Ernst Wichert
Der Bürgermeister von Thorn
Ernst Wichert

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Dritter Band

Tileman vom Wege

Erstes Kapitel

Die Marienburg in Pfand

Vor dem Haupttor des alten Schlosses der Marienburg hielten zwei böhmische Söldner die Wache. Der eine hatte sich an den Prellstein des äußeren Torbogens gelehnt und den Spieß in den Arm genommen, der andere stand vor ihm mit gespreizten Beinen, auf die Hellebarde gestützt. Es waren Kerle mit verwetterten, vielfach von Narben durchfurchten Gesichtern, zotteligen Bärten und knochigen, von der Sonne gebräunten Fäusten. Wams und Lederhose zeigten sich geflickt und wieder zerrissen, aber Helmkappe und Brünne waren blank geputzt und die breiten eisernen Spitzen an den Spiecken haarscharf geschliffen.

Sie waren in einer Art schläfriger Unterhaltung begriffen, indem der eine und der andere von Zeit zu Zeit ein paar Worte hinwarf, die ebenso gut auch ungesprochen hätten bleiben können, da sie ihnen durchaus nichts Neues brachten. Sie wurden aber doch aufgefangen, belacht, begähnt oder in gleich nichtssagender Weise erwidert. Das Wachestehen war so langweilig und doch nun schon seit Jahr und Tag fast der einzige Dienst, der von den Hauptleuten gefordert wurde.

Der an den Stein Lehnende betrachtete seinen Schuh, aus dessen Spitze sich die große Zehe herausbohrte. Mit dem Schaft des Spießes darauf deutend, sagte er grinsend: »Da –! Der möcht' auch ausgedient haben. Aber es fehlt der Ersatz.«

»Der Schuster kann ihm noch helfen«, meinte der andere.

»Pah! Er tut's nicht umsonst.«

»Laß ankreiden bis zum großen Zahltag. Es läßt jeder ankreiden bis dahin.«

»Bis zum Zahltag! Ja, wann kommt der? Wir warten schon längst darauf.«

»Na ... einmal muß er doch kommen. Wir haben Schloß Marienburg und die anderen Schlösser in Pfand.«

»Steine – Steine! Es läßt sich kein roter Batzen herausschlagen.«

»So nicht. Aber sie sind dem Orden doch viel wert.«

»Das glaub ich. Wäre er nur nicht arm wie eine Kirchenmaus. Womit soll er sie einlösen? Der Soldrückstand wächst alle Tage.«

»Wir müssen unsern Hauptleuten vertrauen – die haben mehr zu fordern als wir. Sie ziehen nicht ab, ehe sie befriedigt sind.«

»Indessen reißt die Sohle ganz vom Schuh und wir können barfuß herumlaufen. Haben wir darum unsere gesunden Glieder zerhauen lassen?«

»Denen auf der anderen Seite geht's nicht viel besser. Das Geld ist überall verdammt knapp in der Welt.«

»Wer's nicht hat, soll das Kriegführen bleiben lassen, denk ich.«

»Leben wir nicht davon, daß es hier und dort Unfrieden gibt?«

»Erbärmlich genug – auf Pfand!«

»Wer ein Pfand hat, kann's verkaufen, wenn er nicht zur Zeit befriedigt wird. Das ist Rechtens überall.«

»Aber wer kaufen will, muß wieder Geld haben.«

»Es gibt schon Leute ... Die Danziger und die Thorner haben immer Geld.«

»Die! Sie bezahlen ihre eigenen Söldner nicht.«

»Aber für die Ordensschlösser werden sie Geld haben. Und der König von Polen ... Man muß abwarten, Brüderchen.«

Der andere erhob sich seufzend. »Man muß abwarten – da bleibt nichts übrig. Es steckt schon zu viel darin. Man muß abwarten.«

Er zog die große Zehe nach Möglichkeit ein und ging eine Weile mit geschultertem Spieß auf dem Steinpflaster vor dem Tor hin und her, bis er sich auf den anderen Prellstein niederließ, während sein Kumpan um den Spieß herum langsam eine Drehung machte und eine Melodie pfiff. Das Gespräch über den Soldrückstand konnte dann wieder beginnen; es war das einzige, das sich nicht erschöpfte.

