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Von Tarsos bis jenseits des Euphrat

Nach zwölf Tagen gelangten die Heere an die Grenze von Kilikien und Syrien. Hier traten ihnen noch größere Schwierigkeiten entgegen als früher an der Pforte von Kilikien. Auf beiden Seiten, sowohl der kilikischen als der syrischen, zogen sich im Abstande von etwa 850 Schritt zwei hohe, gewaltig starke Mauern bis an das Meer, mit Toren, welche für Freunde geöffnet, Feinden aber geschlossen wurden. Zwischen den Mauern strömte ein Fluß ins Meer; dicht an demselben landeinwärts erhob sich eine Gruppe von hohen und schroffen Bergen; der Paß über diese war, wenn er verteidigt wurde, bei einseitigem Angriff uneinnehmbar. Kyros hatte daher den Plan entworfen, durch seine Flotte zwischen beiden Mauern und jenseits der syrischen zwei Abteilungen seines Heers an Land setzen zu lassen, die eine sollte den Feind von vorn angreifen, die andere ihm in den Rücken fallen. Diese höchst wichtige Stelle zu verteidigen, war Abrokomas mit 300 000 Mann, wie man sagte, aufgestellt; auch begleiteten ihn 400 Hellenen, welche der Großkönig hatte anwerben lassen. Als aber Abrokomas erfuhr, daß Kyros durch die Pässe Kilikiens gedrungen war, und ihn nun gar noch die Hellenen verließen, um sich ihren Landsleuten anzuschließen, gab er seinen Posten ohne Schwertstreich auf und wandte sich zur Flucht. Erst hinter dem Euphrat machte er halt, und der einzige Schaden, den er Kyros tat, bestand darin, daß er die Fährboote auf dem Euphrat, mit welchen man über den Euphrat zu setzen pflegte, verbrennen ließ. Er dachte wie jener feige Bramarbas: »Der bessere Teil der Tapferkeit ist Vorsicht«, und folgte dem Beispiel des Fürsten von Kilikien, indem er sich in der Fehde zwischen den feindlichen Brüdern nach beiden Seiten hin sicherte. Wenn der Großkönig siegte, nun, so hatte er ja eine Zeitlang die Pässe bewacht und die Boote in Feuer aufgehen lassen; wenn Kyros, so hatte er beizeiten die Pässe aufgegeben und ihm freien Weg geschafft. Später, als die entscheidende Schlacht zwischen den Brüdern ausgefochten wurde, wußte er es so einzurichten, daß er zwar mit seinem Heere zum König stieß, aber –fünf Tage nach der Schlacht, wofür er irgendeinen scheinbaren Grund ersonnen haben mochte. -

Am nächsten Tage kam man in die volkreiche Seestadt Myriandros, von Phönikiern bewohnt, welche einen lebhaften Handel betrieb, so daß in ihrem Hafen beständig viele Kauffahrteischiffe vor Anker lagen. Das Heer rastete hier sieben Tage lang. Während dieser Zeit mieteten die Obersten Xenias und Pasion ein Schiff und machten sich mit ihrer besten Habe heimlich auf und davon. Es waren die Obersten, von welchen unlängst 2000 Soldaten zu Klearchos übergegangen waren. Sie hatten gehofft, Kyros würde die Überläufer nötigen, zu ihren früheren Führern zurückzukehren, aber er meinte wohl, daß sie unter dem Führer, den sie sich selbst erwählt, am besten dienen würden. So blieben sie unter Klearchos, und die Obersten, dadurch gekränkt, verließen das Heer. Als ihre Flucht ruchbar wurde, erwarteten die Soldaten allgemein, Kyros würde den Flüchtigen etliche Kriegsschiffe nachsenden, sie zurückbringen lassen und strenge Strafe über sie verhängen. Doch dies geschah nicht. Kyros berief die Offiziere der Hellenen zu sich und sprach zu ihnen: »Xenias und Pasion haben uns im Stiche gelassen, aber sie sind noch in meiner Gewalt, ich weiß ja, welchen Weg sie genommen, und meine Schiffe sind schneller als das ihrige. Doch ich werde sie nicht verfolgen. Es soll keiner von mir sagen, daß ich meine Leute, solange sie bei mir sind, wohl zu nutzen weiß, wenn mich aber einer verlassen will, ihn an Leib oder Gut strafe. Mögen sie gehen, sie werden sich sagen müssen, daß sie gegen mich schlechter gewesen, als ich gegen sie. Ich könnte mich an die Pfänder für ihre Treue, ihre Frauen und Kinder halten, doch sie sollen ihrer nicht beraubt werden, zum Dank für ihre geleisteten Dienste sollen sie sie wieder erhalten.« Dieser Zug von Milde und Dankbarkeit vermehrte noch die Hochachtung der Hellenen für Kyros.

