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Zehntes Kapitel.
Der Ostertanz.

Der kleinen Malva schlug das Herz tüchtig, als sie, in ihren bescheidenen Pelzmantel gehüllt, die Geige unter dem Arm, neben ihrer Tante zu Rudowitzens trottete.

An der mit Wagen verstellten Freitreppe küßte Thekla sie. »Mein Liebchen muß sein weißes Kleid hübsch aufheben. Ich werde das Kindchen in der Garderobe erwarten, denn vor Morgen kommen wir sicher nicht heim.«

Behende schlüpfte Malva zwischen den vielen Gästen durch. Wie sie die von Licht strahlenden Salons voll eleganter Leute durchschritten, hätte sie nicht sagen können.

»In Weiß? Wie kokett! ... Und warum so spät? Die Jugend brennt vor Tanzlust,« rief ihr eine harte Stimme zu.

Im Hintergrunde eines prächtig mit Grün dekorierten Raumes war auf einem langen Tisch der »Ostersegen« aufgebaut: geröstete Truthühner und rosige Schinken, deren Schwarte abgelöst und durch ein künstliches Arrangement von Gewürznelken in Schachbrettform ersetzt war. Wurstpyramiden bildeten das Gegenstück zu Bergen von geweihten Ostereiern, die mit Immergrün besteckt waren. In der Mitte lag weiß und rosig ein kleines Spanferkel, einen Meerrettich im Maul, mit hängenden Ohren und betrübter Miene, ja sogar tränenden Auges, da der Priester es gar zu freigebig mit Weihwasser besprengt hatte. – Ringsum standen »Mazurcks« in Zucker kandiert, mit Goldblumen und -blättern geschmückt, Mandelbrot und Nougat, prächtig dekoriert, in großen Lettern das Wort »Hallelujah« tragend. Babas, einen halben Meter hoch und mit rosa Anis bestreut, vollendeten die Pracht dieses leckeren Aufbaus. An der Tür stand Frau Julie, einen Teller in der Hand, und teilte mit jedem Gast das geweihte Osterei.

Zitternd hatte Malva sich einer von grünen Pflanzen verdeckten Estrade genähert. Es war weniger der demütigende Gedanke, sich wieder im Bereich der launenhaften Familie Rudowitz zu befinden, der ihre Herzschläge beschleunigte, als der, daß Effendi bald erscheinen würde.

»Sie sehen, kleiner Fratz,« sagte Fräulein Santou, die schon am Klavier saß, »man hat Sie in einen Käfig gesperrt. Das hat Madame sich ausgedacht – so werden Sie die Aufmerksamkeit der jungen Leute nicht ablenken. Das kommt davon, wenn man zu hübsch ist!«

Errötend biß das junge Mädchen sich auf die Lippen. Sie hatte den Bogen ergriffen und begann zu spielen.

Seit zwei geschlagenen Stunden geigte sie neben der robusten Schweizerin, die ohne Unterlaß auf dem Klavier herumhämmerte. Ward Malva aber auch nicht gesehen, so entging ihr jedoch nichts, was im Saal geschah. Zuerst hatte sie in ihrer Verwirrung nichts als einen schimmernden Nebel gesehen, in dem Schatten, gleich Marionetten, auf und ab tanzten. Dann hatten ihre Augen sich daran gewöhnt, und nacheinander waren ihr all die bekannten Gesichter deutlich erschienen, denn das leichte Blattwerk bildete kein Hindernis.

Da waren die drei Töchter des Hauses: die Häßliche, die Schöne und die Dumme, wie man sie in dem Kloster, wo Malva mit ihnen das erste Abendmahl genommen, nannte. Dann Herr Pik, der sich auf seinen hohen Stiefelabsätzen unter einem Kronleuchter wichtig tat, darauf der Frau des Hauses, die rot und feierlich inmitten einer Gruppe Damen saß, seine schönsten Verbeugungen und Komplimente zollte und sich dann ins Boudoir begab, wo man Karten spielte, um dort mit Herrn Cyprian in Ruhe über Geschäfte zu reden.

Sie sah auch alte Schulkameradinnen, alle anmutig und elegant. Plötzlich stand ihr das Herz still. Sie hatte Jan Korab und den Grafen Severin erkannt, die beide mit toller Verve tanzten. Weiterspielend, hatte sie ihre Blicke innig auf Jan, den Helden von Plewna, geheftet, und all die Sympathie, die sie ihm vom ersten Moment an unbewußt entgegengebracht, kam auf einmal und viel stärker zurück. War es unrecht? Bah, wer würde das je erfahren?