Auf dem Schloßhof zeigte sich ein munteres Treiben. In den Ritterzellen der Schloßflügel – nur wenige waren ihren bisherigen Inhabern verblieben – hatten sich die böhmischen und deutschen Söldner einquartiert. Die Vorburg mit ihren vielen Wirtschaftsgebäuden hatte bei weitem nicht ausgereicht, die Scharen zu fassen, die von den Hauptleuten in ihren Pfandbesitz eingelegt wurden; es war ihnen auch gerade darauf angekommen, das sogenannte »rechte« Schloß, die eigentliche Feste, in ihrer Gewalt zu haben. In den unteren Kreuzgängen waren Tische und Bänke aufgeschlagen. Zu den Türen dahinter ging's hinein und hinaus wie in einem Bienenstock. Kleinere Tische standen auch auf dem Pflaster, bis fast zur steinernen Einfassung des Brunnens vorgeschoben. Daran saßen in hellerem Licht die Rottenführer und älteren Landsknechte in ihrer bunten Kleidung, würfelten und tranken aus großen Maßkrügen Marienburger Vier von des Ordens Keller. An einem der Granitpfeiler war ein großes Faß unter dem Gewölbe aufgelegt und aus ihm wurde von einigen bunt geputzten, zigeunerhaft aussehenden Weibern bedient, mit denen jeder Zoten trieb, der einen neugefüllten Krug abholte. Andere Weiber hatten am Brunnen die große Holzbütte mit Wasser gefüllt und besorgten darin die Wäsche. Auch Kinder lungerten herum. In den oberen Galerien waren zwischen den Säulen, die das zierliche Gewölbe trugen, Leinen geschoren und mit allerhand zerrissenen und geflickten Kleidungsstücken behängt. Kerle mit braunen Gesichtern und langen Schnauzbärten, wie die am Tor Wachestehenden, lehnten sich über die Brüstung; einige klopften auch mit langen Weidenstöcken den Staub und die Motten aus den Mänteln und zwischengehängten Schlafdecken, ohne sich dabei besonders anzustrengen. Wo die Türen offenstanden, sah man in schmale Schlafräume mit kleinen, tief in die dicke Mauer eingeschnittenen Luftlöchern. An den Langwänden standen die einfachen Bettstellen, so viel irgend Raum hatten, und in den Ecken lehnten die Spieße, während die anderen Armaturstücke auf hölzernen Regalen über jedem Bett untergebracht waren. In einer Eckzelle arbeiteten Handwerker, Schuster und Schneider, die aus der Stadt herangezogen sein mochten.

Kein Zweifel, die Söldner waren hier die Herren. Wo sonst die feierliche Stille des Klosters geherrscht hatte, füllten sie jetzt mit ihrem wüsten Lärm Haus und Hof. Nur das Hospital und eine kleine Reihe von Zellen neben demselben war von der Einquartierung verschont geblieben und die Marienkirche dem ritterlichen Gottesdienst vorbehalten. Dort tönte das Glöcklein über dem Altar zu den bestimmten Zeiten, die das Ordensstatut vorschrieb, aber niemand von den wüsten Gesellen achtete darauf.

Nun schritt vom Hochmeisterbau her eine hohe Gestalt in weißem Mantel über die Brücke und trat in das schräg eingebaute Tor des rechten Schlosses ein. Es war der Spittler Heinrich Reutz von Plauen, den Wachen wohlbekannt, die ihn denn auch in ehrerbietiger Haltung, die Spieße fortstreckend, vorüberließen. Er trug das große Ritterschwert mit aufgewickeltem Ledergurt im Arm und hatte mit der anderen Hand den Mantel über der Brust zusammengenommen, um besser ausschreiten zu können. Auf dem Hof kümmerte man sich um ihn wenig; kaum daß einige von den Rottenführern ihre Schemel zur Seite rückten, ihm den Weg frei zu machen. Er selbst blickte nicht nach rechts und links, sondern ging mit ernstem Gesicht, den Kopf ein wenig gesenkt, auf die Tür zu, die nach dem Kapitelsaal führte. Er öffnete sie und trat ein, durch die hütenden Hellebardiere nicht gehindert.

Hier in dem prächtig hochgewölbten Gemach, das so oft des Deutschen Ordens Blüte versammelt gesehen, in dem seine Hochmeister gewählt und von den Generalkapiteln Beschlüsse über Landesgesetze, über Krieg und Frieden gefaßt waren, hatten die böhmischen Hauptleute sich aller Proteste ungeachtet häuslich niedergelassen. Diesen luftigen Saal betrachteten sie als den am besten geeigneten Ort zu geselligem Verkehr, aber auch zu Verhandlungen mit den Anführern der außenliegenden Trupps, welche Verhaltungsmaßregeln einzuholen kamen, mit den Sendboten der kleinen Städte und des Landadels der besetzten Gebiete, aus denen über harten und ungerechten Druck Klage geführt wurde, und gelegentlich auch mit den Ordensrittern, die der Hochmeister schickte, um Beschwerden über Ausschreitungen der Söldner anzubringen oder um Erleichterung zu bitten. Sie hatten aus den Prachtgemächern des Mittelschlosses Tische und Sessel hineinbringen lassen und vergnügten sich beim Würfelbecher oder Kartenspiel, hetzten wohl auch zur Kurzweil ihre Hunde gegeneinander und schlugen sich, wenn's beim übermäßigen Trinken Händel gab, die Köpfe blutig, um sich nach einer Stunde wieder zu vertragen. Als Plauen eintrat, saßen drei von ihnen, Ulrich Czerwonka, Nickel von Wolfsdorf und Richard von Kastrenzky, bei einer Kanne Wein zusammen, die Karten in der Hand. Ein vierter, Jon von Wichnansky, saß rittlings auf einem Schemel, die Lehne gegen den Tisch gekehrt und die Arme über derselben verschränkt, sah zu und glossierte mit derben Scherzen das Spiel. In einem der hohen Wandstühle auf der Schmalseite, der bei den Kapitelversammlungen für den Hochmeister bestimmt war, hatte sich Friedmann Panzer lang ausgestreckt und schlief, des edlen Rheinweins schon allzu voll, den Schlaf des Gerechten. Seine große Dogge hatte nicht weit von seinen Füßen auf dem Teppich, da, wo die Sonne durch das hohe Fenster schien, ein warmes Plätzchen gefunden.

