Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Viertes Kapitel

Unverhofftes Wiedersehen

An einem wenig freundlichen Frühlingstage bewegte sich ein Trupp von mehreren hundert Reitern und Fußsoldaten durch den dichten Wald hinter Heilsberg. Sie marschierten nicht in guter Ordnung, sondern hatten ihre Rotten aufgelöst, da der schmale, sich zwischen den alten Baumstämmen durchwindende Fahrweg von dem letzten Gewitterregen völlig durchweicht war, auch an den sandigeren Stellen immer nur einer kleinen Zahl von Bewaffneten Raum bot. Jeder sah, wie er auf und neben dem Wege am besten vorwärts kam. Reisige und Fußvolk wechselten miteinander ab. Die Fähnlein waren aufgerollt und wurden wie Stangen lang auf der Schulter getragen. So trugen die Fußgänger auch ihre Spieße, um nicht bei jedem Schritt an die tiefhängenden Baumäste anzustoßen. In einiger Entfernung rechts oder links ritt oder ging wohl auch einer allein auf der Suche nach einem haltbaren Fußsteg. Das Laub war noch wenig entwickelt und gestattete ziemlich weithin den freien Durchblick. Dem Trupp folgten Bagagewagen, die meist mit Bauernpferden bespannt, die unbarmherzig angepeitscht wurden, wenn die Räder im Schlamm steckenblieben. Auf den Fuhrwerken saßen einige Hakenschützen; sie hatten ihre langen eisernen Rohre und das Gestell zum Auflegen neben sich. Auch ein schweres Geschütz wurde auf mehreren verbundenen Achsen nachgefahren. Die Mannschaft ging nebenbei und half gelegentlich nach, wenn das Gefährt über Baumwurzeln und Steinen ins Schwanken kam. Entstand hier ein Aufenthalt oder reckte der Zug sich zu weit aus, so gab der Trompeter, der neben dem Hauptmann ritt, den Vordersten ein Zeichen, zu halten. Die ganze Masse bewegte sich so nur langsam weiter.

Der Hauptmann war Jost vom Wege. Er ritt ein schönes Pferd, einen Rappen, dem man's aber ansah, daß ihm schon seit Wochen die rechte Pflege gefehlt hatte. Das Haar war struppig, die Mähne ungekämmt, der Schweif mit einem Strick von Stroh aufgebunden. Er hatte die Blechhaube am Sattelknopf hängen und trug einen grauen, breitrandigen Filzhut mit langwallender Feder. Ein kurzer Harnisch deckte ihm Brust und Rücken; zum Schutz der Schultern waren bewegliche Platten angeschnallt. Darunter trug er ein Lederwams mit Schlitzen, durch die das rote Unterkleid sichtbar wurde. Die gelben Stiefel waren hoch aufgezogen und über dem Knie mit Riemen befestigt. Die großen übergeschnallten Sporen starrten von Schmutz, der sich auch in langen Spritzern am lose umgehängten Filzmantel hinaufzog und sogar das braune Gesicht getroffen hatte. Das Schwert war waagerecht aufgenommen. Am Leibgurt hing ein Dolch in künstlich verzierter Scheide und eine Geldtasche. Die schwerere Rüstung wurde ihm zugleich mit dem Zelt und Tafelgeschirr nachgefahren.

Man war offenbar gut unterrichtet, hier keinen Feind anzutreffen. Aus Bischofstein und Rößel, in welcher Richtung die Reise ging, wagte sich die schwache Besatzung schwerlich vor, wenn sie schon von dem Anmarsch der Bündischen Kenntnis hatte. Erst darüber hinaus in der Gegend von Rastenburg mußte man sich darauf gefaßt halten, mit Kriegsvolk des Ordens zusammenzutreffen.

Tileman vom Wege hatte seinen Sohn zum Anführer der Mannschaft vorgeschlagen, die auf seinen Rat ins Ermland abgeschickt wurde, die bischöflichen Besitzungen in Beschlag zu nehmen. Er hoffte ihn so dem König am besten zu empfehlen. Nach Erledigung dieses Auftrages und seiner eigenen Rückkehr von Marienburg sollte dann in Thorn, womöglich in Gegenwart des Königs und der polnischen Woywoden, die Hochzeit Josts mit Eva von Birken gefeiert werden. Jost hatte diesem Lieblingswunsch des Vaters nicht länger widersprochen, obschon die schöne Patriziertochter seinem Herzen nicht näher stand als sonst eine junge und vornehme Thornerin. Es war ihm lieb, daß über ihn bestimmt wurde; sich selbst zu entschließen fehlte ihm noch immer der rechte Antrieb. Er hatte in Warschau, in Gent, auch in Thorn genug schöne Frauen gesehen, wohl auch die eine und andere vorübergehend ausgezeichnet und mit verliebten Anträgen verfolgt. Es war doch, als ob sein Herz einer leidenschaftlichen Erregung über den ersten Sinnesrausch hinaus ganz unfähig geworden. Sollte er nun eine Ehe eingehen – und er sah ein, daß dies Wegen Sicherung des Gutes in der Familie am Ende unumgänglich –, so konnte er am wenigsten gegen Eva von Birken etwas haben, die ihm früh schon zugedacht und auch wohlgeneigt war. Hatte sie doch so manchen Freier abgewiesen! Vielleicht aus keinem andern Grund, als weil sie noch immer auf seine Werbung hoffte.

Es war ein ganz stattlicher Heerhaufe unter seinen Befehl gestellt. Man mußte erwarten, daß der Orden sich der Besitznahme des Ermlandes widersetzen werde, wenn er noch irgendeine Mannschaft aufzubringen vermöchte. Der Bischof Franziskus selbst hatte freilich längst seine Person in Sicherheit gebracht und in Breslau Aufenthalt genommen, von wo aus er auch ungestörter die Verbindung mit dem päpstlichen Stuhl unterhalten und für den Orden tätig sein konnte, dem er trotz aller Niederlagen seine Freundschaft nicht entzog.

Jost vom Wege hatte ohne schwere Mühe die Stadt Heilsberg eingenommen; die geängstigten Bürger, die ihrem entflohenen Bischof kein Heldenstück schuldig zu sein glaubten, öffneten ihm die Tore, nachdem einige Kugeln aus dem groben Geschütz über die Mauern geflogen und in das Dach des Rathauses eingeschlagen waren. Aber das Schloß Heilsberg widerstand. Der treue bischöfliche Vogt wies die Aufforderung zur Übergabe zurück, so schwach er auch mit Mannschaften versehen war, und vertraute der Tiefe des Grabens und der Festigkeit der Mauer, gegen die Sturm zu laufen immerhin eine bedenkliche Aufgabe scheinen konnte. Jost hatte denn auch, nachdem ein rascher Angriff abgeschlagen war, von regelrechter Belagerung Abstand genommen und sich begnügt, eine Besatzung in der Stadt zurückzulassen und die zum Schloß gehörigen Wirtschaftshöfe zu brandschatzen. Er sah voraus, daß der Vogt sich am Ende doch ohne Kampf ergeben werde, wenn erst die andern Schlösser genommen seien, und setzte deshalb seinen Marsch fort. Heute in der Frühe war ein am Rande des Waldes belegenes Beutnerdorf geplündert und gegen seinen Befehl in Brand gesteckt. Er hatte Mühe, das an Gewalttätigkeiten aller Art gewöhnte Kriegsvolk im schuldigen Gehorsam zu erhalten.

