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Ende gut, alles gut.


Der Michel und die Gret.

Wenn der Rieser nicht gerade zu der größten und stärksten Menschenart im deutschen Vaterlande gehört, so wird man ihm das Prädikat »wohlgewachsen« nicht versagen können. Begreiflicherweise gibt es in dem volkreichen Gau allerhand, kleine und große, »wie's der Hirt zum Tor naustreibt«; in der Regel begegnen wir aber doch schlanken Personen von guter Mittelgröße und darüber. Enakssöhne – Bursche, die eine Verbindung von Größe, Schulterbreite und Gliederstärke zeigen, die wir mit Staunen betrachten – sind selten und kommen in anderen deutschen Gauen häufiger vor; zuweilen gelingt aber auch im Ries ein solches Erzeugnis, und es wächst, sofern der Geist mit dem Körper nicht geradezu in Widerspruch steht, eine Person heran, die sich in ihrer Umgebung eines besonderen Respekts zu erfreuen hat. Wenn so einer freilich keinen Verstand, keine Würde und am Ende gar auch keine »Schneid« hat, dann hilft ihm sein Körperbau nichts; man belegt ihn mit den despektierlichen Namen eines »Drieschlags«, eines »unklamperen Kerls«, verspottet und hänselt ihn. Sind ihm aber jene Eigenschaften, namentlich die letzte, in merklichem Grade verliehen, dann ist er in seiner Art eine Macht; man fürchtet ihn und schmeichelt ihm.

Zu den leiblich außerordentlichen Erscheinungen im Ries gehörte auch der Held der Erzählung, womit wir diesmal die Leser zu unterhalten gedenken. Wir sagen mit Bedacht: der Held. Denn obwohl unsere Geschichte keineswegs eine Reihe von Taten vorführen wird, bei welchen die Stärke des Armes die Hauptrolle spielt, so hoffen wir jene für einen Bauernburschen sonst nicht wohl passende Bezeichnung doch zu rechtfertigen.

Michel Schwab wurde im ersten Zehntel des vorigen Jahrhunderts geboren. Der Vater, ein wohlhabender Söldner und auch schon ein ungewöhnlich großer und gliederstarker Mann, erlag einer hitzigen Krankheit in seinen besten Jahren. Die Witwe, die gut mit ihm gehaust hatte und den zehnjährigen Sohn über alles liebte, beschloß nicht mehr zu heiraten, damit ihr Einziger das ganze »Sach« bekäme, wie es der Vater gehabt hatte. Sie war selbst eine stattliche Frau, froher Gemütsart und regierte gern – ein Grund mehr, um als ehrsame Witib fortzuleben und die erste Person im Hause zu spielen, bis sie die Herrschaft an den Sohn abtreten mußte.

Michel wuchs heran – die Augenweide und der Stolz der Mutter. In der Schule zeichnete er sich nicht besonders aus; sein Verstand war etwas langsam zum Begreifen, sein Gedächtnis zum Behalten von Sachen, deren Nutzen ihm zweifelhaft erschien, nicht sehr bereitwillig, und Ehrgeiz, der ihn hätte stacheln können, besaß er nicht. Er lernte nur, was nicht zu umgehen war, ging lieber aufs Feld als in die Schulstube, und empfand eine dunkle Sehnsucht nach der Zeit, wo er gar nicht mehr hinein mußte, außer an Sonntagen. Um so besser gedieh sein Körper. Er war offenbar der stärkste von den Buben seines Alters; die Mutter hielt ihn überdies für den schönsten und war nach dörflichen Begriffen wohl dazu berechtigt. Auf dem Dorfe ist es vorzugsweise die derbe, robuste Schönheit, die eine ungemischte Bewunderung erweckt. Der Bauer hat auch ein Auge für zarte, seine Schönheit; aber wenn ein Kind mit einer solchen von ihm Lob erhält, so wird doch aus seinem Ton zugleich ein gewisses Mitleid herauszuhören sein, zumal wenn es ein Bube ist. Kennt er die Eltern gut, so erlaubt er sich in diesem Fall hinzuzusetzen: »A bisle kräftenger könnt 'r freile sei'! No, 's kommt vielleicht no' (noch)!« Im stillen denkt er aber: »Schad für des Büeble, daß er gar so elend ist!« Bei dem hübschen Jungen dagegen, der zugleich rote Backen und tüchtige Gliedmaßen aufweist, geht die Gratulation durchaus von Herzen, und das Lob wird mit den Zeichen der Achtung ausgesprochen. »Kott's Blitz,« ruft hier der Freund, während seine Augen im Glanze des Wohlgefallens blinken, »des ist a Kerl! Des gibt a Mannsbild! Des weara't a' baar (paar) Aerm' zum Garba' naufgeba'!« Und er lächelt dabei mit Würde und nickt den Eltern seine volle Anerkennung zu.

In solcher Art wurde der junge Michel gerühmt, namentlich von Gästen aus anderen Dörfern, die ihn längere Zeit nicht gesehen hatten, und am lebhaftesten von den Weibern. So eine sagte wohl im Doppeleifer der Höflichkeit und der wirklichen Empfindung zu der Mutter: »Aber wie uir (euer) Michel widder g'wachsa'n ist! Doh muße me nor so aufwondera' (aufwundern)! Und a Boschdur (Positur) und a G'sicht hot er grad wie sei' Vader! Wie ra'grissa' (herabgerissen, d. h. vom Vater)! und die rot' Backa', die er hot! Und die schöa' brau' Oga'! Doh müsset 'r aber doch a rechta' Fräd (Freud) haba' mit so'm Buaba' – net wohr, Bas?« usw. Die Mutter suchte derartiges Lob, wie es der Brauch verlangt, wieder zu dämpfen, indem sie einwarf, daß in dem Alter alle Buben rote Backen hätten, wenn ihnen grad' nichts abginge, oder in Bezug auf besseres Lernen in der Schule und Angewöhnung besserer Manieren klagend ihre Wünsche aussprach. Aber solche Einwendungen erfuhren natürlich die gehörige Widerlegung; und wer konnte es der Glücklichen nun verdenken, wenn sie, den schönen Versicherungen in ihrem Innern beistimmend, an ihrem Michel eine Art Wunderkind zu haben glaubte?

Als das ersehnte Ziel erreicht und der Bursche »in die Zahl der Erwachsenen aufgenommen war«, entwickelte er sich indes mehr nach seinen natürlichen Anlagen als nach den Gesamtwünschen der Mutter; und die gute Frau mußte ihrerseits erfahren, daß es nichts Vollkommenes gebe unterm Monde!

Zum Teil zwar erfüllte der junge Michel nicht nur ihre Erwartungen – er übertraf sie. Er wurde größer als sein Vater und ragte bald ein anderer Saul über seine Altersgenossen hervor. Gestalteten sich die Züge verhältnismäßig derb, so waren sie doch regelmäßig. Die bräunlichrote Gesichtsfarbe paßte zu den Formen, die dunkeln Augen und das dunkle Haar waren untadelig, und mit alledem konnte ihn die Mutter immer noch für den Schönsten im Dorf halten, wenn auch minder befangene Augen einigen anderen Burschen den Vorzug geben mußten.

Das Bauernhandwerk lernte er gern und gut. Die Mutter hatte zur Besorgung der Feldarbeiten ihres Vaters Bruder, einen alten Bauernknecht, ins Haus genommen. Dieser weihte den Burschen nach und nach in alle Künste der Landwirtschaft ein, und der Zögling machte sie sich ein wenig langsam, aber gründlich zu eigen. Er gewöhnte sich eine stetige Art zu schaffen an, die ohne Übereilung auch zum Ziele kommt. Falls es aber gerade sein mußte – zum Beispiel in der Erntezeit, wenn man vor dem drohenden Regen noch schnell ein Fuder hereinbringen wollte – da konnte er auch arbeiten »wie ein Roß!« Durch den trunkenen Eifer beflügelt, den im echten Landmann die Notwendigkeit aufzuregen pflegt, leisteten die gewaltigen Gliedmaßen Staunenswertes; und wenn zufällig ein alter Bauer vorüberging, konnte er sich überzeugen, daß die jetzige Zeit doch auch noch Mannsbilder aufzuweisen habe und die tüchtigen Leute im Ries nicht aussterben würden!

Unter den ledigen Burschen im Dorf erwarb sich Michel eine außergewöhnliche Stellung. Schon als Bube hatte er im »Moëstern« (Meistern), d. h. im Ringkampf, nicht nur seine Mitschüler, sondern auch ältere Burschen bezwungen und die Kniffe, womit die Schlaueren über ihn Herr zu werden suchten, durch überlegene Kraft wettgemacht. Er hatte verschiedene unverschämte Kerle in die Grenzen des Anstandes zurückgeprügelt, und die Partei, die ihn bei Schläghändeln auf ihre Seite bekam, durfte sich für geborgen halten. Wie er als Lediger zuletzt »auf die Gass' ging«, glaubten ihn zwei ältere Burschen, die bis dahin für die Stärksten gegolten, »für'n Narren halten« und vornehm behandeln zu können. Das »Geträtze« reifte zu einem nächtlichen Kampf, und dieser verlieh jedem die Überzeugung, daß die Gefürchteten ihren Meister gefunden hatten. Michel, von einem Kameraden sekundiert, schickte die Gegner jämmerlich zerdroschen heim! Von da an ließ man ihn nicht nur in Ruhe, sondern wich ihm bescheiden aus und behandelte ihn mit Rücksicht. Er kam nicht mehr in den Fall, die Stärke seines Armes geltend zu machen, außer wenn er sich bei einer entstandenen Prügelei bewogen sah »auszuwehren«, das ist tatsächlich Ruhe herzustellen. Die Veranlassung dazu bot sich ihm nicht oft, aber vor etwa dreißig Jahren doch öfter, als es jetzt sein könnte, wo der kriegerische Geist der Rieser Bauernburschen durch die fortschreitende Bildung und die Gendarmerie auffallend zurückgedrängt ist. Bei solchen Gelegenheiten pflegte Michel die Burschen, die sich ihm nicht fügten und immer wieder angriffen, mehr als just nötig war zu puffen und dadurch den Glauben an seine Überlegenheit so aufzufrischen, daß zuletzt das ganze Dorf davon durchdrungen war.

In der angenehmen, behaglichen Stellung, die sich unser Mann erobert, bildete sich folgerichtig ein eigentümlicher Geist in ihm aus. Obwohl von Natur nicht anmaßend, gewöhnte er sich doch einen kurzen, befehlenden Ton an, weil ihm nach seinem Gefühl kein anderer zustand. Er saß beim Bier unter seinen Kameraden in der Regel mit schweigsamer Würde, ließ sich unterhalten, belohnte den Spaß, der einem »Narra'sager« gelungen war, mit beifälligem Lachen, und spielte nur hier und da selbst einen Trumpf aus, der dann gerade nicht der feinste zu sein brauchte, um günstig aufgenommen zu werden. Wenn aber ein Streit entstand über Dinge, die er zu verstehen glaubte, so pflegte er zu entscheiden. Auch anderen Disputen machte er zum öfteren ein Ende, nicht durch ein siegreiches Argument, sondern durch die einfache, kräftig betonte Erklärung, daß man »d's Maul halten« solle! – Er war kein Liebhaber von vielen Worten, unser Michel – selbst nicht, wenn andere sie machten; und wenn seiner Ansprüche im Umgang immer wenige blieben, so wollte er diese doch auch befriedigt sehen. Dank sei es dem Namen, den er sich erworben – unter seinen Kameraden setzte er seine Wünsche durch!

Das wäre alles gut und schön gewesen, und eine Mutter hätte Ursache gehabt, mit so einem Buben zufrieden zu sein; aber das Bild hatte seine Kehrseite. – Michel nahm keine Manier an! Er konnte sich nicht abgeben mit Vettern und Basen, wie die Schwabin es wünschte – er lernte keine Höflichkeit! – Schon als kleiner Junge, wenn ihn die Mutter in die Stube rief, um ihn einem besonders werten Besuch vorzustellen, pflegte er ein »wildes« Gesicht zu machen, auf die gewöhnlichen Fragen, halb verlegen, halb trotzig, kurze, zum Teil verkehrte Antworten hervorzustoßen und sobald als möglich das Weite zu suchen. Dem Knaben wurde das verziehen, weil man doch sah, daß er's eigentlich so bös nicht meinte, und auch die etwas beschämte Witwe konnte über irgend eine komisch-alberne Antwort achselzuckend mitlächeln. Als er aber heranwuchs und seine Sache immer noch nicht besser machte, wurde sie höchst verdrießlich.

Der Bauer hat keine Zeit, die Unterhaltung als Kunst zu betreiben, und Gesellschaften im städtischen Sinn gibt es auf dem Dorfe nicht. Allein man empfängt doch Besuche und macht welche, es gibt fröhliche Zusammenkünfte, und dem jungen Burschen fehlt es keineswegs an Gelegenheit, sein Licht leuchten zu lassen, wenn er eins hat, oder sich wenigstens in herkömmlicher Weise schicklich zu benehmen. – Bei Michel waren dem Erlernen auch solchen Benehmens zwei Eigenschaften hinderlich, die sich in ihrem Bunde unüberwindlich zeigten: Ehrlichkeit und – Faulheit. Seiner geraden Seele widerstrebte es, Dinge zu bewundern, die er nicht besonders, ja nicht einmal gewöhnlich gut fand; und in den Eifer, wo einem derartige Versicherungen allenfalls vom Munde gehen, sich hineinzureden, war ihm unmöglich; denn dazu hätte es einer Anstrengung bedurft, die ihm schon beim bloßen Gedanken abschreckend vorkam! So blieb es in der Regel bei einem schweigsamen Gesicht – einem »Hm«, »Ja«, »Jo« (ja doch), »Freile« und anderen lakonischen Äußerungen, womit sich Leute seinesgleichen aus der Affäre ziehen. Bei ungelegenen Fragen kam noch das im Ries sehr gebräuchliche »Bah« hinzu, das mit stark ablehnender, unter Umständen verächtlicher Miene hingeworfen wurde. Es war in der Tat unmöglich, in einer unvermeidlich gewordenen Unterhaltung sich kürzer auszudrücken als unser Michel, zum großen Leidwesen seiner Mutter, die ihn gern auch im Diskurs, wo nicht musterhaft, doch löblich gesehen hätte. Manchmal blieb es aber nicht dabei – manchmal, wenn man seine Ehrlichkeit allzustark reizte, platzte er direkt mit der Wahrheit heraus und beging damit eine Unschicklichkeit, bei der es der Mutter grün und gelb vor den Augen wurde. Sie gab sich alle erdenkliche Mühe, die grobe Rede zu vertuschen; wenn es aber nicht gelang und die beleidigte Person sichtlich böse dastand, dann übernahm sie die Rache selber, indem sie den Schuldigen für einen einfältigen Schwätzer erklärte, der nichts verstehe und ein Esel bleiben werde »all sein Lebtag!«

In der ersten Zeit folgte solchen Unterhaltungen in der Regel ein Zwiegespräch, in welchem die Mutter dem Sohn ins Gewissen redete und ihn mit dem Nachdruck der gerechten Entrüstung über seine Mängel aufzuklären suchte. Als er sich einmal durch düstere Schweigsamkeit und kurze Antworten ausgezeichnet hatte, begann die Alte: »Aber ietz sag mer no, Michel, wie isch (ist es) mögle, daß ma se so benemma' ka' vor da' Leuta'! Ka'st denn ietz net oh a weng reda', wie's der Brauch ist, und a froëndle's (freundliches) G'sicht macha'? Fällt der denn gar nex ei', daß d'alleweil dohstohst (dastehst), als ob d'r d's Maul zuag'wachsa' wär'?« – Michel, etwas unmutig, fragte, wie er schon öfter getan: »No, was soll i denn saga'?« – Die Schwabin kam in Eifer: »Was er saga' soll, frogt er me! – Was ander Leut' saget – Badde (alberner Mensch)! Merkst denn gar net auf? Host denn gar koë Hihra' (Hirn)?« – Michel, über diesen Ausdruck verdrießlich, erwiderte: »I ka' des domm' G'säg (Gesage, Gerede) net leida.« – Aber nun wurde die Alte hitzig: »Wer sakt denn, daß d' a domm's G'säg haba' sollst, o'verständenger Mensch? Ebbes G'scheit's sollst reda', daß ma'n a'n Unterhalteng hot und vergnügt ist! Gang weiter. A Kerl so stark und so groaß wie a' Bohm (Baum), und hot net amol so viel Versta'd wie a' Schuelbüable! An dir wear' e no' a rechta' Fräd (Freud) verleba', daß Gott erbarm'!« usw.

Kräftiger noch war die Rüge, wenn Michel seiner Ehrlichkeit freien Lauf gelassen und die Wahrheit gesagt, hatte, wo Höflichkeit an der Stelle gewesen wäre! Nach dem ersten auffallenden Verstoß dieser Art kam es zu folgender Scene:

Mutter. No ha'et (heute) host widder a Dommheit g'macht! Du bist doch der Dipplengst Von Düppel, eine Kopfkrankheit der Schafe, wobei sie sich wie blödsinnig benehmen. em ganza' Doraf (Dorf)! Sakt ma'n oëm so ebbes en's G'sicht? Setzt m'a d'Leut so en Verlega'heit?

Michel (trutzig). 's ist nor d'Wora't (Wahrheit) g'wesa' was e g'sakt hab'!

Mutter (bitter lachend). D'Wora't! O du o'sennenger (unsinniger) Mensch! Sakt ma' d'Wora't, wann's o'gschickt rauskommt und d'Leut verdrießt? – Was weara'n ietz die von der denka'? Und was weara's von d'r verzähla', wann's hoëm (heim) kommet!

Michel. Mei'twega' was went (was sie wollen)! I frog' nex dernoch!

Mutter. Oh rehcht (auch recht)! Du frogst nex dernoch, wamma' de für'n Esel hält und dei' Mutter für a Weib, die de net zoga' hot? Du wurscht a saubers Mannsbild weara'! Du wurscht schöa' durch d' Welt komma'! – Jetz möcht' i nor wissa, w'rom ih grad so g'stroft ben und so'n Narra' zum Soh' hab!

Michel (ärgerlich). No, ietz isch gnuag! – – A'n andersmol du' es (tu ich es) nemmer!

Diese Zusage, die ihm das Verlangen nach dem Schluß erpreßt hatte, konnte der gute Michel indessen nicht immer halten. Wenn er aber auch in weiteren Verstößen sich selbst übertraf – wenn er, zum Sprechen genötigt, in seinem Widerwillen vollständig »aus dem Weg naus« redete oder, durch sein eigenes Schweigen belästigt, in der Zerstreuung und ohne Kenntnis des eben Gesprochenen eine Frage tat, daß man ihn für »meschucka« (hebräisch: verrückt) hielt – kurz, wenn er auf dem eingeschlagenen Wege konsequent fortging, so hörten die Predigten der Mutter doch nach und nach auf. Einmal wurde die wackere Frau müde, stets dasselbe zu sagen für nichts und wieder nichts. Dann regte sich, je mehr er heranwuchs und Autorität unter den Dorfburschen erlangte, in Michel ein Geist der Widersetzlichkeit, der sich das »Repermandieren« nicht mehr gefallen lassen wollte. Die Schwabin beschränkte sich zunächst auf einzelne kurze Bemerkungen, wie z. B.: »No, ha'et host widder a Schluap (großes Maul) rahg'hängt, des muß i saga'! Wann de nor em Spiegel g'seha' hätt'st – du hätt'st der g'wiß selber g'falla'!« Oder: »Ha'et host widder 'n Einfall g'hett (gehabt)! Wie d'nor drauf komma' bist! A'n anderer brächt's net raus, er därft se Müa' geba'!« – Aber Michel wurde endlich auch dadurch verletzt und sagte einmal unmutsvoll: »Jetz loß me amol ganga'! I ben wie'n e ben, und durch dei' ewengs (ewiges) G'schimpf wear' e net anderst! Weam e net g'fall, der soll derhoëmt (daheim) bleiba', oder – – i hätt' schier ebbes g'sakt!«

Die Mutter seufzte. Sie mußte einsehen, daß sie sich in einem Punkte geirrt und ihr Sohn eben doch einen Fehler habe, und zwar einen großen, den er vielleicht nie ablegen werde. Aber noch blieb ihr eine Hoffnung. Michel war noch jung, es konnte noch werden. »Vielleicht got's 'm,« dachte die Gute, »wie's scho' manchem ganga'n ist! – vielleicht wurd 'r zoga', wann 'm a Mädle g'fällt!« – Dieser Gedanke leuchtete ihr ein und rief eine Art von Lächeln auf ihr Gesicht. Es gab manche im Dorf, die ihr als Söhnerin nicht unlieb gewesen wäre. Wenn Michel an einer seine Freud' hätte, sich »um sie herummachte« und sie zum Tanz führte, dann müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn ihm der Verstand nicht kommen und das Maul nicht aufgehen sollte! – Die gute Frau stellte sich das so hübsch und natürlich vor, daß sie recht erheitert wurde und auf diese Medizin das vollste Vertrauen setzte. Sie beschloß, ihn gehen zu lassen und zu warten.

Michel wurde neunzehn, er wurde zwanzig Jahre alt – und noch gefiel ihm keine. Die Mutter schüttelte den Kopf. Nicht nur, daß er keiner den Vorzug gab – er machte sich aus den Mädchen überhaupt nichts. Er lief ihnen nicht nur nicht nach, er wich ihnen aus oder tat wenigstens, als sähe er sie nicht. An Lustbarkeiten nahm er teil, aber nur, um sich zu Mannsbildern zu setzen, die ohne Schatz waren wie er. Mit diesen zechte, dampfte und diskurierte er in der schon beschriebenen Art und ging endlich zufrieden nach Hause. Ein paarmal ließ er sich von einer Nachbarin, die einige Jahre älter war als er und ihm gegenüber eine Art von Erziehungstrieb spürte, zum Tanzen verleiten. Als aber nach dem zweiten Versuch eine alte Base zu ihm sagte, er tanze, daß »dem Teufel dran grause«, und er müsse es besser lernen, sonst wär's gefehlt – da hatte dies nicht zur Folge, daß er's besser lernte, sondern ganz und gar aufsteckte. – Die Mutter wurde recht bedenklich, und an die Stelle der Hoffnung trat das Mißvergnügen und die Sorge.

Auf dem Lande heiratet man verhältnismäßig früh, und früh knüpfen sich auch Liebesbündnisse. Zwei junge Leute, die sich gefallen, gedeihen eben darum bald zum Liebespaar, weil sie auch bald zum Ehepaar gedeihen können; und der Dorfgeschichten-Erzähler wird nicht leicht in den Fall kommen, seine Leser für das Verhältnis eines Vierzigers mit einem zwanzigjährigen Mädchen interessieren zu müssen, was der Novellist der höheren Stände immer seltener wird umgehen können. Daß ein Sohn zu spät oder zu wenig nach den Mädchen fragt, ist ein Unglück, welches bäurischen Eltern selten begegnet. Öfter kommt es vor, daß einer in jungen Jahren zu viel danach fragt und dann natürlicherweise Folgen sich ergeben, die den Eltern viel Verdruß machen können, in der Regel aber auch wieder eine gute Ausgleichung finden. Vernünftige Eltern wünschen niemals, daß ihr Sohn eine Liebschaft anfange, wenn er kaum ein paar Jahre aus der Schule ist. Aber wenn ein Jahr ums andere vergeht, wenn er in die Zwanzig eintritt und immer noch tut, als ob's gar keine Mädchen auf der Welt gäbe, dann findet man das auf dem Lande nicht natürlich.

Als Michel das zwanzigste Jahr hinter sich hatte, achtete es die Schwabin für ihre Pflicht, ihm in dieser Beziehung Ermahnungen zu geben – freundliche, liebevolle Ermahnungen: sie wußte ja, daß andere bei ihm nicht anschlugen! – Bei Gelegenheit eines Tanzes forderte sie ihn auf, ins Wirtshaus zu gehen und sich auch einmal ein Vergnügen zu machen. Er habe ja die letzte Zeit her genug geschafft, und für Leute seines Alters wären ja solche Gelegenheiten da. Michel antwortete, er wolle sich schon ein Vergnügen machen. Die Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »I moë (meine) net, daß de widder he'setzst und rohchst aus dei'm Pfeifa'kopf – i moën, daß d'oh a Mädle nemmst und danzst mit 'r, wie ander' jung Leut.« – Michel schwieg einen Moment, dann sagte er: »Du woëscht (weißt), Mueter, d's Danza' frät me net.« – Hier konnte die Mutter ihre Ungeduld nicht bemeistern. – »Kott's Blitz, red net so! Fang's nor a', 's wurd de scho' fräa'!« – Und in freundlicherem Ton setzte sie hinzu: »Ha'et kommt dei' Bäsle von ** ins Wirtshaus, a saubers Weibsbild – ka' alle Arbet und hot ebbes! Des wär' a Dänzere für di! Mach de lusteng mit 'r (ihr), nemm's mit in d' Stub' nei' und loß 'r ebbes auftraga'. Kott's Kreuz nei', a Mensch, der ins oënazwanzengst Johr got.« – »Aber i ka' ja net danza,« entgegnete Michel. »D'Leut lachet me aus.« – »Wie wursch (wirst du's) denn aber learna', wann's net probierst?« versetzte die Alte. »Learngeld hommer (haben wir) alle geba' müssa' – des verstot se. Aber die Bäbe, die wurd de scho' regiera'! die brengt de rom – doh ka'st de drauf verlossa'. – Komm, versprich mer's!« – »Ach Gott,« erwiderte der gute Bursche mit einer Miene, als ob er Arznei nehmen sollte – »i due's recht o'geara'.« – »Jetz verzürn' me net,« entgegnete die Mutter, »oëmol mueß sei'.« – »I hab' koë Gloech (Gleich, Gelenk) derzue,« versetzte der noch immer Bedenkliche. – »Dommheita'! du host dei' grade Glieder! Und du ka'st ja doch bei der Arbet sprenga' (springen, laufen), wann's sei' muß!« – »Ja bei der Arbet!« erwiderte Michel, als ob er hinzusetzen wollte: »das ist auch was ganz anderes!« – »Beim Danza' got's no' (noch) besser!« versicherte die Mutter; und indem sie ihn schmeichelnd auf die Schulter klopfte, setzte sie hinzu: »Komm, sei brav, versuch's und due (tu) oh amol ebbes, was e (ich) geara' hab'!« – Der gute Michel verspürte bei diesen bittenden Worten einige Rührung, und um der Sache ein Ende zu machen und loszukommen, sagte er: »No, i will seha'!« – »Also du willst?« rief die Mutter. – »Ja, ja,« erwiderte Michel, »i will seha'!«

Als er am andern Morgen in die Stube trat, fragte die Schwabin: »No, wie hot's ganga'?« – »Ganz guet,« versetzte Michel. – »Bist z'recht komma'?« – »Des will i moëna',« erwiderte der Sohn mit Selbstgefühl. – »No,« sagte die Alte erheitert, »des hab' i ja g'wißt! – Host aber oh ebbes auftraga' lossa'?« – »Des net.« – »Wie, 'r Dänzere, zu der ma' Froëd (Freund) ist?« – »Ja so,« versetzte Michel, »du red'st vom Danza'?« – »No, von was soll i denn reda'?« – »Ja, lieba' Mueter,« erwiderte der Sohn mit einer Art von Bedauern, »des muß i d'r scho' saga': danzt hab' e net.« – »Was? Aber du sakst ja –« – »Ja,« entgegnete der Enakssohn, »i hab' denkt, du moëst ebbes andersts. 's hot nämlich bald 'n kloëna' Handel geba', und doh hab' e ausg'wehrt. Doh ist so a kloëner Grippel (Krüppel, bedeutet hier bloß die Kleinheit) g'wesa', der gar koën Fried' hot geba' wölla'. I hab' wärle Earnst macha' müassa'! – Aber ietzt,« setzte er mit Befriedigung hinzu,, »ietzt, hoff' i, wurd er oh an mi denka'!« – Die Mutter, ärgerlich, versetzte: »Aber des wurd doch net eweng daurt haba'? Später wurd's doch oh no Zeit geba' haba' zum Danza'?« – »Ja,« sagte Michel, »doh hab' i nocht (nachher) mei' Unterhalteng scho' g'hett (gehabt), und i hab denkt: für ha'et isch gmuag!« – Die Alte wußte nicht, sollte sie weinen oder lachen über so einen Menschen. »No,« sagte sie endlich, »i sig scho', an dir ist Hopfa'n und Malz verloara'!« – »Desdawega' (deswegen) no net,« erwiderte Michel behaglich, und ging langsamen Schrittes an seine Arbeit.

Trotz des schlechten Erfolgs dieser ersten Ermahnung richtete die Mutter ähnliche noch zu wiederholten Malen an den Sohn. Die gute Frau meinte: »'s ist doch a Vergnüaga', was i von 'm haba' will! 's ka' ja net sei', daß 'r gar koën G'falla' dra' fendt! 's ist doch no a'n ieder endle drauf komma'!« – Allein ihre Bemühungen blieben fruchtlos. Einmal ließ sich Michel bewegen, noch einen Tanzversuch zu machen; aber abgesehen davon, daß er nicht das geringste Vergnügen dabei empfand, hörte er auch aus einer Ecke von zwei Mädchen ein ›Kuttern‹ (gedämpftes Lachen), das er nur auf sich beziehen konnte, und in dem Ärger, den ›Fratzen‹ zum Gespött zu dienen, sagte er zu seiner Tänzerin: »So, ietz ist gmuag, ietz ka'st widder ganga'!« und kehrte in die Stube zurück, um seinen Unmut zu vertrinken. Ein Kamerad, den er aufs Gewissen fragte, wie er eigentlich tanze, erwiderte mit bedeutungsvollem Blick: »Loba' ka'n e's net!« Michel nickte schweigend; und als er heimkam und seine Mutter wieder fragte, ob er »sich lustig gemacht« habe, antwortete er mit Unmut: »Ja, danzt hab' e; aber desmol und mei' Lebteng net widder! Aus isch! Globst du, doß i da' Leuta' da' Narra' ahgib? doh bild' i mer doch z'viel ei'! Kott's Kreuz-Taused« – – »Aber« – »Jetz hör' auf oder du machst me falsch! I will endlich 'n Fried' haba' mit dem Sakermentsdanza' doh! – 's wär koë Wonder, 's käm' ebbes dabei raus!« – – Die Mutter sah den Burschen achselzuckend an und schwieg. Sie mußte sich überzeugen, daß an so einem Menschen kein Reden was helfen kann! In Gottes Namen! Sie hatte ihre Schuldigkeit getan; und wenn er nicht mehr auf den rechten Weg zu bringen war – ihr konnten keine Vorwürfe gemacht werden. Hatte sie sich doch auch schon erboten, ihn selber tanzen zu ›lernen‹ (lehren)! Aber was hatte er drauf gesagt? »Mit mei'r Mutter z'danza', kommt mer so öad für, daß mer übel wurd, nor wann e dra' denk'!« Mit so einem Menschen fang' eins was an! Nein! – er soll tun, was er will! Und wenn er »a'n alter Esel« wird und keine kriegt, soll er's haben!

Um es kurz zu machen – unser Bursche hatte das sechsundzwanzigste Jahr hinter sich – und noch konnte er das Tanzen nicht, und noch hatte er keinen Schatz, geschweige denn ein Weib. Er näherte sich dem, was auf dem Dorf ein »alter Jungg'sell« heißt; denn wenn der Bursche einmal in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre steht, dann kann er sich nicht mehr viel auf seine Jugend einbilden und es ist Zeit, daß er seine Wahl trifft. Hat er einmal »drei Kreuz aufm Buckel« (Rücken), dann ist er schon sehr anrüchig, und er muß andere Qualitäten bedeutender Art haben, falls er auf eine Dorfschöne noch Eindruck machen will.

Bei seiner Weise zu leben wurde Michel natürlich ein eigentümlicher Kauz. Von Herzen gutmütig, konnte er doch leicht und schnell böse werden, wenn man ihn durch eine Zumutung belästigte oder durch Widerspruch reizte. Der kurze, befehlende Ton unter Kameraden wurde ihm zur andern Natur, er gebrauchte ihn ganz gemütlich und hatte keine Ahnung davon, daß er einen andern damit in einer Art ansprach, die er von ihm sehr übel ausgenommen hätte. Wer ihn zu behandeln wußte, konnte gleichwohl alles mit ihm anfangen. Auf eine gute Rede, für einen guten Freund wär' er durchs Feuer gegangen. Natürlich wurde er bei alledem kein großer Menschenkenner. Er bildete mehr die Gabe des Glaubens als das Talent der Prüfung und Unterscheidung aus, glaubte an seine eigenen Einfälle und anderer Leute Versicherungen und handelte in diesem Vertrauen oft sehr naiv. Er gab im Dorfe zu manchem Spaß Anlaß, der gute Michel, und man lachte bei solchen Gelegenheiten weidlich über ihn – aber hinter seinem Rücken! Denn ihm ins Gesicht zu lachen, wollte doch niemand rätlich finden.

Die Mutter ließ ihn gehen. Am Ende, wenn er nicht heiratete, blieb sie die Herrin im Haus bis an ihr letztes Stündlein; und wir wissen, sie regierte gern. Aber ihr Muttergefühl überwog doch. Eine rechte Söhnerin ins Haus und für sie »Enkala'« zu wiegen, wär' ihr doch lieber gewesen. – Wenn sie daran dachte, verlor sich ihre Zufriedenheit; sie schüttelte den Kopf und seufzte. Zuweilen tröstete sie sich selbst mit den Worten: »Was ka'n i macha'? 's ist eba'n a Blohk (Block) und bleibt oër!« Damit aber tat sie ihrem Sohn unrecht. Die Fähigkeit, die sie so gern betätigt gesehen hätte, fehlte nicht, sie schlief nur und harrte ihrer Zeit. Und die Zeit kam endlich und eine neue Periode begann für Michel – die geschichtliche. Kurz: er sah ›die Rechte‹ – die bestimmt war, sein Herz zu rühren. Und bei dem ersten Anblick schon wurde ihm höchst seltsam zu Mute, und was die Mutter ihm vorgepredigt und was er niemals verstanden hatte, das begriff er mit einem Schlag.

