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Ein Gewinn und Verlust.

Jedermann ist ein Teil von etwas. Niemand ist ein abgerissener Faden. Niemand kann das All verleugnen. Du gehörst zu jedem Menschen. Jeder Mensch gehört zu dir. Du gehörst zur Geschichte. Die Geschichte gehört zu dir. Wagst du's, vor mir von deinen Eigenrechten zu prahlen? Hast du auch nur ein Recht, das dir allein gehört? Hat irgend ein anderer ein einziges Recht, das er dir zum Schaden gebrauchen dürfte? Die soziale Kette ist fortlaufend, endlos: sonst würde sie in Nichts vergehen. Kein Mensch kann sich vom Ganzen trennen; das Ganze nicht vom Einzelnen. Könnte ich irgendwo den Zusammenhang der Geschichte anfechten oder die Abhängigkeit eines Lebens vom andern, so zerfiele das ganze Gewebe der Menschheit in Stücke. Könnte man irgendwie die Unabhängigkeit eines einzigen Atoms in der physischen Welt beweisen, so fielen alle Weltensysteme auseinander. Entweder sie hängen alle zusammen, oder sie gehen alle zugrunde. Das Gesetz des Weltalls ist nicht das Gesetz von Einzelnen, sondern vom Ganzen. Die Menschen gehören zusammen. Die Werte, die Arbeitsleistungen, die Produkte gehören zusammen. Arbeit sollte nicht gegen Arbeit ausgebeutet, Wert nicht gegen Wert gerechnet, Produkt nicht gegen Produkt gekehrt werden. Der wirtschaftlichen Welt kommt Einheit und Harmonie zu. Wird in einem ihrer Teile ein Bruch anerkannt, so ist der rhythmische Fluß des Ganzen zerstört. Alles in der wirtschaftlichen Welt gehört allen. Nicht ein Ding einem Einzelnen. Es ist gut, die Menschen vom Privatbesitz zu lösen; besser, den Privatbesitz von den Menschen zu lösen. Und doch löst man sie in keinem Falle voneinander durch Trennung. Man erlöst sie durch die Verbindung zu einer geheimnisvollen Selbständigkeit. Denn die Kette von Mensch zu Privatbesitz und wieder zurück zu Mensch darf nirgends zerbrochen oder auch nur angestückt sein. Sie muß im stande sein, unfehlbares Ineinandergreifen zu bewirken.

Was soll dein Leben als Einzelleben? Was soll dein Reichtum, wenn du ihn abschließt? Du gebrauchst das Wort Gesellschaft. Doch wie kannst du von Gesellschaft reden, wenn du in deinem Palast allein im Ueberfluß lebst und schwelgst, solange andere Menschen in Hütten leben und darben? Wie kannst du von Gesellschaft reden, wenn du es fertig bringst, dein Wohl von dem des Bettlers zu trennen? Kannst du irgendwo die Linie unterbrechen, die von dir zum Hungernden, von deiner Million zu meinem Pfennig führt, dann hast du die Gesellschaft zerstört. Es gibt nur einen Feind der Gesellschaft. Das ist der Mensch, der die Gesellschaft aus Fragmenten bestehen lassen möchte. Das Herz gibt nicht Gesetze für Gut und Bös, für Minderwert und Mehrwert. Es gibt Gesetze für Menschen. Nicht für Ausnahmen, sondern für die Regel. Das Herz kennt keine Ausnahmen. Das Herz sieht auch die Abseitsstehenden. Es berücksichtigt die Interessen des Letzten wie des Ersten. Du wagst es, von Gesellschaft zu reden und eines ihrer Kinder verhungern zu lassen? Du wagst es, von Gesellschaft zu reden, solange du noch so viele verdüsterte Gesichter auf der Welt siehst? Was heißt denn bei dir Gesellschaft? Dein Profit? Kein Einzelprofit ist ehrlich. Sozialer Gewinn allein ist ehrlich. Dem Einzelnen allein kann kein Gewinn zukommen; nur dem sozialen Ganzen. Gewinn für einen allein ist Verlust auch für den Gewinner. Gewinn für alle ist der einzige Erfolg. Du verlangst Mitleid von mir, wenn deine Aktien fallen. Oder wenn deine Fabrik weniger Profit abwirft. Oder wenn dein Laden leer ist. Oder wenn kein Redakteur deine Arbeiten kauft. Oder wenn du deinen Grundbesitz nicht halten kannst. Aber warum sollte ich dich bemitleiden? Wenn ich dich bemitleiden würde, müßte ich es auf Kosten anderer tun. Das wäre Sünde. Jeder persönliche Verlust ist sozialer Gewinn. Du magst selbst über deine Verluste jammern. Ich werde es nicht tun. Ich erkenne ihre Bedeutung. Du nicht. Erkennst du sie, so wirst du nicht mehr jammern. An dem Tage, da der Einzelne sein letztes verliert, da ihm das letzte Atom von Eigenbesitz schwindet, wird das soziale Chaos zur sozialen Ordnung verwandelt und kein Mensch wird sich mehr kümmern um das Steigen und Fallen der Werte. Du täuschest dich. Du meinst, deine gute Kleidung habe nichts zu tun mit meiner geflickten, dein üppiges Mahl nichts mit meinem kärglichen Bissen. Du meinst, dein Allzufett habe nichts zu tun mit meinem Allzudünn, der Himmel nichts mit der Hölle. Du irrst dich. Niemals kannst du das eine vom andern lösen. Du bildest dir ein, du könntest auf einem Stück des Erdballs das Gleichgewicht halten? Du könntest die Sternenbahn in ein Zickzack verwandeln? Du darfst dich nicht mit einer Planetenfälschung betrügen. Du spielst industrielle Experimente aus gegen Feuer, Eigenbesitz gegen das Gesetz, das ihn möglich gemacht hat. Darum wirst du verlieren. Du hast versucht, den Produzenten von seinem Produkt zu trennen, eine Welt der Widersprüche vollkommen zu sprechen. Du hast deinen Erdball zerschnitten und versucht, die beiden Hälften gegeneinander zu richten. Du wolltest beweisen, daß das gesunde Kind, das du in deiner Vorstadtvilla aufzogst, nichts zu tun habe mit dem kränklichen Kind, das ich inmitten der Stadt aufzog mit Nahrung und Luft, die zu wenig und zu erbärmlich sind zum Leben. Ich aber sage dir, das kranke Kind ist die eine Hälfte des gesunden, und beide müssen miteinander leben als zusammengehörige Teile. Und keines von beiden kann gesund oder krank sein für sich allein. Du mußt diese zwei Leben zu einem einzigen machen. Du mußt diese zwei Leben vom Gegensatze erlösen und zur Gleichheit verbinden. Du kannst nicht das eine zur Hölle schicken und das andere in den Himmel, und wähnen, eines von ihnen wäre erlöst.


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