Die festen Schritte hinter sich machten Ulrich Czerwonka aufmerksam. Er wandte die linke Schulter und das Gesicht zurück, was Kastrenzky sofort benutzte, ihm in die Karten zu blicken. Es war ein häßliches, spitzbübisches Gesicht, das an einen Fuchs und Affen zugleich erinnerte. Die niedrige Stirn erschien noch niedriger, weil das dünne, schwarze Haar glatt bis fast zu den hochaufgeworfenen Augenbrauen hinabhing, die sich in der Mitte borstig spitzten. Zwischen ihnen war der Nasenrücken schmal, so daß die kleinen grauen Augen dicht aneinander standen. Die Lider schienen nicht völlig gehoben werden zu können und bildeten beständig ein Schirmdach, unter dem sich die listigen und boshaften Blicke versteckten. Die Nase selbst setzte knollenartig an und hatte gegen die Spitze hin eine kupferartige Farbe. Darunter hing, wie angeklebt, ein spärlicher Bart zu beiden Seiten des schmallippigen Mundes über das kurze und zugleich spitze Kinn hin. Die Miene des Übermuts verriet, daß Czerwonka überlegte, ob er den Ankommenden besonderer Verachtung würdigen oder sich wieder dem Kartenspiel zuwenden sollte, ohne auch nur seinen Gruß abzuwarten, und eine unwillig zuckende Bewegung der rechten Hand, in welcher er die bunten Blättchen hielt, zeigte, daß er gute Luft hatte, sich die Störung nicht gefallen zu lassen; aber die würdevolle Haltung und das ernste Auge des Spittlers schienen seinen Gedanken schnell eine andere Wendung zu geben. Er legte die Karten verkehrt auf den Tisch, stand auf und ging ihm einen Schritt entgegen.

Auch die anderen Herren erhoben sich nun zur Begrüßung.

Keinem sonst im weißen Mantel mit dem schwarzen Kreuz hätten sie solche Ehre erwiesen. Der Sieger von Konitz erfreute sich in ihren Augen einer besonderen Schätzung.

Der Spittler war es gewesen, der damals in den Tagen der höchsten Not des Ordens, als die Bündischen im ersten Ansturm fast alle seine Schlösser genommen hatten und der junge König von Polen mit einem Heer von vierzigtausend Mann heraneilte, das ihm angetragene Land in Besitz zu nehmen, die unter den Mauern von Konitz entbrannte Schlacht zwischen ihm und den von Herzog Rudolf von Sagan und Bernhard von Zinnenberg geführten Söldnern des Ordens durch einen kühnen Ausfall mit einer tapferen Schar von Deutschen überraschend gewendet hatte. Die Polen wurden in die Flucht geschlagen und waren nicht mehr zum Stehen zu bringen; der König selbst kam in Lebensgefahr; dreitausend Polen, darunter hundertundsechsunddreißig Woywoden, Hauptleute, Ritter und Edle wurden erschlagen, viele von den vornehmsten gefangengenommen. Das königliche Siegel, die Reichsfahne, alles Geschütz, viertausend mit Kriegsrüstung und Lebensmitteln reich beladene Wagen, des Königs Kriegszelt nebst allen Kleinodien und Schätzen an Gold und Silber, Tafelgeschirr und Waffen fiel den Siegern in die Hände. Das polnische Herr war vollständig aufgelöst, in Trümmern, die sich nicht mehr vereinigen konnten, über die Grenze zurückgeworfen. Diese eine gewonnene Schlacht hatte schnell die Lage des Ordens verändert, sein schon so tief gesunkenes Glück wieder zum Steigen gebracht. Viele von den abtrünnigen Untertanen waren verträglich zu ihrer Pflicht zurückgekehrt, viele Schlösser wieder eingenommen und mit Soldtruppen des Ordens besetzt, alle Besorgnisse für die Marienburg zunächst beseitigt. Dorthin wurden die gefangenen Polen gebracht. Der Aufstand breitete sich nicht weiter nach Nordosten aus. Kneiphof-Königsberg, das mit den Danzigern gemeinsame Sache machte, wurde nach tapferer Gegenwehr unterworfen. Das halbe Land, freilich der ärmere Teil, kam wieder unter des Ordens Herrschaft. Die Kämpfe der nächsten Jahre mit ihren wechselvollen Erfolgen hatten an diesem Besitzstande wenig zu verschieben vermocht. Viel war verloren worden, aber das Zurückgewonnene mutig und zäh behauptet.

