William M. Thackeray
Die Geschichte von Pendennis / Band 3
William M. Thackeray

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Achtes Kapitel

Auseinandersetzungen

Beinahe ein Jahr ist, wie der Leser bemerken wird, seit einem einige Seiten vorher beschriebenen Ereignisse verflossen. Arthurs schwarzer Rock soll mit einem blauen vertauscht werden. Seine äußere Erscheinung hat andere angenehme und bemerkenswertere Veränderungen erfahren. Seine 157 Perücke ist beiseite gelegt und sein Haar, wenn auch etwas dünner, wieder dem Auge der Oeffentlichkeit wahrnehmbar. Und er hat die Ehre gehabt, bei Hofe in der Uniform eines Fähnrichs der Claveringer Abteilung der Landwehrkavallerie von –shire zu erscheinen, und er wurde dem Landesherrn vom Marquis von Steyne vorgestellt.

Das war eine Maßregel, auf die Arthurs Onkel streng und mit Nachdruck gedrungen hatte. Der Major wollte nichts davon hören, daß ein Jahr vergehen solle, ehe diese Zeremonie, durch die sein Neffe in die Reihe der echten Gentlemen eintrat, vollführt würde. Der alte Herr meinte, sein Neffe müßte zu irgendeinem gewählteren Klub gehören, als dem Polyanthus, und hatte in der ganzen Welt sein Befremden darüber ausgesprochen, daß des jungen Mannes Vermögen sich durchaus nicht so groß erwiesen hätte, als er hätte hoffen können, und daß es unter fünfzehnhundert Pfund jährlich wäre.

Das ist der Betrag, zu dem Pendennis' Besitztum in der Welt angesetzt ist, wo seine Verleger ihm mit mehr Achtung zu begegnen beginnen wie früher und wo selbst die sorglichen Mütter ganz und gar nicht unhöflich zu ihm sind. Denn wenn die hübschen Töchter auch natürlich Leute von ganz anderen Aussichten heiraten sollen, so wird er doch jedenfalls wählbar für die häßlichen sein; und wenn die glänzende und bezaubernde Mira einen Grafen angeln soll, so muß die arme kleine Beatrice, deren eine Schulter höher ist als die andere, sich ihr Leben lang an irgendeinen Krautjunker hängen, und weshalb sollte Herr Pendennis 158 nicht ihre Stütze sein? Schon im ersten Winter, nachdem Pen zu seiner Mutter Vermögen gelangt war, veranlaßte Frau Hawxby ihre Beatrice, von Herrn Pendennis in einem Landhause Billard zu lernen, und sie wollte sich von niemandem sonst als nur von ihm in der Ponykutsche fahren lassen, weil er literarisch wäre und ihre Beatrice ebenfalls; sie erklärte danach, der junge Mann hätte sich, angestiftet von seinem gräßlichen alten Onkel, durch Tändelei mit den Gefühlen ihrer Beatrice auf das schändlichste vergangen. Die Wahrheit ist, daß der alte Herr, der Frau Hawxbys Charakter kannte und wußte, wie verzweifelt diese Dame mit unbedachten jungen Leuten verfuhr, zu dem in Rede stehenden Landhause gekommen war und Arthur der Gefahr und unmittelbar ihren Klauen, wenn auch nicht dem Bereich ihrer Zunge, entrissen hatte. Der ältere Pendennis hätte es gern gesehen, wenn sein Neffe einen Teil der Weihnachtszeit in Clavering verbracht hätte, wohin die Familie zurückgekehrt war; aber Arthur hatte nicht das Herz dazu. Clavering war dem armen alten Fairoaks zu nahe, und das war zu voll von trüben Erinnerungen für den jungen Mann.

