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Die drei Schwestern,
oder:
Der Herr behütet die Einfältigen.

Gar manchmal dünkte mir im Laufe dieses unvollkommnen Lebens, als sei es fast noch leichter bei eignem Mißgeschick Geduld und Gottvertrauen zu bewahren als bei dem Andrer.

Bei eignem Leid fühlen wir meist bald den Schaden, den die schmerzhafte Kur heben soll, wir ahnen den verborgnen Segen, den es mit sich bringt, wir haben zu denken und zu suchen, bis wir den Friedensweg finden, auf den der dunkle Weiser zeigen will.

Aber es dünkt uns fast lieblos und pharisäisch, diese Gedanken auf Andre anzuwenden, die in Sorge und Noth sind, während wir uns behaglich und glücklich fühlen; wie man mit geheimem Selbstvorwurf in bequemem Wagen vorbeifährt an denen, die sich im Schmutz der Straße abquälen mit Wind und Regen. (Eine Ungleichheit, die übrigens seltner wird, weil die gewaltigen Schienen der Eisenbahn ebnend darüber hinziehen.)

Vor allem hat mich das Geschick meines Geschlechts oft betrübt und bekümmert, und ich hätte beinah auf den vermeßnen Wunsch der Fischersfrau in dem alten Mährchen verfallen können, die »werden wollte als wie der liebe Gott,« nur damit ich so viel armen Mädchen hätte eine friedliche Heimath geben können, die, oft ohne daß sie eine frohe Jugend gekannt, mühsam ohne Liebe und Freude, ohne Heimathgefühl, ihren Weg durch die Welt suchen müssen.

Unsre Zeit sucht freilich dem Schaden abzuhelfen, Frauenschutzvereine, Frauentage, Frauenzeitungen bilden sich, die für die Frauen das Recht der Arbeit, selbstständige Stellung und lohnenden Beruf fordern. Wie weit sie helfen können, wage ich nicht zu entscheiden, jeder männliche Beruf kann nun ja doch nicht zugänglich sein für Frauen; einen weiblichen Arzt oder Richter kann ich mir so wenig vorstellen als einen weiblichen Schmiedknecht und da, wo bis jetzt den Frauen ein männlicher Beruf angewiesen wurde, als Lehrerinnen, Telegraphinnen etc. etc. war es meist, wo man einen Mann nicht genügend bezahlen mochte. Wir wollen gerne thun, was wir können, um das Loos unsrer Schwestern befriedigend zu machen, wo wir's nicht können, da gilt's auch für Andre »geduldig sein und auf die Hilfe des Herrn hoffen,« höher zu blicken und tiefer, als auf die kurze Spanne Zeit, die uns vor Augen liegt.

Recht zum Troste für mein ungeduldiges Herz, das sich zu tief bekümmerte über fremde Sorge und Leiden, die es nicht heben konnte, ward mir die Geschichte von drei Pfarrtöchtern kund, die mit keinem andern Kapital durch die Welt gekommen sind, als mit einem einfältigen Sinn und frommen Herzen.

Mit ganz und gar keinem andern; denn mit all den Mitgaben, die sonst bei Frauen einigen (wenn auch schwachen) Ersatz bieten für Geld und Gut, mit Schönheit, Anmuth, Talent, Handfertigkeit, waren sie in keiner Weise bedacht worden, es waren das Luxusgegenstände für sie, an die ihnen nicht einfiel, Ansprüche zu machen.

Sie waren aufgewachsen in der Stille eines verborgnen Pfarrdörfleins, dessen Gegend schon eine überaus einfache war, den Schwestern, wie dem Vater selbst, war aber nie eingefallen, nach einer schöneren zu verlangen. Das Pfarrhaus stand inmitten des Dorfes mit Aussicht auf verschiedene Dunglegen der Nachbarn, ein kleines Gemüsegärtchen zur Seite, darin gelbe Rüben und Petersilie, Salat und Schnittlauch in ziemlich gedeihlichem Zustand sich befand, auch Ringelblumen, rothe Tulpen und weiße Narzissen, zur Zierrath, alljährlich wieder aufgingen ohne besondere Verpflegung. Das Gärtchen lag sehr offenherzig vor den Augen des gesammten Publikums, lauschige Plätzchen zu stillen Mädchenträumen, schattige Lauben zu heimlichem Geplauder hatten die Schwestern nicht darin, begehrten es auch nicht, denn sie hatten nichts still zu träumen und nichts heimlich zu plaudern.

Ein neuer Kritiker hat es sehr unwahrscheinlich und auffallend gefunden, daß in Erzählungen die Eltern, namentlich die Väter der Heldinnen, meist schon im Greisenalter auftreten; unsrem Herrn Pfarrer, dem Vater der drei Schwestern, ist das nun nicht übel zu nehmen, denn er war schon in sehr reifen Jahren gewesen, als er in den heiligen Ehstand trat. Zwar hatte ihm seine Mutter zum Heirathen zugesprochen, so bald er die Pfarrei Waldangenloch erhalten hatte – bei deren Bewerbung er wenig Rivalen gehabt, – aber er meinte damals, »es würde ihn doch geniren, wenn so ein fremdes Frauenzimmer um ihn herumliefe,« und das war gut für die Mutter selbst, denn als bald darauf ihr Mann, der Hutmacher Pommer, zu seinen Vätern versammelt wurde, so fand sie und der Sohn es äußerst behaglich, daß sie zu ihm zog, seine Haushaltung führte und seine wollenen Wämmser und baumwollenen Schlafmützen strickte, auch ihm nach väterlicher Weise allsonntäglich Sauerkraut, Dienstags Linsen und Freitags Erbsen kochte.

Sie hatte ein frommes Gemüth, die alte Pfarrmama, auch der Pfarrer war unbeirrt geblieben von »Philosophie und loser Lehre der Menschen;« er diente seinem Herrn in Einfalt des Sinnes mit aufrichtigem Herzen, und seine Mutter vergoß jedesmal Freudenthränen, so oft sie in dem vergitterten Pfarrstuhl saß, daß Gott sie die Ehre und Freude habe erleben lassen, ihren leiblichen Sohn auf der Kanzel zu sehen. Außer der Hausandacht, die sie alle Morgen und Abend mit der Magd hielten und an der Theil nahm, wer eben zufällig in's Pfarrhaus kam, spielte auch der Pfarrer alle Sonntag Abend einen Choral auf dem etwas heiseren alten Klavier, das ihm schon sein Vater selig in der Auktion eines alten Schulmeisters gekauft hatte, und die Mutter sang dazu mit etwas zitteriger Stimme, aber aus der Tiefe ihres andächtigen Herzens.

Umgang mit der Nachbarschaft pflegten sie gerade nicht, die Frau Pommerin hatte gar kurze Füße und das Gehen geschah ihr sauer; der Pfarrer ging zu seiner Erheiterung jeden Jahrmarkt in die Oberamtsstadt, besorgte da, was seine Mutter für nöthig erachtete, auch alle vier Jahre Biber zu einem neuen Flaus, und versäumte nie, von jedem Markttag seiner Mutter eine Laugenbrezel mitzubringen, später, als ihre Zähne gar zu schlecht wurden, sogar ein Biskuittörtchen, das die alte Frau zu ihrem Schlückchen Wein mit dankbarem Herzen verzehrte.

Manchmal meinte sie freilich, es wäre doch schön, wenn ihr Andreas heirathete, damit sie auch Enkelein erlebt hätte, aber Andreas meinte: »weiß Sie Mutter,« – er nannte sie noch Sie nach alter Weise, – »so gewiß kann man's doch nicht wissen bei einer Schwiegertochter, ob Ihr gerade ganz zusammenpasset und Kindergeschrei macht den alten Leuten Ohrenweh.« »Das ist auch wahr,« sagte die Mutter, »wenn Du zufrieden bist, so bin ich's auch.«

Als aber die alte Frau auf ihrem Sterbebette lag und ihr Stündlein nahen fühlte, da war's ihr denn doch leid, daß sie ihren Andreas so allein auf der Welt zurücklassen sollte. »Hör', lieber Andreas,« sagte sie, »es ist nicht recht von mir gewesen, daß ich Dir nicht mehr zum Heirathen zugeredt' habe; ich hätte bedenken sollen, daß eine alte Frau nicht ewig lebt; zu spät ist's aber nicht, Du bist noch ein Mann in Deinen besten Jahren, zweiundvierzig, da fangt der rechte Verstand erst an, ›wer als ein Bub heirathet, bleibt sein Lebtag ein Bub,‹ sagt man.«

»O Mutter, red' Sie nicht so viel, es nimmt Ihr den Athem,« bat der betrübte Sohn. »Werd doch auch für Dich mein Bischen Athem noch übrig haben,« sagte die getreue Mutter, »gelt, Du thust mir die Liebe und nimmst eine Frau? ein lediger Pfarrer ist nichts nutz.«

»Wird mir wohl sauer geschehen, aber Ihr zu lieb will ich's ja thun,« sagte der Pfarrer, »nur weiß ich nicht, woher Eine nehmen.«

»Nun wenn Dir sonst Keine einfällt, so nimm 's Adlerwirths selig seine Mine, die hat's bös bei ihrer Schwester und ist eine brave Person; wenn Du eine fürnehmere kriegst, ist mir's auch recht. Jetzt kann ich nicht mehr, jetzt sprich mir den Segen.« Und der Pfarrer segnete mit vielen Thränen sein sterbendes Mütterlein ein, und fühlte sich nach ihrem Tode gar einsam und trübselig in dem öden Pfarrhaus.