Diese Tat war dem Spittler nicht vergessen. Beim Orden nicht, wo er seitdem als der Retter aus tiefster Not und als die Leuchte in aller Finsternis galt, und nicht bei den Söldnern, die solche Mannhaftigkeit zu schätzen wußten und unter seiner Führerschaft wohl auch noch weitere Siege zu erfechten hoffen konnten. So verächtlich sie die Kreuzherren behandelten, die ihrer Ritterpflicht uneingedenk blieben, der tapfere Mann, der sich auf dem Schlachtfelde bewährt hatte, verlor sein persönliches Ansehen auch dann nicht, als der Orden in seiner Geldnot sich ganz von den Soldhauptleuten abhängig machen und ihrer Gnade unterwerfen mußte.

»Was bringt Ihr uns, edler Herr?« fragte Czerwonka, listig mit den kleinen Augen blinzelnd. »Es muß einen Grund haben, daß Ihr Euch zu uns bemüht. Nehmt Platz und laßt Euch aus unserer Kanne einen Becher einschenken. Habt Ihr gute Nachrichten aus dem Reich, die auch uns erfreulich sein können? Bedenken die deutschen Fürsten endlich ihre Schuldigkeit, und wollen sie den Orden aus der Pfandschaft lösen?«

Plauen schüttelte langsam das schwere Haupt, das sich nicht schien aufrichten zu können. Den Becher schob er zurück. »Es sind ernste Dinge, die ich zu verhandeln komme«, antwortete er, »und sie gehören nicht an den Schenk- und Kartentisch. So es Euch gefällt, edler Herr, gebt mir an anderer Stelle Gehör.«

Czerwonka kniff die Lippen zusammen und sah mit einem Seitenblick die Genossen fragend an. Die Hoffnung, daß der Spittler irgendeine günstige Botschaft bringen werde, war stark herabgemindert. Wahrscheinlich wieder die alten Klagen und Bitten! Nickel von Wolfsdorf verstand ihn und nahm dreist für ihn das Wort. »Was kommt's auf die Stelle an? Habt Ihr uns etwas Freundliches zu sagen, so vernehmen wir's so gern hier als anderswo und haben gleich die Becher zur Hand, sie auf Eures Ordens Wohl klingen zu lassen. Mögt Ihr aber die Karten nicht leiden, die lassen sich leicht beiseitelegen.«

»Nachdem dieses Spiel beendet«, setzte Kastrenzky hinzu, »da liegt mein Schellendaus, das will ich nicht umsonst aufgeworfen haben.«

Wichnansky lachte unbändig. »Gebt die Partie verloren, Ulrich«, wendete er sich an Czerwonka, »er kennt Eure Karten Blatt für Blatt – ich kann's beschwören.«

»Dann hat er um die Ecke gesehen«, sagte Czerwonka. »Werfen wir das Spiel. Ich will mir zu Ehren des Herrn Spittlers eins ankreiden lassen.« Es schien ihm lieb zu sein, so auf gute Art das Ärgernis beseitigen zu können. »Und nun setzt Euch zu uns – Ihr trefft uns gerade alle beisammen. Der Friedmann Panzer ...« Er sah sich nach ihm um, hob sein Schwert ein wenig aus dem Gurt und schlug mit dem Kreuzgriff auf den Tisch. »He, Friedman! Wacht auf, wenn's Euch gefällig ist. Wir haben hohen Besuch.«

Panzer schnarchte noch einmal kräftig zu, sperrte dann die Augen auf und erhob sich in seinem Sitz. »Ich höre zu – ich höre zu«, versicherte er schlaftrunken. »Wann bekommen wir unser Geld?«

»Ja, wann bekommen wir unser Geld?« rief Wichnansky. »Das ist die Hauptsache.«

Plauen setzte sich seufzend. »Wenn es an uns läge, wie es nicht an uns liegt«, sagte er, »wir befriedigten euch lieber heut' als morgen. Aber die Summe, die wir euch und den Hauptleuten der deutschen Söldner schulden, ist leider schon ins ungeheuerliche gewachsen. Wir können euch auch diesmal den Termin nicht halten und bitten um weiteren Aufschub.«

»Was – was – was?« riefen die Herren auffahrend. »Aufschub – wieder Aufschub? Die alte Schuld ist längst fällig und die neue nicht beglichen. Wir wollen von keinem Aufschub weiter wissen.«

Friedmann Panzer war aufgesprungen und an den Tisch getreten. »Zum Teufel mit der Lammesgeduld! Ihr höhnt aus! Wir wollen unser Geld, oder ...«

»Hört mich freundlich an«, fiel Plauen in den Lärm ein. »Wir sind wahrlich nicht untätig gewesen. Aber ihr wißt am besten, wie es im Lande steht. Was uns davon geblieben ist, liegt zum größten Teil verwüstet. Unsere Vorwerke habt ihr in Händen. Die kleinen Städte und die Bauern sind ausgesogen, die Gutsherrschaften haben kaum so viel, ihre Untertanen und ihr Vieh durchzubringen. Vergeblich schreiben wir Schoß aus, der Landkasten bleibt leer. Es ist nicht böser Wille: Niemand hat, wovon er geben soll. Unser Gold und Silber ist längst in die Münze gewandert; wir sind euch gerecht geworden, solange wir's vermochten. Nun seht unsre Armut an und nehmt billig Rücksicht.«

