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III.
Die Vakanz

Noch um diese Ecke des Hügels, dann müssen wir das erste Haus von Großkirchen sehen, sagte Alois zu seinen Kameraden. Sie waren jetzt um vieles stiller geworden; denn sie hatten auf dem ganzen Weg durchs Inntal herauf wacker gesungen und gejauchzet; ihre Stimmen waren rauh geworden. Aber auch ein anderer Grund trug zu ihrer Stille bei; jeder malte sich im Herzen die Freude des Wiedersehens aus.

Der Damasig, der Damasig, riefen jetzt alle wie mit neuer Stimme. – Damasig war ein kleines Bierhäuschen außer Großkirchen, wo man meistens guten grauen Käs und gutes Bier bekam. Ha, seht ihr den schlanken Turm der Pfarrkirche und dort oben unser Haus, meine Heimat, so rief Alois mit vor Freude strahlendem Gesichte. Der Rauch steigt aus dem Kamin empor; die Mutter wird eben auf die Nacht kochen; unseren Obstgarten sehe ich auch und den hohen Zuckerbirnenbaum, wo ich einmal herabgefallen bin. –

Grüß Gott, Grüß Gott, Herr Alois, sind Sie gewachsen, aber wie Sie gut ausschauen, so sprach der Gurgelwirt aus seinem Wirtshause am Bache tretend, die grüne Samtmütze in der Hand. Ein kleines Rästchen wird den Herren nicht schaden, kehren Sie zu, alle Großkircher sprechen bei mir ein, bevor sie nach Großkirchen hinansteigen. Ich habe einen ausgezeichneten Roten. Das schelmische Wirtlein lächelte dabei so freundlich, so einladend, daß das junge Studentenvolk nicht mehr widerstehen konnte; einen Sechser hatte wohl noch jeder im Sacke, selbst Alois, der sonst mit seinem Gelde sehr kargen mußte und meistens auf dem Hunde war.

Alois wäre freilich gerne auf Flügeln in die Arme seiner Eltern geeilt, aber Großkirchen ist eine sehr lange Ortschaft, und des Alois Heimat lag zum Unglücke gerade zu oberst, und da alle Dörfler und Kleinstädter sehr neugierig sind und natürlich die Großkircher auch, so fürchtete Alois, durch ganz Großkirchen mit großen Augen angesehen, mit tausend Fragen belästigt und mit »Grüß Gott!« überhäuft zu werden. Er zog daher vor, die Nachtzeit abzuwarten und seine Leute unvermutet zu überraschen.

Seine Reisekameraden waren noch weiter droben im Oberlande, sie waren müde und wollten beim Gurgelwirtchen über Nacht bleiben, denn das Gurgelwirtshaus war im ganzen Tale im Renommee, und die Studentlein hielt der Wirt immer extra gut.

Herr Alois, ein Seitel trinken Sie wohl, soll Ihnen nichts kosten, fuhr das Wirtlein fort, den Alois unter vielen Bücklingen ins Herrenzimmer führend.

Ins Herrenzimmer war Alois sonst noch nie gekommen, auch hatte ihn das Wirtchen noch nie Herr tituliert. Alois fing fast an, sich etwas einzubilden. So ändern sich die Zeiten.

Als er noch vor einem Jahre als Bube mit den Kornsäcken zum Gurgler-Müller kam, da achtete ihn das Wirtlein gar nicht, und jetzt hat er sogar die Ehre, als Herr und im Herrenzimmer bewirtet zu sein. Hat vielleicht das Wirtlein gar schon Kenntnis, daß er der Dreizehnte geworden sei?

Freilich wußte er davon, denn in Wirtshäusern gibt es immer wandernde Telegraphen, die jede auch noch so unbedeutende Neuigkeit an den Mann bringen, und von den Studenten redet überhaupt das ganze Dorf gern. Ich gratuliere, sagte daher das Wirtlein, Sie sind sehr brav gewesen, ich habe es schon gehört, ich habe den Katalog gesehen.

Der Landrichter war eben auch da; sein Naz hatte gar einen Preis errittert; er ließ sich auch von Alois das Zeugnis vorweisen und ließ dafür in des Studentleins Hand fünf Zwanziger schlüpfen.