Diese Rechte war Margaret, zweite Tochter eines Söldners und Maurers, dessen Haus in der nämlichen Gasse lag. Als ›Greatle‹ war sie aus dem Dorf gekommen, um zu dienen – als ›Great‹ kam sie wieder, da ihre ältere Schwester sich verheiratet hatte und der verwitwete Maurer sie im Haushalt brauchte. Vor vier Jahren, wo sie das elterliche Haus verließ, hatte sie noch wenig ›gleichgesehen‹ (vorgestellt); jetzt verwunderte sich alles über ihre ›Aussicht‹. Sie war stattlich und groß – um ein Gutes kleiner freilich als Michel, aber doch das größte Mädchen im Dorf. Zugleich war sie ein sehr hübsches Mädchen. Sie gehörte zu jenen gesunden, kräftigen Blonden, welche das heiterste Bild froher Weiblichkeit gewähren. Ihre Züge waren regelmäßig, die Gesichtsfarbe hell; die Backen hatten nur einen leichten rosigen Anhauch, aber desto röter waren ihre Lippen; und wenn sie lachte, war es ein Vergnügen, ihre weißen Zähne durchblinken zu sehen. In gemütlicher Aufregung pflegten die Flügel ihrer wohlgebildeten Nase sich etwas in Bewegung zu setzen, was auf ein lebhaftes Temperament schließen läßt. Allein wer ihre ziemlich hohe, klare Stirn sah und ihre hellen blauen Augen, der erkannte in ihr ein Mädchen, die zu gescheit war, um ihrem Temperament die Zügel schießen zu lassen. In der Tat war sie ein fröhliches, aber unverdorbenes Geschöpf; vielleicht eben darum unverdorben, weil sie fröhlich war und nach der Arbeit in Scherz und Spiel ihre Erholung und Befriedigung fand. Sie war das letzte Jahr zu Nördlingen im Dienst gewesen, und es hatte ihr an verliebten Nachstellungen durchaus nicht gefehlt. Allein Margaret war ein echtes Bauernmädchen – ein rechter ›Bauernburscht‹ ging ihr über alles, und da sie so einen noch zu bekommen hoffte, so konnte ein »Nearlenger Da'le« (Daniel, Spottname der Nördlinger unter den Bauern) keine Macht über sie gewinnen. Im übrigen war das Schaffen ihr Vergnügen. Sie gehörte zu den Personen, denen nach dem Rieser Ausdruck »etwas aus der Hand geht« – die nicht lange sackeln und herumtappen, sondern die Sache gleich recht angreifen, und die gern arbeiten, weil sie immer etwas Ordentliches fertig sehen.

Gewiß ein Mädchen, der es zustand, das Herz unseres Burschen in Bewegung zu setzen! Wäre Michel geschickter gewesen, so hätte man sagen können: sie war unter den Mädchen des Dorfes, was er unter den Burschen. Allein unter den gegenwärtigen Umständen ragte sie über ihn empor, und das war auch nötig, wenn sie dem Stolzen einleuchten und den Selbstgenügsamen zu der Erkenntnis bringen sollte, daß ihm doch noch etwas fehle und daß er sich um etwas zu bemühen habe.

Als Michel ihr das erste Mal begegnete und sie ihm Guten Tag bot, sah er sie verwundert an und erwiderte stehen bleibend: »I muß scho' saga'« – Das Mädchen, ihm zu Hilfe kommend, rief: »Du kennst me g'wiß nemmer, Michel? I den d's Maurers Margret!« – »Kott's Blitz,« erwiderte Michel, »'s ist wohr! – Aber du bist ja a Fetza'mädle woara!«

Der Ausdruck »Fetza'mädle«, obwohl eine tüchtige Person bezeichnend, klang doch von einem Burschen zu einem hübschen Mädchen nicht besonders zierlich und rief auf dem Gesicht der Gret ein Lächeln hervor. Sie sagte ein wenig schnippisch: »Uir Mannsbilder moënet wohl, uir könnet alloë groaß wäara'? Aber manchmal g'rotet (gerät) von o's doch oh oëna'! – No, godda' Morga'!« – Sie ging weiter. Michel hatte mechanisch das »Godda' Morga'« wiederholt und sah ihr jetzt mit einer kuriosen Empfindung nach. Endlich sagte er: »Des ist ja a verfluacht saubers Weibsbild woara, die Great! Wer hätt' des g'lobt (geglaubt)!« Er drehte sich um und ging weiter; aber das Bild der Gret stand immer vor ihm und seine Gedanken konnten nicht von ihr loskommen. Es gärte und »grubelte« in seinem Herzen, und nachdem sein Mund eine halbe Stunde geschwiegen, verriet er die Beschäftigung seiner Seele, indem er plötzlich murmelte: »A saubers Weibsbild, wärle! A Mädle, wie von Wachs!«

Der Keim war in unseren Burschen gelegt. Bei weiterem Nachdenken erkannte er immer mehr, daß die Gret diejenige sei, die er haben möchte, zum Schatz – zum Weib! Er begriff, wie man einem Mädchen nachlaufen könne; denn eigentlich wäre er der Gret jetzt schon gern nachgelaufen! Was ihm früher zuwider gewesen, das erschien ihm jetzt lieb und angenehm. Es dünkte ihn schön, sehr schön, mit der Gret eine »Ansprach« zu halten, sie zum Tanz zu führen, sie ordentlich herumzudrehen und ihr tüchtig auftragen zu lassen! Was die Mutter früher umsonst gewünscht hatte, jetzt, hätte er's ausführen können alles miteinander! – – Allein er wäre nicht Michel gewesen, wenn er die Sache nun so angegriffen hätte, daß er zu seinem Zweck gelangen mußte.

Zuerst überlegte er, und dabei kam ihm ein Skrupel, der ihn höchst bedenklich machte. »Wann's de aber no net möga' dät? Wann's de auslacha' dät und du ständest doh« – – Es ging ihm heiß durch die Brust bei diesem Gedanken und er sah gewaltig düster für sich hin. Michel hatte nichts von der Eitelkeit, die junge Bursche glauben läßt, jedes hübsche Mädchen müsse sich in sie verlieben; aber um so mehr besaß er jenen Stolz, für welchen der Gedanke, sich verachtet zu sehen, empörend ist. Wenn er, der niemals nach den Mädchen was fragte, der ihnen auswich, der zu wiederholten Malen erklärte, er könne ihr »G'säg« nicht leiden – wenn er, der Michel, vor dem alles Respekt hatte, nun plötzlich einer nachginge und schlecht ankäme! Wenn sie ihn verspottete und es käme heraus und das ganze Dorf, spottete über ihn – – Ein Kernfluch entrang sich bei dieser Vorstellung seinen Lippen. Nein, so durfte er sich nicht in Gefahr begeben. Das mußte klug und vorsichtig – sehr vorsichtig angefangen werden.

Er faßte den Entschluß, keinem Menschen zu sagen, wie's ihm war. Zur Mutter zu gehen und ihr zu beichten, er hätte ein Mädchen gern, wäre ohnehin nicht in seinem Charakter gelegen; nachdem er aber so lange ihren Ermahnungen widerstanden hatte, wäre sie die letzte gewesen, der er seine Bekehrung hätte vertrauen mögen. »Vorderhand,« sagte er endlich zu sich selbst, »will i seha', wie's got! – Und was will e? Z'erst muß e ja doch oh d's Mädle nommol (nochmal) betrachta': vielleicht g'fällt's m'r nemmer so.«

Mit dieser Hoffnung täuschte er sich freilich. Als er sie wiedersah, gefiel sie ihm nicht weniger, sondern noch viel besser als das erste Mal. Sie hatte just ihren schönsten Tag, war in ihrer heitersten Laune und glänzte vor Vergnügen! – Das Herz des Guten klopfte, als er sie grüßte, und er hätte jetzt nicht stehen bleiben und mit ihr ein paar Worte reden können! Eine höchst ungewohnte Aufregung trieb ihn an ihr vorbei, und erst als er ein paar hundert Schritte gegangen war, beruhigte er sich wieder. – »Des ist nex g'wesa',« sagte er endlich zu sich selbst und schüttelte höchst ernsthaft den Kopf.

Er war gefangen, der arme Michel. Er hatte seinen Teil – und konnte sehen, wie's ihm ging. – Zu dem schönen Aussehen der Gret kamen zuletzt noch die Urteile, die er von andern über sie hörte. In diesem Punkte sind wir alle Menschen! Wir lieben die Geliebte um ihrer selbst, um der Schönheit und Tugend willen, die uns an ihr entgegenleuchtet. Allein wenn sie nun auch von andern gerühmt wird, so hat das nicht zur Folge, daß unser Wohlgefallen an ihr sich mindert – im Gegenteil, das Lob, was ihr gesungen wird, ist ein Hauch, der die Flamme unseres Herzens oft noch viel stärker anblasen kann. Michel horchte herum, indem er mit gutem Erfolg den Gleichgültigen spielte; denn die Liebe schärft den Verstand aller Wesen. Und wie er nun hörte: »A g'schickt's Mädle – a schöas Mädle – a bravs Mädle« – ja, von einem alten Kenner, »a Staatsmädle«, da war's ihm zu Mute, als wenn er dieses Mädle kriegen müsse, koste es was es wolle. Er fühlte einen unwiderstehlichen Trieb, sie wiederzusehen – und er ging ihr nun extra zu Gefallen.

Nachdem er sich ein paarmal umsonst bemüht hatte, kam sie ihm eines Nachmittags mit einer Kamerädin entgegen. Er wollte sie diesmal recht darauf ansehen, ob sie denn wirklich eine solche sei, wie die Leute sagten; deshalb ließ er seine Augen während des Grußwechsels tiefprüfend auf ihr ruhen, indem er, den Blick zu verlängern, auch noch den Kopf nach ihr drehte. Als er vorüber war, sagte die Kamerädin zur Gret: »Aber der hot a baar Oga' g'macht auf dih hear! Kommt mer grad für, als ob er – no des wär' aber zom Lacha'!« – »Was moëst (meinst) denn?« fragte die Gret lächelnd. – »Gang,« erwiderte die andere, »du verstost me wohl net!« – »Du moëst, er wär'« – »Oh (auch) in di verliebt, ja, so kommt's mer für!« – Die Gret versetzte: »Sei g'scheit! Dean kennt ma' ja! – Mir isch gar net so fürkomma'!«

Natürlich log hier das hübsche Mädchen. Ihr war's erst recht so vorgekommen – und heute nicht das erste Mal. Schon bei der zweiten Begegnung hatte sie »ebbes gnissa« (bemerkt), und jetzt war's klar, oder alles mußte trügen. – Die Gewißheit, die sie erlangt hatte, machte einen sehr wohltuenden Eindruck auf sie. Fürs erste war's eine Ehr', den verrufenen Sünder zu bekehren und den Mädchenverächter dahin zu bringen, daß er auch daran glauben mußte. Aber das war das geringste. Michel gefiel ihr! Seine Statur und der Ruhm seiner Stärke hatten ihr schon früher Achtung eingeflößt; gegenwärtig kam ihr sein Gesicht für ein Mannsbild hübsch genug vor, die Gutmütigkeit, die ihm aus den Augen sah, rührte ihr Herz – und das »B'sondere« und »O'gschickte«, das er an sich hatte, erheiterte sie, ohne ihm bei ihr zu schaden. Als sie wieder allein war, lächelte sie für sich hin. »Es ist oft guet,« sagte sie endlich, »wann der Ma' net gar z'g'scheit ist!«

Wie man sieht, gingen ihre Gedanken ebenfalls ziemlich rasch. Das ist natürlich und – ländlich. – Aber ihre Sache war es nicht, ihm nachzulaufen; wenn es ihm Ernst war, mußte er kommen – sie konnte zusehen. Ihr Gesicht klärte sich schelmisch auf. »Wie er se a'stella' wird derzue?« fragte sie sich. »I bin wirkte neugiereng!« Er hatte ihren Beifall, der gute Michel, sie konnte ihn zum »Burscht«, sie konnte ihn zum Manne nehmen, wenn's sein mußte – ja es regte sich der Wunsch in ihr, daß es so ausgehen möchte; – aber sie bereitete sich doch vor, ihn auszulachen, und freute sich darauf! – Sie war ein Mädchen.

Michel hatte die Überzeugung gewonnen, daß die Leute ganz recht hatten mit dem, was sie über die Gret sagten. Aber wenn dies seine Liebe noch mehr schürte, so fachte es auch seine Sorgen an. Die Gret hatte ihn diesmal gar nicht angesehen (er hatte noch keine Kenntnis davon, daß die Mädchen nicht sehen und doch sehen können!) und es war ihm beinahe vorgekommen, als ob sie ein etwas spöttisches Gesicht gemacht hätte. Was sollte er tun? Sollte er warten und stillschweigen? Dann kam vielleicht ein anderer und nahm sie ihm weg. Oder sollte er ihr nachgehen und reden mit ihr? Dann sagte sie vielleicht, er könne wieder gehen, woher er gekommen sei, und er wurde das Gespött des ganzen Dorfes. – Die Klemme war verwünscht und guter Rat teuer.


In der Unterhaltung.

Jede Versäumnis rächt sich. Man soll in jungen Jahren nicht denken: »Wozu hab' ich das nötig? Wozu könnte das gut sein?« – Man soll Kenntnisse sammeln und sich Fertigkeiten aneignen, wie die Gelegenheit sich bietet, auch wenn zunächst keine Neigung dazu vorhanden und Anstrengung erforderlich wäre; denn man weiß nie, wozu man sie später brauchen kann!

Davon überzeugte sich jetzt auch Michel. Die Liebe trieb ihn hin und her, sie ließ ihm keine Ruhe, und er sah ein, daß er etwas unternehmen müsse, geh' es wie es wolle. Er mußte mit der Gret reden – er mußte erfahren, was er zu hoffen habe – sonst wurde er toll! Aber wie sollte er's anfangen? Wie sollte er sein Anliegen vorbringen?

Er dachte darüber nach, und nichts fiel ihm ein, was er für anwendbar und gut gehalten hätte. Es dünkte ihn so närrisch, von der Liebe zu reden; es war ihm, als würde es nicht herausgehen aus ihm, als würde er stecken bleiben und dastehen, wie d's Kind beim – – Da hatte er's nun! Gab's nicht Kerle im Dorf, denen bei den Mädchen das Maul ging »wie geschmiert«? die nicht nur sagen konnten, was sie auf dem Herzen hatten, sondern noch viel mehr dazulügen? Hatte er nicht gehört, daß mancher schon eine, die ihn zuerst gar nicht leiden konnte, durch bloßes Reden so weit gebracht, daß sie endlich zu allem ja sagte? – Aber so geht's! Hätte er in jüngeren Jahren auch mit den Mädchen diskurriert, mit ihnen getanzt und sich lustig gemacht – hätte er sich das bißchen Mühe gegeben und gelernt, wie man mit ihnen umgehen muß – dann könnte er's jetzt und müßte sich nicht den Kopf zerbrechen! – Er fühlte ganz ernstlich Reue, der gute Michel! Er wurde verdrießlich, sehr verdrießlich. »I ben a'n Esel g'west, und des a großer,« sagte er zu sich selbst. »Aber,« setzte er hinzu, »wie hab' i oh wissa könna, daß mer no' so ganga' wurd!«

Ein paar Tage ließ er vorbeigehen. Zuletzt, durch den Kampf der Leidenschaft mit der Furcht gequält und geärgert, rief er zornig: »Hol der Teufel alles! So ka'n e's nemmer aushalta' – i muß woga', komm's raus wie's will!« – Die Gret stand vor seiner Seele so schön und mit einer Miene, die nichts Abschreckendes hatte! »Dommheit,« rief er beherzt. »I sott me wohl vor'm Mädle färchta' (fürchten)? Des wär' ja zum Lacha'!« – Er faßte den Entschluß, bei nächster Gelegenheit mit der Gret zu schwätzen und sein Anliegen vorzubringen oder wenigstens »drom rom« (darum herum) zu reden, zu sehen, was sie für ein Gesicht dazu mache, und dann ein andermal weiter zu gehen.

Recht schön fügte sich's, daß er das Mädchen eines Abends, als ihn ein Geschäft auf den Fußweg hinter den Dorfgärten geführt hatte, ganz allein gegen sich herkommen sah. Die Gelegenheit konnte nicht günstiger sein, er mußte sie benutzen. Was er zuerst zu ihr sagen wollte, wußte er genau, nämlich: »Godda'n Ohbed (guten Abend), Margret!« Das übrige gab sich dann von selbst. Entschlossen ging er vorwärts. Wie er aber die Gret näher und näher kommen sah, machte er eine seltsame Erfahrung. Sein Herz fing an zu klopfen, vor den Augen begann es ihm zu flimmern und die Lippen wurden so schwer, als ob Gewichte darangehängt worden wären. Es schien ihm unmöglich, sie zu bewegen – und da halte einer eine Ansprache! Vor der Gret angekommen, machte er eine unerhörte Anstrengung und rief mit grimmiger Freundlichkeit: »Godda'n Ohbed, Margret!« – »Godda'n Ohbed, Michel,« antwortete die Gret mit heller Stimme und mit einem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als ob sie recht gut wüßte, in welchem Spittel der arme Bursche krank läge. Dieser nahm indes nichts wahr. Nach der Leistung, die er sich abgerungen, trieb es ihn mit unwiderstehlicher Macht an ihr vorüber – weiter und weiter. Nachdem er hundert Schritte gemacht hatte, atmete er auf; aber erst als er um eine Ecke bog und nicht mehr gesehen werden konnte, wurde er leichter und ruhiger. – Er hielt an, dachte nach – – und sein Benehmen stand klar vor seinen Augen. Er hatte sich nun doch gefürchtet – und die schönste Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen! Unmut erfüllte seine Brust und sehr ärgerlich rief er: »Jetz möcht' e mer glei (gleich) selber a'n Ohrfeig' geba', daß mer der Kohpf somsa' dät! Fürcht' me wärle, und zitter' am ganza Leib, als wann e oën ombrocht hätt! Sott ma' denn globa', daß ma' so domm sei' ka'?«

Die Sache war indes nicht anzufechten, sie war geschehen, und der Verdruß konnte nichts daran ändern. Für Michel gab es nur einen vernünftigen Entschluß: sie zu vergessen und sich vorzunehmen, es ein andermal besser zu machen. Dazu verstand er sich denn auch. »I ben a Narr,« sagte er, »daß e me verzürn'! Verloara'n ist no nex, und so wurd's net allmol ganga' (gehen).« – Er stellte sich vor, wie er das nächste Mal reden werde, er hatte Einfälle, wie man sie nach einer versäumten Gelegenheit zu haben pflegt – und so von weitem schien sich ihm die Sache ganz leicht zu machen. »Bah,« meinte er endlich, »des ist ha'et nor so a dommer A'fall g'wesa'! 's müeßt ja beim Deufel sei', wann ih net könnt', was jeder ander' ka'!« – Er tröstete sich und ging beruhigt und mit neuem Mut nach Hause.

Wieder verstrich einige Zeit. Es war in der letzten Woche des Monats Mai, und unter dem Wehen der Ostluft kam ein wunderschöner Tag herauf. Ein leichter Reif hatte auf der Landschaft gelegen, die Sonne, in den wolkenlosen Himmel sich erhebend, sog ihn weg und goß den Silberglanz des Morgens über die Erde. Die Lerchen sangen, die Landleute, die sich an ihre Arbeit begaben, zeigten vergnügte Gesichter, das Vieh, das zum Saufen getrieben wurde, brüllte vor Lust und sprang rechts und links in die Höhe. Das alles war so fröhlich, so ermutigend! Es war einer von den Morgen, wo im Herzen so wenig eine Sorge aufkommen kann, wie am Himmel ein Wölkchen – wo im Innern der Frohsinn regiert und draußen der Sonnenschein.

An diesem Morgen fühlte sich unser Michel frisch und munter, wie seit langer Zeit nicht. Er dachte an die Gret – mit stillem, ruhigem Vergnügen. Es war ihm, als könnte er heute schwätzen und Spaß machen nach Belieben, und wenn's sein müßte, gelegentlich auch ein ernstes Wort reden – kurz, er fühlte sich aufgelegt. Indem er sich's lebhaft vorstellte, empfand er ein Verlangen, sein Vermögen ins Werk zu setzen. Er faßte sich kurz und machte sich auf den Weg durch die Gasse, in der Hoffnung, die Geliebte zu sehen. Im Notfall, wenn er sie nämlich vor ihrem Hause nicht traf, konnte er hineingehen und den Maurer bestellen; denn an seinem Hause war ein Stück weit der Mörtel abgefallen, und wenn es auch auf dem Lande nicht grad notwendig war, ihn wiederherzustellen, so konnte es doch auch nicht schaden.

Sein guter Mut und seine Laune minderten sich nicht, als er der Wohnung des Maurers sich näherte. Er hatte ein paar Vorübergehende gegrüßt und die gewöhnlichen Formeln waren ihm so leicht und lustig vom Munde gegangen, daß ein junges Weib sagte: »Du bist aber ha'et laert, Michel!« – Darin lag für ihn ein neuer Beweis, daß er heute seinen guten Tag habe, und rüstig ging er vorwärts. In dem kleinen Hofe sah er die Gret nicht; aber im Wurzgärtlein, von der Gasse nur durch einen niedrigen Zaun getrennt, war sie über ein Beet hin gebückt. Wie er sie hier unvermutet erblickte, war er doch betroffen. Es hieß nun wieder: »Vogel friß oder stirb,« und vor dem strengen Antlitz der Notwendigkeit entfloh der leichte Humor in seinem Herzen, um den Anwandlungen von letzthin Platz zu machen. Es mahnte ihn etwas, zu tun, als ob er sie nicht gesehen hätte, und sachte weiter zu gehen. Aber heute war er nicht gemeint, auf die Stimme des Kleinmuts zu hören; er unterdrückte die Bewegungen seines Innern, blieb stehen und rief entschlossen: »Godda' Morga', Margreat!« – Das Mädchen sah auf und erwiderte: »Ei, godda' Morga', Michel! Bist oh scho' en der Höa'?« (Höhe, das heißt aufgestanden.) – Diese Frage kam ihm ungelegen; denn eigentlich hatte er selber fragen wollen: »Oh scho' auf?« – und wenn sie dann, wie es nicht wohl anders möglich war, mit ja antwortete, so hätte er ihr was Schönes gesagt über ihr frühes Aufstehen, ihren Fleiß usw. Das konnte er nun, wenigstens in der zuerst ausgedachten Weise, nicht mehr, und dieser Umstand machte ihn ein wenig verwirrt. Er antwortete zögernd: »Jawohl,« und da er sich auf diesen Fall nicht vorgesehen hatte, so entstand eine kleine Pause. Allein mit Recht hatte er geglaubt, daß er heute seinen guten Tag habe. Nicht lange besann er sich, und ein neuer Einfall war da. Er drehte seinen Kopf in der Luft herum und sagte: »Ha'et hommer (haben wir) amol a schöas Wäder (Wetter)!« – Die Gret erwiderte heiter: »Ja gottlob! Mer (wir) konna's aber oh braucha'!« Und ohne Unterbrechung und würdig setzte er hinzu: »Descht (das ist) wohr! – Des könna' mer!«

Bis hierher war's gut gegangen, trotz der notwendig gewordenen Änderung, und Michel konnte sich dessen bewußt sein. Aber nun war eine neue Rede nötig, und nichts wollte ihm einfallen. Es entstand eine längere Pause. Ein besserer Beobachter als Michel hätte an dem Gesicht des Mädchens wahrnehmen können, daß sie gar wohl imstande gewesen wäre zu reden und dem Burschen aus der Not zu helfen – daß sie aber aus irgend einem Grunde nicht wollte! Michel besann sich, und ein neuer Einfall kam. Er sagte: »Bischt allweil g'sond und wollauf?« – Diese Frage schien der Gret so kurios hinterdrein zu hinken und so sehr eine bloße Geburt der Not, daß sie mit Mühe das Lachen halten konnte. Sie nahm sich indes zusammen und erwiderte ruhig, aber nicht ohne eine gewisse schelmische Heiterkeit durchblicken zu lassen: »Dank der Nochfrog (Nachfrage)! Mir fehlt gottlob nex!« – Michel, wie uns bekannt ist, war im eigentlichen Sinn weder dumm noch blind. Die Bedeutung dieses Vergnügens auf dem Gesicht der Gret blieb ihm nicht ganz verborgen; er hatte eine Ahnung, daß sie ihn eigentlich auslache, und schwieg, indem eine Wolke der Verstimmung seine Züge beschattete. Die Gret erkannte, was in ihm vorging, sie fühlte, daß sie etwas gut zu machen habe, und einen Schritt vortretend, sagte sie zugleich mit gutmütigem und schlauem Lächeln: »Host vielleicht sos't ebbes g'wöllt (gewollt)?« – Diese Frage fiel wie eine Bombe auf den guten Michel. Es war klar: er hatte sich verraten; sie wußte, wie's ihm ums Herz war, und forderte ihn heraus! Er konnte – er sollte reden – da war kein Zweifel! Aber diese Möglichkeit, reden zu können, und diese Nötigung, reden zu sollen, traf ihn mit solchen Schrecken der Überraschung, daß er dastand wie vom Donner gerührt und nicht ein Wort hätte vorbringen können um die ganze Welt! In der Verwirrung, die ihn überkam und ihn zu übermannen drohte, nahm er instinktmäßig seine Zuflucht zu dem einzigen Mittel, das ihm noch übrig blieb – zur Grobheit! Mit trotzigem Gesicht und wie beleidigt rief er endlich: »Was sott (sollte) i denn wölla'? I wißt net was! – Godda' Morga'!«

Und mit starken Schritten ging er seines Weges.

Die Gret sah ihm nach und lachte – nicht laut – dafür aber, wie man zu sagen pflegt, mit dem ganzen Gesicht. Als er hinter dem Nachbarhaus verschwunden war, sagte sie zu sich selber: »Jetz so o'g'schickt hätt i mer'n doch net vorg'stellt! – I sig scho' – doh mueß i mi der Sach selber a'nemma', wann ebbes draus weara' soll!«

Michel ging nach Hause. Der Unwille, zu dem er gekommen war, er wußte selber nicht wie, verging, eine dumpfe Ruhe trat an seine Stelle. In dieser Ruhe erhielt er bald eine deutliche Anschauung von der Art seines Betragens – eine gelinde Verzweiflung fiel ihn an und brachte sein Blut aufs neue in eine schlimme Gärung. Er entlastete sein Herz in unartikulierten Lauten; dann, die Einsamkeit seines Stadeltennens aufsuchend, bildete er bestimmte Gedanken und konnte nicht umhin, ihnen Worte zu geben. »Also widder nex,« rief er – »widder a Dommheit! Isch denn net grad, als wann's verhext wär'? W'rom ka'n e denn ietz net reda', wann e vor dem Ohs (Aas) dohstand? W'rom got's mit m'r em Reng rom, als wann e g'suffa' (betrunken) wär'? Der Deufel mueß g'macht haba'!« Er stöhnte vor Verdruß und stampfte den Boden, daß es schallte. Nach einer Weile fuhr er fort: »Host so'st ebbes g'wöllt – hot's me g'fragt. Des ist doch offa'bar, daß g'wöllt hot, i soll d's Maul aufdoa'! W'rom hab' e denn ietz net g'redt? Hätt' e net saga' könna': Mädle, du g'fällst mer, i will de heiricha' (heiraten) – willst me? – oder so'st ebbes! No (nachher) hätt's reda' müessa', ja oder noë, ond i wihßt ietz, wie e dra' ben! Aber so stand e doh wie a'n Ochs, der mit 'm Beil oës naufkriegt hot aufs Hihra' (Hirn, Stirn), und nocht mach e a G'sicht ond due an se na', als ob's m'r ebbes do' (getan) hätt'! Die wurd se 'n schöna' Begriff macha' von mir! Die hält me doch g'wihß für da' dommsta'n ond o'g'hobelsta' Menscha'n em ganza' Ries! Ond wann's me vorhear oh g'möcht hätt', ietz mag's me g'wihß nemmer ond ka' me nemmer möga'! So'n Esel! I bedanket' me selber, wann e a Mädle wär!«

Der gute Bursche versank nach dieser desparaten Selbstanklage in eine dumpf-düstere Stimmung. Er war unerfahren, unschuldig, aber ein Mensch, der in seiner Art Anlage zum Reflektieren hatte. Diese Anlage begann unter den obwaltenden Umständen sich zu entwickeln und seinem Wesen einen neuen charakteristischen Zug zu verleihen. Je mehr er von sich hielt, je mehr Ansehen er bisher unter seinen Kameraden genossen, um so mehr forderte er von sich einem Mädchen gegenüber auch das rechte würdige Benehmen. Je weniger er aber imstande war, sich so zu benehmen, wie er's seiner für würdig hielt, desto mehr kapitelte er sich hinterdrein selber, stellte sich vor, wie er sich hätte benehmen sollen und können, ärgerte sich, daß er sich nicht so benommen habe usw. usw. – kurz, er wurde ein denkender Mensch. Er unterhielt sich mit sich selber, er strafte sich, er quälte sich selber. Daß das letztere nicht zu weit ging, dafür sorgte als guter Genius die Bauernnatur, die sich auch hier in natürlichen Grenzen bewegt und sich aus dem Quell der unbewußten Lebenskraft immer selber wiederherstellt.

Für jetzt sank er gleichwohl in Abgründe der Verzagtheit. Mit der Gret wieder eine Ansprache zu versuchen, kam ihm unmöglich vor. Er hatte eine stille Wut gegen sich, eine stille Wut gegen sie – wie sollte er da reden? Und wenn er sich nötigen wollte, müßte es nicht tausendmal ungeschickter herauskommen als diesmal, wo er vergnügt war und im Grunde ganz gut angefangen hatte? – Nein – es half nichts. Einem Mädchen zu gefallen, hatte er nun einmal keine Gaben – es ging nicht – er mußte es aufgeben!

Als er so weit gekommen war, ging er in den Hof, um sich an einer Arbeit zu erholen. Hier begegnete ihm seine Mutter. Sie sah ihn an und sagte: »Was machst denn du ha'et für a G'sicht?« – »Ih, a G'sicht?« versetzte Michel. »Wie ka'n e des wissa'? Guck i ebba' en Spiegel?« – »Gang weiter,« entgegnete die Schwabin, »du host ebbes! Hot d'r ebber (etwa, jemand) ebbes do'?« – »Mir?« erwiderte Michel, indem er mit einer heroischen Miene aufsah – »mir ebbes do'? I wott's koëm rota'!« – Er ging weiter, indem er bei sich dachte: »Du darfst lang warta', bis e dir ebbes sag'!« – Die Mutter sah ihm kopfschüttelnd nach. »Er ist halt doch net vergnüagt,« dachte sie, »und das ist natürlich! In deam Alter muß a'n ordentliches Mannsbild a Weib haba' – so'st isch nex!« – Sie ahnte nicht, wie Michel sich schon abgemüht hatte, um ihre Herzenswünsche zu erfüllen.

Einige Tage ging unser Bursche melancholisch umher, und wenn ihn beim Zurückdenken an seine Niederlagen ein Zorn anwandelte, so ließ er ihn an irgend einer Arbeit aus. Er bot denen, die seiner wahrnahmen, ein neues und eigentümliches Bild. Schweigend hatte man ihn oft gesehen; jetzt sah man ihn »sinnierend« und vernahm hier und da grimmige Ausrufungen, wozu man keinen Grund wußte. Fragte man ihn danach, so war die Antwort, sofern eine erfolgte, keine höfliche. Man wußte nicht, was man aus ihm machen sollte. Den Zustand seines Herzens ahnte niemand im ganzen Dorf. Die einzige Person, die außer ihm davon Kenntnis hatte, schwieg nicht nur selber – sie hatte auch jener Kameradin ihre Vermutung wieder auszureden gewußt und ihr das Versprechen abgenommen, sie mit dem Michel nicht ins Geschrei zu bringen. Es gibt Mädchen, die das Genie der Verschwiegenheit haben, das heißt die ohne besonderen Vorsatz und mit Lust verschwiegen sind und sich an dem Geheimnis weiden. Die Gret war heiter und hoffte mit Zuversicht, ihre Wünsche gekrönt zu sehen – sie brauchte nicht zu schwätzen.

Michel war es nicht; er war unmutig und verzweifelte am Erfolg – er spürte einen Trieb zu reden und konnte endlich einer Gelegenheit, sein Herz zu entlasten nicht, widerstehen.

Unser Enakssohn hatte einen Kameraden, der ihm unter allen Burschen, die zu ihm hielten, der liebste war. Kaspar, der Sohn eines Webers, hing mit aufrichtiger Teilnahme an Michel und wußte sich auch am besten in seine Manieren zu fügen. Obschon drei Jahre jünger, hatte er in Bezug auf das weibliche Geschlecht eine hinreichende Summe von Erfahrungen – er wußte, wie man sie behandeln mußte, und galt darum auch »seinen Batzen« bei ihnen. Mittelgroß, »rahneng«, von angenehmer Gesichtsbildung hieß er bei ihnen nur »a nett's Bürschtle« und »a lustengs Männdle«, dem man gut sein müsse. Trotz der Gunst, die er bei den Spenderinnen der Lebensfreude erfuhr, hatte er doch nicht mehr Selbstgefälligkeit, als allenfalls natürlich war; er genoß das Lob eines fleißigen Menschen und wußte sich unter den Mannsbildern ebenso den Ruf eines guten Kameraden zu bewahren. – Dieser Bursche, zum Vertrauten wie geschaffen, wußte durch eine wohlgemeinte und geschickte Frage dem Michel sein Geheimnis zu entreißen. Allein mit ihm, sah er den düster vor sich Hinstarrenden teilnehmend an und sagte dann: »Michel, di drückt ebbes! Wannd' mer's net geara' sakst, will e de net weiter froga'. Wann's aber ebbes ist, wo i d'r vielleicht helfa' ka', so red! – Du woëscht, wie e's moë (ich's meine).«

Diese treuherzig gesprochenen Worte machten des Leidenden Herz weich und folglich geneigt zur Mitteilung. »Ach,« erwiderte der Verliebte nach kurzem Schweigen mit einem riesenmäßigen Seufzer, »mi drückt freile ebbes!« – »Was isch?« fragte Kaspar. »Sag's, wann e's (ich es) wissa' darf!« – »Am End,« erwiderte Michel, »bist du grad der Recht', der mer'n Rot (Rat) geba' könnt'! – No mei'dawega' (meinetwegen), i will der's saga'!« – Er schwieg. – »Nossa' (nun so dann),« mahnte Kaspar. – »Z'erst mueß e der saga',« erwiderte Michel mit tiefem Ernst, »daß koë Mensch ebbes davon enna' weara' (inne werden) därf!« – »Gang weiter! Ben i a Schwätzer?« – Die Möglichkeit, daß Kaspar es doch unter die Leute bringen könnte, hatte aber den Michel schon aufgeregt. »Kerl,« rief er, eine Faust machend, »wann d'ebbes sakst – 's got d'r schlecht!« Der andere kannte seinen Mann; er zuckte die Achsel und erwiderte: »Du bist net g'scheit!« – »Guet,« versetzte Michel. »Jetz woësch (weißt du's) – und ietz will i der's saga'!« – Wieder eine Pause. »I höar,« erwiderte der andere, indem seine Mienen sich ahnend erhellten. – »No,« begann endlich Michel mit neuer Anstrengung, »doh (da) die Great – d's Maurers seine moën' e« – Kaspar sah den wiederholt Innehaltenden mit gutmütig schlauem Lächeln an und rief, ihn ganz durchschauend: »Fehlt's d'r doh?« – »Ja, Bruder,« ging's endlich aus Michel heraus, »doh fehlt's m'r! Des Mädle g'fällt m'r, die mueß e haba – – und Kreuzdonner ond's Wetter: i woëß net, wie e's a'fanga' soll!«

Kaspar unterdrückte das Lachen, das ihn bei diesem Bekenntnis anwandelte, und forderte ihn auf, ihm zu sagen, wie's eigentlich stehe. Michel, einmal im Zuge, erzählte alles, und zwar mit einer Naivität, bei welcher der Erfahrene, wenn er nicht lachte, doch wenigstens zu »schmöhzeln« (schmunzeln) nicht umhin konnte.

