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Einleitung des Herausgebers.

Heimatkunst! Es wird in der Gegenwart viel geredet und gestritten um die Berechtigung, den Wert einer Literaturgruppe, die in Art und Schaffen als Vertreter einer heimatlichen Dichtung angesprochen werden kann oder soll.

Was ist Heimatkunst? Im Grunde ein Modewörtlein – aber doch ein nicht so ganz ohne jede innere Berechtigung geprägtes. Es liegt viel aufbauende Kraft in dem Worte eingeschlossen. Und dies Aufbauende, diese Freude am rechten Alten, diese Liebe für die eigene Art, für die engere Heimat, den Schrein jenes Eigenen könnte kaum besser kurz und klar bezeichnet werden wie eben durch das Wort Heimatkunst. – Wir begreifen darunter hier Werke, die ausgesprochen nationale Züge tragen, Züge selbständigen Volkstums. Ein Literaturerzeugnis, das sich der Gruppe Heimatkunst einfügen soll, kann nicht sein ohne Freude an überkommener Eigenart solchen Schlages. Freilich vermag diese Freude sich in sehr verschiedenen Formen kundzugeben. Sie kann aus jubelnder Fröhlichkeit hervorklingen und auch aus bitterem Schmerz. Nur vorhanden muß sie sein; denn durch die Freude an der Eigenart wird die Heimatkunst zugleich begrenzt und beschränkt.

Beschränkt? – unterliegt die Heimatkunst Beschränkungen? Durchaus; sie soll ja innerhalb einschränkender Grenzen ein Weltbild im kleinen geben. Deshalb ist die Heimatkunst oft unterschätzt worden. Die freiwillige Selbstbescheidung des Heimatdichters wurde für ein Erfordernis seiner angeblich mangelhaften Befähigung gehalten.

Es lassen sich zweifellos auch Fälle aufzeigen, die einer derartig absprechenden Beurteilung recht geben; solche Erscheinungen zeigen sich überall. Nur darf man das nicht verallgemeinern. Die Heimatkunst erfordert, soll ihr anders überhaupt gedient werden, wie jede echtkünstlerische Betätigung, ausgereifte Persönlichkeiten. In der Selbstbescheidung darf kein Zeichen des Unvermögens liegen, – nein: sie hat nur dann Wert, wenn sie der Liebe entstammt; Zwang ist hier ein Zeichen von Schwäche. Nur wenn ein Künstler fähig ist, im kleinsten Kreis etwas von »ursprünglicher Schöpferkraft« zu offenbaren, hier die so oder so beschränkte Weite des Ausblicks durch ein um so tieferes Eindringen in Natur und Volksseele begrenzter Kreise zu ersetzen – nur dann dient er der Heimat; sonst nicht.

Das alles sind Binsenwahrheiten, oft gehörte Forderungen; gewiß. Aber es ist nicht immer vom Übel, solche erneut auszusprechen. Zuweilen läßt sich das eben nicht umgehen. Und von einer anderen Seite angesehen kann es direkt zur Notwendigkeit werden, sofern die Möglichkeit gegeben ist, zu zeigen, daß ein Künstler an sich selbst die Gültigkeit jener alten Forderungen erprobte und in dem Bestreben, ihnen zu genügen, zu hoher Meisterschaft gelangte. Melchior Meyr ist ein Heimatdichter dieser Art.

In Meyrs Schöpfungen liegt für die Heimatkunst eine feste Stütze. Hat je ein Mensch seine Heimat geliebt mit der starken Liebe eines reinen Herzens, eines in sich selbst gefestigten Charakters, so ist es Meyr gewesen. Und aus dieser Liebe ist bei ihm die Kraft hervorgewachsen, Menschen und »Milieu« der Heimat zu zeichnen mit jener Treue, jener inneren Wahrheit, die das Leben, geschaut mit dem klaren Blicke eines herzstarken Willens, vermittelt und die den Schöpfungen dauerndes Leben verbürgt.

