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Frühes Porträt von Christina von Schweden um 1640
(Gemälde eines unbekannten Hofmalers)
Bildquelle: de.wikipedia.org

I.
Christina's Jugendzeit.

Du wolltest, mein Gott! daß ich von Lorbeeren und Palmen umringt geboren würde. Ich schlief ruhig in ihrem schützenden Schatten; unter Trophäen erquickte mich der erste Schlummer; Sieg und Glück schienen meiner Kindheit Gespielen; zur Wiege diente mir der Thron; kaum war ich geboren und schon mußte ich ihn besteigen. Nur wenige Monate nach meiner Geburt berief der König, mein Vater, die Stände des Reiches und ließ sie mir den Eid der Huldigung leisten, und noch lag ich in der Wiege, und Schweden kniete schon zu meinen Füßen … Du allein, o Herr! bist es, bei dem wir unsere Zuflucht suchen müssen; Du allein machst dieses Herz gelehrig und diese Seele gütig, worüber Deiner Begnadigten Einer so große Freude empfand. Deine Güte, o Herr! verlieh mir diese unschätzbare Gabe in einer Ueberfülle, wie sie Deiner würdig ist. Mein Herz war gelehrig. Es war edel und groß, seit es seiner selbst bewußt ward. Du hast es zur Wohnung einer Seele von eben derselben Beschaffenheit gemacht, welcher Du ein unersättliches Verlangen nach der Wahrheit, nach der Tugend und nach dem Ruhme verliehen hast. Noch jetzt fühle ich eben so stark und feurig alle jene edlen und würdigen Regungen in mir, die Du dem weisesten unter den Menschen, dem größten aller Könige ins Herz legtest und die einst seine Feder mit so vielem Nachdruck schilderte. Du hast auf eine so ausgezeichnete Art für mich gesorgt, daß Du, nicht zufrieden mit so vielen mir erwiesenen Gnaden, mir noch alles das verschaffen wolltest, was man in meinem Vaterlande zu einer königlichen Erziehung nur immer wünschen konnte. Du allein weißt, ob ich mich so vieler Gnade würdig gezeigt habe. Ich könnte mich täuschen, indem ich mir und Anderen zu sein schiene, was ich nicht bin. Dich aber kann ich nicht täuschen, denn Du kennst das Werk Deiner Hände.«

So beschreibt Christina selbst, die Tochter Gustav Adolph's, acht Jahre vor ihrem Tode den Eintritt in dieses Leben, indem sie ihre Worte an Gott richtet, um ihn für alles Gute zu loben und zu preisen, sich selbst aber durch das Geständniß ihrer Schwächen zu demüthigen.

Es war in dem Getümmel des für Schweden so vortheilhaften polnisch-preußischen Krieges, zu einer Zeit, wo Gustav Adolph schon mit den protestantischen Fürsten in Deutschland um die Leitung in dem großen Kampfe gegen den römisch-deutschen Kaiser unterhandelte, als ihm am 8. Dezember 1626 zu Stockholm von seiner Gemahlin Marie Eleonore, der Tochter des Kurfürsten Johann Siegmund von Brandenburg, eine Tochter geboren wurde, welche in der heiligen Taufe die Namen Christina Augusta erhielt. Die Eltern hatten sich nach Verlust von zwei Töchtern einen Sohn gewünscht, und die Astrologen es zuverlässig verkündet. Man hielt das Kind auch anfangs für einen Knaben und der Jubel darüber erfüllte den ganzen Palast. Die Enttäuschung war darum nicht gering, als man den Irrthum entdeckte. Am schnellsten jedoch faßte sich der König. Als seine Schwester, die Prinzessin Katharina, ihm das Kind brachte, nahm er es zärtlich in seine Arme und sprach: »Wir wollen Gott danken; ich hoffe, daß diese Tochter mir einen Knaben reichlich ersetzen werde und bitte, daß er sie mir erhalte, wie er sie mir gegeben hat.« Er befahl, das Te Deum zu singen und alle Freudenbezeugungen anzustellen, die bei der Geburt des ersten Prinzen gebräuchlich sind. Lachend sagte er von der Tochter: »Sie wird groß werden, denn sie hat uns alle betrogen.«

Nicht so zufrieden und gottergeben war die Königin. Sie konnte das Kind nicht leiden, weil es, wie sie sagte, ein Mädchen und häßlich sei; und wirklich war es schwarzbraun, wie ein kleiner Mohr. Dieser Widerwille der Mutter ging auch auf die Frauen über, welche der Tochter warteten. Man ließ sie in ihrer Kindheit mehrmals fallen und bediente sich anderer Mittel, um sie ums Leben zu bringen oder gebrechlich zu machen; sie hat davon aber keinen andern Schaden gelitten, als daß die eine Schulter etwas höher wurde, wie die andere. Gustav Adolph hingegen hegte für sein Töchterlein die größte Liebe. Schon wenige Monate nach der Geburt berief er die Reichsstände und ließ der kleinen Prinzessin den feierlichen Huldigungseid leisten. Sein ganzes Sinnen ging von Anfang an dahin, daß die Tochter ihm einen Sohn ersetze; nicht eine weibliche Fürstin, sondern ein männlicher König sollte sie für Schweden sein. Die Anlagen des Kindes, leiblich und geistig sein Ebenbild, kamen ihm hierin vollkommen entgegen. Was aber der Natur noch fehlte, sollte durch Erziehung und Unterricht ersetzt werden. Frühzeitig nahm er sie daher mit zu den Musterungen der Truppen und hatte seine Freude an ihrem kindlichen Muthe und unerschrockenen Sinn. Christina selbst erzählt uns, wie ihr Vater ein Te Deum habe singen lassen, als sie von einer tödtlichen Krankheit genesen und fährt dann fort: »Hierauf nahm mich der König auf seiner Reise nach Calmar mit, wo er mich bei seiner Ankunft auf eine kleine Probe stellte, die seine Liebe zu mir gar sehr vermehrte. Ich zählte noch nicht zwei Jahre, als er nach Calmar kam. Man war im Zweifel, ob die Garnison und die Kanonen der Festung dem Herkommen gemäß salutiren sollten, aus Furcht, ein Kind von meiner Wichtigkeit zu erschrecken. Um jedoch nichts zu versäumen, verlangte der Hauptmann der Festung die Befehle des Königs. Dieser schwankte einen Augenblick, dann sprach er: »Nur zu! schießt! sie ist ein Soldatenkind und muß sich daran gewöhnen.« Man that es und gab die Salven in aller Form. Ich befand mich mit der Königin im Wagen, und statt zu erschrecken, wie es sonst bei Kindern von so zartem Alter zu geschehen pflegt, lachte ich, klatschte in die Hände, und da ich noch nicht sprechen konnte, suchte ich durch Zeichen, wie sie nur ein Kind meines Alters vorbringen kann, meine Freude auszudrücken, zu verstehen gebend, daß man nur fortfahren möge zu schießen. Dieses kleine Abenteuer vermehrte sehr die Zärtlichkeit des Königs für mich, denn er schöpfte daraus Hoffnung, ich sei von Natur so unerschrocken wie er. Seitdem nahm er mich immer mit, um der Musterung seiner Truppen beizuwohnen, und überall gab ich ihm Proben meines Muthes, wie er sie nur von einem zarten Kinde, das noch kaum sprach, erwarten konnte. So war es ihm eine Lust, mit mir zu scherzen, und er sprach: »Wohlan, laß mich nur machen, ich will dich eines Tages an Orte führen, wo du dein Vergnügen haben sollst.« Zu meinem Unglücke hinderte ihn der Tod, mir Wort zu halten, und ich hatte nicht das Glück, meine Schule unter einem so tüchtigen Meister zu machen.«

