Silvio Pellico
Meine Gefängnisse
Silvio Pellico

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77.

Nach Orobonis Tode ward ich aufs neue krank. Ich glaubte, dem dahingeschiedenen Freunde bald folgen zu sollen; und ich wünschte es. Doch hätte ich mich ohne Schmerz von Maroncelli trennen können?

Oft wenn er auf dem Strohsacke dasaß, las oder dichtete, oder sich vielleicht gleich mir den Anschein gab, als zerstreue er sich durch diese Studien, und dabei über sein Elend nachsann, dann betrachtete ich ihn kummervoll und dachte: Um wie vieles trauriger wird nicht dein Leben sein, wenn der Hauch des Todes mich berührt hat, wenn du sehen wirst, wie sie mich forttragen aus diesem Zimmer, wenn du auf den Kirchhof blicken und sprechen wirst: »Auch Silvio ist dort!« Dann erfaßte mich tiefes Mitleid mit dem armen Überlebenden, und ich betete im stillen, daß er einen anderen Gefährten erhalten möchte, der fähig wäre, ihn so wert zu halten, wie ich es tat – oder daß der Herr meine Pein verlängern möchte und mir die süße Pflicht lassen, die Leiden dieses Unglücklichen zu mildern, indem ich sie mit ihm teilte.

Ich mag nicht sagen, wie oft meine Krankheit von mir wich und wie oft sie wiederkam. Der Beistand, den mir Maroncelli dabei leistete, war der eines zärtlichen Bruders. Er bemerkte es, wenn das Sprechen mir nicht zuträglich war, dann schwieg er; er gab acht, wenn seine Worte mich erheitern konnten, und fand dann immer Gegenstände, welche meiner Stimmung zusagten, indem er dieselbe bald unterstützte, bald nach und nach umzuwandeln suchte. Gemüter, edler als das seinige, habe ich niemals, solche, die ihm gleich waren, habe ich nur wenige kennen gelernt. Eine große Gerechtigkeitsliebe, große Toleranz, großes Vertrauen zu der menschlichen Tugend und zu der Hilfe der Vorsehung, die lebhafteste Empfindung für das Schöne in allen Künsten, eine reiche poetische Phantasie, alle liebenswerten Gaben des Geistes und Herzens vereinigten sich in ihm, um ihn mir teuer zu machen.

Oroboni vergaß ich nicht, jeden Tag trauerte ich um seinen Tod, aber oft erleichterte es mir das Herz, wenn ich mir vorstellte, wie der Geliebte, jetzt von allen Leiden befreit, im Schoße der Gottheit, zu seinen Freuden auch die zählen mußte, mich neben einem Freunde zu sehen, der mich nicht minder zärtlich liebte als er.

Eine innere Stimme schien mich zu versichern, daß Oroboni sich nicht mehr an dem Orte der Läuterung befinde; gleichwohl betete ich stets für ihn. Oftmals träumte mir, ich sähe ihn, wie er für mich betete; gern suchte ich mich zu überreden, daß diese Träume nicht zufällig, sondern vielmehr wahrhafte Offenbarungen von ihm seien, die Gott zulasse, um mich zu trösten. Es möchte lächerlich erscheinen, wollte ich die Lebhaftigkeit dieser Träume schildern und die Wonne, die sie wirklich ganze Tage in mir zurückließen.

Aber diese religiösen Empfindungen und meine Freundschaft für Maroncelli verschafften mir in meinen Leiden immer mehr Erleichterung. Der einzige Gedanke, der mich erschreckte, war der, es könnte der Fall eintreten, daß dieser Unglückliche, dessen Gesundheit schon sehr zerrüttet, obwohl sie weniger gefährdet als die meinige war, mir in das Grab voranginge. So oft er erkrankte, zitterte ich: jedesmal, wenn ich sah, daß es besser mit ihm war, war es ein Festtag für mich.

Diese Angst, ihn zu verlieren, verlieh meiner Zuneigung zu ihm eine immer größere Stärke, so wie in ihm die Furcht, mich zu verlieren, dieselbe Wirkung hatte.

Ach, es liegt doch eine große Wonne in den wechselnden Gefühlen von Besorgnis und Hoffnung für eine Person, welche als die einzige dir noch übrigbleibt! Unser Los war gewiß eins der elendesten, das es auf der Erde geben kann; und doch brachte diese volle gegenseitige Liebe und Achtung mitten unter unseren Leiden eine Art von Glückseligkeit hervor; und wir empfanden sie in Wahrheit.


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