Adlerwirths selig seine Mine führte er heim, schon weil sie zunächst gelegen war; sie war eine rechtschaffene Person und fleißig, aber besonders »weltbös« war sie just nicht; von »Bildung, Geschmack und Delikatesse« war auch hinfüro keine Rede im Pfarrhaus. Etwas kouragirter war die junge Frau, – die übrigens nur im Vergleich mit der » gar alten« jung heißen konnte; sie zog schöne Schweine groß und unterhielt einen reich bevölkerten Hühnerhof; im Dorf zeigte sie sich so wenig hochmüthig, daß man ihr bald die Würde verzieh, zu der sie sich aufgeschwungen; die Leute meinten, eine »g'meine« Frau sei man ja schon im Pfarrhaus gewöhnt. Mit umliegenden Pfarrfamilien pflogen sie noch weniger Umgang als zuvor, die Frau Pfarrerin hatte auch keine Zeit dazu, da sie im Lauf von vier Jahren ihren Ehherrn mit drei Töchtern beschenkte, wobei derselbe sich vorkam wie Vater Abraham. »Ist auch gut, daß es Mädchen sind,« bemerkte er gelassen, »mit Buben ist's immer schwer bis man weiß, was aus ihnen machen; Mädchen, die stehen geradezu in des lieben Gottes Hand.« Es war ja noch nicht die Zeit, wo man auch bei Mädchen darauf sinnen mußte, sie für einen besondern Beruf herzubilden. – Solche Berufswahl für ihre Töchter wäre den guten Pfarrleuten schwer gefallen, geschah es ihnen doch schon sauer, einen Namen für die Jüngste zu wählen, nachdem die ältern mit den Namen der Mutter und Großmutter, Mine und Christine versorgt worden waren. »Philippine hat meine Base selig geheißen,« fiel endlich die Pfarrerin ein, »und wenn sie nicht vor ihrem Mann, dem alten Anwalt gestorben wäre, so hätten wir sie geerbt, und das wäre unsern Kindern doch recht wohl gekommen, weil von meinem Vater her so wenig übergeblieben ist; meinst nicht, wir wollen sie Philippine heißen?«

»Hab' nichts dagegen,« sagte der Pfarrer; »Geld und Gut ist zwar nicht die Hauptsache, unser Herrgott kann unsern Kindern durchhelfen ohne das, aber wohl gekommen wär's ihnen immerhin;« und so wurde die Jüngste Philippine getauft zu Ehren der Base, die sie beinahe geerbt hätten.

Wie sich das Pfarrhaus bescheidentlich erwiesen, so zeigten auch die Pfarrjungfern, als sie zur Schule kamen, keine Art von Ueberhebung. Zwar wurden sie höflichkeitshalber als die Ersten gesetzt, aber sie meinten keineswegs, daß sie die schönsten Schriften geschrieben und die schwersten Exempel gerechnet haben müssen, das überließen sie getrost den Andern und wenn der Schulmeister am Ende ärgerlich rief: »ei, ei, Jungfer Mine! dreimal sieben ist einundzwanzig und nicht siebzehn,« so sagte sie mit dem gutmüthigsten Lächeln, »glaub's Ihnen gern, Herr Schulmeister;« oder wenn er sagte, »aber Jungfer Christine, ist das gerad geschrieben?« so gab sie ganz bereitwillig zu, »nein, Herr Schulmeister, ein bissele krumm.« Böse werden konnte man ihnen nicht, sie waren stets so überaus zufrieden.

Spinnen lernten sie bei der Mutter recht ordentlich, »Schustersdräht und Sackleinwand könnte man alleweil schon davon machen,« meinte diese, Stricken bei der Jungfer Beate, der Stricklehrerin im Dorf; Christine brachte es sogar soweit, daß sie sich ein Namentuch nähen konnte, und zur Verzierung darauf noch ein Obstkörbchen mit gelben und rothen Aepfelein. Mehr von den Fortschritten ihrer Töchter konnte die Pfarrfrau nicht erleben, sie starb bei einer großen Nervenfieberepidemie, eh ihre Aelteste zwölf Jahre alt war.

Der Pfarrer vertrauerte sie aufrichtig und hielt ihr Gedächtniß in Ehren; an eine zweite Heirath zu denken, fiel ihm gar nicht mehr ein, und als seine Nachbarin im Jammer sagte: »aber Herr Pfarrer, was soll aus Ihren drei Mädchen werden?« so antwortete er getrost: »das weiß der liebe Gott viel besser als ich.«

Seine Mädchen ließ er aufwachsen, nicht gerade wie die Lilien auf dem Felde, denn für's erste hatten sie nicht viel Lilienähnliches, und für's andre mußten sie denn doch, gut oder schlecht, nach und nach die bescheidne Mahlzeit kochen, und nothdürftig nähen und flicken, aber im Uebrigen bekümmerte er sich um ihre Erziehung und Ausbildung nicht viel mehr, als um die seiner Ringelblumen im Garten, die alle Jahre von selbst wieder wuchsen. Das einzige was er sie lehrte, das waren schöne Gebete, Bibelsprüche und Lieder, die mußten sie ihm alle Sonntag aufsagen; auch sangen sie alle Tage zu ihrer gemeinsamen Morgen- und Abendandacht mit heller, wenn auch nicht besonders melodischer Stimme ein frommes Lied zusammen und erbauten sich gegenseitig daran; die Leute vom Dorf meinten: »schön thut's grad nicht, wenn unsre Pfarrjungfern singen, aber Ernst ist's ihnen, unser Herrgott wird's auch so annehmen.«

Das wäre nun alles schon gut so fortgegangen: Mine war die Köchin und kochte wohl oder übel ihren einfachen Küchezettel, der etwa fünf Gerichte enthielt, vom Anfang bis zu Ende. Daß es fein gekocht sei, ließ sich schwer behaupten, aber gegessen wurde es, und wenn Philippine, das Nesthäckchen einmal bemerkte: »ich meine, die Spatzen seien arg schwer,« so gab Mine gutmüthig zu: »'s ist wahr, schwer sind sie, die Eier sind gerade aus,« und Christine sagte: »aber sie halten dann auch länger im Magen,« womit sich die Familie wieder beruhigte. Christine konnte noch am leidlichsten das Nöthigste nähen und zusammenflicken, obwohl die alte Dorfnähterin meinte, an die Nahtstiche der Pfarrjungfer könnte man Pfannen aufhängen; beim Flicken mache sie Gitter wie an einem Gartenhaus und klopfe es nachher mit dem Kehrwischstiel; genug, sie waren damit zufrieden und wenn der Papa in seinem geflickten Werktagsrock spazieren ging und man die Flicken von Weitem sah, so meinte Christine wohlgefällig: »man sieht's doch, daß wir den Papa ordentlich versorgen und nicht zerrissen gehen lassen.« Philippine war die Pflegerin des Schönen, obgleich dies in überaus bescheidnem Maße im Pfarrhaus vertreten war; das Henkelglas, darauf »Wandle auf« nebst ziegelrothen Röslein und handfesten Vergißmeinnicht in starken Farben aufgetragen war, – Papa hatte ihr's einmal vom Markte gebracht, – füllte sie je nach der Jahreszeit mit Ringelblumen, Rittersporn oder Astern und stellte es mitten auf den viereckigen Eßtisch, schmückte auch die Kommode mit etlichen gemalten Porzellantassen und einer alten rothlackirten Zuckerbüchse, so daß Mine mit beifälligem Lächeln sagte: »ja, die Kleine, die will's eben immer schön haben.«

Des Pfarrers Besoldung war äußerst mäßig, aber sie reichte aus; wie? besann sich niemand. Es wurden weder Einnahmen noch Ausgaben aufgeschrieben; das Besoldungsgeld wurde in ein Schiebfach in des Papa's Schreibtisch gelegt und daraus nahm man, so lang da war. Ging es zu Ende, ehe wieder Besoldung kam, so konnte man auch ein paar Tage ohne Geld leben; ein Bischen Fleisch im Rauch, ein paar Eier in der Speisekammer und etwas Brod in der Tischlade war schon vorhanden. Wollte das Geldschieblädchen sich immer noch nicht wieder füllen, so nahm der Pfarrer einen von den drei Lammdukaten, die die Mädchen von ihrem verstorbenen Onkel, seinem einzigen Bruder, als Pathengeschenk erhalten und brachte sie dem alten Merkes, dem einzigen Kaufmann des Dorfs, der in seinem Wohnstübchen zugleich seinen bescheidnen Spezereihandel trieb. »Könnten Sie mir vielleicht den Dukaten auswechseln, Herr Merkes?« fragte der Pfarrer in gleichgültigem Ton, als ob es eben eine Liebhaberei von ihm sei, Dukaten wechseln zu lassen, denn es schickte sich doch nicht zu zeigen, daß der Pfarrer in Geldverlegenheit sei. »In alleweg, Herr Pfarrer,« sagte dienstfertig der alte Merkes und zählte fünf Gulden sechsunddreißig Kreuzer auf den Tisch.« »Wäre mir aber lieb, Herr Merkes, wenn Sie vielleicht den Dukaten indeß zurücklegen wollten,« sagte der Pfarrer beim Abschied ebenso gleichgültig, »könnt' ja doch sein, daß ich ihn später gern wieder einwechseln möchte.« »Soll geschehen, Herr Pfarrer,« sagte der Krämer und legte ihn in ein besondres Schächtelein, »steht jederzeit wieder zu Diensten.« Gewöhnlich reichte dann schon die Münze vom ersten Dukaten, bis wieder Besoldung kam oder der liebe Gott eine Taufe oder Leiche in's Dorf schickte, obwohl diese sehr gering honorirt wurden. Manchmal gings auch noch an den Dukaten der Christine und in besonderen Fällen, wenn etwa der Pfarrer einen Rock hatte anschaffen müssen, oder neue schwarze Hosen, sogar an den der Kleinen. Sobald aber die Besoldung kam, war es sein Erstes, die Dukaten beim alten Merkes wieder zu holen. »Will's doch, glaub' ich, wieder einwechseln,« meinte er so en passant, »es ist immer auch kommod, wenn man für einen Nothfall ein Bischen Gold im Haus hat.« »Steht zu Diensten, Herr Pfarrer,« sagte der Alte, holte die Dukaten aus dem Schächtelein und sah gutmüthig lachend dem Pfarrer nach, wenn er so zufrieden mit dem geborgnen Schatz seiner Kinder davon zog. Dies Manoeuver war schon manch liebes Mal vollführt worden, und der Pfarrer sagte oft: »es ist ein wahrer Segen in dem Pathengeld, wie oft hat's uns geholfen und ist immer wieder da.« Und die Schwestern freuten sich überaus, daß ihr Besitz solche Wunder thun könne.

