Johann Nepomuk Nestroy
Der böse Geist Lumpazivagabundus
Johann Nepomuk Nestroy

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Verwandlung

Schenkstube in der Herberge

Fünfte Szene

Fassel, mehrere Bräuknechteund Handwerksburschen verschiedener Professionen. Pantsch, Nannette, Sepherl, Hannerl, dann Zwirn, Leim und Knieriem

(Alle sitzen teils an den Tischen und trinken, teils tanzen sie mit Hannerl und Sepherl, Fassel tanzt mit Nannetten.)

Alle Vivat! Der Herr Bestgeber soll leben!

Fassel (im Tanzen) Ein Glas her! (Pantsch gibt ihm während dem Tanzen eine Flasche.) Die ganze Gesellschaft Vivat! (Er trinkt im Tanzen die Flasche aus, wirft sie dann zur Erde und tanzt weiter.)

(Zwirn, Leim und Knieriem treten ein.)

Zwirn Halloh! Da hab' ich a Musik g'hört!

Knieriem Herr Vater! A Halbe G'mischts. (Setzt sich links.)

Leim Mir a Halbe und a Portion Nierndln.

Hannerl Wie schaffen Sie's denn?

Leim Mit Semmelbröseln oder mit Sagschaten, das is ein' hungrigen Tischler alles eins. (Setzt sich. Die Kellnerinnen bringen das Verlangte.)

Zwirn (zu einem Musiker) Da sein acht Groschen, jetzt macht's mir einen saubern Walzer auf. (Gibt ihm Geld.)

Fassel (beiseite) Das ist ein fideler Kerl.

Zwirn (zu Fassel, neben welchem Nannette sitzt) Sie erlauben schon eine Tour? (Nannetten auffordernd.) Mein Fräulein, darf ich so frei sein? (Ein Ländler beginnt, Zwirn haut auf und schlägt ungeheure Fußtriller.)

Leim Ah wart', Schneider, du sollst mich nicht spotten. (Nimmt Hannerl, welche ihm das Bier bringt, und tanzt mit ihr ein paarmal herum, endlich sieht er einen Handwerksburschen sehr ärmlich und traurig dasitzen – er hört zu tanzen auf und spricht zu ihm.) Ich glaube gar, das ist ein Tischler? (Die Musik hört auf.)

Handwerksbursch Ja, leider.

Leim Wo fehlt's denn?

Handwerksbursch Überall.

Leim Mir auch; aber wer wird denn deswegen traurig sein? – Heda! Eing'schenkt da für den eine Halbe Wein auf meine Rechnung.

Fassel Nix, das laß' ich nit angehn, heut' geht alles aus mein' Sack. Ich hab' tausend Taler g'wonnen in der Lotterie, heut' traktier' ich ganz allein.

Knieriem Tausend Taler? – A Halbe G'mischts!

Leim Ah, schön! Da werd'n wir schon so frei sein und werden's uns schmecken lassen.

Zwirn Das wird ein schön's Glück sein; wenn ich das hätt', ich setzet mich gar nicht mehr nieder, da ging's alleweil a so. (Er haut auf.) Ah, verdammt! Ich hab' mir den rechten Wadel überstaucht – ich muß mich schon niedersetzen.

Fassel Warum setzt's euch denn nicht zu unserm Tisch, Kameraden?

Leim und Zwirn Mit Verlaub. (Setzen sich zu Fassel und den Bräuknechten.)

Knieriem Noch ein G'mischts! (Gibt der Kellnerin das leere Ziment und setzt sich ebenfalls an den Tisch.) Ein schlechter Zeitpunkt war's halt doch, jetzt was z' g'winnen.

Fassel Warum?

Knieriem Weil man's nicht mehr anbringen kann. Aufs Jahr kommt der neue Komet, der die Welt z'grund richt't, nachher ist der Herr pfutsch mit samt sein' Treffer.

Leim Red' nit so dumm, gar nichts g'schieht, mir hat's ein Professor g'sagt.

Knieriem Ich werd's doch besser verstehn als ein Professor? Ich hab' die Astronomie aus 'n Büchel g'lernt und mach' alleweil meine Beobachtungen, wenn ich hamgeh' in der Nacht.

Leim Ja, wenn du besoffen bist.

Zwirn Mit'n Tanzen ist's heut' schon Feierabend bei mir.

Fassel So singen wir eins, weil wir so in caritatibus beisammen sitzen.

Knieriem Gut is! Ich hab' ein superbes Lied g'macht.

Leim Heraus damit!

Knieriem Ös müßt's aber alle mitsingen. Der Text ist von mir nach einer Rittergeschichte frei bearbeitet.

Fassel Das ist recht. O, ich hab' die romantischen Sachen so gern.