Gleich unerschrockenen Sinn zeigte sie kurz nach dem Tode Gustav Adolph's einer russischen Gesandtschaft gegenüber, die zur Beileidsbezeugung und Beglückwünschung nach Schweden geschickt war. Die Vormünder der Fürstin wünschten, daß das Kind bei dem Empfange der Fremden durch eine würdevolle Haltung imponiren möge. Sie zeigten ihr das Ceremoniell und sprachen ihr Muth ein vor den fremden Männern. Christina sagte: »Ei, warum soll ich mich davor fürchten?« Als man ihr erwiderte, die Moskowiter hätten fremde Tracht und lange Bärte, sagte sie lachend: »Was kümmern mich die langen Bärte«, und auf den Marschall und Admiral deutend, fuhr sie fort, »habt Ihr ja doch auch lange Bärte und fürchte ich mich nicht vor Euch, warum sollte ich jene fürchten«. Diese kleinen Abenteuer zeigen den Geist des Kindes und sind vorbedeutend für die Zukunft.

Als Christina 3½ Jahre alt war, zog Gustav Adolph im Mai 1630 in den dreißigjährigen deutschen Bruderkrieg. Das Kind sollte dem Vater einen Abschiedsgruß sagen; da aber derselbe ganz in Gedanken versunken auf die Kleine nicht hörte, zupfte sie ihn am Kleide und wandte ihn zu sich um. Sobald der König sie bemerkte, nahm er sie auf seine Arme und küßte sie mit Thränen in den Augen. Dann verließ er sein Vaterland, um es nicht wieder zu sehen.

Vor seiner Abreise hatte Gustav Adolph alle Angelegenheiten seines Reiches und seiner Familie geordnet und seine Tochter als einzige Erbin und im Falle seines Todes als König von Schweden anerkennen lassen. Da er seine Gemahlin später nach Deutschland kommen ließ und dieselbe auch nicht für die Erziehung von Christina geeignet hielt, so übertrug er die Oberaufsicht darüber seiner vortrefflichen Schwester, der Pfalzgräfin Katharina. Ihren Gemahl, den Pfalzgrafen Johann Casimir, konnte er nicht öffentlich als Oberhofmeister mit der Erziehung seiner Erbin betrauen, da er ein Ausländer und Calvinist, überdies ein kleiner deutscher Fürst war, was das Volk mit Abneigung, den hohen Adel mit Eifersucht erfüllte. Auch die Mutter sollte auf die Bildung der Tochter keinen Einfluß haben, noch auch an der Regierung theilnehmen. Sie war eine gutmüthige zarte Fürstin, aber ohne alle Energie. »Sie hatte viele gute Eigenschaften,« sagt Christina, »aber keine, die sich zum Herrschen eigneten«; sie war weichherzig, empfindsam, melancholisch, voll Verdrießlichkeit und Klagen. Schweden, Land und Volk, waren ihr zuwider. Dazu war sie eine Ausländerin und in dem streng lutherischen Lande eine eifriggläubige Calvinistin. Christina sollte aber ein lutherischer König sein.

Zu Lehrern und Hofmeistern hatte der König nur protestantische Schweden bestimmt, und zwar, wie Christina meint, weil ihm prophezeit war, seine Tochter würde nicht in der Religion sterben, in der sie geboren wäre. Es durften deshalb auch keine Calvinisten zu Christina Zutritt bekommen und noch weniger Katholiken; letztere sollten sogar innerhalb drei Monaten das Reich verlassen. Drei Schweden, welche den katholischen Glauben angenommen und heimlich einen Jesuiten als ihren Beichtvater nach Schweden hatten kommen lassen, ließ Gustav Adolph im Jahre 1624 hinrichten. So verstand er daheim die Glaubensfreiheit, für welche er angeblich in Deutschland stritt.

Die Prinzessin sollte eine völlig männliche Erziehung bekommen und Alles lernen, was ein Fürst wissen müsse. Christina sagt hierüber selbst: »Der König hat allen meinen Vorgesetzten befohlen, mir eine ganz männliche Erziehung zu geben und mich in Allem zu unterweisen, was ein junger Fürst wissen müsse, um würdig zu regieren. Er erklärte ausdrücklich, daß man mir durchaus keine Empfindung meines Geschlechtes einflößen solle, mit einziger Ausnahme der Züchtigkeit und Bescheidenheit. Im übrigen sollte ich nach seinem Wunsche ein Prinz sein und in Allem unterrichtet werden, was für einen Prinzen geziemt. Und hierin war es, wo meine Neigungen seinen Absichten so wunderbar entgegenkamen, denn ich hatte einen Widerwillen und einen unbesiegbaren Abscheu gegen Alles, was Frauen thun und sprechen. Ich hatte überdies eine unüberwindliche Ungeschicklichkeit für alle Handarbeiten. Nie fand man ein Mittel, mir irgend etwas hiervon beizubringen. Aber dagegen lernte ich in einem Alter von vierzehn Jahren mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit alle Sprachen, Wissenschaften und Uebungen, die man mich lehren wollte.« Wie früh sie z. B. lesen und schreiben lernte und neben der schwedischen auch die deutsche Sprache verstand, zeigt folgendes Briefchen, welches sie ihrem Vater wahrscheinlich während des deutschen Krieges schrieb: »Gnädigster Herzlieber Herr Vater. Weil ich das glük nicht hab jetz bei E. K. M. zu seyn, so schick E. M. ich meine demüthige contrefay. Bitte E. M. wolle meiner dabey gedenken undt bald zu mir wiederkommen, mich unterweil was hübsch schicken. Ich will allzeit from seyn und fleissig beten lehrnen. Gott lob ich bin gesundt. Gott gebe uns allzeit gute Zeitung von E. M. Demselben befele E. M. allzeit« u. s. w. Auch Gustav Adolph gedachte öfters mit liebender Sorgfalt seiner hoffnungsvollen Tochter und empfahl sie aufs dringendste der Fürsorge des Reichskanzlers Axel Oxenstierna.