Bekanntlich hat der Mensch nicht leicht eine angenehmere Empfindung, als wenn er an einem andern, der ihm bisher Respekt abgenötigt hat, plötzlich eine Schwachheit entdeckt. Es gibt deren, die eine solche Wahrnehmung geradezu beseligen kann und die das so erlangte Wohlgefühl zu den höchsten Genüssen zählen, womit der Himmel die armen Sterblichen begnadet hat. Sogar Freunde, will man wissen, sollen in diesem Fall erheitert werden und aussehen, als ob ihnen ein Glück widerfahren wäre! Und ihr Benehmen gegen den Träger dieser Schwachheit soll nach der Entdeckung ein vielfach anderes sein als vorher! – Wir lassen diese Behauptung in ihrer Allgemeinheit auf sich beruhen, müssen aber der Wahrheit gemäß bekennen, daß unser wackerer Kaspar bei der Erzählung seines Kameraden eine ziemlich lebhafte Genugtuung empfand und in seinem Gesicht einen Ausdruck heiterer Überlegenheit zeigte, den er vorher nie gegen ihn hatte blicken lassen.

»Des isch, was me drückt,« schloß Michel seinen Bericht. »Schlechter, des wurscht selber saga', hätt's net ganga' könna', und alles ist verspielt. I den eba' zom O'glück geboara', und mit mei'r Fräd isch aus auf der Welt!« – »So,« versetzte Kaspar, indem er ihn mitleidig ansah; – »willst de net lieber glei gar versäufa'?« – Michel schaute ihn an. »Du bist a Narr,« fuhr Kaspar fort, »des sag d'r ih! Nex ist verspielt, gar nex!« – »So,« erwiderte Michel, »wamma' se so o'g'scheit benemmt ond« – »Dei' Benemma' schad't d'r gar nex,« fiel Kaspar ein. »Des ist eba' d'Liab! D'Liab macht verwirrt, ond wamma' verwirrt ist, macht ma' Dommheita'. Aber d'Liab ist ja eba', was d'Mädla haba' wöllet! ond wann oër vor lauter Liab duet als ob 'r narred wär', globst, des nemmt d'r oëna'n übel? Ja bis Wuch (auf die Woche, das heißt niemals)! Fräa' duet se's ond geara' hont's so oën!«

Dem Michel schien dies einzuleuchten. »Du ka'st rehcht haba',« sagte er getrösteter, »'s ist wohr, i därf me no' net abschrecka' lossa'! – Wie moëst,« setzte er mit ueuerwachtem Mute hinzu, »soll e glei rausrucka' mit der Farb? Soll e saga', das e's heiricha' will? – »Des got net,« entgegnete Kaspar mit der Miene der Autorität. »Ma' mueß net mit der Tür en's Haus falla'! Allweil oës noch'm andra'! – Z'erst muescht doch oh seha', ob's de haba' will?« – »Ja so,« versetzte Michel wieder etwas herabgestimmt. »Was soll e denn aber so'st doa' (tun)?« – »G'späß macha',« erwiderte Kaspar munter. »Siksch (siehst du), des ist d'Hauptsach. Da' Mädla' g'fällt nex besser als Narrheita! Z'erst G'späß und nocht Ernst – des ist der recht Weg! Foppa' mueß ma's ond ploga', wamma' zo ebbes komma will! Je meaner (mehr) as (als) ma's plogt, je lieber as oën hont (haben)!« – Dem geradsinnigen Michel schien diese Behauptung sehr gewagt; er sah den Ratgeber fragend an. »Du globsch wohl net?« sagte dieser; und als der Bursche den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Weil d'eba koë Erfahreng host en deana' (diesen) Sacha'. Siksch, des ist so! Wann e a Mädle fopp ond plog', no sikt's, daß e ebbes mit 'r haba' will, no sikt's, daß e's liab – ond'n Spaß hot's obadrei'! Ond so went (wollen) se's grad haba'!« – Michel begriff; er sagte mit Anerkennung: »Kapper (traulich: Kaspar), du bist a verfluechter Schlengel!« – »No,« erwiderte Kaspar behaglich, »wann e des net wihßt!«

Es erfolgte eine kleine Pause, in der Michel aufs neue bedenklich wurde. »Ja,« begann er zögernd, »wann e aber nocht G'späß macha' will ond 's g'rotet mer net? Wann e me widder o'gschickt a'stell – wie doh?« – »Des wär' freile fehlerhaft,« erwiderte Kaspar mit Ernst. »Eweng därfa't (dürfen) Dommheita net daura', so'st verliera't d'Mädla' da' Respekt!« – »Doh hosch (hast du's)!« versetzte Michel mit einem Ausdruck, als ob nun er wieder recht hätte. »Ond mir isch grad so, als ob's mer net g'rotha' könnt'! Was ietz?« – »No,« erwiderte Kaspar mit einer Art von Unmut, »doh ka'n e d'r koën andera' Rot geba', als daß d'r eba'n a bisle meaner ei'bildst! Kott's Heidablitz! A Kerl wie du! Ist des koë Ehr' für so a Mädle, wann du 'n G'falla'n an 'r host? Mueß (sie) doh net stolz drauf sei'?« – »Ih sott's (sollt' es) beinah globa',« bemerkte der Enakssohn mit entsprechendem Selbstgefühl. Und Kaspar erwiderte: »No, ond wann d'net vergischt, wer du bist, nocht wurscht oh reda' und G'späß treiba' könna' mit so'm Deng doh!« Ruhiger setzte er hinzu: »Ma' mueß se net gar z'viel macha'n aus da' Mädla' – des ist a Fehler! Drom wamma'n amol a bisle z'hitzeng g'wesa'n ist, no mueß ma'n extra widder a weng huf (zurück) ganga' und doa', als ob ma' gar wohl ohne se leba' könnt'! Nocht kriega' sie widder 'n Luhst! – Also, bei d'r nächsta' G'legenheit duast, was e d'r g'sakt hab', ond i garantier d'r, sie kommt d'r.« – »I will seha',« erwiderte Michel. Dann, nach kurzem Schweigen, setzte er hinzu: »Also nommol (nochmal)! D's Maul g'halta'n oder« – er machte mit der Faust eine verständliche Bewegung. Kaspar lachte. »Du wärst am End' em stand und brächst mer da' Hahls, zom Dank für mein' gueta' Rot?« – Michel, wieder auf seinem Boden stehend und sich fühlend, erwiderte: »Wann de dernoch aufführa dätst – 's käm m'r net drauf a'! – No, ietz b'hüet de Gott!«

Michel war durch die Aufklärung des gewandten Kameraden in der Tat getröstet und faßte wieder frischen Mut. Das Gefühl seiner Kraft und das Vertrauen auf sich selbst kehrte zurück. Es war ihm zuweilen, als ob er nur hingehen dürfte zu der Gret, um Spaß zu machen nach Noten! Aber extra zu ihr gehen, das wollte er nicht: da würde sie ja glauben, daß er's gar zu notwendig hätte – und das sollte sie nicht! – Er wollte die Gelegenheit abwarten, dann aber auch benutzen.

Eines nachmittags schlenderte er gemütlich auf dem Anger hinter seinem Garten. Es war ein Sonntag; er hatte gut gegessen, ein wenig »gedurmt« (geschlummert), sich dann schön angezogen, die Pfeife in den Mund gesteckt und war hierher gegangen, um zu sehen, was ihm weiter belieben werde. An einem solchen Nachmittag fühlt sich der Bauer immer behaglich, sogar wenn er verliebt ist. Michel ging langsam, blieb zuweilen ein bißchen stehen – er dachte an die Gret. Er war heute so unternehmungslustig und dabei so sicher! »Jetz wann's mer käm',« dachte er – »Sapperment nei'!« – Er ging wieder einige Schritte und sah umher – und wie's denn manchmal geht, dort, den Weg von der linken Gasse zum Anger herunter, kam die Gret! Michel eilte mit großen Schritten zum Ausgang des Wegs, um sie noch eben zwischen den Gärten zu treffen. Sie sollte ihm nicht entwischen – sie sollte ihm Rede stehen und nicht mit einem bloßen Gruß davonkommen!

Es gibt auf dem Lande nichts Reizenderes als jene Gänge zwischen lebendigen Hecken, die eben breit genug sind, daß man sich ausweichen kann. In der schönen Jahreszeit, wo die Hecken grünen und blühen, wo der trockene Weg von Gras und Blumen eingefaßt ist, gewährt es ein wahrhaft poetisches Vergnügen, hindurchzuspazieren, zumal wenn beim Schein der Sonne der Schatten dichtbelaubter Gartenbäume drüber fällt. Es ist so traulich und so heimlich darin, daß man nur bedauert, sobald wieder ins Freie zu kommen!

Ein solcher Gang war es, in dem unser Michel die Geliebte festhalten wollte. Seine großen Schritte hatten bewirkt, daß er noch rechtzeitig kam: die Gret ging erst in der Mitte des Weges. – Wie schön war sie! Sie hatte an dem warmen Tage keinen Kittel an: in blendendweißen Hemdärmeln, in gestreiftem, farbigem Mieder und rotem Halstuch kam sie ihm entgegen. Die Kleider standen ihr so gut, ihr Gang war so geschickt: das Dienen in der Stadt hat eben doch seine großen Vorteile! – Dem guten Michel lachte das Herz im Leibe, als er sie ins Auge faßte. Wenn aber das Herz lacht, dann schwebt es und kann konsequenterweise nicht – – – fallen. Unser Freund behielt seinen Unternehmungsgeist, obwohl die Gret mit schelmisch heiterem Antlitz näher und näher kam; und als sie endlich voreinander standen, sagte er heroisch: »No Margreat, wo kommst denn du hear?« – »Von der Fischere,« war die Antwort. – »So! – Ond wo willst denn he'?« – »Hoëm! – I ben mit 'm G'strick ausganga' – ond hab d's Gara' (Garn) vergessa'!«

Unser Bursche machte ein kurioses Gesicht. Es schien ihm hier eine vortreffliche Gelegenheit gekommen, die Gret zu foppen und zu plagen, und er beschloß sie zu benutzen. Sich breit auf den Weg hinstellend, sagte er mit schlauer Miene: »Do hommer's (da haben wir's)! An was host ietz doh denkt?« – Die Gret, seine Gedanken erratend, erwiderte: »Ja, wann e's saga' dät!« – »No,« versetzte Michel, »des ka'n e mer fürstella': an a Mannsbild!« – »So?« entgegnete die Gret schnippisch. »Woëscht du des so g'wihß?« – »Wamma' (wenn man) des net wihßt!« versetzte Michel mit selbstgefälliger Sicherheit. »Des ist ja uir (euer) oëzengs Dichta'n ond Drachta'!« – »Doh bildet 'r ui (ihr euch) doch a bißle z'viel ei',« erwiderte die Gret. – »Bah,« rief Michel im Hochgefühl des Rechthabens, »wär' koë Wonder, des wär' net bekannt!« – Das Mädchen versetzte mit einem Schein von Ernst und Schärfe: »Ma' sakt manchmol, es sei ebbes so, derweil hätt' ma nor geara', daß so wär'! Omkeart (umgekehrt) wurd a Schua (Schuh) draus!« – »Ho ho!« rief Michel. – »Uir (ihr) Mannsbilder,« fuhr die Gret fort, »lebed en der Ei'bildeng – und des ist natürlich. Uir wisset net, was o's (uns, wir) denket! aber o's wisset, was uir denket!« – »Des wär' der Deufel!« versetzte Michel, verwundert über die kecke Behauptung. »Wie sottet'r (solltet ihr) des wissa'?« – »Wie?« erwiderte die Gret, indem sie ihm heiter ins Gesicht sah; »weil d'r (ihr) uire Gedanka' verrothet, weil d'r o's nochloffet (nachlauft)!«

Michel war betroffen. »D's Ohs hot rehcht,« dachte er in einem Moment des Schweigens. Es blieb ihm indes noch der Ausweg, die Tatsache zu leugnen – und da tat er tapfer. »Bah,« rief er geringschätzig, »wear dues des? A rechter Kerl net! – Ih,« setzte er mit Stolz hinzu, »ben mei'Lebteng no' koër nochgloffa'!« – »Ist des wohr?« fragte die Gret lächelnd. – »So wohr i dohstand,« sagte der Ehrliche. Die Gret, die recht wohl gesehen, wie der Enakssohn zu dem Durchgang geeilt war, hätte bei dieser naiven Behauptung beinahe gelacht; allein sie unterdrückte die Anwandlung und sagte scheinheilig: »Doh ist d'r also oh gar net drom z'doa', daß d' mit oër redst?« – Michel ahnte, wo sie hinaus wollte; aber er hatte A gesagt und mußte B sagen, und ohnehin wollte er sie ja uhzen (foppen)! Heroisch erwiderte er: »Gar net! – I wihßt oh net, worum!« – »So,« sagte die Gret, »doh mueß e m'r ja nocht a G'wissa' draus macha', doß e de mit mei'm G'schwätz aufhalt. – B'hüet de Gott!« Sie wollte vorbei. Michel war aber nicht gemeint, eine Unterhaltung, die bis jetzt so schön gegangen war, so schnell abbrechen zu lassen; er rief mit Eifer: »So wart nor no' a weng! – Du wurscht doch G'spaß verstanda'?« – »Des scho',« versetzte die Gret; »aber i mueß ietz zu meina' Kamrädenna'!« – »Gang weiter,« entgegnete Michel, »lauter Weibsbilder! Was wurd des für a'n Onderhalteng sei'!« – »Oh,« rief die Gret, »o's onderhalta' se recht guet!« – »Was net no'!« erwiderte Michel seinerseits ironisch. Und selbstgefällig setzte er hinzu: »Von was hont'r (habt ihr) ietz g'redt?« – Die Gret sah ihn an und ihre Lippe zuckte unmerklich. »Von was redt ma',« sagte sie dann vor sich hinschauend, »wamma' se guet onderhalta' will: von da' ledenga' Burscht'!« – Michels Gesicht klärte sich auf. »No, was hab' e g'sakt?« rief er. »Ietz gibst m'r doch selber rehcht!« – »I hab' me verschnappt,« erwiderte die Gret. – »Ja, ja,« fuhr Michel fort, »d'Mannsbilder stecket ui (euch) em Kopf – des woëß e ja! – No,« setzte er in behaglichem Stolz hinzu, »en was für 'r Art hont 'r von es (uns) g'redt?« – »Mer hont g'rotha,« erwiderte das Mädchen nach kurzem Zögern, »weller (welcher) ietz wohl d'r G'scheitst ist em Doraf!« – »So,« versetzte Michel. »Send 'r oëneng (einig) woara'?« – »Noë,« erwiderte die Gret. »Jeda' hot 'n andera' a'geba'!« – »Natürlich,« bemerkte unser Bursche, indem ihn das Vergnügen über die entlarvte Schwäche der Mädchen verhinderte zu sehen, welche Gefahr er selber lief. »Wean host denn aber du a'geba'?«

Es gibt eine Mischung von Unschuld, Ungeschicklichkeit und Selbstgefälligkeit, die auch wohlwollende Naturen reizt, den Träger derselben, was man sagt, anlaufen zu lassen. Die Absicht, necken zu wollen, fordert heraus, und das Unvermögen, das in keiner Art zur Sache kommt, erweckt ein Verlangen, zu strafen. Unsere Gret fühlte einen Antrieb dazu und konnte ihm diesmal nicht widerstehen; sie erwiderte: »I hab' no' gar koën a'geba' – i hab' koën g'wißt. Aber ietz – ietz woëß e oën – ond ietz muß e eila', daß e widder zruck komm. Mei'r (meiner) wurd gwihß alla'n ei'leuchta'!« – Nach einem Blick, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war, schlüpfte sie an ihm vorbei und ging rasch weiter.

Michel sah ihr nach – – er fühlte mit einem Mal, was die Gret ihm angetan, und die Röte der Scham überströmte sein Gesicht. Bald erhob sich der Zorn in ihm und verstärkte das Rot zu düsterem Braun. »Wann de nor der Deufel holla' dät,« rief er – »du Hex du! – Hot ihren Spoht (Spott) auf m'r und stellt me he' wie'n Esel! – O wann e's nor doh hätt' –.« Er hielt inne. Es fiel ihm ein, daß er hier gehört werden konnte, und die Furcht, dem ganzen Dorf zum Gespött zu werden, hieß ihn abbrechen. Langsam ging er zurück. Er dachte nach, wie er zu diesem Verdruß gekommen sei – und lachte bitter. »I hab's foppa' wölla'! Die do, d's ärgst Ohs em ganza' Dorf! Doh ben ih d'r recht Ma' derzue!« – Nach einer Pause setzte er unmutsvoll hinzu: »Der Kapper ist a'n Esel g'wesa' mit sei'm Rot, und i a Narr, daß e'm g'folgt hab'! – Des hot grad no' g'fehlt! Des hot d'Butt bonda (die Bütte gebunden, die Sache fertig gemacht)!« – Am Ende des Ganges blieb er stehen und ließ eine Zeitlang gedankenvoll sein Haupt hängen. Endlich murmelte er: »'s soll amol net sei'! I gib m'r alle Müa ond dua', was e ka' und hab' nex als Verdruhß ond Onear (Unehre) dervo'. Noë, noë – i loß d's Heiricha sei'! Aus isch ond gar isch! –«

Als er bei diesem desperaten Satz angekommen war, hörte er Tritte in der Nähe und schaute auf. Es war die Gret, die mit dem Garn zurückkam. Daß sie's dem guten Michel so arg hinausgegeben, hatte sie doch ein wenig gereut, und ihr Gesicht drückte jetzt Wohlwollen und Freundlichkeit aus. Wie sie ihn aber dastehen sah mit der trotzig verlegenen Miene, da änderte sich ihre Stimmung etwas. Sie konnte sich nicht enthalten, mit neckischer Verwunderung zu fragen: »No, Michel, stost (stehst du) no' allweil doh?« – Der Bursche, aufs neue gereizt, erwiderte: »Dirdawega (deinetwegen) net!« – »Oh,« versetzte Gret, »des bild e m'r oh net ei'! Kotts Blitz! doh mueß e nor macha', daß e d'r bald aus da'n Oga' komm'!« – »I halt de net auf!« rief Michel. – »Hu hu!« erwiderte die Gret, und rasch verschwand sie in dem Gange.

Michel, in dem Gefühl, daß es nun wirklich aus sei, verließ mit langsamen Schritten den Anger. Er suchte den Kaspar auf und traf ihn allein in feinem Garten. »Noh,« sagte er unmutig zu ihm, »du host m'r 'n schöana' Rot geba', des mueß e saga'! Du bist a g'scheiter Kerl!« – Der Kamerad sah ihn verwundert an und sagte: »Wieso?« – »No doh mit dei'm Foppa'n und Ploga', wo d'me a'glearnt host! Des ist a Dommheit g'wesa'!« – Kaspar ahnte, was vorgefallen war; er forderte ihn auf zu erzählen, was passiert sei, und Michel gab ihm, so gut er konnte, ein Bild von dem Verlauf der Ansprache.

Wie lächerlich die Geschichte dem Erfahrenen und Gewandten auch vorkam, so hielt er es im Moment doch weder für ratsam zu lachen, noch das Benehmen des Burschen zu tadeln. Er richtete seine Kritik gegen das Mädchen und sagte: »'s ist a'n Ohs!« – »So,« eroberte Michel, für welchen diese Zustimmung etwas Angenehmes hatte, »siksch ietz oh ei'? – Freile isch a'n Ohs, d's ärgst em ganza' Doref! Für da' Narra' hot's me g'hett; – ond für da Narra' dät's me halta, so oft's könnt' – wann i net g'scheiter wär'! Aber doh wurd a Riegel fürg'schoba'! Koë Wöartle mea' (mehr) red e mit'r. Nemmer a'seha' du e's (tu' ich sie)!« – »No, no,« warf der Kaspar ein, »gar z'hitzeng muest oh net sei'. Durch des, was d'mer verzählt host, ist no' net bewiesa', daß's de net mag!« – »Was,« rief Michel, »doh isch no' net bewiesa?« – »Noë,« bemerkte Kaspar. »Du host sie foppa' wölla'n aus Lieb, ond sie hot di g'foppt – vielleicht oh aus Lieb!« – Der Bursche konnte sich bei diesen Worten nicht enthalten, ein wenig zu lächeln, und rasch loderte in Michel der Zorn empor. »Willst du me oh no' für da' Narra haba'?« rief er, indem er ihn grimmig anschaute. »Des net,« erwiderte Kaspar. »Aber d'Mädla' deant (tun) oft grad d's Konträre von deam, was denket! Der Spoht« – »Mach me net wild,« fiel Michel ein. »Wean e verspott, auf dean halt' e nex! Du bist a'n Esel, wann's anderst sakst!« – Kaspar zuckte die Achseln. »Du bist halt a grober Kerl,« versetzte er. – »Weil e rehcht Hab',« entgegnete Michel. »Doh ben e doch a weng z'guet dafür, daß e so'm Fratza' da' Narra'n ahgib! – Nex doh! Aus isch ond gar isch!«


Beim braunen Bier.

Ein Mädchen wie die Gret gefiel natürlich mehreren ledigen Burschen. Zwei oder drei Handwerker hätten gern mit ihr anbinden mögen, aber sie erfuhren, daß sie schon angebunden war – sehr kurz nämlich ihnen gegenüber, die etwas dreist vorgehen wollten. Auch ein paar Bauernsöhne schauten sie mit großem Wohlgefallen an und einer schien gute Lust zu haben, sie zu dem Rang seiner Geliebten zu erheben. Es lag indes nicht in der Art des Mädchens, nach einer solchen Verbindung zu streben. Sie war zu fröhlich, um ehrgeizig zu sein, und verspürte keine Neigung, zwischen Sohn und Eltern Streit zu veranlassen und sich durch Händel und wüsten Lärm zu einer höheren Stellung durchzukämpfen. Die Liebe, die ihr den heroischen Mut vielleicht dazu gegeben hätte, meldete sich nicht, und so erfuhr der junge Bursche bei dem zweiten Annäherungsversuche eine lachende, aber deutliche Abweisung.

Wenn sie die sämtlichen Dorfbursche durchging, war und blieb es eben unser Michel allein, bei welchem ihr Herz sich regte. Zu ihm verspürte sie nachgerade einen Zug, über den sie sich selber wunderte. Sie hatte gesehen, daß es der ärgste »Lackel« sei im ganzen Dorf – unerfahren wie ein Kind, und so ungeschickt, daß er einen ordentlich dauerte. Aber der ungeschickte Kerl war ihr der interessanteste! Sie mußte immer wieder an ihn denken; sie fühlte einen Trieb zu überlegen, ob ihm nicht zu helfen sei, ob er nicht doch am Ende gescheiter sei, als er aussehe, und ob ihm der Verstand nicht noch kommen könnte, wenn auch spät, usw. – Wer in Herzensangelegenheiten erfahren ist, der weiß, was dieses Spiel der Gedanken für Folgen hat. Eben im Scheine solcher Vorstellungen entwickelt sich der Keim einer Neigung; die heitere Beschäftigung mit dem Bilde kommt dem Original zugute, und dieses ist zuletzt in der Lage, ernten zu können, wo es persönlich gar nicht gesäet hat. Die Gret gewöhnte sich an die Vorstellung des Michel und an den Gedanken, daß er für sie bestimmt sei. Bald war sie mehr verstrickt, als sie selber ahnte; und während der gute Bursche glaubte, seine Sache sei verloren, stand sie just so gut als möglich.

Je mehr Ernst in die Neigung kommt, desto weniger läßt man dem Gegenstand etwas tun, desto weniger will man Scherz mit ihm treiben. Als die Gret bedachte, wie sie den Michel bei dem letzten Diskurs doch abgeführt hatte, fühlte sie Gewissensbisse und auch eine plötzliche Sorge, er könnte so bös geworden sein, daß er gar nichts mehr von ihr wissen wollte. Dies letztere schien ihr bei näherer Betrachtung nicht gerade wahrscheinlich; aber doch nahm sie sich vor, bei nächster Gelegenheit sich nicht wieder vom Übermut hinreißen zu lassen, sondern mit seinem guten Willen fürlieb zu nehmen und ihm wohlmeinend unter die Arme zu greifen.

Eine Reihe von Tagen war vergangen und sie hatte den Burschen nicht wiedergesehen, außer von weitem. Daß er jetzt keinen neuen Versuch machte, mit ihr zu reden, begriff sie, und es war ihr lieb, daß sie sich in der ersten Zeit nach jenem Auftritt im Heckengang nicht zufällig begegneten. Der Ärger in Michel sollte erst verdampfen und der Liebe wieder Platz machen; dann wollte sie ihn so freundlich grüßen, daß er gewiß wieder Mut bekam und mit ihr ein erwünschtes Gespräch anfing. Sie hatte eine sehr angenehme Empfindung bei der Vorstellung, daß er dann das rechte Wort finden könnte, sie ihm sagen müßste wie's ihr ums Herz sei – und alles zu gutem Ende käme.

Endlich führte sie der Zufall einander entgegen. Sie kam von der Wiese, er ging hinaus. Als das Mädchen seiner ansichtig wurde, errötete sie etwas und sah lieblich heiter aus; sie wollte ihn grüßen so schön, wie sie's nur konnte! Allein in ihm hatte der Anblick derjenigen, die ihn für'n Narren gehabt, schon den Unmut wieder angeregt; und wie er nun gar ihr Vergnügen wahrnahm, das nach seiner Meinung nur Spott sein konnte, loderte ein ganz ehrlicher Zorn in ihm auf. Er machte ein Gesicht so »wild« als möglich; die Gret, bei dem Anblick etwas verhofft, sagte Guten Tag lange nicht so schön, wie sie sich's gedacht hatte – und der Gegrüßte ging vorüber, ohne zu danken. Ihrerseits verletzt, sah das Mädchen ihm nach und schüttelte den Kopf. »Also doch,« sagte sie einigermaßen verlegen und ging langsam weiter. Bald aber tröstete sie sich. »Er moët eba' d's erstmol muß er doch no' trutza'! 's ist a Mensch ohne Manier! Aber er moët's doch net böas – ond d's nächstmol wurd er scho' danka'!«

Bei der nächsten Begegnung schaute das Mädchen den Burschen erst erwartend an; ihre Wünsche hatten die Hoffnung schon so sehr wieder belebt, daß sie meinte, er könnte zuerst grüßen. Als er sich aber mit düsterem Gesicht näherte, ohne eine Miene zu verziehen, rief sie: »Godden Tag, Michel,« in dem Ton einer Gekränkten, als ob sie hinzusetzen wollte: »Worom grüescht me denn net? Hab' e d'r denn ebbes do'?« Dieser Ton traf unsern Burschen; aber da er beschlossen hatte, trutzend an ihr vorüberzugehen, so war nicht von ihm zu verlangen, daß er in dem einzigen noch übrigen Moment diese Bestimmung änderte. Er führte demnach seinen ersten Gedanken aus, weil er einmal im Schuß war, und beleidigte nun freilich die wohlmeinende Gret in einer Weise, die ihrerseits einen Entschluß hervorrufen mußte. Sie schaute sich diesmal nicht um, sondern ging mit röterem Gesicht weiter und murmelte für sich; »'s ist a Dommkopf ond bleibt oër! Mit deam ist nex a'zfanga'! No mei'tweg! Vo' mir soll'r net weiter enkommodiert weara'!«

Infolge dieser niederdrückenden Erfahrung geriet das gute Mädchen in einen Gemütszustand, der ihr neu war, den sie aber eben darum sorgfältig geheimzuhalten suchte. In die Heiterkeit ihres Innern war ein Schatten gefallen. Sie wurde leichter ärgerlich als früher, sie fühlte sich in andern Augenblicken weicher als sonst und eine Art von Trauer wandelte sie an, so daß sie ein Verlangen empfand, ihr Herz einer Kameradin aufzuschließen. Allein das zu tun, schämte sie sich doch allzusehr; sie fühlte, daß es ihr nicht anstand, und schwieg. Auf sich selber beschränkt, gab sie sich stillen Erwägungen hin. Es begegnete ihr, daß sie überlegte, welcher von den übrigen Burschen wohl derjenige sei, der sich am besten für sie passen würde. Sie konnte sich für keinen entscheiden; aber indem sie sich vorstellte, wie einer »mit ihr ging«, erquickte sie sich an dem Gedanken, daß der Michel sich recht darüber ärgerte. Denn das wußte sie: ärgerlich war es ihm doch, wenn sie einen andern hatte, so ein dummer und einfältiger »Stoffel« er auch war.

In dieser Zeit kam ein junger Mensch ins Dorf zurück, der auswärts gearbeitet hatte. Es war der Sohn eines der zwei Schneider, die der Ort nährte – selbst Künstler mit der Nadel und das, was man auch auf dem Land, wenigstens im Ries, »a gallants Bürschle« nennt. Weder groß noch stark, sondern eher klein und schmächtig, war er doch gut gewachsen; und wenn sein helles, glattes Gesicht etwas zu mädchenartig ließ, so war das für gewisse Jungfrauen kein Grund, weniger davon zu halten. Bei viel natürlicher Gutmütigkeit besaß er eine bedeutende Portion Selbstgefühl, das sich auf die Ansicht gründete, daß ihm an Feinheit, Geschicklichkeit und höherem Anstand keiner der gegenwärtigen Bursche des Dorfes gleich käme. Er hatte in der kleinen Stadt, in der er sich aufgehalten, allerlei Redensarten gemerkt, die er bei Gelegenheit zum besten gab, sprach ein wenig »hochdeutsch«, wenn's drauf ankam, und hatte für sich eine Mischung von bäuerischer und städtischer Kleidung erfunden, die seiner Erscheinung etwas besonders Nettes gab. Einmal war ihm der Gedanke gekommen, ob er nicht vielleicht zu etwas Höherem bestimmt sei und in der weiten Welt sein Glück suchen sollte. Aber sein Vater wurde alt, er hinterließ ihm ein Haus und Feldgüter, und in diesem Betracht schien es doch geraten, auf sein ehrgeiziges Projekt zu verzichten und als Geselle des Alten die Zeit zu erwarten, wo er sich als Meister im Dorf setzen konnte.

Jakob – so hieß unser Schneider – war mit dem Maurer befreundet und kehrte bald nach seiner Ankunft bei ihm ein. Die stattliche Schönheit der Gret überraschte ihn und machte auf sein leicht erregbares Herz sogleich einen mächtigen Eindruck. Er nahm sich zusammen, setzte die Reden und sagte dem Bäschen Schmeicheleien, die ihr nach seiner Meinung unendlich wohltun mußten. Die Gret lächelte, halb schelmisch, halb wirklich vergnügt, und nun kam sie ihm so reizend vor, daß eine Stimme in ihm rief: »Dieses Mädchen mußt du kriegen!« – Die Gret konnte ebenfalls hochdeutsch reden, wenn sie wollte, und es hatte bei ihr überhaupt alles einen andern Furm (Form) als bei den Mädchen, die nie aus dem Dorf hinaus »geschmeckt« hatten: waren sie beide nicht recht eigentlich füreinander geschaffen? – Freilich war sie fast einen halben Kopf größer wie er, und dieses Verhältnis hätte er umgekehrt lieber gehabt; allein im Grunde, schadete das was? Es gab Exempel, wo eine große Frau und ein etwas kleinerer Mann recht gut miteinander gehaust hatten. »Wenn sonst nichts fehlt,« dachte der gute Bursche, »das kann man sich gefallen lassen!« Und darin hatte er ganz recht: wenn sonst nichts fehlte, dann stand es vortrefflich.

Vorderhand fehlte indes noch die Hauptsache: die Gret hatte von ihm keineswegs eine ähnliche Ansicht erlangt, wie er von ihr, und ihr war es gar nicht so vorgekommen, als ob sie füreinander geschaffen wären! – Als ein kluges und natürliches Mädchen durchschaute sie den Burschen sogleich. Er war gutmütig und eitel – so recht einer von denen, die eine Gescheite am Narrenseil führen kann, ohne daß sie's merken. Ein »Männdle«, mit dem eine Lustige zu ihrer Unterhaltung spielt, von dem sie sich flattieren und Gefälligkeiten erweisen läßt und den sie dann ohne große Gewissensbisse nach Hause schickt, wenn sich ein Besserer meldet. Wie hätte die Gret vor so einem Respekt haben können? Wenn sie aber keinen Respekt haben konnte, dann konnte sie auch nicht lieben. – Das lag in ihrem Wesen, und das merkte sie auch nachgerade selbst.

Unser Schneider hätte sich eher alles andere einfallen lassen, als daß die Gret über ihn solche Gedanken hegte. Er hatte den besten Mut; denn alles zusammengenommen, konnte so ein Mädchen nicht von Glück sagen, wenn sie ihn bekam? Er war eifrig, dies lag in seiner Natur; aber er war eifrig mit Zuversicht. Zunächst kehrte er beim Vetter Maurer ein, so oft es anging, und wenn er der Gret einen Gefallen tun konnte, so ergriff er die Gelegenheit mit Begierde. Als sie in diesen Tagen einen neuen kattunenen Kittel zu haben wünschte, fertigte er denselben (denn er war Männer- und Frauenschneider) in kürzester Zeit und brachte darin eine sinnreiche Neuerung an, indem er behauptete, ein Mädchen, die in der Stadt gewesen sei, müsse sich feiner tragen als eine gewöhnliche Bauerntrutschel! Er brachte ihr von Hause Sträußchen mit und spitzte dabei seine Komplimente so fein zu, daß er selber daran seine Freude hatte. Kurz er huldigte der Schönen auf eine Weise, der man ansehen mußte, daß er sie anderswo gelernt habe als zu Hause bei seinem Vater.