Er ritt ungefähr in der Mitte der weit verstreuten Schar, eher etwas zurück, um bessere Übersicht zu haben. In seiner Nähe befanden sich einige Rottenführer, der Profoß und der Trompeter. Sein Fähnrich war ein Stück voraus, der Quartiermeister hinten beim Troß. Gegen Mittag wurde der Himmel heller; brach auch nicht die Sonne strahlend vor, so zeichnete sich doch ihre Scheibe deutlich in das Nebelgrau. Man hoffte einen frei gelegenen, möglichst trockenen Platz zu gewinnen, auf dem haltgemacht und abgekocht werden könnte. Die Feldküche hatte sich in dem ausgebrannten Dorf mit einigen Hammeln, allerhand Geflügel und gekellerten Gemüsen versehen. Auch trug mancher Kriegsknecht das Hühnchen, dem er den Hals abgedreht, oder Wurst und Speck, die er aus einer Rauchkammer in Sicherheit gebracht, bevor das Strohdach in Flammen aufging, oben am Spieß über der Schulter. Mitunter hing daneben auch ein Topf mit Honig oder ein Schlauch mit Met, und nicht schlechter hatten einige Reiter sich versorgt, indem sie den Sattelknopf belasteten. Doch mochte es nicht so sicher sein, daß die vorhandenen Lebensmittel ausreichen würden, denn gelegentlich wurde auch dem aufgescheuchten Wild nachgestellt.

Plötzlich entstand an der Spitze des Zuges eine raschere Bewegung. Man zeigte nach seitwärts in die Ferne, drängte vom Wege ab und rief einander zu. Die Zurückgebliebenen eilten nach und stimmten bald in das freudige Hallo ein. Der Fähnrich Hans Rogge hatte eine Umzäunung und dahinter ein Strohdach bemerkt. Dort gab es sicher etwas zu plündern; auch mochte sich der Hof zum Halteplatz gut eignen und darauf ein Brunnen anzutreffen sein. So beschleunigte er denn den Schritt seines Pferdes und hatte schon ein großes Gefolge hinter sich, als er an dem geschlossenen Tor anlangte.

Man klopfte an dasselbe mit den Spießstangen und rief: »He – holla – aufgemacht!« Innen schlugen die Hunde an; man hörte die Ketten rasseln. Eine Weile schien es so, als ob niemand sich melden wollte. Als das Klopfen heftiger wurde und das Geschrei sich vermehrte, tauchte hinter den Palisaden der Kopf einer alten Magd auf, um gleich wieder zu verschwinden. Er war mit lautem Gelächter begrüßt worden, und dasselbe verstärkte sich beim schnellen Rückzuge. Da auch jetzt nicht geöffnet wurde, schlug man noch dreister gegen die Torflügel und ließ die Drohung hören, daß man sich mit Gewalt den Zugang verschaffen werde. Nun wurde der Oberkörper eines jungen Mädchens sichtbar. Der Wind spielte mit dem goldblonden, gekräuselten Haar, das lose um die Schultern hing. Die großen Augen blickten zornig herüber. »Was wollt ihr?« »Macht auf, schönes Kind«, antwortete der Fähnrich. »Wir sind Kriegsleute, wie du siehst, und hoffen auf gute Bewirtung.«

»Hier ist keine Herberge.«

»Kann schon sein. Aber wir nehmen's nicht so genau damit. Jedes Haus am Wege ist uns recht. Aufgemacht, Jüngferchen!«

»Hier wohnt die Waldfrau! Wir lassen niemand ein, als Kranke, die ihrer Hilfe bedürfen.«

»Das mögt Ihr sonst halten, wie Ihr wollt. Diesmal müßt Ihr schon leiden, daß sich auch die Gesunden bei Euch umschauen. Macht keine Umstände!«

»Wir haben nichts für solche Gesellen. Zieht eures Weges weiter!«

Der Fähnrich lachte. »Ihr seid unhöflich. Solche Gesellen wie wir lassen nicht mit sich spaßen. Einen Trunk Wasser und ein Küßchen wenigstens werdet Ihr uns nicht versagen.

»Unverschämter!« Die Gestalt verschwand wieder. Innen wurden die Hunde losgekettet und kläfften nun dicht am Zauntor.

Der Haufe, der sich vor demselben angesammelt hatte, wurde ungeduldig. »Worauf warten wir? Sollen wir uns von einer hübschen Dirne so frech abweisen lassen? Aufgemacht, oder wir schlagen das Tor ein!«

Da sich keine Antwort vernehmen ließ, drängten die Vordersten mit ihren breiten Schultern gegen die Flügel. Das Holz knackte und krachte, gab aber nicht nach; offenbar war innen ein Balken vorgelegt. Nun hoben sie Steine vom Wege auf und hämmerten damit gegen die Bretter. Andere steckten ihre langen Dolchmesser in die Fugen und suchten den Verband zu lockern. Einige Reiter hatten Streitäxte am Sattel hängen. Sie sprangen ab und ließen dieselben in wuchtigen Schlägen auf das Holz fallen, das nun absplitterte. Einige Schritte seitwärts schwangen sich die behenderen Burschen auf die Schultern ihrer Kameraden und versuchten, sich an den Palisadenpfählen in die Höhe zu ziehen. Dabei schrie und fluchte jeder, daß bald ein Höllenlärm entstand, den das Geheul der wütenden Hunde verstärkte. Jetzt aber brach der Torbalken mit lautem Krach. Die vorderen Rotten, die sich dichtgedrängt dagegen gestemmt hatten, stürzten in den Hof hinein. Sofort fielen die Hunde über sie her, rissen ihnen die Kleider vom Leibe und schlugen die scharfen Zähne ins Fleisch. »Schafft die Bestien fort«, schrien sie den Hintermännern zu. »Ruft die Hunde zurück, verfluchte Weiber, oder ihr sollt's mit dem Leben büßen!« Man schlug die treuen Tiere mit den Lanzenschaften nieder oder spießte sie auf die Eisenspitzen. Wenige Minuten nur, und der Weg war frei.

