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X.
Die zwei jungen Konzepts-Praktikanten

Motto:

Der Mann muß hinaus ins feindliche Leben,
Muß wirken, muß streben,
Muß wetten, muß wagen,
Das Glück zu erjagen.

(Schiller.)

Ins praktische übersetzt.

Als Aktenschmierer
Muß er stets sitzen,
Ohn' einen Vierer
Die Feder spitzen.

(Vom Autor.)

Alois bestand noch in jenem Herbste die Kriminal-Richteramtsprüfung mit Auszeichnung und zog nun nach Großkirchen zu dem dortigen Landgerichte, um die politische und Zivilpraxis zu nehmen. Ein Kuriosum in der österreichischen Praktikantenwelt ist auch einmal gewesen, daß der Kriminalpraktikant ein ganzes Jahr sich abrackern mußte, und zwar nicht bloß unentgeltlich, sondern nicht einmal die Dienstzeit wurde ihm angerechnet, obgleich er einen heiligen Eid ablegen mußte, weiß Gott was alles zu leisten. Dieses unentgeltliche Jahr ohne Zeit hatte Alois hinter sich, und nun mußte er einen neuen Eid ablegen. Jetzt erst zählten seine Tage für den Staatsdienst.

Bei einem Landgerichte ist ein Konzeptspraktikant der Hetzhund und Packan; alles, was unangenehm ist und nichts einträgt als etwa den Haß der Bevölkerung, alles Unliebsame legt man auf seine Schultern, und neue Besen kehren auch gut. So ein junger Praktikant fühlt sich geehrt, wenn er mit Dieben und Galgenschwengeln sich brav herumbalgen und sie ins Loch stecken oder die Bauern hier und da derb verreißen kann, doch die klügeren, älteren Beamten lassen ihm diese Ehre gerne; sie nehmen lieber jene Geschäfte, wo man friedlicher verhandeln kann und hier und da ein Kommissiönchen und somit Diätengelder herausschauen. Nur über lange einmal läßt man einem solchen jungen Manne auch ein mageres Brosamchen vom Tische fallen, damit er etwa nicht am Ende doch maßleidig werde, aber die fetteren Bissen behält man für sich.

Alois war noch so ein junger Lücken- oder Bullenbeißer. Ich glaube nicht, daß er in dem ganzen ersten Jahre seiner Praxis sechs Gulden verdiente; dafür hatte er aber alle Untersuchungen allein zu führen, arbeitete im Politischen und Zivilen, führte das löbliche Polizeiwesen und strafte die Forstexzedenten ab, ein Geschäft, das natürlich den Alois bei den Großkirchern nicht gar beliebt machte. Und mußte er erst gar einen Vetter wegen irgendeiner Sache, vielleicht wegen eines Stämmchens Holz oder eines unbefugt aufgesetzten Ofens abstrafen, so gab es lange Gesichter; doch dieses sagte man dem Alois nach, daß er sehr gescheit sei und für alle die gleiche Elle habe. Auch konnte kein Bestrafter sagen, daß Alois ihn etwa derb angefahren habe, oder daß er Schmierbalien angenommen habe, und doch fehlte es an solchen nicht, welche, des jungen Praktikanten Finanzlage kennend, mit ein paar Silberzwanzigern ihn stumm und blind machen wollten.

Der junge Praktikant konnte natürlich selten ein Wirtshaus besuchen; Kost und Wohnung hatte er bei seinem Vater. Die Wohnung war eine elende Dachkammer, die Kost so mager und grob, wie sie die Oberländerbauern kochen; doch dem Alois schmeckte alles gar gut, denn er hatte Appetit, war es ja von der lieben Mutter Hand gekocht.

Verlassen wir nun den Alois und schauen uns nach Joseph um. Der Kanarienvogel ist für die Welt tot, und das Klosterleben ist so einförmig wie eine Schwarzwälderuhr; es gibt da nicht viel Besonderes; des Pater Brundusius Ehrentag war vorüber, er kommt nicht mehr.

Es kam das teure Jahr 1846, in dem die Kartoffelkrankheit einriß, ein Jahr, welches auch den Joseph anfangs hart betraf, denn seine Instruktionen wurden weniger, und das Kostgeld wurde wenigstens um ein Drittel höher. Das machte ihn tüchtig sinnen und trachten; er mochte ausziffern wie er wollte, er verdiente nicht mehr, als er gerade für Mittagkost und Wohnung brauchte. Das Frühstück und Abendessen oder gar das Wirtshaus mußte beiseite bleiben, und für Kleidung schaute auch nichts heraus.

Joseph hatte einen alten, lieben Bekannten, der aus Widerwillen, die Eselsbrücke in der Mathematik zu passieren, das ganze Studium an den Nagel gehängt hatte und zur Finanzwache gegangen war; ein gewöhnliches Auskunftsmittel für verunglückte Studenten. Doch Niger, so hieß der Exstudent, hatte immer sehr gute Noten gehabt, war sittlich und fleißig gewesen, aber den Abscheu gegen die Mathematik konnte er unmöglich überwinden; die algebraischen Figuren und Buchstabenrechnungen kamen ihm sogar als Schreckgestalten im Schlafe vor, und so vertauschte der gute Niger sein Studentenröckchen mit dem Rocke der grünen Aufschläge.

Im Jahre 1846 war Niger Oberaufseher und in Innsbruck stationiert. Ein Finanzer ist vielen Leuten ein verächtliches Wesen, man meidet ihren Umgang; die Bauern des Oberlandes nennen sie sogar Tabakschmecker, aber sie sind halt im Staate auch notwendig, und jeder Staat hat dergleichen, nur sind sie nicht überall gleich montiert und haben anderswo andere Namen.