Nach und nach fand die Gret doch Gefallen daran. Der Schneider hatte aber auch eine günstige Zeit getroffen. Die Spannung zwischen ihr und Michel dauerte fort. Bei einer dritten Begegnung hatte sie, wie natürlich, ihn nicht gegrüßt, und er war mit einem nur um so »wilderen« Gesicht an ihr vorübergeschritten. Die Grobheit eines Menschen, dem sie vor allen den Vorzug gegeben hätte, verdroß das Mädchen im Innersten ihres Herzens, und in diesem Zustande hatte die Höflichkeit des Schneiders etwas Wohltuendes für sie. Sie brauchte einen Ersatz, der junge Vetter gewährte ihn, und sie konnte sich nicht enthalten, ihn freundlich dafür anzusehen. Einmal, in weicherer Stimmung, dankte sie mit besonderer Wärme, und dem Blick, mit welchem sie die Worte begleitete, gab die Dankbarkeit der gerührten Seele einen Glanz und einen Schmelz, wie ihn der Schneider noch nicht gesehen. Jetzt konnte er sich nicht mehr täuschen; das schöne Bäschen gehörte ihm, sie hatte sich verraten! Jetzt durfte er nur reden und die Sache war fertig! – Er redete zunächst doch nicht; vielleicht weil er des Sieges gewiß war, oder weil ihn der schelmische Genius, der sein Los zu weben hatte, davon abhielt. Das konnte er sich aber nicht versagen, beim Abschied die Zuversicht seines Herzens mit wohlgefälliger Miene fein anzudeuten.

Die Gret sah ihm trübe lächelnd nach. »Du guts Bürschtle!« rief sie für sich und zuckte die Achseln. – Ihre Gedanken nahmen den Lauf wieder zu dem Enakssohn. Nach einer Weile sagte sie: »Könnt' ietz der Michel net oh höflich sei' und dischgeriera' und flattiera' wie der Schneider? Mueß denn grad der, den e möcht', der gröbst und der dommst sei' em ganza' Doraf? 's ist doch nex en der Welt, wie's sei' soll!«

Wenn sie in andern Momenten wieder dachte, Michel könnte sich am Ende doch bessern, so erfüllte dieser ihre Erwartung fürs erste nicht. Er trutzte weiter – er wollte in der Tat nichts mehr von ihr wissen; das heißt er wollte im Grunde immer noch gar viel von ihr wissen, aber er gab es nicht zu erkennen. Die Besuche des Schneiders und die Reden, die darüber im Dorf umzugehen anfingen, brachten in seinen Gedanken keine Änderung hervor. Daß ein Mädchen wie die Gret so einen »Krampen« wie den Schneider möge, konnte er fürs erste nicht glauben. Wenn sie ihn aber mochte, wenn sie so einen »miserabeln Kerl« lieber haben konnte als ihn, dann sollte sie ihn nur nehmen und zum Gespött werden mit ihm! Unser Bursche hatte über die »Weibsbilder« schon so viel nachgedacht und vernommen, daß er wußte: sie seien eigentlich »d's Deufels« und auskennen werde sich so leicht keiner in ihnen. Als er sich aber vorstellte, daß die Gret sich wirklich dergestalt verirren und den Schneider nehmen könnte, wo doch er, der Michel, zu haben war, da stieg ein Gefühl der Geringschätzung gegen ihren Verstand, ihren Charakter, ihre ganze Person in ihm auf, welche die Liebe für den Moment gänzlich überdeckte. »Wann's so komma dät, wann's dean lieber hätt' wie mih, nocht dät e me doch schäma', doß e nor a Menutt ebbes von 'r g'halta' hab'!« – Es war ihm aber auch bei diesem Ausruf noch, als ob's eigentlich doch nicht so sein könnte.

Unterdessen hatte die Ernte begonnen, und in dieser Zeit können es Leute, die in einem Dorfe, zumal in einer Gasse wohnen, nicht vermeiden, sich öfter zu sehen. Michel traf die Gret eines Tages mit dem Maurer, dieser grüßte, und unser Bursche konnte nicht so sehr die Lebensart außer acht setzen, daß er nicht dankte. Wie er nun mit ehrbaren Ton »Godda'n Ohbed« sagte, benutzte das Mädchen die Gelegenheit, um mit etwas gedämpfter Stimme gleichfalls ein »Godda'n Ohbed« anzufügen. Was sie sich dabei gedacht, konnte zweifelhaft sein; gleichwohl empfand Michel diesmal bei dem Ton ihrer Stimme ein wohltuendes Zucken in seinem Herzen, und es schien ihm unmöglich, daß dieses nachträgliche »Godda'n Ohbed« nicht etwas zu bedeuten habe, und zwar etwas Gutes. – Das nächste Mal kam sie ihm allein entgegen. Sie grüßte nicht, weil sie jetzt eben von ihm gegrüßt zu werden hoffte. Als er aber wieder stumm blieb, sah sie ihn von der Seite mit einem Blick an, der auch einen Härteren, wie er war, in die Seele hätte treffen müssen. Dieser Blick sagte: »O du dommer Kerl, willst du a Mädle net grüeßa', die so viel auf de hält!« – Michel konnte sich der Wirkung dieses Blickes nicht entziehen. Als er einige Schritte weiter gegangen war, sagte er ernsthaft zu sich: »Jetz isch m'r doch so fürkomma'n, als ob – – am End hot doch der Kapper rehcht!«

Denselben Abend noch suchte er den Kameraden auf und machte ihn mit seiner Erfahrung und seiner Vermutung bekannt. Wie Kaspar ihn auf solchem Wege sah, rief er: »No, was hab' e denn' g'sakt? Die Great hot dih em Kopf, des hab' e schoh' lahng g'wißt; aber du loscht (lässest) ja net mit d'r reda'!« – »No no,« erwiderte Michel begütigend; und nach einem Moment des Nachdenkens setzte er hinzu: »Du moëst also, i hätt' Hoffneng – 's ist dei' Earnst?« – »Freile isch mei' Earnst,« entgegnete Kaspar. »Wer ka' doh no zweifla'! – Aber ietz mach amol 'n Fried mit dei'm oëfältenga' Trutza' doh und dua', was se für a rechts Mannsbild g'höart!« – Michel stand mit tiefsinnigem Gesicht da. »Wann's d'G'legenheit git (gibt),« erwiderte er endlich, »will e seha'!«

Dieser abendliche Diskurs fand gegen Ende der Woche statt. Nachdem am Samstag noch ein tüchtiges Gewitter sich entladen und die Luft abgekühlt hatte, kam ein schöner und nicht allzu heißer Sonntag. Das Wintergetreide war größtenteils zu Hause, die Gerste der Sichel entgegengereift, und da sich die Ernte so gut angelassen, glaubte man, sie werde auch gut zu Ende gehen. In solchem Vertrauen entwickelt sich in der Seele des Bauers ein gründliches Behagen und er fühlt das Bedürfnis, sich ein Pläsier zu machen.

Heute stellte sich bei Michel nach dem Essen der Kamerad ein und machte den Vorschlag, »zum braunen Bier zu gehen«. Zu den Eigenheiten unseres Burschen gehörte es, auch dann, wenn er etwas zu tun geneigt war, sich nötigen zu lassen. Er sah dermalen den andern mit einer Miene an, die weit entfernt war, Beistimmung auszudrücken. Die eben anwesende Mutter rief indes: »Gang mit! Kommst doch oh widder amol aus'm Doraf naus ond unter d'Leut!« – »Ha'et wurd's vohl (voll),« bemerkte Kaspar. »D's Bier soll fei'dle guet sei' ond d's Wäder ist schöa! – Wer woëß,« sagte er lächelnd zu Michel, »ob d'net ha'et oëna sikscht, die d'r g'fällt!« – Die Mutter zuckte die Achseln und entgegnete für Michel: »Gang weiter! Deam g'fällt oëna'! Dia' Hoffneng hab' e lang aufgeba'!« – Sie verließ die Stube. – Kaspar machte ein pfiffiges Gesicht und sagte zu Michel: »Die merkt no' nex!« – Auch unser Bursche verriet auf seinem Gesicht einige Schlauheit; dann aber erwiderte er: »Sie soll oh nex merka', bis d'Sach klor ist!« Und mit einem bedeutungsvollen Wink setzte er hinzu: »Woëscht no', was e d'r g'sakt hab'?« – »Jawohl,« entgegnete Kaspar mit Lachen. »Aber ietz mach'!«

»Zum braunen Bier gehen« hieß auf den Dörfern in der Nähe von Wallerstein so viel als: auf den Keller der fürstlichen Brauerei gehen. Diese Bezeichnung datiert aus einer Zeit, wo in jenen Dörfern ausschließlich weißes Bier gesotten und das braune (das in Norddeutschland sogenannte bayrische) zunächst nur von der »Herrschaftsbräu« geliefert wurde. In den Jahren, in denen unsere Geschichte spielt, verdiente aber das hier produzierte Getränk die Auszeichnung einer solchen Benennung immer noch durch seine Güte, wie es denn auch jetzt noch unter den Bieren des Rieses einen ehrenvollen Rang behauptet.

Die Kameraden legten die mäßige Strecke von ihrem Dorf nach Wallerstein in gemütlichem Diskurs zurück. Die Zahl der »Schöber«, die sie schon eingeführt hatten und die sie noch zu bekommen hofften, der Stand des Sommerkorns und die Hoffnungen des Brachfeldes bildeten den Hauptinhalt ihrer Ansprache. Im Markt angekommen, schlugen sie den nächsten Weg zu der Anhöhe ein, auf welcher die fürstliche Brauerei liegt und nebst den ausgedehnten Ökonomiegebäuden den grauen Felsen, der das alte Schloß getragen, kranzartig umschließt. Sie fanden noch Platz auf einer der Bänke vor der Brauerei, ließen sich jeder eine Maß geben, würdigten den schäumenden Trank, der aus dem gepichten Bauche der hölzernen »Bitsch« in ihre Kehlen floß, mit tiefem Zuge und teilten bald, schmauchend und nach entsprechenden Intervallen die Zungen befeuchtend, das Vergnügen der zechenden Versammlung.

Kaspar hatte recht gehabt. Das in dem Felsenkeller gelagerte Bier war heute ganz besonders wohlschmeckend und der Trinkplatz, der die Aussicht in den nordöstlichen Teil des Rieses darbot, vollständig besetzt. Wallersteiner Herren – fürstliche Beamte und Bürger – etwelche Nördlinger, »kadollische« und »luttrische« Bauern saßen größtenteils standesmäßig vereinigt, hier und da aber auch zufällig gemischt um die hölzernen Tische, die heute für die »Herrn« durch einige hübschere aus der Zechstube vermehrt waren. Das schöne Geschlecht war nicht zahlreich vertreten; doch sah man außer der französischen auch noch katholische und protestantische Rieser Tracht nicht ganz unwürdigen Inhalt umschließend. Alles war vergnügt. Die Hauptsache war unerschöpflich vorhanden, und wer Appetit nach etwas Eßbarem hatte, für den war nicht nur durch die Wirtschaft, sondern auch durch Wallersteiner Buben gesorgt, die Rettiche und »Würst' siedhoëße« ausriefen und die letzteren noch mit dem lockenden Prädikat schmückten, wenn sie schon zwei Stunden hin und her getragen waren.

Unsere Kameraden tranken sich nach und nach in jenen angenehmen Dusel hinein, in welchem die jetzigen Sterblichen eine Ahnung von dem Gefühl erhalten, durch das die Menschen des Goldenen Zeitalters beglückt worden sein mögen. Michel hatte einen Blick auf das Dorf Birkhausen und auf das Fasanenwäldchen geworfen, das ihm so hübsch gegenüberlag; er hatte die Gäste gemustert und nach flüchtiger Betrachtung der anwesenden Bauernmädchen die Überzeugung gewonnen, daß Kaspar in dieser Beziehung nicht gut prophezeit habe! Jetzt ließ er die Augen ruhen und verharrte im Gegensatz zu dem Kameraden, der sich von Zeit zu Zeit umsah, in unveränderter Stellung, sichtlich in Nachdenken versinkend. Ohne aufzusehen, murmelte er endlich: »Wann e's nor g'wihß wihßt'!« – Kaspar sah ihn an und sagte lächelnd: »Bist scho' widder doh mit deina Gedanka'?« – »Holls der Deufel,« rief Michel, »i ka' net dervo' loaskomma'! Wannas ietz doch nex wär'? Wann's doch da' Schneider lieber hätt'? Gestert ist der Kerl a'mer vorbeiganga', als ob's scho' sei' wär'! Ich hätt' 'm glei oëna' stecka' könna', so hoaffärteng hot 'r ausg'seha', der Grippel!« – »Da' Schneider, glob' e, host net z'färchta',« erwiderte Kaspar. – »I sott's oh net moëna,« sagte Michel; und mit großartiger Verachtung setzte er hinzu: »So a Krack – so a Stump von 'm Menscha'! – net gröaßer als a Säustalltürle! I schmieß 'n über a Haus nüber, wann's sei' müeßt'! – 's ka' net sei'!« – »Sie müeßt se ja schäma', wann's mit 'm geang (ginge),« setzte Kaspar hinzu. »D'Leut dätet lacha 'n über so a Baar!« – »'s ist wohr,« sagte Michel. »Aber auf der andern' Seit'; reda' ka'n er, schwätza' ka'n er, ond d'Mädla' send Mädla'. Wer'n (ihnen) flattiert, der hot scho' halb g'wonna'.« – »Des ist freite oh widder wohr,« bemerkte Kaspar. »Ond a'n Ohs ist der Schneider! Allweil woëß er ebbes Nuis. Ond manch's Mädle hot scho' so'n Kerl g'nomma', weil's geara' d'Hosa'n a'ghett hätt'! Vielleicht daß d'Great« – aber eine solche Zustimmung war es nicht, was unser Bursche jetzt wünschte. Seine Züge hatten sich verdüstert und unmutig fiel er ein: »Schwätz net so domm! I glob's mei' Lebteng net! A Mädle wie d'Great will'n rechta' Ma'! Ond i woëß net, was grad do' (getan) hot, daß d' so elend von 'r denkst!« – Kaspar schwieg. Er wußte wohl, daß er nichts profitierte, wenn er nachwies, daß er nur Michels eigene Meinung wiederholt hatte! – Der Gewaltige ertränkte den unliebsamen Gedanken durch einen tüchtigen Zug aus der Bitsch und beide sahen stumm vor sich hin. Auf einmal erhellte sich das Gesicht Kaspars – man hätte sagen mögen schadenfroh – und Michel rief: »Aber kommt denn doh net – hol me der Deufel, sie send's!«

Sie waren's in der Tat, nämlich die Gret und ihr Vater. Sie kamen von der Westseite, denn sie waren auf Besuch bei der Schwester gewesen, die im nächsten württembergischen Dorfe verheiratet war, und fanden sich darum auch erst zu einer Zeit ein, wo der Nachmittag in den Abend überging. Als sie den Kameraden sich näherten, ries Kaspar: »Godda'n Ohbed, Maurer!« und hielt ihm die Bitsch entgegen. Man wechselte Grüße und der Maurer tat Bescheid. »Doh ist no' Plahtz,« sagte Kaspar auf die Bank deutend. Der Maurer besorgte sich auch eine Bitsch, und man setzte sich zusammen.

Michel war überrascht gewesen und hatte die mit langsamen Schritten herbeikommende Gret sonderbar angestarrt. Sie war eben wieder sehr schön in ihrem Sonntagsstaat und namentlich in einem neuen seidenen, prächtig glänzenden Halstuch feinster Qualität! Der Gang in der Sonne hatte ihr Gesicht höher gefärbt, und ein guter Beobachter hätte bemerken können, daß ihre Augen, sobald Michel sich ihnen darbot, durch ein reizendes Funkeln belebt wurden. – Zu anderer Zeit hätte sich der erste Eindruck in dem Burschen vielleicht länger erhalten und eine verhängnisvolle Konfusion der Gedanken zur Folge gehabt; allein zwei Maß Lagerbier trinkt man nicht ohne Wirkung! Michel saß bald mit ruhiger Würde neben dem Maurer und nahm gemütlich an dem Gespräche teil, das sich entspann.

Kaspar hatte gefragt, wo sie herkämen – nicht um es erst zu erfahren, sondern um vor ihnen und Michel zu verbergen, daß er es schon wußte. Nach der Antwort des Alten fragte Michel, wie's den Eheleuten ginge und wie der jungen Frau die Haushaltung anschlüge! Hierauf gab die Gret erfreulichen Bescheid: sie kämen gut fort und hausten recht gut zusammen. Anknüpfend an dieses gute Zusammenhausen nahm der Diskurs eine heitere Wendung. Kaspar ging voran, und Michel bewies, daß er auch Spaß machen konnte, wenn's drauf ankam. In dem Behagen, das er empfand, war es ihm geradezu unbegreiflich, wie ihm vor der Gret jemals das Reden hatte schwer werden können! Beim Teufel! Heut' konnte er schwätzen mit ihr wie mit seiner Mutter! Fragen – Antwort geben – alles dünkte ihm ein Spaß! – was war das doch für ein Unsinn früher? – Der Umstand, daß er sich endlich in der Stimmung fühlte, nach der er getrachtet hatte und die er allein seiner würdig hielt, erfüllte ihn jetzt mit einem gewissen Stolz und einer eigentümlichen Sicherheit. Die Gret war auch so vergnügt, daß ein Blinder hätte sehen müssen, wie sie sich freute, bei ihm zu sitzen! Die Furcht, als könnte sie den Schneider gern haben, war eine Dummheit, die größte, die ihm jemals vorgekommen! Den Schneider! So ein Mädchen! – Nein! Er – er selbst war der Glückliche! – Das war klar, daran konnte nur ein Narr zweifeln! – – Aber heute wollte er auch sein Wort anbringen! Heut' auf dem Heimweg wollte er sich an sie machen, alles frischweg heraussagen – das stand fest – und – auf den Herbst sollte die Hochzeit sein!

Unterdessen hatte man das Bier nicht warm werden lassen. Auch die Gret, die sich durstig gelaufen, tat aus der Bitsch, wo man's nicht sah, etwas bessere Züge, als sie's aus einem Glase gewagt hätte. Sie war in der Tat von ganzer Seele vergnügt. Michel in seiner Unbefangenheit, seiner guten Laune, gefiel ihr ausnehmend. Er war schöner, als er ihr sonst vorgekommen, und offenbar auch viel gescheiter! Die Neigung, die sie immer für ihn gehegt hatte, steigerte sich diesen Abend zu dem ernstlichsten Wohlgefallen, und sie empfand das lebhafteste Verlangen, ihn endlich zur Erklärung zu bringen. Daß sie ihm gleichfalls heute nicht weniger gefiel als früher, davon erlangte sie gewisse Überzeugung, und in der Hoffnung, einen solchen Prachtburschen zum Mann zu bekommen, wuchs ihr Vergnügen zu einer Art von Übermut. Sie neckte den Glücklichen von wegen weil er auf die Mädchen nichts gebe, was ein Unglück und ein schlechte Ehre sei für alle. Michel erwiderte: auf ihn käme nichts an, da gebe es andere, zum Beispiel den jungen Schneider, der in der Fremd' gewesen sei und draußen Dinge gelernt habe, wo sie im Dorf nichts davon wüßten. Das wäre ein Kerl, der könne den Mädchen sagen, was sie gern hörten! Worauf die Gret versetzte: Der Schneider sei allerdings »a gallants Bürschtle«, an dem könnte sich mancher ein Exempel nehmen; aber es gebe ebenso vornehme Bursche, die der Meinung seien, für sie wäre keine gut genug usw. usw. – Diesem kleinen Gefecht hörte Kaspar mit Vergnügen zu, weil er seinen Plan dem Gelingen zureifen sah; der Maurer ergötzte sich daran, ohne den Ernst hinter dem Spaß gewahr zu werden. Zuletzt, nachdem sie einen Moment vor sich hingesehen, sagte das Mädchen: »Wie wär's, wammer (wenn wir) auf da' Felsa' naufgeanget, so lang' d'Sonn' no' schei't? Mir isch, als ob's ha'et besonders schöa' sei müeßt do droba'!« – Der Maurer wandte ein, es möchte doch zu spät sein; sie müßten heim. Allein die Gret bat, die Kameraden traten dem Vorschlag bei und der Alte fügte sich.

Der nächste Weg vom Keller zum Felsen geht hinter dem Brauhause vorbei. Man gelangt, wenn man eine Treppe emporsteigt, auf einen grasigen Platz, der meist eben um den Felsen herumläuft – ehemals der innerste Hof des Schlosses. Er ist jetzt in eine hübsche Anlage verwandelt. Als unsere kleine Gesellschaft auf ihm der südwestlichen Seite zuging, neigte sich die Sonne schon den fernen Anhöhen zu. Vom Keller an hatte sich Michel zu dem Maurer gesellt. Wir wissen, daß er den Entschluß gefaßt, seine Wünsche auf dem Heimweg anzubringen; er folgte daher um so eher einem instinktmäßigen Trieb, nach der geschehenen Annäherung sich wieder ein bißchen zurückzuziehen, die Gret dem Kaspar zu überlassen und zur Hauptaktion neue Kräfte zu sammeln. Das war aber nicht die Rechnung des Mädchens, die das Besteigen des Felsens eben vorgeschlagen hatte, um dem Michel zu weiterer Annäherung Gelegenheit zu bieten, in der Hoffnung, einen Moment herbeiführen zu können, wo ihm, der einmal im Zuge war, das Schloß vom Munde fallen sollte. Wie sie nun, am Felsen angekommen, ihn ernsthaft mit dem Vater diskurieren und zurückbleiben sah, warf sie einen Blick des Bedauerns auf den Liebhaber, der die gute Gelegenheit versäumte, mit ihr aufzusteigen und ihr allenfalls dabei zu helfen. Damals war der Weg (er befindet sich auf der Südwestseite) noch nicht so bequem wie jetzt, wo neue Treppen in den Felsen gehauen sind. Kaspar, der mit der Gret hinanstieg, kam einmal in den Fall, ihr die Hand reichen zu müssen, um sie einige Schritte zu führen; und es ist zu vermuten, daß sich diese Notwendigkeit für Michel öfter ergeben hätte, »'s ist doch a'n o'g'schickter Mensch,« sagte sie sich. Aber ein Gedanke beruhigte sie wieder: »Vielleicht will er se bei mei'm Vader wohl dra' macha', des g'höart oh zor Sach', obwohl der nex dagega' haba' wurd – o konträr!«

Alle waren endlich auf dem Gipfel angekommen. Man ging hin und her und schaute. »Ei wie schön!« rief die Gret und hing mit freudigem Blick an der Landschaft. »Du host rehcht,« setzte der Maurer hinzu, »'s ist wärle der Müh' weart g'wesa', daß mer (wir) raufganga' sind.«

Der Bauer ist kein schwärmerischer Bewunderer der schönen Natur. Zunächst weil er überhaupt nicht so leicht schwärmt; dann aber weil er gewissermaßen selber zur Natur, zur Landschaft gehört und mit ihr auf zu vertrautem Fuße lebt, um über ihre Erscheinungen außer sich zu kommen. Ein recht schöner Anblick verfehlt aber auch auf ihn seine Wirkung nicht; er freut sich darüber herzlich und kindlich – und das Ries im Schein der Abendsonne ist ein Bild, dessen Reiz auch die substantiellere Natur eines eingeborenen Dorfbewohners zu ergreifen vermag.

Die Luft war klar, auf der nordwestlichen Seite kein Wölkchen am Himmel. Die gelben oder noch grünlichen Getreidefelder – die schon »geschnittenen« Äcker, zum Teil noch mit »Sammelten« bedeckt – die lichtgrünen Wiesen, die Brachfelder mit verschiedenen Abstufungen von hellerem und dunklerem Grün – die zahlreichen Orte in der Nähe und in der Ferne – alles das stand vor den Augen in deutlichen Umrissen und durch den zarten sommerlichen Duft gleichwohl zu einem schönen landschaftlichen Ganzen verbunden. Unter ihnen lag der Markt Wallerstein mit den beiden fürstlichen Schlössern und Parkanlagen; am nordwestlichen Horizont ragte das hochgelegene Schloß Baldern über Hügel ins Ries herein; nach Westen zu erhob sich das ehemalige Frauenkloster Kirchheim auf mäßiger Höhe, und weiterhin stieg der Langenberg und der Nipf bei Bopfingen empor. Eine halbe Meile entfernt, gegen die südwestlichen Hügel hin, war die Stadt Nördlingen gelagert mit ihren vielen ansehnlichen Gebäuden, Zwingern, Gärten und Alleen – und rechts und links wohlhäbige Dörfer über die Ebene hingesäet. Die Ruine Hochhaus schimmerte aus Wäldern hervor; auf den südöstlichen Höhen prangten das Schloß Reimlingen und die ehemalige Benediktinerabtei Deggingen, weiter nach Osten die Schlösser Harburg und Lierheim und die Reste von Allerheim. Kehrte man sich nach der nördlichen und nordöstlichen Seite, so erblickte man die stattliche Kirche von Zipplingen, das Kloster Maihingen und den langen Hesselberg – die Schlösser Hochaltingen und Spielberg, den uralten Turm von Hohentrüdingen, die Städte Öttingen und Wemdingen. Die nordwestlichen Anhöhen standen in grünlichem Duft, unter der Sonne golden überhaucht; die südlichen erquickten das Auge mit wenig gedämpftem Waldesgrün; die entfernteren südlichen und östlichen glänzten in wundervollem Blau, hier und da von helleren Partien der Getreidefelder durchzogen. Eben die Anhöhen, welche die Ebene rings umgeben, erwecken in dem Eingeborenen das Gefühl, daß er in einem Paradiese lebt – in dem landschaftlich eingeschlossenen und abgeschlossenen, fruchtreichen, schönen Ries!

Unsere Leute genossen das Malerische des Anblicks auf ihre Weise, in großen Linien, und verwendeten deshalb weniger Zeit darauf, als wir auf die Beschreibung. Sie gingen zu einer sachlichen Unterhaltung – zur Hervorhebung einzelner Gegenstände über. Sie zeigten sich Orte, die das Merkwürdige hatten, daß darin Freunde von ihnen hausten; sie machten Anhöhen namhaft, die sich dadurch auszeichneten, daß sie von ihnen schon bestiegen worden waren. Die Gret deutete das Haus ihrer Schwester an, welches leider von einem großen Bauernhaus verdeckt sei; und zuletzt konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf dem interessantesten Dorf – auf dem eigenen. Man zeigte sich seine Häuser, Wiesen und Äcker, und Anblick und Besprechung dieser traulichen Objekte versetzten die Landleute wieder in eine muntere, fröhliche Stimmung.

Michel hatte sich hie und da an die Seite der Gret gestellt, allein nach seinem Plane sich nicht mehr mit ihr abgegeben als mit den andern, obwohl der Kamerad den Maurer ein paarmal abseits geführt hatte, ihm die Gelegenheit zu verschaffen. Die Gret, dadurch gereizt und in der erhöhten Laune des Tages, beschloß, ihm einen Schreck einzujagen und – ihm entgegenzukommen. Als die andern in die östlich gelegene Spalte hinabgestiegen waren und Michel schweigend neben ihr stand, tat sie einen Schritt gegen den Rand des Gipfels, von dem es hier schroff abwärts ging, zuckte und »grillte« (kreischte), daß es eine Art hatte. Michel erschrak in der Tat und versäumte, rasch zuzugreifen; als er sah, daß sie selber feststand, hielt er es nicht mehr für nötig und schaute sie beruhigt an. Die Gret verzog den Mund. »Du bist a schöaner Nochber,« sagte sie; »du ließest me nonterfalla', ond sächtest (sähest) ganz ruheng zua'!« – Der Ehrliche war etwas beschämt, weil er selbst fühlte, daß er zu langsam gewesen; aber eben darum wollte er den Vorwurf zurückweisen. »No, no,« erwiderte er, »du host de ja selber g'halta'. – I hab' eba' denkt, du wurscht Versta'd gmuag haba' ond net z'weit nausganga!« – Für einen Liebhaber keine galante Rede! Die Aktien des Burschen, insbesondere seiner Gescheitheit, sanken wieder, und das Mädchen, etwas empfindlich geworden, suchte die andern auf.

Die Sonne zerschmolz eben am Horizont – der Alte mahnte zum Ausbruch. Die Gret, um den Michel für sein Ungeschick zu strafen, ging zuerst hinunter und tat, als ob er gar nicht mehr da wäre. Natürlicherweise fühlte nun er, dem es doch schwante, daß er sie »geärgert« habe, einen Trieb, ihr nachzugehen und sie wieder gut zu machen. Nachdem sie alle auf dem schon tauigen Rasen angekommen waren, führte Kaspar, der des Kameraden Absicht merkte, den Alten im Gespräch links um den Felsen. Unser Paar sah sich allein. Der Bursche sagte ihr etwas Schönes wegen der Geschwindigkeit, womit sie den Felsen herabgestiegen war. Sie, noch ein wenig schmollend, aber seines guten Willens halber schon wieder aus dem Wege zur Güte, entgegnete: »Ja, a bisle g'schwender den e freile als du! Bei dir hoëßt's eba': komm' e ha'et net, komm' e morga'. I sorg', du wurscht überall z'spät komma'!« – »Oho,« erwiderte Michel und lächelte, denn das Gesicht, womit ihm dieser Vorwurf gemacht worden, hatte nichts Beleidigendes. Das Mädchen sah ihn an – und nochmal fühlte sie eine Regung, für ihn etwas zu tun. Sie sagte: »Globsch (glaubst du), du ka'st me net fanga', wann e spreng (springe, laufe)?« – »Ih dih?« versetzte Michel und konnte nicht umhin, über so eine Behauptung die Achsel zu zucken. »Ja du mih,« erwiderte die Gret mit Nachdruck. Das hieß den Michel bei der Ehre angreifen; und im Gefühl seiner langen Beine rief er mit stolzer Sicherheit: »Loß de net auslacha'!« – »Ja,« sagte das Mädchen, »pranga' ka'n a'n ieder; aber i glob's net!« – »Du bist net g'scheit!« entgegnete Michel. »No so zoëg's,« fuhr die Gret fort, »ond fang me, wann d' ka'st!« – Sie faßte ihren Rock auf beiden Seiten, hob ihn ein wenig in die Höhe, um den Beinen mehr Freiheit zu gewähren, und lief – aber nicht links, den andern nach, sondern rechts um den Felsen, einer Grube zu, die sich auf der nördlichen Seite des Felsens befindet. Michel, so herausgefordert, hatte sich bereit gemacht; er ließ ihr einen Vorsprung, dann fing er an auszugreifen, daß er sie schon am Eingang der Grube erreichte. Aber der Triumph, sie nun zu fassen und zu halten, war ihm ein viel zu geringer – er lief einige Schritte über sie hinaus, bis sie schnaufend zurückblieb, drehte sich um und rief siegesfreudig: »No, was hab' e g'sakt? Ka'n e's oder ka'n e's net?« – Die Gret sah ihn mit einem fast wehmütigen Blick an, und mit dem Doppelsinn, den ihr die Situation aufdrängte, sagte sie: »Ja, ja, i hab' me g'irrt en dir – ond mueß me schäma'!« – Michel, weit entfernt zu begreifen, trat näher und sagte mit dem Tone wohlwollender Überlegenheit: »No, no, z'schäma brauchst de grad net, wann ih über de nausloff!«

Der absolute Mangel an Verständnis machte die Gret lächeln und die grundehrliche Meinung des Burschen versöhnte sie wieder. In der Grube war es schon dämmerig; der Spaziergang, auf den sie so viele Hoffnung gesetzt, nahte sich seinem Ende, und daß die beiden Bursche mit ihr heimgehen würden, konnte sie nicht als gewiß annehmen. Wer wird es ihr nun verdenken, wenn sie bei der Redlichkeit ihrer Absichten die Gelegenheit ergriff, mit dem Burschen noch einen Versuch zu machen? Am Ende – sie tat damit ihre Schuldigkeit, und wenn gleichwohl an ihm nichts half, so brauchte sie sich wenigstens keinen Vorwurf zu machen.

Sie hatte bemerkt, daß sie beim Laufen die Glufe, womit das Halstuch des Rieser Bauernmädchens auf dem Rücken angeheftet wird, um daselbst ein regelrechtes Dreieck zu bilden – verloren und ihr schönes seidenes Halstuch sich verschoben hatte. Indem sie eine Glufe aus der Brust auszog, wo sie minder nötig war, sagte sie zu Michel: »Jetz muß e de no' om a Gefälligkeit bitta'! I spür, daß mei' Gluf rausfalla'n ist aus mei'm Halstuch, ond's wär' mer lieb, wann d' mer's widder nei'stecka' möchst, vor mer z'rückgont (zurückgehen).« Während sie dieses sagte, hatte die Phantasie ihr vorgezaubert, was ihr Herz wünschte. Michel fand während dieser Beschäftigung den Mut der Liebe, folgte ihm freudig und hielt eine Anrede an sie, die, wenn auch noch so kurz, doch vom Munde des Mannes gehen muß, um von dem Mädchen bejaht den Bund der Herzen tatsächlich zu knüpfen.

In diese Seelenmusik ertönte plötzlich die Antwort des wirklichen Michel: »I will's versuacha'! Muß d'r aber scho' saga', daß e mit deana (diesen) Sacha' net recht omganga ka'!« – wodurch die Gret belehrt wurde, daß es noch nicht an dem sei. Der Bursche nahm die Gluf und stellte sich hinter sie; er wollte ihr nun auch wirklich gefällig sein und genau tun, was sie haben wollte. Als er anfing, das Halstuch zurechtzurücken, wurde ihm doch sehr kurios. Sein Herz fing an zu schlagen, vor seinen Augen begann es zu schwimmen; er fühlte ein außerordentliches Verlangen, just das zu tun, was sie wünschte, und ihr Phantasiebild wortwörtlich zu erfüllen. Allein zu rechter Zeit noch mahnte ihn die Pflicht und sein Vorsatz. Ihr die Gluf anzustecken, das hatte sie verlangt, darum war es ihr zu tun, und darin mußte er ihr zu Willen sein. In der Verwirrung seiner Lebensgeister zog er das Tuch rechts und links, ohne ihm die gehörige Lage geben zu können. Die Gret rief: »Daß 's fei' recht en d' Mitt' nei' kommt!« Denn grad in der Mitte des Rückens muß die Spitze befestigt werden, wenn das schöne Dreieck herauskommen soll. Dieser Zuruf des offenbar etwas ungeduldigen Mädchens traf den Burschen. Das Tuch hing eben zu weit rechts. In seiner Konfusion tat er instinktmäßig einen Riß gegen die Mitte, wobei er die Kraft seiner Finger nicht erwog, und – ein Fetzen des Halstuchs blieb in seiner Hand.