Der weitere Weg entfernte sich mehr und mehr von der Seeküste, die Flotte konnte daher das Heer nicht länger unterstützen und wurde von Kyros zurückgeschickt.

Es war nun die Jahreszeit, wo es in jenen Gegenden viel heißer ist, als bei uns in den allerheißesten Tagen, und da der Weg nach Süden gerichtet war, mußte man sich auf eine noch immer zunehmende Hitze gefaßt machen. Für die Hellenen war hier alles, was sie umgab, wie eine neue, fremde Welt. Die Gewächse, die Tiere, die Menschen, ihre Sitten und Vorstellungen waren sehr verschieden von dem, woran sie in der Heimat gewöhnt waren. So trafen sie in Syrien auf einen Fluß, der von großen Fischen in einem Maße, wie sie es nie gesehen, wimmelte; das Volk hielt sie nämlich für Götter, und sie waren daher nie verfolgt worden. Auch an den Tauben, die da in Menge umherflogen, durfte bei hoher Strafe sich niemand vergreifen, sie weder einfangen noch gar töten.

Bild: Max Slevogt

Gegen Ende des Monats August gelangte das Heer zu der großen und blühenden Stadt Thapsakos am Euphrat. Hier berief Kyros die hellenischen Obersten zusammen und eröffnete ihnen, daß er allerdings gegen den Großkönig ziehe, sie sollten dies ihren Soldaten mitteilen und sie bewegen, ihm auch ferner zu folgen. Die Hellenen hatten es ja schon lange geahnt, aber wie sie nun Gewißheit darüber erhielten, waren sie doch sehr aufgebracht, und viele schrien, sie würden auf keinen Fall weiter marschieren. Ihr Zorn richtete sich diesmal weniger gegen Kyros als gegen ihre Obersten. Diese wurden beschuldigt, es sei ihnen schon am Anfang des Zuges bekannt gewesen, worauf es abgesehen war, und sie hätten sie durch ihre Heimlichkeit absichtlich in ein so weit aussehendes und [verwegenes] Unternehmen hineingezogen. Indessen wenige Tage und einige Überlegung reichten hin, um sie ihre Lage richtig erkennen zu lassen. Was konnten sie tun? Seit dem Tage, wo sie von Tarsos abmarschierten, war ihre Entfernung von der Heimat noch viel größer, und die Gründe, warum sie Kyros damals nachgegeben, waren noch gewichtiger geworden. Sie ließen sich also wieder beschwichtigen, verlangten aber auch wieder eine Erhöhung ihres Lohnes. Diese versprach ihnen Kyros und zwar in einer Weise, die über ihre kühnste Erwartung hinausging. Er werde, sagte er, wenn sie Babylon erreicht hätten, jedem von ihnen fünf Silberminen geben, was mehr als ihr Sold für ein ganzes Jahr war, und werde ihnen außerdem während ihres künftigen Rückzugs den vollen Sold zahlen lassen, bis sie wieder unter ihren Landsleuten in Ionien wären.

Die nächste Aufgabe, und wie es schien, eine sehr schwierige, war die, über den mächtigen Strom Euphrat zu kommen. Die Schiffe, welche sonst ganz bequem hinüberführten, waren ja von Abrokomas verbrannt, und man mußte es also mit dem Durchwaten versuchen. Es ging aber besser, als man gedacht; das Wasser reichte den Soldaten wenig höher als bis zur Brust, während es sonst in dieser Jahreszeit viel tiefer zu sein pflegte. Die Leute von Thapsakos sahen darin ein Götterzeichen; der Strom, sagten sie, sei vor dem Mann, der bald die königliche Tiara tragen solle, ehrerbietig zurückgewichen.