Wir haben die Claverings ebenfalls bis zu ihrem Wiederauftreten auf dem Grund und Boden der Epsomrennen aus dem Gesicht verloren und müssen nun einen kurzen Bericht von ihrem Ergehen in der Zwischenzeit geben. Während des verflossenen Jahres hat die Welt kein einziges von den Gliedern der Familie Clavering sehr freundlich behandelt. Lady Clavering, eins der gutmütigsten Weiber, die sich je einer guten Mahlzeit erfreuten oder einen Bock in der 159 Grammatik schossen, hat ihren Appetit und ihre Gutmütigkeit durch beständigen Familienkummer und Zänkereien traurig beeinträchtigt gesehen, die die Anstrengungen des besten französischen Kochs unschmackhaft machen und einen auf den weichgepolsterten Sofakissen hart liegen lassen. »Lieber wollt ich 'ne Rübe essen zum Dessert, Strong, als diese Ananas und all diese Muskatellertrauben von Clavering,« sagte die arme Lady Clavering, indem sie auf ihre Mittagstafel blickte und ihren Kummer ihrem getreuen Freunde mitteilte, »wenn ich nur 'n bißchen Ruhe haben könnte, um sie zu essen. Oh, wie viel glücklicher war ich, als ich noch Witwe war und ehe mir all das Geld zufiel!«

Die Familie Clavering hatte in der Tat einen falschen Schritt ins Leben getan und weder Behaglichkeit noch eine Stellung noch Dank für die Gastfreundschaft, die sie den Leuten erwiesen, noch eine Vergeltung der Freundlichkeit von denen gewonnen, die sie zu ihren Gastereien eingeladen. Der Erfolg ihrer ersten Saison in London war zweifelhaft und ihr nachheriges Mißgeschick stadtbekannt. »Menschliche Geduld wäre nicht groß genug, um mit Sir Francis Clavering auszukommen,« sagten die Leute. »Er wäre zu hoffnungslos gemein, einfältig und ehrlos. Man könnte nicht sagen was, aber es klebte ein Makel an dem Hause und seinen entourages. Wer wäre denn diese Begum mit ihrem Gelde, die kein H aussprechen könnte, und wo wäre sie hergekommen? Was für ein außerordentliches Stück Naseweisheit die Tochter wäre, mit ihrem französelnden Anmutiggetue und ihren unverschämten Zierereien; wohlerzogene englische Mädchen könnten sich 160 mit der nicht abgeben! Was für seltsame Leute wären die, welche sich um sie versammelten! Sir Francis Clavering wäre ein Spieler, der, wie alle Welt wüßte, in der Gesellschaft von Gaunern und Wüstlingen lebte. Hely Clinker, der von seinem Regimente gewesen, sagte, daß er nicht nur beim Kartenspiel betrüge, sondern sich auch als Feigling bewiesen hätte. Was könnte nur Lady Rockminster beabsichtigt haben, als sie diese Familie in die Gesellschaft eingeführt hätte. Nach der ersten Saison freilich ließ Lady Rockminster, die sich der Lady Clavering angenommen, dieselbe fallen; die vornehmen Damen wollten ihre Töchter nicht zu ihren Gesellschaften führen; die jungen Leute, die sie besuchten, benahmen sich mit der widerwärtigsten Freiheit und verächtlichen Vertraulichkeit, und die arme Lady Clavering gestand selbst ein, daß sie genötigt wäre, das, was sie in ihrem Jargon den »Kanal« nannte, einzuladen, da die Vornehmen nicht kommen wollten.

Sie hatte nicht den mindesten Haß gegen den »Kanal«, die arme gute Dame, oder irgendwelchen Eigenstolz oder die Idee, daß sie besser wäre, als ihre Nächsten, aber sie war blindlings den Befehlen gefolgt, die ihre gesellschaftliche Patin bei ihrem Eintritt in die Welt ihr erteilt hatte; sie war bereit gewesen, die Bekanntschaft derjenigen zu machen, die sie kannten, und zu sich zu bitten, wen sie zu sich baten. Der »Kanal« war eigentlich viel angenehmer als das, was man »Gesellschaft« nennt; aber, wie es, nach unseren obigen Auslassungen, leicht ist, eine Geliebte zu verlassen, während es im Gegensatz dazu schmerzt, von ihr verlassen zu werden, so kann man auch die Gesellschaft 161 ohne großen Schmerz oder irgendein anderes Gefühl aufgeben, als das der Erleichterung beim Scheiden; aber schwer sind die Qualen und Schmerzen, die man fühlt, wenn die Gesellschaft einen selbst aufgibt.

