Christoph Martin Wieland
Aristipp
Christoph Martin Wieland

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XXXI.
Lais an Aristipp.

Ich habe Uranien zwey schneeweiße Täubchen und dem Wogenbändiger Poseidon einen Stör von der ersten Größe für deine glückliche Wiederkunft geopfert. Ein schwarzer Stier mit vergoldeten Hörnern ist ihm auf den Tag gelobt, an dem wir uns in Ägina wiedersehen werden.

Es ist doch eine schöne Sache, Freund, so in der Welt herum zu streichen, und alles was groß, selten und sehenswerth ist, mit seinen eignen Augen zu besehen. Die Beschreibung, die du mir von dem Gemälde des Parrhasius zu Mitylene giebst, könnte mich leicht dahin bringen, selbst nach Lesbos zu reisen, um mich gewiß zu machen, daß die Kunst binnen dreyßig bis vierzig Jahren schon zu einer solchen Höhe hinauf gestiegen sey. Leontides sagte mir, sein Landsmann und Zeitgenoß Kleofant habe für einen großen Mahler gegolten, weil man einige Verschiedenheit in den Gesichtern seiner Figuren wahrgenommen; von Ausdruck der Leidenschaften, Gemüthsregungen und Sitten hatte man damahls noch keinen Begriff, und an die feinern Bezeichnungen der Gradazionen in allem diesem war vollends gar nicht zu denken. Aber die sinnreichen Anmerkungen, die du über die verfehlte Absicht des Künstlers und über die Unmöglichkeit, den Karakter eines ganzen Volkes in einer historiierten Allegorie zu personificieren, machst, hättest du dir, dünkt mich, ersparen können, mein lieber Filosof. Wer sagt dir denn, daß Parrhasius eine solche Absicht hatte? oder wie kannst du dir einbilden, ein Mahler, der das alles, was du an seinem Werke rühmst, leisten konnte, habe etwas unternehmen wollen, das der Kunst unmöglich ist? Ich bin gewiß, es fiel ihm so wenig ein, das Attische Volk, in so fern es sich als eine moralische Person denken läßt, in diesem Gemälde darstellen zu wollen, als die Anwohner des Imaus, oder das Volk im Mond. Warum wollen wir ihm eine andere Absicht leihen, als die sich in seinem Werke selbst ankündigt? Warum soll es noch etwas andres seyn als es augenscheinlich ist? Parrhasius wollte eine aus einander gehende Athenische Volksversammlung mahlen, und zwar so, daß wir errathen könnten, was in derselben verhandelt worden, und wie es überhaupt darin zuzugehen pflege. Es war ein sinnreicher Gedanke, und, ihn auszuführen, unläugbar eine Aufgabe, an die sich nur ein großer Meister wagen durfte. Deiner Beschreibung nach, hat er das, was er leisten wollte, wirklich in einem so hohen Grade geleistet, daß die Kunst in Andeutung dessen, was sie dem Scharfsinn des Anschauers überlassen muß, schwerlich weiter gehen kann. Was wollt ihr noch mehr?

Die Nachricht, die du mir von dem Benehmen der Sokratiker und des Meisters selbst gegen dich giebst, hat für mich nichts unerwartetes. Alles, dünkt mich, ist wie es seyn kann: wenn jeder bleiben soll, wozu ihn Natur und Umstände gemacht haben, könnt ihr in keinem andern Verhältniß mit einander stehen, und ich bin mit deinem Betragen gegen sie völlig zufrieden.

Dein neuer Freund Hippias ist mir nicht so neu als du zu glauben scheinst. Ich lernte ihn schon vor einigen Jahren bey meinem Alten kennen, und ich müßte mich sehr irren, wenn es ihn schwer ankommen sollte, bloß mir zu Gefallen nach Korinth zu reisen. Wenn er's thäte, so ist er bis jetzt vielleicht der einzige, der dir gefährlich werden könnte. Bey dieser Gelegenheit fällt mir ein, daß ich dir eine vor kurzem gemachte Entdeckung mitzutheilen habe. Oder solltest du es vielleicht schon wissen, daß sich ein zärtliches Herzensverständniß zwischen meiner kleinen Musarion und deinem wundervollen Freunde Kleombrotus angesponnen hat, wovon wir beide (ich weiß nicht recht warum) während der ganzen acht Tage, die er, vor euerer Reise, in meinem Hause zu Ägina mit uns lebte, nichts gewahr wurden. Wie hätt' es aber auch zugehen sollen? Sie hielten die Sache so geheim, daß die Hauptpersonen selbst, wenn es nur irgend möglich wäre, nichts davon gewahr worden wären. So lange sie einander alle Tage sehen und sprechen konnten so viel sie wollten, war die Sprache der Augen die einzige, wodurch ihre liebenden Seelen sich einander mittheilten. Gäbe es, um einen jungen Herkules, der lauter Geist ist, mit einer niedlichen kleinen Hebe, die lauter Seele ist, in Verbindung zu setzen, noch ein geistigeres Mittel als Blicke, so würden ihnen sogar Blicke noch zu materiell geschienen haben, um sich ihrer zu Unterhaltung dieser heiligen Flamme zu bedienen, die sich im Augenblick der ersten Annäherung, wie durch einen aus heiterm Himmel plötzlich herabfallenden Blitz, in ihren kongenialischen Seelen entzündete. Dieß ersehe ich aus einem Briefe des erhabnen Kleombrotus an meine kleine Muse, worin er unter andern sagt: »O, Musarion! Warum können Seelen wie die unsrigen einander nicht unmittelbar berühren, unmittelbar umschlingen, durchdringen und in eine einzige zusammen fließen! Warum muß ich Armer ein so dürftiges, kaltes, kraftloses, kümmerliches Mittel, als Worte sind, zu Hülfe nehmen, um dir zu sagen, was keine menschliche Sprache, was die Sprache der Götter selbst nicht aussprechen kann, – wie ich dich liebe!« – Du fragst mich, Aristipp, wie ich zur Entdeckung dieses unsichtbaren und unaussprechlichen Liebeshandels gekommen sey? Wisse also, mein Freund, daß der arme Kleombrotus, wie er, nach seiner Abreise mit dir, die bisherigen einzigen Vermittler seines geheimen Verständnisses nicht länger gebrauchen konnte, sich endlich durch die höchste Noth gezwungen sah, zu dem gemeinen Hülfsmittel zu schreiten, dessen wir andern gewöhnlichen Menschenkinder uns in solchen Fällen zu bedienen pflegen. Kurz, die kleine Musarion erhielt nach und nach einige große Briefe von ihm, die du lesenswürdig finden würdest, wenn ich Zeit, oder (aufrichtig zu seyn) Dienstgeflissenheit genug gehabt hätte, sie für dich abzuschreiben. Zufälliger Weise fand ich diesen Morgen, da das Mädchen eben anderswo beschäftiget war, ihr Schmuckkästchen, worin sie diesen Schatz verwahrte, unverschlossen; und so erfuhr ich denn mehr als die gute Seele glaubt daß ich wisse; denn ich schlich mich unbemerkt wieder fort, und bin entschlossen, mir nicht das geringste von der gemachten Entdeckung gegen sie merken zu lassen. Wenn du es mit dem begeisterten Kleombrotus eben so halten wirst, so können wir uns von dem Fortgang und der Entknotigung dieses sublimen Liebeshandels noch manche Kurzweil versprechen.


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