Während dessen erhöhte er den Glanz seines Thrones durch immer neue Siege, bis die Hand der Vorsehung seinen Triumphzug durch Deutschland hemmte, und Gustav Adolph in der Schlacht bei Lützen am 6. November 1632 fiel. Ueber die hilflose Lage, in welche Christina durch den Tod ihres Vaters gerieth, über die Nacht der Sorgen und der Trauer, welche auf den blendenden Sonnenschein des Sieges und des Ruhmes folgte, äußert sie sich in folgenden Ausdrücken: »Es war Deine mächtigste Hand, o Herr! welche meine Stirn mit diesem ersten Lorbeer krönte, den ein so kostbares Blut benetzte. Der Sieg war es, der mich zuerst als Königin in Deutschland verkündigte, nur kurze Zeit darauf hallte sein trauervolles und glorreiches Echo in Schweden wieder. Auf einem unheilvollen Schlachtfelde, wo der größte König der Erde gefallen, dort nannte der Sieg zum ersten Male meinen Namen und verkündete, als mein Herold, zum ersten Male Deutschland den herkömmlichen Ruf: Der König ist todt! hoch lebe der König! Aber wie verschieden waren diese beiden Könige! Der todte war der größte der lebenden Menschen und der lebende die ohnmächtigste aller Kreaturen! Welch' ein Schmerz für so viele Tapfere, ein Kind, das kaum der Wiege entstiegen, dem größten Könige der Erde folgen zu sehen! Und doch war dieses Kind das einzige Band, wie schwach es auch immer sein mochte, das diese zahlreiche Schaar von Tapferen, von so verschiedenem, von so entgegengesetztem Interesse zusammenhielt, indem Alle ein hingebender Muth beseelte, die Rechte einer Tochter zu schirmen, die in einem so verhängnißvollen Augenblicke zu herrschen begann und durch die es Dir gefallen hat, so große Dinge, die später unter so schwacher Leitung vollbracht wurden, glorreich zum Ziele zu führen, auf daß Dir allein der Ruhm davon verbliebe, wie es die Gerechtigkeit verlangt.«

Die Verhältnisse des Reiches waren in der That die unglücklichsten von der Welt. Der deutsche Krieg, in dem Gustav Adolph im Vertrauen auf seinen Geist und sein Glück das Direktorium übernommen hatte, war noch nicht beendigt. Von Schweden war er schlecht unterstützt worden. Die Disciplin hatte er nur mit Mühe in dem zusammengewürfelten Heere aufrecht zu halten gewußt. Die feige Charakterlosigkeit seiner deutschen Glaubensgenossen hatte er oft erfahren und sie ihnen mit bitteren Klagen vorgehalten. So sagte er, entrüstet über ihre Ausschweifungen, die sie selbst in protestantischen Gebieten an ihren eigenen Glaubensgenossen begingen, im Lager bei Nürnberg: »Hätte ich euch gekannt, ihr Deutschen, daß ihr so wenig Liebe und Treue zu euerem eigenen Lande trüget, ich hätte kein Pferd euretwegen gesattelt, geschweige meine Krone und mein Leben für euch eingesetzt.« Von dem eigennützigen Frankreich war nichts zu hoffen, Dänemark barg mit Mühe seinen Unmuth; Polen fühlte die frisch blutenden Wunden und der schwedische Adel selbst hatte noch nicht vergessen, daß das Reich ein Wahlreich mit Erbfürstenthümern gewesen. Ungemessene Ansprüche machte er an die Krone geltend und drückte anderseits die freien Bauern, in denen hierdurch demokratische Gesinnungen von Gleichheit und Volksherrschaft geweckt wurden. Nun sollte ein so innerlich zerrissenes und äußerlich bedrohtes Reich im Namen eines Kindes verwaltet werden. Aber gerade die große Gefahr und der drohende gemeinsame Untergang beseitigte alle Uneinigkeit und richtete die Augen Aller auf den Kanzler Oxenstierna. In ihm lebte der Geist des Dahingeschiedenen fort; er vertrat in Schweden die Stelle eines Königs und war für Christina ein zweiter Vater. »Des Königs Tod«, sagt sie, »wäre für Schweden verderblich gewesen, hättest Du, o Gott! ihm nicht diesen Mann zum Erretter aus so vielen Nöthen verliehen. Denn es gibt für ein Reich keinen größeren Jammer, als wenn sein König ein Kind ist; und zu Schwedens Unglück war dieses Kind ein Mädchen.« So bestürzt der Kanzler auch war, als er in Frankfurt am Main den Tod seines Königs vernahm, so faßte er doch bald wieder Muth und suchte in seinen Schreiben, die er zu verschiedenen Zeiten aus Deutschland nach Schweden sandte, Allen den gleichen Muth einzuflößen, von der Gesinnung seines Herrn durchdrungen, »daß die Monarchie nicht in Personen, sondern in Gesetzen besteht, und daß die Fürsten sterblich, das Gemeinwesen aber unsterblich ist«.

Der Reichsrath in Schweden seinerseits versammelte die Stände zu Stockholm und diese erklärten einstimmig »die großmüthigste hochgeborne Fürstin und Fräulein, Fräulein Christina des seligen Königs Gustav II. und Großen Tochter für die erkorene Königin und Erbfürstin von Schweden«. Als der Marschall des Reichstages den versammelten Ständen diesen Antrag machte, unterbrach ihn einer von dem Bauernstande und fragte: »Wer ist diese Tochter Gustav's? Wir kennen sie nicht und haben sie niemals gesehen.« Zugleich hörte man in der ganzen Versammlung ein Murmeln, welches ihm Beifall zu geben schien. Der Marschall antwortete: »Ich will sie Euch zeigen, wenn Ihr sie sehen wollt.« Er holte sie aus ihrem Zimmer und stellte sie mitten unter die Stände, besonders vor den erstgedachten Bauer, der sie aufmerksam betrachtete. »Sie ist es,« sagte er endlich; »das ist die Nase und die Stirn, das sind die Augen des Königs Gustav: sie soll unsere Königin sein.« Christina selbst drückt ihre Erinnerung über jene erste Huldigung also aus: »Ich war noch so sehr Kind, daß ich weder meinen Verlust, noch mein Glück ermessen konnte: indessen erinnere ich mich doch, daß ich entzückt war, so viele Männer zu meinen Füßen mir die Hand küssen zu sehen. Als die Stände versammelt waren, mußte ich einen Thron besteigen. Noch wußte ich nicht, welche Pflichten ein so schrecklicher Sitz mir auferlegte. Unbekannt war mir, wie sehr man wachen, sich mühen und abarbeiten muß, um seiner sich würdig zu machen und welche furchtbare Rechenschaft ich Dir, o Herr! abzulegen hätte, ihn unwürdig eingenommen zu haben. Du warst es, o Gott! wodurch damals ein Kind die Bewunderung des Volkes erregte, das da staunte über den angebornen Ernst, womit ich bei jener ersten Gelegenheit die Königin vorstellte. Du hattest meiner Stirn jenes Zeichen der Größe aufgedrückt, das Du nur denen verleihst, die Du, wie mich, zu der Ehre bestimmt hast, Deine Stellvertreter unter den Menschen zu sein. – Doch es bedarf so wenig, damit ein Kind Bewunderung erweckt, noch weniger aber, ist es ein Kind des großen Gustav Adolph; vielleicht auch, daß die Schmeichelei, die mit uns geboren wird und mit uns stirbt, die Erzählungen davon übertrieben hat. Ich weiß indessen, daß Du Alles vermagst und daß Du andere Wunder aus Liebe zu mir verrichtet hast. Ich erinnere mich sehr deutlich, daß ich das Alles sagen hörte und daß ich ein Wohlgefallen darüber empfand, was mich schon damals strafbar gegen Dich werden ließ, indem es mich selbstgefällig machte, die ich mir da einbildete, ich hätte wunder was gethan und ich sei überaus geschickt, da ich doch noch nicht erkannte, daß ich Alles Deiner Güte allein verdankte, noch auch, welches die schreckenvollen Pflichten meiner Würde seien.«