Ein von uns erwähnter vornehmer junger Herr, von dem man wenigstens hätte erwarten können, daß er unter den Ungetreuen getreu befunden wäre, war Harry Foker, Esquire, und er erwies sich tatsächlich als ein solcher junger Mann. Aber er hatte die Sache nicht klug genug angefangen, und die unglückselige Leidenschaft, die Pen zuerst anvertraut wurde, wurde in der Stadt bekannt und belacht und kam zu den Ohren seiner schwachen und zärtlichen Mutter und wurde endlich auch zur Kenntnis des kahlköpfigen und unerbittlichen Foker senior gebracht.

Als Herr Foker diese unangenehme Nachricht erfuhr, fand zwischen ihm und seinem Sohne eine heftige und peinliche Szene statt, die damit endete, daß der arme kleine Gentleman ein Jahr lang aus England verbannt wurde, mit dem strengen Befehl, nach Verlauf dieser Zeit zurückzukehren und seine Heirat mit seiner Cousine ins Werk zu setzen oder sich mit dreihundert Pfund jährlich ins Privatleben zurückzuziehen und seinen Erzeuger sowie die Brauerei nie wieder zu sehen. Herr Henry Foker ging also fort, indem er jenen Gram und Kummer mitnahm, für den im allergenauesten Zollhause nichts zu erlegen ist, und der sprichwörtlich den Verbannten begleitet; mit diesem Flor über seinen Augen erschienen ihm selbst die Pariser Boulevards schwermütig und der Himmel Italiens düster. 162

Für Sir Francis Clavering war dieses Jahr ein höchst unglückliches. Die im letzten Kapitel beschriebenen Ereignisse traten ein, um den Ruin dieses Jahres zu vervollständigen. Es war das Jahr des Heils, in dem, wie unsere mit Sport vertrauten Leser sich erinnern werden, Lord Harrowhills Pferd (er war ein mit dem klassischen Altertum befreundeter junger Edelmann und gab seinem Rosse einen Namen aus der Iliade) – wo Posadokus das Derby gewann, zum Leidwesen der klugen Leute, die den Namen des gewinnenden Pferdes in verschiedener außerordentlicher Weise aussprachen und auf Borax wetteten, der sich nirgends beim Rennen auszeichnete. Sir Francis Clavering, der mit mehreren der schuftigsten Persönlichkeiten auf dem Rennplatze intim und natürlich im Besitze von schätzbaren Tips war, hatte schweres Geld gegen das siegreiche Pferd gesetzt und mit vollen Händen auf den Favoriten gewettet; und das Resultat seines Tuns war, wie sein Sohn der armen Lady Clavering richtig mitgeteilt hatte, ein Verlust von siebentausend Pfund.

Es war in der Tat ein grausamer Schlag für die arme Dame, die ihres Gemahls Schulden schon oftmals vorher berichtigt, die ebensoviele Male seine Schwüre und Versprechungen, sich bessern zu wollen, empfangen, die seine Geldverleiher und Pferdehändler bezahlt, die seine Häuser in Stadt und Land mit Mobiliar ausgestattet hatte, und von der man jetzt augenblicklich die Auszahlung dieser ungeheuren Summe, der Strafe für die wüste Verschwendung ihres schurkischen Mannes, verlangte. 163

Es ist auf früheren Blättern beschrieben worden, wie der ältere Pendennis der Berater der Familie Clavering geworden war und in seiner Eigenschaft als vertrauter Freund des Hauses jedes Zimmer desselben durchschritten und sogar jenes häßliche Gemach gesehen hatte, das wir allesamt haben, und in dem, wie das Sprichwort sagt, das Familienskelett verschlossen ist. Wenn der Major von den Geldangelegenheiten des Baronets nichts wußte, so kam es daher, weil Clavering selbst sie nicht kannte, und sie vor sich selbst und anderen hinter ein so hoffnungsloses Lügengewebe versteckte, daß es unmöglich war, selbst für den Berater und Sachwalter oder Urheber der Schulden eine genaue Kenntnis vom Stande seiner Angelegenheiten zu gewinnen. Was dagegen Lady Clavering betrifft, so war der Major viel besser unterrichtet, und als das unselige Mißgeschick mit dem Derby passierte, nahm er sich vor, sich vollständig und umfassend mit all ihren Mitteln bekannt zu machen, welche sie auch wären, und so wurde er jetzt von den ungeheueren und wiederholten Opfern in Kenntnis gesetzt, die die Witwe Amory zugunsten ihres gegenwärtigen Gatten gebracht hatte.