Nun aber riß auch die Geduld der guten Margret! Nachdem sie so weit gegangen – nachdem sie ihm auf eine Art entgegengekommen war, daß der Einfältigste hätte begreifen müssen – ihr, anstatt ihren Wunsch zu erfüllen und ihr um den Hals zu fallen, das schöne neue Halstuch zu zerreißen – das war denn doch in der Wahrheit »dümmer, als verlobbt ist«. So einen Menschen zum Mann zu kriegen, ist am End' auch kein großes Glück, und – – sie hatte sich umgedreht, sah den Fetzen in seiner Hand, sah das Gesicht halb verlegen, halb lächelnd gegen sie gewendet, und rief erzürnt: »Du bist aber doch o'g'schickter als der Deufel! So Mannsbild! Gang nor glei (gleich) morga' zom Schulmoëster ond loß d'r dei' Schuelgeld widder rausgeba'; denn des ist net verdeat (verdient) woara!« – Das war auch nicht höflich, und so etwas hatte Michel noch nie gehört. Er wurde seinerseits ärgerlich und entgegnete: »I hab d'r ja g'sakt, daß e mit deam Zuig (Zeug) net omganga ka' – w'rom trägst mer's auf?« Und mit stolzem Selbstgefühl setzte er hinzu: »I hab' ebbes anderst's z'doa' en der Welt, als da' Mädla' d'Halstüacher na'zmacha!« – Die Gret sah ihn achselzuckend an und sagte: »Ja, des glob' e!« – Der Bursche fühlte einen Drang, sich von jedem Vorwurf rein zu waschen; deswegen, den Fetzen emporhaltend, bemerkte er: »Des Tuech doh, nemm mer's net übel, ist aber oh nex nutz g'wesa'! 's ist aba' widder so a nuimodischer Lompazuig (Lumpenzeug), so dent (dünn) wie Spennawett (Spinnweb)! Mei'r Mueter ihr Halstuech wär' m'r net in der Ha'd blieba'.«

Das Mädchen wußte nicht, sollte sie lachen oder weinen. Sie hielt an sich und erwiderte: »Du host natürlich rehcht! Ma' woëß ja, daß d'r G'scheitst bist en der ganza' Gmoed (Gemeinde). – So, ietz ka'n e mit 'm verrissenga' Halstuech hoëmganga'!« – Michel, der einmal in den Schuß der Dummheit gekommen war, verstand die letzte Rede falsch. Er trat mit ritterlicher Intention einen Schritt näher und sagte tröstend: »Doh brauchst de net z'kränka'! – ih ka' d'r scho' a nuis kohfa!« – Das gab ihm bei dem Mädchen den Rest. Wahrhaft beleidigt riß sie ihm den Fetzen aus der Hand und rief: »So viel Geld hab' e no' übreng, um m'r a nuis Halstuch z'kohfa! I brauch nex von dir, du oëfältenger Mensch!« – Sie wandte sich rasch ab und ging fort.

Michel stand verdutzt. Er hatte eine dumpfe Ahnung, daß er doch nicht ganz richtig gehandelt haben könnte. Ein Ärger erhob sich in seiner Brust – über sein Unglück, über die Hitze der Gret, über das Mißgeschick, das ihn überall verfolgte. Indem er nachdenken wollte, fühlte er, daß ihm heute auch das Denken nicht mehr geriete. Er spürte eine ziemliche Mattigkeit in seinen Gliedern, setzte sich auf ein Felsstück und überließ sich der formlosen Bewegung seiner unmutsvollen Seele. Endlich erhob er sich rasch und trat den Rückweg an; er wollte doch sehen, wie's stehe und was zu tun sei!

Als er an seinen Tisch trat, waren der Maurer und die Gret schon fort; Kaspar erwartete ihn, unwissend, was er denken sollte, und höchst neugierig, was denn passiert sei. Die Gret sei zurückgekommen, sehr ernsthaft und ärgerlich, und habe erzählt: sie hätte ihren Fürwitz gebüßt, sie wäre in einer Grub' am Felsen hingegangen und ein spitziger Stein hätte ihr das Halstuch zerrissen. Er, Kaspar, habe nicht begreifen können, wie das zugegangen sei, und nach ihm, dem Michel, gefragt; worauf sie zur Antwort gegeben, sie wisse nicht, wo er hingelaufen sei. Dann habe sie an ihrem Vater getrieben, sie müßten nach Hause, sie habe noch etwas herzurichten auf morgen früh – und der Maurer sei mit ihr fortgegangen. »Was hot's denn geba'?« rief der gute Bursche zuletzt mit dem Anteil eines Freundes, der das Seine getan. »Send'r (seid ihr) oëneng woara'n oder« – »Jo,« rief Michel mit dem Humor der Verzweiflung, »oëneng! – Aus isch!« – Kaspar fuhr empor. »Was! – aus?« – – »Aus,« erwiderte Michel, »wie'n e der sag!« – »Aber wie hot's denn ganga'? So verzähl m'r doch!«

Unser Bursche war gedrückt von dem Unstern, den er gehabt, von dem Unwillen, der in seiner Seele emporschwoll – er mußte sein Herz erleichtern, und er wollte dem treuen Kameraden alles vertrauen. Wie er erzählte, daß er in der Grube über die Gret hinausgelaufen sei, machte Kaspar Bewegungen, als ob er das Gliederreißen hätte. »Nausgloffa?« wiederholte er mit unwilligem Staunen; und den Zorn des Gewaltigen riskierend, setzte er entrüstet hinzu: »O du dommer Kerl! Host denn net g'seha', was die g'wöllt hot?« – »No, was denn?« fragte Michel. Und Kaspar fuhr fort: »Fange' hättsch (hättest du sie) solla' – ond d's Maul hättst aufdoa' solla', wann's g'hett hättst! Desdawega' hot's de rausg'foadert!« – Michel war betroffen; die Sache leuchtete ihm ein, und nur kleinlaut sagte er: »Moëst?« – »Ach, i bitt' de!« rief der Kamerad höchst verdrießlich. – »No, verzähl weiter!«

Michel erzählte das übrige. Kaspar sah ihn an, wie einen, bei dem's nicht recht richtig ist, und brach in ein lautes Gelächter aus. »Lieber Michel,« sagte er endlich, »nemm mer's net übel, aber dir muß ma' da' Dippel boara' (den Düppel bohren)! Was! doh host no' nex g'merkt?« – Unser Bursche, einmal auf dem Wege der Selbsterkenntnis, begriff – und ein dumpfes Schamgefühl begann in ihm aufzuquellen. Allein seine Handlungsweise hatte doch auch ihre Gründe, und zu seiner Rechtfertigung mußte er sie geltend machen. »Aber i sag' d'r,« entgegnete er etwas verlegen – »ihr Halstuech ist wärle verschob«' g'wesa'! Ond i hab' g'moët« – – »Jetz höar auf,« rief Kaspar, »ond ärger' me net! Die hot se ebbes om ir Halstuech kümmert! Des ist 'r aufg'lega'! – no' derzue bei der Nahcht, wo's koë Mensch sicht!«

Bei dieser Hinweisung auf die Nacht ward es Tag in unserem Burschen. Er schämte sich in den Tiefen seiner Seele, und ein großer Verdruß über sich selbst erhob sich in ihm. Indessen wenn man angegriffen ist, muß mann sich doch verteidigen, und darum sagte er: »'s mag sei'! Aber 's ist vielleicht besser, daß's so komma'n ist! Mit dem Mädle hab' e amol nex as (als) O'glück – und wear woëß« – Kaspar fiel ihm in die Rede: »O'glück haba' nennt 'r des! Jetz wurd's mer z'viel! Glück host tausedmol meaner (mehr) as der Brauch ist – – aber (auf die Stirn deutend) doh fehlt's!« – Nach kurzem Schweigen setzte er hinzu: »Jetz bitt' e de nor om oës! Verzähl m'r koëm Menscha' nex dervo'! Ih as dei' Kamrad mueß me schäma' für di! Du hast de benomma, daß a wahra' Schänd' ist! Wie a Dommkopf, wie a Sempel, wie a – –«

Der gute Kaspar wollte die Gelegenheit der Vernichtung Michels benutzen und sich für die Grobheiten, die er von ihm schon anzuhören gehabt hatte, entschädigen. Aber nun wurde es dem Enakssohn zu bunt. Er richtete sich empor in seiner ganzen Macht und rief mit dunkelbraunem Gesicht: »Jetz sei mer still, oder i schmeiß de onter da' Dihsch (Tisch) nonter, doß d's Aufstanda' vergischt! Kott's Höllablitz! – Willst me du oh no' verzürna'? – I hab' mei' Lebteng mit deana Lueders-Weibsbilder nex z'doa g'hett – wie sollt' ih ihr' Ränk ond Schwänk kenna'?« – Kaspar, zur Mäßigung gemahnt, versetzte mit Humor: »So got's eba! Wer nex lernt, der ka' nex!« – »Was doh,« rief Michel unmutig. »Falsche Ohser send's alle mitanander! I ben froa', daß so ganga'n ist, ond meiner Lebteng loss' e me ietz mit koër mea' ei'! Aus isch!« – Er ergriff die Bitsch, leerte sie auf einen Zug, stand auf und rief mit dem alten Herrscherton: »Jetz komm!« – Er ging. Kaspar folgte.

Auf dem Heimweg schüttelte der Erfahrene noch zu wiederholten Malen den Kopf. Es war freilich beinahe nicht zu glauben, wie der Kamerad sich benommen hatte. Aber abgesehen von den Gründen, die er selber angegeben, war er ein Deutscher und hieß Michel. Er war ein Schwabe und erst sechsundzwanzig Jahre alt.


Beim Tanze.

Als die Gret am andern Morgen in ihrem Bett erwachte, überlegte sie bei dem heiteren Schein der aufgegangenen Sonne die Vorfälle des gestrigen Abends in ihrem Zusammenhang und ihrer Steigerung – und brach in ein helles Gelächter aus. Nichts in der Welt kam ihr so närrisch vor wie der gute Michel in seiner Einfalt. Was sie gestern erzürnt hatte, das erschien ihr heute unendlich lustig, und um keinen Preis hätte sie sich ihr zerrissenes Halstuch abkaufen lassen. »O ist des a gueter Kerl!« rief sie, Lachtränen in den Augen. »Ist des a dommer Mensch!«

Mit dem Unmut war aber auch die Geringschätzung, die sie gegen ihn empfunden hatte, völlig aus ihr gewichen. Die Heiterkeit stimmte sie zur Milde, zur Gerechtigkeit. Sie fühlte, wie gut er's eigentlich meinte, wie durch und durch ehrlich er war, und wie ihm nur die rechte Art fehlte. Ihre Seele hing an seinem Bilde, wie das Auge einer Mutter an ihrem Kinde, mit liebend mitleidigem Anteil. »G'scheit ist er freile net,« sagte sie endlich, »ond wie ma' mit da' Mädla'n omgot, des woëß er gar net. Aber was schadt's? 's ist am End' besser, er lernt's von mir, als wann er's scho' von 'r andra' g'lernt hätt'!«

Da sie die Schwäche des Burschen von der schöneren Seite betrachtete, so leuchtet ein, zu welchem Schlüsse sie kam. Sie wollte ihn durchaus nicht aufgeben, ihm vielmehr alles verzeihen, und bei der nächsten guten Gelegenheit sich alle Mühe geben mit einem neuen Versuch, »'s ist freile net en der Oarneng (Ordnung),« sagte sie mit etwas bedenklichem Gesicht, »daß d's Mädle widder a'fangt. Aber was ka'n e macha'? 's got amol net anderst, ond a jeds mueß doa', was eba' ka'! – So o'stearisch (unsternisch, unglücklich) wie desmol,« setzte sie erheitert hinzu, »wurd's ja doch net allmol ganga'I«

Es hatte einen ganz absonderlichen Reiz für die muntere Gret, den prächtigen dummen Michel zu gewinnen. Sie lächelte holdselig für sich bei diesen Gedanken, ihre Augen glänzten und schelmisch verlangend rundeten sich die schönen roten Lippen.

Vergnügt kam sie in die Stube. Als sie nach der Begrüßung des Alten wieder an Michel und sein Benehmen dachte, konnte sie sich nicht enthalten, für sich hinzulachen. Ihr Vater sah sie verwundert an und sagte: »Was host denn? Du bist ja g'wihß net g'scheit?« – Die Gret erwiderte: »'s ist m'r grad ebbes ei'gfalla'!« – »Gang weiter,« sagte der Maurer, der nicht zu den scharfsichtigsten Menschen gehörte, »du bist a verruckt's Mädle! Mach lieber, daß mer a Supp krieget ond zom Schneida' kommet!«

Anders war die Nachwirkung des gestrigen Abends bei dem Burschen. Auch er sah klar an dem hellen Morgen, aber bei ihm erzeugte die Klarheit nicht Heiterkeit und Milde, sondern grimmigen Verdruß und Wut über sich selbst. Schon Goethe hat hervorgehoben, wie der arme Mensch, des Morgens im Bett erwachend, in der Passivität des Daliegens den Pfeilen der Selbstanklage und der Reue wehrlos preisgegeben ist. Michel, in dem Nachteil seiner Lage, erkannte aufs deutlichste, wie dumm er sich gestern benommen; Scham färbte sein Gesicht, er strampfte mit dem Bein, daß die Bettstatt krachte. »O du Ochs,« rief er aus und gab sich einen Schlag vor die Stirn, der einer minder harten gefährlich werden konnte. »So domm sei'! – net seha', was d's Ohs will, ond globa', sie will des, was sie sakt! Als ob's net grad allmol ebbes andersts wölla' dätet, die – –! – Jetz kenn' e's (ich sie) auf oëmol – ietz, wo's nex mea' hilft!«

Michel, wie der Leser schon gesehen, war hintendrein immer um ein gutes klüger als vorher; er machte sich seine Erfahrungen in Wahrheit zu nutze, er ging vorwärts, und es war darum keineswegs an der Durchbildung seines Verstandes zu verzweifeln, wenn man ihm nur Zeit gab, die hierzu nötige Zahl von Erfahrungen zu machen. Das ist aber eben das Schlimme bei dieser gründlichen Art der Entwicklung, daß man oft gewisse Einsichten erst zehn Jahre später erlangt, als wo man sie brauchte, und unter solchen Verhältnissen gar vieles unwiederbringlich verloren bleibt.

»So a G'legenheit,« murmelte der Bursche vor sich hin. »Moëts so guet mit m'r, richt't mer's na' – a'n oëzengs Wöartle, ond mei' wär's! – Ond ih ben so hihra'dippleng und verreiß 'r d's Halstuech! Noë,« und er brach selber in ein Lachen aus, »so 'n oëfältenga Menscha' gibt's en der Welt nemmer! Des ist gar net möglich! – Natürlich isch wüadeng woara', des begreift se – über so'n Esel! Die möcht' i oh seha', di doh d'Geduld net verliera dät'!«

Er versank in tiefes Nachdenken, »'s ist verloara',« begann er aufs neue, »ganz ond gar verloara'! So'n domma' Menscha' muß ma' verachta', 's got net anderst; ond wo amol koë Respekt mea' ist, doh hot's mit d'r Liab a'n End! – O, i wott glei – –«

Er sprang auf, zog sich an und murrte dabei fortwährend über sich selbst. – Als er in die Stube trat und der Mutter Guten Morgen bot, sah ihn diese an und sagte: »Wie sikscht denn du ha'et aus? – Du host g'wihß gestert z'tief en d'Bitsch nei'guckt!« – Michel war froh, die Alte auf dieser Fährte zu sehen, und dichtete sich einen Katzenjammer an, obwohl mindestens das doppelte Quantum des gestern Getrunkenen erforderlich gewesen wäre, ihm eine Andeutung davon zu geben. »Ja,« erwiderte er, »i ben a bißle z'weit ganga'! Aber,« setzte er mit saurem Gesicht hinzu, »i hab' a Lear (Lehre) kriegt, ond wear me a'nandersmol hüeta'!«

Als er nach dem Frühstück aufs Feld hinausging, dachte er: »Jetz nor alles ha'et, als dem Mädle net begegna'!« Er empfand eine grausame Scheu, das Gesicht zu sehen, das er sich nicht anders als höhnisch denken konnte und dessen bloße Vorstellung ihm schon einen Stich ins Herz gab. Unbehelligt kam er an seinen Acker, und froh über dieses Glück schnitt er rüstig in Gesellschaft seiner Mutter und einer Tagelöhnerin die zeitgemäße Gerste. Aber seine Furcht war doch eine Ahnung dessen, was kommen sollte! Da sie den Acker noch fertig schneiden wollten, so gingen sie erst spät zum Mittagessen heim. Michel blieb in Gedanken zurück, und wie er in die Gasse einlenkte, kam ihm die Gret entgegen. Er erschrak und sein Gesicht zeigte eine so komische Mischung von Verlegenheit, Verdruß und Empfindlichkeit, daß das Mädchen, als er ohne zu grüßen an ihr vorüberschritt, sich nicht anders helfen konnte – sie mußte grad hinauslachen.

Es tat ihr unendlich leid, sobald es geschehen war. Sie fühlte, daß es jetzt zu Ende sei mit ihm, und daß ein Wunder geschehen müßte, wenn er ihr dieses Lachen verzeihen sollte! – Sie schalt sich selbst, wurde sehr ernsthaft und beruhigte sich endlich nur in dem Vorsatz: für jetzt sich zurückzuhalten und alles in Geduld zu erwarten.

Ihr Gefühl hatte sie nicht getäuscht. Michel war im tiefsten beleidigt. »I hab's ja g'wißt,« sagte er schamerglühend zu sich selbst – »auslacha' wurd's me! – No, ietzsch isch aber verbei – ietz sig e's nemmer a' meiner Lebtag! I ben a'n Esel g'wesa', daß e denkt hab', sie hält doch ebbes auf mi! Wean ma' so auslacht, auf dean hält ma'n ebbes, jawohl! – Nia hot ma'n ebbes auf'n g'halta'!«

In seiner gerechten Entrüstung ging er zu dem Kameraden und erzählte ihm, was ihm passiert sei und was er nun denken müsse. Kaspar wollte die Schlußfolge Michels nicht gelten lassen; aber dieser machte ein Gesicht, daß er seine Einwendung gern fallen ließ und meinte: es könnte doch so sein! – Gewisse Leute finden immer Beistimmung.

Michel faßte den Entschluß, die Gret nicht nur ihres Weges gehen zu lassen, sondern gar nicht mehr an sie zu denken. Zunächst wurde er aber doch noch an sie erinnert. Seine Mutter erfuhr nämlich im Lauf der Woche von einem Nachbar, Michel sei am Sonntag beim Maurer und seiner Tochter gesessen, er sei recht »lebendeng« gewesen, und es habe just so ausgesehen, als ob ihm die Gret gefiele. – »Des gäb' a rechts Paar,« hatte der Wohlwollende hinzugesetzt – »doh müsset 'r a bißle helfa'!« – Die Alte war sehr erfreut über diese Nachricht und nahm sich gleich vor, bei guter Gelegenheit auf den Busch zu klopfen und zum Zwecke zu reden.

Als sie einen Tag darauf nach dem Essen allein in der Stube waren, begann sie mit jenem Lächeln, das nur Müttern eigen ist, wenn sie auf eine ihnen genehme Liebschaft des Sohnes anspielen: »Des mueß ma' doch saga', d's Maurers Margret ist doch ietz d's erst' Mädle em ganza' Doraf! Wie die so g'schickt ist ond wie der alles aus der Ha'd got! 's ist wärle zum Verwondra'!« – Michel blieb stumm. – »No, isch net wohr?« fuhr die Alte fort und sah ihn an. – »'s ka' sei',« entgegnete Michel. – »Die Geschwendne (Geschwindigkeit),« begann die Mutter wieder, »hab' e no' net leicht g'seha' bei 'm Mädle! Sie schafft für zwua (zwo, zwei).« – »Mei'daweg für drei!« versetzte der Bursche. Die Alte wollte aus dieser Antwort entnehmen, Michel schäme sich zu bekennen, und fuhr fort: »Wer die zom Weib kriegt, deam isch net g'fehlt – der hot's troffa' – noch mei'r Moëneng!« – »I wensch 'm Glück derzue,« bemerkte der Sohn ohne aufzusehen und mit einem Ton, der der Alten doch befremdlich klang. »No, wos host denn ietz?« rief sie; und lächelnd setzte sie hinzu: »Bist net amol aufrichteng mit dei'r Mueter? I will der's nor saga': die Great wär' a Mädle für dih, ond wann de a bißle om se rommacha' dätst –«

Michel sah auf mit unmutigem Gesicht. »Die Great,« erwiderte er kurz, »wär die Letscht (Letzte), die i näam (nähme)!« – »Aber worom denn?« rief die erstaunte Alte. – »Weil's a'n Ohs ist, »war die Antwort,« ond weil e's net leida' ka'!«

Die Mutter wollte ihren Ohren nicht trauen. »Aber du sollst de ja beim brauna Bier recht guet mit 'r onderhalta' haba'!« – »Descht (das ist) a domma' Schwätzerei – weiter nex!« entgegnete Michel. Und indem alle Schmach, die er erfahren, in feiner Seele brannte, rief er mit Nachdruck: »Von deam Mädle red' m'r nex mea' – ih will nex von 'r höara'!« – Die Alte war bestürzt und schwieg einen Moment still. Dann sagte sie mit einem Klageton, der aus der Seele kam: »Aber sag' m'r nor, willst denn ietz barduh (partout) net heiricha? Magst denn gar koëna'? Soll e meiner Lebteng koë Söhnere mea' ens Haus kriega'?« – Dieser Ton traf den Burschen; – und da es die Mutter doch so gut meinte und vielleicht die einzige Person in der Welt war, die es gut meinte mit ihm, so ging er auf sie zu, nahm sie bei der Hand und sagte von Herzen: »Mueß denn aber grad g'heiricht sei'? I hab' ja a brave Mueter, die m'r nex ahganga' (abgehen) loßt and bei der's m'r wöller ist als bei so 'r jonga Butzdock (Putzdocke)!« – »Ach,« erwiderte die Alte, die sich doch etwas geschmeichelt fühlte, »wann e aber stirb, was nocht?« – »Du lebst länger als ih,« rief Michel, nickte versichernd – und suchte das Weite.

Wie vorsichtig die gute Frau war, und wie sehr sie eine Scheu empfand, über ihren Michel ein Gerede zu veranlassen, das ihn erzürnen würde – den Widerspruch zwischen der Erzählung des Nachbars und dem Benehmen des Burschen konnte sie doch nicht verwinden. Sie erkundigte sich gelegentlich bei dem Kameraden. Dieser spürte kein Verlangen, die Wahrheit zu sagen und unter Umständen die Kraft der Michelschen Fäuste zu empfinden; er erwiderte, sie hätten allerdings eine Ansprache mit dem Maurer und seiner Tochter gehabt, aber diese hätte dem Michel ein paar spöttische Reden hinausgegeben, das habe ihn geärgert und nun sei sie ihm zuwider. – Die Mutter seufzte und resignierte noch einmal. Zum Nachbar sagte sie: »Desmol hont 'r falsch g'seha'!« Der Alte meinte: »Nocht wurd's halt d's brau' Bier g'weßt sei', was 'n so monter g'macht hot!« – »Des glob' e ehr,« entgegnete die Mutter – und die Frage war abgemacht für sie.

Die Ernte ging ihren Gang. Das letzte Fuder Hafer war ins Dorf gefahren, und das Verhältnis zwischen Michel und der Gret noch das alte. Mit dem Maurer wechselte der Bursche die gewöhnlichen Grußformeln. Begegnete er dem Mädchen, so spielte er mit Erfolg einen Menschen, der ganz in seine Gedanken verloren hinwandelt, und sie ging mit dem Ernst der Ergebung an ihm vorüber, mit wiederholtem innigem Bedauern über ihr unglückseliges Lachen und mit erneuertem Vorsatz, bei der nächsten Gelegenheit, wenn ihr ja das Glück noch einmal »wollen« sollte, sich so gut, so klug und so lieb als möglich gegen ihn zu benehmen.

Der Schneider hatte unterdessen seine Besuche und Huldigungen nicht ausgesetzt, obwohl die Erntezeit, die ihn in einen Schnitter verwandelte, sie nicht in solcher Häufigkeit zuließ wie früher. Er sah zu seiner Verwunderung, daß sein Bäschen mehr und mehr ihre Munterkeit verlor, sich hie und da in einem sonderbar traurigen Nachdenken, zuweilen auch in einer sehr ärgerlichen Stimmung betreffen ließ. Dies erschien ihm nicht wohl begreiflich, da sie doch nach seiner Ansicht alles hatte, was sie wünschen konnte, namentlich einen Liebhaber, der deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er sich, wenn es sein mußte, in einen Ehemann verwandeln könnte. Er setzte ihr Betragen indes auf Rechnung der bekannten weiblichen Launen und tröstete sich, daß sie gehen würden, wie sie gekommen.

Auf den ersten Dienstag nach der Ernte fiel eine Hochzeit, die, zum Vergnügen der jungen Leute des Dorfes, im Wirtshaus gefeiert wurde. Ein wohlhabender junger Söldner verheiratete sich mit der Tochter eines kleinen Bauern. Die Familie Schwab gehörte zur »Freundschaft« des letzteren – es war daher unumgänglich nötig, daß ein Glied derselben als Gast an der Feier teilnahm, um so mehr, als der Bauer vorzeiten auch den Ehrentag der Witib mitgefeiert hatte und die Schicklichkeit eines Ersatzes in die Wagschale fiel. Wenn der Brauch will, daß ein Geladener dem Freund oder guten Bekannten »auf die Hochzeit gehe« und »auf die Hochzeit schenke«, das heißt einen verhältnismäßigen Geldbeitrag zum Beginn der Wirtschaft liefere, so will er nicht minder, daß dem Gaste bei Gelegenheit seiner eigenen Verbindung oder der eines Blutsverwandten die Ehre und das Geschenk wieder zurückgegeben werden. Der Brauch übt einen sanften Zwang zur Wiedervergeltung und fördert so den Austausch reeller Höflichkeiten, indem er jedem abwechselnd das Wohlgefühl des Empfangens und Gebens verschafft. Denn es bleibt natürlich dem Rieser unbenommen, das, was die Sitte gebietet, aus freien Stücken zu tun und in der Wiedervergeltung nicht eine bloße Pflichterfüllung, sondern einen natürlichen Erweis der Großmut zu sehen, deren Freude es ist zu schenken und glücklich zu machen!

Schon acht Tage vor diesem Feste hatte zwischen Michel und seiner Mutter ein kleiner Kampf über die Frage begonnen, wer es mitmachen solle. Michel wollte die Last der Mutter aufbürden, die Mutter wollte die Lust dem Sohne gönnen. Die gute Frau kam eben, wenn auch nur im stillen, immer wieder auf den Wunsch und die Hoffnung zurück: es möchte ihm eine gefallen! Da nun im Dorfe selbst offenbar keine so glücklich war, so wünschte sie um so lebhafter, der Sohn möchte auf dieser Hochzeit Jungfrauen aus andern Orten sehen, die nicht fehlen konnten. – Das Bewußtsein, als Mutter für sein Bestes sorgen zu müssen, gab ihr diesmal in der Tat die Kraft zu widerstehen und seine Einwendungen zu entkräften. Wie oft er auch wiederholen mochte: es mache ihm keine Freude, er habe gar »keinen Luhst« dazu, es sei ihm grausam zuwider! – am Ende mußte er sich den Ermahnungen, womit die Alte ihm zuzusetzen nicht müde wurde, dennoch fügen und in den sauern Apfel beißen. Zur Verzweiflung gebracht rief er endlich: »No mei'daweg, i will ganga'! Aber du wursch seha', 's gibt widder ebbes. Denn der Deufel ist loas ond loßt m'r koë Rua'!« – Die Mutter war zu vergnügt über seinen Entschluß, als daß sie dieser Rede weiter nachgedacht hätte.

Ob Michel sich deswegen so lange sträubte, weil er erfahren hatte, daß auch die Gret auf die Hochzeit kommen würde – oder ob er deswegen endlich nachgab – wer konnte es wissen? – Der Kamerad, den er von dem Streit mit der Mutter in Kenntnis gesetzt, machte ihm gelegentlich und vorsichtig jene Mitteilung, indem er hinzufügte, nun würde er gerade auch darauf gehen und dem Mädchen zum »Tort« sich um eine andere herummachen, was sie gewiß recht ärgern würde. Michel hatte indessen geantwortet, er kümmere sich um das Mädchen überhaupt gar nicht mehr, und später diesen Gegenstand nicht wieder berührt. – Sei dem, wie ihm wolle – er folgte der Alten, und mußte sich am Hochzeitsmorgen mit dem Gedanken der Nötigung doch schon einigermaßen versöhnt haben, denn er wusch und putzte sich nach Kräften und zog sich so stattlich an, als es der Kleiderkasten zuließ. Wie er endlich vor seine Mutter trat in schwarzen Hosen von Hirschleder, die kein Fältchen warfen und fast bis eine Spanne über das Knie von den Stiefeln bedeckt waren – in manchesternem Leibchen mit versilberten Knöpfen, im neuen, schwarzen, baumwollbehaarten Barchentkittel mit flachen, talergroßen Knöpfen – über das wohlgebundene dunkle Halstuch den feinsten Hemdkragen gezogen und den Kopf mit dem landesüblichen Schaufelhut bedeckt – da ging der guten Frau das Herz auf und undenkbar schien es ihr, daß so ein Mannsbild sollte durchs Leben gehen können, ohne ein braves Weib glücklich zu machen und ohne eine würdige Nachkommenschaft zu hinterlassen. – Sie hatte eben in das Papierkäpselchen des Gesangbuchs, das ihm auf dem Weg zur Kirche übergeben werden mußte, einen großen Kupferzweier gesteckt, den er als »Opfer« in den Klingelbeutel werfen sollte; nun wünschte sie ihm von Herzen gute Unterhaltung und gab ihm geschwind noch ein paar Schicklichkeitsregeln mit, ihn besonders ermahnend, daß er zu den Brautleuten sagen sollte: »Ich gratuliere,« nicht: »Ich kondoliere,« wie es einmal einem zu seiner großen Schande passiert sei. Michel zuckte die Achseln und ging, da es eben zehn Uhr schlug, in langsamen Schritten dem Wirtshaus zu.

Als er in die obere Wirtsstube kam, waren außer dem Brautpaar und seinen Angehörigen nur erst wenige Gäste dort. Er trat stattlich zu den beiden Glücklichen und sagte die Gratulation ohne Anstoß, worauf der Dank mit einem gewissen ernsten Lächeln ausgesprochen wurde, welches namentlich auf dem Gesicht der Braut zu bedeuten schien: Nimm dir ein Exempel dran! An einem benachbarten Tisch hatten schon ein paar ältere Männer aus dem Dorfe und eine Matrone von auswärts Posto gefaßt; er setzte sich zu ihnen, um, da er nicht tanzte, wenigstens eine vernünftige Ansprache zu haben.

Die Gäste mehrten sich. Auf einmal trat auch die Gret ein, die in der schwarzen Spitzenhaube und in dem dunkeln Anzug, wie ihn das protestantische Landvolk bei ernsten Gelegenheiten zu tragen pflegt, ein eigenes feierliches Aussehen hatte. Allein nachdem das Auge rasch die Tische überflogen, stimmte das helle Antlitz nicht mehr zu dem ernsten Gewand; es glänzte froh dem Brautpaar entgegen und wünschte schon Glück, ehe die Lippen sich öffneten.

Michel hatte bei ihrem Eintritt in seinem Herzen einen kleinen Ruck empfunden und konnte sich nicht enthalten, sie in der Stellung des Gratulierens anzusehen und sie wieder schöner zu finden als alle andern Mädchen und Weiber! – Plötzlich verdunkelten sich seine Züge; der Schneider war angekommen in funkelnagelneuem Tuchrock und sehr vergnügten Gesichts. Er sprach einen Glückwunsch, der nur den Sinn der alten Bauernformel enthielt, und setzte sich an die Tafel, an welcher die Gret Platz genommen hatte, um sofort mit ihr einen Diskurs zu beginnen.

Das Fest begann und verlief nach der Regel, und die Gäste fühlten sich bald wohl und wohler – mit Ausnahme eines einzigen.

Michel hatte den Entschluß, die Gret nicht mehr anzusehen, während ihrer vergnügten Unterhaltung mit dem Schneider erneuert. Beim Aufstellen des Zugs in die Kirche ging er an ihr vorbei, ohne irgend von ihr Notiz zu nehmen. In der Kirche sah er sich aber unwillkürlich zur Übertretung des von ihm aufgestellten Gesetzes verlockt. Der Pfarrer hob in seiner Predigt die Bedeutung des Ehestandes so schön hervor; er sprach über den Segen, der an diesen Bund geknüpft sei, mit solcher Weihe, daß Michel instinktmäßig den Kopf nach der Gegend hinkehrte, wo die Gret saß. Diese hatte den ihrigen just in entgegengesetzter Art gewendet – die Blicke trafen aufeinander. Obwohl er nun sein Haupt rasch wieder in die alte Stellung zurückdrehte und eine Miene annahm, als ob nichts geschehen wäre, so fühlte er sich doch ertappt, die Gret konnte von ihm denken, Gott weiß was, ihn auslachen und ihn verspotten. – Er war sehr ärgerlich.

Von da an war unser Bursche kein aufmerksamer Hörer der Predigt mehr, und auch die Rede des Schullehrers im Hofe des Wirtshauses ging ungewürdigt an ihm vorüber. Es begann ihn zu reuen, daß er der Mutter nachgegeben, und nur mechanisch ging er mit andern Zuschauern auf den Tanzboden. Was er da sah, war gleichfalls nicht geeignet ihn aufzuheitern.

Als das Brautpaar die drei Reihen getanzt hatte, wirbelten bald zwölf Paare herum – und unter diesen der Schneider mit der Gret. – – Alles was recht ist: der Schneider tanzte vortrefflich. Er kam dabei sogar ein bißchen größer heraus, sintemal er städtisch hüpfte; er hatte die Gret fest am Kittel gefaßt und drehte sie kräftiger herum, als man's ihm zugetraut hätte. Dabei schimmerte sein glattes Gesicht in dem Vergnügen seines Herzens und in anmutiger Selbstgefälligkeit, so daß er allgemein gefiel. Nur unserem Burschen mißfiel er. Namentlich war diesem das selbstgefällige Lächeln des kleinen Kerls in einer Art zuwider, daß er's ihm gerne durch eine Ohrfeige vertrieben hätte, wobei ihm Hören und Sehen vergangen wäre. Allein das ging nicht an, er mußte seinen Verdruß hinunterschlucken. Er wäre in die Stube zurückgegangen, wenn er nicht der Gret hätte zeigen wollen, daß ihn diese Tanzerei durchaus nicht geniere! Das schien ihm aber seiner Würde gemäß. Indem er ein gleichgültiges Gesicht zu machen suchte, gelang es ihm wenigstens, ein freudloses hervorzubringen, das an ihm niemand auffiel.