Da Christina erst sechs Jahre alt war, so wurden nach den Mittheilungen, welche der Reichskanzler über die Absichten des verstorbenen Königs machte, die fünf höchsten Würdenträger, der Reichs-Droste, der Reichs-Feldmarschall, der Reichs-Admiral, der Reichs-Schatzmeister und der Reichs-Kanzler, als Reichsverwalter und Vormünder angenommen. Sie erhielten Vollmacht, bis zur Großjährigkeit der Königin mit königlicher Autorität zu handeln und im Namen der jungen Fürstin für Alles zu sorgen. Die Oberaufsicht der ausländischen, besonders der deutschen, Angelegenheiten wurde einstimmig dem Reichskanzler Oxenstierna übertragen. Der Schwager des Königs, der Pfalzgraf Joh. Casimir, und die Königin-Mutter wurden von den Staatsgeschäften ausgeschlossen. Hierüber, sowie über die Zurückdrängung von der Erziehung ihres Kindes war die Mutter sehr unzufrieden. Sie bemächtigte sich deshalb ihrer Tochter und ließ sie weder Tag noch Nacht von sich. Man befürchtete, daß die seit dem Tode des Königs eingetretene Melancholie und Traurigkeit der Mutter auch schädlich auf das Gemüth des Kindes wirken würden, und beschloß, sie von der Königin zu entfernen. Indessen mußte man hiervon für die erste Zeit noch Abstand nehmen. Hören wir sie selbst, wie sie diese Trauerzeit ihrer Kindheit beschreibt. Nachdem sie das Leichenbegängniß ihres Vaters mitgetheilt und der langen und traurigen Ceremonien gedacht, welche sie mit Langeweile erfüllten, fährt sie fort: »Was mein Unglück vollendete, war das trauervolle Leben, welches die Königin, meine Mutter, führte. Sobald sie (aus Deutschland) angekommen war, schloß sie sich in ihr Gemach ein. Von der Decke bis zu dem Fußboden war dasselbe ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen; ein Stoff von derselben Farbe verhüllte auch die Fenster. Man sah nichts darin; Wachskerzen brannten daselbst Tag und Nacht. Was man darin erblickte, Alles erinnerte an den Tod. Sie weinte Tag und Nacht und es gab Tage, wo sie ihren Schmerz zu einer solchen Höhe steigerte, daß es zum Erbarmen war. Ich hatte Ehrfurcht vor ihr und war ihr in zärtlicher Liebe zugethan; aber diese Ehrfurcht drückte mich und ward mir immer gar lästig, besonders als sie sich gegen den Willen meiner Vormünder meiner Person bemächtigte und mich bei sich in ihr Gemach einsperren wollte. Sie begann zuerst damit, die Erziehung, welche man mir bisher gegeben, zu tadeln. Sie gerieth hierüber sogar in einen Zwist mit der Regentschaft. Die Ehrfurcht jedoch, die man vor ihr hegte, machte, daß man ihr hierin einige Zeit eine gewisse Freiheit ließ. Da man ihr die Regentschaft entzogen hatte, so gestattete man ihr meine Leitung. Diese Rücksicht glaubte man ihr im übrigen schuldig zu sein. Dieses bewirkte, daß sie auch meine Tante von mir entfernte, indem sie sagte, sie wolle selbst meine Erzieherin sein. Auch andere Veränderungen versuchte sie, aber man widersetzte sich ihr mit Recht. Indessen liebte sie mich zärtlich und um so mehr, da sie sagte, ich sei das lebende Bild des verstorbenen Königs. Aber durch ihre unermeßliche Zärtlichkeit brachte sie mich zur Verzweiflung. Sie ließ mich bei sich schlafen und verlor mich beinahe nicht aus den Augen. Nur mit Mühe konnte ich von ihr die Erlaubniß erhalten, nach meinem Zimmer zu gehen, um dort zu lernen und meine Aufgaben zu machen. Allein Du, o Herr! ließest die Schwäche der Königin, meiner Mutter, mir zum Gewinn dienen; denn dieser Zwang, den ich bei ihr ausstand, diente mir dazu, mich meiner Lernbegier um so mehr hinzugeben, und das war der Grund, warum ich im Unterricht so große und außerordentliche Fortschritte machte; denn ich bediente mich dieses Vorwandes, um der Königin, meiner Mutter und ihrem Trauergemach zu entrinnen, gegen das ich einen solchen Widerwillen hegte.«