Bei dieser Gelegenheit zeigte sich der Oberst Menon von einer Seite, die ihm wenig Ehre machte. Bevor die andern Hellenen sich noch entschieden hatten, ob sie dem Kyros weiter folgen wollten oder nicht, ein Versuch aber bereits gezeigt hatte, daß man den Fluß durchwaten könne, rief Menon seine Soldaten zusammen und sprach zu ihnen: »Wenn ihr meinem Rate zustimmt, so könnt ihr ohne Gefahr und ohne besondere Mühe bei Kyros zu größerer Gunst gelangen, als die anderen. Ihm liegt alles daran, daß die Hellenen über den Euphrat gehn und ihm gegen den König folgen. Wenn wir nun den anderen zuvorkommen und noch heute den Fluß durchschreiten und sie kommen uns nach, so wird er es uns zurechnen, da wir ihnen das Beispiel gegeben haben; beschließen sie jedoch anders, so gehen wir wieder zurück, können uns aber darauf verlassen, daß er uns als seine treusten Freunde ansehen und, wenn er dereinst fette Ämter zu vergeben hat, uns mit den fettesten bedenken wird.« Diese Aussicht war zu verführerisch, als daß die Soldaten den Vorschlag hätten zurückweisen können. In der Tat, als Kyros erfuhr, daß sie sich schon auf der anderen Seite des Euphrat befanden, war er hoch erfreut und ließ ihnen sagen: »Ich muß euch loben, und daß ihr künftig auch mich loben werdet, dafür werde ich sorgen, oder ich müßte nicht Kyros sein.« Dem Menon bezeugte er noch seinen besonderen Dank durch reiche Geschenke.

Selbstsucht und Eigennutz waren Menons hervorstechende Charakterzüge, sein höchstes Ziel Schätze zu sammeln und Macht zu erlangen. Wer offen und redlich war, hieß ihm ein Schwachkopf, er selbst scheute weder Betrug noch Meineid. Wie andere sich ihren Gerechtigkeitssinn und ihre Scheu vor den Göttern zum Verdienst machten, so war er stolz darauf, durch schlaue Hinterlist betrügen zu können. -

Jenseits des Euphrat, den man immer zur Rechten behielt, näherte man sich nach neun Tagen einer Gegend von Arabien, wo man wegen des unfruchtbaren Wüstenbodens nur selten einen wandernden Mann zu sehen bekam. Daher versah man sich in den zahlreichen wohlhabenden Dörfern, welche an der Grenze lagen, mit so großen Vorräten, als die Zugtiere irgend schleppen konnten. Fünf Tage lang ging der Zug durch ein baumloses Land, wo der Sand des Bodens die Gestalt von breiten, aber niedrigen Wellen hatte, wie das Meer bei schwachem Winde. Alles, was da wuchs, Strauchwerk oder Kräuter, strömte die schönsten Wohlgerüche aus. Menschen wohnten hier nicht, aber desto mehr Tiere schweiften umher; von Vierfüßlern besonders wilde Esel und Gazellen, von Vögeln Trappen und Strauße. Die wilden Esel und einige andere Tiere sahen die Hellenen zum erstenmal in ihrem Leben. Wenn man Rast hielt, gingen die Soldaten auf die Jagd, um sich und ihren Kameraden einen willkommenen Braten zu verschaffen. Die dortigen Esel waren durchaus nicht wie die unserigen, die mit Recht im Rufe großer Langsamkeit und Trägheit stehen. Es glückte nicht leicht, einen Esel zu erlegen, wenn man auch ein noch so schnelles Pferd ritt. Auf der Flucht hatten die Esel bald einen großen Vorsprung vor ihren Verfolgern, dann blieben sie stehen, aber sobald der Reiter in ihre Nähe kam, waren sie gleich wieder aus der Schußweite, und bei solchem Wettrennen hielten sie länger aus als die Pferde. Am besten gelang noch die Jagd, wenn sich mehrere Reiter dazu vereinigten. Diese stellten sich dann in angemessener Entfernung voneinander auf, und jeder Reiter war bemüht, den Esel nach der Richtung zu scheuchen, wo der nächste Reiter hielt, dessen Pferd bis dahin geruht hatte. Wenn sich dann drei oder vier Pferde müde gelaufen, war dem Esel die Kraft ausgegangen, und er wurde erlegt. Die Jagd auf Strauße war ganz vergeblich; sie laufen bekanntlich sehr schnell und unterstützen die Schnelligkeit der Füße durch die Bewegung ihrer Flügel, welche sie wie Ruder brauchen. Am leichtesten waren die Trappen zu schießen, da sie wie die Rebhühner nur kurze Strecken stiegen. Die Trappen mundeten den Hellenen am besten, aber auch das Fleisch der Esel behagte ihnen, der Geschmack war dem des Hirschfleisches ähnlich.