Als aber Jan mit Helene von Rudowitz tanzte, packte sie die Eifersucht.

Er wirbelte mit ihr in einem schwindelnden Walzer einher. An seine Schulter gelehnt, den Kopf leicht gesenkt, schien sie in einen Traum verloren.

Ein wildes Sehnen faßte Malva, an Helenes Stelle zu sein, sich auch so, ihre Hand in der Jans, nach dem Takt der leidenschaftlichen Musik fortwirbeln zu lassen.

Dann hatte sie versucht, diese tollen Gedanken zu verjagen. Wie konnte sie, eine arme, kleine Geigenspielerin, sich mit Leuten aus einer so andern Welt zu vergleichen wagen? Und doch, als sie bedachte, daß es ihr Bogen sei, der die gefällige Kadenz ihrer Schritte markierte, der die zärtliche Berührung ihrer Arme gestattete, da fiel ihr dieser Gedanke schwer aufs Herz.

Die Zeit verflog. Den Masurken waren Walzer, Quadrillen, Farandolen gefolgt. Was aber Malva besonders frappierte, war die auffallende Aufmerksamkeit, mit der Frau von Rudowitz Jan auszeichnete, und die ungeschickte Beharrlichkeit, mit der sie ihn zwingen wollte, sich Rose, ihrer Lieblingstochter, zu widmen.

Eine im Flug erhaschte Bemerkung, die Frau Julie mit Jan wechselte, hatte Malva gestattet, die kluge Dame zu durchschauen: »Glauben Sie mir, es ist ganz gegen meine Grundsätze, wenn ich meine Töchter tanzen lasse, ich meinerseits habe stets Abscheu vor dieser erzwungenen Berührung empfunden, die ein barbarisches Erbe unsrer Vergangenheit ist, da man früher die Slaven spottend ›Saltan‹ oder ›Tänzer‹ nannte ... Rose ist wie ich, und einmal verheiratet, wird sie, gleich mir, nicht mehr tanzen.«

Jan verneigte sich und setzte die eckige Rose in Bewegung. Kaum aber hatte die gestrenge Dame den Rücken gekehrt, so führte ihn seine Vorliebe wieder zu Helene.

Manchmal fühlte Malva, wie eine Ermüdung sie überkam, der Arm ihr einschlief. Dann aber rief die Stentorstimme des Vortänzers sie zur Ordnung: »Heda, mehr Nerv, mehr Energie! So schlaft doch nicht, zum Teufel!«

Inzwischen waren die älteren Herrschaften in den Speisesaal, wo der große Tisch hergerichtet war, gegangen, um sich zu erfrischen. Nun kam die Jugend an die Reihe.

Jan hatte Helenes Arm ergriffen, und ihr ganz nah in das fremdartig hübsche Gesicht blickend, hörte er auf die kecken Reden, die sie hervorsprudelte, und die in so großem Gegensatz zu der mütterlichen Prüderie standen.

»In der Liebe,« sagte sie, »begreife ich alle Tollheiten, alle Kühnheiten; was ich aber nicht begreife, ist, daß man zweimal lieben kann.«

»Sie haben wohl große Erfahrung?« fragte Jan spöttisch.

Als Frau von Rudowitz das junge Paar sah, sagte sie mit gerunzelter Stirn und in dem ihr eigenen befehlenden Ton: »Meiner ältesten Tochter gebührt es, Ihnen die Honneurs unsres Ostersegens zu machen.«

Und ohne auf den zermalmenden Blick zu achten, den Helene ihr zuwarf, schob sie Rose vor.

»Uff,« sagte Fräulein Santou und rückte den Klavierstuhl weg, »ich kann nicht mehr, ich gehe auf mein Zimmer, um mich zu stärken. Man wird Ihnen sicher etwas zu essen schicken, Malva.«

Traurig setzte das junge Mädchen sich hinter die Blattpflanzen. Sie empfand eine große Müdigkeit und in ihrem Kopf eine große Leere, denn in ihrer Aufregung hatte sie den Tag über fast nichts gegessen. Der Magen knurrte ihr. Niemand aber schien von ihr Notiz zu nehmen. Zu stolz, um sich zu beklagen oder um etwas zu fordern, blieb sie sitzen, während der Lärm der Gabeln und das fröhliche Schwatzen all dieser jungen Stimmen zu ihr drang.

