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Feindschaft ist unzulänglich

Ein Lebenslied

Feindschaft ist unzulänglich.
Der Wille und die Taten,
Ein erdbewußtes Leben
In sich, was sind sie, Welt?
Es schwebt in jedem Schicksal,
Im Schritt der Lust und Schmerzen,
Im Morden und Umarmen,
Anmut des Menschlichen!

Nur das ist unvergänglich!
Sahst du die wilden Augen
Buckliger Bauernmädchen?
Sahst du, wie sie sich langsam
Weltdamenhaft verschleiern,
Sahst du in ihnen blinken
Das Grün von Festestraden,
Musik und Lampennacht?

Sahst du den Bart von Kranken,
(Ihr Wolken über Pappeln)
Wie er an Gott erinnert,
Getaucht in einen Sturm?
Sahst du die große Güte
Im Sterben eines Kindes,
Als uns der holde Körper
Mit Zärtlichkeit entglitt?

Sahst du das Traurigwerden
Von Mägden an am Abend?
Wie sie die Küchen ordnen
Und fern wie Heilige sind?
Sahst du die schönen Hände
Durchfurchter Nachtgendarme,
Wenn sie den Hund liebkosen
Mit grobem Liebeswort?

Wer handelnd sich empörte
Bedenke doch!! Unsagbar
Mit Reden und Gestalten
Sind wir uns fern und nah!
Daß wir hier stehn und sitzen
Wer kann's beklommen fassen?!
Doch über allen Worten
Verkünd' ich, Mensch, wir sind!!

 

Ein anderes

Daß einmal mein dies Leben war,
Daß in ihm jene Kiefern standen,
Und Ufer schlafend sich vorüberwanden,
Daß ich in Wäldern aufschrie sonderbar –
Daß einmal mein dies Leben war!

Wo Ufer schlafend sich vorüberwanden,
Was trug der Fluß mit Schilf und Wolk' davon?
Wo bin ich – und ich höre noch den Ton
Von Ruderbooten, wie sie lachend landen,
Wo Ufer schlafend sich vorüberwanden.

Wo bin ich – und ich höre noch den Ton
Von Equipagen, dicht im Kies verfahren,
Kastanien- und Laternensprache waren
Noch da und Worte – doch wo sind sie schon?
Wo bin ich – und ich höre noch den Ton?

Kastanien- und Laternensprache waren
Noch da und Atem einer breiten Schar.
Und mein war ein Gefühl von Gang und Haaren.
O Ewigkeit! – Und werd' ich es bewahren,
Daß einmal mein dies Leben war!

 

Des Turmes Auferstehung

Der Turm

Ich war ein Turm vor manchem Jahr,
Bis daß man mich zerbrach.
Nun dröhnet die Posaunenschar,
Da bin ich worden wach.

Ein Garten stand um meinen Fuß,
Die Bäume waren lieb.
Mein Kranz war feurig von dem Gruß
Des Himmels, der weitertrieb.

Mein Maul war schwarz und knarrte wild
Von Eisen, das sich bog.
Allein mein Auge brannte mild,
Wann's über die Stürme flog.

Der Fluß zog schwer an mir vorbei,
Der Flößerlampen Glühn.
Und unter meinem Einerlei
War die Schnittlauchlandschaft grün.

Ich liebe dich und liebe mich,
Mein Herr, laß mich bestehn!
Aus diesem Tage fürchterlich
In dein Reich eingehn!

 

Der Herr

Als ich mich schuf, da war's mein Schmerz,
Der in die Weiten fuhr.
Und eines jeden Lebens Herz
Schlug meines Herzens Uhr.

Nun will mein Schmerz in mich zurück,
Da brach die Zinke los.
Und jedes Weh und jedes Glück
Stürzt sich in meinen Schoß.

Ach, als ich mich erschuf zur Welt,
Da war ich nichts und aus.
Jetzt aber bin ich neubestellt,
Und wachse wie ein Haus.

Und meine Liebe ausgestreut,
Wie sammelt sie sich hier!
Und jedes Wesen, das sich beut,
Ein Baustein ist's an mir.

Turm, schwing' dich auf, du treuer Mann,
In meinen Busen weit!
Es hebet, ja nun hebt sie an
Die große Kinderzeit.