Nicht alle Werke Meyrs sind das Ergebnis solcher Liebe zur Umwelt. Meyr ging zuweilen Wege, die fernab vom Streben und Wollen der Menschen seiner Heimat verlaufen. Er wollte ihnen ein Wegweiser sein zu Zielen, die sich dem Auge des Werktagsmenschen entziehen, die nur eben ein Sonntagskind erschaut so nah, so greifbar, daß unverwindbare Schmerzen erwachsen, wenn man sich nach Stunden solchen Schauens allein gelassen sieht in einer Welt des Zweifels und der Widersprüche. Meyr hat sehr darunter gelitten, daß sich für seine Religionsphilosophie kein sonderlich weitreichendes Verständnis finden, aufbauen ließ. Wenn unter der Mißstimmung, die darüber und ob mancher innersten Wünschen zuwiderlaufenden Gestaltung eigenen Erlebens in dem Dichter aufkam, sein sonniger, kindlicher Glaube, die köstliche Frische seiner Gestalten in den »Riesgeschichten«, dem Besten, das er gegeben, nicht im mindesten gelitten hat, so dürfen wir schon um deswillen Wert und Kraft um so höher anschlagen und uns daran erfreuen mit jener tiefreichenden Freude, die festgefügtes, unbeirrbares Menschentum auslöst, immer von neuem auslösen wird. – –

Melchior Meyr ist am 28. Juni 1810 zu Ehringen im schwäbischen Riesgau, einem Dorfe in der Nähe von Nördlingen, als Sohn eines ziemlich bemittelten Landwirts geboren. Eine Jugend, reich an dem Sonnenschein, der über solchen Tagen in ländlicher Stille, umgeben von treuer elterlicher Sorge, gesundem Frohsinn liegen kann, führte ihn ins Leben. Die Lateinschule zu Nördlingen, die Gymnasien zu Ansbach und Augsburg und hernach die Universitäten zu München und Heidelberg fügten die Maschen zu seiner Ausbildung. Schon mit 19 Jahren konnte der junge Meyr die Münchener Hochschule beziehen. Hier fand er in dem Naturphilosophen Oken, dem Philologen Thiersch und vor allem in dem Philosophen Schelling und dem Naturforscher Schimper Lehrer, die ihm Anregung in Fülle boten. Daneben gaben die Klassiker, vornehmlich der alte Goethe und der Angelsachse Shakespeare den Stoff zu mit regstem Eifer aufgenommenen Studien her; »Faust« und »Hamlet« reizten zu immer wiederholtem Lesen und Versenken in den Darstellungskreis dieser beiden Großen. In der Ferienzeit aber ward die Beobachtung heimischen Lebens mit immer gleicher Lust an Stammesart und Naturbild fortgesetzt. Daraus glaubte Meyr die Beobachtung herleiten zu können, daß man die Gegenstände einzelner Partien in den Dichtungen viel lebensvoller zu schildern vermöchte, als es durch die Klassiker geschehen.

»Der Behauptung – schreibt Meyr in seinen Erinnerungen –, daß die Großen bereits alles vorweg genommen hätten, und daß es von diesem Gipfel in der Poesie nur abwärts gehen könnte, setzte ich den eifrigsten Widerspruch entgegen. Im wirklichen Leben waren mir eine Menge tiefpoetischer Züge aufgefallen, die noch keiner der großen Autoren zur Darstellung gebracht hatte, und in meinen gehobensten Augenblicken sagte ich mir, daß die Leistungen derselben nach mehreren Seiten hin zu übertreffen wären. – – Was mich betrifft, so gehörte zu der poetisch gesehenen und empfundenen Wirklichkeit, die ich festhielt, das Landleben meiner schwäbischen Heimat, das ich in den Ferien immer wieder mitlebte und genoß. Die jungen Burschen und Mädchen bei ihren Arbeiten und Lustbarkeiten, Liebeshändeln und Streitigkeiten waren mir hochinteressante Gegenstände der Beobachtung, und wenn ein alter Bettler kam und originelle oder auch nur charakteristische Reden führte, ließ ich mir diese nicht entgehen.« –

Wir sehen also schon hier die scharfe liebevolle Beobachtung heimischen Lebens, überkommener Sitten besonders hervortreten. Vorläufig war sie aber für das eigene Schaffen, das alsbald einsetzte, noch nicht unmittelbar bestimmend; die Jugendgedichte tragen ein recht unbestimmtes, anempfundenes Gepräge. Der alte Rat Goethe, dem diese Arbeiten zusamt den »Ideen und Projekten zur Weiterführung der deutschen Poesie« im letzten Jahre seines Lebens vorgelegt wurden, muß aber doch die gesunde Grundlage des Meyrschen Schaffens schon aus diesen Erstlingen herausgefühlt haben; er ermunterte Meyr in einem Schreiben vom 22. Januar 1832 eindringlich zu weiterer Produktion.