Auf den Gesichtern der Hauptleute spiegelte sich der Ingrimm über diese doch kaum unerwartete Eröffnung. Ulrich Czerwonka hob übermütig das Kinn, senkte die Augenlider und sagte in wegwerfendem Ton: »Was wollt ihr Ordensherren? Ich denke, wir haben schon zu viel billige Rücksicht genommen. Deshalb ist eure Schuld durch die Jahre so angewachsen, daß sie euch jetzt schier unerschwinglich gilt. Meint ihr uns auch ferner mit Versprechungen füttern zu können? Davon werden unsere Leute nicht satt. Vergeht nicht, daß wir nur der Söldner Hauptleute sind und selbst die schwersten Verpflichtungen haben. Wir empfangen nichts von euch, das wir nicht wieder weggeben müssen. Unsere Leute fordern ihren verdienten Lohn und werden meutern, wenn sie nicht endlich befriedigt werden. Wenn sie ihn sich mit Gewalt nehmen, mögen Länder und Städte zusehen, wie's ihnen bekommt. Wir haben nur so lange Macht über sie, als sie uns Vertrauen schenken, daß wir ihnen zu dem ihrigen verhelfen werden. Zum Teufel! Ihr habt uns gesagt, daß ihr im Reich Freunde habt, die euch lösen werden. Und nun wollt ihr uns den Termin nicht halten? Wo sind eure Bürgen?«

Plauen zuckte die Achseln. »Wir geben noch nicht die Hoffnung auf, durch des Papstes und Kaisers gnädige Unterstützung wieder so weit zu Kräften zu kommen, daß wir unsere Gläubiger voll befriedigen können«, sagte er, sich stolz aufrichtend. »Sie werden den Deutschen Orden nicht im Stich lassen, den sie mit Privilegien ausstatteten und der Jahrhunderte hindurch des Reiches und der Kirche treue Vorhut hier im Norden war. Zur Zeit sind sie aber selbst in mancherlei Bedrängnis und vertrösten uns auf die Zukunft. Wir haben es auch wahrlich an Mahnungen bei den deutschen Kurfürsten und Fürsten nicht fehlen lassen und viel guten Willen, aber freilich wenig hilfreiche Tat verspürt, denn überall ist Not und Elend durch der Hussiten Verwüstung und der Raubritter Plage. Doch daß sie uns allesamt ernstlich raten, festzubleiben und unser Recht zu behaupten, auch versprechen, unsere Sache auf dem Reichstage vorzubringen und zu verfechten! So dauert's wohl noch eine Weile, bis wir zum Ziel gelangen, da diese Wege schwierig sind, aber wir hoffen auch darin auf Gottes und der Jungfrau Maria Beistand. Habt deshalb noch weiter ein Einsehen und gebt uns neue Stundung.«

»Pah –!« riefen sie wie aus einem Munde. Wolfsdorf schlug so heftig mit der Faust auf den Tisch, daß sein Becher ins Schwanken kam und das edle Naß über die Platte ausschüttete. »Das sind faule Fische«, schrie er den Spittler an. »Eines Juden hebräische Verschreibung gilt mir mehr als aller Kurfürsten und Fürsten luftige Worte. Auf Gottes und der Jungfrau Maria Beistand habt ihr alle die Zeit vergeblich gehofft. Sie mögen euch gnädig in den Himmel helfen, aber in euren Schlössern halten sie euch nicht.«

Dieser wilde Spott erregte bei den andern ein lautes Gelächter. Nur Czerwonka bemühte sich, nicht alle Würde zu verlieren. »Geld – Geld – Geld«, sagte er, seinen Bart zupfend, »hier ist's nur um's Geld. Löhnt uns ab, und ihr seid frei. Seht dann weiter zu, wie ihr euch mit Hilfe eurer irdischen und himmlischen Freundschaft eurer Haut wehrt. Ihr habt uns ins Land gerufen, und wir sind darin. Wollt ihr uns hinaus haben, so haltet uns Wort. Auf so allgemeine Reden geben wir nichts mehr, und ins ungewisse lassen wir uns nicht vertrösten. Leistet wenigstens eine angemessene Abschlagszahlung, damit wir unsere Leute beruhigen.«

»Es ist unmöglich«, antwortete Plauen, »in dieser nahen Zeit unmöglich.«

»Unmöglich – unmöglich –?« schrien sie durcheinander. »So gesteht ein, daß ihr überhaupt nicht zahlen könnt – daß euer Orden bankerott ist!«

»Und welchen neuen Termin wollt ihr euch setzen?« fragte Czerwonka höhnisch. »Man muß doch auch das hören.«

»Gebt uns noch ein Jahr Frist«, entgegnete der Spittler. »In einem Jahr....«

Man ließ ihn nicht aussprechen. Wichnansky pfiff durch die Zähne, und Friedmann Panzer drehte sich wie besessen mehrmals lachend um sich selbst. »Und in diesem Jahr sollen wir wieder von der Luft leben«, spottete Wolfsdorf. »Da fahren wir noch besser, wenn wir die Hälfte unserer Forderung streichen. Legt mir die andere Hälfte bar auf den Tisch, und ich will über das Ganze quittieren!«

Der Spittler mochte diesen Sturm vorhergesehen haben; er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. War's doch nicht das erstemal, daß er mit diesen wüsten Gesellen verhandelte, und mußte er doch ihren Unwillen für nicht grundlos erachten. »Ich bin nicht gekommen, euch was abzudingen«, sagte er. »Euer eigener Nutzen ist's aber nicht, wenn ihr uns so hart bedrängt. Helft uns lieber, auch in kürzerer Zeit gerecht zu werden, so wollen wir euch dafür noch dankbarer sein als für den längsten Ausstand.«

»Wie das?« fragte Czerwonka überrascht aufblickend.