 

Ein geistliches Lied

Wir drehen uns vorüber
An einem Lämpchen, einem Mann.
Uns reißt etwas hinüber,
Und letzte Sehnsucht faßt uns an.
Wir werden nie uns haben,
Denn Formsein packt uns herrisch ein.
Und sind wir einst begraben,
Wird Staub dem Staub noch feindlich sein.

Am Gitter der Slowake
Spuckt aus und wischt sich seinen Mund.
Ein andrer hebt die Hacke,
Und näher schwebt ein brauner Hund.
Wenn sie vorüberspülen
Bestürzt uns Lieb' zu Fleisch und Stein,
Doch wie wir – Körper – fühlen
Muß Ekel unsre Antwort sein.

Verheißung letzter Treue
Ist unserer Augen Bruderlicht,
Aus dem die Winterbläue
Der ungedämmten Himmel bricht.
Daß wir dereinst uns finden
In den Gefühlen ohne Sprung,
Durch uns, in uns verschwinden,
Und Schwung sind, nichts als Schwung und Lieb' und jagende Begeisterung.

 

Und doch

— — — — — — —

Und doch! Sonne und Wälder toben vorbei,
Eis steht im Teich. Windmühlen wunderbar
Tanzen am Himmel, und eine Vogelschar
Hängt im Unendlichen frei.

— — — — — — —

 

Die Heilige im Theaterskandal

(Anläßlich eines Vorfalls in der Wiener Hofoper.)

Der Taktstock des Dirigenten rollte in das Orchester hinab.
Aufheulten Geigen, – Posaunen stürzten kopfüber ins Grab.

Der Chor stob durcheinander lachend im Lichteffekt,
Der Bariton erbrach sich furchtbar vor einem Prospekt.

Die Sängerin, verraten, mitten in einer Koloratur,
Fühlte die raschen Gelächter um ihren Hals als Lassoschnur.

Aus schwarzem Raume schossen furchtbare Vögel her,
Schlugen mit Flügeln das Fräulein, saßen auf seinen Schultern schwer.

Aus holdem Munde fielen viel kleine Töne, ohne Sinn ...
Sie sah nicht mehr die Runde – schmolz schon ins Rampengrüne hin.

Doch siehe! Eh' sie noch verging und einen Schritt tat rampenwärts,
Erwachte sie, und Jesus der Schwimmer warf sich jauchzend in ihr Herz.

Und plötzlich wußte sie sich stehn in aller Feindschaft dieser Welt,
Und ließ die lieben Füße lächelnd dem Tier, das bellt.

Wußte, daß durch die Himmel jetzt wachsende Gestirne wehn,
Wußte, daß lumpige Kinder vor scheußlichen Asylen stehn.

Wußte, daß eine Kerze wo einem Tod zuschaut.
Wußte ein Schreckenstelegramm im Zimmer einer Braut.

Wußte, daß jetzt der Blizzard ein weißes Zelt umknallt.
Wußte, daß eine arme Frau Holz stiehlt in einem Wald.

Wußte, daß ein Verbrecher umtaumelnd in der Zelle brüllt.
Wußte, daß jetzt ein Kranker die Decke rasend zerknüllt.

Wußte (im höchsten Skandal) ihr Leid im ganzen Leid.
Um ihre Stirne brannte Gottes Feuer und Heiligkeit.

Und als im Frack der Regisseur weinend im Proszenium stand,
Sank sie, ein leiser Engel, den Edeldamen in die Hand.

 

Die Damenkapelle

Wißt ihr es denn, die ihr an Tischen sitzt,
Am Rauche der Pleureusen euch erhitzt,
Die ihr den Tag betreibend durchgebracht,
Wie diesen Frauen hinschwebt eine Nacht?

O seht sie an! Sind sie von dieser Welt?
Sind sie nicht Schatten, fern in Wind gestellt?
Die steht und geigt und starrt ins schwere Nichts,
Die andere flötet schwindenden Gesichts.

Ihr Frauen sprecht, wo geht das Licht euch auf?
Und was begleitet euern Atemlauf?
Und was für Speisen sind euch zugeteilt?
Und welcher Name ist, der in euch weilt?

