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Ein Kapitel Lichtschlag

In Hannover wurde vor einigen Tagen der frühere Ulan Esser vom Korps Lichtschlag verhaftet, der Anfang März dieses Jahres in Osnabrück in einer Versammlung der Deutschen Friedensgesellschaft, als man ihn ersuchte, die Waffen abzugeben, einen Revolverschuß abfeuerte, durch den der Sohn des Vorsitzenden, der 24jährige Erich Knüppe, schwer verletzt wurde. Der Schuß ging durch den Hals, verletzte zwei Halswirbel und das Rückgrat und dürfte eine dauernde linksseitige Lähmung zurücklassen. Durch die Verhaftung des Attentäters wird eine ebenso sinnlose wie abscheuliche Bluttat wohl endlich ihre Sühne finden. Allzu lange haben die Behörden gezaudert, diesem Fall nachzugehen; namentlich hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück zu wiederholten Malen ein Verfahren abgelehnt, da »nicht genügend Material vorliege«.

Seit langer Zeit ist von allen republikanischen Kreisen Westfalens ohne Unterschied der Parteirichtung das Korps Lichtschlag, dessen 2. Bataillon in Osnabrück lag, als eine Kerntruppe der Gegenrevolution erkannt und öffentlich gezeichnet worden. Die dringendsten Vorstellungen bei den zentralen Instanzen – es sind sogar Deputationen beim Reichswehrminister gewesen – blieben erfolglos. Herr Noske reagierte auf alles das mit jener göttlichen Unbeschwertheit des Gemütes, die diesen Politiker als Minister zu einer so einzigartigen Erscheinung machte. Er legte die Hand ins Feuer für die Zuverlässigkeit der Lichtschlag-Truppe (leider verbrannten sich immer andere Leute die Finger, wenn Herr Noske für etwas die Hand ins Feuer legte), und noch heute würde dieses Korps in Westfalen seine Tyrannis ausüben, wenn nicht in den Unruhen der zweiten Märzhälfte seine Schicksalsstunde geschlagen hätte.

Als die in Frage kommenden Behörden den Fall Knüppe mit Ausdauer ignorierten, wandte sich dessen Vertreter, Rechtsanwalt Rahardt in Osnabrück, mit einer Eingabe an das Reichswehrministerium und das Justizministerium, in der sehr viel interessantes Material zur Beurteilung der im geheimen arbeitenden Verschwörerklüngel enthalten ist. Leider scheinen die beiden Ministerien dadurch in keine besondere Aufregung gekommen zu sein; denn von irgendeiner notwendigerweise ins einzelne gehenden Untersuchung hat man noch nichts vernommen. Es geht aus der Denkschrift des Rechtsanwalts einwandfrei hervor, daß ein Befehl, die Versammlung zu sprengen, von einer Berliner »Dienststelle« ausgegangen ist. Es fiel also bei Lichtschlag kein Spatz vom Dach ohne den Willen einer hohen, bisher leider unbekannten Berliner Zentrale. Wer bildete nun diese ungesetzliche »Dienststelle« und wo amtierte sie? Wollten die geschätzten Ministerien den Spuren nachgehen, so könnten sie sicherlich manch bemerkenswerte Beiträge zur Genesis der Kappiade zutage fördern.

Auch für die Öffentlichkeit dürfte es von Belang sein, zu erfahren, wo eigentlich die Trümmer des Korps Lichtschlag abgeblieben sind und ob sie etwa in neuen Formationen ihre alten Gepflogenheiten fortsetzen. Namentlich der jetzige Aufenthalt und Wirkungskreis der Herren Offiziere, die so eifrig die Kommunikation mit der Berliner »Dienststelle« aufrecht erhielten, muß auf alle Fälle festgestellt werden. Bei dem so eminent entwickelten Verlangen dieser Herrschaften, die deutsche Kultur vor dem roten Terror zu bewahren, ist nicht anzunehmen, daß sie, dem grollenden Achill gleich, tatenlos im Zelt ihre Tage verträumen oder bereits begonnen haben, nach System Schmude Kohl zu bauen. Wahrscheinlicher ist schon, daß sie in irgend einem anderen Truppenteil mit festeingeklemmten Monokel auf dem »Boden der Verfassung« stehen ... solange, bis sie diesen schon allzu stark mitgenommenen Boden gründlich kaputt getrampelt haben.

Allen denen, die noch immer nicht die Dinge so zu sehen wagen, wie sie sind, dürfte die schändliche Ermordung des Kapitänleutnants Paasche die Augen darüber geöffnet haben, was heute noch unter dem Deckmantel Reichswehr sein Unwesen treibt, das allerdings in vielen Fällen nur ermöglicht wird durch die passive Haltung der zivilen Behörden. Auch die Staatsanwaltschaft in Osnabrück hat jetzt, da der Täter gefaßt, nachzuholen, was sie allzulange versäumt hat zu tun. Es ist nicht nur ihre Pflicht, für die restlose Aufdeckung des blutigen Vorganges in jener Versammlung zu sorgen, sie muß darüber hinaus auch den Fäden nachgehen, die die Lichtschlag-Offiziere mit Berlin verknüpften. Es gilt nicht nur einen Schandbuben der gerechten Strafe zu überliefern, sondern auch im Interesse der Sicherheit der Republik endlich, endlich jene Hand in Eisen zu legen, die die seine geführt hat!

Berliner Volks-Zeitung, 28. Mai 1920


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