»Wir führen Krieg mit unserm Nachbar Polen zur Unterwerfung unserer abtrünnigen Untertanen«, fuhr Plauen fort, und seine Augen blitzten heller auf. »Dazu haben wir euch geworben. Was tatet ihr aber bisher, euren Lohn zu verdienen? Ihr wolltet den Stier nicht bei den Hörnern fassen, sondern gingt um ihn herum und gabt ihm höchstens einen Schlag von hinten. Ihr lagt in den Schlössern fest, die ihr euch als Pfand gesichert habt, und ließet eure Soldforderungen in ungemessene anwachsen, versäumtet aber im Felde eure Pflicht. Ihr verwüstetet das eigene Land, nahmt dem Feinde aber keine Handbreit ab. Ja, seht mich nur mit zornigen Blicken an, greift nur ans Schwert – ich beleidige euch nicht; was ich sage, ist die Wahrheit. So weit waren wir nach der Konitzer Schlacht – ihr habt uns nicht sonderlich weiter gebracht. Ich rühme mich des Sieges nicht, aber er gibt mir das Recht, euch Lässigkeit vorzuwerfen. Der Feind ist nur stark, weil ihr euch hütet an ihn zu kommen. Folgt mir, und ich will euch noch einmal zum Siege führen!«

Die Hauptleute waren still geworden; ihren verlegenen Mienen war's anzumerken, daß sie sich getroffen fühlten. Jeder schien vom anderen zu erwarten, daß er auf diesen Schimpf antworten sollte. Endlich nahm Czerwonka das Wort. »Ich hoffe«, sagte er, »daß es nicht Eure Meinung ist, uns der Feigheit zu bezichtigen. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert, auch der Söldner, der für eine fremde Sache Blut und Leben daransetzt. Zahlt ihm den bedungenen Lohn und er wird für euch kämpfen. Was ihr ihm schuldig bleibt, bleibt er euch schuldig. Der ist ein schlechter Hauptmann, der seine Leute in den Tod treibt, ohne sie gelöhnt zu haben. Legt uns das Geld auf den Tisch, und wir wollen morgen frohen Mutes unsere Fähnlein im Winde wehen lassen. Für nichts ist nichts.«

Der Spittler ließ sich aber so nicht abtrumpfen. »Wir haben die böhmischen Söldner in der Hoffnung angeworben«, entgegnete er, »daß es ihrer Tapferkeit schnell gelingen sollte, uns das Kulmerland und Pommerellen zurückzuerobern. Die Polen waren bei Konitz aufs Haupt geschlagen; es mußte längere Zeit darüber vergehen, bis sie wieder ein Heer aufstellen und an die Grenze brachten. Inzwischen konnten die Städte Thorn, Danzig und Elbing im Sturm genommen und gebändigt werden. Unsere Gegner waren selbst noch nicht stark gerüstet, eifersüchtig gegeneinander und ihren Söldnern bereits verschuldet, da Lande und Städte sich gegenseitig die schwerere Last aufzubürden trachteten und am liebsten Polen verpflichtet hätten. Da solltet ihr zugegriffen haben. Die großen Städte sind reich. Wären sie niedergeworfen worden, ihr hättet euren rückständigen Sold rasch auf Heller und Pfennig gezahlt erhalten und uns von aller Verpflichtung befreit. Die Städte hätten ihre Verräter« gebüßt und wären doch nicht verarmt. Polen brauchten wir nicht mehr zu fürchten, da sich Kaiser und Papst zugunsten des siegreichen Ordens wohl kräftig ins Mittel gelegt hätten. All' das ist durch eure Saumseligkeit und krämerhafte Bedenklichkeit versäumt. Ihr selbst tragt die Schuld, daß wir euch die Termine nicht halten können, die wir doch in der gerechten Erwartung setzten, daß der besiegte Gegner die Kriegskosten werde zu zahlen haben, wie das in der ganzen Welt nicht anders ist. Beklagt euch deshalb nicht über uns, sondern rüttelt euch auf aus eurer Schlaffheit, führt eure Leute ins Feld und gewinnt durch einen Sieg über unsere Feinde, was wir euch wahrlich sehr unlustig und nur in äußerster Not vorenthalten. Die Ritter vom Deutschen Orden, so viele noch das Schwert ziehen können, werden bei solcher Waffentat nicht fehlen und Lande und Städte der treuen Gebiete auf des Herrn Hochmeisters Ruf wohl noch einmal eine tüchtige Mannschaft stellen, sich selbst aus dieser schier unerträglichen Lage zu befreien. Steht uns bei, wie es eure Pflicht ist, und wir wollen das letzte daran wagen, euch gerecht zu werden.«

