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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Das Mädchen, das es sich anders überlegte

»Mein lieber Ferris!« schrieb Miß Peggy Forrest an Ferris Mance, »Du bist seit einigen Tagen nicht mehr bei mir gewesen. Das hat mich tief verletzt. Das letztemal haben wir uns gezankt, doch das dürfte kein Grund für Dich sein – selbst wenn ich schuld gehabt hätte, was jedoch nicht der Fall war.

Ich habe in der letzten Zeit gründlich über uns nachgedacht, und es scheint mir, daß wir doch nicht zueinander passen. Wir stimmen in vielen Dingen nicht überein. Das gefällt mir gar nicht. Ich halte es für das beste, wir lösen unsere Verlobung auf.

Du brauchst nicht zu denken, daß ich einen anderen gern habe und daß ich Dich aus diesem Grunde los werden will. Es gibt niemand, und wenn, dann würde ich ihn nicht heiraten. Ich werde überhaupt nicht heiraten. Ich habe mein Vermögen und brauche nicht für meinen Lebensunterhalt zu arbeiten.

Bitte versuche nicht, mich davon zu überzeugen, daß ich im Unrecht bin! Denn wenn ich das auch bin, ich will mich nicht überzeugen lassen. Es würde nur dazu führen, daß wir wieder über Dinge streiten würden, die wir besser ruhen lassen. Das Ergebnis würde nur ein noch größerer Streit sein.

Du wirst schon ein anderes nettes Mädchen finden, daran zweifle ich nicht, es gibt genug in der Welt. Ich sollte das vielleicht nicht schreiben, es klingt gefühllos, aber ich denke nun einmal so, also muß ich es auch sagen, nicht wahr?

Und nun, Ferris, leb wohl! Ich hoffe, Du verstehst mich. Peggy Forrest.«

Mit dem Brief zusammen erhielt Ferris Mance ein kleines Päckchen. Ohne zu öffnen, steckte er es in die Tasche; denn er wußte, was es war. Er las den Brief mit einem finsteren Gesicht, doch zuletzt klärte sich das Gesicht auf, und seine Augen glänzten.

»Ich glaube, es ist am besten so, und außerdem ist manches wahr, was sie sagt. Trotzdem möchte ich gern wissen, ob sie an einen anderen denkt.«

Er nahm auf die Bitte, sie nicht mehr zu sehen, keine Rücksicht, sondern besuchte sie am selben Nachmittag.

Das Mädchen errötete bei seinem Anblick, doch suchte sie ihre Verwirrung unter der Maske des Gekränktseins zu verbergen.

»Ich habe dir doch gesagt, daß ein Versuch, mich zu überreden, keinen Zweck habe,« sagte sie vorwurfsvoll.

»Das sagtest du zwar,« meinte er und fügte überraschenderweise hinzu: »Ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, daß du vollkommen recht hast und daß ich mit allem, was du geschrieben hast, übereinstimme,« führte er sich ein.

Das Mädchen starrte ihn an, als ob es ihren Ohren nicht traue. Sie hätte alles andere als seine Zustimmung erwartet. Sie hatte Ärger und Zorn erwartet, aber Mances ruhige Gleichgültigkeit erweckte in ihr eine unbestimmte Furcht.

»Willst du damit sagen, daß du froh bist, daß ich mit dir gebrochen habe?« fragte sie gespannt.

Mance nickte sorglos. »Ich habe mich durchaus nicht darüber aufgeregt; was du schreibst, ist vollkommen richtig.«

»Du bist also froh, daß du mich los bist?!« Die wiederholte Frage verriet, daß sie tief verletzt war.

»Ich werde dich und du wirst mich niemals ganz vergessen,« sagte er leise, »die Erinnerung gräbt sich tief ein. Solange, wie du lebst, wird es dir unmöglich sein, mich ganz aus deinen Gedanken zu verbannen.«

»Wenn du glaubst, daß du so einen Platz in meinen Gedanken einnimmst, so bist du sehr im Irrtum,« sagte das Mädchen aufgebracht.

