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14

»Ich habe bereits der Polizei mitgeteilt, daß ich nicht den geringsten Schimmer habe, wer Kirby ermordet haben kann, wenn es nicht Mona Dare war.« Aber in Vivians Augen lag etwas wie Furcht und Angst, als sie jetzt Tam ansah.

»Ja, das kann ich schon verstehen, ich hoffe nur, daß Sie, die ja Kirby so gut kannten, mir auch erzählen können, welches der Piraten-Girls sonst noch ein Motiv gehabt haben kann, ihn zu hassen.«

»Die Leute wußten ja alle, daß ich ihn liebte. Da war ich ja die letzte, der man von irgendwelchen Differenzen erzählt hätte.«

»Ja, aber ich zweifle …«

»Woran? Ob ich ihn liebte? Oder ob die anderen Girls mir etwas anvertraut hätten?« Vivians Lachen klang scharf und unangenehm.

»Nein, das alles nicht. Ich zweifle nur, ob er mit einem der andern Girls früher einmal befreundet war?«

»Und warum fragen Sie das?« Der ängstliche Schein war jetzt aus ihren Augen verschwunden. Tam schloß daraus, daß Vivian, wenn sie wirklich etwas verheimlichte, eine Sache verschwieg, die mit den Girls in keinem Zusammenhang stand. Und darüber wollte Vivian Klarheit haben, deshalb lag ihr daran zu wissen, warum diese Frage gestellt worden war.

»Es ist da eine große Schwierigkeit: das Motiv zu finden«, erklärte Tam, und dann versuchte sie es mit einer anderen Methode. »Terry Nagle allein scheint ein solches Motiv zu haben.«

Vivians Augen blieben eisklar, offenbar hatte Terry nichts mit ihren geheimen Sorgen zu tun. »Das sehe ich eigentlich nicht ein«, antwortete sie. »Mona ist genau so verliebt in ihn wie er in sie. Und was die Geldgeschichten betrifft, so hätte es Mona mehr als schmerzlich empfunden, enterbt zu werden, stärker wahrscheinlich als Terry. Frauen sind ja meist mehr auf materiellen Vorteil aus, und dann hat man sie in dem Glauben erzogen, daß sie Kirbys Universalerbin sei.«

»Glauben Sie also, daß Kirby wirklich entschlossen war, sein Testament zu ändern, wenn sie nicht ihre Verlobung löste, oder hat er nur damit gedroht?«

»Er hat es bestimmt ernst gemeint, Clyde handelte immer, er drohte niemals.«

»Es ist ja auch sonderbar, daß Ihr Name nicht in dem Testament vermerkt ist.«

»O nein, unsere Freundschaft war ja nicht für alle Ewigkeiten«, ihre dunklen Augen zeigten keinen Unwillen. »Wir paßten in vielen Dingen zueinander, aber er ließ mich nie im Zweifel, daß es nur eine Sache von begrenzter Dauer sei.«

Tam unterdrückte einen entmutigten Seufzer. Nicht der Piratenchor, nicht Terry Nagle, nicht das Geld! Und trotzdem war sie noch immer überzeugt, daß Vivian etwas verheimliche, und beschloß, nun aufs Geratewohl zu fischen.

»Hatten Sie irgendwelchen Grund anzunehmen, daß er an einer anderen Interesse hatte?«

»Kaum.« Vivians Lippen zogen sich leicht verächtlich zusammen. »Er konnte ja an keiner Frau vorübergehen, ohne zu verweilen. Ich habe auch stets geglaubt, daß er aus diesem Grunde die Theaterlaufbahn eingeschlagen hat. Sie schloß ja so viel Möglichkeiten in bezug auf hübsche Frauen ein – und sie alle machten großen Eindruck auf ihn –, ohne Rücksicht auf Stellung oder Typ.«

Anscheinend doch nicht Eifersucht, dachte Tam, aber dann, als sie sich gewisser Eindrücke erinnerte, die sie am Abend von Kirbys Tod erhalten hatte, verfolgte sie diese Richtung noch weiter.

»Uns wurde gesagt, daß Sie große Eifersucht bezeigten und sogar mit Kirbys letzter Eroberung, dem unbekannten Fräulein Smith, Streitigkeiten gehabt haben?«

Vivians Gesicht verzog sich zu ironischem Lächeln. »Habe ich auch. Clyde war in Geldangelegenheiten sehr großzügig, und natürlich hatte ich die feste Absicht, seine Börse so lange auszubaggern wie nur möglich. Ich bin keine bezaubernde Schönheit, und meine Stimme ist nur für den Chor ausreichend; also muß ich jemanden haben, der mir mein Brot mit Butter bestreicht.«

Tam hatte das Gefühl, als ob sie Zeit verschwende, vielleicht war sie auf einer falschen Spur.

