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Bild Theodor Herrmann

3. Von einem uralten Hause und wer darin wohnte.

Ja früher, als ich noch zur Schule ging, da gab es noch merkwürdige Häuser in unserer Stadt. Häuser, so merkwürdig und wunderbar, daß man sie nie wieder vergaß, daß man sogar von ihnen träumen konnte. Ja, damals baute man die Straßen auch noch nicht so breit und langweilig gerade wie heute, und die Häuser sahen alle verschieden aus und hatten nicht wie jetzt immer das gleiche Gesicht.

Und jeden Morgen, wenn ich zur Schule ging, kam ich an einem solch alten merkwürdigen Hause vorbei. Es hatte einen hohen, spitzen Giebel, und wunderliche, in Stein gehauene Blumen und Engel umrahmten die Fenster. Und mitten an der grünen, schweren Haustür saß ein Löwenkopf, der einen dicken, eisernen Ring im Maule trug. Den Ring mußte man heben und wieder an die Tür zurückfallen lassen, wenn man ins Haus wollte; denn die Tür war immer verschlossen und wurde nur geöffnet, wenn jemand klopfte. Ja, es war ein merkwürdiges Haus. Das sah man schon an den vielen kleinen Fensterscheiben, an den häßlichen Flecken in den Wänden, an der Dachgosse, die wie ein Vogelkopf geformt war und weit über die Straße reichte. Und an der rechten Seite des alten Hauses war ein kleiner Garten. Nirgends in der ganzen Stadt wuchsen in den Gärten solche wunderbare Blumen, nirgends so vielerlei verschiedene durcheinander, nirgends gab es solch kugelrunde Buchsbäume, solch ein hübsches Holzstaket.

Bild Theodor Herrmann

Und wenn ich des Morgens zur Schule mußte, ging ich mit Herzklopfen an dem alten Hause vorbei und lief auf die andere Seite der Straße und sah furchtsam zu ihm hinüber. Ja, es war sicher ein Räuberhaus oder ein Haus, in welchem Gespenster oder Hexen wohnten. Wenn ich aber einmal nicht allein durch die stille Straße ging, dann blieb ich wohl einen Augenblick stehen und versuchte durch die Fenster in die Stuben zu blicken. Aber das war unmöglich, denn alle Fenster waren mit weißen, dichten Mullgardinen behangen und mit Blumentöpfen besetzt, und es blieb kaum irgendwo eine Lücke, durch welche ich hätte hindurchsehen können.

Und wie gerne hätte ich gewußt, wer in dem alten Hause wohnte! Wie gerne wäre ich einmal drinnen gewesen in seinen Stuben und Kammern, in seinen Kellern und auf seinen Böden! – –

Da kam ich eines Tages aus der Schule und wiederum an dem alten, merkwürdigen Hause vorbei, und wie ich scheu hinüberblickte, sah ich, daß die Haustür weit geöffnet war. Das hatte ich noch nie erlebt, und verwundert und neugierig blieb ich stehen. Aber der Flur war zu dunkel, ich konnte nichts erkennen. Nur ganz aus der Tiefe des Hauses schien mir etwas Blankes, Goldenes entgegenzublicken. Was war das? Waren es lange Schwerter, die dort hervorblitzten? Waren es Posaunen und Trompeten? Ich hielt die Hände über meine Augen, um besser in die Dunkelheit sehen zu können, aber das half nicht viel.

Vorsichtig sah ich mich nach allen Seiten um, scharf blickte ich zu allen Fenstern in dem verwunschenen Hause hinauf, um zu sehen, ob sich auch hinter einem ein Gesicht versteckte. Aber alles war still und ruhig rings umher. Da schlich ich behutsam ein paar Schritte näher, und trotzdem mein Herz klopfte, stellte ich mich doch vor der Haustür hin und sah hinein.