Ein Innsbrucker Jurist vom echten Vollblute hätte, wenn er diesem alten Studienkameraden begegnet wäre, das Gesicht anderswohin gewendet, und hätte Niger ihn angeredet, so hätte er sich gar nicht erinnert, mit ihm einmal in einer Schulbank gewesen zu sein, denn das Gedächtnis dieser Leute ist sehr schwach; aber Joseph wußte, daß in der grünen Uniform auch ein edler Mensch stecken könne, vorzüglich von Niger wußte er bestimmt, daß er ein goldenes Herz habe; darum besuchte er ihn, wenn er Zeit hatte, öfters in der Kaserne, und sie plauderten dann von den Zeiten, wo sie manchmal aus Hunger am hellichten Tage die Sterne sahen, oder wo sie sich selbst mit grobem Zwirn den Rock, ja sogar die Stiefel flickten.

Diesem Freunde klagte Joseph seine gegenwärtige Finanznot, denn ein mitleidiges Wort des Freundes ist ja auch Balsam. Aber oft der unansehnlichste Mensch kann dem anderen einen Dienst leisten, darum heißt das Sprichwort: »Wirf die Leute nicht weg, sondern lehne sie sanft an, du könntest sie einmal brauchen.« Der unansehnlichste Finanzmann war Josephs Retter in seiner Finanznot. Was nützte dem Joseph sein Juristentitel ohne Mittel?

Weißt du was, sagte Niger zu Joseph, lege bei uns in die Menage, da bezahlst du täglich nur 14 Kreuzer und bekommst dafür mittags ein schönes Stück Fleisch, Suppe und eine Mehlspeise, abends ein Eingemachtes. Einen Tag bezahle ich dir aus meiner Gage. Unser Koch Michael versteht delikat zu kochen, zwar nur Hausmannskost, aber schmackhaft; zu schlecht wird es dir nicht sein. Du kannst übrigens auch separat essen; der Michel ist ein guter Leberer, er wird es dir gerne tun.

Wer hätte hinter einem Finanzmanne ein so gutes Herz vermutet! Joseph nahm das Angebotene mit Dank an, denn nun war er aus einer großen Verlegenheit; er ersparte sich an der Kost täglich 10 Kreuzer und noch extra 24 Kreuzer wöchentlich, das macht monatlich 5 Gulden 24 Kreuzer, und damit kann man sich, wenn man es das ganze Jahr zusammenspart, auch kleiden. Niger hatte also dem Joseph eine große Wohltat erwiesen. Dem Niger ist es später auch gut gegangen; er wurde Beamter mit 600 Gulden, heiratete und lebt bis dato recht glücklich mit seiner Familie. Gott lohnt ein gutes Herz. Hätte Joseph etwa einen seiner reichen und vornehmen Studiengenossen angesungen, so hätte man ihn wahrscheinlich mit dem Titel Bettelstudent abgefertigt.

Endlich kam auch für Joseph das fatale zeit- und geldlose Jahr der Kriminalpraxis bei dem k. k. Stadt- und Landrechte in Innsbruck. Die Studien waren gut vollendet, aber nun gab es keine Zeit zum Instruieren mehr, denn die Landräte haben sich darum gar nicht zu kümmern, ob ein Praktikant arm ist und auch eine Zeit zum Instruieren braucht, der Praktikant muß immer gewärtig sein, und zudem muß er ja einen Unterhaltsrevers beibringen, d. h. ein Zeugnis, daß er so viel Geld hat, daß er standesgemäß leben könne.

Dieses Zeugnis stellte dem Joseph sein Vater auf dem Papiere wohl aus, aber im Sacke des Joseph war in Wirklichkeit blutwenig; er konnte nur so viel Zeit sich erstehlen, um zwei Stunden zu geben, und dieses mußte oft unterbleiben. Dafür hatte er 6 Gulden im Monate, also zu wenig für die Kost und zu viel für das Quartier. Und der Koch Michele mußte natürlich alle Monate sein Geld haben, die buckelichte Zimmerfrau des Joseph war auch sehr genau, denn sie mußte wieder ihr Geld pünktlich alle Vierteljahre an den Hausherrn abführen. Nur der Schneider und Schuster des Joseph hatten Räson und Geld genug, um dem geldlosen Praktikanten Kredit geben zu können. Sie belästigten ihn nie mit einer Silbe, er solle nur kommen, sagten sie, wenn er etwas brauche; mit der Bezahlung sei es nicht so heikel. Sie waren aber auch noch Gewerbsmänner aus den alten Zeiten, wo der Innsbrucker auf ein ehrliches Gesicht und auf ein Wort etwas hielt; damals gab es noch keine Gewerbefreiheit und Gewerbsschwindel, der ehrliche Bürger war behäbig und im Wohlstande, er war in seinem Gewerbe geschützt, konnte leben und ließ leben, ja des Josephs Schneiderlein, das einst als armes Bauernbüblein vom Oberlande kam, schätzte man über 30 000 Gulden, und dennoch war jeder Kreuzer ehrlich erworben. Das von Joseph einmal so sehr bewunderte Fräulein Pepi war des ehrsamen Schneiders Tochter, er hatte sie noch einmal flüchtig als Praktikant gesehen, als er zu ihrem Vater gekommen war, Kleider anzuschaffen. Er erkannte sie schnell wieder, und auch diesmal errötete sie, als sie ihm auf der Türschwelle begegnete. Und ihr Bild tauchte sich noch einmal in seine Seele.