In der Tür des niedrigen Hauses stand eine hohe, ganz schwarz gekleidete Frau. Zu ihren Füßen lag das rothaarige Mädchen, augenscheinlich bemüht, sie zurückzuhalten. Einen Augenblick stutzten die rohen Kriegsknechte vor der Hoheit dieser Erscheinung, aber die Scheu wich rasch, als die Masse mit wildem Lärm nachdrängte. Der Fähnrich Hans Rogge war vom Pferde gesprungen und machte sich mit Püffen und Stößen nach der Tür hin Platz. »Nun seht zu«, sagte er, »wie Ihr mit den ungeladenen Gästen fertig werdet. Öffnet Speisekammer und Keller! Wir sind hungrig und durstig. Auf dem Hof hier können wir absatteln und die Pferde tränken. Habt Ihr Heu und Hafer? Wenn nicht, so nehmen sie allenfalls auch mit dem Dachstroh vorlieb.«

»Ihr seid mit Gewalt in mein Eigentum eingebrochen«, ließ sich nun die tiefe Stimme der Frau vernehmen. »Schämt euch, wer ihr auch seid, wehrlose Frauen so räuberisch zu überfallen. Vergeblich werdet ihr hier nach Kostbarkeiten oder Geld suchen. Wir sind ganz arm. Auch unser Vorrat an Lebensmitteln ist gering und kaum für uns selbst ausreichend. Aber wir können euch nicht hindern zu nehmen, was euch gefällt. Schickt dann zwei oder vier Leute ins Haus, die Kammern zu durchsuchen. Ich hoffe, daß ihr nicht zerstören werdet, was euch doch unbrauchbar ist.«

Unter dem Gelächter des Kriegsvolks antwortete der Fähnrich: »Wir sind nicht gewohnt, uns Vorschriften machen zu lassen, gute Frau. Wir kennen Eure Verstecke nicht. Gebt freiwillig heraus, was Ihr habt, oder wir zünden Euch das Haus über dem Kopf an. Versteht Ihr? Ich denke, das ist deutlich gesprochen.«

»Die Weiber verdienen gespießt zu werden, weil sie die Hunde gegen uns gehetzt haben«, schrie einer hinein, der am Bein blutete.

»Fort da – Weg frei – Platz gemacht!« erscholl es von allen Seiten. In einer der hinteren Reihen wurde mit Stahl und Feuerstein hantiert. Der Schwamm mußte Feuer gefangen haben, denn ein brenzlicher Geruch stieg dem Fähnrich in die Nase. »Nicht so schnell, Kinder«, rief er zurück. »Der rote Hahn hat noch Zeit, aufzufliegen, wenn wir den Hühnerstall geleert haben. Ich höre da etwas gackeln.« Er faßte die Schulter des Mädchens und wollte mit der andern Hand unter das Kinn greifen. »Komm, Schätzchen! Du gefällst mir. Wenn du artig sein willst, soll dich kein anderer haben.« Er erhielt einen Schlag ins Gesicht, daß ihm das Feuer aus den Augen sprang. »Das ist eine wilde Katze!« so bemerkten die Nächststehenden, »man muß sie in einen Sack stecken und im Brunnen ersaufen. Greift an!«

Die Rothaarige war aufgesprungen. Ihre Augen blitzten. Sie griff hinter sich und riß eine dicke Feuerstange mit eisernem Haken von den Wandpflöcken und hob sie mit beiden Händen hoch. »Wagt es, mich anzurühren«, rief sie mit kreischendem Ton, »den ersten, der mir in die Nähe kommt, schlage ich nieder wie einen tollen Hund!«

Die Waffe schien den Landsknechten nicht gefährlich. Mehrere Spieße hoben sich zugleich, den Feuerhaken zur Seite zu werfen. Der Fähnrich bückte sich ein wenig, sprang zu und umfaßte ihren Leib. Die Frau stieß einen Schreckenslaut aus und hob hinter ihr flehend die Hände.

In diesem Augenblick ertönte vom Hoftor her ein gellender Aufschrei: »Ursula!«

»Der Hauptmann – der Hauptmann!« lief es durch die Reihen, »laßt ab – der Hauptmann kommt.«

Jost warf die nächsten, die ihm den Weg verstellten, mit weitausgreifenden Armen zur Seite und eilte der Tür zu. Sein Schwert ziehend, schlug er die Spieße fort, die sich schon mit der Hakenstange kreuzten, und nötigte zugleich den Fähnrich, von dem Mädchen abzulassen, indem er ihn, rückwärts tretend, abdrängte. »Ursula«, rief er überglücklich, »finde ich Euch hier wieder?«

Den Kriegsleuten war's nun kein Zweifel, daß ihr Hauptmann eine alte Bekanntschaft erneuerte, so verwunderlich ihnen auch dieses Zusammentreffen im Walde erscheinen mochte. Sie standen vorläufig von weiterer Gewalttätigkeit ab und blieben neugierig in einiger Entfernung oder schielten nach dem Taubenschlag und dem Hühnervolk, das beunruhigt ein Versteck suchte. Frau Regina freute sich des unbekannten Retters in der Not und hob dankend die gefalteten Hände zum Himmel auf. Ursula starrte mit großen Augen den Hauptmann wie eine zauberhafte Erscheinung an und brachte kein Wort vor. Die Stange behielt sie in den Händen; sie schien nun zum Schutz gegen ihn vorgestreckt.

Jost, nachdem er sich eine Weile wie berauscht dem Anblick des schönen Mädchens hingegeben, wendete sich zu seinen Leuten und sagte mehr bittend als befehlend: »Räumt den Hof! Diese Frauen sind in meinem besonderen Schutz. Ihr seht, daß sie eine ärmliche Waldhütte bewohnen –, laßt sie in Frieden. Draußen ist ein freier Platz zum Lagern. Wasser mögt ihr hier aus dem Brunnen holen – doch daß nicht mehr als zwei zu gleicher Zeit sich daran zu schaffen machen. Fähnrich Rogge, führt die Leute zurück!«

Ein Murren ließ sich vernehmen. Sie rührten sich nicht von der Stelle. Auch der Fähnrich gehorchte offenbar nur ungern. »Wir sind in Feindes Land, Herr Hauptmann«, äußerte er ärgerlich, »und haben das Hoftor mit Gewalt sprengen müssen. Die Beute gehört uns nach Kriegsbrauch.«

»Mögen sie nehmen, was ihnen Wert hat«, rief Frau Regina, »wir wollen sie nicht hindern. Schützt nur mein Kind vor gewissenlosem Angriff.«