Dafür aber küßte Alois des Richters Hand, so hatte es ihn Trude gelehrt.

Auch einige Großkircher Bürger saßen an des Landrichters Tisch; auch sie wollten als gebildete Herren nicht hinter dem Landrichter bleiben, sie ließen sich auch das Zeugnis darreichen, schauten mit gar vornehmer Miene hinein, als ob sie auch Latein verständen, und jeder spendierte auch wenigstens seinen Zwanziger. (Damals waren noch die glücklichen Zeiten der Zwanziger.)

Brav, sagte der dicke Bäckermeister; brav, der behäbige Sonnenwirt; brav, der magere Lochmüller.

Alois schwamm in einem Elysium, und dieses Elysium erhöhte erst noch der gute Rote des Gurgelwirtes. Dennoch kam dem Alois vor, als ob heute die Sonne nicht hinter die Berge hinab wolle. Endlich rötete die Sonne nur noch die höchsten Bergspitzen um Großkirchen. Bald tönte von der Großkircher Pfarrkirche herab die dem Alois so wohlbekannte Ave-Maria-Glocke; die Abenddämmerung lagerte sich über das friedliche Tal, der Geißbube war auch schon mit seinen Geißen heimgezogen und der Kuhhirte mit seinen Sommerkühen auch.

Alois brach auf und nahm von den Herren und den Studentleins Abschied.

Gute Nacht, Herr Alois, hieß es, und nicht mehr: Nuiterlos, gehst du schon?

Um allen Begegnenden auszuweichen, ging Alois den Feldweg am Bache hinauf und machte einen weiten Umweg, um von oben herab in seine Heimat zu kommen. Es ging da freilich manchmal über Zaun und Hecken, doch Alois kannte ja jedes Weg- und Steglein und jede Hecke.

Nun war er an der Umzäunung ihres Obstgartens, wo er mit der Mutter im Herbste so oft Rotkröpfchen gefangen hatte. Das Hausdach seiner Heimat lag dunkel ihm zu Füßen; der Schleier der Nacht war schon über ganz Großkirchen ausgebreitet, nur hier und da flackerte ein Feuerchen auf dem Herde oder im Kamin aus der Häusergruppe heraus.

Alois schlich sich leise von dem Obstgarten an das Stadeltor. Es war schon verschlossen, Alois aber kannte das Geheimnis, wie man es öffnete; es knarrte ziemlich heftig in den Angeln, fast fürchtete das Studentlein, daß er gehört worden sei. Doch im Hause drunten blieb alles ruhig; wahrscheinlich war man bei dem Nachtessen. Jetzt geht jemand zur Stubentür hinaus der Küche zu. Alois rührte sich nicht. Endlich geht man wieder in die Stube zurück. –

Leise tappt er über die Stiege hinab, schon ist er an der Stubentüre und greift nach der Schnalle. Mit einem »Gelobt sei Jesus Christus, grüß Gott!« steht Alois mitten in der Stube.

Alles saß am Tische, so wie es noch vor zehn Monaten gewesen war; nur saß jetzt der Joseph an des Alois Platz in der Vertiefung.

Der Alois, der Alois, riefen jetzt alle, die Löffel weglegend und aufspringend; am Tische war auf einmal eine freudige Revolution entstanden.

Bist endlich da, lieber Alois, sagte die Mutter, dem Herzenskinde die Hand zum Gruße reichend und ihn mit Wohlgefallen betrachtend. Etwas schmächtiger, herrischer und zarter bist du geworden, Gott sei Lob, daß du gesund und da bist. Nun setze dich gleich. Wirst müde und hungrig sein. – Gleich werde ich dir etwas extra kochen, denn unsere grobe magere Kost wird deinem Herrenmagen nicht mehr recht behagen. Mit diesen Worten eilte sie in die Küche.

