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15

Ein lautes Klopfen an der Tür ließ Dimples verstummen, Auf ihr ›Herein!‹ erschien Humphrey Tearlys Kopf in dem Türrahmen.

»Kann man vielleicht etwas Tee haben? Oh, wie geht es Ihnen, Fräulein O'Brien? Ich hoffe, ich habe nicht gestört.«

»Nicht mehr, als die Männer gewöhnlich tun.« Dimples sprang ganz ungeniert trotz ihrer sehr unvollständigen Kleidung vom Bett auf und fing an, in einer der Schubladen des Waschtisches herumzukramen, bis sie die kärglichen Überreste einer winzigen Packung Tee hervorbrachte. »Ich wußte doch, daß ich noch etwas hatte.«

»Vielen Dank! Wir haben ein paar Leute zum Lunch, und Lois Chalmers wollte Tee. Bis jetzt hat ihn bei uns noch niemand einem Cocktail vorgezogen, deswegen haben wir auch gar keinen.« Tearlys Kopf verschwand – das Zimmer war viel zu klein, um seinen rechtmäßigen Bewohner und zwei Besucher zu gleicher Zeit zu beherbergen, deswegen war er draußen geblieben. Dann erschien er noch einmal: »Warum kommt ihr beide nicht rüber, um etwas mitzutrinken? Leider haben wir nicht genug Essen oder Geschirr, um diese Einladung auch auf das Lunch auszudehnen.«

»Wer ist noch da?«

»Nur Lois Chalmers, Vivian und Bob Maxwell, dem sie ziemlich heftig zusetzt. Kommt herüber und hört euch die Sache an.«

Nach einem fragenden Blick auf Tam nickte Dimples. »Wir werden bald hinüber kommen, ich muß mir nur ein Kleid anziehen.«

Die fünf Leute waren eben dabei, die ersten Cocktails aus einem riesengroßen Mixbecher zu probieren, über den Jules Darcy wachte, und zwei Gläser wurden sofort für sie gefüllt.

Vivians Toast: »Auf unser Baby, und daß es weiß, was es will!« wurde von allen außer Lois Chalmers fröhlich begrüßt, die es sehr übelnahm, ein Baby genannt zu werden, und mehr noch, daß man auf ihre unklare Stellung zwischen ihren beiden Anbetern anspielte. Sie nippte nur an ihrem Cocktail und stellte ihn dann auf den Kaminsims.

Dadurch wurde Tams Aufmerksamkeit auf den vollgestellten Sims gelenkt. Da sie sich bei ihrem Eintritt nicht hingesetzt hatte, konnte sie zu dem Kamin hinübergehen, ohne aufzufallen. Hier standen drei Tonmodelle, eines stellte eine zarte weibliche Figur mit erhobenen Armen dar, höchstwahrscheinlich sollte es der Fuß einer Lampe werden. Das andere war eine niedrige Schale, auf deren Rand zwei kleine Vögel sich nach vorn beugten, als ob sie im Begriff seien zu trinken. Das dritte, der Kopf einer Nonne, interessierte Tam am meisten wegen der Feinheit, mit der ein Ausdruck ironischer Überlegenheit sich mit dem außerordentlicher Lieblichkeit vereinigte – es war ein Werk, dem tatsächlich ein gewisser Hauch von wahrem Genie anhaftete, so schien es ihr.

»Ist das Ihre Arbeit?«

Im Spiegel hatte sie Jules Darcys amüsierten Blick aufgefangen, der sich ihr jetzt schweigsam näherte. Er nickte mit dem Kopf.

»Ich sehe, daß Sie Interesse für meine Nonne haben. Die Arbeit am Theater fördert das Empfindungsvermögen für die feineren Schattierungen des menschlichen Ausdrucks, und manchmal kann ich nicht widerstehen und versuche meine Eindrücke in dieser Form festzuhalten.«

»Sie haben ein erstaunliches Talent«, sagte Tam mit anerkennender Aufrichtigkeit. »Warum beschäftigen Sie sich nicht ernsthaft damit?«

»Ich hatte weder Zeit noch Geld, die Technik wirklich zu studieren, außerdem zweifle ich, ob mein ›Talent‹, wie Sie es nennen, jemals zu etwas Großem reichen würde, es ist viel zu ausgefallen und abseits, um wirklichen Erfolg zu haben.«

Als Tearly sah, daß Darcy am Kamin beschäftigt war, versah er sich mit einem zweiten Drink, und Tam, deren aufmerksamen Augen nur wenig entging, stellte fest, daß Lois es mit einer gewissen Mißbilligung beobachtete; in diesem jungen Mädchen schien ein puritanischer Zug zu sein, der das Trinken verdammte. Darcy, der ihrem Blick folgend, lächelte mit unverkennbarer Traurigkeit.