Der Hauptmann, noch immer das Schwert in der Hand haltend, trat einige Schritte gegen die geschlossenen Reihen vor. »Räumt auf der Stelle den Hof!« befahl er jetzt in strengem Ton. »Wer wagt es, sich mir zu widersetzen? Wer rühmt sich solcher Eroberung? Schimpf und Schande jedem, der sich an wehrloser Frauen Eigentum vergreift. Hinaus, sag' ich! Die Ungehorsamen schlag ich nieder. Fähnrich, tut Eure Pflicht!«

Nun hielten sie's doch für geraten, sich zurückzuziehen. Es geschah langsam genug. Rogge ging durch die Reihen und sprach den einzelnen, die etwa noch nicht weichen wollten, gut zu. »Ihr merkt ja doch, daß der Hauptmann unvermutet ein alt Schätzlein aufgefunden hat. Dem muß er nun schon gefällig sein. Laßt ihm den Spaß! Zu holen ist da doch nicht viel.« Er hatte es richtig getroffen; sie lachten, fügten noch einen derben Scherz hinzu und zogen sich zurück. Auf dem Lagerplatz draußen brannten bald die Feuer.

Ursula hatte indessen ihrer Mutter zugeflüstert: »Junker Jost vom Wege.«

»Jost ... Tilemans Sohn –?« rief sie mit dem vollen Ausdruck des Schreckens. »Derselbe, der ...«

»Von dem ich dir erzählt habe – derselbe.«

»O mein Gott –«, seufzte Frau Regina und drückte die Hand aufs Herz. Wie von einem Gefühl des Schwindels ergriffen, schwankte sie in den dunklen Flur und lehnte die Schulter gegen die Wand.

Zu Ursula wandte sich nun der Hauptmann, nachdem der Hof sich geleert hatte, »Welch glücklicher Zufall, mein teures Fräulein«, sagte er, nahe an sie herantretend. »Wie hätt' ich vermuten können, Euch hier im Walde anzutreffen, als ich diesen Kriegszug unternahm. Im Walde freilich ... Ihr habt mir's gesagt; und jetzt kommt mir's wieder ins Gedächtnis: Ihr nanntet auch die Stadt Heilsberg. Aber wenn man ganz ahnungslos ... Seid mir tausendmal von Herzen gegrüßt.«

Seine Blicke flammten; er streckte seine Hand nach der ihren aus, Ursula jedoch hielt die Stange umkrampft, nicht mehr wie eine Waffe, aber wie eine Stütze. »Wir sind nicht freundlich voneinander geschieden, Junker«, antwortete sie. »Wie kann Euch nun dieses Wiedersehen befriedigen? Meine Gesinnung gegen Euch ist noch dieselbe.«

»Die meinige gegen Euch nicht minder, schöne Ursula«, erwiderte er. »Mein Glücksstern hat mich hierhergeführt. Von allen Menschen auf der Welt könnt' ich keinen nennen, den wiederzusehen mich so herzlich freute. Das ist noch das prächtige goldene Haar, das sind noch die großen dunkelblauen Augen –«

»O schweigt, schweigt –«, fiel Ursula ein, indem sie den Blick senkte und die Stirn in Falten zog. »Welches Unheil hat Eure Verblendung angerichtet! Ich hoffte, daß meine schleunige Entfernung ... Aber der böse Dämon hatte Euch ganz besessen, daß Ihr blind gegen Euer eigenes Glück wütetet und das beste Herz kränktet.«

»Erinnert mich nicht daran«, bat er, »es war eine qualvolle Zeit nach Eurer Flucht. Die arme Magdalene –! Wie ich sie bemitleidete! Und ich mein Wort gebrochen, einen Ehrenmann bloßgestellt, meines Vaters Spott ... Aber nein! Erinnert mich nur an alles – auch an das. Beweist es doch nur, wie groß Eure Macht über mich war. Seitdem bin ich keine Stunde recht froh geworden. Das Leben schien mir ein notwendiges Übel, mit dem man sich abfinden müßte, so gut und schlecht es eben gehen wollte. Ich hatte das Steuer aus der Hand gegeben, ließ mich treiben mit dem Winde und hoffte auf einen Schiffbruch, der es auslöschen möchte für immer. Nun seh' ich Euch wieder, und es ist mir, als ob meine Adern sich neu mit wärmerem Blut füllen, die Pulse froh zu schlagen anfangen. Oh – wenn Ihr das verstehen könntet ...«

»Ich kann's nicht verstehen«, antwortete sie kopfschüttelnd. »Ich glaubte Euch geheilt und sehe Euch nun in die alte Krankheit zurückgefallen. Eilt fort, ich bitt' Euch, daß sie nicht gar unheilbar werde.«

Frau Regina war wieder auf die Schwelle getreten. Sie betrachtete Jost, der ihr das Gesicht zukehrte, mit einem so liebevollen, fast zärtlichen Blick, daß Ursula, wenn sie nicht abgewendet gestanden hätte, wohl stutzig hätte werden müssen. Nun streckte sie die Arme aus, als wollte sie ihn umfassen, und sagte wie mit umflorter Stimme mild und gütig: »Wie haben wir Euch zu danken, mein Herr Hauptmann! Ohne Euer Dazwischentreten wären wir schlimmster Mißhandlung ausgesetzt gewesen. Mein Kind ... Der Atem stockt mir noch, wenn ich an das Schreckliche denke, das ihm von diesen verwilderten Kriegsleuten bevorstand. Gott mag es Euch vielfältig lohnen!«

Jost sah zu ihr auf und wurde nun selbst betroffen von diesem Blick, der ihm bis ins Innerste des Herzens schien dringen zu wollen. Es war ihm, als stehe keine Fremde vor ihm, und doch wußte er, daß er diese Frau noch nie gesehen hatte. »Werte Frau«, antwortete er unsicher, »Euer Dank ist mir lieb, aber verdient darf ich ihn nicht nennen. Es war ein glücklicher Zufall, daß ich zur rechten Zeit eintraf, Euch und Euer Besitztum zu schützen – und wer weiß, ob ich mich der Bedrängten so eifrig angenommen hätte, wenn nicht Ursula ... Ich bin ehrlich und will nicht als ein Verdienst rühmen lassen, was ich mir selbst zuliebe tat.«

»So danke ich Gott«, sagte sie innig, »für diese wundersame Fügung. Ihr könnt nicht ermessen, was sie mir bedeutet!«

Sie legte die Fingerspitzen, wie ihn segnend, an seine Stirn. Er fühlte es davon ausgehen wie heiße Strahlen und zuckte unwillkürlich. »Laßt mich bei Euch eintreten«, bat er, »ich habe Ursula noch so viel zu sagen.«