»Wir haben Clyde Kirbys Papiere durchgesehen …«, fing sie an, und im selben Augenblick schwand die Offenheit aus Vivians Augen, sie wurden ganz undurchsichtig, und ein Schleier von Heimlichkeit lag über ihnen. Tam fuhr fort, wobei sie die Frau aufmerksam beobachtete; »aber wir konnten keine Spur irgendeines Feindes herausbekommen, obgleich man doch glauben sollte, daß seine Neigung zu dem schönen Geschlecht ihm manche Feindschaft hätte schaffen müssen.«

»Er hatte ein großes Talent, über jedes dünne Eis zu schliddern, und nur selten hatte er Unannehmlichkeiten.« Die Anspielung auf wahrscheinliche Feinde schien die Spannung in Vivians Blick gelöst zu haben, so waren es also Kirbys Papiere, und nicht seine Feinde, die ihre empfindliche Stelle getroffen hatte. »Sehen Sie, ich kannte ihn schon lange, bevor wir uns näherkamen, seine Methoden waren mir sehr gut bekannt, da ich stets beobachtet hatte, wie er nach dem anderen Wild jagte.«

»Er war also im Begriff, dasselbe Spiel auch mit Fräulein Smith zu beginnen?«

»Nicht so, wie er es gewöhnlich tat, darum wurde ich sehr unruhig, und ich fiel über sie her. Ich fürchtete, daß es ernst werden könnte, und ich wollte nicht wieder zu meinem kärglichen Leben zurückkehren, nachdem es mir bei Kirby so gut gegangen war. Eine Frau, die an ein gutes Leben gewöhnt ist, möchte es nicht wieder missen.«

»Sie haben also nichts Außergewöhnliches an den Handlungen des mysteriösen Girls am Freitagabend bemerkt?«

»Nein.« Da das Geheimnis über die Identität von Fräulein Smith der Presse bis jetzt verheimlicht worden war, wußte sie natürlich nichts über diese Entdeckung. »Ich kann mich in der Tat nicht einmal entsinnen, ob ich sie an diesem Abend gesehen habe.«

»Beim Verhör haben Sie aber angegeben, daß Sie sich nicht wohlfühlten und daß sie, wenn Sie nicht auf der Bühne zu tun hatten, in Ihrer Garderobe gewesen sind.«

Wiederum verdunkelten sich die glühenden schwarzen Augen, diesesmal noch auffälliger als vorhin. So war es klar, daß diese Augen ein Geheimnis hüteten, das mit einem Ankleidezimmer, entweder Vivians oder einer anderen Person, etwas zu tun hatte, denn als Tam dieses Wort aussprach, hatte sich der Ausdruck von Vivians Augen wieder verändert. Tam stellte Fragen auf Fragen über Personen und Vorgänge, die mit Kirbys Tod zusammenhingen, erhielt aber weiter keine Aufklärung. Endlich verließ sie Vivians Wohnung und war mehr denn je überzeugt, daß jene mehr wußte, als sie sagte, und weiter, daß die verheimlichten Tatsachen oder Verdachtsgründe mit Kirbys Papieren und mit einer Garderobe zusammenhingen. Es war einfacher, die ersteren zu untersuchen, und so entschloß sich Tam, sich auf die Suche nach den Papieren zu machen.

Mona Dare hatte Kirbys Haus nebst dem Großteil des Besitzes geerbt und lebte dort allein mit der Dienerschaft, bis alle Vermögensfragen geregelt waren und von den Bevollmächtigten entschieden war, was man behalten oder verkaufen würde.

Das junge Mädchen empfing Tam sehr nett, aber es war ein schwacher Unterton von Feindseligkeit dennoch unverkennbar, der, wie Tam annahm, nur auf die Verdächtigung der Polizei wegen Terry Nagle zurückging. Nun, wenn es eine Kunst gab, in der Tam, Detektivin ihres Zeichens, groß war, dann war es die Kunst, das Vertrauen und die Sympathie einer Frau zu gewinnen. Und schon in der ersten halben Stunde ihres Besuches zeigte sich ihre Macht. Mona vertraute ihr einen langen Roman über Terrys mannigfaltige Vorzüge und Tugenden an, und verdammte voll Zorn jeden, der so verblendet war, ihn auch nur des kleinsten Fehlers zu verdächtigen, geschweige denn, ihn eines so schrecklichen Verbrechens wie dieses Mordes zu verdächtigen.