Vorerst wurden indes Arbeiten solcher Art durch die Notwendigkeit, für festere Stützpunkte einer Lebensstellung zu sorgen, zurückgedrängt. Es erschien zwar das ländliche Gedicht »Wilhelm und Rosine« (1835); bestimmende Erfolge konnte dieses etwas farblose Jugendwerk jedoch nicht erringen. Maßgeblich mußten danach die Ergebnisse der Universitätsstudien bleiben. Diese hatten Meyr zwischendurch für einige Jahre nach Heidelberg geführt, wo das Studium der Rechte gefördert werden sollte. Dann gab aber die überragende Neigung zur Philosophie und Ästhetik den Ausschlag; im Wintersemester 1835/36 erfolgte an der Münchener Schule der Abschluß der grundlegenden Studien, nachdem das Doktorexamen bestanden worden war.

Meyr ist nie zu einer festen, die Zukunft sichernden Anstellung im Staatsdienste gekommen. Im ersten Jahrzehnt nach der Studienzeit hat er sich darum verschiedentlich beworben; ohne Erfolg. Klerikale Einflüsse wirkten entgegen. Hierdurch konnte aber glücklicherweise nicht verhindert werden, daß König Max von Bayern, dieser hochsinnige Förderer künstlerischen Lebens, dem das Bayerland so vieles dankt, schon 1840, als der König die Regierung noch nicht führte, auf eine Anregung Schellings hin für Meyr ein Reisestipendium auswirkte. Finanziell dadurch gestützt, begab sich Meyr daraufhin im genannten Jahre zur Fortsetzung seiner Studien nach Berlin.

Bevor er hierher übersiedelte, hatten persönliche Erlebnisse in Meyr eine weitgehende Verstimmung wachgerufen. Den Anlaß bot der Verkehr mit Rückert. Meyr sandte 1835 beim Erscheinen seiner Dichtung »Wilhelm und Rosine« ein Exemplar an den »Weisen von Neuseß«. Dieser glaubte in dem Verfasser einen Vertreter eigener, Rückertscher Anschauungen sehen zu sollen; es kam zu einem lebhaften Briefwechsel und in der Folge zu längerem persönlichen Verkehr (während der Jahre 1836/37 in Erlangen). Beide Männer fanden hierin mancherlei Anregung. Dann aber traten Mißverständnisse ein, die das freundschaftliche Verhältnis trübten. Gerade kurz vor dem Abgange Meyrs nach Berlin war der Bruch vollständig geworden. Rückert hatte Meyr zur Mitarbeit am Leipziger »Musenalmanach« aufgefordert, Meyr das abgelehnt, weil er zu sehr mit anderen Arbeiten beschäftigt sei. Durch die Absage verletzt, ließ sich Rückert zu beißenden Epigrammen hinreißen, die Meyr so tief verstimmten, daß der gegenseitige Verkehr abgebrochen wurde.

Unter solcher Gestaltung der Verhältnisse schwer leidend, traf Meyr im November 1840 in Berlin ein und wandte sich hier alsbald in eifrigster Weise den Studien bei den angesehensten Universitätslehrern der »vormärzlichen« Berliner Hochschule zu, hörte Vorlesungen bei Dönniges, Jakob Grimm, Neander, Ranke, Savigny u. a. Daneben pflegte der junge »Riesbursch« lebhaft fröhliche Geselligkeit. Hierfür ein besonders ausgesprochenes Talent, Gewandtheit in Rede und Spiel besitzend, fand er bald einen erlesenen Kreis hochgesinnter Freunde. Kopisch, Mügge, Varnhagen und auch Peter von Cornelius, dessen künstlerische Tätigkeit damals besonders anregend wirkte, befanden sich darunter. In ihrer Mitte hat Meyr manche Stunde in angeregtester Unterhaltung verlebt.

Der Aufenthalt in Berlin währte bis zum Jahre 1852. Gegen das Ende hin machte sich der Mangel, das allmähliche Versiegen der Stipendiengelder unangenehm fühlbar. Meyr hatte es zwar verstanden, sich zum vielbewanderten und gewandten Journalisten auszubilden und schrieb u. a. für die »Literarische Zeitung« und den »Rheinischen Beobachter« regelmäßig Berichte, Rezensionen ec. Allein für die Dauer mußte ihm unter solchen Umständen doch der Aufenthalt an anderen Orten, in der Heimat und in München z. B., vorteilhafter erscheinen.

