollen. Welches Volk könnte euch nun noch widerstehen, wenn wir Hellenen als Freunde und Genossen an eurer Seite kämpften? Alles in allem genommen, dein Argwohn hat keinen Grund, und ich muß glauben, daß ein Ohrenbläser dich mit Mißtrauen gegen mich erfüllt hat.«

Für diesen Ohrenbläser hielt Klearchos den Menon, der wiederholt mit Tissaphernes und Ariäos zusammen gesehen war. Menon und Klearchos waren Nebenbuhler; jener hätte gern die Leitung des Heeres gehabt, und dieser war durchaus nicht geneigt, sie ihm abzutreten. Nun argwöhnte Klearchos, Menon wolle den Satrapen bewegen, auf die Absetzung des Klearchos zu dringen und ihm das Kommando zu verschaffen. Zum Danke dafür habe er Tissaphernes versprochen, die Hellenen zu ihm überzuführen. Einen solchen Plan kann man dem nur auf seinen Vorteil bedachten Menon wohl zutrauen, und ganz unschuldig war er sicher nicht, wie sich bald darauf erwies. Aber Klearchos mochte in seiner Eifersucht sich die Schuld des Nebenbuhlers doch wohl zu schwarz ausgemalt haben.

Der gleißnerische Tissaphernes erwiderte: »Ich freue mich, zu hören, wie du unsere Freundschaft zu schätzen weißt. Wir haben euch aber auch schon längst bewiesen, daß sie aufrichtig ist. Haben wir nicht Fußvolk und Reiter genug, um euch zu schaden? Wie oft hätte ich an günstigen Stellen über euch herfallen, im Gebirge die Höhen besetzen und euch den Weg versperren, den Übergang über einen Fluß euch unmöglich machen und –das sicherste Mittel zu eurem Verderben –die Feldfrüchte weit umher durch Feuer zerstören können, so daß ihr hättet Hungers sterben müssen! Warum habe ich es nicht getan! Weil ich die Hellenen liebe und von ihrer Freundschaft die Erfüllung meines höchsten Wunsches erwarte.« Und in dunkeln Worten fügte er hinzu: »Der Großkönig ist der einzige, der die aufrechte Tiara auf seinem Haupte tragen darf, aber –wenn ihr dazu helfen wollt –kann auch ein anderer sie im Herzen tragen.« Er deutete damit an, das Ziel seiner Wünsche sei, sich selbst die Krone zu erkämpfen, wie es Kyros versucht hatte. Er gab auch zu verstehen, mit dem Verdacht, daß unter seinen Genossen ein Ohrenbläser sei, habe Klearchos recht; wenn er mit den Obersten und Hauptleuten zu ihm kommen wolle, werde er ihm den Schuldigen bezeichnen.

So schien es denn, daß alles Mißtrauen zwischen den beiden Heerführern weggeräumt war. Tissaphernes war zu Klearchos sehr freundlich und lud ihn ein, für diesen Tag sein Gast zu sein und mit ihm zu speisen. Das gemeinsame Mahl drückte gewissermaßen der Aussöhnung ein heiliges Siegel auf.

Nächsten Tages kehrte Klearchos ganz beruhigt zu den Seinigen zurück, berichtete von der guten Aufnahme, die er bei Tissaphernes gefunden, und sagte, dieser wünsche, daß alle Obersten und Hauptleute zu ihm kommen möchten. Allein die Hellenen trauten dem Satrapen nicht und wollten am wenigsten, daß ihre Führer sich der Gefahr aussetzten, seiner Hinterlist und Heimtücke zum Opfer zu fallen. Erst nach längerer Rede und Widerrede erlangte Klearchos eine beschränkte Zustimmung: nicht alle, sondern nur ein Teil der Offiziere sollten sich in das persische Lager begeben. Außer Klearchos waren es Menon, drei andere Obersten und zwanzig Hauptleute; etwa 200 Soldaten gingen mit ihnen, um im Barbarenlager Vorräte einzukaufen, sowohl diese als jene ohne Waffen, als zu einer friedlichen Zusammenkunft.

Nach einigen Stunden konnte die Gesandtschaft zurück sein, und die Soldaten schauten aus, ob sie schon kämen. Da gewahrten sie auf der Heide, die sich zwischen ihnen und dem Barbarenlager befand, viele persische Reiter, welche vereinzelt in vollem Galopp hin und her schwärmten. Sie konnten sich ihre Absicht nicht erklären, aber bald erfolgte die gräßliche Aufklärung. Ein schwer verwundeter Hellene –aus einer klaffenden Wunde am Bauche waren die Därme hervorgequollen, und er hielt sie in der Hand –kam herbeigeeilt und erzählte: »Als die Gesandten am Gezelte des Tissaphernes anlangten, wurden die fünf Obersten aufgefordert einzutreten, die Hauptleute ließ man am Eingange stehen. Da wurde plötzlich eine blutrote Fahne auf dem Zelte aufgezogen, und auf dieses Zeichen fielen die Barbaren über die Hauptleute und die Begleitung her und hieben auf sie ein. Wer zu fliehen versuchte, wurde von den nachgesandten Reitern verfolgt und auf der Heide niedergemacht.« Was aus den Obersten geworden, wußte der Verwundete nicht.