Nachdem Christina so drei Jahre bei ihrer Mutter verblieben, setzte der Reichskanzler 1636 die Trennung mit seiner Machtvollkommenheit durch, ein Ereigniß, welches die trübsinnige Fürstin noch trübsinniger machte, während es bei der Tochter, die dadurch der zarten, liebevollen Pflege und dem vertraulichen Mutterherzen entfremdet wurde, gewiß nicht wenig zur einseitigen Ausbildung ihres männlichen, selbständigen Geistes beitrug. Die Königin-Mutter reiste nun nach ihrem Witwensitze Gripsholm in Södermanland, und die Prinzessin Katharina nahm die frühere Stellung wieder ein. Es begann jetzt für die junge Fürstin ein neues Leben, indem man sich ihrer Erziehung und ihrem Unterrichte mit der größten Sorgfalt und Hingebung widmete. »Ein für den Thron geborenes Kind ist ein allgemeines Gut, von welchem der Ruhm des Staates und das Glück jedes Einzelnen abhängt.« Diese Ansicht, die Christina in ihrer Selbstbiographie ausspricht, hegten auch die Stände: Schon im Jahre 1635 hatten sie über die bei Christina's Erziehung zu befolgenden Grundsätze eine Zuschrift an die Regentschaft gerichtet. Christina solle als eine rechte Schwedin erzogen werden, die das Land und einen Jeden nach seinem Stande liebt und schätzt, ihn in seinen Rechten und Freiheiten schirmt und huldreich und gnädig sich Allen erweist. Man solle ihr Erzieher geben, welche nicht nur wissen, sondern auch in Ausübung bringen, was sich für einen Fürsten ziemt, und dabei in den Sitten der Welt erfahren sind und ihr Amt mit der gebührenden Ehrerbietung und Achtung zu wahren wissen. Sie sollen immer um sie sein und alles Unziemliche von ihr abhalten. Ferner solle man ihr gleichaltrige, wohlerzogene und gutgeartete Gespielinnen geben, die durch ihr Beispiel sie in allem Guten ermunterten. Auch ihre Kammerfrauen sollen wohlerzogen und fromm sein, damit Alles sie zur Frömmigkeit, zur Tugend und Ehre hinweise. Die Studien anlangend, so sollen diejenigen, welche die Kunst lehren, Länder und Königreiche als christlicher Fürst zu regieren, die erste Stelle einnehmen. »Da sie sich eine solche Wissenschaft aber eher durch Alter und Erfahrung, als durch jugendliche Studien erwirbt, und die wahre Erkenntniß Gottes und seines Dienstes das Fundament von allem Uebrigen ist, so wird es heilsam sein, daß ihre Majestät vor allem ihr vorzüglichstes Studium aus dem Worte Gottes, den Glaubensartikeln und den christlichen Tugenden macht und daß sie dieses Alles aus Schriften einer guten Moral schöpft, die hierzu als tauglich erkannt werden; denn ist das Fundament auf diese Weise gelegt und gesichert, so wird der Bau selbst um so schneller vollendet, um so fester und dauerhafter sein! Und da die Geschichte eine von jenen Wissenschaften ist, die einem Fürsten am meisten geziemen, so wird es passend sein, daß ihre Majestät recht viel Zeit auf das Erlernen der biblischen Geschichte verwende, die die Grundlage aller andern Geschichten ist. Zugleich kann auch ihre Majestät gut schreiben und rechnen lernen und fremde Sprachen nach dem Ermessen der Vormünder; Männer von Gelehrsamkeit und Erfahrung mögen in Betreff der zu lehrenden Autoren die Methode, die Zeit und Reihenfolge bestimmen, sowie die darin anzustellenden Uebungen. – Da es aber nicht hinreicht, mit dem Glauben vertraut zu sein, da man auch das Böse abhalten und die Hindernisse wegräumen muß, so finden wir es unumgänglich nothwendig, daß ihrer Majestät nicht nur nicht gestattet sei, unnütze oder gar schlechte Bücher zu lesen, sondern sie soll auch keine bösen Meinungen und Gesinnungen sowohl über weltliche als über heilige Dinge hören, damit sie von den Irrthümern des Papismus oder Calvinismus nicht angesteckt werde und von den zeitlichen Dingen keine verkehrten Gedanken schöpfe, sowohl in Betreff der Staatsangelegenheiten, als vor allem über die Verfassung und Regierung des Vaterlandes, oder solche Meinungen, die der Freiheit und den Befugnissen der Stände und Unterthanen des Reiches schädlich wären, sondern im Gegentheil nur Gesinnungen des Wohlwollens und der Zuneigung zu dem Reichsrathe, den Ständen und den Unterthanen ihrer Herrschaft hege.«

Wer hätte wohl bei einer solchen Richtung der Erziehung, bei so wachsamen und vorsichtigen Erziehern ahnen können, daß die talentvolle und wissensdurstige Schülerin einst im Dome von St. Peter zu Rom ihre Grabstätte finden würde?

Auch der Mann, dem zunächst mit der Leitung des religiösen und wissenschaftlichen Unterrichts die Ausführung der Grundsätze der Stände oblag, schien für die Erreichung ihrer Absichten durchaus passend. Es war Dr. Matthiä, der Hofprediger Gustav Adolph's, der ihm nach Deutschland gefolgt und von ihm selbst zum Lehrer seines einzigen Kindes ausersehen war. In den trüben Zeiten, als die melancholische Mutter Christina's Erziehung leitete, war er ihre Zuflucht und Trost. Ihm eröffnete sie ihr Herz und so wurde er, wie sie selbst erzählt, der Vertraute ihrer Klagen. »Auch mein Lehrer hatte seine Freude an mir. Ich war fleißig. Ich liebte schöne Bücher; ich faßte Alles, ich begriff ohne Mühe. Manchmal erklärte ich ihm, was er nicht verstand oder sich wenigstens nicht zu verstehen stellte. Kurz Alle, deren Unterricht ich genoß, waren mit mir zufrieden. Mein Lehrer war mein Vertrauter. Ich theilte ihm alle meine Schmerzen mit und stellte Betrachtungen mit ihm an, die ihn in Erstaunen setzten. Wir sprachen zusammen über die Regierung. Er erzählte mir Alles, was vorging, und ich machte mit ihm über Alles meine Bemerkungen. Sonst war ich über alle Vorstellung verschlossen, und konnte man sich mir in Allem vertrauen.«

