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Vorbereitungen zum Kampfe

Der Nachmittag kam, und verdrießlich saß der alte Reinhart in seiner düsteren Lederkammer und schnitt und verschnitt Schuhsohlen. Wer ihm einen solchen Ausgang vorausgesagt hätte! – Jetzt hatte er keinen Sinn für Reimereien.

Da hörte er Gemurmel auf dem kleinen Plätzchen vor dem Hause, und wie er den Blick durch das Fenster sendet, so gewahrt er sämtliche Nachbarsfrauen, welche die Köpfe aus ihren Fenstern streckten und neugierig, verwundert und fragend den Mund aufsperrten. Das trieb ihn ebenfalls an, hinauszusehen und mit einem gewissen Schauder fiel sein Auge auf den roten Mantel des geheimen weltlichen Richters, der eben zur Haustür hineintrat.

Meister Reinhart wurde zum sofortigen Erscheinen auf dem Officio examinatorio, dem Verhöramte, vorgeladen, der Lehrjunge aber ohne weiteres von dem Richter am Kragen gefaßt und auf den Römer geführt, unter allgemeinem Entsetzen der auf die Straße gelaufenen Nachbarn.

Der Schuster, teils aus schuldigem Gehorsam gegen die Obrigkeit, mehr aber noch aus Neugierde zu erfahren, was er und sein Lehrling denn eigentlich verbrochen haben sollten, eilte ebenfalls in den Römer und dort wurde er in eine düstere, zu ebener Erde gelegene Stube geführt, wo hinter Schranken ein schwarzbemäntelter Herr Schöffe mit mächtiger weißgepuderter Allongeperücke saß und an seiner Seite ein mit Haarbeutel geschmückter Schreiber in dicken Akten blätterte. Reinhart schärfte seine Augen, und als sie an das matte Dämmerlicht sich gewöhnt hatten, erkannte er in dem Vorsitzenden den Herrn Schöffen von Stetten und in dem Schreiber den Herrn Kanzlisten Schwärzlich.

In ruhigem Tone setzte der alte Schöffe dem betreten aufhorchenden Schuster auseinander, wie er in dem Verdacht stehe, die Jungfrau Wenkbach in deren Wohnung mißhandelt und sodann derselben ein famosum libellum, zu deutsch Schmähgedicht, an die Haustür geheftet zu haben.

Reinhart wußte nicht, ob er wache oder träume, während er noch ganz verblüfft dastand, wurde der Schöffe abgerufen, und er beauftragte den Kanzlisten, bis zu seiner Rückkehr mit dem Verhöre fortzufahren. Kaum aber hatte der Schöffe die Stube verlassen, als der Kanzlist solch wunderliche, schlaue und verfängliche Fragen an den Alten richtete, daß derselbe anfangs ganz verwirrt wurde, allmählich aber sich wieder sammelte und dann in den größten Zorn geriet.

»Was weiß ich,« rief er aufbrausend aus, »wer der alten Jungfer die schon zehnmal verdienten Hiebe aufgemessen und ihr dann den Lobzettel an die Tür gehängt hat!«

Der Kanzlist bemerkte mit innerer Freude, wie der Verhörte den schuldigen Respekt zu vernachlässigen begann. Neuere giftige Fragen drückten dem Schuster den Sporn noch tiefer in die schon wunden Seiten, und der Alte war jetzt nahe daran, den Schreiber an der Perücke zu fassen, als zum Glück der bedächtige Schöffe wieder eintrat und den aufbrausenden angeblichen Delinquenten zum Schweigen brachte.

Adalbert war, während dieses vorging, in das Haus des Reinhart gekommen und nach erlangter Kunde von dem Vorgefallenen sogleich in den Römer zu seinem Vater geeilt. Seiner kräftigen Fürsprache und juristischen Auseinandersetzung war es gelungen, den Vater von der bereits angeordneten Verhaftung des Schusters abzubringen und eine eidliche Sicherstellung für denselben zu erwirken.

Nachdem der Schöffe dem Alten sein aufbrausendes Benehmen ernstlich verwiesen hatte, mußte derselbe schwören, ohne Erlaubnis des jüngeren Herrn Bürgermeisters die Stadt nicht zu verlassen. Demnächst wurde er entlassen, der Lehrjunge aber, welcher des öffentlichen Vorlesens erstes Pasquills überführt und geständig war, mußte auf den Katharinenpfortenturm ins Gefängnis wandern.

Als Reinhart wieder in seinem Hause war, konnte er nur mit dem größten Ingrimm an den geizhalsigen Nachbar denken. »Nach allen seinen Reden,« murmelte er, »ist dieser allein die Triebfeder der gegen mich verfügten schimpflichen Behandlung. – Den Kerl soll das Donnerwetter –« Der Riß war vorhanden und der Kanzlist, der nach der Amtsstunde sogleich die Tante Wenkbach und diese wiederum den Vetter Haarwachs besuchte, sorgte durch gehörige Einbläsereien, daß der Bruch unheilbar würde.

Mit Entsetzen aber vernahm Rudolf, als er abends ins väterliche Haus heimkehrte, was in seiner Abwesenheit vorgegangen war, und als der Freund Adalbert wie gewöhnlich kam ihn zu besuchen, empfing er diesen mit Vorwürfen und bitteren Beschwerden.