Er verhehlte seine Meinung nicht, und er hatte sich durch Kundgebung derselben in nicht geringe Gunst bei Fräulein Amory gesetzt, daß Lady Claverings Tochter zugunsten ihres Sohnes zweiter Ehe hart behandelt worden wäre, und in seinen Unterhaltungen mit Lady Clavering hatte er listig darauf hingedeutet, wie er meinte, daß Fräulein Blanche hätte besser versorgt werden müssen. Wir haben schon gesagt, daß er der Witwe bereits zu verstehen gegeben, wie er alle 164 Einzelheiten ihrer früheren unglücklichen Geschichte kenne, indem er zu der Zeit in Indien gewesen wäre, wo – wo die schmerzlichen Ereignisse eintraten, die mit ihrer Trennung von ihrem ersten Gatten geendet hätten. Er konnte ihr sagen, wo die Kalkuttaer Zeitung zu finden wäre, die den Bericht von Amorys Verurteilung enthielte, und er zeigte ihr – und die Begum war ihm für diese Rücksichtnahme nicht wenig dankbar – wie er trotz seiner Kenntnis von all diesem Mißgeschick, das sie betroffen, all sein Wissen bei sich behalten und beständig der Freund ihrer Familie gewesen wäre.

»Allerdings mag ich dazu von einem gewissen eigenen Motiv bestimmt worden sein, liebe Lady Clavering,« sagte er. »Wir haben alle solche Motive, und das meine war, das verberge ich Ihnen nicht, eine Heirat zwischen meinem Neffen und Ihrer Tochter zu stiften.« Darüber war Lady Clavering vielleicht etwas verwundert, daß der Major ihre Familie zu einer Verbindung mit der seinen wählte, sagte aber, daß sie ganz bereitwillig ihre Einwilligung erteilen würde.

Aber offenherzig sagte er: »Meine liebe Baronin, mein Junge hat bloß fünfhundert Pfund jährlich, und eine Frau mit zehntausend Pfund Vermögen würde ihm kaum auf die Beine helfen. Wir könnten, mit Ihrer Erlaubnis, besser für ihn sorgen; und er ist ein gewitzter, vorsichtiger junger Mensch, der seine Jugendtorheiten hinter sich hat, der sehr gute Aussichten und viel Ehrgeiz hat, und dessen Absicht beim Heiraten darin besteht, daß er sich verbessern will. Wenn Sie und Sir Francis wollen – und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Sir Francis wird Ihnen nichts 165 abschlagen – so könnten Sie Arthur dadurch sehr beträchtlich in der Welt vorwärts kommen und das Zeug, was er in sich trägt, an den Tag legen lassen. Was nützt der Sitz im Parlament von Clavering, wenn man sich kaum je im Hause zeigt oder ein Wort dort spricht? Ich weiß von Gentlemen, die meinen Jungen in Oxbridge hörten, daß er als Redner berühmt war, weiß Gott! und wenn wir ihm einmal in den Steigbügel helfen und beritten machen, so bin ich der festen Ueberzeugung, daß er nicht der letzte im Felde sein wird, Madame. Ich habe den Jungen beobachtet und kenne ihn ziemlich gut, meine ich. Er ist ein viel zu träges, sorgloses und flüchtiges Bürschchen, um eine Reise im Bummeltempo zu machen und, wie dies unsere Rechtsgelehrten tun, erst am Ende seines Lebens am Ziele anzukommen! Aber geben Sie ihm einen Stoß und gute Freunde und die Gelegenheit, und ich verpfände Ihnen mein Wort, er wird sich einen Namen machen, daß seine Söhne stolz darauf sein sollen. Ich sehe keinen anderen Weg für einen Burschen wie ihn, um emporzukommen, als eine kluge Heirat zu machen – nicht mit einer bettelhaften Erbin – um sein Lebenlang mit erbärmlichen fünfzehnhundert Pfund jährlich dazusitzen, sondern mit einer, der er helfen und die ihn in der Welt vorwärts bringen kann und der er einen guten Namen und eine Stellung in der Welt zu verschaffen vermag, weiß Gott, für die Vorteile, die sie ihm einbringt. Es würde besser für Sie sein, einen ausgezeichneten Schwiegersohn zu haben, als daß Ihr Mann im Parlament bleibt, der weder sich noch irgend jemand anderem dort irgend etwas nützt, und das ist's, hören Sie, weshalb ich Interesse an 166 Ihnen genommen habe und Ihnen etwas anbiete, was, wie ich glaube, ein guter Handel für uns beide sein würde.«