An das Essen dachte niemand mehr, man mußte den teuren Ankömmling nach Herzenslust anschauen. Nur die kleinen Schwestern standen scheu zur Seite und getrauten sich dem jungen Herrlein nicht recht zu nahen, denn das war ja der alte Alois nicht mehr, er sprach ganz anders als vormals und war vornehm gekleidet; doch als Alois auch ihnen die Hand gab und die kleine Theres gar auf den Schoß nahm, da wurden sie zutraulicher, und bald schlang die kleine Theres ihr Ärmlein um des Alois Hals.

Er aber griff in sein Ränzchen und holte Weißbrot heraus und reichte jedem der Schwesterchen ein halbes Pärchen; dem Joseph gab er ein schönes Federmesserlein, dem Hans ein Sackmesser mit rotem Holzhefte, dem Vater ein Röllchen schönen gelben Hanauer Tabak, für die Mutter legte er ein schönes Buch, »die Betrachtungen des allerheiligsten Altarsakramentes«, von A. Liguori, welche sie so oft sich gewünscht hatte, hin auf den Fensterbalken. Welcher Jubel und Freude herrschte nun im Nuiterhause! Der Vater schnitt gleich ein Stück von der Hanauer Tabakrolle herab, zerriß es und stopfte damit sein Pfeifchen. Alois mußte erzählen, wie es ihm in der langen Zeit seiner Abwesenheit ergangen sei.

Weißt du, sagte die Schwester Josepha, daß die Tannenmeise uns hin geworden ist? Das arme Tierlein hat mich recht erbarmt; ich habe geweint, als ich es morgens früh tot in der Krippe fand. Das hat die Freude, dich zu sehen, nicht mehr erlebt; doch hat die Mutter um einen Zwanziger schon wieder ein anderes bekommen; jetzt schläft es, morgen wirst du das muntere Vögelein schon sehen.

Und ich gehe auch schon in die Schule, ich habe in der Vorbereitungsklasse den zweiten Preis bekommen, der Joseph den vierten und der Hans gar den ersten. Wenn die Mutter hereinkommt, muß sie unsere Preise von der Kammer herabholen, sie hat diese uns im geheimen Schublädchen, dort, wo das Geld ist, aufbewahrt. Du wirst sehen, wie schön sie sind!

Endlich kam auch die Mutter mit einem Pfännchen; es brodelten darin sechs Eier im Schmalze, dann kam noch eine blühweiße Milchsuppe in schön bemalter Porzellanschüssel. Der Mutter aß Alois viel zu wenig, sie konnte nicht glauben, daß er schon satt sei; es verdroß sie sehr, als er die Strauben, welche sie ihm noch als dritte Speise brachte, fast ganz unberührt ließ und sie seinen Geschwistern austeilte.

Diesen Abend war vom Schlafengehen noch lange keine Rede, die alte Eisenuhr an der Wand hämmerte schon 11 Uhr, und noch wollten nicht einmal die Kinder schlafen gehen.

Wir müssen auf morgen auch etwas lassen, sprach nun der Nuiterbauer. Kinder, jetzt geht schlafen, und wir wollen noch einen kurzen Rosenkranz beten.

Der kurze Rosenkranz bestand aus fünf Gesätzlein und der Litanei ohne Anhang, sonst war der Anhang auch dabei, und dieser wollte gar kein Ende nehmen, da der Nuiterbauer eine Menge Schutzpatronen anzurufen pflegte.

Um Mitternacht war endlich alles zu Bette; auch im Nuiterhause brannte kein Licht mehr, als der Wächter unten in der Gasse rief:

Loset auf, ihr Herren, und laßt euch sag'n,
Der Hammer und die Uhr hat 12 Uhr g'schlag'n!
  12 Uhr!
Bewahrt das Feuer und das Licht,
Daß niamand kuan Schad'n gschicht;
  12 Uhr!
Lobet Gott den Herrn und unsere liaba Frau, die unbefleckte Jungfrau.
  Gelobt sei Jesus Christus!

Alois hörte noch diesen Ruf des Nachtwächters. Es war noch der alte Nachtwächter mit seiner wohlklingenden Stimme; wie heimelte es ihn an. O in der Heimat ist es so süß, so schön! Und ruhte Alois nicht mehr auf weichen Flaumen, sondern auf einem harten Strohsacke, so war er doch in seinem teuren Vaterhause, in seiner Heimat! Er schlummerte bald ein und träumte von Großkirchen und seinen lieben Eltern.