Geld brauchte also Joseph, um wenigstens Kost und Quartier für das geldlose Praktikantenjahr bestreiten zu können. Im nächsten Jahre hoffte er wenigstens dieser Sorge enthoben zu sein, denn da war er ja beim Landgerichte in Großkirchen in dem elterlichen Hause; diese Zufluchtsstätte hatte ihm der Vater freiwillig angeboten. Für jetzt wollte er den Vater nicht belästigen, und sohin blieb kein anderes Mittel, als an einen guten Freund oder Verwandten sich zu wenden.

Da schrieb dann Joseph mehrere Briefe an Freunde und Verwandte, worin er um ein unverzinsliches Darlehen von 60 Gulden für einige Jahre dringend bat. – Gott werde ihre Liebe vergelten.

Doch da kam entweder gar keine Antwort, oder es fing der Brief mit den Worten an: »Es tut mir herzlich leid« usw. Da wußte Joseph schon, wieviel Uhr es geschlagen hatte; er legte den Brief traurig beiseite, ohne ihn zu Ende zu lesen, denn er kannte dergleichen hohle Ausreden schon auswendig.

Joseph hatte reiche Vettern, und bei des Hans Primiz flossen sie im Freude- und Weinestaumel vor Freundschaft, Liebe und Vetterschaft über, aber jetzt war dieses schon alles wieder vergessen; ein Praktikant feiert ja keine Primiz, und die Spategger sind alle ziemlich knauserisch, und erst gar die lieben Taler einem Bauernschinder anhängen, das wäre eine Torheit, an ein Zurückzahlen wäre so nicht zu denken, denn das Beamtenvolk steckt so überall tief in Schulden, und es ist von ihnen nichts mehr herauszukriegen. So dachten die Verwandten Josephs.

So sah Joseph mit Bangen dem 1. Oktober des Jahres 1847 entgegen. Was sollte er dem Koch Michel sagen, wenn dieser bittere Zahltag kommt und er nichts im Sacke hat; denn 4 Gulden muß er seinem Zimmerbuckel geben, und dann ist noch das elende Restchen von 2 Gulden, und aus 2 Gulden kann niemand 7 Gulden 14 Kreuzer machen. Dem Joseph ging das Kriminal-Vorträgemachen in der Kanzlei gar nicht von der Feder. Da klopfte auf einmal, gerade bevor Joseph zum Mittagtische gehen wollte, jemand an der Kanzleitüre. Über das Herein kommt der schwerbepackte Postbote und fragt nach Herrn Joseph N. Der bin ich, sagte Joseph, wieder eine Depesche mit einer langen Nase, wird wohl die letzte sein, denn der Termin, den ich in meinen Bettelbriefen ausgesetzt habe, ist mit dem heutigen Tage vorbei; das wird einen verzweifelten 1. Oktober abgeben.

Unterschreiben Sie dies Rezepisse, sagte der Postbote, 2 Kreuzer sind dafür zu bezahlen, und mit dem Rezepisse legte er eine schwere Rolle mit Geld auf den Schreibtisch hin.

Wie ein Blitz überfliegen Josephs Augen das Rezepisse, 66 Gulden R.-W. steht darauf; Joseph unterschreibt, und mit einem »Guten Morgen« war der geflügelte Postbote dahin. Der Postbote war kein Engel, Joseph kannte ihn ganz gut als einen Menschen, und doch war er dem Joseph ein wahrer Engel.

Aus vollem Herzen sagte er: Dank dir, lieber guter Gott, und dir, selige Jungfrau; ja, wo die Not am größten ist, ist die Hilfe am nächsten. Nun kann ich ruhig dem ersten Oktober entgegensehen. Ich bin fürs ganze Jahr gedeckt.

Das Geld, in harten Kronentalern bestehend, war von einem alten Studienfreunde, der aber, als sein Vater starb, die Ökonomie übernahm. Er war in den Studien ein Jahr nach Joseph gewesen, und Joseph konnte diesen Menschen anfangs gar nicht leiden, weil er selten etwas sprach, und wenn er sprach, die Leute immer mit scharfem Spott geißelte, so daß seine Worte oft tief verletzten; ja niemand unter allen Studenten in Hall liebte seine Gesellschaft. In Innsbruck aber lernte Joseph diesen trockenen und bissigen Menschen näher kennen, nachdem er seine Abneigung gegen ihn mit Gewalt niedergekämpft hatte. Er fand, daß er wohl ein wortkarger Patron sei, aber daß in der spitzigen, harten, bitteren Nußschale denn doch ein süßer Kern stecke.

In der Not dachte Joseph an eine Äußerung, die dieser einmal gemacht hatte; er hatte nämlich gesagt, wenn Joseph Geld brauche, wolle er ihm eines leihen, er habe dessen. Joseph nahm ihm damals keines ab, aber jetzt wäre so der rechte Zeitpunkt gekommen, und darum hatte Joseph auch an diesen um Hilfe geschrieben. Von ihm hätte Joseph am wenigsten etwas erwartet. So kann man sich in den Personen täuschen! Der schroffe Mensch hatte das mitleidigste Herz. Er schrieb dem Joseph, daß er das Geld ohne Zinsen haben könne, und nur wenn es einmal leicht sein könne, solle er das Geborgte zurückstellen.

Im unruhigen Jahre 1848 machte Joseph seine Kriminalpraxis zu Ende und bestand die Prüfung mit gutem Erfolge.

Mit welchem Gefühle zog er von Innsbruck weg, wo er mit so vielen Entbehrungen und Mühseligkeiten durch sechs volle Jahre gekämpft hatte. Gottlob, sie waren jetzt vorüber, nun wird er doch vor ärgster Not in seiner Heimat geborgen sein, und ganz gerne schüttelte er den Stadtstaub von seinen Füßen. Er hatte keine Schulden zurückgelassen, als jene bei seinem Schneider und Schuster, und diese versprachen ihm beim Weggehen, ihn mit keinen brieflichen Betreibungen zu belästigen.