»Das ist ja ganz lächerlich«, schalt sie und stampfte ärgerlich mit ihrem kleinen Fuß auf, »mein Terry hat das beste Herz auf Gottes weiter Welt, und deshalb liebe ich ihn ja auch so sehr!«

»Nun ja, aber der sicherste Weg, ihn zu entlasten, ist herauszubekommen, wer der Schuldige ist. Wir wollen doch noch einmal in Kirbys Arbeitszimmer nach etwas fahnden, was die Polizei möglicherweise übersehen hat.«

Mona führte sie sogleich hinein, sehr erfreut, daß sie in Terrys Interesse sich betätigen dürfe. Tams besondere Aufmerksamkeit beschränkte sich auf Kirbys Papiere. Aber es sollte von diesem besonderen Interesse für die Papiere kein anderer etwas ahnen, und deshalb tat sie, als ob sie nur den allgemeinen Wunsch habe, eben über alles orientiert zu sein. Das Arbeitszimmer war peinlich sauber, aber es hatte ein etwas unwohnliches Aussehen, wie Räume, die zwar sorgfältig instand gehalten, aber wenig gebraucht werden.

»Ich muß das Zimmer verschlossen halten«, entschuldigte sich Mona und ging zum Fenster, um eine Jalousie hochzuziehen. »Dieser Raum und das Schlafzimmer erinnern mich zu schmerzlich an Clyde, und ich vermisse ihn so furchtbar.«

»Sie haben alle Blumen wegschaffen lassen?«

»Es war mir gräßlich, sie weiter wachsen und blühen zu lassen, ohne daß sie jemand ansieht. Ich habe sie der Köchin geschenkt, sie hat Blumen sehr gern.«

In der sich überstürzenden Fülle der Ereignisse hatte Tam fast ganz den herabgefallenen Topf mit Ringelblumen vergessen, den sie neben Kirbys Schreibtisch am Tage nach dem Mord gefunden hatte; jetzt erinnerte sie sich daran, da gerade von Blumen die Rede war, und auch an den Umstand, daß Paula Kent den Blumentopf nicht umgeworfen haben wollte. Nun wandte sie sich mit einer Frage an Mona:

»Wissen Sie ganz bestimmt, daß Sie, nachdem Sie Freitagabend aus dem Theater kamen, dieses Zimmer nicht mehr betreten haben?«

»Natürlich, ich weiß es ganz bestimmt. Ich habe stets einen Hausschlüssel bei mir. Ich öffnete selber die Tür und ging direkt in mein Schlafzimmer.«

»Sie haben also keinen Dienstboten gesehen?«

»Der Gedanke an ihr Geschwätz und die Furcht, daß sie versuchen würden, mich auszufragen, hielt mich davon ab, sie zu rufen, ich wollte nur allein sein.«

»So haben die Leute also nicht vor dem nächsten Morgen von dem Tode Ihres Pflegevaters gewußt?«

»Wenn nicht jemand anderes ihnen davon erzählt hat, ich weiß, ich habe es nicht getan.«

»Natürlich hat Inspektor McCoy seitdem alles näher untersucht.«

Tam gab sich den Anschein, als ob sie ganz zufällig die Schritte auf den Schreibtisch lenkte. Jetzt blieb sie in seiner Nähe stehen, während sie einige ganz zufällige Fragen stellte, und zog dann, immer noch ganz den Eindruck der Zufälligen erweckend, die Schreibtischplatte herunter; innen waren Bündel von sorgfältig geordneten Papieren, jedes Bündel war von einem Gummifaden zusammengehalten, und auf einem Streifen Papier war der Inhalt angegeben. Sie hatte wenig Hoffnung, das Papier oder die Papiere zu finden, für die Vivian Fayne anscheinend so großes Interesse hatte. Sie hatte viel zu großen Respekt vor Inspektor McCoy, als daß sie ohne weiteres hätte hoffen dürfen, es wäre ihm irgend etwas Besonderes entgangen.

»Hat Ihr Pflegevater alle seine Papiere hier aufbewahrt?« fragte sie ganz obenhin.