Frau Regina zog sich in den Flur zurück. Ursula aber sperrte die Tür mit dem Arm. »Nein! Nein!« sagte sie mit heftiger Abwehr. »Ihr dürft nicht. So viel Dank wir Euch schulden – gerade deshalb dürft Ihr nicht eine Minute länger bleiben. Ich fleh' Euch an, Herr Junker, laßt uns allein und entfernt Euch schleunigst, ohne auch nur zurückzuschauen. Und vergeßt, daß Ihr mich hier gesehen habt. Nein, nein – geht! Es wird wahrlich nicht gut.«

Er wollte Einspruch erheben. In diesem Augenblick aber entstand draußen auf dem Lagerplatz Lärm. Viele zornige Stimmen schrien durcheinander, Schimpfworte wurden ausgetauscht, Schwerter klirrten. Gleich darauf kam der Fähnrich mit raschen Schritten auf den Hof und rief: »Es ist Streit ausgebrochen wegen eines Fäßchens Wein – die Reiter wollen's für sich allein haben – einer liegt schon in seinem Blut. Ich kann sie nicht zur Ruhe bringen. Eilt Euch, Herr Hauptmann, und stiftet Frieden.«

Jost folgte ihm sogleich. »Die Tollköpfe!« schalt er. Draußen fand er das ganze Lager in Aufruhr. Nur mit Mühe gelang es ihm, die Kämpfenden auseinander zu bringen und zu entwaffnen. Dem Fäßchen ließ er den Boden ausschlagen, damit der Wein auf die Erde laufe. Dann befahl er dem Profoß, die Namen der Unruhestifter aufzuschreiben, und behielt sich deren Bestrafung vor. Er blieb nun auf dem Lagerplatz, bis wieder alles zum Aufbruch bereit war.

Als er dann auf den Hof zurückkehrte, hatten die Frauen die Haustür geschlossen. Auf sein Klopfen öffnete freilich Frau Regina, aber sie bat ihn, nicht mehr einzutreten. »Ich komme Abschied zu nehmen«, sagte er, »aber nicht auf alle Zeit, mir müßte denn bei der Einnahme der bischöflichen Schlösser etwas Menschliches begegnen. Grüßt Ursula von mir – es ist jetzt nicht die Zeit, sie mir freundlicher zu stimmen. Ich sehe sie bald wieder – bald! Und dann hoff' ich, mich vor ihr rechtfertigen zu können.«

Er schüttelte sehr aufgeregt ihre Hand und verließ den Hof, ohne eine Antwort abzuwarten. Draußen beeilte er den Abmarsch. Aufs Pferd schwang er sich erst, als er sich überzeugt hatte, daß der letzte Mann ausgerückt war. Er fürchtete, schwerlich ohne Grund, daß hinter seinem Rücken doch noch ein Feuerbrand aufs Dach fliegen könnte. –

Schneller, als die Frauen es erwarteten, kehrte Jost wieder. Er war von dem Städtchen Bischofstein, das er mit seinem Kriegshaufen gleich beim ersten Anlauf gewonnen hatte, früh am Morgen abgeritten und meinte noch vor Nacht wieder eintreffen zu können. Der Urlaub, den er sich selbst auf den einen Tag erteilte, schien nicht bedenklich, da man bereits ausgekundschaftet hatte, daß das kleine Ordensheer jenseits der ermländischen Grenze stehengeblieben war, wahrscheinlich um erst den Verlauf der Dinge in der Marienburg abzuwarten. Man hoffte denn auch, Rößel, obgleich hoch auf dem Anberge gelegen und gut befestigt, rasch überwinden zu können, traf aber doch vorsichtig die nötigsten Vorbereitungen zu einer Belagerung, indem man Hölzer zu Sturmdächern und Überbrückungen zurichtete, Faschinen band und den Bauern ringsum die Fuhrwerke fortnahm, um Material darauf zu verladen. Der Aufbruch konnte erst in einigen Tagen erfolgen. Jost war voll Ungeduld, Ursula zu überraschen und sich geneigter zu stimmen. Seine Gedanken weilten im Wachen und Träumen nur noch bei ihr, er meinte in dieser Unruhe des Herzens seine Pflichten nicht mehr erfüllen zu können, und wollte Gewißheit haben, daß seine Hoffnung nicht eitel.

Er fand das Hoftor notdürftig mit einigen alten Brettern verschlagen. Das eine davon ließ sich leicht zurückbiegen, so daß er den Riegel erfassen und selbst öffnen konnte. Auf dem Hofe traf er die alte Magd beim Geflügel. Sie lief sofort ins Haus, die Ankunft des Hauptmanns zu melden, den sie wiedererkannt hatte. Er folgte ihr, ohne eine Einladung abzuwarten. Das Fenster stand offen, und er hatte Ursulas Goldhaar schon in der Nähe desselben bemerkt. Sie sollte keine Zeit haben, sich vor ihm zu verstecken.

Frau Regina kam ihm aus dem Stübchen entgegen. Ehe sie ihn ansprechen konnte, rief er ihr zu: »Fürchtet nichts, ich komme diesmal allein. Mein Kriegsvolk lagert mehrere Meilen weit von hier. Ist der Hauptmann leichtfertig, wenn er sich von seinem Posten entfernt, so mag Euch doch der Beweis gegeben sein, daß meine Sehnsucht hierher solche Schuld nicht achtet. Zu kümmerlich war unser letztes Beisammensein. Heute können wir ungestört ein paar Stunden verplaudern – wenigstens soviel mein Gaul braucht, sich nach diesem scharfen Ritt wieder zu kräftigen. Auch ihm erbitte ich ein Obdach.«

»Ich kann Euch nicht willkommen heißen, wie ich sonst möchte«, antwortete die Waldfrau, ihn einlassend. »Ihr seht Ursula sehr erschreckt. Sie hatte gehofft, Ihr würdet Euch Zeit gönnen, zu überlegen, daß die Wiederkehr nicht geraten sei. Nun sind nur wenige Tage vergangen –«

Jost trat rasch auf Ursula zu, die vom Spinnrocken aufgestanden war, ergriff ihre Hand, zog sie gewaltsam an seine Lippen und sagte: »Mir schien's eine Ewigkeit. Ich bitt' Euch, schönes Fräulein, verzeiht dieses Ungestüm. Wer in die Sonne geblickt hat, sieht ihr strahlendes Bild immer wieder vor sich auftauchen, wohin er auch das Auge wendet. Und in die Sonne hatt' ich geblickt, als ich Euch so unvermutet hier antraf. Wie war's mir da möglich gewesen. Euch aus meinem Sinn zu bringen, da ich willenlos auch in der Ferne Euer Bild immer vor Augen haben mußte. Nein, verlangt und erwartet so Unbilliges nicht! Fühlt Ihr aber ein menschliches Regen in der Brust, so weist mich jetzt nicht kalt ab, sondern gönnt mir Euren Anblick und Eure Rede. Euch selbst hofft' ich in dieser Zwischenzeit anderen Sinnes geworden, wenn ich denn schon daran glauben soll, daß Eure Abweisung ernst gemeint war.«