So wären die Viere vergnüglich und zufrieden ihren Lebensweg mit einander getrottelt und hätten nichts Besseres begehrt, auch die Gemeinde hatte sich an ihren Pfarrer gewöhnt; sie wußten so allmählich jeden Sonntag voraus, was für eine Predigt kommen werde, denn der Ideenreichtum des guten Pfarrers war nicht sehr groß, aber es ging ihm von Herzen, und das fühlten die Leute; auch mit den Töchtern waren sie zufrieden: »schön sind unsre Pfarrjungfern grad nicht, aber sauber,« meinten sie, »Jungfer Mine ist so stattlich wie ein Kasten und die Jungfer Philippine hat rothe Backen wie Ackerschnallen, und christliche Jungfern sind's auch.«

Aber es nimmt alles ein Ende; auch der zufriedene Zustand im Pfarrhaus zu Waldangenloch, obgleich er möglichst lange gewährt hatte. Denn der Pfarrer war nahe an achtzig und hatte noch nie einen Vikar gebraucht, als er unerwartet, ohne lange Krankheit heimgerufen wurde. »Der liebe Gott wird's wohl machen mit euch,« sagte er mit seiner brechenden Stimme, als er die drei Töchter gar bitterlich weinend an seinem Bette sah. »Fürchtet euch nur nicht; »Was unser Gott erschaffen hat, das will Er auch erhalten,« und in diesem Glauben schlief er getrost ein.

Die Schwestern waren nun freilich gar sehr betrübt, sie weinten zusammen recht herzlich, wenn sie so miteinander allein in der Pfarrstube saßen; aber es war ein lauteres pures Herzeleid, ohne Dorn und Stacheln. Sie plagten sich mit keinen Gedanken: wie es hätte vielleicht anders kommen können, was man etwa an dem Kranken versäumt habe, oder ob er denn nicht auch früher einen bessern Dienst hätte erlangen können. »Schön ist's eben doch, daß der Papa immer hier geblieben ist,« sagte Mine, »daß man ihn neben die Mama selig hat begraben können.« »Und er ist doch lang gesund gewesen,« rühmte Christine; »wie hat ihm nicht erst vor vierzehn Tagen noch das Sauerkraut geschmeckt.« »Und an dem Nelkensträußlein, das ich ihm heraufgebracht, hat er auch noch gerochen,« sagte Philippine; und so rühmten sie den Papa selig, seine schönen Predigten und sein glückliches Leben, bis sie wieder in's Weinen kamen.

Dem Amtsverweser, der nun einzog, räumten sie bereitwillig des Papa's Stube ein, kochten ihm nach bestem Wissen und waren verwundert, daß es ihm nicht allezeit so gut schmeckte wie dem Papa selig. Ein Netz nach ihm auszuwerfen, der Gedanke kam nicht in ihre einfältige Seele; als die Frau Schulmeisterin gegen Jungfer Mine bemerkte: »Wenn aber der Herr Amtsverweser an die Jungfer Philippine käm' und sie noch Frau Pfarrerin hier würd', das wär' doch schön;« da lächelte die getreue Schwester freilich wohlgefällig, sagte aber: »'s kommt mir gar nicht so vor, Frau Schulmeisterin,« und als eines schönen Tags eine Braut des Amtsverwesers mit ihrer Mama Besuch im Pfarrhaus machte, da kochte ihnen Jungfer Mine einen Kaffee mit Gelberüben so gut sie's verstand, und sagte gelassen: »Hab's gleich gedacht, daß der Amtsverweser an eine Andere kommt.«

Der Onkel, von dem die wunderthätigen Lammdukaten stammten, war lange schon todt, sein Sohn, der einzige Verwandte der drei Schwestern, war Pfarrer in Guggenbühl; er hatte nicht zur Beerdigung kommen können, aber er besuchte nachher seine verlassenen Basen, um zu hören, welche Plane sie für ihre Zukunft entworfen. Ja Plane hatten sie ganz und gar keine; sie hatten sich noch gar nicht darüber besonnen, was sie denn anfangen wollten, wenn sie das Pfarrhaus verlassen müßten. Die Theilungsbehörde hatte leichte Arbeit gehabt; nachdem alles gehörig bereinigt und bezahlt war und in Rechnung genommen, was etwa aus dem einfachen Hausgeräth gelöst werden könne, blieb für die Schwestern so viel, daß sie nicht ganz hundert Gulden jährlicher Einkünfte zusammen hatten. Der Vetter hatte selbst ein kinderreiches Haus und war nicht in der Lage, ihnen eine Heimath zu bieten. »Ja, meine lieben Bäschen, was wollt ihr denn thun, wenn der Dienst wieder besetzt wird?« fragte der Pfarrer rathlos. »Weiß noch nicht,« sagte Jungfer Mine, »der liebe Gott wird's wohl machen mit uns, hat der Papa selig gesagt.« »Gewiß,« sagte der Pfarrer ungeduldig, »aber ein Bischen selber regen muß man sich doch auch, mit dem Dasitzen und Zuwarten fliegen einem keine gebratenen Tauben in Mund.«

»Wir begehren auch gar keine gebratenen Tauben,« versicherte Christine gutmüthig, »wir bitten nur um unser täglich Brod, und das wird uns der liebe Gott ja geben, wir wollen auch gern etwas arbeiten.«

»Nun, wie wär's, wenn Du, Bäschen Mine, vielleicht eine Stelle als Haushälterin suchtest, Christine etwa in einem Nähtereigeschäft unterkäme und Philippine …«

»Ja,« sagte Mine, die noch die Ueberlegteste war, »dem Papa habe ich schon die Haushaltung geführt, aber sonst bin ich noch in keiner gewesen und Christine hat wohl viel daheim genäht, aber ich weiß nicht, ob man's nicht draußen anders verlangt.« – Der Pfarrer, obgleich er keine Nähmamsell war, hatte doch schon heut Mittag das gräuliche Flickwerk an dem Tischzeug angestaunt, und fürchtete fast, man möchte es draußen anders verlangen.

»Und unsre Kleine,« hub Mine wieder an, »die haben wir alles gelehrt, was wir selbst können, aber das ist eben nicht sehr viel.« »Nein, nicht sehr viel!« seufzte der Pfarrer im Stillen, rathlos, wie den drei guten Bäschen zu helfen sei.

Da streckte ein Nachbarjunge seinen struppigen Kopf zur Thüre herein: »En schöna Gruß von meiner Muatter, und obet d'Jungfer Mine mi net a Bissle b'hören woll, ich kann meine Fragen noch net in d' Konfirmationsstund.« »Komm nur her, Friederle,« sagte Mine, der's ein Bischen bang geworden war bei dem Verhör des Vetters, und sie überhörte den Friederle seine Antworten; ohne in's Buch zu sehen, konnte sie ihm nachhelfen und die angegebnen Schriftstellen sagen, daß sich der Pfarrer verwunderte. Da es bei dem hartnäckigen Friederle zuerst nicht recht vorwärts wollte, half auch noch Philippine, und als er zuletzt die schwierige Antwort ohne Anstand aufsagte, lehrte sie ihn noch einen schönen Liedervers, so daß der Junge ganz vergnügt über seine Gelehrsamkeit abtrottelte.

»Aber ihr könnet's ja wie Schulmeister, Bäschen!« sagte bewundernd der Vetter. »Ja, Sprüche und Lieder hat uns der Papa selig viel gelernt,« sagte Christine geschmeichelt; »noch als er krank war, haben wir ihm immer hersagen müssen, und unsre Kleine, die weiß noch am meisten.«

Da ging dem Pfarrer mit Einemmal eine lichte Idee auf. Sein Dorf war arm, und viele der Einwohner, die nicht eigne Güter hatten, suchten ihren Erwerb auswärts, so daß die kleinern Kinder gar verwahrlost und verlassen herumliefen und meist schon in ganz verdorbnem Zustande zur Schule kamen. Er hatte oft schon an eine Kleinkinderschule gedacht, aber die Sache war ihm zu umständlich erschienen: jetzt aber, – sicherlich zeigte ihm der liebe Gott hier einen Ausweg für die armen Mädchen. Er sagte noch nichts von seiner Idee, er beschenkte die Basen indeß mit Zucker und Kaffee, sie rühmten dabei dankbar, daß die guten Leute im Ort sie haben noch nie Mangel leiden lassen, »allemal wenn's aus ist, bringt ein Mädchen eine Milch, oder ein Weib einen Korb Kartoffeln, oder die Nachbarin ein Schüsselchen Mehl,« erzählten sie vergnügt, und »der Herr Amtsverweser gibt uns ein Kostgeldlein,« ein Kostgeld hätte freilich die bescheidne Kost der Jungfer Mine wohl kaum ausgetragen.

»Macht euch nur keine Sorgen,« tröstete sie der Pfarrer beim Abschied, »der liebe Gott wird schon einen Weg zeigen.« »Das habe ich ja auch alleweil gesagt,« sagte Christine vergnüglich; sich Sorgen zu machen, war ihnen gar nicht eingefallen.


Das Gnadenquartal war um, die Schwestern hatten das Pfarrhaus zu Waldangenloch verlassen müssen. Sie waren mit vielen Thränen geschieden; die Leute vom Dorf gaben ihnen das Geleit und hatten die große, alte Klostertruhe, die hinten auf Ochsenwirths Wagen stand, noch reichlich gefüllt mit Schmalztöpfchen und Mehlsäckchen, mit dürrem Obst und geräuchertem Fleisch, in die neue Haushaltung der Pfarrjungfern. Denn die Pfarrjungfern zogen nicht in's Blaue hinein, der liebe Gott hatte gesorgt und durch den Vetter zu Guggenbühl ihnen wieder ein Plätzchen bereiten lassen. Der Ochsenwirth führte sie sammt ihrer Habseligkeit mit seinem eignen Fuhrwerk fort und ohne Arg saß Jungfer Mine und Christine einträchtig beisammen auf des Papa Kanapee, das vorn auf dem Wagen angebracht war; der Kleinen hatte man hinten zwischen den Betten einen kommoden Sitz gemacht. »Das ist wahr,« hatte Mine vor dem Aufsteigen unter ihren Thränen gesagt, »wir bringen doch unsre Sachen recht und gut fort, drei gute warme Betten, Gottlob und Dank dafür!« Dann aber faltete sie ihre Hände und sprach andächtig: »der Herr behüte und bewahre unsern Ausgang und Eingang.« »Von nun an bis in Ewigkeit,« vollendeten die zwei Andern und die Leute, die herumstanden, legten die Hände zusammen und sagten Amen. Dann stiegen die Pfarrjungfern hinauf und fuhren getrost mit einander in die Welt hinaus, die ihnen unermeßlich groß und weit vorkam von Waldangenloch bis Guggenbühl.