»Nicht alle. Aber Inspektor McCoy hat alle, die verstreut im Hause umherlagen, gesammelt und sie hier sortiert. Clyde war äußerst unordentlich und sorglos mit seinen Papieren, aber jetzt wurden alle Vermögensaufstellungen und ähnliche Dinge dem Rechtsanwalt übergeben.«

Tam schloß den oberen Teil des Schreibpultes und öffnete zuerst eine große Schublade, dann eine andere, innen waren ungeheure Bündel von systematisch geordneten und mit Etiketten versehenen Briefen, Rechnungen und Quittungen. Die beiden unteren Schubladen enthielten Manuskripte und Partituren, die alle mit derselben peinlichen Sorgfalt geordnet waren.

»Sagten Sie mir nicht einmal, daß Ihr Pflegevater nur gelegentlich eine Stenotypistin beschäftigte?«

»Ja. Er sagte stets, eine Sekretärin, die er immer um sich habe, lähme seine Phantasie. Er konnte niemals arbeiten, wenn jemand im Zimmer war, nicht einmal ich durfte hinein.«

»Hat diese Stenotypistin hier gearbeitet oder zu Hause?«

»Das hing immer davon ab, ob Clyde die Absicht hatte, selber hier zu sein. Wenn nicht, so benutzte sie manchmal eine seiner Schreibmaschinen, aber meist stenografierte sie seine Briefe und nahm sie oder Schriftstücke, von denen er Abschriften haben wollte, mit sich nach Hause.«

»Hat die Polizei bereits mit ihr gesprochen?«

»Ich weiß es nicht. Natürlich kam sie, sobald sie die Zeitungen am nächsten Morgen gelesen hatte. Woo Fong sagte es mir, und ich bezahlte sie und sagte, man würde sie nicht weiter gebrauchen. Seither habe ich sie nicht gesehen.«

»Geben Sie mir ihren Namen und Adresse, vielleicht kann sie sich irgendwelcher Briefe erinnern, die für uns aufschlußreich sein können.«

Es stellte sich heraus, daß Mona gewöhnlich Fräulein McGuire angerufen hatte, wenn sie für eine Arbeit gebraucht wurde, und so konnte sie aus dem Gedächtnis Adresse und Telefonnummer angeben.

»Hat Ihr Pflegevater sie lange Zeit beschäftigt?«

»Ziemlich lange.« Mona überlegte sich die Frage genauer und fügte dann hinzu: »Ungefähr ein Jahr, glaube ich. Er versuchte es mit ein oder zwei Stenotypistinnen, nachdem er Dimples entlassen hatte, aber er war mit ihnen nicht zufrieden.«

»Dimples?« Tam wiederholte diesen Namen, und ihre Stimme verriet nicht den Schreck, den sie bekommen hatte, als sie den Namen hörte, der ihr jetzt in solch unerwarteter Verbindung genannt wurde. »Ist das Dimples Denby vom Piratenchor?«

»Ja, sie ist eine ziemlich gute Schreiberin, aber sie und Clyde haben Differenzen gehabt, und er mochte sie nicht weiter für sich arbeiten lassen.«

»Haben Sie eine Ahnung, weswegen sie sich stritten?«

»Nicht die geringste.«

Tam dachte darüber nach, ob Fräulein McGuire vielleicht noch irgendwelche Briefe oder Schriftstücke von Clyde Kirby im Besitz habe, und beschloß, diesen Punkt so schnell wie möglich zu klären. Die Adresse, die ihr von Mona gegeben wurde, war die einer Pension besseren Ranges in Westend. Die Wirtin, eine sauber aussehende, grauhaarige Person mit äußerst klugen Augen, bestätigte, daß Fräulein McGuire hier wohne, fügte aber hinzu, daß das junge Mädchen verreist sei und frühestens nächsten Sonnabend zurückerwartet wurde.

Es hatte keinen Zweck, einen Blick in ihr Zimmer zu werfen angesichts der abweisenden Haltung der Wirtin, und so entschied Tam, den Versuch, etwas über Kirbys Papiere von ihr zu erfahren, noch aufzuschieben.

Da sie wußte, daß die »Piratengold«-Gesellschaft erst am Donnerstag ihre Matinee gab, so galt ihr nächster Besuch Dimples Denby, die sie ganz nachlässig gekleidet antraf. Sie verspeiste gerade eine Schachtel Konfekt und las dabei ein Buch. Tam hatte ein Bündel ziemlich unwichtiger Dokumente mitgebracht, die sie auf das unordentliche Bett warf, das zugleich als Sitz- und Ruhegelegenheit benutzt wurde.