Ferris Mance lächelte überlegen, daß Peggys Augen vor Empörung aufflammten.

»Ich möchte gerne wissen, was dich veranlaßt hat, diesen Brief zu schreiben. War es vielleicht Emmerson?«

Peggy schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde George Emmerson ebensowenig heiraten wie dich.«

»Das glaube ich auch,« sagte er ernst, »kleine Peggy, du bist genau wie alle Frauen. Ihr tut alles ohne Verstand und Überlegung, ihr geht mit dem Leben eines Mannes gleich gewissenlos um.«

»Es tut mir leid. Ich dachte, du würdest es anders auffassen,« sagte das Mädchen kurz.

»Tue ich auch,« entgegnete Mance belustigt, »weißt du, Peggy, daß du in diesem Augenblick reizender aussiehst denn je?«

»Und wenn ich meine Arme öffnete und dich bäte zurückzukommen, würdest du es tun?« fragte das Mädchen gewagt.

»Warum sollte ich das? Ich bin nicht gewohnt, zurückgewiesen zu werden, und wenn es einmal geschehen ist, dann gilt das für immer. Ich werde niemals um die Gunst einer Frau betteln und sie bitten, mich wieder in Gnaden aufzunehmen. Ich ziehe es vor, mich zu rächen.«

Er sprach in einer leisen, monotonen Art, als ob er das Mädchen zeitweise ganz vergessen hätte und zu sich selbst spräche.

Peggy hatte ein Gefühl, als ob sich ihr die Kehle zuschnüre. Etwas, das mehr in seinem Wesen als in seinen Worten lag, weckte in ihr eine unbestimmte Angst.

»Wenn du so mit mir sprechen willst, ist es besser, du gehst,« sagte sie ruhig, obgleich ihr Herz aufgeregt schlug.

»Der Meinung bin ich auch,« sagte Ferris Mance überraschenderweise. Er nahm Hut und Stock und wandte sich zum Gehen.

Es lag etwas in seiner Stimme, das einen völligen Umschlag ihres Gefühls veranlaßte. Warum sollte sie eigentlich so töricht sein und ihr Glück wegen eines dummen Augenblicks zerstören? Ein Wort oder eine zärtliche Bewegung von ihm hätten vielleicht den Funken Mitleid in ihr zu einer Flamme entfacht, die nichts hätte ersticken können. Aber statt dessen ging er ohne ein Wort, wie ein alter, gebrochener Mann von ihr. An der Schwelle blieb er stehen und sagte: »Ich glaube nicht, daß du schlechter dabei weggekommen wärest, wenn ich dich geheiratet hätte.«

»Was meinst du?« rief sie.

»Ich meine,« sagte er rätselhaft, während sein Gesicht für einen Augenblick von einem Ausdruck der Leidenschaft verzerrt war, »ich meine, daß du viel besser daran gewesen wärest als jetzt!«

Bevor sie seine Worte ganz begriffen hatte, war er gegangen. Und als sie zur Tür lief und ihn rief, hörte sie nur noch das Geräusch seiner Schritte den Flur heraufklingen.

Erst jetzt kam ihr voll zum Bewußtsein, was sie eigentlich angerichtet hatte.

Sie hatte gehofft, wenn sie sich unnahbar stellen würde, seine Zuneigung zu erhöhen, aber sie hatte das Gegenteil erreicht. Es sah so aus, als ob sie ihn jetzt ganz verloren hätte. Abgesehen von seinen erregten Worten hatte er den Abschied ruhig hingenommen, obgleich in seinen Worten etwas Geheimnisvolles und Leidenschaftliches lag, das eine unbestimmte Unruhe in ihr weckte.

Als er gegangen war, erschien ihr die Wohnung einsam und leer. Die Welt war kalt und gefühllos. Sie barg das Gesicht in die Hände und weinte.


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