Nicht weit vom Rathhaus in Guggenbühl steht das Häuschen, das sich die alte Schulzin einmal zu einem Ruhesitz erbaute und darin sie auch ihre Tage beschlossen hat. Ihr Sohn war nicht wieder Schultheiß geworden, aber er war ein reicher Bauer und wollte sich das Häuschen aufbewahren, bis er einmal seinem Sohn ›abgebe.‹ Das Haus war seither leer gestanden, da Jeder in Guggenbühl schon seinen ›Unterschlauf‹ hatte; auch hielt der Besitzer nicht viel vom vermiethen, er meinte, ein Haus vermiethen sei wie Seife herleihen; an einem Haus sei bald mehr verdorben, als die paar Gulden Miethe eintragen. Des Pfarrers Vorschlag, er soll es zu einer Kleinkinderschule hergeben, kam ihm zuerst erstaunlich unnöthig vor; »'s ist vorher schon zu viel mit dem Lernen bei den großen Kindern, man werde schätz' wohl, auch noch mit den Kindbetterkindlein buchstabiren anfangen.« Als aber die kleinen Kinder seines armen Nachbars einmal, als sie allein gelassen waren, ein schönes Feuerchen in seiner Scheune anzündeten, was er noch zu guter Zeit entdeckte, da meinte er, »da soll doch das Wetter drein schlagen,« – was unter diesen Umständen ein sehr überflüssiger Wunsch war, – jetzt müsse etwas geschehen, daß die Kinder aufgehoben werden.

So waren denn in kurzer Zeit die drei Pfarrjungfern in dem Häuschen eingerichtet, für das der Bauer nicht mehr als fünf Gulden jährlich Miethzins verlangte. Zimmermöbel und Küchengeräth brachten sie aus ihrer Heimath mit; für die ersten Tage waren sie Gäste im Pfarrhaus, bald aber eröffneten sie mit Beihilfe des getreuen Vetters ihre Kinderschule, zwar nicht nach Fröbels Methode, aber doch nach ihrer eigenen. Es war viel Aufhebens im Dorf von der neuen Anstalt; daß die Unternehmerinnen Pfarrtöchter waren, so ehrbar schwarz gekleidet, mit so ehrlichen breiten Gesichtern, »so schön wie 'ne Uhrentafel,« das brachte sie im Dorf bald in Kredit: Früh Morgens, wenn der Gänshirt ausfuhr, wurden auch schon die Kleinen zusammengetrieben und trippelten in die große Stube zu ebner Erde, wo sie freundlich von den Schwestern empfangen wurden. Der Apparat war kein so reichlicher und mannigfaltiger wie in einem Fröbel'schen Kindergarten: mit Stäbchen, Papierstreifen, Quadraten, Bällen und Kugeln, daran dreijährige Kinder allmälich die Gesetze des Weltalls erlernen sollen, nein, er bestand nur aus einer Sammlung schöner »Helglein«, Bildchen aus der heiligen Geschichte, die der Pfarrer gestiftet hatte; so ein Bildchen wurde den Kindern vorgezeigt und Philippine, die am besten damit umgehen konnte, erzählte in gar schlichten Worten den Kindern die Geschichte dazu.

Von den schönen Reimen der Fröbel'schen Gärten:

Wir haben froh uns hier gefunden,
Der Lebenstrieb hält uns verbunden,
Beschäftigung ist unsre Lust,
Mit ihr kommt Freude in die Brust

wußten die Jungfern dazumal noch gar nichts, es waren die uralten Reimlein:

Engelein komm,
Mach mich fromm,
Daß ich einmal zu Dir
In Himmel 'nauf komm

und

Ich bin klein,
Mein Herzlein ist rein,
Soll niemand drin wohnen,
Als Jesus allein

mit denen sie den Kurs begannen, und allmählich zu andern Sprüchlein und Liedern übergingen. War auch ein Grasplätzchen hinter dem Haus, wo sich an schönen Tagen die Kleinen umtreiben durften; an Gesellschaftsspielen hatten die Schwestern freilich für die Kleinen auch nicht viel Auswahl, »Schlupferles« und »Fangerles« waren fast die einzige Abwechslung; hie und da »Ringe, ringe Reihe,« wobei die guten Jungfern in aller Herzensfreude mit den Reihen schlossen und sich mit unterduckten, wenn Alle schreien: »Musch, Musch, Musch.«

Im Dorf waren sie bald beliebt, »gemeine, niederträchtige Jungfern,« rühmte man von ihnen, und freute sich, daß die Kleinen so gern hingingen und so gut bei ihnen aufgehoben waren. Das Honorar, einen Batzen jeden Monat für das Kind, kam freilich den ärmern Einwohnern schon sehr hoch vor, eine Gans hütete doch der Ganshirt um einen halben Kreuzer per Woche; doch trat bei den Aermsten die Gemeindekasse ein und die Schwestern freuten sich allemal sehr am Schluß des Monats, wenn sie ihr Schächtelchen voll Kreuzer und Groschen zählen durften. Wie sie damit ausreichten, das freilich ist ihr Geheimniß, über dessen Lösung sie sich selbst gar nie besonnen haben; genug es reichte, und war von Hunger und Kummer nichts zu sehen in ihren vergnüglichen Gesichtern.

Am Sonntag waren sie Mittags Gäste im Pfarrhaus, und sie freuten sich allemal auf das gute Sauerkraut; wir wollen sie nicht verachten darum, es haben schon Naturen von höherem Schwung mit Vergnügen an eine gute Mahlzeit gedacht; für Pfarrers war's auch eine Freude zuzusehen, wie's ihnen so gar wohl schmeckte. Nach der Kinderlehre, die sie auch getreulich besuchten, und nach dem Kaffee, während dessen sie sich oft vergnüglich in die Augen schauten, gingen sie wieder heim, setzten sich bei gutem Wetter auf die kleine Bank hinter ihrem Häuschen, das grüne Rasenplätzchen vor sich und lasen noch eine Predigt des Papa selig; sie besaßen sie alle in sauberem Manuscript, dann noch manchmal ein Besuch im Dorf, ein Plauderstündchen mit einer Nachbarin und schließlich sangen sie ihr Abendlied, mit Begleitung des heiseren Klaviers und gingen im Frieden ihres Herzens zur Ruhe.

Waren sie in Betreff ihrer Sonntagsmahlzeiten un peu gourmandes, – was ja sogar Rousseau seiner Julie gestattet, – so waren sie Werktags um so genügsamer, denn um zwanzig Batzen per Monat kann man nicht viel Kuchen und Pasteten backen, aber – es reichte doch jedesmal; hie und da brachte eines der Kinder ein paar Eier von seiner Mutter oder kam eine dankbare Mutter mit einer Milch: »weil ihr Jakobele heut so gar ein schön's Versle aufgesagt hab';« es wurde kaum ein Schwein im Dorf geschlachtet, von dem die »braven Jungfern« nicht ihren Tribut erhalten hätten, – kurz, sie legten sich jeden Abend gesättigt nieder und wurden nicht müde zu wiederholen: »Gott Lob und Dank, der Papa selig hat doch Recht gehabt, es ist noch immer für uns gesorgt worden.«

Aber auch dies friedliche Glück sollte keinen Bestand haben. Nach viel ungestörten Nächten gesunden Schlafes kam eine Schreckensnacht für die Schwestern und für das ganze Dorf. Der Blitz hatte eingeschlagen, der Sturm trieb die Flamme weiter und ein großer Theil des Dorfes ging in der Einen furchtbaren Nacht zu Grunde.

Geweckt vom Flammenschein und Jammergeschrei, hatten die Schwestern sich eilig angekleidet und waren auf die Straße gestürzt, betäubt, rathlos, wie auch wohl klügere Leute von solch jähem Schreck werden. Da sah Jungfer Mine ein schreiendes Kind an dem niedrigen Fenster eines Nachbarhauses. »O das ist Peterle, mein armer Peterle,« rief sie mitleidig und nahm das Kind in seinem dünnen Hemdlein auf die Arme; »nimm mich auch mit, Jungfer Christine,« rief ein andres kleines Mägdlein, das verscheucht und verloren herumirrte, und so, sie wußten nicht wie, hängten sich da und dort den Schwestern so kleine Kreaturen an, die im allgemeinen Tumult aus ihren Betten und Häusern geflüchtet waren.

Das Feuer wüthete furchtbar, die Löschanstalten waren mangelhaft und nicht viel Wasser in der Nähe; doch wurde gegen Morgen die Flamme gedämpft, aber es war ein trostloser Morgen. Jetzt erst, neben allem Jammer um die Zerstörung, suchten Eltern und Kinder sich wieder zusammen; es waren viel Verletzte, doch fand man keine Leiche: alte, hilflose Leute und Wiegenkinder waren alle noch gerettet worden; aber viel größere Kinder, zwei-, dreijährige wurden vermißt, und es erhob sich unter den Müttern ein Jammergeschrei: »o mein, Peterle! Wo ist aber mein Madele? Ach, man hätt' besser nach den Kindern sehen sollen!« Da kam mit einemmal Schulmeisters großer Sohn gesprungen und schrie: »Da sind sie ja All in der Kirche!« Die Leute eilten hin, die Kirche war unversehrt geblieben, die Kirchthür stand offen, noch vom Sturmläuten in der Nacht; vorn auf den Stühlen saßen die drei Pfarrjungfern beisammen und um sie her ein Häuflein ihrer kleinen Schüler, zum Theil sehr dürftig, zum Theil gar nicht bekleidet; die Schwestern waren mit ihnen dicht zusammengerückt und hatten alle entbehrlichen Kleidungsstücke um sie gewickelt; einige der Kleinen schliefen in ihren Armen und sie winkten »bscht, bscht,« als die aufgeregten Leute herein kamen. Das »Bscht« half nichts, mit lauten Freudenrufen begrüßten die Mütter ihre Kindlein. »O Madele, Gott Lob und Dank, daß Du da bist!« »O mein Friederle! Gucket, er hat noch das Rugele in der Hand, wo er mit g'spielt hat beim Einschlafen!« »Aber wie kommt's denn, daß ihr da seid bei den Jungfern? Ach lieber Gott, wie gut ist's, daß euch nicht nichts geschehn ist!« Wie es gekommen, daß all die Kindlein sich zu ihnen gefunden, das konnten die Schwestern selbst nicht sagen, »aber wir haben gedacht, die Kirche werde doch gewiß nicht verbrennen,« sagte Christine, »so sind wir da hinein gegangen mit den Kindlein und haben sie ein Bischen warm gehalten und haben gebetet mit ihnen, daß der liebe Gott dem Feuer nicht wolle zu viel Gewalt lassen. Und wie sie geweint haben und sind hungrig worden, da hat ihnen Philippine ein Liedlein gesungen und sie sind fast Alle eingeschlafen.«