Wie bereute sie, gekommen zu sein. Ach, welcher Vorwitz hatte sie von ihrem ersten Entschluß abgebracht!

Der Anblick all dieser Leute, die sich amüsierten, ließ sie nur deutlicher den ungeheuren sozialen Abstand zwischen sich und ihnen ermessen.

Im Speisezimmer hatte Helene sich mit trotzigem Gesicht abseits an einen kleinen Tisch gesetzt und in ungezogenem Tone die Gesellschaft des Herrn abgelehnt, den ihre Mutter ihr geschickt. Frau von Rudowitz jedoch, die nicht gestattete, daß man sich auffallend benahm, hatte ihr durch ihre jüngste Tochter befehlen lassen, sich anders zu betragen. Sofort hatte Helene den Tisch verlassen, und blaß vor Zorn war sie hinter einem Vorhang verschwunden. Als Sophie ihr bald darauf nachging, fand sie sie an ihrem Bett knieend und in die Kissen schluchzend.

»O,« jammerte sie, »ich durchschaue ihr Spiel jetzt, ich weiß, warum Mama ihm gegenüber eitel Zucker ist und Papa ihm so zuvorkommend begegnet. Er soll Rose heiraten, Rose, den Liebling, das Goldchen, als ob man sie ihm wirklich nur an den Hals zu werfen brauchte, ganz unbekümmert darum, ob sie ihm gefällt oder nicht. Und sie, statt sich zu wehren, gibt sich zu der Komödie her, bloß um mir weh zu tun, um mich zu quälen.«

»Komm, Helene,« sagte Sophie sie umfassend, »sei ruhig, du schadest dir.«

»Ruhig? Du hast gut reden, du! Aber gleiche ich euch denn, habe ich, wie ihr, Fischblut in den Adern? Ich bin leidenschaftlich, heftig ... vom Vater habe ich das Fieber, das mich verzehrt. Ach, der Effendi ... ja, ich liebe ihn.«

Die Tür öffnete sich, und Fräulein Santou trat ein. Sie betrachtete ihre Schülerin mit Schrecken.

»Helene,« flehte sie.

»Ja, ich liebe ihn wie toll! Ihr andern versteht das nicht!«

»Heilige Jungfrau,« seufzte die kleine Sophie; »aber es ist Sünde, so zu reden ... o, wenn Mama dich hörte ...«

»Dafür kaufe ich mir auch was!«

Mit hastiger Bewegung war Helene aufgestanden, der Stehspiegel warf das Bild ihres tragisch verzerrten Gesichts zurück.

»Behaltet wohl, was ich euch beiden heute abend sage! Ich werde des Effendis Frau oder keines!«

»Wie übertrieben! Nächstes Jahr wirst du schon anders reden ... Du kennst ihn ja kaum.«

»Kaum!«

Sie hatte ihre großen Augen geschlossen, und mit leiser Stimme, als spräche sie im Traum, sagte sie: »Mir ist's, als habe ich ihn stets gekannt. Ich weiß, daß er gut ist, sein Charakter aufrichtig und feurig. Ich weiß, daß ich mit ihm wieder glücklich – und gut werden könnte!«

»Hören Sie, Helene,« sagte die Schweizerin gerührt, »überreizen Sie sich nicht ... ich werde mit Ihrer Mutter sprechen, Sophie wird mir helfen ... Rose auch ... sicherlich ... die Sache wird ganz glatt gehen ...«

Helene entgegnete mit trübem Blick: »Ach, bei uns geht nie etwas glatt, bei uns geht alles schief.«

Und ihre Frisur ordnend, folgte sie langsam ihrer Schwester in den Saal.

In ihrem grünen Nest hatte Malva, die übersehene, ganz still gesessen.

Einige Damen gingen mit Frau von Rudowitz an ihr vorbei.

»Sie haben Ihre kleine Geigerin von früher also nicht mehr?« fragten die Damen.

»Im Gegenteil,« sagte Frau Julie mit schlauem Lächeln, »da das Ding aber kokett war, habe ich meine Vorsichtsmaßregeln getroffen,« und sie wies auf die grüne Wand hin.

Ein Lachen war die Antwort. Und doch waren diese Frauen nicht schlecht, sie wären sogar bei Gelegenheit einer heroischen Handlung fähig gewesen. Aber sie fühlten kein Mitleid bei dem Gedanken an dieses junge, reizende Mädchen, das stundenlang in einen Käfig eingesperrt war und sich abarbeitete, um ihren Töchtern Vergnügen zu verschaffen.