Nein, es waren keine Schwerter oder Posaunen, die in der Tiefe erglänzten. Es waren kupferne und messingne Töpfe und Kellen, die, frisch geputzt, an den Wänden der Küche hingen. Aber wenn auch nicht, sonderbar genug sah es trotzdem im Hause aus. Der Fußboden war mit Steinplatten belegt, wie sie die Straßenmacher früher gebrauchten. In einer Ecke stand eine alte Wanduhr, die mit allerlei Verzierungen an ihrem dunklen Gehäuse geschmückt war, die tickte lang-sam, lang-sam. Noch nie hatte ich eine Uhr so langsam ticken hören. Sonst war alles still, lautlos still auf dem weiten Hausflur. Nichts regte und bewegte sich. Ich stand und lauschte und schlich vorsichtig wieder ein paar Schritte näher und stand in der Türöffnung, wie kühl war die Luft, die an dem heißen Tage aus dem alten Hause strömte. Stieg die aus dem steinernen Fußboden herauf oder sank sie aus der großen Bodenluke mitten unter der Decke hernieder? – Ein so besonderer Geruch war in dem Hause. Es roch, wie ganz alte Sachen riechen, es roch wie in Großvaters Hause am Wall.

Ich stand und lauschte und hörte auf das Ticken der Wanduhr. »Hüt – dich! – hüt – dich!« sagte sie ganz deutlich. Ein Schauer lief mir über den Rücken, da sah ich zufällig noch einmal zur Decke hinauf und erblickte in dem dämmrigen Räume ein großes wunderschönes Segelschiff. Das hing an einer eisernen Kette an der Decke. Es hatte drei Masten und einen Bugspriet und volles Segelwerk, und wenn es nicht so klein gewesen wäre, hätte es wohl nach Amerika fahren können. Ach, wenn mir doch das Segelschiff gehörte! – – – Auf den Zehenspitzen trat ich einen Schritt ins Haus hinein, um genauer sehen zu können, und dann noch einen und noch einen und stand nun mitten auf dem Flur und sah hinauf zu dem Schiffe und konnte mich nicht satt sehen an all seinen Teilen. Richtige kleine, runde Kajütenfenster saßen in seinen Wänden. Ein Paar Kanonen aus Messing blickten über sein Hinterdeck. In der Mitte des Schiffes war die Kommandobrücke für den Kapitän, am Hauptmast ein Ausguck, Strickleitern führten hinauf zu den Rahen – ein eiserner Anker hing vorn am Bug – »Anna-Maria« stand mit goldenen Buchstaben darüber – ein Kompaßhaus – – war auch da – – Ach, wenn ich das Schiff hätte! – Ach, wenn es ein richtiges großes Schiff wäre und ich der Kapitän – – Und zehn Matrosen müßte ich haben und einen Steuermann – und nach Amerika wollte ich fahren und nach Indien – und mit wilden Völkern Krieg führen – zwei Kanonen waren ja auf dem Schiffe, da konnte ich den Krieg wohl wagen – und dann wollte ich viel Geld mitbringen und kostbare Waren und – – alles meiner Mutter geben – – und dann würde sie sich freuen – – und glücklich sein. – – Ach, wenn ich doch das Schiff hätte! – – – – – – – – –

Plötzlich bekam ich einen furchtbaren Schrecken. Eine Zimmertür hatte sich geöffnet, und in der Öffnung stand eine alte Frau. Sie sah erst mich an, dann blickte sie zum Schiff hinauf und lächelte, vor Entsetzen vermochte ich mich nicht zu rühren, starr sah ich die Alte an. Die aber kam lautlos über den steinernen Fußboden zu mir, bis sie neben mir stand. Wer war das? – Noch nie hatte ich ein solch altes Gesicht gesehen. – War das die Hexe? – – Gewiß! Wer sollte es sonst sein? – –

Sie legte ihre magere Hand auf meine Schulter und sagte: »Ja ja! Beguck sie dir nur ordentlich, die Anna-Maria! Nicht wahr, die gefällt dir?« – Ich konnte nur mit dem Kopfe als Antwort nicken. Sie blieb neben mir stehen und sah zum Schiffe hinauf, und ich sah in ihr Gesicht. Es war kreuz und quer von tausend Falten durchzogen, schneeweiße Haare blickten unter ihrer schwarzen Spitzenhaube hervor. – – Wie lautlos sie schleichen konnte! – – Ja, sie war eine Hexe. Jetzt wußte ich es ganz gewiß. Da kam auf einmal ein Dienstmädchen von der Straße herein, das trug einen Armkorb und machte große Augen, als es mich sah, und ging in die Küche und band sich eine Schürze vor und sah mich an und lachte. »Alwine, Sie müssen morgen das Schiff abnehmen und abstäuben,« sagte die Hexe zu dem Dienstmädchen. »Jawohl, Madam!« antwortete Alwine. Ich sah von einer zur anderen. »Ach, es war ein schönes Schiff, und es hat schon manche Reise nach Ostindien gemacht,« sagte die Alte und sah mich wieder an. »Dies kleine Schiff?« fragte ich. »Nein,« antwortete sie, »dies ist ja nur der wirklichen großen Anna-Maria nachgemacht. – Es ist ein Andenken an meinen verstorbenen Sohn,« setzte sie dann leise hinzu. –