So hatten die Schwestern in der Einfalt ihres Herzens die Kindlein behütet und ihre Habe brennen lassen. »Das war recht dumm,« sagte einige Leute vom Dorf, die keine eignen Kinder hatten, »die Kinder haben ja laufen können, die wären schon davon gesprungen, hätten sie doch ihre Betten geflüchtet! Wenn man so wenig hat, da wird man auch noch Kinder hüten, während dem 's brennt!«

Die Schwestern aber lasen aus den Haufen geretteter Sachen das Wenige heraus, was von ihrem Besitzthum dabei war: einige Stücke Betten, einige Kleider, einen alten Garnhaspel, das heisere Klavier, von dem kein Mensch wußte, wie das herausgekommen war, und, – was sie mit höchster Freude begrüßten: des Papa selig seine Predigten! »Da ist nicht mehr viel von Ihren Sachen,« sagte mitleidig der Schultheiß; Jungfer Mine aber faltete die Hände zusammen und sagte: »Der liebe Gott hat's gethan.« »Aber was fangt man an,« sagte wieder rathlos das Ortsoberhaupt; »Ihr Häuslein ist abgebrannt, an eine Kleinkinderschul ist gar nicht mehr zu denken, wüßt' nicht, wo die Leute den Batzen noch auftreiben sollten! und im Ort ist kein Platz mehr …« »Der liebe Gott wird schon ein Plätzchen für uns finden,« sagte Christine getrost; »das hat ja schon der Papa selig gesagt,« vollendete Philippine.

Nun, inzwischen wurde Rath geschafft so gut möglich; die drei Schwestern wurden auf dem Dachboden des Pfarrhauses nothdürftig untergebracht, das mehr von Löschversuchen als vom Brand gelitten. Betten gab's nicht mehr viel, aber mit Hilfe der Pfarrerin, die nichts von ihrer Habe verloren, machten sie sich schon ein Nestchen zurecht, »'s ist ja so ein Glück, daß 's Sommer ist,« sagte Christine vergnügt, und sie beteten ihren Abendsegen in der Dachkammer, wo die Sterne hereinschienen, so andächtig, als vorher in ihrem Schlafkämmerlein, und ließen sich keine Sorge für ihre Zukunft drücken.

»Höret, da kommt etwas Prächtiges für Euch,« sagte der Pfarrer nach etwa 8 Tagen, während der die Schwestern genügsam das spärliche Brod getheilt hatten, das ihnen das Pfarrhaus bot, bis alles wieder ein wenig geordnet war; sie hatten inzwischen der Pfarrfrau ihre Kinder gehütet und ihre Strümpfe geflickt so gut, oder so bös sie's konnten und geduldig gewartet, bis sich ein Thürlein für sie aufthun werde, weshalb sie auch gar nicht sehr verwundert waren, über die Mittheilung des Pfarrers.

»Nun, es ist zunächst nur ein Obdach,« sagte dieser, »und nur für die Sommermonate, aber später wird gewiß auch weiter gesorgt werden.« »O freilich,« sagte Mine beruhigt.

»Die Frau Professor Müller in N. hat von unsrem Unglück hier gehört und daß ihr euer Obdach verloren habt; da sie nun mit ihren Kindern im Sommer auf dem Land wohnt, der Herr Professor aber wegen seiner Geschäfte in der Stadt bleibt, so will sie euch für den Sommer gute Wohnung in ihrem Haus einräumen, und ihr habt nichts zu thun, als Acht zu haben auf das Haus und die Hausthüre, daß der Herr vom Läuten an der Hausglocke nicht gestört wird, sonst wird sich ja wohl auch noch ein kleiner Verdienst finden; da ist ja nun für die nächste Zeit schön gesorgt!« Und vergnügt rüsteten sich die Schwestern zur Abreise; »der Papa selig hat's ja gesagt! Es kommt immer wieder gut.«

Derweil bereitete die gute Frau Professorin, die so ganz zufällig von der Noth der Schwestern gehört, diesen ein ganz freundliches Asyl in der großen obern Gaststube ihrer Stadtwohnung, – es war noch die gute Zeit, wo man sich eine ordentliche Haushaltung ohne Gaststube gar nicht möglich vorstellen konnte. Auch im Wohnzimmer richtete sie ihnen behagliche Plätzchen am Fenster, damit sie hübsch Acht haben könnten auf die Hausthür; sie freute sich recht, den armen, obdachlosen Geschöpfen, wenn auch nur für eine Weile, ein so gutes Plätzchen öffnen zu können.

Aber die Jungfern kamen lange nicht; man forschte bei dem Pfarrer zu Guggenbühl nach, – dort waren sie glücklich fortbefördert worden auf dem Wägelchen des Müllers; ein Kanapee hatten sie diesmal nicht mitzunehmen gehabt, sie hatten bis zu einem nahegelegenen Dorf bei N. fahren wollen und von dort mit Botengelegenheit an's Ziel; man glaubte sie dort längst angekommen. Auf näheres Nachforschen gestand endlich der Müllerbub, der zugleich Kutscher war, daß er unterwegs in einem Dorf das Fuhrwerk umgeworfen habe; ›die Jungfern seien bös herausgefallen, todt sei aber keine gewesen, er hab' glaubt, sie seien schon lange dort.‹ Der Pfarrer schrieb in das Dorf, wo das Unglück geschehen, und erhielt einen ganz vergnügten Brief von Jungfer Mine: »es ist uns ganz gut gegangen, obwohl der Knecht uns umgeworfen hat (wir haben ihm versprochen, wir wollen's nicht verrathen), ich habe nur den Fuß ein Bischen verstaucht und Christine den Arm und Philippine hat sich ein Loch in den Kopf gefallen, aber es heilt alles leicht zu; eine brave Wirthin hat uns aufgenommen, und die Frau Pfarrerin von hier hat uns Essen geschickt; wir gehen jetzt bald, so bald der Bote wieder fährt.«

Am kommenden Sonntag kam der Professor zu seiner Familie, um den freien Tag dort zuzubringen. »Nun, Deine Jungfern sind jetzt angekommen,« sagte er seiner Frau.

»Ach so! Nun, wie sind sie denn? und haben sie recht Acht auf das Haus, daß Du nicht so oft gestört wirst?« »Ich glaube ja, es wird wenigstens nicht mehr am Haus geläutet,« sagte der Professor, »gesehen hab' ich noch nicht viel von ihnen, sie scheinen aber vergnügt.«

So ging denn am Montag die Professorin zur Stadt, um zu sehen, wie das Haus von ihren Gästen behütet werde; der Professor war ausgegangen. Aber siehe da, die Hausthür stand weit offen, es hätte jedermann Gelegenheit gehabt, sich mitzunehmen, was da zu finden war und keine Jungfern weit und breit. Etwas rathlos, was mit ihren Thürhüterinnen geworden sei, schaute die Professorin aus dem Fenster; siehe, da kamen drei Frauenzimmer Hand in Hand höchst vergnüglich über den Marktplatz hergewandelt und schritten auf das Haus zu. »Ach, sind Sie die Jungfer Pommerinnen?« fragte sie. »Ja freilich, und Sie sind gewiß die Frau Professorin, die so gütig ist und uns aufgenommen hat!« entgegnete Mine höchst freundlich.

»Sie sind lang nicht gekommen?« hub die Frau Professorin an. »Ach ja, es ist uns ja zu all dem Unglück hin unterwegs noch so gut gegangen; vorgestern sind wir ganz ohne Unfall angekommen und haben so ein gar nettes Stüblein hier.«

»Was haben Sie denn soeben für einen Ausgang gemacht?« »Oh, wir haben nur miteinander um einen Kreuzer Pomade geholt,« sagte Christine; »die Kleine geht nicht gern allein aus, und mich haben sie auch nicht allein daheim lassen wollen.«

»Ja, – aber, – Sie hätten doch die Hausthüre nicht so offen lassen sollen,« sagte die Professorin, die den arglosen Mädchen keinen Vorwurf machen wollte, »man hätte ja so leicht stehlen können.« »O, stehlen thut man gewiß nicht bei Ihnen, und so am hellen Tage,« sagte Philippine, »da thäte man's ja sehen.« »Nun, nun, ein andermal schließen Sie doch das Haus zu,« sagte die gutmüthige Frau, und half ihnen, sich ordentlich einzurichten. Daß der Herr Professor in keiner Weise durch Ansprüche der Schwestern an seine Unterhaltung gestört sein werde, hatte er bald zu seiner großen Beruhigung bemerkt, und so hausten sie in höchstem Frieden und Stille nebeneinander.


Die Frau Professorin hätte ihren Gästen gern auch zu einem Nebenverdienst geholfen, fand aber bald, daß ihre Kenntnisse in Handarbeiten überaus gering waren. Nun kam aber damals gerade die Mode in Schwang, alte Seidenfleckchen aller Art und Farbe zu zerzupfen, die gezupften Fäden wurden mit Baumwolle gesponnen und ein Zeug daraus gewoben, der mehr dauerhaft sein sollte, als er schön war; – es gehörte das auch zu den Ersparnissen, wie sie von Zeit zu Zeit auftauchten und deren Profit ein äußerst zweifelhafter ist; ein alt schwäbisches Wort bezeichnet solche Gewinne als »Lieschingsnutzen«, (von welchem profitablen Liesching die Benennung stammt, weiß ich nicht); aber man hatte doch, indem man die alten Flecke verwendete, das beruhigende Bewußtsein, daß man eine nützliche Handlung verübte. – Es gab Familien, in denen eine wahre Manie auf Seidenflecke ausbrach; alte Kontuschen, langgesparte Prachtstücke von Urgroßmüttern wurden geopfert und ich habe ganze Geschlechter gesehen in den farblosen Stoff gekleidet, der, wie das todte Meer, eine ganze Welt voll Pracht und Eitelkeit verschlungen hatte, ohne daß mans ihm ansah. Das war nun eine Arbeit, die zur Noth jedermann versehen konnte; die Frau Professorin suchte alsbald etliche alte seidene Schürzen und zerrissene Ueberzüge von Sonnen- und Regenschirmen hervor und übergab sie den Schwestern zum zerzupfen, die gewonnene Seide wollte sie ihnen dann lothweise bezahlen, und freute sich schon, ihnen den kleinen Erwerb zuzuwenden. »Wenn Sie dann fertig sind, so bringen Sie sie mir an einem Sonntag in's Landhaus, nur müssen Sie dann das Haus hübsch abschließen,« sagte sie ihnen.