Als Studiengenossen und Gespielinnen wurden Christina die Töchter ihres Onkels, des Pfalzgrafen Johann Casimir, beigegeben. Obgleich sie erst zehn Jahre alt war, so studirte sie doch mit solchem Eifer, daß Jedermann darüber erstaunt war. Sie verwandte sechs Stunden des Vormittags und ebenso viele des Nachmittags auf ihre Studien; sie entzog sich Schlaf, Essen und Trinken, um ihnen nachgehen zu können. Durch solche Anstrengungen zog sie sich mehrmals heftige körperliche Uebel und gefährliche Krankheiten zu. Die Uebungen in der deutschen, lateinischen und schwedischen Sprache verband der Lehrer mit dem Religionsunterrichte; schwedisch und lateinisch las er mit ihr Bibelsprüche und den Katechismus von Luther, deutsch ebenfalls Sprüche aus der hl. Schrift, eine Auswahl Psalmen, Gebete und Gesänge. Uebrigens hatte sie das Deutsche schon früh gelernt, auch der französischen Sprache wandte sie bald ihre Aufmerksamkeit und ihren Fleiß zu: in beiden behauptet sie keinen Lehrer gehabt zu haben. Vorzüglich aber verlegte sie sich auf die Erlernung der lateinischen Sprache und erlangte darin bald eine große Gewandtheit und vielen Geschmack. So hielt sie Neujahr 1636 an ihren Onkel, den Pfalzgrafen Joh. Casimir, eine lateinische Glückwunschrede, und schrieb viele lateinische Briefe an denselben, an die Regentschaft und Andere. Ja, sie machte sich nach zurückgelegtem zehnten Jahre durch einen lateinischen Revers verbindlich, mit ihrem Lehrer Dr. Matthiä künftig nur lateinisch zu sprechen. Um ihr Rednertalent zu üben, mußte sie aus ihrer klassischen Lektüre: aus Sallust, Curtius und Livius, die schönsten Partien auswendig lernen und deklamiren. Daß Christina bei diesen Uebungen im Gegensatz zu ihren beiden Studiengenossinnen nie im Namen einer Frau sprach, sondern ihr immer die Rolle irgend eines Helden zugetheilt wurde, konnte nicht besonders günstig auf ihren Charakter wirken, da nichts der Bildung des weiblichen Herzens und Gemüths so fern steht, als der Geist des klassischen Alterthums, jener stolzen Männerwelt, die ihr höchstes Ziel in Genuß, Herrschaft und Ruhm setzte. Aber auch die übrigen Studien, wie Arithmetik, Astronomie und Geographie wurden nicht versäumt. Auch mit der Staatskunst wurde sie frühe vertraut gemacht. Anfangs hatten zwei Reichsräthe die Aufgabe, diese staatsmännische Unterweisung vorzunehmen. Als jedoch der Reichskanzler aus Deutschland zurückkehrte, unterzog er sich selbst der Mühe, die Tochter seines geliebten Königs in die Geschäfte des Reiches einzuführen. Christina selbst sagt darüber: »Seit seiner Rückkehr nach Schweden brachte der Kanzler täglich drei bis vier Stunden mit mir zu, um mich über die Pflichten meiner Würde zu unterrichten. Er war es, dem ich guten Theils verdanke, was ich von der Regierungskunst weiß. Du, o Herr, hast gewollt, daß einer der größten Männer der Erde mir den ersten Unterricht ertheile, und dieses ist keine der geringsten Wohlthaten, wofür ich Dir verpflichtet bin; denn da Du mir den König, meinen Vater, genommen, wolltest Du, daß dieser Mann zur Unterweisung mir bliebe. Ich empfand das größte Vergnügen, ihn sprechen zu hören. Dafür machte es ihm auch das größte Vergnügen, mich zu unterrichten, und wir blieben drei, vier und manchmal noch mehrere Stunden bei einander, eines mit dem andern überaus zufrieden; und wenn ich es ohne die Bescheidenheit zu verletzen sagen darf, so wurde dieser große Mann mehr als einmal zur Bewunderung über ein Kind hingerissen, dem Du solche Talente verliehen und vor allem eine Begierde, sich zu unterrichten, und eine Fähigkeit zum Verständniß, die er bewunderte, ohne sie zu begreifen, da dieses bei meinem Alter so selten ist.«

Ueber den Gang ihrer Studien ließ sich die Regentschaft von Zeit zu Zeit ein Verzeichniß der Unterrichtsgegenstände einreichen und ordnete vollständige Repetitionen und Prüfungen an. »Ich hatte meine Repetitionen und Prüfungen, denen einer von dem Reichsrathe, Joh. Skytte, der alte Lehrer meines Vaters, beiwohnte. Dieser gute Mann war ein Pedant, wie es einen auf der Welt gab. Aber er kam nicht allein. Ein anderer vom Reichsrathe begleitete ihn stets, dem man Rechenschaft von meinen Fortschritten ablegte.«

Neben den vorgeschriebenen Gegenständen lernte Christina auch noch manches Andere ohne fremde Hilfe, so das Italienische und Spanische, und machte bei ihrem großen Talente in allen Theilen solche Fortschritte, daß sie von Jedermann bewundert wurde, und der Ruf davon in ganz Schweden die freudigste Hoffnung für das künftige Glück des Landes hervorrief.

Zu den männlichen Studien kamen auch noch männliche Leibesübungen. Da sie von Natur aus eine reizbare Gesundheit hatte und leicht in Krankheiten fiel, so suchte sie ihren Körper durch eine harte Lebensweise und die äußerste Mäßigung zu stärken. Wie ihrer edlen, das Gemeine in jeder Gestalt verabscheuenden Natur die Affen und Hofnarren ihrer Mutter unaussprechlich zuwider waren, so hatte sie einen nicht minder großen Abscheu vor der Völlerei und den Saufgelagen der Helden des dreißigjährigen Krieges und ihrer gemeinen Rohheit. Sie trank nur Wasser, ja sie hatte einen natürlichen Abscheu vor Wein, dessen Genuß sie ganz unwohl machte. Sie selbst sagt hierüber: »Gelernt habe ich nur ein wenig tanzen und reiten, doch sind mir auch die übrigen Uebungen nicht fremd und alle Waffen weiß ich so ziemlich gut zu führen, beinahe ohne ihre Handhabung erlernt zu haben. Zudem war ich unermüdlich. Ich schlief oft unter freiem Himmel auf dem Erdboden. Ich aß wenig und schlief noch weniger. Zwei, drei Tage blieb ich ohne zu trinken, da man mir bei meiner unüberwindlichen Abneigung gegen Wein und Bier nicht erlaubte, Wasser zu trinken; meine Mutter, die Königin, gab mir einmal die Ruthe, da sie mich überrascht hatte, wie ich heimlich Thauwasser trank, womit sie ihr Gesicht zu waschen pflegte. Zum Essen war mir mit Ausnahme von Schweinefleisch Alles gut. Hitze und Kälte ertrug ich ohne Beschwerde. Ich ging weite Strecken zu Fuß. Ich trabte zu Pferde, ohne je zu ermüden. Ich führte ein außerordentliches Leben, aller Welt zum Trotz. Man that Alles, um mich davon abzubringen, allein man mußte Geduld mit mir haben und mich gewähren lassen. Den Unterricht liebte ich leidenschaftlich, allein die Jagd, Laufen und Spielen liebte ich nicht minder. Ich liebte die Hunde, die Pferde; aber nie hat ein zerstreuendes Vergnügen meinem Unterricht oder meiner Pflicht einen verlorenen Augenblick gekostet; Du weißt es, o Herr! daß ich durch Deine Gnade mir hierüber keinen Vorwurf zu machen habe. Obschon ich die Jagd liebte, so war ich doch nicht grausam, und ich habe nie ein Thier getödtet, ohne dabei lebhaftes Mitleiden zu empfinden. Die Herren und Damen, die mich zur Aufsicht begleiteten, geriethen über mich in Verzweiflung; denn ich machte sie furchtbar müde, und ich ließ ihnen weder Tag noch Nacht Ruhe, und wenn die Frauen mich von einer so ermüdenden Lebensweise abbringen wollten, machte ich mich über sie lustig und sprach: ›Wenn ihr Schlaf habt, so legt euch zur Ruhe; ich brauche euch weiter nicht.‹ Meine Tagesstunden waren mit Geschäften, mit Unterricht und Uebungen ausgefüllt. An den Festtagen wurde gespielt, man ging auf die Jagd, oder es gab eine andere Unterhaltung, wie sie sich für mein Alter paßte.«