Bild: Max Slevogt

In diesen öden Gegenden mußten nicht selten übermäßig große Tagemärsche gemacht werden, um entweder zu einer ergiebigen Wasserquelle oder zu einer Stelle zu kommen, wo die Pferde und Lasttiere Weideplätze fanden, aber dennoch starben viele von diesen vor Hunger. Auch die Menschen litten Not. Einmal sah man auf dem andern Ufer des Euphrat eine große Stadt, wo ohne Zweifel Lebensmittel zu kaufen waren. Eine Brücke oder Fahrzeuge, um hinüber zu kommen, waren nicht da und der Strom an dieser Stelle so tief, daß man nicht hindurchwaten konnte. Da half man sich, wie es im Morgenlande auch jetzt noch oft geschieht; man nahm die nötige Zahl von ledernen Decken zusammen, wie das Heer sie mit sich führte, machte daraus große Säcke, füllte diese mir Heu und verband sie untereinander, so daß sie ein kleines Floß bildeten, das etliche Menschen und andere Last trug. Auf solchen Flößen ruderten die Soldaten hinüber und kauften in der Stadt Vorräte von Getreide, Hirsebrod und Wein; der letztere war aus den Nüssen der Dattelpalmen gewonnen, die in den heißen Ländern üppig gedeihen.

In einer anderen Gegend führte der Weg durch einen sumpfigen Engpaß, wo die Zugtiere die Wagen nicht fortbringen konnten. Kyros befahl seinen Barbarensoldaten, die Wagen hindurch zu tragen. Da sie aber bei der Arbeit mürrisch und lässig waren, wurde er ungeduldig. Er trieb die Arbeiter fort, wandte sich an sein Gefolge, das aus lauter sehr vornehmen Persern bestand, und forderte diese auf, sich an die Arbeit zu machen, obwohl sie gewiß an solche Dienste nicht gewöhnt waren. Und da sah man ein Beispiel von der unbedingten persischen Untertänigkeit. Diese hochgestellten Barbaren warfen sofort ihre prächtigen Kaftans ab und eilten in bunten seidenen Unter- und Beinkleidern, manche mit goldenen Hals- und Armbändern geschmückt, voll Wetteifers ans Werk. Sie sprangen in den Sumpf, hoben die schmutzigen Wagen in die Höhe und trugen sie auf ihren Händen bis an den Ausgang des Hohlweges.

Bild: Max Slevogt

Daß die Hellenen nicht von gleichem Respekt für Höherstehende erfüllt waren, hatte Klearchos schon in Tarsos erfahren, als er seine Soldaten zum weiteren Marsch zwingen wollte, und zeigte auch ein Vorfall, der sich bald darauf ereignete und leicht zu einer gefährlichen Spaltung unter ihnen hätte führen können. Klearchos kommt dazu, wie ein Soldat von seiner Schar mit einem von der des Menon heftig streitet. Klearchos meint, daß der letztere unrecht habe, und jähzornig, wie er ist, schlägt er ihn. Das nehmen ihm die Kameraden des Geschlagenen sehr übel, und als er nach kurzer Zeit durch Menons Lager reitet, schleudert ein Soldat desselben, der gerade Holz spaltet, seine Axt nach ihm, und andere, welche in der Nähe stehen, werfen unter höhnischem Geschrei mit Steinen. Klearchos wird weder von der Axt noch von den Steinen getroffen, gerät aber in Wut, sprengt in sein Lager und befiehlt den Seinigen, die Waffen zu ergreifen und gegen Menons Schar anzurücken. Die Gegner machen sich gleichfalls zum Kampfe bereit, und die beiden Scharen rücken gegeneinander vor. Proxenos, ein dritter Oberst, will das Blutvergießen verhindern, stellt sich mit seinen Soldaten zwischen beide Reihen und bittet Klearchos Frieden zu halten. Klearchos wird noch wütender, wirft dem Proxenos vor, daß er die Beleidigung, die er erfahren, viel zu leicht nehme, und verlangt, er solle sich zurückziehen. Zum Glück kam jetzt Kyros dazu, und wie er die Scharen kampfbereit sah und hörte, was geschehen, erschrak er und rief ihnen zu: »Ihr Führer der Hellenen, ihr wißt nicht, was ihr tut. Mit dem Tage, wo meine Barbaren euch hadern und miteinander kämpfen sehen, ist mein Untergang gewiß und der eurige nicht viel später. Ihr werdet sie mehr zu fürchten haben als das Heer meines Bruders!« Auf diese ernsten Worte ging Klearchos in sich, und die Parteien legten die Waffen nieder. Die Besorgnis des Kyros war nicht ohne Grund, die Barbaren hegten gewiß schon längst Eifersucht und Haß gegen die Hellenen, weil diese bei jeder Gelegenheit von Kyros mit viel größerer Achtung und Gunst behandelt wurden als sie selbst.