»O freilich,« versicherte Jungfer Mine bereitwillig, und sie hausten wieder im Frieden weiter in ihrem Kämmerlein, vergnügt mit der neuen Beschäftigung.


Am Sonntag Nachmittag war die Professorfamilie im Garten versammelt. »Mama, es kommen Besuche,« sagte der Knabe; »es werden Schauspielersleute sein,« meinte das Mädchen, mehr erbaut als ihre Mama über diese Aussicht.

Ach nein, Schauspielerinnen waren es nicht, es waren die unverstelltesten Menschenkinder auf der Welt, unsre drei Pfarrjungfern mit ganz freudestrahlenden Angesichtern, allerdings in einem etwas seltsamen Aufzug. Außer ihren lila Zitzkleidern, in denen sie noch den Papa selig vertrauert hatten und den dünnen Sommershawls, die ihnen der Vetter Pfarrer aus den Beiträgen für die Abgebrannten verabfolgt hatte, trugen sie noch seidene Hüte von absonderlicher Form: Mine als die Aelteste und Gesetzteste, trug einen schwarzseidenen Hut, gefertigt aus ein paar alten Staatshosen vom Vater der Professorin; Christine hatte aus einem Regenschirmüberzug ein grünseidnes Prachtstück zu Stande gebracht und solches mit einem rothen Wiegenband, das noch des Professors Wiege geschmückt, ausgeputzt. Philippine aber, die Kleine, hatte ein ganz schalkhaftes, schäferartiges Hütchen aus einem Sonnenschirmüberzug, das eine Art Schneppe in's Gesicht bildete, auch war es noch mit ein paar Punzelröslein ausgeputzt, die sich an einem alten Aufsätzlein vorgefunden hatten, das sich unter den Seidenresten befand.

»Du lieber Gott, meine Flecken!« rief in unwillkürlichem Erstaunen die Professorin aus.

»Ja nicht wahr,« sagte Christine ganz beglückend, »das hätten Sie gar nicht gedacht, daß die alten Flecke noch solche schöne Hüte geben!« »Ich hätt's auch nicht geglaubt,« sagte Mine; »aber die Christine, die hat's so schön hingebracht!« »Es freut Sie gewiß recht,« sagte die Kleine triumphirend. »Base Pfarrerin sagte, wenn wir in eine Stadt kommen, so werden wir uns neue Hüte anschaffen müssen, und die haben uns jetzt gar nichts gekostet! Deswegen wird's keine sündliche Eitelkeit sein.« »Und sie thun's für Sommer und Winter, weil's seidene sind!« rühmte Christine.

»Gezupfte Seide werden Sie jetzt keine haben,« sagte die Professorin, die's nicht über's Herz bringen konnte, ihnen die unschuldige Herzensfreude zu dämpfen. »O freilich, wir haben alle Restchen aufgezupft,« sagte Mine und brachte noch ein Päckchen hervor; die gutmüthige Frau bezahlte sie ihnen, als ob die schönen Hüte auch noch zum Opfer gefallen wären, und die Schwestern zogen am Abend höchst vergnügt ab mit ihrem Staat und mit ihrem Gewinn und dankten den braven Leuten und dem lieben Gott für den frohen Sonntag, den sie wieder hatten verleben dürfen.

Wie allmälich der Herbst nahte, wurde der Professorin bang, was sie mit ihren Gästen beginnen sollte. Ihre Stadtwohnung wurde durch eigne Hausgenossen und erwartete Gäste reichlich besetzt, – sie hatte freilich von Anfang an den Schwestern das Asyl nur für kurze Zeit angeboten, nur bis sie irgend eine bleibende Unterkunft hätten; aber diese hatten sich seither so höchst zufrieden angesiedelt, ihre bescheidnen Mahlzeiten in der Küche der Professorin gekocht, – der Herr speiste im Gasthof, – und nie mit einer Sylbe der Möglichkeit gedacht, daß dieser Zustand ein Ende nehmen könnte, so daß es der gutherzigen Frau kaum möglich war, ihnen zu sagen, daß sie sich nach einer anderen Unterkunft umsehen müßten.

Mit recht schwerem Herzen wandelte sie in nächster Woche zur Stadt, um doch die Schwestern vorzubereiten, und sie wurde betrübt, als sie die alten, vergnügten Gesichter begrüßten. »Jetzt denken Sie nur, wie's uns wieder so gut geht!« hub Mine an, »wir haben ja wohl gedacht, daß Sie auf den Winter Ihre Stube wieder selber brauchen werden, aber wir wußten nicht, wo wir dann hätten hin sollen, und wir wollten derweil gerade nicht sorgen, weil der liebe Gott noch allemal geholfen hat. Da schreibt jetzt unser Vetter Pfarrer, ob wir's denn wissen, daß wir noch von unsrem Papa selig her das Burgerrecht und den Genuß eines Güterstückleins in der Stadt Schneckenburg haben? Das haben wir gar nicht gewußt; mir ist's erst wieder eingefallen, daß der Papa oft davon gesagt hat, und dort sei nun gerad eine ganz wohlfeile Wohnung frei mit zwei Stüblein bei einem Seifensieder, wo andre Leute wegen dem Geruch nicht gern hinziehen; uns macht das aber nichts aus, und wir können einziehen, wenn wir nur wollen.« »Ja, uns geht's allemal wieder so gut,« sagte Philippine. »Gott sei Lob und Dank,« fügte Christine hinzu und faltete die Hände.

Gerührt und erfreut, daß auch ihr die Sorge um die Schwestern abgenommen wurde, eh sie recht zu sorgen begannen, half ihnen die Professorin, im Verein mit andern gutherzigen Leuten zu bequemem Abzug und zu ordentlicher Einrichtung in der neuen Heimath. Die Jungfern mit ihren vergnügten Gesichtern waren so gar niemand lästig gefallen; ihre verlassene Lage war allmälich bekannt worden, so wollte Jedes gern etwas zu ihrer neuen Haushaltung beitragen; da fand sich eine alte, abgängige Kommode auf einem Dachboden, dort ein paar Stühle, die Frau Oberbürgermeister stiftete sogar ein Kanapee mit zerrißnem Polster und der alte Kaufmann Schnepf in der Nachbarschaft, bei dem die Schwestern ihre bescheidnen Einkäufe gemacht hatten, verehrte ihnen außer einigen Düten Zucker und Kaffee, Reis und Gerste, noch einen Zitzüberrock seiner verstorbenen Frau, welcher, da selbige in ihrem Fett erstickt war, so vollständig weit war, daß Mine und Christine daraus einen Ueberzug über das Kanapee zu Stande brachten.

Noch eh die Professorfamilie vom Lande nach der Stadt übersiedelte, zogen die drei Schwestern ab, mit einem Herzen voll lauterer Dankbarkeit und Freude, daß sie überall so gute, brave Menschen gefunden und daß der liebe Gott immer wieder für sie sorge; was ihnen allein ein Bischen leid that, das war, daß ein Fuhrmann ihre Möbeln aufgepackt hatte und sie mit dem Postwagen nachreisten; sie wären so gar gern wieder auf ihrem Möbelwägelein, flott auf dem zitzenen Kanapee sitzend, miteinander abgefahren.

In Schneckenburg, – bitte es nicht im geographischen Handbuch zu suchen, – begannen die Schwestern ihr friedliches Dasein wieder mit neuem Vergnügen. Die Fenster ihrer zwei Stüblein gingen in einen Hühnerhof, dessen Einwohner sie bald alle persönlich kannten; so oft Philippine, die als die Kleinste den Tisch abräumen mußte, das Tischtuch ausschüttelte, kamen die zwei andern herbei, um sich mit zu freuen, wie das Geflügel gackernd und schnatternd von allen Seiten zusammensprang, und Mine sagte jedesmal dankbar: »seht, wir haben immer noch übrig für die Thierlein!«

Es war in der größern Stadt etwas theurer zu leben, und doch ging's so von einem Tage zum andern und war immer etwas da, ohne daß sie viel sorgten. Sie hatten Bekanntschaft mit den kleinen Kindern der Hausbewohner gemacht, die hie und da zu den »braven Jungfern« gingen und Verslein bei ihnen lernten; dafür that ihnen die Hausfrau auch wieder einen Gefallen. Die Vorräthe, die sie von dem guten Herrn Schnepf erhalten, zeigten sich fast so dauerhaft, als das Oelkrüglein der Wittwe von Sarepta; auch Base Pfarrerin spendete eine Sendung getrocknetes Obst, kurz sie waren, wie Mine oft mit dankbarem Herzen rühmte, »noch nie hungrig zu Bette gegangen.«

Aber frierend, – der erste Winter, den sie in Schneckenburg verlebten, war gleich ein grausam kalter; ihr kleiner Holzvorrath, den sie sich auf dem Wochenmarkt gekauft, war nicht so dauerhaft, wie die Düten des Herrn Schnepf und eines Morgens, als Christine wie gewöhnlich zuerst aufgestanden war, um Kaffee zu machen, kam sie traurig wieder herein: »höret, Schwestern, das Hölzlein ist ganz gar.« »Kann man kein's kaufen?« fragte Philippine. »Um weniger als einen Gulden kann man hier nicht Holz kaufen,« sagte Mine, die die Kasse führte, »und achtundvierzig Kreuzer haben wir noch.« »Was fangen wir an?« fragte rathlos die Kleine. »Nun,« schlug Christine vor, »Milch und Brod haben wir noch, das essen wir zum Frühstück, dann wollen wir recht beten, daß der liebe Gott wieder hilft; nähen wollen wir, so lang wir können und wenn's uns zu arg friert, so liegen wir in's Bett.« »Gott Lob und Dank, daß wir so gute Betten haben,« sagte Christine. So genossen sie ihr kaltes Frühstück; die Kleine hatte fast Lust, gleich wieder ein Bischen in's Bett zu liegen, um sich zu wärmen für die Arbeit; da klopfte es; ein Diener des Bürgermeisters trat ein. Die Schwestern hatten zu unschuldige Herzen, um an einer amtlichen Person zu erschrecken und fragten nur verwundert, was er wolle?