Ursula wechselte die Farbe. Erst war etwas wie Zornröte über seine Dreistigkeit auf ihren Wangen hell aufgeflammt; jetzt verloren selbst die Lippen fast ganz ihr Rot, und nur an den seinen Ohrläppchen noch schimmerte es durch das krause Haar. Spöttisch verzog sich wiederholt der Mund, während er sprach, und ungeduldig zupften die Fingerchen den abgerissenen Flachsfaden. »Ihr tut, als ob Ihr eine Bitte vorbrächtet, Herr Junker«, antwortete sie, »wenn man sie Euch aber abschlägt, so handelt Ihr danach nach Eurem Belieben. Hab' ich Euch nicht dringend ermahnt fortzubleiben und dieses armen Hauses Frieden nicht zu stören, Euch selbst aber vor Leid zu bewahren? Nun seid Ihr doch gekommen. Wiese ich Euch nochmals mit Worten ab, Ihr würdet sie wohl hören, aber nicht befolgen. Denn Ihr tut, was Euch beliebt, und habt die Macht dazu. Wir wissen wohl, daß wir keines Menschen Schutz gegen Euch anrufen können, da der Herr Bischof außer Landes und sein Vogt in Heilsberg eingeschlossen, der Herr Hochmeister aber zur Schande der Meineidigen, die ihm abgesagt haben, selbst ein Gefangener in der Marienburg ist. Bleibt also oder geht, wie Ihr es für gut findet; ich kann Euch das eine nicht gestatten und das andere nicht heißen.«

Der Hauptmann biß die Lippe und zerdrückte unmutig die breite Krempe seines Federhutes, den er in der linken Hand hielt. Nach einer Weile sagte er gelassener, als zu erwarten stand: »Ich sehe wohl, Ihr wollt meine gute Absicht verkennen. Darin könntet Ihr wohl recht behalten, daß ich mich mit einer trotzigen Abweisung nicht zufrieden gebe und Euren störrischen Sinn zu brechen hoffe. Wollet mir daraus aber kein Vergehen des Ungehorsams machen, sondern bedenken, daß ich einem Zwange des Herzens folge, der mächtiger ist als mein Wille. Duldet mich freundlich, das ist meine Bitte.«

»Legt ab«, nahm Frau Regina, die mit allen Zeichen der Besorgnis zugehört hatte, das Wort. »Ihr seid als Gast in mein Haus gekommen und sollt darin ausruhen und Euch an Speise und Trank erquicken dürfen. Ist Eure Leidenschaft verirrt, so mag es wohl sanfte Mittel geben, sie vom falschen Ziel abzuleiten. Nach ihnen wollen wir uns dieweil umschauen.«

»Ich dank Euch, werte Frau«, sagte er, sich zu ihr wendend. Ihre Rede klang ihm minder hart und schien nicht alle Hoffnung zerstören zu wollen. »Nennt aber meine Leidenschaft nicht verirrt«, setzte er hinzu. »Bei meiner Seligkeit –«

»Verschwört sie nicht«, fiel Ursula ein.

Er legte die Fingerspitzen an den Mund. »Es freut mich doch«, sagte er lächelnd, »daß Ihr sie mir wenigstens im Himmel aufbewahren wollt. Ich hoffe ihrer aber auch mit Eurem Beistand hier auf Erden schon teilhaft zu werden.«

Da sie sich abkehrte, verließ er das Zimmer, ging auf den Hof und zog seinen Rappen hinein, den er an den Torpfosten gebunden hatte. Während er sich umschaute, wo er ihn am besten unterbrächte, vernahm er ein Wiehern aus einem Stall seitwärts. Er öffnete die Tür und bemerkte innen den Gotländer, der neugierig den Kopf zurückwendete. Er gab ihm Gesellschaft und trat dann wieder ins Haus.

Inzwischen hatten Mutter und Tochter sich miteinander verständigt. Ursula bestand darauf, daß die alte Magd sogleich nach der Waldkapelle geschickt würde, den Herrn Kaplan herbeizurufen. Der Hauptmann möge glauben, daß er zufällig käme. In seinem Beisein werde er sich jedenfalls Schranken auflegen müssen. »Ich verstehe dich nicht, Mutter«, sagte sie, »zum erstenmal im Leben nicht. Dir ist alles bekannt, was geschehen ist, du siehst, wohin diese unsinnige Leidenschaft ihn treibt, und doch behandelst du den Junker mit einer Nachsicht, die ihm Mut machen muß, sein Spiel weiterzutreiben.« Frau Regina seufzte still. Gegen die Berufung des Kaplans hatte sie nichts einzuwenden.

Als Jost zurückkehrte, fand er die Frauen damit beschäftigt, Brot, Butter, Honig, gedörrtes Rindfleisch und Geflügel zu einem Frühstück aufzutragen. Auch eine Kanne mit Met wurde auf den Tisch gesetzt. Er konnte kein Auge von Ursula wenden, die geschäftig ab und zu ging und sich ersichtlich Mühe gab, ihn unbeachtet zu lassen. Frau Regina lud ihn dann ein, sich zu setzen und zuzugreifen. Er gehorchte gern, wünschte nun aber auch die lieben Wirte beim Mahl beteiligt zu sehen. Sie nahm ihm gegenüber Platz. Ursula freilich ließ sich nicht bewegen, vom Schemel am Spinnrocken aufzustehen, der ihm im Rücken seine Stelle hatte.

Er richtete das Gespräch doch am liebsten an sie. »Da hab' ich nun auch Euren Gotländer wiedergesehen«, bemerkte er. »Ein treffliches Pferd – und so gut im Schick.«

»Und so bescheiden in seinen Bedürfnissen«, fügte Ursula hinzu. »Oft genügt ihm eine Handvoll Heu. Sonst hätten wir ihn auch nicht behalten können und dem Herrn Hochmeister zurückschicken müssen. Er geht auch vor einem kleinen Wagen gut. Aber ich reite lieber, als ich fahre. Ihr wißt, wie schnellfüßig und ausdauernd er ist.«

»Seine Herrin darf nur von ihm nicht unmögliche Leistungen verlangen«, antwortete er, selbstgefällig lächelnd. Er merkte, worauf sie anspielte. »Ihr müßt Euch großer Gnade des Herrn Hochmeisters zu erfreuen gehabt haben«, begann er nach einer Weile wieder, »daß er Euch ein solches Geschenk gemacht hat.«