Knieriem Schaut's mir aufs Maul und singt's alle mit mir zugleich: (Singt.)
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde und Eduard,
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde und Eduard,
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde und Eduard.

Fassel Das ist wirklich einzig.

Leim Ordentlich rührend.

Knieriem A G'mischts! – Also jetzt singen wir die zweite Strophe, die is noch schöner.
Eduard und Kunigunde,
Kunigunde und Eduard,
Eduard und Ku –

Leim Hört's auf! Das ist ja allweil 's Nämliche.

Knieriem Ihr wißt nicht, was schön ist.

Fassel Halt! Ich weiß, was schön ist. Wir ziehen alle da ins Kaffeehaus hinüber, und ich zahl' dort ein' jeden ein Glasel Punsch. Wer mitgehn will, geht mit. He, Musikanten! Aufg'rebellt!

Chor
Das ist heut' ein Leben, 's geht alles nach Wunsch,
Bier und Wein hab'n wir trunken, jetzt trink'n ma ein' Punsch.
Ich sag's, unser Bestgeber is halt ein Mann,
Er geht in der Mitten, die Musik voran.

(Chor und alle ab bis auf:)

Sechste Szene

Zwirn, Leim, Knieriem, Pantsch, Kellnerinnen

Leim Dem sähet man's auch nicht an, daß er tausend Taler gewonnen hat.

Knieriem Warum? Er schaut dumm genug aus.

Zwirn (zum Wirt) Wer ist er denn?

Pantsch Der Oberknecht in der Bräuerei da darneben.

Zwirn Da haben wir's, so ein ungebildetes Volk hat ein Glück! Ein Schneider gewinnt in seinem Leben nichts.

Pantsch Ich bin ihm drum gar nicht neidig, ich dank' Gott, daß ich die tausend Taler nicht g'wonnen hab'.

Leim Ist der Herr verruckt?

Pantsch Könnt's nit sagen. Morgen vormittag ist die Hauptziehung, da gewinnt man hunderttausend Taler, und das wär' so meine Passion.

Leim Na, die Passion wär' freilich nicht schlecht.

Pantsch Ich g'winn' s' auch; denn meiner Frau Ahnl hat ja 's Numero traumt.

Leim Ah, nachher ist's schon g'wiß. – Weil aber der Herr heut' noch kein Kapitalist ist, so macht's uns ein Stroh herein, daß wir uns niederlegen, es wird so bald Tag.

Pantsch Recht gern. O, mich macht 's Glück nicht stolz. (Zu den Kellnerinnen.) He! Laßt's Stroh bringen. (Ab mit Hannerl und Sepherl.)

Leim Das ist ein recht ein rarer Mann, der Wirt, er ist gar nicht stolz auf den Treffer, der noch gar nicht gezogen ist.

Knieriem Hunderttausend Taler! Das gibt über eine Million Maß G'mischts – die kann der Mensch nicht versaufen, mit'n besten Willen nicht.

Zwirn Schuster, du bist ein gemeiner Kerl.

Knieriem (auffahrend) Du Schneider, trau' mir nicht!

Leim (sie beruhigend) Seid's ruhig – schamt's euch! – Schaut's, wenn ich mir's recht überleg', glücklich – so was man sagt, recht glücklich machet mich halt doch das viele Geld nicht, wenn nicht noch etwas dabei wär' – (seufzend) ein Etwas –

Knieriem Da bist du ein Nimmersatt.

Zwirn (zu Knieriem) Aber merkst denn nicht, er ist ja verliebt.

Knieriem Schwachheit!

Zwirn Ja wohl, Schwachheit, in meiner Gegenwart von Madeln und Verliebtsein sprechen. Da müßt's mich erzählen lassen, ich könnt' euch meine Amouren bataillonsweis' aufmarschieren lassen.

Leim Ich war nur in eine einzige verliebt.

Zwirn In eine einzige? Brüderl, das ist ja gar nicht der Müh' wert, daß man davon red't. Wie ich in der Lehr' war, war ich schon in Zehne verliebt. Mein erster Meister, zu dem ich als G'sell kommen bin, hat ein schöns jungs Weiberl g'habt, das Weiberl hat mir g'fallen, und ich ihr auch, denn ich war damals ein sehr ein liebenswürdiger Jüngling. – Einmal gibt mir das Weiberl ein Bussel, da kommt der Meister dazu, und der Esel halt' sich drüber auf, daß mir sein Weib ein Bussel geb'n hat, und jagt mich auf der Stell' davon. – Mein zweiter Meister hat fünf Töchter g'habt – das waren Zwilling' – da war ich dir aber in alle fünfe zugleich verliebt. – Einmal haben wir Pfänder g'spielt – no, du weißt, das geht auch mit 'n Busselgeben aus –

Knieriem Allemal.