Die Hauptleute hatten sich während dieser Scheltrede still verhalten oder doch ihren Unwillen nur durch grunzende Laute zu erkennen gegeben. Nun er schwieg und mit seinen ernsten, traurigen Augen im Kreise umschaute, sprang Nickel von Wolfsdorf auf, schlug auf den Tisch und rief: »Ihr habt jetzt gar leicht klug reden, Herr Spittler, damit lockt Ihr aber nicht den Hund vom Ofen. Was so oder so hätt' geschehen müssen und nicht geschehen ist, kümmert uns heut wenig; die Zeit schreitet nicht rückwärts. Hätt Euer Orden viele so tapfere Männer gehabt, wie Ihr einer seid, die Dinge wären so nicht verlaufen. Nun aber sollten wir die ganze Blutarbeit verrichten und uns nicht nur unsern Sold erkämpfen, sondern euch auch noch die Kassen füllen. Dazu reicht unser Häuflein nicht aus. Dankt's uns, daß wir euch noch so viel Besitz erhalten haben!«

»Was davon wertvoll, ist in euren Händen«, antwortete Plauen düster.

»Ja, es ist in unsern Händen«, schrie Kastrenzky, »und mag allenfalls heut' noch unsere Forderung decken. Wir wollen sie nicht wachsen lassen, bis wir das Pfand unter dem Preis losschlagen müssen.«

»Dem König von Polen sticht die Marienburg schon längst in die Augen«, setzte Wichnansky lachend hinzu.

»Und die Thorner und Danziger werden ihm das Geld zum Kauf schon aufbringen, wenn er ihnen sonst willfährig ist«, platzte Friedmann Panzer heraus.

Plauen erblaßte sichtlich. Er drückte das Schwert fester in den Arm und schob den Fuß zurück, als ob er sich erheben wollte. »Ihr denkt ernstlich daran, die Marienburg unseren Feinden zu verkaufen –?« sagte er mit bebender Stimme. »Das ist Verräterei!«

»Nennt's nicht so, edler Herr«, entgegnete Ulrich Czerwonka. »Wir haben die Marienburg mit andern Schlössern in Pfand auf sichere Verschreibung. Es steht darin nichts davon, an wen wir nach dem Verfalltag sollen verkaufen dürfen und an wen nicht. Hätten uns auch auf solchen Vorbehalt nimmer eingelassen. Denn für wen haben die Schlösser einen Preis, als für die Bündischen und ihren obersten Hauptmann, den König von Polen?«

»Ja – ja – ja – so ist es!« riefen die andern. »Wir verkaufen, an wen wir wollen.«

Der Spittler stand auf und setzte den Fuß dröhnend auf den Steinboden. »Das ist Verräterei! Ihr habt uns geschworen, gegen den Bund und den König von Polen zu kämpfen und dafür das Pfand erhalten. Gebt ihr's in des Feindes Hand, so mißbraucht ihr euer Recht zu schnödestem Verrat. Auch ohne Vorbehalt war der Feind ausgenommen.«

»Das leugnen wir«, antwortete Czerwonka, sich auf seinem Sessel zurücklehnend. »Haltet ihr uns nicht Wort, so sind wir unseres Eides ledig und machen uns bezahlt, wie wir können. Was geht uns des weiteren Euer Orden an? Wir sind Söldner und dienen dem, der uns löhnt. Ob ihr Recht oder Unrecht gegen eure Untertanen habt, fragen wir nicht, und ob dem Land Preußen der Hochmeister Deutschen Ordens oder der König von Polen ein besserer Regent ist, ebenso wenig. Lost eure Schlösser aus, und wir ziehen ab oder wollen uns euch von neuem treu verdingen, wenn ihr uns nochmals durch Pfand sichert. Wenn nicht – so wißt ihr Herren jetzt, woran ihr seid.«

»Ich protestiere dagegen namens des Herrn Hochmeisters und des ganzen Deutschen Ordens«, rief Plauen, die Hand erhebend, »ich protestiere dagegen im Namen von Kaiser und Reich – ich protestiere dagegen namens der gesamten Christenheit!«

»Laßt's doch der Sicherheit wegen von einem Notarius aufschreiben und besiegeln«, spottete Wichnansky. »Gebt Karten«, wendete er sich an Czerwonka, »wir verschwenden wahrlich die edle Zeit.«

»Das verzeih' Euch Gott!« sagte der Spittler zornig und kehrte ihm den Rücken. »Nein – nein – nein! Solcher Teufelei seid ihr nicht fähig. Und wenn doch, so vergesset nicht, daß euch das Pfand mit anderen verschrieben ist. Ihr könnt nichts ohne ihre Zustimmung, und die erhaltet ihr Böhmischen nimmer!«

»Ihr sprecht von den Hauptleuten der deutschen Söldner«, bemerkte Czerwonka über die Achsel hin. »Wir werden uns mit ihnen abfinden, übrigens scheidet nicht im Zorn, edler Herr, Ihr macht Eure Sache dadurch nicht besser. Haben wir schon das Recht, so ist's doch unsere Neigung keineswegs, mit des Ordens Feinden einen Handel einzugehen. Lieber werden wir mit Euch einig und meiden das Geschrei. Weist uns nach, daß Ihr in der und der kurzen Zeit grundhafte Aussicht habt, das Geld zu erhalten, und der Termin soll nicht unverbrüchlich der letzte sein.«