»Du mußt die Sache erzählen, wie sie war,« sprach er zu ihm in entschlossenem Tone, »und dich selbst als den Täter und Urheber von allem angeben.«

»Glaube nicht, daß es mir an Mut hierzu gebricht,« versetzte Adalbert, indem er stolz sich in die Brust warf. »Allein wird es dir nützen, wenn ich die Tat als einen lustigen, mutwilligen Studentenstreich auf mich nehme? Ich glaube kaum. Im Gegenteil, da ich dein täglicher Besuch bin, wird es dann heißen, wir hätten unter einer Decke gespielt, und der Verdacht der Mitwissenschaft und Mitwirkung wird dann nicht allein für ewige Zeiten an dir kleben bleiben, sondern auch dir alle Hoffnungen für deine Liebe in der tiefsten Wurzel zerstören. Besser ist es daher, sie erfahren nicht, wer den Pfeil abgeschossen hat. – Für deinen Vater lasse dir übrigens nicht bange sein. Ich habe in Jena so viel Jurisprudenz gelernt, daß sie ihm kein Haar krümmen werden, wenn auch mein Vater kein Schöffe sein sollte. Der Schöffenrat und nötigenfalls das Reichskammergericht werden da helfen, während ich aber eurem Lehrjungen nicht werde gutstehen können, daß er für seine unbefugten Vorlesungen ein Honorar auf die Kehrseite erhält.«

Rudolf, der die Triftigkeit der gemachten Einwendungen einsah, ließ von seinem Verlangen ab.

»Aber,« rief er seufzend aus, »wie soll dies enden?«

»Wie es zu Ende kommen soll,« versetzte Adalbert, indem er den Blick in die Höhe sandte, »weiß ich freilich selbst noch nicht. Daß es aber für dich gut ausgehe, dieses soll fortan für mich Lebensaufgabe sein. – Keine Einwendung. Meine Unüberlegtheit, ja mein Leichtsinn haben diese Verwicklungen herbeigeführt, nicht mehr als Schuldigkeit ist es daher, daß ich sie löse, sollte dies auch mit Gefahren verbunden sein. Eine schlechte Freundschaft, die anders handelt!«

Währenddessen hier der Freund den Freund tröstete und ermunterte, befand sich im benachbarten Hause bei der Base Wenkbach der Neffe Kanzlist.

Bei einem flüchtigen Besuche, den er kurz nach Tisch seiner Beschützerin gemacht, hatte er schon von der Anwerbung des Schusters einiges vernommen, heute abend aber wurde ihm alles einzeln und weitschweifig mitgeteilt.

»Lasse Sie mich nur gewähren,« rief er frohlockend aus. »Ich habe heute nachmittag das Protokoll geführt und den alten Versedrechsler schon tüchtig eingeseift.«

»Hast du das, mein Herzensjunge?« rief die Tante, indem sie den Genannten zärtlich in die Arme schloß. »Nun, dafür sollst du auch auf der Stelle einen Schlüssel erhalten, der dir die Tür zu deinem Himmelreich erschließen wird. Ich wollte zwar damit bis zu dem Tage deines Verlöbnisses mit Kunigunden warten; aber nun – ja, es ist so besser!«

Sie trippelte zu einem eisernen Wandschranke und brachte aus ihm ein grünsaffianenes Kästchen mit vergoldetem Beschlag zum Vorschein. Als sie es öffnete, strahlten dem begierig aufschauenden Kanzlisten ein kostbarer Frauenschmuck von Demanten und etliche funkelnde Ringe daraus entgegen.

»Hier nimm,« sprach sie mit feierlicher Miene zu dem über die nicht gewohnten Herrlichkeiten ganz verdutzten Neffen, »und gehe damit am kommenden Sonntag nachmittag zu dem Vater deiner Angebeteten. Du übergibst dieser dann als Weihnachtsgeschenk den kostbaren Schmuck und dem Vater die zwei Ringe, der eine ein Demant, der andere ein Smaragd. Sämtliche Kostbarkeilen rühren noch aus dem Nachlasse meiner seligen Mutter her, deren Herz mein Vater einst damit eroberte, weshalb ich mit Zuversicht glaube, daß sie auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlen und die geheimste Herzenskammer deiner Holdseligen dir auftun werden.«

Schwärzlich war diesmal vor lauter Freude ganz rötlich geworden. Er küßte der so liebevollen Tante dankbar die Hand, versprach, ihrer Weisung gehorsam Folge zu geben, vor allem aber keine Mühe und Anstrengung zu scheuen, den verhaßten Schuster, wie er schon früher gelobt hatte, ans Halseisen und auf die Schanze zu bringen.

Während hier der Kanzlist jubilierte, hatte im wandnachbarlichen Hause Kunigunde unter Tränen sich die Sachlage überdacht. Doch konnten die ungünstigen Verhältnisse nur für kurze Zeit sie niederbeugen. Die Spannkraft ihres Geistes und ihr klarer Sinn richteten sie bald wieder auf. Sie trocknete das schöne blaue Auge und blickte vertrauensvoll in die Höhe.

»Solange der Mensch sich nicht selbst verläßt,« sprach sie, »ist er nicht verlassen. – Auch in des Weibes Seele kann der Mut des Mannes und dessen Größe wohnen. Ich fühle so etwas in mir und werde den Gefahren zu trotzen wissen!«

So rüsteten sich die drei Nachbarhäuser zum Kampfe. Er scheint erbittert werden zu wollen und der Sieg wird schwanken.


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