Als das Heer eine Strecke weiter gerückt war, wurde dem Kyros gemeldet, daß sich auf dem Boden Spuren von etwa zweitausend Pferden zeigten. Die feindlichen Reiter waren Kundschafter des Königs, sie sollten ausspähen, wo sich das Heer des Kyros befinde, und hatten außerdem den Auftrag, alle Dörfer und Getreidefelder an der Straße, wo die Feinde hindurch zogen, in Asche zu legen, damit sie in Hungersnot gerieten. Kyros wollte sie also einholen und töten oder gefangen nehmen lassen, um ihre Rückkehr zum König zu verhindern. Zu diesem Geschäfte erbot sich ein sehr angesehener Perser, mit Namen Orontes, der zwar schon zweimal aus einem Freund der Feind des Kyros geworden war, aber bei der letzten Aussöhnung so fest versprochen hatte, ihm fortan ein treuer Freund zu sein, daß Kyros ihm nicht mißtraute. Er sollte also, wie er selbst wünschte, 6000 Reiter mit sich nehmen und die Kundschafter überfallen. Es war schon alles dazu vorbereitet, da erschien ein Barbar vor Kyros und übergab ihm einen Brief, den er von Orontes erhalten mit der Weisung, ihn auf dem schnellsten Rosse dem Großkönig zu überbringen. In dem Briefe erinnerte Orontes den König, welche Dienste er ihm schon früher geleistet habe, und jetzt würde er mit möglichst vielen Reitern auf seine Seite treten, er möchte den Kundschaftern befehlen, ihn und die Seinigen als Freunde aufzunehmen. Kyros ließ Orontes verhaften und die vornehmsten Perser und von den Hellenen Klearchos in sein Zelt berufen. Nachdem er ihnen mitgeteilt, was Orontes verbrochen, sagte er: »Ihr lieben Männer, ich will mir euch beraten, was nach göttlichem und menschlichem Recht dem Orontes für seine Treulosigkeit gebührt.« Der Schuldige wurde vorgeführt und Kyros fragte ihn: »Habe ich dir seit unserer Versöhnung in Sardes je etwas zuleide getan?« –Orontes antwortete: »Nein.« –»Fielst du darauf von mir zu den Mysiern ab und verheertest mein Land, so viel du vermochtest?« –»Ich tat es.« –»Kamst du dann zum Altar der Artemis und sagtest, daß du bereuest, was du getan, und beschworst du da, in Zukunft stets mein Freund und Helfer zu bleiben?« –Auch dies gab Orontes zu. –»Habe ich dir seitdem Böses getan, daß du ein Recht hattest, ein drittes Mal an mir zum Verräter zu werden?« –»Du gabst mir keinen Grund dazu.« –»Glaubst du, hinfort meinem Bruder feind, mir aber ein treuer Freund sein zu können?« –»Wenn ich es auch wäre, du würdest mir nicht trauen.« –Nun wandte sich Kyros zu den Richtern: »Dieses hat Orontes gesagt, dieses getan. Sage du, Klearchos, zuerst, was ihm gebürt.« Klearchos antwortete: »Ich rate, diesen Mann aus dem Wege zu räumen, damit wir ihn nicht zu bewachen brauchen.« Die Perser, selbst Orontes' Verwandte, stimmten dem Urteil zu, und Kyros ergriff ihn beim Gürtel; dies war bei den Persern so viel wie ein ausgesprochenes Todesurteil. Er wurde hinausgeführt; eine große Zahl von Hellenen und Barbaren war um das Zelt versammelt, und die Perser, welche bisher in Verehrung vor ihm auf den Boden gefallen waren, warfen sich, obwohl er des Todes schuldig war, auch jetzt nieder; in ihren Augen blieb er immer der hohe Herr, der auf ihre sklavische Demütigung Anspruch hatte. In welcher Weise er den Tod erlitten hat, weiß man nicht; vielleicht wurde er, wie dies in Persien öfters geschah, in einer Grube mit Erde beschüttet und so erstickt.

Bild: Max Slevogt


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