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25. Kapitel.

Als am verflossenen Abend die vier Mexikaner dem Entflohenen nachsprengten, horchten die Zurückbleibenden still und lautlos in die Nacht hinein. Sogar Verdoja vergaß die Schmerzen seines Auges. Sie alle waren überzeugt, daß Sternau eingeholt werde.

Es blieb längere Zeit still, dann aber fielen in bedeutender Ferne zwei Schüsse. Der Schall war so leise, daß man ihn kaum noch zu vernehmen vermochte.

»Sie haben ihn!« rief Pardero. – »Ja, aber nicht lebendig«, zürnte Verdoja. »Sie haben ihn erschossen, die Schurken! Wie kann ich mich nun an ihm rächen? Wer soll mein Auge behandeln?« – »Vielleicht ist er nur verwundet«, meinte einer der Mexikaner. »Dieser Kerl scheint ein zähes Leben zu haben.« – »Dann bringen sie ihn herbei. In einer halben Stunde sind sie sicher da.«

Aber die halbe Stunde verging, und es kam niemand. Verdoja wurde unruhig.

»Warum zaudern die Kerle?« meinte er. »Ich werde sie für diese Nachlässigkeit zu bestrafen wissen!«

Doch es verging eine halbe und noch eine ganze Stunde, ohne daß sich jemand sehen ließ. Das Auge Verdojas schmerzte so, daß er ein Tuch vorbinden mußte. Es träufelte ihm nun ein scharfe Flüssigkeit über die Wange herab, an der er stets zu wischen hatte. Er konnte nicht schlafen. Darum erging er sich während der ganzen Nacht in zornigen Flüchen, und als die Dämmerung nahe war, sandte er zwei Mexikaner aus, um ihre vier Kameraden zu suchen.

Sie setzten sich auf ihre Pferde und ritten davon. Bereits nach einiger Zeit fanden sie einen Toten an der Erde liegen. Der Schädel war ihm zerschmettert, und man hatte ihm alles abgenommen, was er bei sich trug.

»Was ist das? Wer hat das getan?« fragte der eine schaudernd. – »Sternau?« – »Nein, das ist unmöglich! Er wäre ja während des Kampfes und des Plünderns von den anderen dreien ergriffen und getötet worden. Wir können jetzt hier nichts tun als weiterreiten.«

Sie hatten kaum dreihundert Schritt zurückgelegt, so trafen sie auf eine zweite Leiche, der ebenso der Kopf zerschmettert war. Auch sie war ausgeraubt. Die beiden Männer blickten einander fragend an und ritten weiter, ohne ein Wort zu sprechen, es war ihnen unheimlich zumute.

Nach fünf Minuten trafen sie – auf zwei Leichen. Sie waren erschossen worden, die Kugeln waren ihnen durch den Kopf gedrungen.

»Santa Madonna, alle vier tot!« rief der eine Mexikaner. – »Ist dieser Sternau ein Zauberer?« fragte der andere. – »Wir können hier nichts tun als schnell zurückkehren.«

Sie taten dies. Als sie vom Lager aus in Sicht waren und man bemerkte, daß sie allein kamen, sprangen alle Zurückgebliebenen erwartungsvoll auf.

»Nun?« fragte Verdoja. »Seid ihr blind? Ihr habt nichts gefunden?« – »Mehr als genug, Señor«, antwortete der eine. – »Nun, wo ist Sternau?« – »Das weiß er und der Teufel. Wir haben nur die Kameraden gefunden. Zweien ist der Kopf zerschmettert, und zwei sind erschossen, alle vier aber sind geplündert und vollständig ausgeraubt.«

Bei diesen Worten leuchteten die Augen der männlichen Gefangenen hoffnungsvoll auf, und Emma stieß einen Ruf der Freude aus.

»Still!« donnerte ihr Verdoja zu. »Ihr jubelt zu früh. Noch ist er uns nicht entkommen. Aber wenn ich ihn fange, so werde ich ihm jedes Glied einzeln aus dem Leib reißen.« – »Niemand wird ihn bekommen«, antwortete Emma mutig. »Er ist ein Held. Er wird euch verfolgen, er wird euch töten, heute abend oder morgen abend, wie er diese vier getötet hat, und dann wird er uns befreien!«

Mariano und Helmers warfen ihr einen warnenden Blick zu, und Karja, die neben ihr lag, flüsterte ängstlich:

»Schweig doch! Du machst ihn ja klug und vorsichtig!« – »Still!« gebot auch Verdoja, der von dem Flüstern nichts gehört hatte. »Wer noch einmal redet, erhält seine Strafe. Dieser Satan soll uns nicht mehr schaden, das versichere ich euch! Vorwärts, wir brechen auf, ich muß wissen, welche Richtung er eingeschlagen hat.«

Die Gefangenen wurden auf die Pferde gebunden, die anderen stiegen auf, und nun ging es der Gegend zu, wo die Leichen lagen.