»Der Herr Bürgermeister haben bei der Verrechnung gefunden, daß Sie, die drei Geschwister Pommer, die Ihnen zustehende Burgergabe an Holz noch nicht erhalten haben; drunten habe ich nun ein Klafter Holz und bitte um Empfangsbescheinigung.« Die schrieb ihm Jungfer Mine mit zitternder Hand, dann baten sie den Hausherrn, unten zu helfen, den Gottessegen vor ihrer Thür abzuladen; dann aber gingen die Schwestern in ihr Stüblein zusammen und was sie sonst nur am Sonntag thaten, sie sangen zusammen aus vollstem Herzen ihren Lieblingschoral: »Wer nur den lieben Gott läßt walten;« und ob ihr Gesang auch keine menschlichen Zuhörer angelockt, er hat den Engeln im Himmel gewiß lieblich geklungen.

Aber blau waren ihre Angesichter und steif ihre Hände, als der Choral schloß mit den getrosten Worten:

Denn wer nur seine Zuversicht
Auf Gott setzt, den verläßt er nicht.

»Jetzt heizen wir aber ein?« fragte Philippine. »Die Scheiter sind so groß,« sagte in einiger Verlegenheit Mine, »wir können kaum ein's herauftragen und in den Ofen sind sie viel zu lang und selber spalten können wir's doch auch nicht.« »Aber ein Staatsholz gibt das, wenn's gespalten ist!« rühmte Christine.

Da klopfte es wieder. Diesmal war's kein Amtsbote, sondern ein elender, bleich und schlotterig aussehender Handwerksbursche. Bereitwillig ging die mildherzige Mine nach dem leichten Geldschächtelein. »Wenn's nur was Warmes hätten, Madame,« sagte der Bursche, »mich frierts in allen Gliedern; bin im Krankenhaus entlassen worden und hab heut noch nichts Warmes gekriegt.« Christine hatte eben in einem ungebrauchten Ofenloch noch einen Haufen Reisach entdeckt und schlug vor, sie wollen einen guten Kaffee machen und sich selbst und den armen Menschen damit erquicken. Das geschah; Milch kaufte man bei der Hausfrau und das Frühstück wurde mit großem Appetit verzehrt; mit Herzenslust sahen die Schwestern, wie's dem Armen schmeckte und nickten einander heimlich vergnügt zu.

»Jetzt vergelt's Gott viel tausendmal,« beschloß dieser seine Mahlzeit, als er den letztem Tropfen aus dem irdenen Schüsselchen ausgestrichen hatte und sagte seufzend, indem er aufstand: »wenn ich jetzt nur ein Unterkommen gefunden hätt', bis die ärgste Kälte vorbei wär', dann könnt' ich doch wieder weiter kommen; eine Heimath hab' ich nicht mehr, bin aber guter Leute Kind; ein Färber meines Handwerks; nur das lange Kranksein hat mich so 'runter gebracht; meine Schwester aber ist eben in Dienst eingetreten bei einem Fabrikherrn in der Schweiz, wenn ich bis dorthin komme, so thät' ich bei dem gewiß auch Arbeit finden, aber jetzt kann ich bei der Kälte nicht weit.«

Da kam der Jungfer Mine eine nationalökonomische Idee; »wie wär's, guter Freund, könnt Ihr auch Holz spalten?«

»Warum nicht, wenn ich's Geräth dazu habe? nur wird's am Anfang etwas langsam gehen, weil ich noch so ›liederlich‹ (schwach) bin.«

»Nun, Ihr könnt' Euch ja Zeit nehmen,« meinte die gute Mine und alsbald suchte sie mit den Schwestern Bettstücke zusammen, aus denen sie dem armen Burschen in einem leeren Hinterkämmerlein ein ganz ordentliches Lager zurüsteten. Der Hausherr lieh eine Axt und Säge her und bald hatten sie doch so viel gespaltnes Holz, daß sie eine behagliche Stube wärmen und ein frugales Mahl kochen konnten, von dem auch ihr Gast satt wurde.

Die Schwestern waren im hellen Glück über die profitable Einrichtung, die sie getroffen hatten. »Sonst ist das Holzspalten so theuer,« rühmten sie dem Hausherrn, »und der gute Mensch da ist noch so vergnügt und dankbar, wenn er's nur umsonst thun darf. Und Sie sollten sehen, wie's ihm schmeckt! Das ist eine tägliche Freude!« Der Hausherr lachte. »Na, das ist eine theure Freude! Ich bin froh, daß wir hinten hinauswohnen, so darf ich doch das miserablige Holzgespält nicht mit anhören, 's wird mir schwabbelig, wenn ich nur einmal sehe, wie lotterig das geht, und bis Sie den da 'rausfüttern, da hätten Sie drei rechte Holzspälter drum haben können.« »O nein, das Essen spürt man gar nicht,« versicherte ihn Christine, »wir brauchen nicht weiter, und der Mensch erholt sich zusehends.« Das war richtig! in vier Wochen etwa war zum Entzücken der Schwestern das wunderbarliche Holz nett und klein gespalten, das ein Holzspälter vom Fach in Einem Tag geliefert hätte; – der Hausherr hatte hie und da noch geholfen, – und trotz dieser anstrengenden Arbeit und bei der überaus einfachen Kost, die er mit den Schwestern theilte, war der elendige Handwerksbursche doch so gediehen, daß er getrosten Muthes seinen Wanderstab weiter setzen konnte. Der Mensch sah sonst nicht sehr weichherzig aus, aber er konnte vor Weinen fast nicht reden, als er sich von den Schwestern verabschiedete. »Gott vergelt's Ihnen viel tausendmal, was Sie an mir gethan,« stammelte er, »und wenn mir der liebe Gott noch eine besondere Güte thun will, so verhilft er mir, daß ich Ihnen einmal etwas vergelten darf.«

Auch den Schwestern war's gar betrübt zu Muthe, als ihr Hausgenosse schied und Jungfer Mine wäre fast auf die luxuriöse Idee gekommen, ihn als eine Art Jokey zu behalten; sie meinte, es hätte doch allerlei Geschäftlein für ihn gegeben.

Wäre freilich kaum an der Zeit gewesen, einen Jokey anzustellen; das schmale Einkommen der Schwestern wollte immer weniger reichen, hie und da hatten sie Strümpfe zu stopfen oder zu sticken für Dienstmädchen, aber das brachte gar wenig ein und es waren nur einfältige Kinder vom Lande, die ihnen Arbeit brachten, den Stadtmamsells arbeiteten sie zu grob. »Freilich,« gab Christine gutmüthig zu auf diesfallsige Bemerkungen, »wir haben's nicht besser gelernt, der Papa selig hat keine Gelegenheit gehabt.« Nun kam eine neue Sorge dazu, wenn sie überhaupt zum Sorgen wären aufgelegt gewesen. Der Sohn des Seifensieders verheirathete sich und die zwei Stübchen, die die Schwestern bewohnten, wurden dadurch unerläßlich nöthig. Die Hausfrau, die die braven Jungfern gar lieb gewonnen hatte, grämte sich mehr darum als diese selbst. »Wo nehmen wir aber eine geschickte Wohnung her für Sie?« fragte sie rathlos; »es wird wohl in diesem Frühjahr viel gebaut, aber bis jetzt ist die Miethe theuer, und viel bezahlen können Sie nicht.« »Nein, das können wir nicht,« gestand Mine. »Ich weiß noch gar nicht, wo wir etwas finden,« klagte die Hausfrau wieder, »und acht Tage nach Jakobi muß mein Fritz einziehen.« »Der liebe Gott wird schon sorgen,« sagte Philippine hoffnungsvoll. »Und wir sind ja begnügsam,« meinte Christine. Das waren sie, aber ein Obdach mußten sie doch haben, und Jakobi kam herbei, ohne daß man wußte, wo sie hin sollten. »Ein Dachkämmerlein gibts doch gewiß für uns,« tröstete Christine, als Mine doch anfangen wollte zu sorgen. »Oder ein Gartenhäuschen,« meinte die Kleine, »'s ist ja schön warm Wetter.« »Ja, das ist wieder ein rechtes Glück,« rühmte Mine; »wenn wir auch einmal in's Unglück kommen, so ist's erst nicht so schlimm.«

Da kam die Hausfrau freudestrahlenden Gesichts; »nein aber, was das für ein Glück ist!« »Nun was?« fragten die Schwestern erwartungsvoll. »Da ist ja vorgestern die alte Frau Speziälin gestorben …« »Das ist aber kein Glück?« bemerkte zweifelnd Christine. »O, sie ist ja sechsundachtzig Jahr alt gewesen,« entschuldigte die Hausfrau. »Ihr Sohn, der Herr Doktor von Sulzbach, ist bei mir gewesen, ich habe als ledig lang dort gedient und kenne den Herrn gut; der sagt, sie können jetzt unmöglich die Theilung vornehmen, seine »Frau liege im Wochenbett, bei seiner Schwester sei bald Hochzeit im Haus und der jüngste Sohn ist im Ausland und es gibt da gar viel zu theilen. Weil sie nun doch das Logis noch zahlen müssen, so wollten sie am Liebsten alles beisammen lassen, wenn sie eine vertraute Person hätten, die im Haus wohnte; die Magd will gleich heirathen. Da hab' ich ihm gesagt, keine vertrauteren Personen als wie Sie, könne er gar nicht finden und wie Sie so brav seien; dem Herrn Doktor ist's recht und seiner Schwester und Sie können gleich nach dem Begräbniß einziehen. Ihre Sachen stellt man auf den Boden, in der Frau Speziälin Haus ist alles genug, und der Herr Doktor sagt, was von Schmalz und Mehl und so noch im Hause ist, das können Sie aufbrauchen, da hab er nichts dagegen; nicht alle reichen Leute sind so gutmüthig; aber sie erben auch viel mehr als sie gewußt, man sagt, die alte Frau hab' noch eine Schachtel Kapitalbriefe versteckt gehabt.«

So war nun alles im Reinen und die Hausfrau erbaute sich mit, als am Abend das heisere Klavier wieder ertönte und die Schwestern aus ihrem Lieblingslied den Vers anstimmten:

Denk nicht in Deiner Drangsalshitze,
Daß Du von Gott verlassen bist.