»Sie wissen, ich sehe Arthur schon jetzt als ein Glied der Familie an,« sagte die gutmütige Begum; »er kommt und geht, wenn es ihm gefällt, und je mehr ich an seine liebe Mutter denke, desto mehr sehe ich ein, daß nur wenige Leute so gut – nein, niemand so gut gegen mich ist. Und ich habe wirklich laut geweint, als ich von ihrem Tode hörte, und würde sogar selbst Trauer um sie getragen haben, aber Schwarz steht mir nicht. Und ich weiß, mit wem ihn seine Mutter gern verheiraten wollte – Laura meine ich, die die alte Lady Rockminster so ins Herz geschlossen hat, was kein Wunder ist. Sie ist ein besseres Mädchen, als das meine. Ich kenne alle beide. Und meine Betsy – Blanche meine ich – ist kein Trost für mich, Major. Die Laura sollte Pen heiraten.«

»Heiraten mit fünfhundert Pfund jährlich? Meine liebe gute Baronin, Sie sind unsinnig!« antwortete Major Pendennis. »Ueberlegen Sie sich, was ich Ihnen gesagt habe. Tun Sie in Ihren Angelegenheiten mit Ihrem unseligen Gatten nichts, ohne mich zu befragen, und erinnern Sie sich, daß der alte Pendennis stets Ihr Freund ist.«

Einige Zeit vorher hatte Pens Onkel in ähnlicher Weise zu Fräulein Amory gesprochen. Er hatte ihr das Passende der Partie, die ihm am Herzen lag, auseinandergesetzt und sah sich gezwungen, ihr zu sagen, daß der beste, der einzige Grund in der Welt, auf den man heiraten sollte, der wäre, daß die Verhältnisse beider 167 Teile zu einander paßten. »Sehen Sie doch mal unsere Liebesheiraten an, mein liebes junges Kind, die Leute, die sich aus Liebe heiraten, sind, wie alle Welt weiß, hinterher die allerzänkischsten, und ein Mädchen, das mit Hinz nach Gretna Green läuft, geht später auch gewöhnlich mit Kunz nach der Schweiz durch. Die Hauptsache beim Heiraten ist, daß die Leutchen sich vertragen, um einander zu nützen. Die Frau bringt die Mittel, und der Mann bedient sich derselben. Meine junge Frau bringt das Pferd, und, weiß Gott, Pen geht und gewinnt den Preis damit. Das nenne ich mir eine vernünftige Verbindung. Ein Ehepaar wie dies hat etwas miteinander zu reden, wenn es zusammenkommt. Hätten Sie den leibhaftigen Amor selbst zur Unterhaltung – wenn Pen und Blanche Amor und Psyche wären, bei Gott, sie würden nach ein paar Abenden schon zu gähnen anfangen, wenn sie von nichts weiter als Empfindungen zu sprechen hätten.«

Was Fräulein Amory betrifft, so war sie mit Pen zufrieden genug, solange kein besserer da war. Und wieviel andere junge Damen machen es nicht ebenso? – Und wieviel Liebesheiraten kommen glücklich bis ans Ende? – Und wieviel gefühlvolle Firmen endigen nicht mit Bankerott? – Und wieviel heroische Leidenschaften schrumpfen nicht in verächtliche Gleichgültigkeit zusammen oder enden mit schmachvoller Niederlage?

Diese Lebensanschauung und Philosophie schärfte der Major, seiner Gewohnheit nach, beständig Pen ein, dessen Gemütsart derartig war, daß er in vielen Fragen das Recht auf beiden Seiten sehen und, indem er das Gefühlsleben begriff, das ganz außer dem Bereich 168 der Fassungskraft des wackeren Majors lag, zugleich das praktische Leben verstehen und sich demselben anbequemen oder doch meinen konnte, daß es ihm möglich wäre, sich demselben anzubequemen. So geschah es denn, daß er während des auf den Tod seiner Mutter folgenden Frühlings ein gut Teil unter den Einfluß des Rates seines Onkels zu stehen kam, im Hause der Lady Clavering sehr heimisch wurde und von Fräulein Amory, ohne gerade als Freier aufzutreten, in gewissem Grade als ein solcher angesehen und, ohne mit ihr verlobt zu sein, empfangen wurde. Die jungen Leute waren außerordentlich familiär miteinander, ohne besonders sentimental zu sein, und begegneten und trennten sich in vollkommen guter Laune von einander. »Und ich,« dachte Pendennis bei sich, »bin der Mensch, der vor acht Jahren eine großartige Leidenschaft hatte und vergangenes Jahr im Fieber wegen Brieseïs raste!«