In einem Bauernhause kennt man keine Siebenschläfer wie etwa in den Städten, wo so mancher die Nacht zum Tag und den Tag zur Nacht macht und erst etwa um Mittag sich die Augen vom Schlafe wachreibt und so die Ordnung des lieben Herrgotts umkehrt.

Im Nuiterhause stand man mit den Vögeln im Walde auf; die Weckuhr der Bäuerin war die Stimme ihres Haushahnes. Sie war immer die erste im Hause wach. Um 4 Uhr früh kniete sie schon vor ihrem Hausaltare und betete ihr Schutzengelmein; und eine halbe Stunde danach war sie schon im Stalle unter der Kuh und melkte; der Nuiterbauer aber war schon um 5 Uhr bei den Patern, um die erste Messe zu hören; dann aber nahm er seine Sense über den Rücken und ging auf die Wiese zur Arbeit. Um 6 Uhr wurde alles junge Volk aus dem Strohsacke gejagt; an Sonntagen um 5 Uhr, je nach Umständen auch schon um 4 Uhr, und zwar jene, die etwa beichten gehen sollten. Da gab's keinen Pardon, heraus! hieß es, oder die Rute. Und die Rute im Bette war viel bissiger als sonst.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. – Den Alois ließ man heute länger schlafen, man weckte ihn nicht wie sonst; als er daher die Augen aufschlug und [befremdet] herumblickte, merkte er, daß nicht die alte Trude vor ihm stehe, sondern, daß die liebe Sonne ihn aufgeweckt habe, indem sie nämlich ihre Strahlen durch das kleine Fensterlein der Kammer auf sein Antlitz warf.

Das heiß ich geschlafen und dem lieben Herrgott den Tag abstehlen, sagte Alois, aus dem Bette springend. Dann aber lugte er durchs Fensterlein hinaus und ließ seinen Blick über Großkirchen schweifen, das er von hier aus ganz gut übersehen konnte.

Nun bin ich also wieder in dem lieben Großkirchen, sagte er. Alles steht noch am alten Flecke; es ist gerade, als ob alle 10 Monate meiner Abwesenheit der Traum einer etwas langen Nacht gewesen wäre, aus dem ich jetzt erwache.

Sieh, der alte Pumpel geht auch schon die Gasse hinab; er wird in die Kirche gehen. Es muß jetzt halb 7 Uhr sein; denn er ist eine lebendige Uhr, um 7 Uhr ist der Gottesdienst in der Pfarre, ich muß mich nun sputen, wenn ich mich vorher noch ankleiden und mein Morgengebet verrichten will.

Die Stiefel sind auch noch zu schwärzen, denn nach der Messe muß ich mich bei dem Herrn Dechant gehorsamst melden, und dieser ist ein gar akkurates Herrchen, der nichts übersieht. Wichse habe ich zwar keine, aber Schweinsfette wird es auch tun. Die Stiefel werden so ein Aussehen haben, wir haben ja gestern fast die ganze Straße abgekehrt und allen Staub und Kot aufgefunden.

Doch als Alois nach den Stiefeln suchte, waren sie nicht da; Joseph war heimlich, als Alois noch schlief, in die Kammer geschlichen, hatte sich diese herausgeholt und gewichst, denn im Nuiterhause war auch schon ein Fortschritt eingetreten; Joseph hatte gesehen, daß der Landrichter und die Geistlichen gewichste Stiefel tragen, und darum war er der Mutter schon lange in den Ohren gelegen, für den Alois ein Schächtelchen Wichse zu kaufen. Und heute machte Joseph zum ersten Male den Stiefelwichser; er hatte diese Kunst dem Exstudenten Schustermichele abgelernt. Als daher Alois die Kammertüre öffnete, um nach den Stiefeln zu suchen, fand er sie blank geputzt vor der Türe stehen.