Man fand die beiden ersten, konnte aber aus den vorhandenen Spuren nicht klug werden, wie ihre Tötung möglich geworden war, die beiden Pferde hatten sich natürlich während der Nacht verlaufen. Zwei Reiter nahmen die Leichen vor sich, worauf man weiterritt. Als man bei den Erschossenen anlangte, wurde der Platz ganz sorgfältig untersucht aber man konnte auch hier nicht ergründen, wie es Sternau gelungen war, sie zu überwinden.

»Er hat wahrhaftig den Satan im Leib!« meinte einer der Männer, indem er sich bekreuzigte. »Ein Flüchtling kann ohne Hilfe des Teufels nicht vier Verfolger töten!« – »Schweig, Dummkopf,« antwortete Verdoja. »Dieser Sternau ist ein listiger Mensch, weiter ist es nichts. Er hat die Pferde der beiden Getöteten mit sich genommen, hier ist die Spur. Wir müssen ihr nach!«

Dies geschah. Als die Spur sich nach Süden wandte, wurde Rat gehalten.

»Er kehrt nach der Hazienda zurück«, meinte Pardero. – »Nein«, antwortete Verdoja. »Die Hazienda liegt gegen Osten, aber nicht gegen Süden. Er hat etwas anderes vor. Hätte er nach der Hazienda zurückkehren wollen, so wäre es vom Kampfplatz aus geschehen. Er ist aber erst einige Stunden lang in entgegengesetzter Richtung in die Wüste hineingeritten, das muß uns vorsichtig machen. Reiten wir auf seiner Spur noch weiter!«

Sie verfolgten Sternaus Fährte abermals einige Stunden lang und kamen endlich an die Stelle, wo er nach Osten eingebogen war.

»Sehen Sie, ich hatte recht!« meinte Pardero. »Er ist nach der Hazienda zurückgekehrt, um Hilfe zu holen.« – »Dummheit!« antwortete Verdoja. »Wir sind nur noch elf Mann. Ein Kerl, der in fünf Minuten vier Verfolger tötet braucht sich nicht zwei Tagereisen weit Hilfe herbeizuholen, um elf Männer nach und nach zu erschießen. Dieser Sternau ist kein Dummkopf. Er braucht zwei Tage hin und zwei zurück, das gibt vier Tage, im günstigsten Fall drei Tage, eher er hier wieder anlangt. Da sind unsere Spuren verweht, jedenfalls aber haben wir einen Vorsprung von drei Tagen und sind nicht mehr einzuholen.« – »Aber was bezweckt er denn?« fragte Pardero. – »Sie sind Offizier, aber kein Taktiker. Sternau hat vier Gewehre an sich genommen. Warum? Etwa um sie als Beute mit sich zu schleppen? Nein; er kann damit, da eins doppelt ist, fünf Schüsse tun. Das ist ein Zeichen, daß er es auf uns abgesehen hat. Er hat die Pferde der beiden Getöteten bei sich. Warum? Etwa nur um den Pferdeknecht zu machen? Nein. Er erzielt dadurch eine größere Schnelligkeit, denn wenn sein Reitpferd müde ist, so besteigt er ein lediges, das noch frische Kräfte hat.« – »Aber warum reitet er nach Osten?« – »Ich errate es. Er reitet einen Bogen. Da hinten an den Bergen wird er sich nach Norden wenden, um uns in den Rücken zu kommen. Vielleicht will er Zeit gewinnen, denn während wir ihm im Kreis folgen, werden wir aufgehalten, bis vielleicht Leute von der Hazienda eintreffen. Sie wissen, daß Sternau jener berühmte Fürst des Felsens ist. Glauben Sie mir, er fürchtet sich nicht, allein mit uns anzubinden, er hat es bewiesen. Aber nun ich errate, was er will, werde ich mich von ihm nicht übertölpeln lassen. Ich bin überzeugt, daß er sich bei jedem Nachtlager einige von uns holt, einem solchen Savannenmann gegenüber hilft keine Vorsicht. Wir dürfen also kein Nachtlager halten. Wir reiten bis morgen früh, ruhen einige Stunden, dann reiten wir bis übermorgen früh, da erreichen wir den westlichen Saum der Wüste, und des Abends sind wir am Ziel. Er aber wird zwei Nächte hindurch lagern müssen, so kommen wir ihm aus den Augen.« – »Aber werden unsere Pferde diesen forcierten Ritt aushalten?« – »Sicher. Morgen früh sind wir am Muschelsee, wo sie trinken und weiden können. Übermorgen werden sie zusammenbrechen können, denn wir finden sofort auf jedem Weideplatz frische Tiere.« – »Aber die beiden Mädchen?« – »Pah, die müssen es aushalten. Wir geben den Gefangenen die Hände frei, damit sie nicht so leicht ermüden. Am Rand der Wüste lassen wir einige Mann zurück, die Sternau erwarten müssen. Sobald sie ihn sehen, wird er gefangen oder er bekommt eine Kugel. Jetzt vorwärts!«