Liebt ihr euch, taumelnd, selig, Zwei und Zwei?
Sagt, oder seid ihr mit der Nacht vorbei?
Und werdet, wenn der Rauch im Saal verschäumt,
Mit Asche und Geräten fortgeräumt?

Gingt ihr einst schwanger durch die Straßen schon?
Und ist ein Mann in eurem Medaillon?
Oder, mit dieser Halle aufgetan,
Hebt ihr erst nachts zu schwankem Leben an?

Die du am Pult stehst, leg den Bogen hin!
Halt ein im Wirbel, Trommelschlägerin!
Die am Triangel dient, es ist genug!
Schwebt auf, entflattert, wallt in meinem Zug!

Kein Angesicht, das schwände je in mir.
Die alte Frau hat ewiges Quartier,
Und in dem tiefsten, überwogten Grund
Spaziert der Greis mit seinem Dacklhund.

Ihr Damen, die ihr wesenlos entbrennt,
In mir ist Nacht und Fluß und Firmament!
Zieht ein und wandelt unter Sternen traut
In dieser Brust unendlich überblaut.

 

Die Morphinistin

Mitten im Orkan der Straßenbahnen
Durch ein goldenes Dröhnen wankt mein Gang.
Ich bin so zerlassen, kaum mehr krank,
Fühl' nicht Frühling, Himmel, Strom und Fahnen,
Und mich selbst nicht in dem Überschwang.

Manchmal bring' ich Blumen mit nach Hause,
Und sie atmen wohl ein kleines Stück.
Doch dann schwinden sie in sich zurück,
Angestarrt von meines Zimmers Pause ...
Ach was wißt ihr denn von meinem Glück!

Schicksal ist entrückt, und jede Stunde
Abgestreift und alles, was nur hält.
Nie entsinkt ein Name mehr dem Munde ...
Ach, was fragt der Kutter auf dem Grunde
Nach dem Spiel des Leuchtturms in der Welt?

Wenn ich nachts vor meinem Spiegel stehe,
Und die Kerze auf- und niederbrennt,
Wenn die weiße Dame sich nicht kennt,
Dann erschaudr' ich tief vor meiner Nähe,
Und dann fürcht' ich dieses Monument.

Manchmal nur, wenn Equipagen fahren
Und das Blaue stürzt in meinen Hof ...
Dann vergnüg' ich mich an meinen Haaren ...
Und ich weine über das Gebaren
Rosa Dinger auf dem Sonntagsschwof.

 

Am Abend

Am Abend trat ich ein in einen Laden
Und sah die vielen einmaligen Bilder
Der hängenden Tiere, der harrenden Fische.
Sah die vorbeigetragenen
Gesichter der Verkäuferinnen.

Groß zogen durch mein Herz
Die weichen Schritte draußen,
Des Himmels goldener Niedergang
Und die steigenden Lieder
Der eingesperrten Vögel in den tausend Wohnungen.

Und auch ein Kind war da,
Bucklig ein Mädchen mit steifem Haar
Und armen Schuhn an armen Füßen.
(Den eingekauften Käse tut's in einen Korb.)
Und siehe!
Es traf mich einmal und nicht wieder
Ein Blick aus seinem Auge.
Einmal und nicht wieder
Ein Blick aus seinem Auge, das erfüllt war
Von meiner Seele und von seiner Seele.
Ein Blick aus einem Auge, dessen Fläche
Meerfläche war von Meeren dieses Sterns und aller Sterne.

Da fühlte ich wunderbar
Die unwiederbringlichen Ruinen der Dämmerung,
Die morgen wieder auf allen Bergen stehn.

Da fühlte ich
Das goldene Heute der Sprotten, das nicht wiederkehrt
Und doch unsterblich ist.

Da fühlte ich
Den Spöttern allen mich als letzter Bruder.
Und daß von meiner Wahrheit, fühlte ich,
Die doch vergeht, kein Gran vergänglich ist.

Am Abend überging mein Wesen da von Gott.

 

Amore

Wenn noch die Eitelkeit
Das Auge dir entweiht,
Ist kommen nicht die Zeit.