Eine Tänzerin wie die Gret ließ man dem Schneider nicht allein. Ein anderer Lediger nahm sie ihm ab und drehte sich, wenn auch mehr auf dem Boden, ebenso lustig mit ihr im Reihen. Michel hatte wenigstens die Genugtuung zu sehen, daß das Mädchen mit diesem just so vergnügt, ja fast noch vergnügter aussah wie mit dem Nebenbuhler. Es kam ihm der Gedanke, sie könnte den Schneider auch nur für'n Narren halten; und das war ihm ergötzlich und erheiterte seine Züge. Ein Schmunzeln der Schadenfreude umspielte seine Lippen, als er das Bürschchen aus einer Ecke, und zwar mit einem gewissen Ernst im Gesicht, auf das Paar schauen sah. Er verzieh ihm und konnte nicht umhin, die Tänzerin wohlwollender und unbefangener zu betrachten.

Die Gret, obwohl sie ihm nicht ins Gesicht sah, mußte doch etwas gemerkt haben. Als sie wieder im Reihen an ihm vorüberging, glänzte ein Lächeln auf ihrem Gesicht, das ihm galt – ein Lächeln, wie es gefallen muß, kein falsches, sondern ein gutes Lächeln. Das Herz unseres Burschen begann aufzutauen. Aber es sollte noch besser kommen. Das Wirtsmädchen hatte wiederholt zum Essen gerufen, die Musik verstummte, mit einer Art von Gedränge ging's der Tür zu. Die Gret kam in die Nähe des Burschen, sie schaute ihm ins Gesicht und sagte mit einem Tone, aus welchem die Seele klang, zugleich heiter, weich und süß: »Godden Dag, Michel! Bist oh auf d'r Hoaxet?« Michel konnte in der Überraschung allerdings kein ebenso freundliches Gesicht machen – gewissermaßen brummte er nur sein Ja. Allein die Gret schien das nicht schlimm zu deuten; vielmehr sagte sie: »No, mach de nor recht lusteng,« nickte ihm aufmunternd zu und setzte sich an ihren Tisch.

Das war denn doch freundlich! Da gebe sich einer nicht erneuter Hoffnung und glücklichen Empfindungen hin! – Michel setzte sich an seinen Tisch, und da er dem Frühmahl wenig Teilnahme geschenkt hatte, so aß er jetzt im Verhältnis zu seiner Statur – so ziemlich mit dem Appetit eines Herkules. Ländlich, sittlich. Ein romantisch Gebildeter hätte vielleicht nach einem so holdseligen Gruße der Geliebten lange nichts gegessen und nur von dem geistigen Leben seines Herzens gezehrt; – unseren Burschen trieb eben die Seelenfreude auch zur Erfreuung des Leibes. Das Mahl war vortrefflich – die Schöpfung einer Wirtin, die mehr nach Lob als nach Gewinn trachtete – und er ließ es sich wohlschmecken, solange der Appetit seine Kraft behauptete. Dies war lange, da das braune Bier, das er sich geben ließ, sie wiederholt erneuerte. Er fügte auch noch dem Braten eine ziemlich bedeutende Wunde zu und konnte nur wenig »einwickeln« lassen, um es der Mutter heimzubringen.

Die Genüsse des Mahles und das Glück der Liebe und der Hoffnung harmonierten in ihm durchaus. Die Blicke, die er zu dem Tisch hinüberwarf, an dem die Gret saß, wurden immer herzhafter, und er fühlte sich so wohl wie seit langer Zeit nicht. In seinem Behagen erfüllte er sogar die Unterhaltungspflicht an seinem Tisch und sprach über die Preise, die der »Kern« (Dinkel), der Roggen und die Gerste im Herbst haben und im Winter behaupten würden, Gedanken aus, die, wenn sie nicht unfehlbar waren, doch mit einer Miene gegeben wurden, als ob sie es wären, und bei den älteren Männern lächelnde Zustimmung fanden.

Der Tanz begann wieder. Michel hatte sich erhoben, und als die Gret von einem dritten Burschen an ihm vorbeigeführt wurde, hatte er schon den Mut, ihr mit einem gewissen väterlichen Wohlgefallen zuzurufen: »Scho' widder auf da' Da'zboda'! O uir (ihr) Weibsbilder!« – »Was will e doa'?« erwiderte die Gret. »Wer a'fangt, mueß furtmacha'!« Und nach einem freundlichen Blick auf ihn ließ sie sich hinausführen.

Michel ging nach Hause. Die Mutter sah ihn an und sagte: »No, es schei't doch, 's g'fällt d'r!« – »No ja,« erwiderte der Sohn, »'s ist am End' doch a Vergnüaga'! – Aber,« setzte er, das Eingewickelte auf den Tisch legend, hinzu, »i hab' en Gedanka' verfluecht zuag'langt ond breng d'r weng mit!« – »Wann's d'r nor g'schmeckt hot!« rief die gute Alte; und heiter sagte sie: »Du host de am End' gar oh scho' recht lusteng g'macht (das heißt getanzt)?« Michel erwiderte: »Bis ietz no' net. Aber wer woëß? Der Letscht hot no' net g'schossa'!« – Die Mutter bemerkte: »Wie d'r (ihr) en d'Kirch' ganga' send, hab' e a baar Mädala' g'seha', die wära' wohl weart, daß ma's romdreha' dät!« – »I will's net verreda',« erwiderte Michel. »Aber z'erst muß e no' a weng zecha'.«

Als er wieder dem Wirtshause zuging, begegnete ihm Kaspar vor einem ochsenbespannten Pflug, durch dessen Lenkung er sich heute das Vergnügen des Ansings verdienen wollte. Die Ochsen wurden zum Stehen gebracht, der Kamerad fragte, wie sich die Hochzeit anlasse. Michel, in der frohen Aufregung seines Herzens, erzählte, wie die Gret sich gegen ihn benommen. Kaspars Gesicht erhellte sich. »Willst ietz no' allweil zweifla',« rief er aus, »daß des Mädle a'n Og (Auge) auf di hot? O wann e an dei'r Stell' wär'!« – »Was soll e doa'?« fragte Michel. – »Danza' muest mit'r, wann's oh nor a baar Roëa wära't! Schwätza' muest – en d'Stub' muasch (mußt du sie) füara', a Bodell (Bouteille) Wei' muest komma' lossa – Kott's Heidablitz! Wann's doh net got, nocht got's sei' Lebtag nemmer!«

Unser Bursche war bedenklich geworden. »I ka' d's Danza' net rehcht,« entgegnete er, »ond du woëscht, i hab' O'glück!« – »O'glück!« versetzte der Kamerad etwas ärgerlich. »Ietz kommt 'r widder mit dear Ei'bildeng!« – »Ja, ja,« sagte der gute Bursche, »'s ist doch so. Mir got nex naus!« – »Gang weiter! A Kerl, dem d'Mädla' nochloffet!« – Michel, obwohl von dieser Vorstellung erheitert, erwiderte: »Du wurscht seha', 's wurd nex!« – »Ja freile,« rief Kaspar, »wann's widder so machst, wie d's Wallerstoë!« – »Jetz doh hab' koë Sorg',« versetzte der Bursche mit einem gewissen Selbstgefühl. »Des passiert m'r nemmer!« – Kaspar knallte den Ochsen und rief im Abgehen: »Ha'et Ohbed, hoff' e, ka'st m'r ebbes Nuis verzähla'!« – »'s ka' sei',« erwiderte Michel und folgte den Tönen der Klarinette, die vom Tanzboden herunter in die Gasse drangen.

Michel fühlte, daß er nach dem offenbaren Entgegenkommen der Gret einen Versuch machen und als tüchtiger Bursche handeln müsse. Bei der Vorstellung indes, wie er nun zu ihr gehen und sie zum Tanz auffordern sollte, spürte er doch wieder eine eigentümliche Bewegung in seinem Herzen. Es fiel ihm ein, daß er beschlossen hatte, fürs erste zu trinken und zu rauchen; er trat in die Stube, setzte sich, zündete seine Pfeife an und führte seinen Vorsatz männlich aus. Nachdem er schweigend und diskurierend zwei fernere Maß Braunes in sich ausgenommen hatte, fühlte er sich gekräftigt – mutig, lustig und in einer Stimmung, wo er glaubte, daß ihm nichts fehlen könne. – Der Wirt und Bräuer war ein solider Mann und die Gerste seit einem Jahre billig.

Er ging auf den Tanzboden. Da er die Gret, die sich nicht in der Stube befand, auch hier nicht erblickte, so war sie offenbar nach Hause gegangen. Die Verschiebung seines Unternehmens, welche dieser Umstand notwendig machte, war ihm nicht unlieb. Er sah den Paaren zu, die es am besten konnten, und überzeugte sich, daß dieses Tanzen am Ende auch kein Hexenwerk sei. Nachdem er genug gesehen, wollte er in die Stube zurück; im Vorbeigehen warf er einen Blick auf die Stiege – und siehe, an der Seite einer auswärtigen Freundin stieg die Gret herauf.

Bei diesem Anblick fühlte er sich etwas überrascht. Auch sie errötete lieblich; aber in ihrem Herzen regierte der Mut der Liebe und der Wille, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Sie ging auf ihn zu und sagte gutmütig fröhlich: »No Michel, host no' net danzt?« Der Bursche, der zu seiner Verwunderung fühlte, daß ihm wieder etwas von seinem Unternehmungsgeist abhanden gekommen war, versetzte: »Allweil no' net!« – Er spürte einen gewissen Trieb, wieder in die Stube zu kommen, und hatte schon seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt; aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Die Gret fuhr fort: »Willst denn aber gar net a'fanga'? Willst da' ganza' Dag dohsitza' ond romstanda' auf 'r Hoaxet?« – »Wie soll i danza',« entgegnete Michel; »d's ganz Doraf woëß ond du wursch (wirst es) oh wissa, daß e's net ka'!« – »I hab' de aber doch früher scho' amol danza' seha'!« bemerkte die Gret. – »Jawohl,« versetzte der Bursche mit einer gewissen Laune – »aber wia?« – »Auf oëmol got nex en der Welt,« erwiderte das Mädchen tröstend und ermutigend. »Wamma'n ebbes lerna' will, mueß ma's öfter probiera'!« – Michel, dem in Abwehrungsfällen die Gründe nicht so leicht ausgingen, versetzte: »Manch Sacha' ka' ma'n oh ganz bleiba lossa, wamma' z'alt derzue ist!« – »Kott's Blitz,« rief die Gret, »wann e nor so ebbes höar! Z'alt zom Danza'! A jonger Burscht wie du! Schäm de doch!« – Und indem sie ein wenig näher trat, sagte sie mit aller Güte und Liebe – mit einer Stimme, welcher der Durchbruch ihrer Empfindung eine honigsüße Weichheit verlieh: »Komm, Michel! – probier's mit mir!« Dem Burschen war es seltsam durchs Herz gegangen, er wußte nichts zu entgegnen. »Komm!« rief das Mädchen heiter und zärtlich, indem sie ihn bei der Hand faßte. Michel begriff, daß, es im höchsten Grade feig und in jeder Beziehung unschicklich gewesen wäre, jetzt nicht zu folgen. Er wollte handeln wie ein Mann, er wollte sein Bestes leisten – und entschlossen führte er sie in den Reihen.

Unser Bursche gehörte vermöge seiner Größe, seiner Stärke und seines besonderen Wesens noch immer zu den ausgezeichnetsten Persönlichkeiten des Dorfes. Dergleichen in eigentümlichen Situationen zu sehen, ist interessant, besonders wenn man hoffen kann, daß die Schadenfreude ihre Rechnung dabei findet. Wie nun einer in die Stube kam und sagte, der »Schwobamichel« tanze mit des Maurers Gret, da verfügten sich schnell noch etliche zu den auf dem Tanzboden schon befindlichen Zuschauern – begierig der Dinge, die da kommen sollten.

Der Gang im Reihen war vollendet, das Tanzen begann. Die Gret wußte sehr gut, welcher Aufgabe sie sich unterzogen hatte, und war nun darauf bedacht, alle Kraft und Geschicklichkeit anzuwenden, um das Wagnis gut hinauszuführen. Den Tänzer festhaltend, leitete und drehte sie ihn, soviel sie konnte. Daß ihre Arbeit nicht gering war, merkte sie freilich bald. Micheln wohnte nur eine sehr schwache Ahnung vom Takte bei und zu gleicher Zeit wirkte in ihm eine gewisse Zentrifugalkraft, die ihn immer der Wand zutrieb, so daß ihn die Gute nur mit Mühe im Reihen halten konnte. Trotz alledem – es ging. Die Kunst und die Liebe des Mädchens triumphierten, und sie war sich dessen nach Beendigung des Reihens mit Freude bewußt.

Michel war sehr vergnügt. Jeder Spur von Furcht entledigt blickte er frisch umher – er begriff gar nicht, wie er diese Lumperei für so schwer hatte halten können! »Siksch, es got?« rief die Gret, indem sie ihn freundlich ansah; und er erwiderte allerdings: »Ja freile, wamma' so a Dänzere hot!« – aber er war doch überzeugt, daß er's konnte, und sein Gesicht schrieb einen guten Teil des Erfolgs auf seine Rechnung.

In dieser Stimmung wollte er's das zweite Mal noch besser machen. Er wollte sich Mühe geben und alle die Kraft und Stärke anwenden, die er in seinen Gliedern fühlte; denn das erste Mal hatte er eigentlich nur gespielt! – Er arbeitete nun wie an einer Schanze und machte Bewegungen, als ob er Zentnersteine vom Boden lupfen wollte. – Der Gret wurde es saurer als das erste Mal, ihn im Gleise zu erhalten, und die Schadenfreude, die aus den Ecken lugte, fand eine reichere Ausbeute. Man lächelte sich an und zuckte die Achseln. »Descht a Mannsbild!« rief eine Bäuerin mit gedämpfter Stimme einem Nachbar zu – »der macht widder a'n Arbet (Arbeit)!« Und der andere versetzte: »Er schafft, als ob er mit 'm Danza' sei' Brot verdiena' müßt! Gommer (gehen wir) a bißle z'ruck, daß 'r es (uns) net doat (tot) tritt!«

Der Bursche merkte davon nichts. In dem Bewußtsein der Mühe, die er sich gegeben, meinte er seine Sache vorzüglich gemacht zu haben. Er lächelte mit Stolz und erkannte in dem satirischen Zuschmunzeln einiger Kameraden nichts als den verdienten Beifall. Da die Gret diesmal schwieg, um auszuschnaufen, so sagte er selbst zu ihr: »'s got doch besser, als e g'moët hab'!« – Die Gret dachte in ihrem Herzen: »daß Gott erbarm'!« – behielt aber diese Meinung wohlweislich für sich und erwiderte: »W'rom sott's net ganga'? Was ander' Leut' könnet, wäara' mer doch oh könna?«

Gern hätte sie ihn gebeten, sich dessenungeachtet etwas weniger anzustrengen, die Sache sich leichter zu machen; aber sie wußte, daß er nicht in der Stimmung war, diesen Rat gut aufzunehmen – und für den Moment wär's ohnehin zu spät gewesen. In dem Vergnügen, das ihn belebte, in der Kühnheit, die sein Herz rasch emporwachsend erfüllte, hatte er ein Lied begonnen. Ein anderer war ihm zuvorgekommen; aber dieser, ein kleiner Kerl, schwieg auf der Stelle, als er die Stimme des Gewaltigen vernahm, und Michel sang das seine zu Ende, mehr kräftig als schön, aber für seinen Zweck immer passierbar. Dann nahm er die Gret bei der Hand, strampfte, daß der Boden zitterte, »juxte«, daß seine Nachbarn an die Ohren langten, faßte die Tänzerin und drehte sich mit ihr, »was host, was geist« (was hast du, was gibst du, so schnell usw. als möglich). – Und besser ging's als das letzte Mal – nach seiner Meinung. Die Betätigung des Kraftüberschusses, der in ihm wogte – die Freude, die Herzallerliebste herumzudrehen und es zu können – durchgoß ihn mit einem Wohlgefühl, wie er es nie empfunden. Herrlich war's und prächtig ging's – bei weitem besser, als er sich's zugetraut hätte! – Jedenfalls hatte die Gret dafür gesorgt, daß er einmal die Wand, an die er streifte, nicht einstieß und dann ein Paar, das vor ihm den gewöhnlichen Bauernschritt einhielt, nicht über den Haufen tanzte.

Die Heiterkeit der Zuschauer war bei dieser neuen Leistung nicht geringer geworden. Ein sonnverbrannter Alter nickte ihm seine Anerkennung mit gemütlichem Faungesicht zu und rief: »Kreuzschwernot, Michel! du bist ja der erst' Dänzer em ganza' Land!« – Michel, in der Freude seines Herzens, entgegnete: »Net wohr, des hättet 'r m'r net zuatraut!« – »Wärle net,« versetzte der Alte. »So ebbes mueß ma' seha', wamma's globa' soll!« – Die gute Gret begann es zu reuen, daß sie den Geliebten auf eine Bahn gelenkt hatte, wo er so schlechte Ehre gewann. Aber vielleicht schlug er nun selber eine andere ein, wo er Aussicht hatte, besser zu bestehen. Schon hatte die ungewohnte Anstrengung seine Lungenflügel in Bewegung gesetzt und der Schweiß rann ihm von der Stirn. Vielleicht hörte er auf, nahm sie in die Stube – setzte sich zu ihr – und es ereignete sich, was ihr alle Mühen und Leiden tausendfach vergütete.

Fürs erste ging diese Hoffnung nicht in Erfüllung. Michel tanzte aufs neue; und der Umstand, daß es wieder ohne Unglück ablief, steigerte seine Lust und Sicherheit. Sein Hintermann, ein begüterter junger Bauer, klopfte ihn auf die Schulter und rief: »Aber Michel, sag' m'r doch, wo host denn d's Danza' so g'learnt?« – »Was woëß ih,« erwiderte der Bursche mit stolzem Behagen – »auf oëmal got's halt! – Aber Sapperment,« setzte er, die Augen sich wischend, hinzu, »doh stobbt's (staubt's) ja, daß ma' kämm (kaum) sei' Dänzere sicht! – ond des ist doppelt schad', wamma' so a schöana' hot, wie'nih! – He, Mädle!« – Er schaute sich nach dem Wirtsmädchen um, die den Staub mit Wasser zu löschen pflegt; und da er sie nicht gleich erblickte, schrie er aus Leibeskräften und jede Silbe breit ausdehnend: »Mädleh! Auf da' Da'zbodah'! Spretzah'!« – Unter allgemeiner Heiterkeit erschien die Herbeigerufene, ein schnippisches Ding von sechzehn Jahren, mit einem Kübel Wasser, und die Tanzenden traten auf die Seite. »So,« rief Michel ihr zu, »spretz (spritz, sprenge) nor rehcht! D'r Deufel mag doh danza'!« – Das Mädchen sah ihn von der Seite an, murmelte was von einem »Drieschlag«, langte mit der Rechten in den Kübel und schleuderte herumgehend das Wasser auf den Boden. »Meaner, meaner (mehr),« schrie unser Bursche, der als echter Bauer alles gründlich haben wollte. Das Mädchen, durch den herrischen Ton gereizt, spritzte wahre Lachen. »So, ietz isch gnua!« rief Michel, stellte sich fest hin, sang ein Lied und tanzte auf dem erfrischten Boden mit erhöhter Lust, in einer wahren Trunkenheit des Eifers und der Liebe zur Sache. Es ging besser und immer besser. In dem Jubel seines Herzens, unwillkürlich sich selber bewundernd, rief er mit strahlendem Gesicht: »Hopp hopp! hopp hopp! Juhu!« – – Plautsch da lag er da. Auf der nassesten Stelle war er ausgeglitscht, in dem Schwunge des Tanzens war es auch der Gret unmöglich gewesen, ihn zu halten; sie mußte ihn fahren lassen, um nicht mitzufallen – und der riesige Bursche »schlug hin« (wie der Rieser in solchem Falle treffend sagt), daß der Boden krachte und ein Zuschauer nur durch einen raschen Seitensprung sich vor Zerquetschung rettete. Nach dem triumphierenden Hopphopp dieser Sturz, der Länge nach, auf die Hinterseite des Leibes – es war unmöglich, das Lachen zurückzuhalten. Von allen Seiten des Tanzbodens, aus allen Winkeln, sogar von der Treppe herauf (wo sich ebenfalls Zuschauer befanden) erschallte es laut und selig; und nicht wurde es beschwichtigt, als Michel nach einem grimmigen Fluch mit der Physiognomie der Wut und Scham aufstand, wozu die Gret ihm behilflich war. Diese hatte mit etwas erschreckter Miene einen Augenblick auf den Liegenden geschaut; jetzt, als sie ihn wieder strack dastehen sah, wandelte sie das Lachen hinterdrein an, und nur den eigentlichen Ausbruch zurückhaltend rief sie: »Komm, des macht nex,« und wollte zum Weitertanzen seine Hand fassen. Aber Michel zog sie heftig zurück.

Der Bursche hatte die Empfindlichkeit des Sonderlings und Anfängers. Ein flotter Tänzer wäre aufgesprungen, hatte mitgelacht und weiter getanzt. Aber den Schüler dünkte der Sturz unauslöschliche Schande – das Selbstbewußtsein des Gewaltigen hatte einen Schlag erlitten, der ihm schrecklich vorkam. Hinzufallen – ausgelacht zu werden von »einfältigen Weibsbildern, alten Eseln und elenden Buben«, und nicht dreinschlagen zu dürfen – das nehme ein Michel von der lustigen Seite! – Er trat in eine Ecke, seiner Ansicht nach für sein ganzes Leben beschimpft. Und als die Gret ihm nachging und ihn aufs neue ermahnte, doch fortzutanzen, entgegnete er hochverdrießlich: »Gang weiter! I hab' d'r ja g'sakt, daß e net danza' ka'! Du hättst me en Rua' (Ruhe) lossa solla'!« – Die Gret erwiderte begütigend: »'s ist ja ganz guet ganga'! Für d's Falla' ka' ma' nex, des ka' n'm G'schicktsta' passiera'! Komm! Wer net omwirft, der lernt net fahra'!«

Bei ihrem heiteren Wesen hatte das Mädchen nicht umhin gekonnt, ihm diese Ermahnung mit einem Lächeln zu erteilen, in welchem die Schelmerei über die Gutherzigkeit den Sieg davontrug. Michel, dies gewahrend, fühlte den schlimmsten Argwohn, den er haben konnte; und im Unmut desselben rief er: »Höar amol? – suach d'r 'n andera' Narra' – ih mach' d'r 'n net zom zwoëtamol! – Moëst, ih ben doh, daß e me auslacha' ond da' Spoht aufs m'r haba' loß?« – Das Mädchen, durch diese unerwartete Sprache betroffen und ihrerseits verletzt, erwiderte mit vorwurfsvollem Ausdruck: »Wer hot denn da' Spoht auf d'r?« – »Du!« rief Michel, für den sein Argwohn schon eine bewiesene Sache war, mit erzürntem Ton. »Falsch send 'r all mita'nander – ond du bist die fälscht (falscheste)!« – Das war zu viel! Das Mädchen trat zurück und sagte mit Verdruß: »Du bist halt a grober Kerl! Gang he' wo d' willst – ih mueß de wärle net haba' – ih krieg scho 'n andera' Dänzer!« – »Mei'thalb danz mit 'm Deufel,« rief Michel und ging mit starken Schritten in die Stube.

Die Gret war ernstlich böse. »So a'n o'g'schickter Mensch – ond so grob ond so hochmüteng! Noë mit deam ist nex a'z'fanga' – i mueß 'n aufgeba'!« – Während sie diese Gedanken hatte, machte sie mit weiblicher Geistesgegenwart gleich wieder gute Miene. In die Heiterkeit, welche die letzten Worte Michels und sein wütender Abgang erregten, hatte sie halb mit eingestimmt. Nun zeigte sie ein Gesicht, daß es schien, als ob sie ihn mit ihrem Tanz wirklich nur zum besten gehabt hätte; und als eben der Schneider von Hause zurückkam, reichte sie ihm, der sie schnell aufzog, ihre Hand und tanzte so gut und so schön, als ob sie heute noch an nichts anderes gedacht hätte. Als der Zierliche von der Affäre des Michel hörte, rief er in seinem Mischmasch von Dialekt und Hochdeutsch: »'s ist nicht z'globa', daß es so ong'schickt Menschen geba' ka'« – lächelte selbstzufriedener als je, begann noch flotter den neuen Reihen, rief ebenfalls Hopphopp und Juhu, fiel aber nicht, sondern machte es so gut, daß ihm alle mit Vergnügen zusahen.

Das Gelächter, das unserem Burschen vom Tanzboden nachgeschickt worden war, hatte nicht besänftigend auf ihn gewirkt. Tief ergrimmt setzte er sich an seinen Tisch und patschte gewaltig mit seinem Bierkrug wegen erneuter Füllung. Der Aufwärter eilte, ihn zu befriedigen. Einer der beiden Alten, die in gemütlichem Diskurs dagesessen hatten, schaute zu ihm auf und rief: »No, Michel, w'rom machst denn du so a G'sicht auf oëmol?« – Der Bursche, statt aller Antwort, tat einen tiefen Zug aus dem Maßkrug. Ein dritter Alter, der mit dem Faungesicht, war von dem Tanzboden hereingekommen und begann lächelnd: »Du host a kloës O'glück g'hett, Michel? – No, no, desdawega' brauchst de net z'kränka'! 's ist scho' oft oër g'falla' beim Danza'!« – »So so?« versetzte der erste mit schlauem Gesicht, »des ist 'm passiert?« Und mit der Bosheit, die sich ein alter Bursch gegen einen jungen wohl erlauben kann, setzte er hinzu: »W'rom host denn aber dei' Dänzere net mit rei'brocht? Die hot g'wihß 'n rechta' Schrecka' g'hett und hätt' oh 'n Tro'k (Trunk) zor Stärkeng braucha' könna', so guet wie du!« – »Oh,« antwortete der dritte für Michel, der in stiller Wut vor sich hinsah – »die g'fohrts net (achtet's nicht)! Sie danzt scho' widder!« – »Welle isch denn?« – »Welle wurd's sei'!« erwiderte der dritte, »d's Maurers Great!« – »So!« bemerkte der erste mit einer Miene, als ob ihm ein Licht aufgegangen wäre. Und kopfschüttelnd setzte er hinzu: »Jetz g'fällt m'r die G'schicht nor halb! – Die hätt' de zor Noat halta' könna', Michel – wann's g'wöllt hätt'!«

Durch diese Bemerkung sah der Bursche seinen Argwohn bestätigt, er fühlte sich verkauft und verraten und ließ eine »Schluap« herunterhängen, daß es die Alten Mühe kostete, ihm nicht geradezu ins Gesicht zu lachen. Nach einem Moment sagte der dritte mit ironischer Tröstung: »Was doh! G'späß müssa' trieba' sei'! Sott jong Mädla' sticht manchmol der Übermut ond doh macha's eba' Narrheita'! A rechts Mannsbild verzürnt se desdawega net – er kriegt's oh widder amol derfür!« – »Ih,« rief Michel in stolzem Unwillen, »ben d's erstmol ond d's letztmol von 'r a'geführt – dohfür stand e guet!« – Der erste bemerkte: »Ma' mueß nex verreda'!« Und vergnügt setzte er hinzu: »Wann ih no' mein Zwanz'ger hätt (noch in den Zwanzigern wäre), nocht wihßte, was e dät!« – Michel versetzte: »I woëß oh, was e dua'!« Und mit einem scharfen Blick und entsprechender Kopfbewegung setzte er hinzu: »Globet 'r mer's?« – Der Alte lachte und sagte zu seinem Kameraden: »Was send des für jong Leut ietz! Glei' da Kohpf verliera'! Do hont se o's (haben wir uns) anderst g'holfa' zu o'srer Zeit – net wohr?« – Er stieß mit ihm an; der andere brachte eine Geschichte in Erinnerung, die dies bestätigen sollte. – Michel, dem das Vergnügen der »alten Narren« höchlich zuwider war, trat zu einem jungen Burschen, der ihn respektierte, und fühlte sich nach einem Gespräch mit ihm wieder etwas beruhigt.

Der Abend kam heran – man setzte sich an die Tafeln, um das letzte Mahl einzunehmen, das Interesse der Gäste wurde auf andere, wichtigere Dinge gelenkt, und nach dem feierlichen Schluß des eigentlichen Festes dachte mit Ausnahme der Nächstbeteiligten niemand mehr an das Zwischenspiel auf dem Tanzboden.

Michel hatte wenig gegessen und demgemäß viel eingewickelt. Er blieb in dumpfer Stimmung sitzen und handhabte nur von Zeit zu Zeit den Bierkrug. Auf einmal erblickte er den Kaspar an der Tür; er erhob sich, nahm sein Eingewickeltes und ging auf ihn zu. »No?« fragte Kaspar, den die Neugier so früh zum Ansing geführt hatte, »wie stot's?« – »Nor still!« versetzte Michel, »i will d'r glei verzähla'!« – Er führte ihn in ein gästeleeres Seitenstübchen, teilte ihm seine Erlebnisse mit und fragte mit der Miene der Unfehlbarkeit: »No, was sakst ietz? Hab' e rehcht g'hett – hab' e O'glück mit deam Mädle?« –

Kaspar hatte große Mühe gehabt, bei der Erzählung ruhig zu bleiben; aber auf diese Frage konnte er seine Meinung nicht zurückhalten. »Bruder,« rief er, »bedenk doch –« – »Still!« fiel Michel, der seine Absicht erriet, erzürnt ein – »red' m'r nex zom Guata', oder du machst me böas! – Mei' Lebteng sig' es nemmer a' – ond mei' Lebteng gang e auf koë Hoaxet mea'!« – »No, no,« erwiderte Kaspar, der wohl sah, daß ihm heute mit Ernst und Vernunft nicht beizukommen war, lächelnd, »du wurscht doch auf dei' oëgana' (eigene) ganga'?« – »Halt's Maul,« rief Michel in Verachtung solcher Späße und stand auf, um heimzugehen. Kaspar fühlte die Pflicht, ihn zu begleiten.

Unterdessen hatte das Tanzen wieder begonnen. Der Schneider ging im Reihen, die Gret an der Hand, und sang ein lustiges Stückchen. Wie er den Michel mit seinem Päckchen an der Stiege sah, war er nicht sowohl schadenfroh als schadenselig – vom Siegesjubel hingerissen, juxte er und tanzte er fortjuxend, bis ihm der Atem ausging. »Doh siksch!« bemerkte unser Bursche zu Kaspar, während sie die Stiege hinuntergingen – »so a miserabler Schneider, dear gar net he'fallä' ka', weil 'r fliegt wie a Bettfeder – des ist der recht Ma' für dia! – No so mei'tweg – dean soll's oh haba'.«


Ende gut, alles gut.

Es ist eine eigentümliche Sache um das Schicksal! – – Der Mensch will an einem schönen, glückverheißenden Ziel anlangen, aber der Weg, den er einschlägt, führt ihn nur weiter ab davon. Er nimmt die Lehre der Erfahrung an, er geht, die täuschende Bahn vorsichtig meidend, eine andere. Da gewahrt er, daß man durch Schaden immer nur sehr verhältnismäßig klug wird: der erprobten Falle entgehend, stürzt er in eine andere. Er sieht den Zweck verloren. Wie sollte er ihn noch erreichen? So und so hat er ihn verfehlt. – Auf einmal bringt ihn sein guter Genius in eine Situation, wo die Anwendung der ihm vorzugsweise verliehenen Gaben zum Siege führt! Und nun kann er sein Schicksal schmieden – wenn er entschlossen ist, den Hammer zu schwingen und die von ihm geforderten Schläge zu führen.

Unser Bursche hatte ein Mädchen, die er liebte, foppen wollen – und war von ihr gefoppt worden. Er hatte sie durch Ausführung ihrer Befehle erfreuen wollen – und hatte sie durch Nichterfüllung ihrer Wünsche böse gemacht. Er hatte sich vor ihr und mit ihr auszeichnen wollen und hatte sich vor ihr und vor dem ganzen Dorfe mit Schande bedeckt. – Was konnte für ihn das Schicksal noch bereit haben?

Zunächst stand seine Sache bei dem Mädchen so schlecht als möglich. Die Gret hatte in der Tat beschlossen, ihn aufzugeben, und der Unwille, der diesen Entschluß geboren, hatte ihn auch den Rest des Hochzeitsabends aufrecht erhalten. Als sie am andern Morgen früh erwachte, war es ihr erstes, das Geschehene zu überdenken. Und diesmal kam sie kein Lachen an – ein tiefer Ernst nahm ihr Herz ein und blieb darin. »Es soll net sei'« – das war das Ergebnis ihres Nachdenkens. »Er hot ebbes auf me g'halta', des will e net leugna'; aber er ist stolz wie a Reichsgrof, empfindlich wie a kloës Ke'd (Kind), grob wie Säuboanastroa' – ond a Narr, wo ma'n a'sicht! – Noë, noë!« rief sie. »Wann e sei' Weib wearat, hätt' e me nex as z'schäma', ond wann e'm d'Worat saga' dät, wuhr'r (würde er) wüadeng ond –« – Die Gret sah unwillkürlich die Arme Michels in einer gewissen Bewegung – sie zuckte in ihrem Bett und sah mit weiblichem Stolze vor sich hin. »Des wurd m'r net passiera',« rief sie zuletzt – »doh ben i guet derfür!«

Sie faßte mit Ernst und Ruhe den Entschluß, zu tun, als ob Michel nicht mehr auf der Welt wäre – ihn nicht mehr anzusehen – – und zu überlegen, was sich für sie Anderes und Besseres schicken möchte.