Herrlich, sagte Alois, der Stiefelputzer verdient Eminenz, ich werde ihn zu meinem Leibstiefelputzer annehmen. Alois erkannte seine Stiefel fast nicht mehr.

Joseph stand unten im Hause und hörte es; er lächelte selbstgefällig.

Um 7 Uhr ging's zur Messe, und Joseph und Hans wanderten stolz mit dem Herrn Alois in der Mitte der Kirche zu.

Und als das Studentlein durch die ganze Kirche in den Chorstuhl hineinschritt, wandte alles die Köpfe nach ihm.

Des Nuiters Lois! flüsterte man sich zu. Ein nettes Studentlein! Wie er gewachsen ist! Und als die Messe zu Ende war und Alois zur Kirche hinausging, da wurde er erst recht aufs Korn genommen, nun konnte man auch sein Antlitz sehen.

Schaut, wie er gestutzte, glattgestrichene Haare trägt, hieß es. Und auch einen schönen gestärkten weißen Halskragen! Es steht ihm das Herrengewand nicht schlecht an. Sogar die Mutter des Alois, die sonst auf niemand in der Kirche schaute, war heute während der ganzen Messe zerstreut, denn gegen ihren Willen suchte ihr Auge immer den Alois im Chorstuhle statt den Priester an dem Altare. Sie machte lange noch nach der Messe darüber herzlich Reue und Leid, aber es ging ihr doch nicht recht vom Herzen, denn ihr Herz hatte immer wieder eine Freude darin, so schlecht und zerstreut hatte sie nicht einmal bei ihrer Hochzeitsmesse gebetet.

Ah, das junge Studentlein, rief der Dekan dem Alois entgegen, als er bescheiden, mit seiner Kappe in den Händen, in das Zimmer trat, wo der Dekan eben mit dem Kooperator das Frühstück nahm.

Du hast mir eine große Freude gemacht. Agnes, noch eine Schale her, das Studentlein hat gewiß noch nicht gefrühstückt.

Und nun mußte Alois neben dem Dekan Platz nehmen und Kaffee trinken.

Brav hast du's gemacht, fuhr der Dekan weiter; das Mütterlein wird eine Freude haben, ich kann es mir vorstellen; meine Mutter hatte sie auch, wenn ich mit guten Noten nach Hause kam. O, meine gute Mutter, sie modert schon lange im Grabe. Und der alte Herr wischte sich eine Träne von den Augen in der Erinnerung an die schönen Studentenzeiten. Und nun ging es dann an ein Fragen und Erzählen. Am Sonntage, sagte der Dekan zum Abschiede, kommst du zu mir auf Mittag. Punkt 11 Uhr essen wir, gelt!

Alois sagte natürlich zu und bedankte sich für die hohe Ehre; dann aber gab es erst noch drei funkelneue Zwanziger für das aufgewiesene Zeugnis.

Die Großkircher Studenten, sagte wohlwollend lächelnd der Dekan, haben immer das Prä, gute Studenten zu sein; es war zu meinen Zeiten auch so, nur der Barnabas und das Michele haben mir Schande gemacht. Der Barnabas war immer ein Lump und das Michele ein Strohkopf. Ich sagte es ihren Eltern voraus, daß aus diesen nichts werde und daß sie bald gejagt werden würden. Und so ist es auch geschehen. Der Barnabas hat auch geholfen, meine Marillen im Garten wegzustibitzen, ich habe ihn selbst einmal attrapiert, und des Schusters Michele war ein Esel vom Anfange bis zum Ende.

Mit einem tiefen Bückling und Handkuß beschloß Alois seine Ankunftsvisite bei dem Dekan.

Des Alois Mutter zu Hause war in tausend Ängsten, was etwa ihr lieber Sohn frühstücken möge.

Sie hatte ein Pfund Kaffee gekauft, denn sie wußte, daß die Herren Kaffee trinken; aber was sollte sie nun mit diesen Bohnen tun? Im Nuiterhause war noch nie ein Kaffee gemacht worden; ja zu Spategg im ganzen Dorfe nicht. Sollte sie nun die Bohnen rösten oder sieden oder in Schmalz backen; das war eine fatale Frage. Früher sich bei Kaffeeschwestern zu erkundigen, hatte sie vergessen; es gab deren wohl in Großkirchen, aber jetzt war's zu spät, bald mußte er kommen. Sie wollte zuerst versuchen.