Warum auch Mitleid? Das war ihr Beruf. Man bezahlte sie ja.

Endlich wurde es im Saal wieder laut, und die Tänzer erschienen, zu neuer Tat gestärkt und neuen Eifers voll.

»Auf die Plätze!« schrie der Vortänzer, und sich zu der Estrade wendend, befahl er: »Masur!« Und die Paare flogen.

Der Effendi, etwas von seinem Tete-a-tete mit Rose ermüdet, suchte Helene.

»Na, Halla,« rief plötzlich Herr Cyprian, der seine Tochter finster und abweisend für sich sitzen sah, »merkst du nicht, daß unser Türke dich wie eine Stecknadel sucht?«

Sie erhob ihr errötendes Antlitz, legte ihre Hand in die des jungen Mannes und ließ sich fortwirbeln.

Malva sah die beiden durch den Saal wirbeln, sich dann in einer dunklen Ecke absondern, lebhaft reden, von neuem und noch leidenschaftlicher tanzen – und wieder fühlte sie den Schlangenbiß der Eifersucht in ihrem Herzen.

Manchmal glaubte sie, ein Krampf zwinge sie, den Bogen loszulassen, und sie werde einen unerhörten Skandal hervorrufen. Dann schmähte sie sich selbst: »Energielose ... Faule!« und spannte alle ihre Kraft, allen Willen an.

Die Uhr stand auf Vier. Noch drei Stunden der Qual! Aber ihre Kräfte waren erschöpft. Plötzlich sagte sie sich: »Der Krampf fällt mich an; wenn ich nicht standhalte ... bin ich verloren.«

»Sie sind ermüdet, Malva,« sagte die Schweizerin; »sowie der Masur zu Ende ist, hole ich Ihnen Tee.«

Malva antwortete nicht. In ihrem schwindelnden Hirn nur der einzige Gedanke: Aushalten!

Der Vortänzer hatte eine Riesenfarandole angeordnet.

Mit einem Male hatte Malva kühn die sie verdeckenden Gewächse weggeschoben und stellte sich vorn auf die Estrade.

Sie war nicht mehr die demütige, vergessene Malva von kurz vorher. Ihre einen Augenblick erschlafften Züge hatten sich plötzlich verändert, ein Leuchten ging von ihrer Stirn aus, und in ihrem Blick lag Trotz.

Der magnetische Kontakt mit dem Publikum belebte sie, und als die ausgelassene Bande wieder in dem Saal erschien, stimmte sie den Masur mit einer solchen Kraft und Meisterschaft an, daß alle Blicke sich auf sie richteten, und im selben Augenblick alle wie aus einem Munde riefen: »O, das hübsche Geschöpf! ... Welche Leidenschaft, welches Talent!«

Auch Jan hatte den Kopf aufgerichtet: »Ei, ei, die kleine Wilde aus der Meierei!«

»O, die freche Kröte!« rief Frau von Rudowitz, vor Zorn erstickend. »Sie ist verrückt!«

»Warum hatten Sie diese Schönheit denn unter den Scheffel gestellt, lieber Cyprian?« fragten die Männer.

»Na ja, das war so eine Idee meiner Frau,« entgegnete der Hausherr.

Und alle lachten spöttisch.

Ein letzter Bogenstrich, und Malva kehrt an ihren bescheidenen Platz zurück.

»Ich höre,« sagte Jan zu Helene, »das junge Mädchen nicht zum ersten Male, sie ist mir aber stets so hartnäckig ausgewichen, daß ich ihr meine Bewunderung nie habe aussprechen können.«

»Ja,« sagte Helene von oben herab, »ich weiß, sie ist so eine Art Dienerin bei Piks.«

»Mehr eine Verwandte,« verbesserte Jan. »Jedenfalls werde ich heute abend nicht verfehlen, ihr zu sagen, was ich von ihrem Talent halte.«

Und gleichfalls von oben herab fügte er hinzu: »Sie würden mich verpflichten, wollten Sie die Vorstellung übernehmen.«

Helene biß sich auf die Lippen. Jans Gesichtsausdruck mißfiel ihr.

»Mein Gott, wenn Sie es durchaus wollen,« sagte sie trocken.

In diesem Augenblick brachte Fräulein Santou Malva ein stärkendes Getränk.