Vom Herbst 1852 bis zu seinem Tode hat Meyr dann auch vorwiegend in München gelebt. Im Sommer nur zog es ihn regelmäßig heimwärts in die Täler des Rieses oder ins Gebiet der Voralpen. Sonsthin, und zumeist auch wohl hier, füllte die Arbeit an Dramen, an erzählenden und lyrischen Dichtungen wie an philosophischen und religiösen Werken im wesentlichen die Zeit aus. Noch immer blieb freilich der Geselligkeit, dem Verkehr inmitten eines anregenden Kreises manche Stunde zugewandt. Die Genossen vom Parnaß, die Heyse, Hertz, Lingg, Reder ec. sahen ihn bei den Vereinigungen des »Krokodil« häufig unter sich, und bei den »Zwanglosen«, einer anderen »nur fröhlichen« Zwecken dienenden Gesellschaft, erhöhte oftmals eine oder die andere Dichtung Meyrs die Freuden geselliger Stunden.

Alle Anregungen solcher Art vermochten indes eine hochgradige innere Vereinsamung Meyrs nicht zu verhindern. Seine eigenartig sensitive Natur ließ ihn dazu mehr und mehr kommen. Er wollte volles Aufgehen in einer Idee, einer Neigung, und fand allzu oft nur halbes Gewähren; er sah speziell in seinen religionsphilosophischen Arbeiten (»Gott und sein Reich«, 1860; »Die Religion des Geistes«, 1871) die Quintessenz seiner Lebensarbeit – gerade dafür blieb aber das Verständnis so ziemlich ganz aus. Im Aufgang seines schriftstellerischen Schaffens durch die abweisende Haltung der zur Lebensgefährtin Erwählten verstimmt, löste so auch der Niedergang dieses reichen Lebens nicht ganz das Glück voller Befriedigung am Erfolg der Arbeit aus; es blieb fast immer ein wenig vom bitteren Gefühl des Unverstandenen zurück.

Vielleicht hat Mehr aber doch, trotz manches widrigen Geschicks, das das Leben ihm bot (– er starb am 22. April 1871 und liegt auf dem Münchener Friedhof begraben; ein Denkmal ist 1873 in Nördlingen errichtet –), eine tiefinnere Befriedigung ob der Gestaltung seiner Lebensarbeit mit ins Grab genommen. Er war eben so reich an kindlicher Heiterkeit der Seele, an opferfreudigem Optimismus, daß es allen anderen Einflüssen versagt bleiben mußte, dagegen aufzukommen. Wie hätte er sonst im letzten Drittel seines Lebens (ab 1856) die aus freier, lichter Seelenstimmung geborenen »Erzählungen aus dem Ries« schreiben können! Deren Verfasser mußte schon ein Mann sein, der jeden halbverloren aufleuchtenden Schimmer des Glückes mit dankbarer Seele erkennen und empfinden, daraus eine Welt voll sonniger Güte aufbauen konnte.

Meyrs »Erzählungen aus dem Ries« gelten uns heute als sein Bestes. Mit Recht. Selten hat ein Erzähler, ein deutscher Dichter dem Heimatgau ein so schönes Denkmal seiner Art, seiner Lebensgestaltung gesetzt, wie Meyr es dem Ries gegenüber zu tun vermochte. Es ist viel Sonnenschein in diesen von reinstem Behagen durchwärmten Lebensbildern, und überall sieht das Auge des Lesers lebensvolle Menschen. Meyr war in genügendem Maße Realist, um seine erzählenden Werke davor bewahren zu können, daß ihre Gestalten sich vom Boden gesunder realer Wirklichkeit jemals entfernt hätten. Nur vor einer Schwäche hat er manch eines dieser Gebilde seiner Phantasie nicht bewahren können; vor der teilweise etwas zu weit gehenden Vertretung eigener, Meyrscher Gedanken und vor der zuweilen allzu breit ausgesponnenen reflektiven Entwickelung nebensächlicher psychologischer Vorgänge. Dafür sind die Landleute nur selten zu haben. Ihren Anschauungen entspricht eine um ein weniges straffere Führung der Handlung. Schließlich sind Einwürfe dieser Art aber sehr nebensächlicher Natur; durch sie wird die reine, quellklare Form und die lebenstreue Sprache auch nur ganz vereinzelt in der Wirkung beeinträchtigt; im wesentlichen erweisen sich ja die Vorzüge der Meyrschen Dichtung mächtig genug, als daß so geringfügige Schwächen demgegenüber überhaupt fühlbar werden.