»Humphrey weiß es noch nicht, aber ich glaube, sie hat bereits ihre Wahl getroffen. Sie werden selbst bemerkt haben, daß sie sich für seine Handlungen schon ein wenig verantwortlich fühlt und fürchtet, daß er einen Cocktail zu viel zu sich nimmt.«

»Wird er sie glücklich machen?«

»Wer weiß? Alles in allem ist es ja die Kraft ihrer eigenen Liebe, die der Frau Zufriedenheit gibt, glaube ich, und nicht das Maß der Liebe, die der Mann ihr gibt.«

»Aber Humphrey Tearly – ist das ein Mann, der fähig ist, die große Liebe einer Frau zu gewinnen und zu halten?«

»Ich glaube ja. Er hat gewiß Fehler, natürlich, wer von uns hat sie nicht, aber er hat eine impulsive Herzlichkeit und ein unbeschwert jungenhaftes Wesen, dem man nur schwer widerstehen kann. Augenscheinlich konnte Lois das auch nicht. Wenn auch seine Stimme eine gewisse Traurigkeit über seine eigenen enttäuschten Hoffnungen verriet, so fehlte doch alle Bitterkeit und jeder Groll.«

»Warum nennen Sie ihn den ›Jungen‹? Ich glaube, es besteht doch kein so großer Altersunterschied zwischen Ihnen?«

»Vielleicht nicht, was die Jahre anbetrifft, aber er ist der Typ, der niemals ganz erwachsen wird. Ich empfinde für ihn wie für einen jüngeren Bruder.«

Vivian Fayne hatte sich auf das Klavier gestürzt und hämmerte mit mehr Verve als Gefühl auf den Tasten umher.

»Wir sind eine gute Mannschaft, Kapitän!« begann sie einen Chor aus dem ›Piratengold‹, der schnell bekannt geworden war.

»Wir sind eine gute Mannschaft, Kapitän,
Und wir werden treu zueinander steh'n.
Herbei, ihr Piraten, und schließet die Reih'n!
Wir werden der Schrecken der Meere sein!
Wir fürchten nicht Teufel, nicht Tod und Wind,
Weil wir am Ende doch Sieger sind!
Wir sind Piraten, verwegen und treu.
Gute Fahrt, Kapitän! Ahoi! Ahoi!«

Alle außer den beiden am Kamin stimmten ein, Tearly rasselte wie toll mit dem Cocktailbecher zur Begleitung. Er hatte wohl zu viel getrunken, denn bei den letzten Versen des Gesanges verließ seine Stimme die anderen und klang in einer Tonlage, die eine Dissonanz hervorrief.

»Was zum Teufel ist mit dir los, mein Junge?« Vivian drehte sich auf dem Klaviersessel herum, um ihm einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen. »Warum fälschst du die Melodie und zerstörst unsere herrliche Harmonie?« Dann fügte sie mit einem fröhlichen Lächeln hinzu: »Da sagte der kleine Junge Tearly: ›das macht die Liebe!‹«

»Oh, halt doch deinen Mund!« fuhr Tearly sie an. »Ich kenne nicht jeden dummen Song aus dem Stück, und der da gehört nicht zu meinem Repertoire.«

»Man sollte einen Drink mixen«, fuhr Bob Maxwell um des Friedens willen dazwischen, und Darcy, der seinem Freund den Mixbecher abnahm, zog sich zurück, um diesen Vorschlag auszuführen.

»Keinen mehr für mich«, verkündete Dimples Denby ganz sittsam. »Cocktails und Schreibmaschinenarbeiten passen nicht zusammen«, dann nach der Seite zu Tam gewandt: »Kommen Sie heute abend auch ins Theater?«

»Ich glaube ja.«

»Dann werde ich Ihnen die Arbeit mitbringen. Auf Wiedersehen.«

Tam blieb nur noch kurze Zeit, dann fuhr sie nach Hause, um ein paar ruhige Stunden damit zu verbringen, den Fall Kirby vom Anfang an nochmals durchzugehen. Gewisse Eindrücke, die sie an diesem Tage gewonnen hatte, erforderten besondere Überlegung.