Solang du noch willst stehn
Auf Podien, gesehn,
Kann Glück's dir nicht geschehen.

Wer sich noch nicht zerbrach,
Sich öffnend jeder Schmach,
Ist Gottes noch nicht wach.

Wer noch mit Eifer spitzt,
Daß er ein Weib besitzt,
Ist noch nicht ausgewitzt.

Erst wenn ein Mensch zerging
In jedem Tier und Ding
Zu lieben er anfing.

Erst wer Erfüllung floh,
Wächst an zum Höchsten so,
Wird letzter Sehnsucht froh.

Erst wer sich jauchzend bot
Der Schande und der Not
Und zehnfach jedem Tod,

Im heiligsten Verzicht,
Vor Liebe ihm zerbricht
Sein irdisch Angesicht!

Wohin schwillt er empor?
Was schwingt er überm Chor
Unendlich sein amor'!!

 

Ich bin ja noch ein Kind

      O Herr, zerreiße mich!
      Ich bin ja noch ein Kind.
      Und wage doch zu singen.
      Und nenne dich.
      Und sage von den Dingen:
            Wir sind!

Ich öffne meinen Mund,
Eh' du mich ließest deine Qualen kosten.
Ich bin gesund,
Und weiß noch nicht, wie Greise rosten.
Ich hielt mich nie an groben Pfosten
Wie Frauen in der schweren Stund.

Nie müht ich mich durch müde Nacht
Wie Droschkengäule, treu erhaben,
Die ihrer Umwelt längst entflohn!
(Dem zaubrisch, zerschmetternden Ton
Der Frauenschritte und allem, was lacht.)
Nie müht ich mich, wie Gäule, die ins Unendliche traben.

Nie war ich Seemann, wenn das Öl ausgeht,
Wenn die tausend Wasser die Sonne verhöhnen,
Wenn die Notschüsse dröhnen,
Wenn die Rakete zitternd aufsteht.
Nie warf ich mich, dich zu versöhnen,
O Herr, aufs Knie zum letzten Weltgebet.

Nie war ich ein Kind, zermalmt in den Fabriken
Dieser elenden Zeit, mit Ärmchen ganz benarbt!
Nie hab ich im Asyl gedarbt,
Weiß nicht, wie sich Mütter die Augen aussticken,
Weiß nicht die Qual, wenn Kaiserinnen nicken,
Ihr alle, die ihr starbt, ich weiß nicht, wie ihr starbt!

Kenn ich die Lampe denn, kenn ich den Hut,
Die Luft, den Mond, den Herbst und alles Rauschen
Der Winde, die sich überbauschen,
Ein Antlitz böse oder gut?
Kenn' ich der Mädchen stolz und falsches Plauschen?
Und weiß ich, ach, wie weh ein Schmeicheln tut?

Du aber, Herr, stiegst nieder, auch zu mir.
Und hast die tausendfache Qual gefunden,
Du hast in jedem Weib entbunden,
Und starbst im Kot, in jedem Stück Papier,
In jedem Zirkusseehund wurdest du geschunden,
Und Hure warst du manchem Kavalier!

O Herr, zerreiße mich!
Was soll dies dumpfe, klägliche Genießen?
Ich bin nicht wert, daß deine Wunden fließen.
Begnade mich mit Martern, Stich um Stich!
Ich will den Tod der ganzen Welt einschließen.
O Herr, zerreiße mich!

Bis daß ich erst in jedem Lumpen starb,
In jeder Katz und jedem Gaul verreckte,
Und ein Soldat im Wüstendurst verdarb,
Bis, grauser Sünder ich, das Sakrament weh auf der Zunge schmeckte,
Bis ich den aufgefressnen Leib aus bitterm Bette streckte,
Nach der Gestalt, die ich verhöhnt umwarb!

Und wenn ich erst zerstreut bin in den Wind,
In jedem Ding bestehend, ja im Rauche,
Dann lodre auf, Gott, aus dem Dornenstrauche!
(Ich bin dein Kind.)
Du auch, Wort, praßle auf, das ich in Ahnung brauche,
Gieß unverzehrbar dich durchs All: Wir sind!!

 

 

La somma sapienza è il primo amore

 

 


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