Vor seiner Abreise besuchte er noch das Lieschen, um zu sehen, ob er nicht vielleicht ein Brieflein für den Alois mitnehmen oder aber doch wenigstens Grüße bringen solle.

O, der Alois, sagte Lieschen traurig, scheint uns ganz vergessen zu haben, bereits sind es drei Monate und sieben Tage, daß er keinen Buchstaben schrieb, und wenn er schreibt, sind seine Briefe so kurz, kaum etliche Zeilen. Alle haben es gleich, aus den Augen aus dem Sinn. Ich schreibe ihm nicht, aber sagen Sie ihm, daß es nicht schön von ihm sei, seine langjährigen Hausgenossen so zu vernachlässigen. Herr Joseph, ich fürchte –

Joseph: Was fürchten Sie?

Lieschen: Daß wir ihm zu schlecht sind. Freilich ist mein Vater nur ein armer Taglöhner, und ich habe außer meiner Hand kein Vermögen. Hätte ich doch an den Alois nie gedacht, aber die Mutter hat ihn in mein Herz gesetzt. – O, sagen Sie dem Alois nichts – schreibt er, gut! – schreibt er nicht, so bleibt mir armen Mädchen nichts übrig, als meine Unerfahrenheit zu beweinen. Der Alois hat keine Schuld; er hat mir nichts gesagt, nichts versprochen; die Mutter hat es getan, und ich Törin glaubte es so gerne. Ja, grüßen Sie mir den Alois recht stark; ich aber werde zu dulden und zu entsagen wissen; die heilige Jungfrau möge mir dazu die Stärke geben.

Joseph hatte mit Lieschen herzliches Mitleid, ja die Mutter war daran schuld, sie hatte in Lieschens Herz Hoffnungen geworfen, die in weiter Ferne waren, ja vielleicht gar nie zur Wahrheit werden würden.

Waren Sie bei der Pepi Abschied nehmen? fragte Lieschen, wie mit Gewalt das Gespräch auf einen anderen Gegenstand leitend.

Was sollte ich bei der Pepi«, sagte Joseph, rot werdend, habe ich ja mit ihr noch nie ein Wort gesprochen.

Und doch scheint Sie die Pepi mehr anzugehen als irgend jemand in der Stadt, sie erkundigte sich oft um Sie, sagte aber, ich solle nichts davon sagen; nun gehen Sie auch fort, jetzt kann ich es schon sagen.

Nein, sagte Joseph, bei der Pepi nehme ich nicht Abschied; was hätte ich ihr zu sagen? was sollte sie für ein Interesse daran haben? Höchstens dieses, daß ich etwa ihrem Vater nicht mit Schulden durchbrenne.

Und doch hat sie sich für Sie mehr interessiert, als Sie glauben; sie hat gesagt, daß Sie nicht seien wie andere Juristen, so keck und ausgelassen, Sie hätten noch Religion, und das gefalle ihr an Ihnen am meisten.

Weiter sage ich Ihnen nichts mehr, sie würde so mich schmähen, wenn sie wüßte, daß ich Ihnen dieses gesagt habe; also leben sie wohl!

Das, was Lieschen dem Joseph gesagt hatte, ging ihm lange im Kopfe um, doch er hielt es nur für ein Gerede Lieschens, und in Großkirchen vergaß er auch das.

Freund Niger hatte ihn noch bis Kranebitten begleitet und gratulierte ihm, daß er die ärgsten Leidensjahre nun endlich doch hinter sich habe.

Nun waren in des Nuiters Hause zwei hungrige Praktikanten, die wohl am Tische mitaßen, aber verdienen konnten sie wenig oder nichts, und doch zählten sie schon über 25 Jahre. Der Nuiterbauer sagte zwar nichts, daß ihm seine erwachsenen Söhne zur Last fielen, jedoch die inzwischen herangewachsenen Töchter waren schon so unverständig und unzart, dieses ihren Brüdern vorzuwerfen. Wäret ihr Bauern geworden, sagten sie, so stünden wir im Hauswesen auch besser, und wir Mädeln bekämen auch mehr, so aber zehret ihr von unserem Erbteil. Solche Reden taten dem Alois und Joseph in der Seele weh, denn wie gerne hätten auch sie Geld verdient, aber sie konnten es beim besten Willen nicht.

Pater Brundusius jedoch konnte, wenn auch als armer Kapuziner, den Eltern helfen; er hatte wöchentlich zwei Freimessen, und der Nuiterbauer konnte alljährlich an der Klosterpforte zu Großkirchen von seinem Sohne 50 Gulden abholen. Also der arme Kapuziner war eigentlich reicher als die zwei Konzeptspraktikanten.

Endlich schlug auch für Alois die glückliche Stunde, daß er nicht mehr unentgeltlicher Konzeptspraktikant sein sollte. Im fünften Jahre seiner Praxis bekam er endlich das Adjutum von 200 Gulden.

Zweihundert Gulden sind für einen Beamten wohl gar wenig, doch nichts ist noch weniger, und der Nuiterbauer machte ein gar vergnügtes Gesicht, wie ihm Alois das erstemal 12 Gulden als monatliches Kost- und Quartiergeld aufzählte und dennoch keine andere Kost als die Bauernkost verlangte.

Joseph beneidete den Alois als einen Glücklichen, denn noch hatte er von der Staatskasse für eine dreijährige, gar mühselige Dienstleistung keinen Zentesimo bekommen, und doch belief sich die bei dem Schneider und Schuster in Innsbruck erwachsene Schuldenlast schon auf 200 Gulden, und sie gab ihm manchen Augenblick der Unruhe.