Der Vorfall zwischen ihr und dem Burschen war gestern abend noch in der unteren Wirtsstube erzählt worden, und niemand zweifelte daran, daß die Gret sich mit dem Ungeschickten einen Spaß gemacht habe. Als sie nun zu ihrem Vater hinunterging, stellte sie der Wackere ernstlich zur Rede und sagte zum Schluß: »Des loß nor onterwegs kenfteng, so'st dischgerier ih a Wöartle mit d'r! Der Michel ist a braver ond a fleißenger Mensch; ond wann 'r net danza' ka', so braucht m'n desdawega' net für da' Narra' z'halta'! – I hoff,« setzte er mit aller Strenge hinzu, deren er fähig war – »i hoff, daß so ebbes nemmer fürkommt!« – Das Mädchen, die ihrem Vater kein Bekenntnis ablegen wollte, begnügte sich zu erwidern: »Doh hab' koë Sorg! D' Schand ist für mi so groaß g'wesa' wie für ihn – i hab' bodagmuag (bodengenug, genug bis auf den Boden) an dem oëzengamol!«

Bald darauf kam der Schneider – »em Vorbeiganga'«, wie er sagte. Er war vergnügt und sprach gemütlich, indem er gewandt einige seiner städtischen Redensarten anbrachte. Das Mädchen sah ihn freundlich an und der Ernst wich im Geplauder mit ihm wenigstens aus ihrem Gesicht. – Der Maurer schaute mit zufriedenen Blicken auf das Paar. Vetter Jakob hatte eine bessere Sölde als er, und mit der Nadel war's eine gute Mannsnahrung. Die jungen Leute gefielen sich und hatten ihre Freude aneinander – die Sache machte sich von selber. – Als der Schneider wieder fort war, zeigte der Alte das Gesicht eines Vaters, der Aussicht hat, seine letzte Tochter nach Wunsch zu versorgen, und sagte: »Der Vetter ist a gueter ond a'n auf'klärter Mensch! 's Hot doch ebbes Guet's, wamma'n a bißle en der Fremd g'wesa'n ist! Dean hält g'wihß koë Mädle für da' Narra'!« – Die Gret sah für sich hin und ein leises Lächeln ging über ihr Gesicht.

Wie das Mädchen, so war auch ihr bisheriger Liebhaber weiter als jemals von dem Punkte entfernt, den er so lange erstrebt hatte.

Michel war nach kurzem Abschied von Kaspar, der zum Ansing zurückverlangte, geräuschlos in sein Haus getreten und hatte der Mutter das Eingewickelte mit dem Bemerken übergeben: er sei müde und wolle gleich ins Bett gehen. Die Mutter wußte nicht, was sie aus dem ruhigen, aber durchaus unvergnügten Gesicht machen sollte, und fragte: ob er nicht getanzt habe! »Ond wia!« versetzte der Bursche mit einer Art von Humor, »daß se alle Leut drüber g'wondert hont! – Aber ha'et ka'n e nemmer viel verzehla' – morga' früa' ist oh no' Zeit! Guetnahcht!« – Er ging in seine Kammer.

Vor Tagesanbruch erwachend, hatte er das dumpfe Gefühl einer höchst widerwärtigen Geschichte. Als er sich das Vorgefallene deutlicher machte, verlor sich die fatale Eigenschaft nicht – es grinste ihn widerlich und peinlich und immer peinlicher an. Er seufzte tief auf – und wollte davon wegsehen; aber es ging nicht. Seine Seele kam immer wieder darauf zurück, seine Gedanken liefen sonderbar hin und her. Einmal klagte er sich selbst an und wollte die Hauptschuld haben. Dann erinnerte er sich ihres »boshaften Lachens« und ihres Tanzens mit dem Schneider, und es schien ihm unzweifelhaft, daß die Gret falsch und er der Angeführte, der mit Fleiß Verhöhnte sei. Zuletzt rief er: »Was plog e me viel! – 's ist aus – hab' schuld dra' wer will!«

Er stand auf und zog sich an. Der Mutter sein Versprechen wegen der Erzählung zu halten, fühlte er sich durchaus nicht in der Stimmung; deswegen ging er sachte in die Stube, schnitt von dem Brotlaib in der Schublade des Tisches ein tüchtiges Stück ab, nahm eine Schaufel und ging aufs Feld, um an einem Graben weiter zu schaffen, den er herzustellen unternommen hatte. Er arbeitete »wie wild«. In körperlicher Anstrengung suchte er seinen Unstern mit Gewalt zu vergessen.

Als er um zehn Uhr heimwanderte, begegnete ihm in der Gasse – die Gret. Hätte er beschlossen gehabt, sie zu grüßen, so würde er's nach einem Blick auf sie doch unterlassen haben. Seine scharfen Augen gewahrten in ihrem gespannten Gesicht einen Ernst und einen Trutz, der ihm aufs deutlichste sagte, sie wolle ihn nicht ansehen, nichts mehr von ihm wissen. Er machte ein Gesicht, dem ihrigen ähnlich, und stumm gingen sie aneinander vorüber. – Sollte er jetzt noch zweifeln, daß er der Genarrte war und der Schneider der Vorgezogene?

Als er – man sagt sich in welcher Laune – nach Hause kam, war die Mutter von dem Ereignis auf dem Tanzboden schon unterrichtet. Durch das Betragen des Burschen stutzig gemacht, war sie bald nach dem einsamen Frühstück zu einer Nachbarin gegangen, die auf der Hochzeit gewesen, und hatte alles erfahren. Sehr unangenehm berührt von der Niederlage des Sohnes, urteilte sie doch über die Gret anders als die Leute, und am fatalsten war ihr daher zuletzt Michels Grobheit gegen das Mädchen. Sie nahm sich vor, ihm tüchtig ihre Meinung zu sagen.

Nach einem leichten mütterlichen Tadel, daß er heute ohne etwas Warmes fortgegangen sei, erinnerte sie ihn, ihre Wissenschaft verbergend, an sein Versprechen. »Ach Gott,« erwiderte Michel ungeduldig, »'s ist gar net d'r Müa' weart dervo' z'reda!« – »Ja, ja,« versetzte die Mutter, indem sie ihm sehr ernsthaft ins Gesicht sah, »i glob's scho', daß d' net geara' dervo' redst! Ist des a Benemma' für'n Menscha', der ballvoll (bald voll) semna zwanz'g Johr alt ist! Ander Leut' wearat g'scheiter, wann's älter wearat, ond du Wurscht allweil o'g'scheiter ond allweil dommer!« – Von diesem Vorwurf der Mutter wenig berührt, entgegnete Michel: »Du woëscht (weißt) also scho' alles?« – »Ja freile woëß e alles!« erwiderte die Mutter. »Redt ma' ja überal dervo' em ganza' Doraf ond lacht de aus!« Und mit einer Miene zugleich der Bekümmernis und der Anklage setzte sie hinzu: »'s ist also ganz zom Verzweifla' mit dir! So o'g'schickt sei'! So grob sei' gega'n a Mädle, die's so gut mit oëm moët« – – »So,« fiel Michel ein, »die moëts guet mit mir? – Wie hätt' se's (sie es) denn zoëgt (gezeigt)?« – »Des sicht ma'n aus allem,« erwiderte die gute Frau. »Ond wannd' a g'scheiter Kerl g'wesa' wärst, nocht hätt'st a Weib kriega' könna', wie's koëna' mea' git dohrom!«

Diese Versicherung mußte dem Burschen nach der von ihm gewonnenen Überzeugung durchaus haltlos vorkommen. In der vollen Gewißheit des Rechthabens entgegnete er: »I will d'r ebbes saga'! Wart no' a baar Wucha' ond dua' dei' Oga'n auf, nocht wurscht seha', mit weams dia' guet moët!« – Durch den sicheren Ton des Burschen etwas getroffen, aber sich nichts ansehen lassend, erwiderte sie: »Du bist a Mensch voller Ei'bildenga'! Ond ih sag': ha'et könntst no' alles guet macha', wann d' a Kerl wärst! Auf da' Sonnteng über vierzea' (vierzehn) Dag ist d' Kirwe (Kirchweih). Gang en d'Zech, führ de auf, wie's 'm rechta' Burscht g'höart, tanz nommol mit'r –«

Das war dem guten Michel zu viel. Das Zureden der Mutter war mit schuld an seinem Unfall auf der Hochzeit – – und nun sollte er wieder tanzen – mit derselben, die ihn – Er war in tiefster Seele verdrießlich und erwiderte mit gerechter Entrüstung: »Du host haba' wölla', i soll tanza' i – hab' danzt en d's Deufels Nama', ben he'schlaga' ond hab' me auslacha' lossa'. Ond ietz bist no' net z'frieda' ond willst, i soll me nommol für da' Narra' haba'n ond auslacha' lossa? A' – doh möcht oën ja glei d's Donner onds Wetter – – Jetz lohs (höre), i will d'r ebbes saga'! I dua mei' Arbet ond leb' wie's 'm ordentlicha' Menscha' g'höart – ond em Übrenga' bitt' e m'r 'n Ruh' aus! Danza mueß ma' net – ond heiricha' mueß ma'n oh net! Sakerment! – soll e denn grad allweil die Sacha' doa', die e net mag?« – Die Mutter konnte hierauf nichts erwidern als die Achseln zucken, wie über einen Verlorenen. Michel, der sich schon gewendet hatte, ging mit starken Schritten aus der Stube.

Im Verlauf der nächsten Woche kam der Schneider zum Maurer, eröffnete der Gret, daß er in die »Zech« gehen wolle, und fragte mit ebenso großer Artigkeit als Zuversicht: ob er sie nicht auf die Kirchweih führen dürfe! – Das Mädchen sah ihn schweigend an und sagte endlich: »I glob' net, daß des got!«

Sich von einem Burschen auf die Kirchweih führen lassen und konsequenterweise mit ihm auf dem Platz tanzen, hieß so viel als: ein bestehendes oder werdendes Verhältnis mit ihm offen bekennen. Zuweilen geschah es allerdings auch aus Freundschaft, daß man zusammen die Kirchweihfreuden genoß; allein das waren eben nur Ausnahmen und immer hatte das Eingehen auf einen Vorschlag, wie er dem Mädchen gemacht wurde, etwas Verpflichtendes und – Verfängliches. Das Bedenken der Gret werden unsere Leser nun besser begreifen als der Schneider und ihr Vater. Der Bursche rief höchlich überrascht: »Worom denn net?« Und der Maurer setzte hinzu: »Ja, des möcht' e oh wissa!« – Die Gret wollte begreiflicherweise nicht sagen, was sie eigentlich für eine Empfindung hatte; sie erwiderte zögernd: »I muß d'r aufrichteng saga', Jakob, i hab' m'r auf d'r letschta' Hoaxet gmuag danzt! – i hab' koën Luhst mea' derzue!« – Der Schneider fragte erstaunt: »Willst also gar net ens Wirtshaus ganga'?« – »Beinah' hab' e so ebbes em Send (Sinn),« erwiderte die Gret. – Der Alte rief: »Gang weiter – des ist widder so a'n Ei'fall! Morga' denkst anderst!« – Die Gret, für jetzt zufrieden, nur Zeit zu gewinnen, versetzte: »'s ka' sei'! – Reda' mer (reden wir) a'nandersmol dervo' – 's hot ja no' Zeit!« – Dem Schneider war es höchst fatal, einen Antrag halb ausgeschlagen zu sehen, der, wie er gemeint hatte, mit der größten Freude sollte aufgenommen werden. Allein er mußte sich in ihre Laune fügen und ließ die Sache fallen, in der Hoffnung, sie das nächste Mal bereitwilliger zu finden.

Ein paar Tage später, an einem schönen, milden Septembermorgen, ging die Gret ins »Ohmed«. Nicht weit vom Dorfe sah sie den Michel gegen sie herankommen, mit einer Miene, die ihr auffallen mußte. – Der gute Bursche hatte sich in der Tat Ruhe verschafft in seinem Hause – weder die Mutter noch Kaspar sprachen mit ihm fernerhin über die Gret und übers Tanzen. Aber in dieser Ruhe war er traurig geworden; der Unmut seiner Seele hatte sich in Schwermut verwandelt. – Ihm war's auch einmal eingefallen, glücklich sein zu wollen wie andere Leute – doch für ihn gab es kein Glück! Durch seine oder ihre Schuld – sei's, wie's sei – war er drum gekommen und nun hatte er ein Leben vor sich ohne Lust und ohne Liebe und ohne Freude. Dieser Gedanke drängte sich ihm aus, er kämpfte nicht dagegen an, er unterwarf sich und seine passiv ergebene Seele ward ein Raub der Melancholie.

Die Gret, wie sie ihn einem Träumenden ähnlich, die Miene traurig, aber ruhig und auch in der Trauer noch mannhaft, an sich vorübergehen sah, bekam eine Ahnung von seinem Zustande. Sie schaute ihm lange nach und ging tief in Gedanken weiter.

Als sie nach Hause kam, war der Vetter wieder erschienen und erneuerte seinen Vorschlag. Das Mädchen sah ihn mit glänzenden Augen, mit einer Art von wehmütigem Lächeln an und sagte: »No mei'tweg! – – 's wurd ja nex O'rechts sei', was e dua'!« – Das Gesicht des Schneiders hatte der Schimmer des Triumphes überflogen und mit stolzem Behagen rief er aus: »Ebbes O'rechts? I möcht' wissa', worom!« Dann sah er sie schlau an und bemerkte: »Du wurscht m'r doch net zutraua', daß ih ebbes O'rechts im Senn hab'?« – Die Gret konnte nicht umhin, ein wenig zu lachen, und erwiderte heiter: »Des net.« Etwas ernster setzte sie hinzu: »No, du bist mei' Vetter, ond von 'm Vetter därf ma' scho'n a G'fälligkeit a'nemma! 's got eba'n en d' Froëdschaft!« – Der Maurer sah vergnügt auf sie und murmelte: »Guet!«

Der Inbegriff aller Fröhlichkeit und aller Genüsse des Dorfes – das Hauptfest im ganzen Jahr – die Kirchweih kam heran. Und zwar gab es diesmal eine besonders versprechende Kirchweih mit zwei »Platzmeistern« (Vortänzern) und allen Vergnügungen, die unter dieser Voraussetzung zu jener Zeit noch üblich waren.

Der Kegelplatz war schon errichtet; er prangte vor dem Wirtshause, allerdings auf einer etwas geneigten Ebene, was indes nur zur Folge hatte, daß das Treffen darauf um so ehrenvoller war. Eine ziemliche Anzahl von Ledigen war »in die Zech gegangen«, das heißt sie ließen im Wirtshaus aufschreiben, was sie an Essen, Weißbier und Branntwein verzehrten, um nach den Festtagen zu gleichen Teilen zu bezahlen. Das ganze Dorf war angeduftet von der Poesie einer Feier, die, erinnerung- und hoffnungerweckend, ein lautes, fröhliches Leben vorführen sollte, und von den Torten, Ringen (Kränzen) und Bretzgen, die nach Maßgabe des Vermögens von allen Familien gebacken wurden. »Nach altem Brauch« waren nicht nur im Wirtshaus verschiedene Schweine geschlachtet worden, sondern je eines auch in bedeutenden Bauernhäusern, und eine erkleckliche Anzahl befiederter Geschöpfe war aus den Reihen der Lebendigen verschwunden. Das Dorf brauchte nichts mehr als gutes Wetter – und das kam. Schon am Freitag hatte ein die Gemüter sehr beunruhigender Regen aufgehört, der Kirchweihsamstag war trocken, und am Sonntag stieg die Sonne in einen Himmel mit nur einzelnen dünnen Wölkchen empor. Wer die Empfindungen kennt, die beim Anblick solchen Himmels an dem Hauptfeste des Jahres die genußfähigen Dorfbewohner erfüllt, der weiß, was Freude des Lebens ist!

Der Vormittag des Sonntags und ein Teil des Nachmittags ward in unserem Dorfe der geistlichen Feier gewidmet. Wer es irgend konnte, ging in die Kirche und horchte der Predigt, welche die höhere Bedeutung des Festes darlegte, mit Andacht. Sobald die nachmittägige Betstunde vorüber war, begann im Wirtshause das weltliche Fest. Die Mädchen der in der Zech befindlichen Bursche kamen sachte angeschlichen, taten zuerst, als ob sie nur da wären, um ein wenig zuzuschauen, ließen sich dann aber von ihren Verehrern bereitwillig in die obere Stube oder gleich auf den Tanzboden führen.

Unter den »Kirchweihburschen« war auch der Schneider, unter den Mädchen, die sich zum Tanz einfanden, die Gret. Mit der Zuversicht, die man gegen die Seinige an den Tag zu legen pflegt, ging der Bursche dem Mädchen entgegen, tanzte mit ihr und führte sie nach einem Dutzend Reihen in die Stube. Als ein anderer kam und mit ihr zugleich ihn fragte: »Isch verlobbt (ist's erlaubt)?« erwiderte er würdevoll: »Du ka'st danza'!« und der Begünstigte führte die Gret hinaus. Ein Bekannter trat zu ihm und sagte vergnügt: »No, Schneider, hosch (hast du's) wirklich durchsetzt bei deam Mädle – send d'r oëneng?« – Der Bursche erwiderte: »Vorderhand got's wenigstens mit m'r auf d' Kirchweih!« – Dem Bekannten war das genug; er sagte: »Die Schöast em ganza' Dorf! Wie host ietz des a'g'fangt, Schlengel?« – Der Schneider zog statt der Antwort die Augenbrauen in die Höhe und sah mit tiefbedeutsamem Lächeln für sich hin. »Du bist a Hauptspitzbue,« rief der Kamerad, und der Schneider machte ein Gesicht, als ob er sagen wollte: »Ich widerspreche nicht!«

Wie Michel – bei dem sich's von selber verstand – war auch Kaspar nicht unter den Kirchweihburschen. An einem der letzten Tage war der treue Freund zu dem Traurigen und Düstern gegangen, um ihm eine Mitteilung zu machen und eine Aufforderung daran zu knüpfen. Er begann mit der gemütlichen Frage: »Was isch, gommer oh en d'Zech desmol?« – »Frog net so domm!« erwiderte Michel und drehte sich weg. Kaspar lachte: »'s ist oh nor G'spaß! Was sottet o's (sollten wir) dren doa'? Du host koëna, ond ih hab' grad oh koëna! Doh mag d'r Deufel mitmacha'. – Aber,« setzte er ernsthafter hinzu, »ens Wirtshaus wurscht doch ganga'?« – »Sell verred' e net,« erwiderte Michel. – Kaspar, nachdem er eine Weile vor sich hingesehen, begann wieder: »Jetz, wo dein' Pla' mit der Great aufgeba' host, wurd's d'r nex mea' macha, wann da' Schneider mit'r danza' sichst!« – »Sell got me nex mea' a',« versetzte Michel ernsthaft. – »Wie e g'höart hab',« fuhr der andere fort, »got's mit d'm Schneider auf da' Plahtz!« – Michel zuckte. »Auf da' Plahtz?« rief er, während dunkle Röte sein Gesicht übergoß. Kaspar sah dem Betroffenen ins Gesicht und fragte: »Ärgert de des?« – »Noë,« versetzte der Bursche mit Anstrengung. Der Kamerad sagte: »So hab' e's geara'! – Am End', wer ka's dem Mädle verdenka', wann's da' Schneider nemmt ond ietz mit'm auf d' Kirwe got? Zwea' oder dreia' (zweien oder dreien) hot sie selber da' Marsch g'macht; du bist ahg'standa' von 'r – soll's da' Schneider oh no' furtschicka?« – »Sie hot recht,« erwiderte Michel mit dumpfer Ruhe; aber auf einmal ballte sich seine Faust wie von selber und er rief: »O i wott (wollte)!« – »Was wottst?« fragte der Kamerad, indem er ihn lächelnd ansah. – »Nex,« erwiderte der Michel mit Nachdruck, indem er die Finger zusammenpreßte, um sie dann auseinandergehen zu lassen.

Am Sonntag – um dieselbe Zeit, als die Gret mit dem Burschen tanzte, der sich vom Schneider die Erlaubnis ausgebeten, verfügte sich Kaspar zu Michel, um ihn ins Wirtshaus abzuholen. Er fand ihn in tiefmelancholischer Stimmung. Als er seinen Vorschlag machte, gab Michel zur Antwort: »Ha'et no' net – morga'! – Ha'et ben e net aufg'legt!« – Alle Mahnungen waren umsonst. Kaspar sagte mit Ernst: »I will de net nöada' (nötigen) – mei'daweg duest, was d' willst. Aber ih moë, a Kerl wie du sott grad ens Wirtshaus ganga', en die ober' Stub', ond so'm Mädle zoëga', daß 'r se nex draus macht, got's auf da' Plahtz mit weam's will! Die möcht' e net globa' lossa', daß e ihrdawega' von d'r Kirwe derhoëmt blieb'!« – »Des g'schicht oh net,« versetzte unser Bursche – »morga gang' e drauf!« – »Morga' host widder a'n andera'n Ausred'!« – Michel wurde ungeduldig. »Do host mei' Ha'd,« rief er und streckte ihm fünf Finger entgegen, die ihresgleichen suchten – »morga' gang e ens Wirtshaus – Sakerment!« – Kaspar schied beruhigt und folgte den lockenden Tönen eines Drehers, der ihm vom Wirtshaus entgegenschallte.

Bei seiner Ankunft auf dem Tanzboden ging die Gret mit ihrem Tänzer eben im Reihen. Als sie Kaspars ansichtig wurde, zeigte sie eine gewisse Erregtheit – und schaute sich weiter um. – Der Kamerad hatte sie beobachtet und nickte für sich.

Er beschloß, den Michel am folgenden Tage ins Wirtshaus zu bringen, es koste, was es wolle.

Kaspar hatte ein Gefühl, was er im Sinn trug, könnte nützlich werden. Er sah nicht voraus, was kommen würde; aber er empfand eine lebhafte Genugtuung, als er sich sagte: »Desmol soll 'r net derhoëmt bleiba'!« – Er handelte mit dem Instinkt der Freundschaft.

Der Kirchweihmontag brach so schön an wie der Sonntag. Die jungen Leute, die sich vorsichtigerweise früh zur Ruhe begeben hatten, erwachten fröhlich, und auch die andern, die erst der Morgen nach Hause wandern sah, hatten bald muntere Augen, um einem Tag entgegenzusehen, an welchem das Vergnügen allein regieren und zur farbigsten Blüte sich entfalten sollte. – Noch vormittags, nach früh genossenem Mahle, begaben sich die Zechbursche ins Wirtshaus, und aus den Fenstern desselben erklang sofort stattliche Musik. Das Mädchenholen begann – die Gassen ertönten von Spiel und Jauchzen, und die zinnernen Bierkannen, von rüstigen Armen in die Höhe gehalten, funkelten im Glanz der Sonne.

Vor allen und am feierlichsten – mit sämtlichen Musikanten – wurden die Geliebten der beiden Platzmeister abgeholt. Sie stolzierten in absonderlichem Putz und trugen zur Auszeichnung vor den übrigen, die nur in der Kappe beim Tanz erschienen, die radförmige Spitzenhaube. Als diese beiden wichtigen Personen sich an der Tafel der Wirtsstube niedergesetzt hatten, teilten sich die Musikanten, und verschiedene Bursche zogen mit je zweien in die Häuser der Erwählten. Das ganze Dorf war bald in freudiger Aufregung: Singen und Springen, Zuschauen und Loben, Austauschen von guten Sachen und Höflichkeiten war die allgemeine Beschäftigung. Die Buben wuchsen in Gedanken beim Anblick der Vergnügungen, die ihnen auch einmal zuteil werden sollten, und die Alten wurden jung und gedachten der Zeiten, wo sie's – noch besser gemacht hatten.

Nur ein Haus war ausgenommen von der allgemeinen Fröhlichkeit – das der Familie Schwab. Unser Bursche, nachdem er gestern auch noch einer Ermahnung der Mutter widerstanden, war früh zu Bett gegangen und hatte einen tiefen Schlaf getan. Wie gewöhnlich aufgestanden, machte er sich in Haus und Hof zu tun und sah nicht aus wie einer, der sich an dem Feste beteiligen wollte. Die Mutter betrachtete den düster Hin- und Hergehenden mit betrübter Miene. Sie gedachte an die Zeiten seines Knabenalters. Wie stolz war sie auf ihn gewesen! Wie viel hatte sie sich von ihm versprochen – und wie wenig hatte er gehalten! Was half es, daß er fleißig war und ordentlich und das Vermögen in den letzten Jahren sich vermehrt hatte? – Er hatte keine Freude, sie hatte keine, und zu hoffen war auch keine! – Als draußen das lustige Spiel und das »Juxen« der Bursche anhub, erschienen ihr die Mängel des Sohnes in immer grellerem Licht. Ein Mensch, der nicht tanzen und sich »aufführen« konnte, ein Mensch, der keinen Schatz und kein Weib zu kriegen verstand, ein solcher Mensch war gar nichts – und sie die unglücklichste Mutter im ganzen Dorf.

Schon war auch der Schneider mit einem Geiger und Klarinettenbläser am Hause vorübergezogen und hatte einen Tenor gejuxt, wie ihn kein gewöhnlicher Bauernbursche herausgebracht hätte. Die Mutter war eben in der Kammer und hatte den Zug nicht gesehen. Nach einer Weile, als sie wieder in die Stube kam, trat Michel zu ihr, und als von der unteren Gasse her ein Freudenlärm erscholl, nahm er sie bei der Hand und führte sie ans Fenster. Jauchzend, obwohl schon mit einer etwas angegriffenen Stimme – mit dem Deckel der leeren Kanne nach Kräften patschend, kam der Schneider an der Spitze der Musikanten heran und hinter diesen die Gret mit sittigem Schritt und einem Angesicht, das durch höhere Röte und einen eigenen feierlichen Ausdruck holder und bedeutender erschien als jemals. »Siksch ietz, mit weam die's guet moët?« fragte Michel in Rücksicht auf seine Rede von letzthin. Die Mutter erwiderte: »Des ist m'r oh nex Nuis mea'! Aber wear ist dra' schuld?« Michel schwieg einen Moment; dann, indem er mit einer Art von Humor den Kopf in die Höhe warf, erwiderte er: »Bah, a Mädle, die mit 'm Schneider auf d'Kirwe got, doggt (taugt) net für 'n Kerl, wie'n ih ben. Ih trau' m'r no'a'n andera' z'kriega', wann's amol g'heiricht sei' mueß!« – Mit halb schmerzlichem, halb spöttischem Lächeln versetzte die Mutter: »Du bist der Recht', ja!« Aber Michel fuhr fort: »Loß me nor macha'! Ha'et nommedag (nachmittag) gang e ens Wirtshaus – doh passiert ebbes, des sag' d'r e! Ond wann's auf o'srer nex wurd – git's ne no' ander' Kirwena? I will doch seha', ob ih nex ausricht', wann e amol drauf ausgang!«

Es war nicht nur der Geist des Widerspruchs, der Micheln, der anklagenden und ungläubigen Mutter gegenüber, diese herzhaften Worte in den Mund gab. Der Anblick der Gret, die dem Schneider folgte, hatte ihn zugleich gereizt und von der letzten Bürde der Ungewißheit befreit. Nun war's offenbar und nicht mehr zu leugnen! – und nun mußte er entweder die Weibsbilder gehen lassen sein Lebenlang – oder sein Glück mit einer andern versuchen. Aus allen Gründen mußte er ins Wirtshaus gehen – er mußte sehen und sich sehen lassen – er mußte zeigen, daß er nicht der Mann war, darum, weil er ein Mädchen nicht gekriegt hatte, sein Leben zu vertrauern.

Das Fest hatte seinen Verlauf. Der Platz vor dem Wirtshause und die angrenzenden Gassenteile belebten sich mehr und mehr. Unter die Bauern und Bäuerinnen mischten sich »Herrn« und »Frauenzimmer«, die an dem schönen Tage hauptsächlich aus Nördlingen und Wallerstein herbeigekommen waren. Einige flotte Musensöhne im altdeutschen Rock und weiten blauen Hosen, das Mützchen keck auf eine Seite des Kopfes geklebt, schauten mit vergnügtem Antlitz umher oder »schnitten« den schönsten und jüngsten der anwesenden »Florbesen« die Cour. Bauern und Handwerker mittleren Alters hatten schon das Kegelspiel begonnen und suchten auf verschiedene Weise die Ungunst des Lokals zu überwinden, einer davon auch noch durch nachträglich pantomimische Lenkung der schon hinausgerollten Kugel, wodurch er, wenn nicht mehr Kegel, doch die Erheiterung der Umstehenden erzielte. Schulkinder liefen hin und her, begafften alles und erlabten sich bei den Weibern, die an der Schattenseite des Wirtshauses Obst feilboten. Die jungen Leute drehten sich auf dem Tanzboden und hielten gleichsam eine Vorübung zu der Produktion, die sie vor einer so großen Anzahl von Schaulustigen ausführen sollten.

Der feierliche, zuletzt sehnlich erwartete Moment erschien. Die Tanzmusik im Wirtshause war verstummt, und in die Ohren der bunten Menge, die sich dort angehäuft hatte, ertönte vom Hof her auf einmal ein kräftiger Marsch. »Sie kommen! Sie kommen!« rief man sich freudig zu, und die Vorsichtigen eilten auf die Standpunkte, wo man die Aufführung am besten übersah. Unter einer wahren Kanonade von Juhschreien sämtlicher Bursche, die zuweilen auch die Blechmusik übertönte, kam der Zug aus dem Hofe: zuerst die sechs Musikanten, dann der »Flur« (Flurschütz, Gemeindediener) mit einem Stuhl, der Aufwärter mit einer riesigen kupfernen Bierkanne und das Wirtsmädchen mit Krügen; endlich die Paare, geführt von dem ersten Platzmeister, der an der Seite seiner Schönen stattlich daherschreitend einen großen, bändergezierten, in blanker Scheide ruhenden Säbel trug! An der uralten Linde angekommen, machte man Halt, die Musikanten stellten sich herum, der Aufwärter setzte die Bierkanne auf den Stuhl, und die Paare traten an die Seite. Unter allgemeiner Aufmerksamkeit zog der erste Platzmeister den Säbel aus der Scheide, hielt ihn in die Höhe, stellte sich vor die Musikanten und sang das herkömmliche Liedchen:

Jetz soll e halt danza' drei Rosa'n alloë!
I ka's ja kamm (kaum) danza' vor Staub oud vor Stoë.

Die Musikanten spielten und der Bursche tanzte allein um die Linde, indem er auf dem mäßig ebenen Boden seinem Titel Ehre machte. Zum zweitenmal sang er:

Der erst der ist danzt ond der ander' fangt a':
Jetz will e halt seha', ob es nommol so ka'.

Die Zuschauer, die bei solchen Gelegenheiten, wenigstens eine Zeitlang, empfänglich und anspruchslos zu sein pflegen, nahmen diese allerdings mehr sachgemäßen als poetischen Reime mit heiterem Interesse auf, und da der Platzmeister wieder ohne zu stolpern und in schönem Kreisbogen um den Baum kam, rief ein lustiger Studiosus ihm bravo zu.

Zum dritten sang er:

Ond oëmol ond zwoëmol ond nommol ist frei!
Ond des mueß das Best' sei', dann ietz isch vorbei!

Nach glücklicher Vollendung auch dieses Reihens steckte der Bursche den Säbel in die Scheide, übergab ihn dem »Flur«, sah auf die Paare und sang:

Danzt hab' e so gut als ma's ka'n ohne Schatz;
Nemm jeder die Sein' ietz ond rei' auf da' Platz!

Er holte sich die Geliebte, die mit Würde den Leistungen ihres Burschen zugesehen hatte, und begann mit ihr zu walzen. Alle Paare folgten nach.

Der Tanz – die Trinkpausen mit eingeschlossen – dauerte ungefähr eine Stunde. Da die Bursche und Mädchen von verschiedener Gestalt und Schönheit waren, und beim Tanzen verschiedene Manieren an sich hatten, die auf dem schwierigen Terrain um so charakteristischer hervortraten; – da den Musikanten eine Reihe Lieder vorgesungen wurden, wovon etliche nicht ohne pikanten Reiz, andere aber insofern »echt lyrisch« waren, als nicht eine Spur von Gedanken darin vorkam – so gab es für das Publikum, namentlich für das gebildete, gar vielerlei zu schauen und zu kritisieren. Einige der Herren unterhielten ihre Damen mit mehr oder minder gelungener Verspottung und ironischer Belobung der ländlichen Künste. Andere lachten und nickten Beifall. Wieder andere stellten Vergleichungen an und suchten zu entscheiden, welche Mädchen den Preis der Schönheit verdienten, usw.

Die größte Aufmerksamkeit hatte bald von allen Paaren ein uns wohlbekanntes auf sich gezogen – der Schneider und die Gret. Die stattliche Größe des Mädchens und die zierliche Kleinheit des Burschen war zuerst aufgefallen. Bei näherer Betrachtung fand die Schönheit der Blonden lebhafte Anerkennung, besonders von seiten dreier Studiosen, die ihre Augen so oft nach ihr wandten, daß eine danebenstehende junge Nördlingerin beinahe eifersüchtig geworden wäre. Nicht geringeres Interesse erweckte indes bei eben diesen Studiosen der Schneider selbst. Glücklicher und selbstbewußter auszusehen als dieser, war nicht wohl möglich. Das schönste Mädchen von allen, die um die Linde tanzten, war die seine! Sie hatte sich erst ein bißchen »geziert«, als er sie einlud, mit ihm auf den Platz zu gehen; aber wie bald hatte sie ja gesagt! Mit welchem Vergnügen hatte sie's gesagt, und wie gern war sie mit ihm gegangen! Dumme Teufel mußten die gewesen sein, denen sie den Laufzettel gegeben! Er war gekommen, hatte gesprochen, und immer weicher war sie geworden und immer nachgiebiger, und jetzt konnte er mit ihr machen, was er wollte! Es lebe die Fremde! Wer nicht hinauskommt, der kommt nicht heim, und bleibt ein Dummkopf, der überall das Nachsehen hat! – Heute noch, beim Nachhauseführen, wollte er mit ihr reden wegen der Heirat, auf den Winter machte er Hochzeit, und damit basta!

Das Wohlgefallen, mit welchem die drei Studiosen zu ihm hersahen, schmeichelte unserem Dorfschneider ungemein. Er mußte freilich annehmen, daß ein Teil des Beifalls seiner Tänzerin galt – aber war das nicht wieder eine Ehre für ihn? Sein Gesicht wurde vor Selbstgefälligkeit ordentlich runder, jedenfalls glänzte es »wie Wallerstein des Abends« (wenn die Sonne aus den Fenstern der terrassenartig aussteigenden Häuser widerstrahlt!) – und seine Augen blickten beim Tanzen rechts und links, um nichts von den Eindrücken zu verlieren, die er hervorbrachte.

In solcher Stimmung ist man nicht geneigt, andern Erfolge zu gönnen; und wenn einer dergleichen erzielt, fühlt man einen Trieb, ihn herunterzustechen. Die Heiterkeit, die ein paar von einem rüstigen Kerl gesungene lustige Liedchen hervorriefen, weckte des Schneiders Eifersucht. Er wollte auch ein Lied singen, das den »Herrn« Spaß machte, und hatte schon den Mund dazu geöffnet, als ihm derselbe Mensch zuvorkam. Verdrießlich hörte er zu, und wie in dem Text statt des Reims eine bloße Assonanz zum Vorschein kam, rief er, das Gesicht satirisch-kritisch den Studenten zugewendet: »Reim de oder i friß de!« – Der Sänger schaute den Burschen an, und nach geendetem Reihen sagte er: »Desmol will e a bessers senga', paß auf!« Und er sang:

oh droba'n auf dem Bergle bei dera' Kapell
Doh sitzen drei Schneider beir' Wasserbodell!