»Sie haben doch zu Abend gegessen, liebe Malva?«

Das junge Mädchen schüttelte den Kopf, und das Glas ergreifend, führte sie es gierig zu den Lippen, als Helene, nachlässig auf Jans Arm gestützt, sich ihr näherte, und das Gegenteil von dem tuend, was Jan gewünscht, sagte sie: »Effendi, ich stelle Ihnen Fräulein Malva vor, Malva ... wie sie weiter heißt, weiß ich nicht. – Haben Sie denn überhaupt einen Namen?« setzte sie unbedacht hinzu.

Die junge Geigerin war erblaßt und blickte ihre einstige Gefährtin mit feuchten, vorwurfsvollen Augen an.

»Ich wollte Ihnen aussprechen, mein Fräulein,« sagte Jan, »welches Vergnügen mir Ihre Improvisationen bereitet haben. Sie haben in mir die verschiedensten Gefühle erregt, bald die Freude an der Natur, bald die Erinnerung an die Heldenkämpfe, an denen ich teilgenommen ...«

Errötend wollte Malva ihn mit einer abwehrenden Handbewegung zurückhalten, aber ihren von Schwäche und Erregung zitternden Händen entglitt das Glas, und hätte Jan sie nicht gehalten, sie wäre selbst gefallen.

Der ganze Saal war bald in Bewegung, und man gruppierte sich um die interessante Geigerin.

»Das ist ja eine lächerliche Szene,« rief Frau Julies erzürnte Stimme. »Fräulein Santou, führen Sie das Mädchen weg. Genug des Gaukelspiels! Das ist eine durchtriebene Kokette, die von sich reden machen will!«

Die Schweizerin, die eine Gelegenheit, hundert tägliche Demütigungen heimzuzahlen, mit Freuden wahrnahm, entgegnete: »O, von Gaukelspiel ist nicht die Rede; das arme Ding fällt um vor Schwäche. Sie haben ihr ja nichts zu essen geschickt.«

Die Empörung war allgemein.

»Nein, solche Niedertracht!«

»Wie herzlos ... Denkt doch, daß sie seit sieben Stunden spielt ...«

Man wollte Malva mit Gewalt zum Büfett schleppen, sie aber hatte schon entschlüpfen und sich zu Thekla in die Garderobe begeben können.

Beim Anblick des bleichen, verstörten Mädchens runzelte die Bäuerin die Stirn.

»Was ist passiert, mein Liebchen?«

Das Kind barg sein Gesicht an der Brust der Alten: »Nichts, Mama, nichts, nur Hunger habe ich.«

Da holte Thekla aus ihrem Korb eine große Schnitte »Baba«, reichte sie dem armen Ding, und in ihre Mäntel gehüllt, glitten die beiden, dem ungastlichen Haus den Rücken kehrend, in die kaum von der ersten Dämmerung erhellten Straßen hinaus.

Vergebens erwartet Helene im Saal den Kavalier, der sie zum Kotillon aufgefordert hat.

»Mein Freund,« sagte leise Graf Severin, »bittet mich, ihn bei Ihnen zu entschuldigen und, falls Sie es gestatten, ihn zu vertreten.«

Ein Argwohn steigt in Helene auf: Hat Jan Malva begleitet?

Sie wirft dem jungen Mann einen hochmütigen Blick zu: »Danke, ich bin ermüdet.«

In dem Augenblick, als Thekla und Malva ihr Häuschen erreichten, springt ein junger Mann aus einem Fiaker und eilt auf sie zu.

»Ich hatte so gehofft, mein Fräulein, Ihnen meinen Wagen anbieten zu können, und bin doch zu spät gekommen ... Wollen Sie mir nicht wenigstens gestatten, mich heute nach Ihnen zu erkundigen?«

Auf der Schwelle stehend und sie mit ihrer eckigen Gestalt versperrend – gerade als wolle sie dem Kecken den Eintritt wehren – blickt Thekla den Fremden mißtrauisch prüfend an: »Wir danken Ihnen, Herr, für Ihre freundlichen Absichten, aber wir empfangen keine Besuche.«

Und die Tür ist im Begriff sich zu schließen. Aber durch den Spalt lächelt, von der aufgehenden Sonne erleuchtet, Malvas dankbar bewegtes Antlitz dem jungen Manne zu.

In dieser Sekunde wurde ein Gelöbnis zwischen ihren Seelen ausgetauscht.

*


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