In der anständigen Wohnung der alten Frau Speziälin lebten sie sich denn gar behaglich ein; die Speisekammer und Küchenvorräthe, die ihnen der freigebige Erbe überließ, reichten für ihre bescheidnen Bedürfnisse fast den ganzen Sommer, so daß sie ihr ›Geldlein‹ sparen konnten. Das Hausgeräthe und die Betten schonten sie auf's Beste und kein Dieb und Räuber nahte dem friedlichen Asyl, darin sie nicht müde wurden Gott zu danken, daß er wieder so gesorgt für sie.

Leider aber dauerte die Herrlichkeit abermals nicht lange; vor Martini mußte die Wohnung geräumt werden und diesmal war's bedenklicher, da der Winter vor der Thür war und die Kälte schon begonnen hatte, und nirgends eine kleine Wohnung frei, wie die Schwestern sie brauchten. Mine hatte an einigen Orten nachgefragt; »'s geht nirgends,« sagte sie, »die Leute sind überall brav, und wollten uns gern aufnehmen, aber wohlfeiler können sie's nicht geben, und viel zahlen können wir nicht.« »Ich bin jetzt nur begierig,« sagte Philippine unschuldig, »wo diesmal etwas für uns herkommt?« Da klopfte es wieder. »Es bedeutet allemal etwas Gut's, wenn's klopft bei uns,« hatte einmal Christine gesagt.

Diesmal war's der Werkmeister Ziller, ein angesehner Burgersmann, der den Schwestern seinen Besuch machte.

»Sie wissen ja wohl,« sagte er nach kurzem Gruß, »daß ich ein neues Haus gebaut habe. »Ach ja, das schöne Haus vor dem Thor,« sagte Christine; die Schwestern waren hie und da daran vorbei spaziert und hatten das Haus betrachtet, etwa wie des Königs Schloß, so bewundernd und so fern. »Das Haus wäre nun fertig und unser Herr Oberamtsarzt, der mir auch der liebste Miethsmann wäre, will's ganz nehmen, aber der ist so närrisch mit der Gesundheit (wissen Sie, 's ist sein Fach), und will nicht im Winter einziehen, bildet sich überhaupt ein, es sei ungesund, in ein neues Haus zu ziehen, wo noch niemand gewohnt. Nun könnt ich schon Leute kriegen, die mir derweil einziehen, aber solche, die mir das schöne, neue Haus verderben würden und doch lasse ich einen so guten Miethsmann nicht gern hinaus, wenn ich auch vorher Schaden habe. Da habe ich gedacht, – Sie sind ja schon in gesetztem Alter und nicht schwächlich, – wenn Sie wollten inzwischen mein neues Haus beziehen, es sollte Sie nichts kosten; ich wollte Ihnen noch so etwas Zimmerspäne und Gerünzel lassen, mit dem Sie nach und nach die Zimmer heizen könnten, daß alles hübsch auftrocknet bis zum Frühjahr; so würde mir doch nichts verdorben in dem schönen, neuen Haus und Sie hätten einstweilen einen Unterschlauf.«

»O freilich,« sagte Mine höchst vergnügt, »uns thut das Bischen Feuchte gewiß nichts; jetzt ist ja wieder so schön gesorgt!«


War nun freilich nicht so gemüthlich in dem leeren neuen Haus, das ihre Gerätschaften nur dürftig füllten; wie in dem alten eingewohnten Stübchen der Frau Speziälin; aber die Schwestern waren doch dankbar für das schöne Quartier und die prächtige Aussicht, wie sie sie nie gehabt; auch sind sie gesund geblieben und haben gewissenhaft die neuen Räume der Reihe nach durchbewohnt; die Tapeten sind getrocknet, und der Herr Oberamtsarzt mit seiner Familie durfte im Frühling beruhigt einziehen.


Die Mansardenstübchen, die sich jetzt für die Schwestern fanden, waren freilich nicht so schön hell wie die neuen Zimmer, auch nicht so behaglich wie die Stuben der Frau Speziälin, hatten auch nicht den Vorzug, daß sie unentgeldlich waren, wie diese beiden Wohnungen. »Aber man ist so nah beieinander, und man wird nicht so bald wieder fort müssen,« war das Gute, das sie diesem Aufenthalt nachzurühmen wußten.

Nur das Geldlein! Das wollte eben trotz Bürgerstück und Stadtholz nicht gut reichen, da die neue Wohnung theurer war, als die bei Seifensieders; vor der Hand gings ja wohl, wenn aber die Schwestern gelernt hätten zu rechnen und zu zählen, so hätte ihnen bange werden müssen auf künftige Tage; das Einkommen war gar zu klein!


Der Winter in der kalten, dunklen Mansarde war aber doch etwas trübselig vergangen, und das Geldlein sehr geschmolzen. Andre sorgten mehr um die armen Pfarrjungfern als sie selbst. Da kam Christine eines Morgens höchst verwundert herein: »höret, da ist ja ein Brief an uns, und nicht vom Vetter Pfarrer, sondern aus der Schweiz! Das wird ein Irrthum sein.« Aber da stand doch deutlich: »An die drei Jungfern Pommer, Pfarrerstöchter, bei Seifensieder Buzenmaier in Schneckenburg.« So öffneten sie denn den Brief und lasen mit Erstaunen:

»Meine liebwerthen Frauenzimmer!

»Wenn dieser Brief Sie gesund und wohl antrifft, so wird es mich freuen; was mich anbelangt, so geht mir's bereits wie dem König David: ›ich bin nicht werth der Treue und Barmherzigkeit, die der Herr an mir gethan.‹« »Das ist ja Erzvater Jakob gewesen,« korrigirte Christine. – »Ich bin so in der Elendigkeit zu Ihnen gekommen und wäre bereits Hungers gestorben,« fuhr Mine zu lesen fort, »wenn Sie mich nicht zum Holzspalten angerichtet und als wie einen leiblichen Bruder versorgt hätten.

»Und bin ich dazumal glücklich bis hieher gekommen, wo meine Schwester im Dienst gewesen ist bei dem Fabrikherrn Walter und Komp., ist aber keine Kompagnie da, er hat's allein. Und vor anderthalb Jahr ist die Frau gestorben und da meine Schwester vorher schon über alles ist gesetzt gewesen, so hat ihm der liebe Gott das Herz gelenkt, nämlich dem Fabrikherrn (er macht in türkisch Garn), daß sie jetzt die Frau ist vom Haus und ist in einem großen Reichthum, wo ihr der liebe Gott ein demüthiges Herz erhalten wolle; und ich habe die Aufsicht in der Fabrik; es ist eine große Färberei, wo ich bereits nach allem sehen kann und bin ich nicht gesonnen zu heirathen, von wegen der Schwächlichkeit, indem meine Schwester für mich sorgt.

»Mein Schwager, der auch vom niedrigen Stande ist, hat dereinst klein angefangen und war einer Wittfrau Sohn gewesen, mit einem Bleichgeschäft, dasjenige er auch beibehalten hat, und steht ein kleines Haus auf einer Insel mit einem Gärtlein, daß jemand darin wohnen kann und die Aufsicht haben; das Geschäft besorgt aber der Bleichknecht. Da hat nun mein Schwager gesagt, wenn er eine brave, bedürftige Wittfrau wüßte, so könnte die ihr Lebtag umsonst in dem Bleichhäuslein wohnen, zum Dank, daß ihn der Herr so gesegnet. Und hierauf habe ich ihm gesagt, daß Sie keine Wittfrau seien, aber bereits drei ledige Frauenzimmer, und wie Sie Barmherzigkeit und Treue an mir gethan haben. Und so ist's ihm auch recht und Sie können einziehen allhier in dem Bleichhäuslein, wenn Sie wollen, und sollen Ihr Lebenlang unvertrieben sein, indem daß mein Schwager es schriftlich machen will, auch nach seinem Tod, wiewohl er übrigens ein rüstiger Mann ist, und verbleibe Ihr getreuer

Johann Jakob Hinzeler

»unsre Adreß ist Herrn Walter und Komp. St. Gallen.«

Dort haben denn auch die Schwestern schließlich ihre friedliche und freundliche Heimath gefunden. Philippine hat Ringelblumen und Astern in dem Gärtlein gepflanzt, Mine gekocht und Christine geflickt; die Fabrikkinder aber haben Sprüche und Lieder bei ihnen gelernt und ihr ehmaliger Holzspalter ist ihnen bis zu seinem frühen Tode treu ergeben blieben.

Auch an ihre Thüre hat, obwohl spät, der stille Bote geklopft, und auch der hat »was Gutes« gebracht, wie früher Christine gemeint; er hat sie zu der Ruhe geführt, die denen beschieden ist, die lautern und einfältigen Herzens sind, und auf ihrem Sterbebette noch hatte Mine mit dankbarem Munde bekannt: »der Herr hat uns niemalen verlassen, der Papa selig hat Recht gehabt.«


In alten Zeiten hat man jeder Geschichte eine Moral beigefügt, damit der geneigte Leser sich nicht die Mühe nehmen durfte, sie selbst heraus zu suchen. Soll nun diese wahrhaftige Geschichte auch eine solche haben, so sei es ja nicht die, daß fromme Eltern ihre Töchter sollen aufwachsen lassen wie das liebe Gras auf der Wiese, gleich dem Pfarrer zu Waldangenloch. Nur wenn sie das Ihrige redlich gethan und dennoch ihre Kinder mit stiller Sorge betrachten, so möge sie ihnen zurufen: »So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, wie wird er vielmehr euch thun? o ihr Kleingläubigen!«



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