Das Jahr 1848 hatte in das Beamtenwesen eine ganze Konfusion gebracht. Es hatte anfangs den Anschein, als wollte man alle Staatsbeamten abschlagen oder sie samt und sonders über Bord werfen; die Bauern wollten sich selbst regieren, niemand wußte mehr, wer Koch oder Kellner, wer Herr oder Diener sei. Alle Beamten schauten zitternd in die Zukunft, denn von allen Seiten her brüllte der Aufruhr, und selbst das einst so ruhige Großkirchen fühlte das Nachzittern der Revolution in den Hauptstädten.

Man verweigerte die Militärlosung, und der Beamte stand ohnmächtig unter den widerspenstigen Haufen da und erntete Spott und Hohn; dazu noch die große Geldentwertung.

Am Tage, wo die Jünglinge in Großkirchen hätten das Los zum Militär ziehen sollen, ging es dort gar lärmend zu; die Jünglinge erschienen wohl samt ihren Vätern bei dem Landgerichte, aber sie erklärten, daß sie auf keinen Fall losen, sie wüßten nicht für wen; es wäre ja gar keine Regierung.

So blieb den Landgerichtsbeamten nichts übrig, als ein Fehlprotokoll aufzunehmen und es an das Gubernium einzusenden, denn nicht ein Mann Militär war zu haben, alles stand auf den Schlachtfeldern in Italien.

An diesem Tage nun war es, wo drei kecke Burschen aus Großkirchen vor das Nuiterhaus kamen, wissend, daß hier auch zwei Landgerichtsherren residierten. Sie hatten auf einem Schubkarren einen großen Hackstock und ein Beil und riefen laut: »Das Beamtenfleisch um 3 Kreuzer, das Pfaffenfleisch um 4 Kreuzer; wer kauft's?«

Da brach endlich dem Joseph der Geduldfaden, er trat vor das Haus, obgleich ihn die Mutter, vor Todesschrecken fast außer sich, zurückhalten wollte.

Was sagt ihr, sprach er, ihnen entgegengehend, was hat das zu bedeuten? Pfui, schämt euch, ihr Großkircher, so etwas hätte ich von euch nicht gedacht!

Die drei Burschen zogen schweigend von dannen und belästigten das Nuiterhaus nicht mehr.

Mangel an Tatkraft ließ den Ruhestörern ihren Kamm höher wachsen, und noch mancher Exzeß fiel in Großkirchen vor, aber als endlich die österreichischen Heere in Italien gesiegt hatten, da kehrte auch in Großkirchen die Ruhe bei den Bürgern wieder, man sah ein, daß es Herren und Untertanen geben müsse, wären ihnen ja sonst selbst die vielen Tauge- und Habenichtse über den Kopf gewachsen. Die Stellung von Alois und Joseph in jener Zeit war gewiß nicht angenehm.

Nun kam der Rückschlag; es kam die Zeit der Organisierung und Vielregiererei. Neue Ämter wurden errichtet, ganz unbekannte Personen kamen zu hohen Beamtenstellen; den zwei Nuiterpraktikanten wurde auch gar vieles versprochen, aber nachdem alles besetzt war, waren Joseph und Alois leer ausgegangen; dem Alois gelang es endlich, eine Konzeptsadjunktenstelle mit 400 Gulden zu erhalten, während Joseph gar nicht wußte, was er eigentlich nun sei. Er wußte nicht, gehöre er zum Bezirksgerichte oder zum Bezirkskollegialgerichte oder wohl gar zur Bezirkshauptmannschaft.

Er war schon sechs Wochen bei dem Bezirkskollegialgerichte, und sein Amtsvorstand kannte ihn nicht einmal und meinte, er wäre ein Kanzleipraktikant, die gar keinen Wert haben; ja dieser Mann wußte ihm nicht einmal zu sagen, ob seine dreijährige Dienstzeit gelte, ja er hielt dafür, daß diese verloren sei und er neu anzufangen habe. Das war denn doch gar zu arg.

Joseph war halb in Verzweiflung; er 27 Jahre alt, und noch nicht einmal am Anfange des Anfangs.

Da erhielt auf einmal Joseph den Befehl, sich zum Bezirksgerichte Brenndorf zu begeben und dort die restierenden 800 Forstexzesse aufzuarbeiten. Dagegen mußte er ein Protokoll unterzeichnen, daß er sich mit einer Diät von täglich 1 Gulden zufrieden stellen wolle. Gebühr wäre 1 Gulden 36 Kreuzer gewesen, aber große Herren wollen bei den Mindern sparen; Joseph mußte es annehmen, da er sich sonst zu seiner Beförderung den Weg versperrt hätte. Er übersiedelte nach Brenndorf und bekam 50 Gulden Vorschuß. Das war der erste Verdienst Josephs aus der Staatskasse; aber diesen sollte er sauer verdienen, und auch er sollte ihm noch geschmälert werden.

In Brenndorf war es teuer zu leben, denn es wimmelte damals dort von Militär, das nach Schleswig-Holstein bestimmt war.

Das Geschäft Josephs war hier ein sehr verdrießliches, denn er sollte nun alle jene Holzdiebe zur Strafe ziehen, welche man seit dem Jahre 1847 ungestraft hatte laufen lassen. In den Zeiten des Jahres 1848 hatte der Bauer geglaubt, die ärarische Waldung sei eines jeden Eigentum, der nur wollte, und sohin fällte jeder Holz nach Belieben. Den Forstwarten blieb nichts anderes übrig, als schweigend zuzusehen und es zu notieren. Da sich nun das Blättchen wieder gewendet hatte, so wollte man nun mit aller Strenge vorgehen. Die Forstwarte sandten an die Bezirksgerichte ellenlange Listen von Forstexzedenten ein; nun war die Zeit der Vergeltung gekommen, und Joseph sollte nun gegen den täglichen Gulden den Bullenbeißer machen und alle 800 Holzdiebe des Brenndorfer Bezirkes würgen. Ein schönes Geschäft.