Verdoja bewies damit, daß er Sternau durchschaut, und daß er klüger sei, als dieser dachte. Wenn sein Plan gelang, so brachte er seine Gefangenen in Sicherheit, und Sternau wurde entweder erschossen oder gefangen.

Man gab jetzt den Gefangenen die Hände frei, so daß sie ihre Tiere selbst lenken konnten, doch kam diese Maßregel mit solcher Vorsicht in Anwendung, daß die Gefesselten sich nicht zu befreien vermochten. Darauf ging es im Galopp in die Mapimi hinein.

Man sah es den verzerrten Zögen Verdojas an, daß er an seinem Auge fürchterliche Schmerzen litt, aber er sagte kein Wort darüber. Es kochte ein fürchterlicher Grimm in seinem Inneren, doch galt es jetzt vor allen Dingen, so schnell wie möglich an das Ziel zu gelangen. Die Rache wurde für später aufgeschoben.

So ging es während des ganzen Tages immer nach Westen zu, über steinige Flächen, über nackte Felsen und öde Sandstriche, bis man am Abend den vorgestreckten Arm eines Waldes erreichte. Hier durften sich die ermüdeten Pferde eine halbe Stunde lang erholen, ehe es wieder vorwärts ging.

Während die Tage in jenen Gegenden heiß sind, zeigen sich die Nächte empfindlich kalt. Diese Kälte war der Truppe von Vorteil, denn sie unterstützte die Beweglichkeit und ließ die Pferde weniger ermüden. Man glaubt übrigens kaum, welch einer Ausdauer die mexikanischen Pferde fähig sind.

Am anderen Morgen erreichte man den von allen längst ersehnten Muschelsee, wo Rast gemacht wurde. Die Pferde wurden entsattelt und durften trinken und grasen nach Herzenslust. Die Menschen erquickten sich an der mitgenommenen Speise, von der auch die Gefangenen einen Teil erhielten.

Als die neugekräftigten Pferde zu wiehern und miteinander zu scherzen und zu kämpfen begannen, war dies ein Zeichen, daß sie nicht mehr ermüdet seien, und man setzte den Ritt in der bisherigen Weise und Richtung fort.

Es zeigte sich jetzt eher einmal eine gewächsreiche Stelle, die eine Weide oder ein Wäldchen trug, gegen Abend hatte man sogar einen größeren Wald zu durchreiten, und am anderen Morgen lag die Mapimi hinter ihnen. Der Wüstenrand erhob sich plateauartig vor ihnen, und sie drangen in einen Engpaß ein, der sich nach kurzer Zeit zu einem Tälchen erweiterte. Hier wurde haltgemacht und die Pferde durften sich abermals erholen. Es war vorauszusehen, daß sie dann den Ritt bis zum Abend aushalten würden.

Das Tälchen zeigte eine wild bewachsene Seitenschlucht. Verdoja postierte zwei seiner Mexikaner in dieselbe. Sie sollten Sternau auflauern, der hier jedenfalls längere Zeit verweilen würde, um die Spuren des Lagerplatzes zu untersuchen. Er konnte vor morgen abend nicht hier sind, und bis dahin wollte Verdoja von seinen Begleitern noch drei zurückschicken. Sie waren dann zu fünfen und konnten den einzelnen überwältigen.

Als man wieder aufbrach, mündete der Paß in eine weite Ebene, die aus fruchtbaren Weiden bestand. Es wurden Wege eingeschlagen, auf denen man niemandem begegnen konnte; der Tag verging, ohne daß man eine Hazienda erblickte, obwohl man die Nähe derselben vermuten konnte, und als die Dunkelheit hereinbrach, hielt man vor einer hohen, mächtigen, pyramidenförmigen Masse, deren Fuß von Felsentrümmern und Sträuchern eingefaßt war. Verdoja steckte den Finger in den Mund und stieß einen Pfiff aus. Sofort raschelte es in den Büschen, und ein Mann trat hervor.

»War mein Bote bei dir?« fragte Verdoja. – »Ja, Señor«, antwortete der Mann. »Er brachte mir Ihren Brief, und es ist alles vorbereitet. Auch Licht habe ich.« – »So führe mich. Die anderen warten hier, bis ich zurückkehre!«


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