»Ja«, bestätigte sie, »er war uns ein sehr gnädiger Herr. Darum kränkt es uns um so mehr, ihn von so schwerem Leide betroffen zu sehen. Wie schmerzlich muß ihm seiner Untertanen Abfall und Verrat gewesen sein! Er hat ein so gutes, warmes, edles Herz! Mag Gott ihm endlich doch den Sieg über alle seine boshaften Gegner geben!«

Die Unterhaltung blieb eine Weile bei diesen politischen Dingen stehen, und Ursula konnte nicht mit genug scharfen Worten die schmähliche Behandlung des Hochmeisters durch die Bündischen verurteilen. Jeder Pfeil, den sie abschoß, mußte auch Jost treffen, meinte sie. Er hielt nach Kräften an sich, sagte aber doch zuletzt: »Wollet nicht vergessen, Fräulein, daß ich der Sohn eines Mannes bin, der den Bund hat begründen helfen und allezeit am eifrigsten Klage gegen den Orden führte – des Mannes vielleicht, der sich Kopf und Herz der Bewegung weiß, die den Orden das Land Preußen kostet. Der Herr Hochmeister mag zu beklagen sein, da ihn so viel Unglück trifft, das er selbst doch gewiß nur zum kleinen Teil verschuldet, und Euer Mitleid will ich nicht schelten. Daß Ihr aber seine Gegner ungerecht verdammt, darf ich nicht ohne Widerrede anhören, wenn nicht meinet-, so doch meines Vater wegen.« »Und warum verfolgt er mit so grimmer Feindschaft den edlen Herrn?« rief Ursula, jetzt glutrot im Gesicht. »Ich hasse ihn deshalb, und das mag auch sein Sohn wissen, der mit ihm die Waffen gegen meinen Wohltäter trägt.«

Jost zuckte die Achseln. »Warum –? Das läßt sich hier nicht in einer Stunde erörtern, teures Fräulein, und ich fürchte, ich könnt' Euch auch Tage und Wochen lang alle Gründe darlegen, so würd' ich Euch doch nicht von Herzen überzeugen. Denn es ist der Frauen Art, Recht und Unrecht nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen abzuwägen. Wem ihr Gemüt sich zuneigt, dessen Partei ergreifen sie auch. Laßt mich Euch lieb und wert werden, und Ihr werdet mit mir auf jener Seite stehen.«

»So denkt Ihr recht klein von mir, Herr Junker«, entgegnete sie. »Wär' auch sonst nichts zwischen uns, dies eine müßt' uns ewig scheiden, daß Ihr in Waffen steht gegen Euren fürstlichen Herrn und seinen treuen Freund, unsern gnädigen Herrn Bischof.«

»Das ist nun so, weil's ist«, sagte er, das Kinn aufwerfend. »Ihr dürft mir's nicht so schwer zurechnen, wenn's schon ein Unrecht sein sollte. Bin ich doch in einem Hause aufgewachsen, in dem ich nie etwas anderes gehört, als daß es ein Verdienst sei, den Orden zu bekämpfen und um seine verderbliche Herrschaft zu bringen. Ich selbst hab' mir übrigens diese Dinge wenig zu Gemüt gehen lassen – kaum einmal meine Gedanken recht ernstlich damit beschäftigt. Sondern ich nahm als richtig und männlichen Mühens wert, was mein Vater, der am höchsten geachteten Bürger einer, so kraftvoll verteidigte. Ich leugne nicht, daß ich stutzig wurde, als der Bund nach vergeblichem Anrufen der kaiserlichen Gerechtigkeit nicht nur dem Orden absagte, sondern den König von Polen zum neuen Herrn annahm. Es ging mir nicht in den Sinn, daß dieses deutsche Land unter polnische Herrschaft kommen sollte, gegen die es sich in so vielen blutigen Kriegen gewehrt. Es solle deshalb nicht polnisch werden, wurde mir zur Beruhigung gesagt; wohin aber die Polen treiben, muß doch jetzt auch dem Vertrausamsten schon zu denken geben. Glaubt nur, auch meinem Vater gefällt manches nicht, was in letzter Zeit geschehen ist. Sein ganzes Streben geht eben dahin, die Städte so stark zu machen, daß sie jeden Übergriff Polens abwehren können. Sie sollen nach seinem Willen allezeit deutsch bleiben. Dem Orden freilich dürfen sie nie wieder gehören.«

»Und weshalb dem Orden nicht«, eiferte Ursula, »der doch gerade der Deutsche Orden und so ihres Deutschtums bester Schützer ist?«

»Mein Vater hat einen Haß gegen ihn«, antwortete der Hauptmann, »der mit ihm ins Grab gehen wird. Ich weiß nicht, woher er stammt; aber oft schon hab' ich gedacht, er müsse einen tieferen Grund haben, als der den andern Bürgern ihre Feindschaft gegen ihn eingegeben. Immer wieder hat er das Feuer geschürt, wenn es schon am Erlöschen war, einen großen Teil seines Vermögens hat er geopfert, um dem Orden den Prozeß am Kaiserhof zu machen und für den Waffenkampf. Alle die anderen Häupter des Bundes haben sich bereichert, Ämter zuteilen und Güter verschreiben lassen; er allein hat für sich keinen Ersatz gefordert, keinen Gnadenbeweis verlangt. Es sollte klar vor jedermanns Augen liegen, daß er nicht aus Ehrgeiz und nicht aus Habsucht handelte. Woher dieser Stolz, den seine besten Freunde belächeln? Ich glaub's zu wissen. Weil er am Orden etwas zu rächen hat und seine Rache rein halten will, damit sie ihn befriedige.«

Frau Regina, die ihm gegenübersaß, den Kopf aufgestützt und den Sprechenden unverwandt angesehen hatte, ließ bei diesen Worten den Arm auf den Tisch fallen und das Kinn auf die Brust sinken, als ob alle Kraft aus ihren Muskeln gewichen sei. Ihr Atem wurde kurz und stoßend. Sie unterdrückte gewaltsam den keuchenden Ton, der sich aus der Kehle drängte, wie wenn sie gegen einen Hustenanfall kämpfte. Der Hauptmann, der meinen mochte, daß ihr diese Äußerung über seinen Vater mißfallen habe, fuhr fort: »Es ist eine bloße Vermutung, werte Frau, die sich aber doch auf mancherlei Andeutungen stützt. Ich war viel mit ihm allein, und er hat Stunden, in denen er die gewohnte Herrschaft über sich nicht behauptet. Ich täusche mich wohl nicht: es ist der gegenwärtige Hochmeister, Herr Ludwig von Erlichshausen, den er aus tiefster Seele haßt. Den Grund hat er mir nie genannt.«

Noch mehr entfärbte sich die Frau; ihr Gesicht hatte etwas Leichenhaftes. Sie stand auf, stützte sich eine kurze Weile auf die Stuhllehne, um den Schwindel zu überwinden, und verließ das Zimmer.