Mit Unwillen machte sich der junge Konzeptspraktikant an die Riesenarbeit; in vier Monaten hatte er dieselbe vollendet und die vielen Strafurteile vollstreckt.

Nur einen Vorfall von den vielen will ich hier den Lesern vorführen, um zu zeigen, welch liebliches Geschäft Joseph hatte.

Auf den 22. und 23. Dezember waren 66 Holzdiebe aus S... vorgeladen. Am ersten Tag kam niemand. Am zweiten Tag entstand auf einmal im Vorsaale des Gerichtshauses ein entsetzliches Stampfen von grobgenagelten Schuhen, ein arger Tumult. Endlich klopft es an der Türe des Amtszimmers, in dem Joseph sich befand. Es war, als hätte man mit dem Fußabsatze angeklopft.

Herein! rief Joseph, voll Neugierde seinen Kopf nach der Türe wendend, um zu sehen, wer die höflichen Gäste wären.

Da füllt sich das ganze Amtszimmer mit Männern, alle in Lodenjoppen gekleidet, 65 an der Zahl, von denen viele ihre Hüte auf dem Kopfe sitzen ließen. Voran schritt als Führer und Sprecher ein fast drei Ellen hoher Mann mit braunem, verwildertem Gesichte.

Jetzt sind wir da, sagte er, mit der Faust auf den Schreibtisch des Joseph hineinschlagend, so daß das Tintengefäß in die Höhe sprang.

Joseph: Seid ihr aus S...?

Sprecher: Ja.

Joseph: Warum sind jene, die auf gestern vorgeladen waren, nicht gekommen?

Sprecher: Der Weg war uns zu schlecht, aber heute sind wir alle da bis auf den alten Fuchs, der krumm ist.

Joseph: Recht. – Nun geht aber inzwischen in den Vorsaal; ich werde jeden einzeln vorrufen und vornehmen.

Sprecher: Draußen ist's uns zu kalt. Wir bleiben hier – mitgestohlen, mitgehangen. – Ihr Herren zieht, weil ihr nun euch wieder zu rühren getraut, den alten Plunder wieder hervor. Im Jahre 1848 tat von euch keiner ein Maul auf, jetzt steigt ihr wieder auf unseren Köpfen herum!

Joseph: Spricht man so in einer Kanzlei? Jetzt geht ihr hinaus und wartet, bis jeden die Reihe trifft, und mit Ihnen, sagte er zu dem Sprecher gewendet, werde ich dann schon abrechnen.

Sprecher: Wir gehen nicht! – Mitgestohlen – mitgehangen.

Der Gerichtsadjunkt, der auch seinen Amtssitz in des Josephs Zimmer hatte, wurde blaß wie eine Mauer; denn noch waren es nicht drei Monate her, wurde in eben diesem Zimmer der Forstadjunkt in Gegenwart des Gerichtsadjunkten von den Bauern auf die Wand hinaufgewürgt. Er befürchtete, daß nun Ähnliches an ihm und Joseph geschehen möchte; er war gespannt, was nun der junge Konzeptspraktikant tun werde.

Joseph zog, ohne ein weiteres Wort zu sagen, an der Klingel. Der Gerichtsdiener trat ein und drängte sich durch die Bauern zu Joseph hin. – Was befehlen Sie? fragte zitternd der Gerichtsdiener.

Gleich, sagte Joseph, der einen Bogen Papier hernahm und etwas schrieb. Dann versiegelte er das Papier mit dem Amtssiegel. Die Bauern schauten schweigend zu, neugierig, was nun etwa kommen werde.

Da Johann, sprach Joseph, dem Gerichtsdiener das versiegelte Papier übergebend, bringen Sie dieses dem hiesigen Chevauxlegersoberst, und sagen Sie ihm, ich lasse ihn ersuchen, er möchte die 40 Mann, um die ich in dieser Depesche schreibe, gleich schicken, es sei höchste Gefahr; die Männer sollen mit gezogenen Säbeln und geladenen Karabinern kommen, dann werden wir sehen, ob wir eine solche aufwieglerische Kanaille nicht zu Paaren treiben.

Vierzig Mann, Säbel, geladene Karabiner, das waren Worte, die auf die anwesenden Bauern wie ein Donnerschlag wirkten. – Das hatten sie nicht erwartet, sie hatten nicht daran gedacht, daß es jetzt nicht mehr sei wie vor drei Monaten; denn damals war in ganz Nordtirol kein Mann Militär zu sehen, und jetzt steckten im Inntale und Vorarlberg allein 32 000 Mann und zu Brenndorf auch mehr als 200 kriegsgerüstete Reiter; Leute genug, um ein paar verrückten Bauern die Köpfe zurechtzusetzen.

Wie der Gerichtsdiener Miene machte, den Befehl Josephs auszuführen, schlich sich ein Bauer nach dem andern zur Türe hinaus, und der Sprecher stand noch allein da.

Geben Sie mir die Depesche zurück, sagte Joseph zum Gerichtsdiener, es hat nicht not, sie abzusenden; sperren Sie dies Großmaul inzwischen für seine Grobheit und Aufhetzerei ins Loch, und morgen früh um 8 Uhr stellen Sie mir ihn zum Verhör!

Schweigend ließ sich der Sprecher in den Arrest abführen.