Ja, es war derselbe Pendennis, und die Zeit hatte ihm, wie allen anderen von uns, ihre gewöhnlichen Folgen, Tröstungen und Entwicklungen gebracht. Wir ändern uns sehr wenig. Wenn wir sagen, dieser Mann oder dieses Weib sind nicht mehr dieselben Personen, die sie, unserer Erinnerung nach, in ihrer Jugend waren, und (natürlich mit Bedauern) bemerken, daß sich unsere Freunde verändert haben, so schlagen wir allerdings den Umstand nicht an, daß die Verhältnisse nur die verborgenen Mängel oder Eigenschaften ans Licht bringen, sie aber nicht erschaffen. Der selbstsüchtige Ueberdruß und die Gleichgültigkeit gegen das, was wir heute besitzen, ist die Folge des selbstsüchtigen Eifers, 169 mit dem wir es gestern erstrebten, der Hohn und die Gelangweiltheit, welche vanitas vanitatum schreit, ist nur die Ermattung, die auf die krankhafte Gier folgt, die sich am Vergnügen den Magen verdorben hat; die Unverschämtheit des glücklichen Emporkömmlings ist nur die notwendige Fortsetzung des Laufs, mit dem sich der Bedürftige in die Höhe kämpfte; unsere Gemütsveränderungen sind, wie unsere grauen Haare oder Runzeln, nichts als Ergebnisse des Plans, nach dem alles im Leben der Sterblichen wächst und vergeht: was jetzt schneeweiß ist, war einst glänzend schwarz; was heute wabblige Dicke ist, war vor ein paar Jahren strotzende rosige Gesundheit; jener ruhige Lebensüberdruß, wohlwollend, entsagend und von allem enttäuscht, war noch vor ein paar Jahren Ehrgeiz, kühner und heftiger, und hat sich erst nach mancher Schlacht und Niederlage in jene ergebene Ruhe abgeschlossen. Glücklich der, der das Verfehlen seines Ziels so großherzig ertragen und seinen zerbrochenen Degen dem Sieger Schicksal männlichen und demütigen Herzens übergeben kann! Wirst du, freundlicher Leser, der du diese Seiten um dich einen Augenblick an leichter Lektüre zu vergnügen, aufschlugst und jetzt das Buch vielleicht niederlegst, um ernsteren Gedanken Raum zu geben, wirst du nicht von Staunen ergriffen, wenn du dir überlegst, wie du, der seinen Erfolg oder sein Mißlingen hinter sich hat, vielleicht eine ausgezeichnete Stellung, vielleicht einen hoffnungs- und namenlosen Platz unter der Menge anderer einnimmt, der ach, wieviel Kämpfe voll Niederlagen und Erfolge, voll Vergehen und Gewissensbisse, nur dir selbst bekannt, durchgemacht, der, ach wie 170 oft, geliebt haben und erkaltet sein, geweint und wieder gelacht haben mag – wenn du, sage ich, dir überlegst, wie du noch derselbe bist, derselbe, dessen du dich aus deiner Kindheit erinnerst, ehe die Lebensreise begann? Es ist eine glückliche gewesen, und du fährst in den Hafen ein, das Volk schreit Hurra, die Kanonen donnern, und der glückliche Kapitän verbeugt sich von der Schiffsseite, und doch ist ein Kummer unter dem Sterne auf seiner Brust, von dem niemand etwas weiß. Oder du hast Schiffbruch gelitten und schwankst, an einen Balken gebunden, hoffnungslos draußen auf dem Meere herum. Der sinkende und der glückliche Mann, beide denken sehr wahrscheinlich an die Heimat und erinnern sich der Zeit, wo sie Kinder waren, allein auf dem Balken, hoffnungslos, ungesehen ertrinkend, allein inmitten der Menge, die Beifall klatscht.



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