Sie röstete zuerst die Bohnen und kostete, aber sie waren bitter und ungenießbar. Also backen, vielleicht geht es so, aber auch damit blieben die Bohnen hart und bitter.

Zum Schlusse sott sie die Bohnen. Das Wasser im Häfelein wollte eben sieden, da kam der Alois daher, nun schnell wurde die kuriose Bohnensuppe samt den Bohnen in ein Schüsselchen gegossen und vor den Alois auf den Tisch gesetzt.

Was habt Ihr denn da, liebe Mutter, fragte Alois, die sonderbare Richte anstaunend.

Kaffee für dich soll es sein, sagte die Mutter, ich weiß aber nicht, wie man ihn machen soll, ich habe ihn gesotten.

Da brach Alois in ein schallendes Gelächter aus und sagte: Was, das Kaffee! Das wäre mir eine schöne Kaffeesuppe.

Das Gelächter des Alois tat der Mutter in der Seele weh, sie griff nach der Schürze und wischte, sich umwendend, damit die Zähren ab, die von ihren Augen perlten.

Das ergriff auch des Alois Herz. Mutter, sprach er, ich wollte Euch nicht wehe tun, verzeiht mir, die Kaffeebohnen tut man zuerst abrösten, dann pulverisieren, dann erst das Pulver sieden; das konntet Ihr nicht wissen!

Wisset Ihr aber was, bleibet nur bei Eurem gewöhnlichen Kochzettel, ich will nicht extra speisen, kochet die Speisen mir so wie sonst, sie schmecken mir von Eurer Hand viel besser als von der besten Stadtköchin. Ja, Knödel, wie Ihr sie macht, hat mir noch keine Stadtköchin so gemacht; ich esse mit Euch allen, allein schmeckt es mir nicht, ich esse alles, sei es Brennsuppe oder Wirler. Also nochmal sage ich es, für mich keinen besonderen Küchenzettel.

Das wollte der Mutter doch nicht so ganz gefallen, sie beschloß im Herzen, dem Alois doch manchmal etwas extra zu kochen, etwa am Sonntage einen Schöpsbraten, den er sonst immer so gerne aß.

Also heute eine Milchsuppe, sagte die Mutter, bist so lange nüchtern!

Alois sagte ihr aber, daß er schon beim Dekan Kaffee und Weißbrot gefrühstückt habe.

Aber doch wenigstens noch ein paar Eier in Schmalz, drängte die Mutter weiter; sie wollte sich nicht leer abspeisen lassen.

Nun meinetwegen, sagte Alois, ein paar Eier schliefen immer hinab.

Und so kam dann die Mutter nach ein paar Minuten mit den Eiern, aber es waren deren statt zwei vier. Ob Alois alle vier gegessen habe, darüber schweigt wieder die Studentenchronik. Solche Kleinigkeiten hat sie nicht aufgezeichnet.

Was die Chronik in der ersten Vakanz des Alois aufgezeichnet hat, ist noch folgendes: Der Vater der Mutter des Alois, also sein mütterlicher Großvater, war ein leidenschaftlicher Jäger und Vogelfänger gewesen, die Mutter des Alois, welche die einzige Tochter war, hatte diese männliche Eigenschaft auch von ihrem Vater geerbt, weil er auf seinen Jagdzügen und Vogelfängen immer auch sein liebes Töchterlein mitnahm. Des Alois Mutter wäre gerne selbst mit der Büchse gegangen. Auf den Vogelfang ging sie im Herbste wirklich. Die Nuiterbäuerin war die beste Rotkropffängerin in Großkirchen; war ein singender Rotkropf in der Umgebung, so mußte er ihr gehören. Diese Leidenschaft war nicht gestohlen, wie man zu sagen pflegt, sondern geerbt. Die Flinte ihres Vaters hielt sie in höchsten Ehren, und da der Nuiterbauer für dergleichen Dinge nicht das mindeste Interesse hatte, sondern manchmal, wenn er guter Laune war, über die Vogel- und Hasennarreteien seines Weibes spottete, so nahm sie sich vor, ihre edle Weidmannskunst auf ihre Söhne zu übertragen.