Ein telefonischer Anruf im Laufe des Tages informierte sie, daß Inspektor McCoy die Absicht habe, bei der »Piratengold«-Vorstellung am selbigen Abend zugegen zu sein, und sie verabredeten, sich dort zu treffen.

McCoys Interesse ging im Augenblick dahin, in Erfahrung zu bringen, ob jemand gegen zehn Uhr fünfzehn am Montagabend das Theater verlassen habe, und er hatte die feste Absicht, jeden über diesen Punkt zu befragen, sogar die Bühnenarbeiter.

Weitere Nachforschungen hatten erwiesen, daß Paula Kents Nummer am Montagabend etwas nach zehn Uhr von einer Fernsprechzelle angerufen worden war, und zwar aus einem Laden, der kaum einen halben Block vom Theater entfernt war. Diese Tatsache schien McCoy davon zu überzeugen, daß es wirklich der Mörder gewesen war, der Paula Kent angerufen hatte, um auf einer geheimen Zusammenkunft mit ihr zu bestehen.

Natürlich verschob sich der Zeitplan des »Piratengoldes« bei jeder Vorstellung ein wenig, ganz mit dem Beifall und den jeweils darauffolgenden Zugaben, so daß es ganz unmöglich war, den absolut genauen Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem eine bestimmte Nummer anfangen müsse. Immerhin Terry Nagles Solo sollte um zehn Uhr zehn anfangen – sogar wenn man zehn Minuten Spielraum gab, konnte er doch kaum das Theater verlassen haben, den halben Block herunterspaziert sein, Kents Nummer um zehn Uhr fünfzehn angerufen und Paula überredet haben, in eine mitternächtliche Unterredung einzuwilligen, und zur rechten Zeit zurückgekommen sein, bevor sein Auftritt dran war. Nein, obwohl Terry stark verdächtig schien, so fühlte McCoy doch, daß er, wenn die Schlußfolgerungen aus dem Anruf nicht alle falsch waren, nicht der Schuldige sein könnte. Es blieb also nur noch übrig zu erfahren, wer das Theater zu dieser Stunde verlassen hatte.

Diese Aufgabe zu lösen, schien ziemlich aussichtslos. Der Portier, von allen Seiten in die Enge getrieben, gestand schließlich ein, daß er den größten Teil des Montagabends in verbotenem Schlummer zugebracht hatte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wer das Haus um die bewußte Zeit verlassen hätte; nun wäre es aber gerade seine, des schlafenden Portiers Aufgabe gewesen, aufzupassen, wer durch die Bühnentür ein- und ausgehe … man kann sich also vorstellen, daß sich McCoys Laune zusehends verdüsterte. Denn je eindringlicher er fragte, desto weniger erfuhr er nun. Nach der Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Akt ging er in die Garderobe zurück, die er als eine Art Büro von Anfang an benutzt hatte. Auch Tam war bereits hier, und ein kleiner Stoß maschinengeschriebener Schriftstücke lag auf dem Tisch vor ihr.

»Hast du Fisk gesehen?« In ihren großen Augen, die sie auf ihn richtete, zeigten sich kleine, zuckende Flämmchen, die McCoy sagen mußten, daß Tam auf der Spur von etwas besonders Interessantem war, aber er war in keiner sehr aufnahmefähigen Verfassung.

»Er wird noch auf dem Präsidium sein, willst du ihn sprechen?«

»Gewiß, ich habe einige Mitteilungen zu machen, die ihr beide hören sollt.«

Es machte aber McCoy ersichtlich keinen Spaß, durch »Mitteilungen« aufgeheitert zu werden. Er stellte die gewünschte Telefonverbindung her, dann setzte er sich hin, um in düsterer Stimmung das Bündel Papiere zu betrachten. Tam beobachtete ihn ironisch, sie wußte, wie sein Stimmungsbarometer schwankte, wenn ein Fall übermäßige Schwierigkeiten machte, aber das alles tat ihrer gemeinsamen Arbeit keinen Abbruch.