Der Spittler würdigte ihn weiter keiner Antwort, sondern verließ mit einem Gruß der Hand den Kapitelsaal. Er meinte bemerkt zu haben, daß die Drohung mit dem Widerspruch der übrigen Pfandinhaber doch einigen Eindruck gemacht. Czerwonka hatte schließlich mildere Saiten aufgezogen, und seine Kumpane waren nicht mehr so übermütig laut gewesen. Die Bedingung freilich, die für eine Fristverlängerung gestellt wurde, konnte nicht erfüllt werden. Alle Hilfsquellen waren erschöpft; nur das Kriegsglück vermochte noch eine günstige Wendung herzustellen. Es kam alles darauf an, Zeit zu gewinnen und für den Augenblick wenigstens die drohendste Gefahr abzuwenden.

Er kehrte daher nicht sogleich nach dem Hochmeisterhaus zurück, sondern wendete sich dem anderen Flügel des alten Schlosses zu, in dem er die Wohnung des Grafen von Gleichen wußte, der einen großen Teil der deutschen Söldner befehligte. Er war ihm seit alter Zeit befreundet und des Ordens Sache von Herzen zugetan. Nicht schnell genug meinte Plauen ihn über das verständigen zu können, was von seiten der Böhmen drohte.

Er fand bei ihm Georg von Schliwen, einen anderen Hauptmann, auf den ebenfalls Verlaß war. Diesen beiden teilte er tief empört mit, was er soeben vernommen hatte, und beschwor sie bei Gott und allen Heiligen, eine solche Schandtat zu hintertreiben. »Ihr seid selbst deutsche Herren«, stellte er ihnen beweglich vor, »wenn ihr auch nicht den Ordensmantel tragt. Eure Söhne und Enkel können gar leicht zur Ehre Gottes das Kreuz nehmen. Es wär' euch eine ewige Schmach, wenn ihr eine Mitschuld an der Übergabe der Marienburg zu verantworten hattet. Die Marienburg ist des Deutschen Ordens Haupthaus. Noch nie ist sie von einem Feinde eingenommen worden. An ihren Mauern sind bisher alle Heereswogen der Polen, Litauer und Tataren zerschellt, so mächtig und gewaltig sie auch brandeten. Solange der Orden die Marienburg hält, bleibt er Herr im Lande Preußen; von hier aus allein kann er seinen verlorenen Besitz zurückerobern. Eure eigene Hoffnung der Befriedigung knüpft sich daran. Jetzt sind wir in Not; aber wir können wohl wieder, wie so oft schon seit zweihundert Jahren, aus tiefstem Fall auf des Glückes Rad obenauf kommen. Dann soll euch vergolten werden!«

Der Graf von Gleichen, ein schon älterer Herr mit lang auf die Brust hinabfallendem zweizipfeligem Bart und hoher kahler Stirn, reichte ihm die Hand und sagte mit warmer Betonung: »Auf mich mögt Ihr Euch verlassen, Freund Plauen, soviel ich mich auf mich selbst verlassen darf. Den Polen und den bübischen Verrätern, die dem Orden den Eid gebrochen, übergebe ich die Marienburg nicht. Ich hoffe, Georg von Schliwen ist nicht anderen Sinnes. Und auch für die andern, Georg Löbel und Merten Frodener, die mit ihren Leuten in der Vorburg Quartier haben, möcht' ich wohl gutstehen. Freilich sind wir die schwächeren an Zahl und Haufen und haben auch im Kriege mehr gelitten, so daß die meisten Rotten nicht mehr vollzählig. Und wenn die Mannschaften schwierig werden –«

»Ja« fiel Schliwen, ein kleiner, untersetzter Herr mit breitem, gutmütigem Gesicht, bedenklich ein, »wir haben nicht Leibeigene unter uns, sondern geworbene Leute, die auf ihrem Vertrag bestehen und in wichtigen Fällen mit Ja und Nein mitstimmen. Könnte euer Treßler uns nur ein weniges auf den Tisch schütten, daß wir sie beruhigen. Wegen meiner eigenen Forderung will ich ebenfalls eine Landabfindung annehmen, so wenig sie auch im Augenblick wert sein mag.«

»Helft uns die Marienburg erhalten«, bat der Spittler, »und es werden sich hoffentlich auch dazu Wege finden lassen. Ich kenne die deutschen Söldner; sie sind den böhmischen nicht gewogen und halten auf die Ehre ihrer Fahne. Sie werden mit jenen nicht gemeinsame Sache machen und ihre Führer verlassen. Sprecht ihnen zum guten, liebe Herren.«

Das sagten die Hauptleute mit Wort und Handschlag zu.

Hier wenigstens hatte Plauen noch treue Freunde gefunden, und sein Herz war darüber froh. Wie weit aber ihre Macht reichte, blieb leider eine offene Frage.


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