Nun heißen Sie mir die Bauern nacheinander hereinkommen, sprach Joseph zu dem Gerichtsdiener.

Und keiner der 64 getraute sich mehr, ein Wörtchen zu sagen, alle unterzeichneten willig ihr Strafprotokoll, keiner meldete den Rekurs an.

Der Sprecher war wegen seiner Holzdiebstähle außer den 24 Stunden, die er für sein unanständiges Benehmen im Amte abgesessen, noch zu 14 Tagen Arrest verurteilt, und zudem sollte er noch 40 Gulden Schadenersatz ans hohe Ärar zahlen.

Ich weiß eine Kreisregierung in Innsbruck, drohte der Mann, ich nehme dies Urteil nicht an.

Ja gehen Sie nur hin, sagte Joseph.

Wirklich kam nach zwei Tagen ein Dekret der k. k. Kreisregierung an das löbl. k. k. Bezirksamt Brenndorf, worin es hieß: Konzeptspraktikant Joseph N. habe sich über sein Benehmen gegen N. N. am so und so vielten augenblicklich zu verantworten.

Darf nur ein beliebiger Bauer zur Kreisbehörde laufen und sich über einen armen Landgerichtsbeamten beklagen, da heißt es gleich: Augenblicklich rechtfertigen, und jedem hergelaufenen Gimpel glaubt man alles aufs Wort.

Joseph schrieb keine Rechtfertigung, sondern er schickte das Strafprotokoll, worin er den ganzen Vorfall aufgenommen hatte, ohne weitere Bemerkung an die hohe Kreisregierung, und die Kreisregierung verwarf den Rekurs des Klägers auch ohne weitere Bemerkung gegen Joseph. Die Herren in Innsbruck werden nach Einsicht des wahren Sachverhaltes wohl ein wenig die Nase gerümpft haben. So hatten nun eigentlich sie die Nase, die dem Joseph zugedacht war.

Der Sprecher mußte seine 14tägige Arreststrafe antreten. Nach acht Tagen ließ er sich von Joseph eine Audienz erbitten.

Joseph gewährte sie ihm, und der Sprecher bat, Joseph möchte ihn die andern sechs Tage später ausstehen lassen, da sein Weib, wie er heute hörte, entbunden worden wäre.

Seht Ihr, Freund, sprach Joseph, wenn Ihr früher so manierlich geredet hättet, so wäret Ihr viel gnädiger durchgekommen. Da Ihr jedoch Eueren Fehler einsehet, so will ich Euch die sechs Tage als ausgestanden einschreiben.

Merkt Euch aber und sagt es Euren Landsleuten, daß, solange die Welt steht, die einen befohlen, die anderen gehorcht haben.

Die Forstexzedenten waren endlich abgewandelt, die Protokolle geschlossen und die Strafgelder mit Verzeichnis an das Steueramt abgeführt. Joseph hatte zu dem ganzen mühsamen und verdrießlichen Geschäft 134 Tage gebraucht und hätte somit gemäß protokollarischer Übereinkunft dafür 134 Gulden erhalten sollen.

Die Verwendung des Joseph durch diese Zeit beim k. k. Bezirksgerichte in Brenndorf wurde amtlich bestätigt, mit dem Operationsauszuge an die Kreisregierung eingeschickt, und dem Joseph hätte das Geld bei der Kasse angewiesen werden sollen.

Aber Dank dem schnellen Geschäftsgange der Oberbehörden, Joseph war schon wieder zwei Monate in Großkirchen und wartete mit Sehnsucht auf die Geldanweisung; denn er hatte, da der Vorschuß von 50 Gulden nicht weit reichte und er in Brenndorf ehrlich dastehen und Kost und Quartier bezahlen wollte, in Großkirchen Geld aufleihen müssen. Doch nie kam eine Anweisung, und als Joseph es bei einem Rate betrieb, sagte er, daß er es gänzlich vergessen habe, es liege schon auf seinem Schreibpulte. Aber der Herr scheint es nochmals vergessen zu haben, es betraf ja nur die Sache eines Konzeptspraktikanten auf dem Lande, es verstrichen vier Monate und Joseph hatte noch nichts.

Da wurde Joseph fuchtig, er sagte seinem Amtsvorstande, daß es bei solchen Verhältnissen kein Wunder wäre, wenn endlich ein armer Praktikant zur Verzweiflung gebracht, zu Prellereien und Unterschlagungen greife, man zwinge ihn ja fast dazu. Er habe jedoch, Gott sei Lob, das Geld, dessen er so viel ohne Kontrolle in Händen gehabt und ohne Gefahr der Entdeckung hätte unterschlagen können, alles ehrlich ausgeliefert, jedoch sei ihm der jetzige Zustand unerträglich, er werde bald eine Änderung treffen und etwa Straßenräumer oder Taglöhner werden müssen, dann habe er doch für seine Arbeit den gebührenden Lohn.

Der Vorstand zuckte die Achseln und ging.

Zum Überflusse kam noch von dem Gerichtsdiener in Brenndorf ein Brief an Joseph dieses Inhaltes: Machen Sie mich nicht unglücklich – Sie haben schurkisch gehandelt. Sie haben 4 Gulden von den Strafgeldern in den Sack gesteckt; sie sind noch als ausständig im Protokoll verzeichnet, und als ich zu den Parteien sie zu fordern kam, wiesen sie mir die Bestätigung vor, daß sie bezahlt haben. Natürlich muß ich der Dieb sein, da doch Sie das Geld nicht abgeliefert und eingesteckt haben. Schicken Sie die 4 Gulden mit umgehender Post, sonst bin ich genötigt, den wahren Sachverhalt dem Bezirksrichter anzuzeigen, eine Kriminaluntersuchung gegen Sie kann dann nicht ausbleiben.