»Sie sagten mir, daß Sie in Ihrer freien Zeit auch Schreibmaschinenarbeiten machen.« Tam nahm eine Zigarette und Konfekt an. »Ich habe Ihnen etwas gebracht, was ich gern abgeschrieben haben möchte, mit zwei Durchschlägen bitte.«

»Wird gemacht, meine Liebe.« Dimples warf ein geübtes Auge auf den Haufen von Dokumenten. »Ist es sehr eilig? Wenn ja, dann gehen Sie jetzt, bitte, und ich werde mich gleich ans Tippen machen.«

»Oh, es ist nicht so schrecklich eilig, es hat Zeit bis morgen!« Da Tam erfahren hatte, daß Dimples einmal in persönlichen Beziehungen zu Clyde Kirby gestanden hatte, waren gewisse kleine Beobachtungen, die sie damals kaum beobachtet hatte, in ihrem Geist wieder aufgetaucht und verlangten dringend nach näheren Nachforschungen. »Wie ist es Ihnen überhaupt möglich, noch Schreibmaschinenarbeiten zu machen, ich glaubte, daß die Chorarbeit Sie voll in Anspruch nimmt.«

»Ach nein! Wenn die Räder geölt sind, dann haben wir keine Proben nötig, nur vorher müssen wir jeden Schritt üben, bis uns jeder Muskel weh tut, und abends müssen wir dann mit dem schönsten Lächeln der Welt Sprünge machen, als ob wir restlos glücklich wären. Der Außenstehende muß den Eindruck haben, daß wir ein Leben wie Schmetterlinge führen, aber zeigen Sie mir mal ein Ladenmädchen, daß so schwer sein Geld verdienen muß.«

»Sind Sie schon lange in diesem Beruf?«

»Ein paar Jahre länger, als mir lieb ist.«

»Sagten Sie mir nicht einmal, daß Sie vorher beim Zirkus waren?« Tams Stimme klang ganz gleichgültig.

»Aber bestimmt! Wollen Sie meine Fotografien sehend Sie lehnte sich über das Bett, und mit einer ganz unmöglich aussehenden Verdrehung der Glieder langte sie darunter, suchte zwischen Kisten und Koffern, bis sie endlich gefunden hat, was sie wollte; einen ramponierten, kleinen Kasten, mit den verschiedensten Dingen bis zum Bersten gefüllt. Dimples kramte ein Fotoalbum hervor, legte es auf ihre Knie und blätterte die Seiten um, bis sie die gesuchten Bilder gefunden hatte.

»Mein ehemaliger Chef …« Ihr spitzer tiefroter Nagel zeigte auf einen mit öligen Löckchen geschmückten Herrn unbestimmten Alters, der einen Zylinderhut trug. »Seine Frau.« Die zweite Fotografie zeigte eine starke Dame im Trikot, einen Arm graziös um den Hals eines knienden Elefanten gelegt. »Ich.« Der rote Nagel zeigte auf eine Darstellerin in einer Gruppe von Artistinnen.

»Das Foto ist so klein, daß ich Ihr Gesicht gar nicht erkennen kann«, beklagte sich Tam, »haben Sie nicht ein größeres?«

»Augenblick!« Dimples blätterte einige Seiten weiter, dann zeigte sie voller Stolz auf eine Figur in einem Wildwestkostüm, einen gefährlich aussehenden Revolver in jeder Hand. »Ich machte damals eine Revolver-Nummer auf ungesatteltem Pferd, das war Klasse! Eine Närrin war ich, daß ich damals wegging!«

»Warum taten Sie es?«

»Immer derselbe alte Grund. Ich gab nach auf sanftes Zureden hin. ›Er‹ wollte mich am Broadway anbringen, wo ich nicht so schwer zu arbeiten hätte und in New York leben könne, anstatt die schwärzeste Provinz zu beglücken. Das klang großartig, und ich habe es eine kurze Zeitlang wirklich fabelhaft getroffen. Aber nichts ist so widerwärtig, als wenn man wieder auf die Erde zurück muß, im Augenblick, wo ›Er‹ sich der Nächsten zugewandt hat. Wir jungen Mädchen lassen uns eben zu leicht durch ein paar freundliche Worte überreden.«


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