Bild: Max Slevogt

Auf diese Kunde eilten die Hellenen zu ihren Waffen, denn sie mußten einen sofortigen Angriff auf ihr Lager erwarten. Doch er erfolgte nicht, nur Ariäos und einige andere Vornehme nebst 300 gerüsteten Persern ritten heran. Ariäos rief den Hellenen zu: »Klearchos war ein Verräter, er hat den beschworenen Vertrag gebrochen. Euch aber bringe ich den Befehl des Königs, eure Waffen auszuliefern, denn sie gehörten dem Kyros, der sein Sklave war.« Sklaven waren ja alle im persischen Reich außer dem König. Einer der Hellenen rief zurück: »Elender Ariäos und ihr anderen, die ihr des Kyros Freunde waret, ihr scheut weder Götter noch Menschen, da ihr früher schwort, mit uns dieselben Freunde und Feinde zu haben, und jetzt im Bunde mit dem gottlosen Tissaphernes uns verderben wollt.« Ohne ein Wort der Erwiderung ritten jene zurück.

Die Nacht, welche auf diese schändliche Bluttat folgte, war für die Hellenen eine entsetzliche. Was Tissaphernes getan, mußten sie für den Anfang eines unentrinnbaren Unterganges ansehen. Was konnte nun die Barbaren hindern, die führerlose Schar wieder und wieder zu überfallen und ihnen nur die Wahl zwischen Tod und Sklaverei zu lassen? Durch das ganze Lager herrschte Mutlosigkeit, Verzagtheit, ja Verzweiflung. Nur wenige mochten Speise zu sich nehmen oder zum Schutz gegen die kalte Nacht Feuer anzünden. Sie warfen sich inner- oder außerhalb des Lagers, wo sie gerade waren, nieder und brachten da die Nacht ohne Schlaf zu, wach gehalten von den schwersten Sorgen um das, was die nächsten Tage bringen würden, und von der Sehnsucht nach Vaterland, Eltern, Frauen, Kindern, die sie fürchten mußten, nimmermehr wiederzusehen.

Die Obersten waren sämtlich im Zelte verhaftet worden, und Tissaphernes ließ sie alsbald nach Susa abführen, wo sie mit Ausnahme von Menon eine Zeitlang im Gefängnis schmachten mußten und dann enthauptet wurden. So lange Klearchos im Gefängnis war, hatte die Königin-Mutter ihm, dem treuen Freunde des Kyros, ihre Gunst bezeugt, indem sie ihm durch ihren Leibarzt mancherlei Erquickungen zukommen ließ, und hatte auch im Vertrauen auf den Einfluß, den sie über ihren Sohn, den Großkönig, übte, gehofft, ihm das Leben zu retten. Hier indessen hatte sie es mit einer gleichfalls mächtigen Gegnerin zu tun, der Königin Stateira, Gemahlin des Königs. Diese wußte ihren Gemahl zu überzeugen, daß vor allen anderen der tätigste und bedeutendste Helfershelfer des Empörers Kyros um der persischen Ehre willen den Tod erleiden müsse, und so wurde auch er hingerichtet. Schwiegermutter und Schwiegertochter waren schon längst von Eifersucht und Haß gegeneinander entbrannt, dieser letzte Streit hatte vollends das Maß gefüllt, und um sich zu rächen, ließ sie, nach persischer Weise, der Stateira durch einen bestochenen Diener Gift beibringen und sie so töten. Parysatis hatte den Mord durch eine zeitweilige Verbannung nach Babylon zu büßen.

Menon ging ein Jahr lang ganz frei in Susa umher, aber dann wurde auch er, und zwar unter großen Qualen, hingerichtet. Die Freiheit, die er vorher genossen, ist ein Beweis, daß er, wie Klearchos argwöhnte, sich wirklich zum Schaden seiner Landsleute irgendein Verdienst um den Großkönig erworben hatte, und sein Tod, daß der Schlaue doch nicht schlau genug gewesen, um sich vor allen Fallstricken zu hüten. Möglicherweise hat auch hierbei Parysatis wieder ihre Hand im Spiel gehabt.

Bild: Max Slevogt


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