Allgemeine Heiterkeit war der Erfolg dieser Schnurre; auch die Gret, die im Verlauf des Tanzens etwas zerstreut geworden war, konnte sich nicht enthalten zu lächeln. Der Schneider ging auf Nadeln. Wie gern hätte er den Kerl zehnmal stärker getroffen! Aber es war ein Maurer, und er wußte kein Spottlied auf dieses Handwerk! Da half ihm die Entrüstung über die dumme Verhöhnung seines Metiers aus der Not: sie gab ihm einen Reim ein, wodurch er den Hieb mit Zinsen wieder zurückzugeben hoffte. Er stellte sich resolut hin und sang:

Die Kleider der Leut' hat der Schneider gemacht.
Und der ist a Narr, der die Schneider veracht'.

Schallendes Gelächter folgte auf diesen gewaltigen Rückschlag, in welches der vermeintlich Getroffene herzlich mit einstimmte, während die Gret etwas errötete und einen mitleidigen Blick auf ihren Tänzer warf. Der Schneider sah dies nicht. Würde ihm nicht schon das Lachen ein Beweis gewesen sein, daß er einen treffenden Reim gedichtet, so hätten ihn die lobenden Zurufe der Studenten davon überzeugen müssen. Triumphierend sah er umher und tanzte, von dem Hochgefühl des Sieges getragen, mit erneuerter Kraft und Leichtigkeit. Während er das Vorsingen andern überließ, dachte er bei sich: »Wann die Herra' an deana' Bauraliedla' scho' so a Freud' hont, nocht will ih ihna' doch beweisa', daß e andre oh no' ka'!« – Als die Zeit, die auf dem Platz zugebracht zu werden pflegte, sich ihrem Ende zuneigte, ersah er seinen Moment, nahm eine Stellung, die etwas erwarten ließ, und sang, indem er den Studenten pfiffig zublinzelte, folgende anmutige Variation eines Burschenliedes:

Der Herr Professor
Liegt in Korretschiom.
Drom wär' es besser,
Man trinkt eins rom.
Ebete, bebete, esse koralle!
Was soll das Hepula? Bombau, holla!

Die Studenten horchten mit hochvergnügten Gesichtern, riefen bravo und lachten königlich zusammen. – Der Schneider war überzeugt, daß er die Palme davongetragen.

Als der Zug unter denselben Jubeltönen, mit denen er gekommen, obwohl etwas langsamer, ins Wirtshaus zurückging, stellten sich die Studenten an den Weg, und einer von ihnen, der in den Dorfverhältnissen genau unterrichtet zu sein schien, sagte fidel zu dem Siegesglücklichen: »Brav, Schneider! – Du bist a Hauptkerl!« – Der Angeredete erwiderte mit Würde: »I hab' den Herrn nur zeiga' wolla', daß man auf d'm Land auch manchmol ebbes ka', was man oëm nicht zugetraut hätt'!« – Die Gret warf auf den Studenten einen Blick, der zu sagen schien: »Halt mich ja nicht für so dumm wie meinen Schneider!«

In der oberen Wirtsstube gönnten sich Musikanten und Tänzer einige Zeit Ruhe, dann begann die Lustbarkeit auf dem Tanzboden von neuem. Der Schneider war unermüdlich und von einer Hüpflustigkeit, die nicht zu ersättigen schien; er forderte die Gret wieder zum Tanz auf. Das Mädchen, die mehr und mehr das Aussehen gewonnen hatte, als ob ihr etwas abginge, erwiderte, sie sei müde und möchte noch ausruhen. Der Schneider, im Gefühl seiner Würde als Mann und seinem Stolz als Kirchweihbursche, entgegnete: »Des hilft nex! I will amol danza', ond i wear' doch hoffentlich koën Korb kriega' von 'm Mädle, die e auf d' Kirwe g'führt hab'? – Komm!« – Er nahm sie bei der Hand, und sie folgte, indem sie den Verdruß ihres Herzens in ernster Miene zu verbergen suchte. Nachdem sie sechs Reihen erduldet hatte, erklärte sie positiv: es liege ihr in den Gliedern wie Blei – es ginge nicht mehr! – Der Bursche mußte sie in die Stube führen. Während sie an der Tafel der Zechbursche Platz nahm, forderte der Schneider eine andere auf und führte sie auf den Tanzboden.

Die Gret überließ sich ihren Gedanken. Sie hatte etwas unternommen – es war die Frage, ob sie recht gehabt hatte, es zu tun. Aber jedenfalls hatte sie es umsonst getan: was sie gehofft hatte, war nicht eingetroffen. – Ein Ernst erfüllte ihr helles Gesicht, der mehr und mehr den Charakter der Trauer annahm. Still und gedankenvoll sah sie für sich hin. – Auf einmal errötete sie: – durch die Tür, die kaum groß genug war, ihn einzulassen, trat Michel in die Stube, begleitet von dem treuen Kaspar.

Unser Freund erschien in seinem besten Staat und mit einem Ausdruck von Würde im Gesicht, den früher niemand an ihm wahrgenommen hatte. Seit dem Versprechen, das er seiner Mutter gegeben hatte, war eine neue Veränderung mit ihm vorgegangen. Der momentanen Erhebung, die der Anblick des an seinem Hause vorbeiziehenden Schneiders in ihm hervorgerufen, war eine Herabstimmung gefolgt, die sich in dem stillen, von näheren und ferneren Jubeltönen umklungenen Hause zu erneuter, tiefer Schwermut ausbildete. Der Trieb, glücklich zu sein, regt sich in dem Menschen immer wieder und nirgends stärker als an einem Tage allgemeiner Freude. Hier ist das Herz von seinem Recht auf auch einen Anteil davon durchdrungen – das Bild dessen, was man wünscht, tritt im höchsten Reiz vor die Seele, die Sehnsucht, es zu erlangen, wird feuriger und inniger – und die Notwendigkeit, es dennoch verloren geben zu müssen, wirft das Gemüt in Abgründe der Trauer. Was half dem guten Michel sein Entschluß, sich nach einer andern umzusehen! So eine wie die Gret gab's doch nicht mehr – so gern konnte er keine mehr haben, so glücklich mit keiner mehr leben! Wie schön war sie heute wieder, als sie an seinem Hause vorüberging. Nein! Wenn dieses Mädchen ein anderer bekam, dann wollte er überhaupt keine mehr, er wollte unglücklich sein mit Fleiß – und sein Leben als Junggeselle beschließen.

In dieser Stimmung, in dem Nachdenken, das sie begünstigte, traten die Fehler, die er gemacht hatte, wieder vor seine Seele; aber sie regten keinen Zorn in ihm an. Er fühlte sich damit behaftet wie durch ein Verhängnis; ihm waren eben die Gaben, womit andere etwas erreichten, nicht verliehen, er sollte kein Glück haben, er mußte entsagen. – Nach und nach stieg der Mut, der die Frucht der Entsagung ist, in ihm auf. Der männliche Stolz rührte sich in ihm, und er faßte den Entschluß, jetzt wenigstens keinen armen Sünder mehr zu spielen wie früher, sondern ruhig seines Weges zu gehen – jetzt, wo doch nichts mehr zu verlieren war! – – In dieser Gemütslage traf ihn Kaspar. Michel fügte sich der Aufforderung, mit ihm ins Wirtshaus zu gehen, ohne Widerrede. Er zog seine neue Juppe von dunkelblauem Tuch an, steckte den reich mit Silber beschlagenen Ulmer Pfeifenkopf in den Mund, setzte die breite Fischotterkappe auf und folgte dem Kameraden. Die Mutter hatte mit der Ironie des Unglaubens »viel Vergnügen« gewünscht.

In der Stube setzten sich die Kameraden an einen Seitentisch, wo schon ein Lediger Platz genommen hatte. Kaspar ließ sich hier nicht halten; er hatte bald eine hübsche Braune an der Hand und tanzte mit dem Schneider um die Wette. – Michel unterhielt sich mit dem Ledigen, der wie er ohne Schatz und vom Tanzen kein Liebhaber war. Die Gret hatte er, als er an der Tafel vorbeiging, auf eine ungezwungene Weise nicht gesehen; jetzt, im Gespräch mit dem Burschen, sah er einmal zu ihr hinüber – er sah, daß sie nicht vergnügt war – und eine sonderbare Empfindung regte sich in ihm.

Nach einer Weile kam der Schneider in die Stube. Er hatte einen jungen Mann an der Hand in spießbürgerlicher Kleidung und von einer Statur, die der seinen ähnlich war – trat mit ihm vor die Gret und sagte: »Des ist mei' Kolleg, Herr Bügel, der zu Nörrleng (Nördlingen) arbeitet. Er möcht' gern mit d'r danza'n ond i hab' g'sakt, wär' a'n Ehr'. Komm!« In ihrer jetzigen Stimmung dem Tanzen ohnehin sehr abgeneigt, wäre der »Kolleg« der letzte gewesen, der ihr Lust dazu gemacht hätte. Und sich mit ihm zum Tanzen kommandieren zu lassen! – Vor Michel – und in solchem Ton! – Ein Widerwille stieg in ihr auf und wuchs zur entschiedensten Widerstandskraft. Sie entgegnete dem Stadtschneider: »I muß danka' für die Ehr'!« Und zu dem ihrigen bemerkte sie: »I hab' d'r scho' g'sakt, i ben müed ond hab' koën Luhst mea'. 's ist seitdem net anderst woara' – ond i wear' ha'et gar nemmer danza'!« – Der Schneider runzelte die Stirn. »Des send Ei'bildenga',« rief er, ehe der andere zu Worte kommen konnte; »du bist ja gruat (ausgeruht)! – Mach'! Komm!« – Das Mädchen rührte sich nicht und mit dem Nachdruck des Abweisens erwiderte sie: »I dank' schöa'!« – Eine Wolke verfinsterte die Züge des Burschen. »Doh ist nex z'danka',« entgegnete er schnell und heftig – »i hab' g'sakt, du danzst mit 'm – ond ietz danz!« – »Ond i sag, i ka' net,« versetzte die Gret. Der Schneider warf einen Blick auf sie, als wollte er seinen Ohren nicht trauen. »Des send Dommheita'!« rief er entrüstet; – und großartig setzte er hinzu: »Was ih sag', mueß g'scheha'!« – Die Gret sah ihn von der Seite an und sagte: »Aber alles doch wohl net – hoff e! A bißle ebbes wurd wohl no' ahganga' (abgehen)!« – Der spöttische Ton dieser Entgegnung indignierte den Schneider aufs höchste. Bebend vor Zorn rief er: »Zom letschtamol sag' e d'r: danz! Auf der Stell'! – Oder 's got d'r schlecht!«

Reden und Gegenreden dieses Dialogs waren so rasch aufeinander gefolgt, daß der Schneidergeselle aus Nördlingen keine Zeit gefunden hatte, zu sagen, was ihm, von der Ehre geboten, auf der Lippe schwebte. Jetzt setzte er's endlich durch. Indem er sich vor der Gret ironisch verneigte, rief er mit höhnendem Ton: »Ich bitt' recht sehr – ich dank' jetzt schön fürs Tanzen – und wünsch' der Jungfer gute Besserung!« – Mit dem Bewußtsein, das »einfältige Weibsbild« nach Verdienst getroffen zu haben, verließ er die Stube.

Der Schneider stand mit gefährlicher Miene. Seine Brust arbeitete, seine Lippen zitterten, seine Rechte geriet in eine zuckende Bewegung. Das Schlimmste, Peinlichste war ihm widerfahren! Er war blamiert – blamiert vor einem Kollegen aus der Stadt! – War ihm »vor den Leuten« Zurückhaltung geboten und konnte er nicht wie er wollte, so mußte er der impertinenten Person doch wenigstens die Wahrheit sagen. Nachdem er sie eine Zeitlang angesehen, begann er: »Doh hab' e Respekt! Des sind Maniera'! Ih führ' de auf d'Kirwe, ond du duast von dem, was e sag', d's Gegendeil ond benemmst de gegen 'n Mann aus der Stadt wie a grob's Bauramädle, daß e an der Schand dohstonda' mueß? – Pfui!« – Die Wichtigkeit, womit der Bursche die Sache aufnahm, und die drohenden Blicke, die er ihr dabei zuwarf, waren dem Mädchen zum Lachen; aber sie hielt an sich und erwiderte ruhig: »Ih ben wärle müed g'wesa', i hab' net g'loga'! Soll e danza', wann e koën Luhst derzue hab'?« – »Ja,« entgegnete der Schneider wild, »wann ih's sag!« – Das war dem Mädchen zu viel; unwillig und mit der geringschätzigen Miene des Unwillens erwiderte sie: »Ach was! – i ka' net mit alla' Schneider danza'n em ganza' Boërland?«

Diese Worte, nach welchen die Mienen der Gret überdies sich etwas erheiterten, rissen die Schranken, die den Zornausbruch des Schneiders noch zurückgehalten hatten, nieder. Mit grimmiger Wut, am ganzen Leibe zitternd, rief er: »Du bist a'n o'verschämta' Perso'! A frech's Lompamensch! Was? Ih führ' de auf d'Kirwe aus Erbarma', ond du willst me no' verspotta'? I hätt 'n gueta' Luhst –«

Auf einmal ließen sich hinter ihm die streng betonten Worte hören: »Wie ka'st du de onderstanda', mit 'm Mädle, wie die Great ist, so z'reda'?« – Der Schneider sah sich um – und fuhr zusammen. Michel stand vor ihm mit dem schreckeneinflößenden Ernst des Richters. – Der Große und der Kleine sahen sich einen Moment an. Plötzlich, wie sich auf etwas besinnend, faßte sich der letztere und entgegnete keck: »Got des dih ebbes a'?« – »Ja,« versetzte Michel mit Nachdruck. »A'n ordentlicher Kerl leid's net, wann 'm Weibsbild ebbes g'schicht – und (setzte er geringschätzig hinzu) voara' (voran, noch dazu) von 'm Schneider!« – Der Kleine zuckte; dann streckte er sich, sah zu dem Gegner mit vielsagendem Gesicht empor und erwiderte, indem er drohend den Zeigefinger erhob: »I will d'r ebbes rota', Michel! – mach' de ha'et net z'mauseng!« – Der Enakssohn lachte herzlich. – »Ja,« fuhr der Schneider fort, »lach' nor! – für dih fend ma'n oh no' 'n Moëster!« – »Bist am End' du's?« fragte Michel heiter; und mit gemütlichem Selbstgefühl setzte er hinzu: »Gang weiter, Schneiderle! Wann e de a'blos (anblase), no' fliegst zor Stub' naus!«

Ein Kichern, das diesen Worten am unteren Ende der Tafel folgte, und das unwillkürliche Lächeln der Gret, die aufgestanden und ein wenig zurückgetreten war, machte den Beleidigten rasend und raubte ihm den letzten Rest der Besinnung; – die Zähne fletschend ging er auf Michel los, packte ihn am Arm und suchte ihn niederzureißen. Der Gewaltige schüttelte ihn ab und rief: »Schneider, Schneider; – i rot' dr's en Guetem – höar auf!« – Der Schneider, der diese Ruhe mißverstand, attackierte von neuem. Michel faßte ihn beim Arm, hielt ihn zurück und rief mit funkelnden Augen: »Jetz sei ruheng – oder i stand für nex mea' guet!« – Aber der Schneider, der einen Blick auf die Tür geworfen hatte, machte sich mit wütender Anstrengung los, packte den Gegner an der Juppe, riß – und riß ein Stück davon herunter. Das war über allen Spaß. Michel nahm ihn und warf ihn zu Boden, daß es krachte.

Es war die erste wohltätige Empfindung für den guten Burschen seit langer Zeit! – Aber wie dehnte sich nun seine Brust! Welch eine Begier erstand in ihm, fortzufahren und sich durch eine großartige Übung der Kräfte, die so lange geruht hatten, das gepreßte Herz zu erleichtern! – Es war ihm wie einem Esser, der mit einem Riesenappetit auf dem Tisch nur ein Kotelettchen vorgefunden hat und nach dessen Verschlingung mit schmerzlichem Verlangen eine seiner würdige Mahlzeit herbeisehnt. »Mehr, mehr, mehr,« rief es in ihm, als der aufgestandene Schneider von neuem auf ihn losging. – Sein Wunsch sollte erfüllt werden. Der Schneider, in Gefahr wieder auf den Boden zu fliegen, rief mit desperater durchdringender Stimme: »Brüder, helft!« und in kürzester Zeit fühlte sich Michel von einem halben Dutzend Burschen zugleich angefallen.

Es waren Gegner von ihm, Kameraden des Schneiders und zu Schutz und Trutz mit ihm verbunden, die von andern Tischen und vom Tanzboden herbeigeeilt waren und nun mit vereinten Kräften zu siegen hofften. Sobald der Enakssohn die Kerle an sich schlagen und zerren fühlte, atmete er tief auf und – begann seine Arbeit.

Er verrichtete Taten, die würdig wären, von einem Homer Zug für Zug geschildert zu werden. Seine ungeheure Körperkraft im gerechtesten Kampf – der Trieb und die Lust, für sie etwas zu tun, vor ihr in seiner Glorie sich zu zeigen – befähigten ihn zu wahren Wundern. Er schüttelte ab und schleuderte von sich, er drosch und schlug nieder, er ergriff ein paar Kerle, die just zu haben waren, und stieß ihnen die Köpfe zusammen – kurz, er tat alles, was der Verlauf des Kampfes notwendig machte – mit unwiderstehlicher Gewalt. Kein Hieb und kein Stoß ging daneben.

Die Unterstützung des Schneiders war zu schnell nötig geworden, als daß seine Kameraden sich mit den bei solchen Händeln üblichen Waffen, als da sind: Stuhlfüße, Holzscheiter usw. hätten versehen können. Der Kampf gegen den Unbewaffneten wurde darum ehrlich mit Fäusten geführt. Nur ein Bursch ergriff einen steinernen Maßkrug, um den Simson des Dorfes von hinten auf den Kopf zu schlagen, der nicht mehr von der Fischotterkappe bedeckt war. Er wurde von Kaspar weggerissen und auf die Seite gestoßen.

Der Kamerad Michels war auf den Hauptlärm auch vom Tanzboden herbeigeeilt und eben recht gekommen, diesen Hieb zu verhindern, der dem Schädel Michels, vielleicht aber auch nur dem Krug verderblich werden konnte. Der Treue war mutig und nervenkräftig und hätte dem Freunde gern ferner geholfen – wenn es nur nötig gewesen wäre. Allein er sah, wie dieser schaffte – er sah, was er schon geleistet hatte, und überließ ihm den Rest.

Das Getöse des Kampfes hatte bald auch Zuschauer herbeigezogen, und die drei Studenten waren nicht die letzten. Als sie einen Burschen erblickten, der seine Gegner, die sich wie Katzen an ihn anklammerten, immer wieder von sich schleuderte und inmitten eines ihn umdrängenden wütenden Haufens fest auf den Beinen blieb, ließen sie Ausrufungen der Bewunderung hören und folgten der Szene mit größtem Interesse. Auch ein paar mutige Damen hatten sich an die Tür der großen Stube gewagt und lugten mit Anteil auf den Kampf, hauptsächlich aber auf den Kämpfer, der, einen Kopf über die andern hinausragend, so preiswürdige Dinge tat.

Die teilnehmendste und zugleich anteilswerteste Zuschauerin von allen war aber die Gret. Ihr Herz wurde nacheinander von Empfindungen ergriffen, die sie in durchaus unbekannte, wunderbar neue Regionen emporrissen. Die ersten Worte Michels, der so unerwartet und mit solchem Ansehen ihr zu Hilfe kam, hatten sie mit Wohlgefühl überrieselt. Sie starrte ihn an, errötend, verlegen – mit durchbrechender Freude. Als der Schneider den Gewaltigen anpackte, rief sie: »Bist du rasend?« – und wollte ihn, von dem drohenden Streit erschreckt, in seinem Interesse zurückziehen. Wie sie nun aber den Verteidiger umringt sah, da fühlte sie eine andere Regung; mutig stürzte sie auf einen der Bursche zu, ergriff ihn und wollte ihn wegreißen. Allein Michel stieß eben diesen Gegner auf die Seite, daß er über eine Bank taumelte – – und als sie die Riesenkraft sah, mit der er allein sich aller erwehrte, und der Glaube, daß ihm keiner was anhaben könne, unwiderstehlich in ihrem Gemüt auflebte, da trat sie auf die Seite.

Mit klopfendem Herzen und wogender Brust sah sie auf den Kampf, der wie ein Sturm vor ihren Augen brauste. Sie sah die Übermacht des Mannes, der ihr immer von allen der liebste gewesen war, mit Staunen und Entzücken. Was konnte es für sie Herrlicheres geben? Was konnte sie Schöneres und Rührenderes erblicken? Das tat er für sie! Das tat er, nachdem sie mit ihm getrutzt hatte wegen nichts und wieder nichts! Er, der größte und stärkste, aber auch der wackerste und rechtschaffenste Bursche. Verschwunden war alles, was ihr an ihm jemals lächerlich oder ärgerlich vorgekommen war – verschlungen von der Flamme der Kraft und des Mutes, die vor ihr aufloderte. Sie sah nichts als den Helden, der um ihretwillen kämpfte und alle niederstreckte! Sie sah ihn mit überströmendem Gefühl, mit wonnigem Stolz. Ihre Lippen zuckten; Tränen traten ihr in die Augen und rollten die glühenden Wangen hinab.

Michel war fertig – der Kampf hatte geendet. Drei der Gegner lagen am Boden und versuchten aufzustehen, wozu ihre Mädchen, die sich vergebens bemüht hatten, abzuwehren, ihnen die Hände reichten. Ein paar andere konnten nicht mehr aus den Augen sehen und traten wankend zurück. Der Schneider und sein Nördlinger Kollege, der ihm tapfer zu Hilfe geeilt war, hatten geschwollene, blutende Nasen, blaue Augenringe und zerrissene, rotbefleckte Kleider. Michel stand siegreich da! Stark atmend, das Gesicht erhitzt und schweißtriefend, die Haare in Unordnung, die Juppe ohne den linken Flügel – aber aufrecht und in der ganzen Freude des Triumphes. Ins Gesicht hatte ihn keiner getroffen, dafür hatten seine Arme gesorgt – und die blauen Flecke auf dem Leibe sah man nicht.

Seine Blicke suchten die Gret. Er sah sie, die Wangen tränenfeucht, aber die Augen selig glänzend – und schnell wie der Blitz erhellte seine Seele die Erkenntnis ihres Gemüts. Mit stolzem Lächeln ging er auf sie zu und rief: »No, Margret, bist z'frieda' mit m'r desmol?« – »O Michel,« erwiderte das Mädchen mit einem Ton aus tiefster Seele – »o Michel, was bist du für a Burscht!« – Michel sah sie liebevoll an und nahm sie bei der Hand. »Ja,« sagte er, »schwätza' ka'n e freile net wie a'n anderer, ond danza'n ond sprenga' ka'n e net, wie se's g'höart – aber ebbes ka'n e doch doa' für a Mädle, auf die e ebbes halt!« – Die Gret schwieg und drückte ihm zärtlich die Hand.

In der Gewißheit seines Glücks und im Schwunge des Siegergefühls wandelte den Burschen eine heitere Laune an. Die Hand des Mädchens loslassend und einen Schritt zurücktretend sagte er: »Aber wärle – i dua' grad als ob du mei' Schatz wärst, ond vergiß ganz, daß dei' Burscht doh ist, der de auf d'Kirwe geführt hot. Wamma' se von oëm ens Wirtshaus führa' loßt ond gar mit 'm auf da' Plahtz got.« – Die Gret war bei den ersten Worten errötet; nun fiel sie ihm in die Rede mit einem Blick zugleich der Liebe, der Scham und des Vorwurfs: »Ist m'r denn ebbes anderst's überblieba', om di z'ärgera' ond eifersüchteng z'macha?«

Ein Seufzer ließ sich in der Nähe vernehmen. Er kam von dem unglücklichen Schneider, der an einem Seitentisch in einer wassergefüllten Schüssel sich wusch und nun hören mußte, daß er von der Gret nur als Mittel benutzt worden war. »Des oh no' (das auch noch),« rief der arme Kerl, indem er mit tragikomischer Miene nickend in die Schüssel sah. Michel aber ging strahlenden Angesichts auf das Mädchen zu, ergriff ihre Hand und rief: »So isch g'moët g'wesa'? – No, nocht g'höarst mei' – ond der Deufel en der Höll soll de mir net widder nemma'!«

Die ganze Szene des Streites und der Verständigung unseres Paares war natürlich schneller vorübergerauscht, als wir sie zu schildern vermochten. Jetzt, nachdem sich alles begreiflich gelöst und der Kampf durch die Reden der Liebenden Licht und Sinn erhalten hatte, drängte man sich teilnehmend zu diesen heran. Der treue Kaspar gab erst dem Freunde die Hand, dann, mit heiterem Zunicken, dem Mädchen, und wurde von dieser mit einem herzlich dankbaren Blick belohnt. Die Studenten konnten nicht widerstehen – sie mußten den Triumphator preisen und ihm gratulieren, was der Bursche mit wohlgefälliger Würde entgegennahm. – Allgemeine Heiterkeit füllte die Stube. Sämtliche Zuschauer hielten es mit dem Sieger und Glücklichen und warfen spöttische Blicke auf die Geschlagenen, die den Schaden hatten. – In dieser Beziehung machen sie's im Ries gerade so wie anderwärts!

Michel, in der Höhe seiner Stimmung, wandte sich zu seinem sonstigen Nebenbuhler und sagte halb mit Laune, halb gutmütig: »Schneider – nex für o'guet! I sig ietz scho', daß eigentlich du an mei'm Glück schuld bist – ond i bedank' me schöa'!« – Der Schneider, in welchem die Wut verdampft war und einem gewissen desperaten Humor Platz gemacht hatte, erwiderte sich die Nase reibend: »I bedank' me oh schöa'!« – Das Gelächter, das auf diese Art von Witz folgte, war die erste kleine Genugtuung, die dem armen Burschen nach seiner Niederlage zuteil wurde. Michel fühlte einen Trieb, ihn wieder aufzurichten, und fuhr fort: »Onder o's g'sakt, Schneider, da bist a Deufelskerl! Wann alle so g'schwend ond so wüadeng g'wesa' wäret wie du – i hätt' wärle koë Fetzle Häs mea' auf'm Leib. Aber i will d'r ietz zoëga', daß e oh ebbes für de doa' ka'. Weil d'mer mei' Jupp so schöa' verrissa host, ietz sollst m'r grad a nuia' macha' därfa'. Von ha'et a' loß e bei dir arbeta', ond i hoff, i ka' d'r bald meaner z'doa geba'!« – »Ist m'r a'n Ehr',« erwiderte der Schneider mit ironischer Höflichkeit.

Die Gret hatte dem Michel mit froher Verwunderung zugehört. Wie kam er plötzlich dazu, mit andern Spaß zu machen und so nette Dinge zu sagen? – Eine neue Tugend, die sie ihm nicht zugetraut hätte, und deren Hervortreten sie in große Freude versetzte.

Die Szene war friedlich, ja ergötzlich geworden. Sie hatte große Ähnlichkeit mit der Auflösung eines Lustspiels, wo alles in Heiterkeit verschlungen und der heftigste der vorangegangenen Konflikte eben am pikantesten erscheint. Zum Glück hatte der Streit keine tragischen Folgen gehabt. Niemand war gefährlich verletzt. Die Geschlagenen und Betäubten erholten sich wieder, nahmen Trost an und hofften in wenigen Tagen geheilt zu sein. Alles fügte sich in seine Lage, und das Vergnügen wollte eben wieder seinen Lauf nehmen, als auf einmal von außen her der entrüstet herrische Ruf erscholl: »Wo ist's? Wer hat die Frechheit gehabt –«

Ein Gendarm trat herein, nicht einer von den gutmütigen und volksfreundlichen, wie es deren gibt, sondern ein grimmiger, der als Repräsentant des Gesetzes das Gefühl hatte, daß sich eigentlich alles vor ihm verkriechen müsse. Er hatte, im Freien spazierend, erst jetzt von der Schlägerei Kenntnis erhalten und eilte herbei, die Schuldigen herauszufinden und Anzeige zu machen. »Wer hat hier geschlagen? Wie ist der Streit angegangen? – Antwort!« Auf diese mit funkelnden Augen und vernichtender Miene herausgestoßene Rede trat Michel großartig vor und sagte: »Ih ben's, der Streit g'hett hot! – i hab' a halb's Dutzet Kerl zammg'schlaga', die auf me loasganga' send – ih alloë! Mei' Nam' ist Johann Michael Schwab, ond i ben vom Dorf. So, ietz woëß 'r, was er wissa' mueß. Jetz zoëg 'r me a', ond was m'r noch'm Rehcht g'höart, des will e haba'.« – Der Gendarm, von dem riesigen Burschen etwas imponiert, aber vom Stolz dieser Rede noch mehr indigniert, versetzte streng und mürrisch: »Was ist das für a Rüpelei! – Raufen!« – Schon war Michel bereit, dem Gendarmen hinauszugeben, was ihm nach seiner Meinung gebührte, als auf einmal ein junger Bursche aus der Menge heraus mit schelmisch heller Stimme rief: »Der Schneider hot a'g'fangt!«

Allgemeines schallendes Gelächter folgte dieser Erinnerung an eine komische Wahrheit und ließ sich nicht mehr beruhigen. Der Gendarm fand für gut, sein strenges Wesen, auf das niemand mehr achtete, beiseite zu setzen und mit pflichtmäßiger Ruhe die zu seiner Anzeige nötigen Erkundigungen einzuziehen. Währenddem faßte die Gret den Michel bei der Hand und sagte im Ton herzlichen Bedauerns: »Jetz kommst no' en O'gelegenheit, Michel – wega' mir! – 's duet m'r wärle recht von Herza' loëd (leid)!« – »Bah,« erwiderte der Bursche – »da' Kohpf kost des no' lang net! – Ond wann's anderst ganga' wär' – ond wann's 'n kosta' dät – 's dät me net ruia (reuen)!« – Das war ein Kompliment für die Gret! – Das Mädchen fand, daß Michel auch besser reden könne als alle Bursche, die sie bis jetzt gehört hatte – und ihre Freude kannte keine Grenzen.

Nach einer Weile finden wir das Paar auf dem Wege zu dem Hause Michels. Die Fischotterkappe und der abgerissene Juppenflügel hatten sich wiedergefunden und dieser war von der Gret angegluft worden, so daß unser Held mit Ehren durch die Gasse gehen konnte. Eine Überraschung war der Mutter freilich nicht mehr zu bereiten, denn Kaspar, der Getreue, hatte sich schon zu ihr verfügt und ihr alles erzählt. Die gute Alte fühlte eine unendliche Liebe zu der Gret. Wäre sie eine gebildete Frau gewesen, sie wäre der Schönen, Lieben und Klugen mit den zärtlichsten Ausdrücken um den Hals gefallen. Als ein Weib aus dem Dorfe, wo Umarmungen weniger vorkommen, ergriff sie die Hände der künftigen Söhnerin und preßte sie, während die herrliche Erfüllung des so lange versagt gebliebenen und schon aufgegebenen Herzenswunsches ihr Freudentränen in die Augen trieb. »No,« rief der Sohn ihr vergnügt zu, »hab' e net g'sakt, daß i ebbes durchsetz', wann i amol drauf ausgang'?« – »Ja, des glob' e,« erwiderte die Mutter, »wamma' des Glück hot, wo du ha'et g'hett host; doh ka'n a'n ieder zu ebbes komma'!« – »Ja, lieba Mueter,« versetzte Michel, »Glück mueß ma'n allweil haba', wamma'n ebbes durchsetza' will en dear schlechta' Welt! Ohne des got nex!«

Wir brauchen nicht zu sagen, daß der wackere Vater der Gret, zu dem man sich gleich nachher verfügte, unserem Paar kein Hindernis in den Weg legte. Er mußte sich am Ende auch sagen, daß der Michel als Mann der Gret eine bessere Figur mache als der gute Jakob. Nachdem er seine Einwilligung erteilt hatte, sah er übrigens die Tochter lächelnd an und sagte: »O uir Weibsbild'r, en ui kennt se doch koë Mensch aus!« – Michel, seinen Arm um die Geliebte schlingend, erwiderte heiter: »I moënet ietz doch, i dät me auskenna' en dear doh!«

* * *

Unsere Geschichte ist zu Ende. Damals glaubte man nicht, daß die bürgerliche Gesellschaft in Gefahr sei, wenn bei einem Bauernfest eine kleine Schlägerei vorfiel. Man faßte bei Gericht die Sache von der heiteren Seite auf, und die Beteiligten kamen mit verhältnismäßig leichten Strafen davon.

Auf den Schneider hatte die Erfahrung, die er machte, eine günstige Wirkung. Nachdem er als derjenige, welcher nachweislich zuerst geschlagen, auch noch am bedeutendsten gestraft worden war, fühlte er sich von dem »Spruhz«, der ihn bis dahin besessen hatte, so ziemlich geheilt. Er lernte sein Verhältnis zur Welt in richtigerem Lichte sehen und verzieh nach Art der gutmütig eiteln Menschen nicht nur dem Michel, sondern auch der Gret, welche bei schicklicher Gelegenheit ihn herzlich um Verzeihung bat und hinzufügte: daß sie sich eine solche Freiheit nicht genommen hätte, wenn er nicht ihr Vetter und ihr außerdem als ein herzensguter Mensch bekannt gewesen wäre! – Bald nachher sagte der Gute zu seinen Kameraden: »Am End' isch mei' Glück, daß e die net kriegt hab'!« Und die Kameraden stimmten ihm lachend bei. In der Folge heiratete er eine Kleine, Feine und Gutmütige, die ihn respektierte, und lebte als Dorfschneider zufrieden und glücklich.

Unser Paar feierte den Ehrentag noch in demselben Jahre. In der Zwischenzeit hatte die Gret den Michel so weit gebracht, daß er nach dem Heimgang von der Kirche zu allgemeinem Beifall mit ihr tanzte. Unter dem Gemurmel desselben sang Kaspar, der Hochzeitknecht, mit fröhlicher Miene das herkömmliche Liedchen, womit wir Erzählung und Buch beschließen wollen:

Die ersten drei Reihen
Sind aus und vorbei,
Und nun steht das Tanzen
Jedem anderen frei! –

 

Ende.

 


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