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Zweisiedler im Wald.

In des kleinen Waldläufers Seele war mit dem Erleben des Robinson viel Wunderbares eingezogen, wunderbar darum, weil es ihm fremdartig war, viel Niegesehenes, vieles, das von seiner Einbildungskraft verklärt wurde. Er hatte auf der Elbe Kähne gesehen und Flöße, aber Seeschiffe und Meer kannte er nur aus Bildern. Da war ihm die Julie Niderle recht zum Wiederlesen des Robinson, die hatte Bilderbücher von fremden Ländern. Mit ihr setzte er sich auf die Steinbank vor dem Bäckerhaus und wollte ihr vorlesen. Aber die deutschen Lettern, in denen das Büchlein gedruckt war, mit ihren Ecken und Ranken und Schwänzlein machten ihm Schwierigkeiten, da er nur Lateindruck gewöhnt war. Da las denn Julie laut vor, mit dem Zeigefinger langsam weiterrückend, und Koja las halblaut mit oder besser gesagt immer ein bißchen nach.

Es kamen Regentage und Koja las die Geschichte wieder und wieder sich selber vor. – Und je schneller das ging, desto unzufriedener wurde er damit, denn die Geschichte dauerte ihm viel zu kurz. Wäre sie nicht länger gewesen, wenn nicht ein Schiff gestrandet wäre, das dem Robinson alles brachte, was er brauchte: Beil und Säge, Hammer und Nägel, Tuch und Fäden, ja sogar Rum und Tabak und Geld, Pistolen, Gewehre und Pulver? Und noch etwas verminderte nach und nach Kojas Freude an der Robinsongeschichte: Es war kein Mädchen da, das Robinsons Hausmütterchen geworden wäre. Wie schön hätte das sein können!

So wünschte er sich denn aus der Geschichte das gestrandete Schiff weg, damit Robinson sich immerfort eines nach dem andern selber ausdenken oder machen müßte. Er wünschte sich den Freitag weg und hätte dem Robinson dafür ein wildes Mädchen vergönnt, das der hätte in allem unterrichten können und das dann selber mitgeholfen hätte, im Hause alles zu erdenken und durchzuführen, was das Leben schön macht. Und so kam er denn in seinen Träumereien allmählich von der alten Geschichte ab und dachte sich selbst in eine neue, in eine eigene hinein. Er wurde der Einsiedler. Und weil er oben im Bergwalde besser Bescheid wußte als auf dem Weltmeere, blieb er mit seinen Wachträumen in der Heimat. Da fügte es sich ganz von selbst, daß an Stelle des Wilden die Julie mit Koja in der weiten Bergschlucht hauste, die allen anderen Menschen unbekannt war. Es war eine gar traute Zweisiedelei. Sie bezogen zwei Felshöhlen, die einander benachbart waren; dort hatte jedes sein Mooslager. Auf der großen Halde der Schlucht, die von der Sonne am besten beschienen war, gab es einen Wald wilder Apfel- und Birnbäume, deren Früchte für den Winter gedörrt wurden. Auch wuchsen da Weißdornsträucher und wilde Kirschbäume, Erdbeeren, Himbeeren und Brombeeren. Auf der Talsohle, wo ein klarer Bach murmelte, standen eine Menge Buchen und Haseln, deren Früchte Julie in selbstgeflochtenen Körben für die böse Zeit aufbewahrte. Dort bauten sie sich eine Baude aus Baumstämmen. Gezähmte Hirschkühe lieferten Milch. Im Walde wucherten Pilze, die frisch genossen oder gedörrt das Fleisch ersetzten. Woran fehlte es noch? An Kleidern, denn die mitgebrachten dauerten nicht lange. Da ging der Einsiedel auf die Jagd mit Pfeil und Bogen. Es war ja nötig, wenn auch Julie darüber weinte. Denn Felle mußte er schaffen. Womit er die Haut der erlegten Tiere schlitzte? Nun mit scharfkantigen Steinen. Sollte das Fleisch des Wildes roh genossen werden? Ach nein. Ein Blitz hatte einen Baum in Brand gesetzt. Und davon hatten sie das Feuer auf dem Herd. Und womit nähte Julie die Fellkleider? Mit Knochensplitternadeln und Darmsaiten. – So ging es fort. – Jede Verlegenheit zwang zum Nachdenken, zum Suchen und Erfinden. So wurde das Leben der Zweisiedler immer behaglicher und immer sicherer und immer lieblicher. Bald waren sie so weit, daß sie um die Hütte herum einen Garten einfriedeten für Blumen und Wildgemüse. Aber eine Menge Fragen blieben noch offen. Da gab's zu denken und zu dichten, wer weiß wie lange noch. Und das war das Schöne an Kojas Geschichte, daß sie so lange dauerte. Es gab immer noch etwas darin, was nicht ganz stimmte, was ergänzt und genauer ausgedacht werden mußte. Und merkwürdig: in allem kamen die Zweisiedler vorwärts, nur nicht im Alter. Sie blieben immer Kinder. – Es war schöner so. Oder wußte sich's Koja nicht auszudenken, wie sie aussehen würden, wenn sie größer wären?

In dieser Zeit der Robinson-Träumereien war Koja eifriger denn je bereit, der Mutter im Hause zu helfen, sei es mit Späneklieben oder Holz- und Kohlentragen. Immer schwebte ihm vor, was sie alles hätten im Vergleiche zu den Zweisiedlern in der Bergschlucht, denen es an so vielem fehlte. So unterhaltlich es auch war, sich hineinzudenken, wie einfach die zwei lebten, so angenehm war es, den vollen Kaffeetopf mit beiden Händen zu umschließen und den warmen, gezuckerten Trank zu schlürfen und dazu eine Semmel zu knuspern und sich reich zu wissen.


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