»Was fehlt Eurer Mutter?« fragte Jost, seinen Sessel umwendend. Er war mit dem Frühstück längst fertig.

»Es überfallt sie manchmal so«, antwortete Ursula, »und geht auch vorüber. Ich will aber nachsehen –«

Sie wollte sich gleichfalls erheben. Er hielt sie aber am Arm fest und sagte rasch: »Nein, bleibt, Ursula! Ich muß ein Wort mit Euch allein sprechen. Ihr wißt, daß ich Euch liebe. Alles, was ich Euch damals gesagt habe, gilt auch heut'; die Zeit hat darin nichts gewandelt. Nur noch deutlicher spricht's in meinem Herzen: ich kann nicht leben ohne Euch – Ihr müßt die meine sein!«

Ursula suchte sich frei zu machen. »So hat sich auch in meinem Gefühl nichts geändert«, entgegnete sie. »Eure Werbung verletzt mich. Denkt an Magdalene! Sie ist meine Freundin.«

»Magdalene –«, wiederholte er mit leichtem Zucken der Lippe. »Es ist wahr; damals verging ich mich gegen sie. Sie war meine verlobte Braut, und ich achtete ihr Recht nicht. Ich hätte erst diese Fessel, die ich mir so unbedacht auflegte, wieder lösen sollen, bevor ich Euch gestand, daß ich Euch liebte. Aber die Leidenschaft riß mich hin, und das solltet Ihr verzeihen können. Wenn Ihr damals ernstlich zürntet, Ursula, wenn Ihr der Freundin so strenge die Pflicht hieltet, daß Ihr Euch meinen Blicken gänzlich durch die Flucht entzogt – das mag Euch damals Bedürfnis gewesen sein, und ich will's als gerecht erkennen, so schwer ich darunter gelitten habe. Aber heut' ist's anders. Magdalene hat mein Wort nicht mehr – Ihr könnt der Freundin Anspruch nicht kränken, wenn Ihr mir angehört – Ihr habt keinen Grund mehr, Euch über mich zu erzürnen. Seid gütig und wendet Euch zu mir!«

Er glitt vom Sessel hinab und sank vor ihr nieder, ihre Hände in die seinen zwängend und sie mit heißen Küssen bedeckend. Ursula stieß ihn zurück. »Ihr täuscht Euch noch immer in mir«, rief sie. »Ich lieb Euch nicht – Ihr könnt mir nichts sein. Mein Herz gehört einem andern – mein ganzes Herz. Wisset es denn, damit Eure unsinnige Leidenschaft für alle Zeit ihre Hoffnungslosigkeit erkennt, ich liebe –«

»Marcus!« schrie er auf.

»Marcus«, bestätigte sie, und der Name klang aus ihrem Munde lieblich wie Flötenton, »ja, ja – Marcus.«

Er lachte wild auf, indem er sich vom Boden erhob. »Marcus! Ich wußt's damals schon, daß Ihr's ihm angetan hattet. War das auch ein Wunder? Ihr aber, Ursula, Ihr ...! Nein, ich glaub's nicht, und wenn Ihr mir's tausendmal wiederholtet. Wie hätte Euer Auge Gefallen finden können an diesem täppischen Gesellen? Seine Art ist nicht Eure Art. Wie bei Euch alles zur Höhe aufstrebt, über das Gewöhnliche hinaus, so zieht's ihn zum Staube hinab, und auch Eure Liebe könnt' ihn nicht beschwingen. Er ist gut und tüchtig und brav und zuverlässig – jawohl! Ich wüßt' ihm noch mehr dergleichen Lob. Aber wenn er ein Heiliger an Tugenden wäre, das brächt' ihn Eurem Herzen nicht näher.«

»So lieb ich ihn ohne sein Verdienst«, sagte sie, »und um so inniger.«

»Macht mich nicht toll!« rief er, »es kann nicht sein. Wie ich ihn kenne, wie ich Euch verehre – es kann nicht sein. Eure Gutmütigkeit hat ihn geduldet – Ihr wäret ihm Dank schuldig – Ihr hattet mit seiner Schwester Freundschaft geschlossen ... Das konnt' Euch irren. Aber Ihr liebtet ihn nicht, Ursula.«

Sie legte die Hand aufs Herz. »Nur zu sehr! Wir haben einander das Wort gegeben. Glaubt mir, Junker, Ihr habt keine Hoffnung.«

»Und wenn Ihr so töricht sein konntet – das ist lange her. Hat er Euch Wort gehalten?«

»Soviel in seiner Macht stand.«

»Haha! Genügt Euch das? Wenn er Euch nicht halten kann, wollt Ihr an ihn gebunden sein? Ihr seid frei, Ursula! Mag er kommen und für Euch eintreten gegen mich. Ich will ihm zu jedem Kampfe stehen. Rein, Ursula! Mein seid Ihr, und die Macht der Hölle selbst soll mich Euch nicht wieder entreißen. Ergebt Euch in Euer Schicksal, von einem Manne geliebt zu sein, der in Euch aller Schönheit und Vollkommenheit Muster sieht, und widerstrebt seinem Werben nicht. Bei Gott! Ich kann mich so nicht abweisen lassen.«

Er näherte sich ihr wieder und wollte sie mit seinen Armen umfangen. Sie aber richtete sich stolz auf und sah ihn, ohne einen Schritt zurückzuweichen, mit einem so strafenden Blick an, daß ihm der Mut sank, ihr etwas abzutrotzen. »Ursula –«, zischelte er, die Hände zusammenkrampfend, »Ihr macht mich toll!«

Jetzt öffnete sich auch wieder die Tür, und Frau Regina trat in Begleitung des Kaplans ein. Ursula atmete auf. Sie begrüßte den geistlichen Herrn mit dem freudigsten Ausdruck.

Der Hauptmann merkte bald, daß auf dessen Entfernung, solange er selbst weilte, nicht zu rechnen war. Die Frauen wendeten ihm alle Aufmerksamkeit zu. Er selbst begann ein Gespräch über die Zeitläufte, des Kriegsvolks Verwilderung und der Kirche Bedrängnis, das ihn langweilte. Es war nicht die mindeste Aussicht mehr, Ursula oder auch nur ihre Mutter allein zu sprechen. Er knirschte innerlich vor Wut.

Nach einer knappen Stunde zog er sein Pferd aus dem Stall und ritt ab. Ursula hatte er beim Abschied zugeflüstert: »Ich laß Euch nicht! Dem Pfaffen geht's schlecht, wenn er mir noch einmal in die Quere kommt.«


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