Einen Augenblick war es ganz still auf dem Flur, und Alwine sah mit ernsten Augen zu der alten Frau, die noch immer zu dem Segelschiffe unter der Decke hinaufblickte. Und plötzlich sah ich, wie sich zwei große Tränen langsam aus den Augen der Alten lösten und ihr über die runzligen Backen stürzten. Sie weinte! – Die Hexe weinte? – Nein, das war ja nicht möglich! Noch nie hatte ich gelesen oder gehört, daß eine Hexe weinen konnte, weinen konnte um einen gestorbenen Sohn. Nein, sie war keine Hexe. Meine Angst schwand. »Wo ist denn die wirkliche Anna-Maria jetzt?« fragte ich leise. – »Das weiß nur Gott im Himmel, mein lieber Junge. Wahrscheinlich liegt sie irgendwo tief unter dem Meere, und alle, die auf ihr hinausfuhren, sind gestorben, längst gestorben, und keine Seele weiß ihr Grab.« – »Und der Kapitän?« – »Das war mein Sohn,« antwortete sie. »Es war gerade seine erste Reise, und er war dreißig Jahre alt und freute sich so, daß er nun sein eignes Schiff fahren konnte, und war so voll Hoffnung, als ich ihn zuletzt sah, und dann ist er hinausgefahren, und dann kam noch ein Brief von ihm aus einem englischen Hafen, und dann – und dann – – habe ich nie wieder etwas von ihm gehört.« – »Gehen Sie man hinein in die Stube, Madam,« sagte Alwine, »ich habe nun gerade Zeit und will die Anna-Maria jetzt eben abstäuben. Gehen Sie man in die Stube, Madam!« Die alte Frau seufzte und ging lautlos zur Tür, die sie hinter sich schloß.

Alwine holte eine Leiter, löste die Kette von dem Haken an der Decke los, und ich stand nun dabei und konnte das Schiff ganz in der Nähe besehen. Und ich besah es von allen Seiten und half mit Staub blasen und abwischen und wurde nicht müde zu fragen und zu bewundern, so daß Alwine zuletzt rief: »Nein, was bist du für ein merkwürdiger Junge! Wie kann einem nun son altes Schiff, was doch zu nichts nicht zu gebrauchen ist, soviel Spaß machen.« – Über ich wurde nicht müde, ihr alle Teile am Schiffe zu erklären und zu zeigen und erzählte ihr auch, wie ich vorhin mich fürchtend in der offenen Haustür gestanden hatte, und wie unheimlich mir alles hier im Hause vorgekommen sei, und wie dann plötzlich die alte Frau herausgetreten, und wie ich davor zu Tode erschrocken gewesen sei und geglaubt hätte, sie wäre eine Hexe. – »Was? Unsere gute, alte Frau eine Hexe?« fragte Alwine mit verwundertem Blicke. »Junge, du bist nicht gescheit! Unsere alte Frau Rickert ist die beste Frau in der ganzen Stadt, und wenn sie nicht das große Unglück mit ihrem Sohne gehabt hätte, dann würde sie auch nicht die vielen Falten im Gesichte haben. – Nein, nein,« rief sie immer wieder, »wie kann man son gute, alte Frau, die keiner Fliege was tut, wohl für ne Hexe halten! So was is mir doch in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen.« – – –

Als das Schiff sauber geputzt wieder aufgehängt war, eilte ich nach Hause und suchte Holz zusammen und holte Mutters Kartoffelmesser aus der Küche und schnitzte und schnitzte an dem Holze herum, um auch eine »Anna-Maria« zu machen.

Bild Theodor Herrmann


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