»Hast du Ragan schon mal gefragt, ob er den Requisitenkasten wirklich scharf beaufsichtigt hat?«

»Ach nein, ich habe nur müßig herumgesessen und die Daumen gedreht, seitdem wir den Fall in die Hand genommen haben«, gab McCoy bitter zurück, dann aber packte ihn die Neugier, und er fügte hinzu: »Was hast du denn herausbekommen, das ich anscheinend übersehen habe?«

»Nichts Besonderes, ich wollte nur mal meine Eindrücke mit den deinen vergleichen. Ich habe so eine Ahnung, daß, wenn der Vorhang beim zweiten Akt heruntergelassen wurde, Ragan die Pistolen der jungen Mädchen selbst sammelte, bevor diese die Bühne verließen, und dann den Requisitenkasten in seine persönliche Obhut nahm, wo er bis zur nächsten Vorführung unter Schloß und Riegel blieb.«

»Nun, was ist denn falsch an dem System? Ist das nicht eine ganz richtige Art, darauf zu sehen, daß kein Mißbrauch mit den Waffen getrieben würde?«

»Oh, das System stimmt ganz gut in der Theorie, nur hat mich ein Gespräch, das ich grade mit Ragan hatte, darauf gebracht, daß er es in der Praxis nicht so genau genommen hat. Ragan hat noch ein Dutzend andere Requisiten zu verwalten, deswegen kann er der Waffenkiste keine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen. Wenn der Vorhang gefallen ist, werfen die Girls ihre Pistolen in den Kasten, einige von ihnen nehmen sich nicht mal diese Mühe, sie legen ihre Pistolen einfach dorthin, wo es ihnen am bequemsten ist, und Ragan oder einer der Bühnenarbeiter sammelt sie während des Umbaus.«

»Was ist denn daran so interessant?«

»Nun, es hat mich schon immer etwas stutzig gemacht, daß, während Terrys Pistole hinzugekommen ist, eine von den gewöhnlichen Pistolen auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist. Nun ist es mir zum Bewußtsein gekommen, daß der, der sie genommen hat, sie ganz einfach aufgehoben und sie nicht aus Ragans Kiste gestohlen haben muß, oder daß eins der Mädel sie ihm gegeben hat. Ich würde noch viel zufriedener sein, wenn ich wüßte, warum sie überhaupt genommen wurde.«

»Wenn du keine anderen Sorgen hast, kannst du ja glücklich sein.«

Tam ignorierte diese Stichelei. »Vivian und Mona haben getrennte Ankleidezimmer, benutzen also das allgemeine Ankleidezimmer nicht. Das ist natürlich auch geprüft worden, nicht wahr?«

»Natürlich, da ja beide Frauen in dem Leben Kirbys eine wichtige Rolle gespielt haben.«

»Ich frage das nur, weil Vivian in einem Gespräch, das wir heute hatten, eine gewisse Unruhe zeigte, als Kirbys Papiere und ein Ankleidezimmer erwähnt wurden. Ob ihr eigenes oder das eines anderen Mitspielers, weiß ich nicht. Was die Papiere anbetrifft, so glaube ich zu wissen, warum sie in Sorge ist; aber bis jetzt kann ich mir nicht vorstellen, warum sie sich über etwas ängstigt, was mit einem Ankleidezimmer zusammenhängt.«

»Fängst du also an, sie zu verdächtigen?«

»Um Himmels willen nein, Vivian scheint Clyde Kirby als einen äußerst angenehmen Versorger angesehen zu haben, warum sollte sie die Henne töten, die goldene Eier legt? Aber wie ich bereits gestern abend gesagt habe: ich glaube bestimmt, daß sie einen sehr triftigen Grund hat, so vorsichtig im Hintergrund zu bleiben.«

»Sollte sie wissen, wer schuldig ist?«

»Das möchte ich gerne herausbekommen. Wenn sie etwas weiß, warum sagt sie nichts? Sie scheint keine besondere Vorliebe für jemand aus der Gesellschaft zu hegen, und sie ist kaum der Typ, der einen Menschen aus reiner Nächstenliebe schützen würde.«

»Hier kommt Fisk.« McCoy hatte seine Stimme in dem Flur gehört.