Zwirn Wie wir die Pfänder ausg'löst haben, kommt der Meister dazu – der geht her und gibt mir für eine jede Tochter zwei Watschen und jagt mich fort.

Knieriem Zwei Watschen? Das ist zu viel.

Zwirn Nicht wahr? Ich wär' ja hinlänglich zufrieden gewesen, wenn er mir für eine jede Tochter eine Watschen gegeben hätte, aber zwei Watschen, das ist ja ein offenbarer Luxus. Mein dritter Meister, der hat ein G'schwisterkind g'habt von einundzwanzig Jahren – aber hörst, Schuster, so ein schöns G'schwisterkind hab' ich in meinem ganzen Leben nit g'sehen. Da hab' ich aber hernach eine saubere Köchin kennen g'lernt, mit der bin ich durch'gangen, und 's G'schwisterkind hab' ich sitzen lassen.

Knieriem Meine G'schicht' is nicht so lang, aber äußerst tragisch. Erstens ist mir meine Profession z'wider, ich hab' nur Sinn für die Astronomie – und dann hab' ich nichts als unverschuldete Unglücksfälle g'habt. – In Budweis hab' ich mein' Meister g'haut.

Leim Warum denn?

Knieriem Weil ich ein' Rausch g'habt hab', also kann ich nix davor. In Altbrünn hätt' ich bald ein' Lehrbuben zerrissen.

Leim So was ist aber auch abscheulich.

Zwirn Aber was soll denn ein zerrissener Lehrbub anfangen? Und gar ein Schusterlehrbub – kann es denn etwas Zarteres geben als einen Schusterbuben?

Knieriem Ich hab' damals einen unsinnigen Haarbeutel g'habt, also kann ich nix davor. Ich sag' euch, ich hab' schon so viel Malheur g'habt, und allzeit durch meine Räusch'. Wann ich mir meinen Verdruß nit versaufet, ich müßt' mich grad aus Verzweiflung dem Trunk ergeben.

(Zwei Hausknechte kommen mit Stroh und bereiten die Schlafstellen.)

Leim Sie, machen S' mir mein Bett etwas in Entfernung von den andern, denn ich schlag' furchtbar herum bei der Nacht.

Zwirn Warum denn?

Leim Das ist alles mein Herzenskummer. Ihr werdet mir's nicht glauben – ich seh' einem lustigen Kerl gleich, aber das ist alles nur auswendig, inwendig schaut's famos aus bei mir. Wie ich trink', glaub' ich, ein jeder Tropfen ist Gift – wie ich iß, so ißt der Tod mit mir – wenn ich spring' und tanz', so ist mir inwendig, als wenn ich mit meiner Leich' ging' – wie ich ein' Kameraden seh', der nix hat, so gib ich ihm gleich alles, obwohl ich selber nix hab', und das bloß, weil ich in Gedanken alleweil mein Testament mach'.

Zwirn Ja, Brüderl, wer ist denn deine Geliebte, daß sie dich gar so enderisch macht?

Leim Sie ist eine Tischlermeisterische.

Knieriem Hat s' Laschi?

Leim Was?

Knieriem Knöpf'?

Leim Wie?

Zwirn Nein, nein, – er fragt, ob sie Batzen hat.

Leim Geld? – Freilich hats' Geld. Sie ist die Tochter vom reichen Meister Hobelmann in Wien.

Zwirn Von dem? – Schuster, den reichen Tischlermeister Hobelmann mußt ja kennen.

Knieriem Ich bin ein Schuster, was geht mich ein Tischler an. Beleidigt's mich nicht.

Zwirn Wart', ich werd' dir gleich draufhelfen. Der reiche Tischler Hobelmann logiert in – in Wien logiert er – du kennst den reichen Tischler Hobelmann nicht?

Knieriem Nein.

Zwirn Ich kenn' ihn auch nicht.

Knieriem (zu Leim) Da weiß ich dir ein' Rat – schau', daß du s' kriegst.

Leim Das hätt' ich selber g'wußt; aber da ist's zu mit'n Kriegen, ich glaub', es hat s' schon ein anderer.

Knieriem So nimm du dir auch eine andere.

Leim Das bring' ich nicht übers Herz. O, meine Peppi!

Zwirn Ja, mag sie dich, oder mag sie dich nicht?

Leim Das ist's eben, was ich nicht weiß. Ich hab' drei Jahr' bei ihrem Vater gearbeitet –

Zwirn Und weißt nicht, ob dich 's Madel mag? Tischler, du hast ja Hobelschaten im Kopf!