Alois war nun schon fähig, einen Weidmann vorzustellen. Sie übergab ihm daher das große Heiligtum ihres Vaters, die Büchse, die nicht einmal die Bayern herausgekriegt hatten, obgleich die Auslieferung der Gewehre unter Todesstrafe anbefohlen war. Sie zeigte ihm, wie man lade, gab auch an dem hölzernen Pulvermesser an, was ein Vogel-, ein Hasen-, ein Fuchs-, ein Dachsschuß sei. Alois mußte zuerst auf ein Brett schießen, Feuer! kommandierte die Mutter, und zu ihrer größten Freude feuerte der junge Student beherzt ab. Vierzig Schritte weg von dem Brett war er gestanden, und die Schrote staken alle um das mit einer Kohle gemachte Malzeichen.

Du schlägst meinem Vater nach, rief die Mutter, wenn er noch lebte, welche Freude würde er an dir haben. Aber seine Flinte war auch die beste in ganz Spategg.

Schon am andern Tage zog der junge Student auf die Jagd aus. Sein Bruder Joseph trug die Weidmannstasche. Es ging zwar nicht auf Hasen, Dachse, Füchse oder wohl gar auf Gemsen, diese laufen ja davon; ein Anfänger muß mit Eichhörnchen zufrieden sein, und deren gab es im Großkircher Walde genug. Die Mutter gab ihnen auf einen ganzen Tag Proviant mit, als da Fleisch und Speck und zwei tüchtige Brotlaibe.

Bist du eine Närrin, sprach der Nuiterbauer, als er die Zubereitungen seines Weibes für die Buben sah! Ich glaube gar, du gingest am liebsten selbst mit.

Warum denn nicht, antwortete die Bäuerin, ich wüßte den Standort des Wildes am besten anzugeben; das hat mich der Vater alles gelehrt.

Mit einem Hündchen an der Schnur zogen die beiden jungen Jäger hinauf in den Hochwald.

Als der Wald dichter wurde, wurde der kleine Zerberus von der Schnur losgelassen, bald sahen sie ihn nicht mehr, schnoppernd lief er den Wald auf und ab, doch immer kehrte er leer wieder zu seinem zeitweiligen Herrn zurück.

In diesem Jahre, sagte Alois, müssen die Eichhörnchen nicht in den Föhren, sondern in den Fichten sein, sie wechseln alle Jahre ab, so sagte die Mutter. Wir müssen uns noch höher hinauf in die Fichtenwaldungen begeben.

Schon war es Mittag, und noch hatten sie nicht einmal einen Zaunkönig gesehen.

Nun kamen sie an eine sprudelnde Quelle, mitten im dunkeln Schatten der Fichten. Ringsherum war weiches Moos, also ein sehr einladendes Plätzchen, das Mittagsmahl zu halten. Man lagerte sich; das Hündchen leckte auch zuerst mit seinem roten Zünglein in der Quelle, dann aber setzte es sich neben Alois hin und schaute ihm in den Mund, ob nicht etwa auch ein Schnittchen Speck für es wäre. Alois war nicht unbarmherzig, er teilte gerne mit dem Tierchen, besonders da es seine Vorderpfoten bittend erhob. Nun war er satt, die beiden auch, sie packten ihren Speck zusammen, das Hündlein aber lief noch einmal zum Wässerlein und trank, dann aber lief es in den Wald hinein.

Da bellte es kleff, kleff, kleff, kleff auf einmal in dem Walde drüben.

Alois sprang auf, ergriff die Flinte, spannte den Hahn und eilte dem Hundegebelle zu. Das Hündchen schaute, ob die beiden Jäger kommen, dann wendete es wieder sein Köpfchen hinauf gegen den Gipfel eines Baumes und fuhr zu bellen fort. Alois umging den Baum, endlich sah er ganz auf dem Gipfel etwas Schwarzes zusammengekauert; endlich guckte ein gar possierliches Köpfen auf das Hündlein herab, ein zottiges Schwänzlein bewegte sich.