»Ich glaubte, daß wir getrennt arbeiten sollten«, bemerkte der große Inspektor, nachdem er auf McCoys ›Herein‹ eingetreten war. »Was soll diese öffentliche Konferenz bedeuten?«

»Es gibt ein paar neue Entdeckungen, die eine Zusammenkunft wert sind.« Tam skizzierte schnell den Kernpunkt ihrer morgendlichen Unterhaltung mit Vivian Fayne. »Nachdem ich erfahren hatte, daß sie wegen irgendwelcher Papiere Kirbys in Unruhe war, fing ich natürlich sofort an, Jagd darauf zu machen. Mona Dare erzählte mir, daß seine Stenotypistin, Fräulein McGuire, oft Papiere mit nach Hause nahm, aber leider ist sie gerade verreist, und wir können Papiere, die sie vielleicht behalten hat, nicht bekommen ohne einen Haussuchungsbefehl. Auch erzählte mir Mona, daß Dimples Denby früher für Kirby Schreibmaschinenarbeiten geliefert hat, und diese Bemerkung rief mir gewisse Andeutungen, die sie einmal hatte fallen lassen, wieder ins Gedächtnis zurück. Sie hatte davon gesprochen, daß sie einmal bei einem Zirkus tätig gewesen war, und dann hat sie angedeutet, daß sie einen kurzen, aber hohen Flug unternommen hatte. Ich verstand darunter die Protektion eines Mannes. Nun, sie hatte niemals zugegeben, daß sie Kirby anders als nur als ihren Arbeitgeber gekannt hat, und das schien mir verdächtig zu sein, da er sie nicht nur als Stenotypistin, sondern auch in vertrauterer Eigenschaft engagiert hatte. Diese Tatsache ändert ihre Stellung in diesem Fall und hebt sie aus der Zahl der Chorgirls heraus, läßt es möglich erscheinen, daß sie irgendwelche persönlichen Gründe hatte, seinen Tod herbeizuwünschen. Er hat sie vielleicht so schlecht behandelt, daß sie ein Jahr oder noch länger gewartet hat, um dann ihre Rechnung glattzustellen.«

McCoy stieß seinen Stuhl mit einem scharfen knarrenden Ruck zurück. »Wir wollen sie hereinrufen, und einige Fragen stellen.«

»Noch nicht, ich habe euch noch mehr zu sagen«, hielt Tam ihn zurück. »Ich habe sie besucht und erfuhr, daß Dimples eine Revolver-Nummer im Zirkus ausgeführt hat. Sie muß also eine ausgezeichnete Schützin sein. Heute abend erfuhr ich durch eine Unterhaltung mit einem der älteren Girls, daß es wirklich Clyde Kirby gewesen ist, der sie vom Zirkus wegholte und auf die Bühne brachte. Es scheint, als ob seine Zuneigung noch kurzlebiger war als gewöhnlich, er hatte sie schon nach ein paar Wochen über.«

»Und niemand hat uns irgendwelche Andeutungen darüber gemacht«, schimpfte McCoy. »Es ist höchstwahrscheinlich, daß die halbe Gesellschaft davon wußte, aber keiner sagte ein Wort.«

»Ohne Zweifel glaubten sie, daß das eine alte Geschichte ist, und machten sich nicht klar, wie äußerst wichtig eine Liebesaffäre sein kann, die schon lange begraben scheint«, beruhigte sie ihn.

»Verabschiedet, und eine ausgezeichnete Schützin?« Jede Spur von schlechter Laune war aus dem Gesicht des Inspektors verschwunden. »Auch ihre Stellung auf der Bühne ermöglichte ihr einen klaren Blick auf Kirbys dritten Sitz in den Orchestersesseln – es ist höchste Zeit, daß wir herausfinden, was sie weiß.«

»Einen Augenblick, bitte.« Tam nahm die Papiere vom Tisch auf. »Ich bat Dimples, um meinen Besuch bei ihr zu motivieren, einige Schreibmaschinenarbeiten für mich zu machen«, sie gab ihm einen Bogen, »heute abend brachte sie die fertige Arbeit mit, solltest sie dir einmal ansehen.«

Er studierte die Abschriften einige Augenblicke lang, dann suchte er in seiner Brieftasche nach einem lavendelfarbenen Briefbogen, verglich die beiden schnell und stieß dann einen gedämpften Freudenschrei aus.

»Donnerwetter, das ist doch auf derselben Maschine wie Kirbys Erpresserbrief geschrieben.«


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