Leim Der Vater ist reich, er lebt in Pracht und Herrlichkeit, er war zwar selber immer beim Geschäft, aber die Tochter haben wir Gesellen kaum alle Monat' einmal zu sehen kriegt. Einmal bringt meine himmlische Peppi ihrem Vater eine Schale Kaffee in die Werkstatt – ich schau' sie zärtlich an, sie laßt ihre Blicke auf mich und die Schalen auf die Erd' fallen – der Vater, der gähzornigste Patron von der Welt, wirft 's Stemmeisen auf sie – ich erseh' das, halt' mich vor, und das Stemmeisen fahrt mir zolltief in die Achsel hinein.

Zwirn Ah, Spektakel! (Setzt sich aufs Stroh.)

Knieriem Hast 'n nit g'haut, den Alten? – Wann mir das g'schehn wär'!

Leim Warum nicht gar! Ich bin umgefallen, und wie ich wieder zu mir kommen bin, war der Alte und die Peppi bei meinem Bett. Der Alte hat g'sagt, ich möcht' das nicht übelnehmen, es war nicht so bös' gemeint.

Knieriem Bedank' mich.

Leim Es wird Sein Schaden nicht sein, hat er g'sagt, Er hat meiner Tochter das Leben gerettet; bis Er wieder gesund ist, wollen wir weiterreden über Sein künftiges Glück. (Mittlerweile hat Zwirn sich mit einem zerrissenen Tüchel den Kopf eingebunden und sich auf das Stroh gelegt.) Ein paar Wochen darauf, wie ich schon wieder hergestellt war, hör' ich auf einmal, der dicke, reiche Strudl, der Wirt vom »Goldenen Nockerl«, heirat't – ich frag': wem? – so heißt's, die Hobelmannische. – Das hat mir den Gnadenstoß geben; denn der Meister Hobelmann hat keine andere Tochter g'habt als meine Peppi.

Knieriem Na, da wirst aber doch aus Verzweiflung g'red't hab'n?

Leim Nein – es war grad Samstag, der Meister hat uns aus'zahlt – da bin ich den andern Tag in der Fruh aufgestanden, hab' auf ein' Zettel geschrieben: »Adieu, Peppi, aus Bosheit heirat' ich jetzt auch« – und dann bin ich fort über Berg und Tal, ohne B'hüt-dich-Gott und ohne allem; und so flankier' ich jetzt schon über zwei Jahr' in der Welt herum.

Knieriem Ich hätt' den Alten und den Wirt g'haut, und 's Mädel hätt' ich g'heirat't.

Leim (legt sich nieder) Mit mir ist's aus, ich hab' nichts mehr zu hoffen. Ich lauf' halt so mit, solang's sein muß.

Knieriem Und ich sauf' halt so mit, solang's geht. (Zieht den Rock aus.) Ich hätt' jetzt ein' Gusto zu astronomischen Beobachtungen; denn mich hat 's G'mischte ein wenig duslich g'macht. (Gähnt.)

Leim Ich hab' schon seit ein paar Jahren kein' Schlaf mehr. (Gähnt.)

Knieriem (löscht das Licht aus und legt sich nieder)

Zwirn Werd't's nit bald still sein? (Schläft ein.)

Leim (einschlafend) Peppi – Pep – pi –

Knieriem (ebenso) Noch – ein – G'mischtes – denn der Komet –

(Leise Musik beginnt. Wolken senken sich über den Hintergrund. Nach einer Weile teilen sich die Wolken, Fortuna wird sichtbar mit einem Füllhorn, daraus kommt die transparente Zahl 7359. Der Schlaf der drei Gesellen wird unruhig. Die Wolken erheben sich wieder.)

Leim (sich nach und nach ermunternd) Ah – ah –! (Gähnt). Das war ein kurioser Traum – 7359! – Wenn ich's nur nicht vergiß. – Ah, ich merk' mir's schon bis morgen. (Will wieder schlafen.) Es laßt mir keine Ruh', ich muß – he, Schneider, Schneider! – Der schlaft fest! – Landsmann!

Zwirn (sich ermunternd) Was ist's denn?

Leim Hast keine Kreiden?

Zwirn Ich glaub' nit. –Zu was denn?

Leim Mir hat ein Numero traumt!

Zwirn (ihm eine Kreide gebend) Ein Numero hat dir traumt?

Leim Ja, Nro. 7359.

Zwirn Und mir hat auch ein Numero traumt – es war Nro. 7359.

Leim Was? Das nämliche Numero? – Bruder, das hat was zu bedeuten. Nur g'schwind aufg'schrieben. (Schreibt das Numero auf den Tisch. Es wird von außen stark geklopft.)

Stimmen (von außen) Heda! Aufg'macht! Aufg'macht!


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