Zu ihren Lehrern und Erziehern hatte Christina große Zuneigung. Namentlich scheint sie Matthiä wegen seiner Kenntnisse und seines humanen Charakters geschätzt zu haben. Sie sagt von ihm: »Dr. Joh. Matthiä war von gutem Herkommen und ein rechtschaffener Mann, erfahren in den Wissenschaften und schönen Künsten, sehr geschickt, ein Kind meiner Art zu unterrichten, von einer Rechtschaffenheit, Bescheidenheit und Sanftmuth, die ihm Liebe und Achtung erwarb. In seinem Aeußerlichen war nichts Pedantisches. Er war ein geschickter und redlicher Mann. Man hatte ihn wegen einer Hinneigung zum Calvinismus in Verdacht. Ich weiß nicht, ob man ihm hierin Unrecht that; war doch dieses der einzige Vorwurf, den man ihm machen konnte. Es lag auch nichts daran, ob er Calvinist oder Lutheraner war. Ich sollte ja weder das eine noch das andere werden.« Schon 1636 wandte sich Christina zu seinen Gunsten an die Regentschaft, damit sie ihm einige Ländereien erblich überließe. Später wurde er wahrscheinlich auf Christina's Veranlassung Bischof von Strengnäs. Gegen ihre Vormünder zeigte die junge Fürstin stets Hochachtung, dem Reichskanzler vor allem bewies sie Ehrerbietung und Anhänglichkeit und liebte ihn wie einen zweiten Vater. »Großkanzler des Reiches,« sagt Christina, »war Axel Oxenstierna, dieser große Mann, von dem ich schon so oft gesprochen, und von dem man nicht genug sprechen kann. Viele Kenntnisse hatte sich dieser große Mann erworben, da er in seiner Jugend fleißig studirt hatte. Er las noch mitten unter seinen wichtigen Beschäftigungen. Er besaß große Fähigkeiten und große Kenntniß der Geschäfte und Interessen der Welt. Er kannte die starken und schwachen Seiten aller Staaten Europa's. Seine Weisheit, seine Klugheit waren vollkommen, umfangreich seine Fassungskraft, groß sein Herz. Er war unermüdlich. In den Geschäften hatte er eine Beharrlichkeit und einen Fleiß ohne Gleichen. Er machte daraus sein Vergnügen und seine einzige Beschäftigung; und erlaubte er sich eine Erholung, so waren die Geschäfte seine Zerstreuung. Er war mäßig für ein Land und ein Jahrhundert, wo diese Tugend unbekannt ist. Er hatte einen langen Schlaf und sagte, daß keine Angelegenheit ihn je am Schlafen gehindert oder ihn aufgeweckt habe, nur zwei Fälle ausgenommen, der Tod des Königs nämlich und der Verlust der Schlacht bei Nördlingen; sonst hätte er immer, ohne aufzuwachen, seinen vollen Schlaf durchgeschlafen. Er sagte mir oft, wenn er schlafen gehe, so entkleide er sich mit dem Rocke auch aller Sorgen und lasse sie bis zum nächsten Morgen ruhen. Uebrigens war er ehrgeizig, aber getreu, unbestechlich, nur ein wenig zu langsam und phlegmatisch. Er wurde Großkanzler unter Gustav IX. in einem Alter von 24 Jahren, was in Schweden ohne Beispiel ist. Er diente vier Königen in dieser Würde und starb sechs Monate nach meiner Abdankung, die er nicht ertragen konnte. Sie machte ihm ein solches Herzeleid, daß er nicht mehr derselbe zu sein schien; da er überdies schon so vorgerückten Alters war, daß er einem so schmerzlichen Schlage nicht widerstehen konnte. Er war eines der größten Hindernisse, das ich besiegen mußte, um Dir, o Gott! Alles zum Opfer darzubringen; denn ich liebte diesen großen Mann wie einen zweiten Vater. Ich war ihm zum Danke verpflichtet, und ich kannte Alles, was ich ihm schuldete, ohne gegen sein Verdienst und seine Dienste undankbar zu sein. Allein ich war zur Ehre eines vollkommenen Opfers berufen und meiner Bestimmung mußte ich folgen. Dieses Zeugniß aber bin ich seinem Verdienste schuldig, nachdem ich beinahe Alles kennen gelernt, was dieses Jahrhundert Großes und Ausgezeichnetes besitzt; es sind mir wenige Männer begegnet, die ihn aufgewogen hätten.«

Auch ihrer Tante Katharina war Christina mit großer Liebe zugethan. Als sie im Jahre 1638 starb, schrieb Christina an deren Gemahl, den Pfalzgrafen Joh. Casimir: »Obschon ich von Euer Liebden weit entfernt bin, so soll doch bei Euer Liebden allzeit mein Herz sein. Ich hoffe auch, nicht allein mit Worten, sondern auch, will's Gott, einst mit Werken es zu beweisen, und die Treue und Liebe, die meine nunmehr in Gott ruhende herzliebe Base an mir bis an ihren Tod gezeigt hat, an E. L. und Ihren vielgeliebten Kindern zu vergelten; ich hoffe E. L. darzuthun, daß ich Sie um Ihrer eigenen Tugend und um meiner lieben Base willen liebe und ehre. Ich kann E. L. nicht genugsam die große Treue und Dienste vergelten, die Ihre herzliebe Gemahlin mir erwiesen hat wie eine wahre Vaters-Schwester, und nicht allein wie Vaters-Schwester, sondern wie eine natürliche Mutter. Darum bin ich bereit zu der höchsten dankbaren Erwiderung gegen E. L. und deren herzlich geliebten Kinder.« Da auch nach dem Tode der Prinzessin Katharina die Königin-Mutter nicht mit dem Erziehungsamte betraut wurde, so entfloh sie 1640 nach Dänemark. Christina theilte dieses Ereigniß sofort ihrem Onkel mit, und bat ihn, sich schleunigst zu ihr zu verfügen: die Mutter sei weggereist, man wisse nicht wohin, fast ohne Begleitung, »worüber ich, sammt die Regierung, seynd sehr perplex geworden, daß man nicht weiß, was man thun soll«.