Das ginge mir auch noch ab, rief Joseph, den Brief in Stücke zerreißend und die Fetzen in den Papierkorb werfend. Da fehlt in der Rechnung kein Pfennig, viermal habe ich sie durchgesehen und erst dann das Geld an das Steueramt abgeführt. Immer besser! Möchten die Herren nur in den Protokollen nachsehen, aber das ist ihnen zu mühsam, 885 Urteile durchzusehen, und habe ich es doch so schön verzeichnet!

Alle Tage erwartete Joseph den Auftrag, sich über die 4 Gulden in Brenndorf zu rechtfertigen, er sah im Geiste schon eine Untersuchungskommission zu Brenndorf, doch die 4 Gulden schickte er nicht, denn er hatte keine Schuld; es muß da ein Irrtum obwalten.

Da kommt eines Tages eine amtliche Depesche von Innsbruck. Mit zitternder Hand öffnet sie Joseph, schnell durchfliegt er sie; doch allmählich wird Josephs Herz ruhiger, es steht nichts von der gegen ihn angedrohten Untersuchung, sondern es wird ihm eine Konzeptspraktikantenstelle bei einem politischen Amte in Innsbruck mit dem jährlichen Adjutum von 300 Gulden angetragen. Binnen acht Tagen soll er antworten.

Endlich, sprach Joseph, dem gleichsam ein zentnerschwerer Stein vom Herzen gewälzt wurde, endlich haben die Jahre der Not, des Elends und des Kummers ein Ende, endlich fängt es nach so langer Nacht auch bei mir zu tagen an, ich darf nun niemand mehr zur Last fallen, ich kann meine Schulden bezahlen.

Gleich setzte er sich und schrieb: Ich nehme es an, über acht Tage bin ich in Innsbruck, um mich zu stellen.

Bevor Joseph zu dem Mittagessen ging, trat er in das Zimmer des Amtsvorstandes und sagte: Herr Präses, heute haben Sie mich zum letzten Male hier gesehen, nachmittags komme ich nicht mehr.

Präses: Was treibt Sie zu diesem verzweifelten Entschlusse?

Joseph: Nichts als eine anderweitige Anstellung, ich bitte um meine Enthebung.

Präses: Sie werden doch uns nicht verlassen, wir haben die Hände voll Arbeit, Sie sind einer der flinksten Arbeiter. Sie sind an der Schwelle des Adjutums.

Joseph: Das war ich schon lange, blieb aber immer hübsch vor der Türe. Haben ist besser als Hoffen, Sie werden mir recht geben müssen.

Als ihm Joseph die Depesche zeigte, konnte er vernünftigerweise nichts dagegen sagen. Er mußte, so ungern er es tat, dem Joseph die Enthebung zusagen.

Mit ganz anderen Gefühlen eilte Joseph seinem Vaterhause zu, als er es verlassen hatte. Er schien mehr zu fliegen als zu gehen, allen Begegnenden hätte er gern seinen Herzensjubel mitgeteilt, selbst die Natur kam ihm viel schöner, viel freundlicher vor.

Wohin, wohin so eilig? rief ihm Advokat K. zu, als er soeben die Straße hinaufeilte.

Nach Hause, sagte Joseph.

Advokat: Lassen Sie ein paar Worte mit Ihnen reden!

Jawohl, sprach Joseph.

Wie wäre es denn, sagte Doktor K., wenn Sie bei mir als Konzipist eintreten würden, ich gebe Ihnen monatlich 30 Gulden und strecke Ihnen die Rigorosen vor, später gebe ich Ihnen &#8531; Prozent der Aktenstücke, die Sie bearbeiten. Beim Bezirksgerichte bleiben Sie ein ewiger unentgeltlicher Praktikant.

Ist mir leid, sagte Joseph, daß ich es nicht früher wußte, ich habe aber heute eine Konzeptspraktikantenstelle mit 300 Gulden Adjutum in Innsbruck angenommen. Es ist schon geschehen, und abschreiben mag ich nicht mehr.

So wäre Joseph auf einmal zu Wert gekommen. Er blieb bei seiner ersten Zusage.

Bevor er noch in das Vaterhaus trat, stieg er die Stufen zur Muttergottes in die Totengruft hinab und dankte dort seiner lieben alten Bekannten, der Himmelsmutter, und dieser Dank kam gewiß von tiefstem, gerührtestem Herzen. Dann aber ging er noch auf das Grab der alten Mesnerin, die schon lange unter der Erde moderte. Er betete auch ihr ein Vaterunser und sprengte ihr Weihwasser. Du hattest wohl recht, sagte er zu ihr ins Grab hinab, als du sagtest, der Joseph werde noch glücklich werden. Jetzt bin ich es.

Vater, Vater, schrie Joseph, als er in seiner Heimat zur Stube hereintrat, freut Euch mit mir, jetzt hat meine Not ein Ende, ich habe eine Anstellung mit 300 Gulden!

Da machte der Nuiterbauer ein Paar große Augen her, er lächelte gar minniglich und fragte: Ist's wahr?

Joseph: Ich habe es schwarz auf weiß; ich komme nach Innsbruck.

Hast lang warten müssen, Joseph, redete der Nuiterbauer weiter, ich gönne es dir herzlich, du hast mich oft erbarmt, wenn du, der du doch etwas vorstellen solltest, keinen Kreuzer Geld im Sacke hattest und ich leider auch nicht in der Lage war, dir zu helfen. Immer ist noch nach schlechtem Wetter wieder Sonnenschein gekommen; bei dir war halt das Wetter ziemlich lang gar trübselig. Und die ganze Familie freute sich mit Joseph.


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