Wie pochte dem Alois das Herz; er setzte die Flinte an die Wange, drückte los, es knallt und ein kohlschwarzes Eichhörnchen stürzt tödlich getroffen von Ast zu Ast. Kaum hatte es die Erde erreicht, so stürzte Zerberus sich auf das Tierchen hin und beutelte es wacker ab, und als es kein Lebenszeichen mehr gab, ließ er es liegen und schaute die beiden Jäger an, gleichsam als wollte er fragen, ob er seine Schuldigkeit getan habe.

Und noch siebenmal bellte das Hündlein, und noch sieben Eichhörnchen holte die Flinte des Alois vom Baume herab, schwarze und braune; des Großvaters Flinte hatte also ihren alten Ruhm bewährt, und es war ausgemacht, daß Alois ein geborener Jäger sei. Nun zog schon der Abend heran; die Sonne war heimgegangen, es mußten daher auch die beiden Nimrode auf ihre Rückkehr denken.

Da störte sie noch ein Zug Krummschnäbel auf dem Heimwege. Sie flogen in einen Fichtenbaum hinein. Des Alois Flinte war noch geladen, er zielte und schoß in den Schwarm hinein. Und Joseph sammelte drei Krummschnäbel von der Erde auf, die andern flogen kreischend davon.

Als es in der Pfarre Ave-Maria läutete, standen die zwei Jäger an ihrer Haustüre, und ihre reichliche Beute hing an Josephs Weidmannstasche.

Hab' ich es nicht gesagt, rief die Mutter fröhlich dem Nuiterbauer entgegen, daß der Alois aus meiner Art ist.

Das Jagdvergnügen war dem Alois in der Vakanz von nun an das Höchste.

Die andern Studenten von Großkirchen gingen fast täglich in irgendeine Bierkneipe des Ortes oder in der Umgebung. Alois aber konnte das nicht, sein Kassenmeister erlaubte es ihm nicht, er mußte seine Zwanziger auf das nächste Jahr sparen. Der Vater sah ihn auch nicht gerne in Bierhäusern. Bist noch zu grün, sagte er, du könntest daran zu viel Geschmack finden. Dafür mußte er die Woche dreimal über seine Bücher hocken, jedoch recht wollte dies dem Alois nicht behagen, auch sollte er dem Joseph etwas von dem, was er zu Sprugg gelernt hatte, mitteilen, denn auch Joseph sollte das nächste Schuljahr mit hinab nach Sprugg.

Die andern Beschäftigungen des Alois waren sehr nichtstudentisch. Er half halt auch dem Vater mähen, Holz hacken, Korn schneiden, einheimsen und was dergleichen ländliche Beschäftigungen sind, denn müßig sein mochte er nicht, und der Vater konnte es auch nicht leiden.

Alle Wochen bekam Alois einen Zwölfer Sackgeld, und er verlangte auch nicht mehr, weil er wußte, daß das Studieren dem Vater ohnedies ziemlich an den Leib gehen werde.

Zweimal durfte Alois auch mit dem Vater am Sonntage hinab zum Gurglwirt, wo er Würste, Brot und Wein bekam, soviel als er wollte. Natürlich erwartete der Vater, daß Alois des Guten nicht zu viel tun werde, für so verständig hielt er ihn schon, und ein wenig lustiger als gewöhnlich durfte er auch sein.

Und so vergingen dem Alois die zwei Vakanzmonate, er wußte nicht wie, auf einmal war wieder die Zeit da, wo der Türken reif war, und das ist die Zeit, wo die Studenten das Inntal hinabziehen. Der Hinabmarsch fällt gewöhnlich trauriger aus als das Heimziehen; vorzüglich deswegen, weil mancher wieder auf die schmale Kost gesetzt wird, da man in der Vakanzzeit gewohnt war, in Hülle und Fülle zu leben. Doch ein flotter Student kümmert sich um solche Mücken nicht, er ist immer fidel – und so war auch dem Alois zumute.


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