So stand denn jetzt Christina allein in der Welt, ohne ein mütterliches Herz, dem sie sich mit vertrauender Liebe hätte anschließen und öffnen können. Von den Frauen, welche an die Stelle ihrer verstorbenen Tante Katharina traten, scheint keine ihr Vertrauen erworben zu haben. – Sie war meist nur von Männern umgeben, welche sie von Staat, Krieg und Gelehrsamkeit unterhielten. Hierdurch trat ihre Weiblichkeit immer mehr zurück; ihr Geist und Gemüth erhielten früh eine große männliche Reife und Stärke. In dieser Umkehr der Natur aber liegt die Erklärung von Manchem, was sonst als räthselhaft in ihrem Lebensgange gelten könnte. Zugleich entwickelte sich bei dieser frühen Ueberlegenheit und einsamen Selbständigkeit bei ihr eine Neigung zur Ironie, die Niemand verschonte und die zu zügeln ihr später große Mühe machte, da ihre Lebendigkeit das verletzende Wort schon ausgesprochen, ehe sie sich darüber besonnen hatte. Christina auf diesen und andere Fehler aufmerksam zu machen, scheint unterblieben zu sein; im Gegentheil ist die Annahme nicht unbegründet, daß sich schon frühzeitig die Schmeichelei der jungen Fürstin genaht habe. Bei den verschiedenen Parteien, die sich am schwedischen Hofe um die Oberherrschaft stritten, ist es leicht denkbar, daß jeder Alles daran gelegen sein mußte, sich für die Zukunft des Herzens der Königin zu bemächtigen. Wohl mit Recht klagt daher Christina über das Gift der Schmeichelei, welches königlichen Kindern schon in der Wiege geboten werde. »Die Wahrheit hat Mühe,« sagt sie, »bei den Höfen Zutritt zu finden. Die Lüge ist dort gar zu mächtig und hat daselbst ihren Thron. Wer glaubt, die Kindheit sei noch die einzige Zeit, in welcher sich die Wahrheit den Fürsten nahe, irret sich. Denn man fürchtet sie und schmeichelt ihnen schon von der Wiege an. Sie würden noch gar zu glücklich sein, wenn ihnen in ihrer Kindheit dieser göttliche Umgang vergönnt wäre. Die Menschen fürchten ebenso sehr das Gedächtniß der Fürsten, als ihre Macht. Sie gehen mit ihnen um, wie mit jungen Löwen, welche allzeit kratzen, wenn sie auch die Leute noch nicht verschlingen können. Kurz, Jedermann gibt sich aus verschiedenen Absichten und Interessen Mühe, sie zu verderben. Alle im Purpur und für den Thron Geborenen werden immer im Müßiggang, in der Unwissenheit und in der Weichlichkeit erzogen. Man bildet sie unter Schmeichelei und Beifallsbezeugungen. Und selbst die Schmeichelei ist nicht das gefährlichste Gift, das man ihnen reicht. Würde man nur ihrem Verdienste Beifall schenken, so würde sie ihnen zur Ermunterung dienen, gut zu handeln. Aber zu ihrem Unglück verdirbt man sie dadurch, daß man selbst alle ihre Thorheiten und Fehler mit Lob und Beifall erhebt.«

Je mehr sich Christina inzwischen der Großjährigkeit näherte, um so thätigeren Antheil nahm sie an den Berathungen über Staatsangelegenheiten und um so bestimmter sprach sie ihr selbständiges Urtheil darüber aus. So schrieb sie, als sie die Krankheit Bauer's erfuhr, an den Pfalzgrafen, den schweren Verlust jenes Feldherrn wohl zu schätzen wissend: »Hier (in Stockholm) achtet man es wenig; man meint, er sey bald zu ersetzen; aber die kerls lassen sich nicht aus der ermel schütten, stirbt Bauer, so wird es übel daher gehen.« Am besten zeigte sie ihren feinen Takt, ihren Scharfblick und ihre kluge Besonnenheit in Mitte ehrsüchtiger Parteien und dem allmächtigen Kanzler gegenüber, als einer von den Oxenstierna's, der Reichsdroste nämlich, aus der Regentschaft starb und ihr die Wahl überlassen wurde, sich selbst einen neuen Vormünder zu wählen. Klug und mit dankbarer Bescheidenheit erwiderte sie, daß es ihrer Jugend nicht anstehe, sich selbst einen der Vormünder zu wählen, das Loos möge unter jenen würdigen und verdienten Männern entscheiden. Hierdurch hatte sie Allen Genüge gethan und sich als würdige Schülerin des Kanzlers erwiesen. Dieser zauderte auch nicht, sie noch vor Vollendung ihres 16. Jahres in den Reichsrath mit einer Rede einzuführen, welche Christina mit Anmuth und Einsicht beantwortete. Alles wurde ihr seit dieser Zeit vorgetragen und man entschied nichts ohne ihre Einwilligung und Genehmigung. Die Erwartungen, welche man auf sie gesetzt hatte, muß sie hier übertroffen haben, denn schon im folgenden Jahre wollte man sie mit der Staatsverwaltung betrauen. Sie lehnte das Anerbieten bescheiden ab und begehrte zwei Jahre Aufschub, um sich noch weiter in der Regierungskunst auszubilden. Gustav Adolph hatte die Zeit ihrer Großjährigkeit von ihrer Fähigkeit abhängig gemacht. Somit wurde dann am 20. November 1643 der Reichstagsbeschluß gefaßt: daß Christina, da sie an Jahren, Verstand, königlichen Tugenden und Kräften so sehr zugenommen habe, mit Vollendung ihres achtzehnten Jahres, wie ihr Vater, die Regierung antreten solle.

Am Tage vor ihrem Geburtsfeste, den 7. Dezember 1644, fand in feierlicher Weise vor den Ständen und dem Reichsrathe die Uebergabe des Reiches an die junge Fürstin statt. Die Königin saß auf einem silbernen Throne. Nachdem der Reichstagsbeschluß ihr vorgelesen, ersuchte sie der Reichskanzler im Namen seiner Collegen, jetzt, da sie in das reife Alter getreten, selbst die Zügel der Regierung zu ergreifen und ihre Stellvertreter ihres Amtes zu entbinden. Er fügte Versicherungen der Ergebenheit für die Zukunft hinzu und schloß mit den innigsten Wünschen für ihrer Majestät Wohlergehen und glückliche Regierung. Christina antwortete in gesetzter und angemessener Rede: sie dankte in lobenden Ausdrücken für die Treue und Weisheit, mit der die Regentschaft in so langer und schwieriger Zeit dem Vaterlande Dienste geleistet. Darauf hieß sie den Reichskanzler das Uebrige vollführen. Dieser dankte im Namen der Königin den Ständen für ihre Treue während der Minderjährigkeit und hieß sie mit frohem Herzen und vollem Vertrauen eine glückliche Zukunft von der hoffnungsreichen Königin erwarten. Die Stände beantworteten dieses mit Versicherungen der Treue und Ergebenheit und mit Glückwünschen für der Königin Wohlergehen. Dann leistete Christina den Eid als König von Schweden. Der Reichskanzler hatte nämlich den Grundsatz aufgestellt, da sie die erste ihres Geschlechtes sei, welche Schweden regiere, so müsse man sie als König, nicht als Königin betrachten. Es blieb von da an in Schweden die Sitte, daß die Frauen als Könige das Scepter führten. Christina gelobte, wie es Sitte war, Schweden in seiner Religion und seinen kirchlichen Gebräuchen, den Reichsrath in seinem Ansehen, einen Jeden in seinen Rechten und Privilegien zu schirmen und das Reich nach der von den Ständen angenommenen Regierungsform zu regieren.

Es war ein feierlicher Augenblick. Alle Herzen schlugen der jungen Fürstin entgegen, deren Ruhm sich schon bei ihrem Volke verbreitete und von deren herrlichen Eigenschaften man das Glück Schwedens erwartete.


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