Als erste Erzählergaben sind 1856 unter dem Titel »Erzählungen aus dem Ries« »Ludwig und Annemarie«, »Die Lehrersbraut« und »Ende gut, alles gut« erschienen. Meyrs feine Erzählerkunst zeigt sich schon hier voll entwickelt; er hat diese Erstlinge später nicht überbieten können. 1860 folgten die »Neuen Erzählungen aus dem Ries« (»Der Sieg des Schwachen«, »Regine«), die 1870 um drei weitere Erzählungen (»Der schwarze Hans«, »Georg« und, etwas später erschienen, »Gleich und Gleich«) vermehrt wurden. All diese »Dorfnovellen« zeichnen sich gleichmäßig durch sichere Charakteristik, schalkhaften Humor und gemütvolle Darstellung aus. Und diese Vorzüge machen die »Erzählungen aus dem Ries« zu Perlen heimattreuer und heimatfroher Literatur.

Unter den weiteren Werken Meyrs haben die »Gespräche mit einem Grobian« und die »Gedichte« immer einen bevorzugten Platz behauptet. In der erstgenannten Arbeit sind die Gebrechen der Zeit, in der sie entstand, in freimütiger, derb humorvoller Sprache behandelt. Heute ist uns aber nur mehr weniges davon ohne zeitgeschichtlichen Kommentar voll verständlich. In den »Gedichten« offenbart sich tiefe Religiosität und echtes unerkünsteltes Empfinden; es sind aber doch mancherlei sprachliche Härten vorhanden, die die Wirkung beeinflussen. Ein Roman »Vier Deutsche« (1861 erschienen) litt unter zu großer Breite des »Redeflusses«; einige Dramen, u. a. »Herzog Albrecht«, »Karl der Kühne«, und ein paar Lustspiele erlebten zwar einige Aufführungen, bekunden aber doch in ihrer ganzen Anlage, daß die Vorzüge Meyrs mehr auf epischem denn auf dramatischem Gebiet lagen. Auch einige nicht auf ländlichem Boden spielende Novellen wie »Ewige Liebe«, »Die zweite Liebhaberin« lassen sich als Beweis dafür anführen.

Eng verknüpft mit dem Schaffen des Erzählers aus dem Ries, des Dichters Meyr überhaupt sind seine religionsphilosophischen Arbeiten. Sie geben recht eigentlich den Grundton in seinem ganzen Lebenswerk an. Das Hauptwerk ist hier »Gott und sein Reich« – der Versuch eines Nachweises Gottes im »altchristlichen« Sinne, einer Versöhnung und Vereinigung der Religion des Herzens mit der Philosophie des Geistes. Im bewußten Gegensatz zu der verneinenden Theorie Schopenhauers und seines Kreises entstanden, hätte »Gott und sein Reich« eine schöne Aufgabe erfüllen können, wenn es sich, ganz im Sinne Meyrs, auf die Einwürfe des Herzens beschränkt hätte. Glauben und Wissen sind ja leider auf ewig getrennt. Das mag für den einzelnen, der eine innige Vereinigung beider wünscht, schmerzlich sein; rein sachlich betrachtet hat es aber auch wieder sehr seine Berechtigung. Denn die Philosophie als Wissenschaft muß voraussetzungslos sein, und so sehr sie die entscheidenden Anlässe der geheimen Inspiration dankt – es geht nicht an, die Phantasie und deren Ergebnisse zur Grundlage philosophischer Systeme machen zu wollen.

Hält demnach das, was Meyr als sein Bestes angesehen haben wollte, in solchem Sinne vor nachprüfender Kritik nicht stand, so bleibt doch ein ehrliches Wollen anzuerkennen. Ein ehrliches Wollen und eine unantastbare Redlichkeit und Reinheit des Strebens. Auch hier zeichnet sich also das Bild des Schöpfers der »Erzählungen aus dem Ries« so, wie wir es dort in jedem Zuge sehen: fein und gut. Und gerade darum ist Meyr würdig, unter den Vertretern der Heimatkunst – wenn man die an sich ziemlich bedeutungslose Bezeichnung denn nun doch einmal gelten lassen will – an erster Stelle genannt zu werden. Wir haben wenige, die in Art und Schaffen so sehr hierher gehören wie Meyr.

... nur der ist in tiefster Seele treu,
der die Heimat so liebt wie Du!

O. Weltzien.


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