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3. Kapitel.

Um diese Zeit war es, als Josefa Cortejo in ihrem Zimmer auf der Hängematte lag. Sie rauchte eine jener Zigaretten, die die Mexikanerinnen so außerordentlich lieben, und hatte ein Buch in der Hand, in dem sie aber nicht las. Ihre Eulenaugen ruhten nicht auf den Buchstaben, sondern sie blickte wie abwesend in die weite Ferne. Sie dachte an Graf Alfonzo, den Geliebten, der ihr vor seiner Abreise die Ehe versprochen hatte, ohne sie doch zu lieben. Sie dachte ferner der schönen, feurigen Spanierinnen und wie leicht es sei, daß er eine finden könne, die imstande sei, ihn zu fesseln. Da trat ihr Vater ein, mit Falten auf der Stirn und einem Brief in der Hand. »Hast zu Zeit?« fragte er. – »Für Wichtiges immer«, antwortete sie. – »Es ist wichtig.« – »Für dich?« – »Auch für dich! Die Post ist angekommen, und unter den übrigen Sachen finde ich einen Brief meines Bruders.«

Im Nu sprang Josefa aus der Hängematte und streckte die Hand nach dem Brief aus.

»Gib her! Wie steht es drüben?« – »Hm! Schlecht und gut! Alfonzo ist in Paris und auch in Deutschland gewesen.« – »Ah! Was wollte er dort?« – »Dieses schlimmen Doktor Sternaus wegen. Dieser Mensch ist doch nur unseres Unheils wegen nach Spanien gekommen. Er ist unser ärgster Feind und schlimmster Gegner.«

Josefas Augen zogen sich verächtlich zusammen.

»Pah, ein Doktor! Wer soll ihn fürchten!« sagte sie mit geringschätzigem Ton. – »Wir müssen ihn fürchten«, meinte Cortejo ernst. »Er hat seit dem ersten Tag seiner Anwesenheit in Rodriganda unsere Pläne durchschaut und durchkreuzt. Er besitzt einen Scharfsinn, der ganz erstaunlich ist, und hat dabei ein Glück, daß man ihn für einen Liebling des Teufels halten könnte.« – »Nun, vielleicht ist er es auch, und der Teufel kommt seiner Zeit, um ihn zu holen. Ich dachte vorhin zufällig an ihn.« – »Zufällig?« – »Ja. Hast du nicht von dem Deutschen gehört, der jetzt hier unsere Salons so unsicher macht?« – »Ja. Er ist Arzt, und Ärzte sind den Frauen ja immer sympathisch.« – »Hast du seinen Namen gehört?« – »Nein.« – »Er heißt Señor Sternau. Er ist Gast des englischen Gesandten und wurde von diesem den höchsten Aristokraten vorgestellt. Sogar beim Präsidenten war er gestern geladen. Ein Arzt, ein einfacher Arzt. Es ist lächerlich.« – »Sternau heißt er? Caramba! Es wird doch nicht derselbe sein?« – »So habe ich mich auch gefragt, aber Name und Stand sind jedenfalls nur ein Spiel des Zufalls. Jener Karl Sternau, vor dem du dich so fürchtest, ist ja gegenwärtig in Deutschland, da kann er füglich doch nicht in Mexiko sein.«

Das Gesicht Cortejos verfinsterte sich.

»Meinst du?« fragte er. »Wer sagt dir, daß er jetzt in Deutschland ist?« – »Nun, der Oheim schrieb es ja in seinem vorletzten Brief.« – »Allerdings, aber seit jenem Brief ist eine geraume, eine lange Zeit vergangen.« – »Du meinst doch nicht etwa ...?« fragte Josefa gedehnt. – »Ich meine, daß du den Brief lesen sollst«, antwortete er kurz und reichte ihr das Schreiben. Sie nahm es, öffnete und las:

 

»Lieber Bruder!

Dieses Mal habe ich Dir Wichtiges mitzuteilen. Wie Du weißt, ist uns Doktor Sternau entgangen, die Briganten halfen ihm, so daß er über die Grenze kam. Ich ließ ihn heimlich verfolgen und erfuhr, daß er nach Paris zu gehen beabsichtige. Natürlich lag mir daran, ihn unschädlich zu machen, und so schickte ich ihm unseren Alfonzo nach.

Leider kam Alfonzo zu spät. Sternau war bereits nach Deutschland abgereist. Alfonzo ging ihm nach, erlitt aber während eines Bahnunglücks eine Verletzung, so daß er liegenblieb. Darüber verging eine wichtige Zeit, und unterdessen wurde dieser Sternau mit Rosa – vermählt.

Es geschah dies in einer deutschen Ortschaft, die Rheinswalden heißt. Alfonzo kam zu spät. Die Trauung war vorüber, und Sternau hatte sich auf eine Reise begeben. Wißt Ihr, was er beabsichtigt? Dieser Mensch will den Kapitän Landola aufsuchen, um ihm jenen Mariano, der sich auf Rodriganda Alfredde Lautreville nannte, abzujagen. Diesem Menschen ist das Äußerste zuzutrauen, ich hoffe aber, daß seine Pläne zuschanden werden.

Ich habe sogleich an alle Häfen, in denen Landola zu verkehren pflegt, teils telegrafiert, teils geschrieben, und da es immerhin eine Möglichkeit ist, daß er seinen Kurs auf Mexiko nimmt, so gebe ich auch Dir Nachricht. Dieser Sternau muß unschädlich gemacht werden, sonst sind wir verloren.

Nun zu etwas Besserem und Angenehmerem. Alfonzo steht jetzt an der Spitze des Hauses Rodriganda; er hat die Interessen desselben zu vertreten und auch dafür zu sorgen, daß die Traditionen desselben nicht verlöschen, mit einem Wort: Er muß sich vermählen!

Ich habe an seiner Stelle Umschau gehalten, und es ist mir auch geglückt, sein Auge auf eine Dame zu richten, die alle Erfordernisse besitzt, den Namen Rodriganda zu noch höheren Ehren zu bringen.

Du weißt, daß ich Haushofmeister des Herzogs von Olsunna war. Ich habe Dir von seinem Verhältnis zu jener deutschen Gouvernante erzählt, die ihm entfloh. Diese Liaison hat ihn in meine Hand gegeben, so daß ich ihm vorschreiben kann, was mir beliebt. Er besitzt ein einziges Kind, eine Tochter. Sie ist zwar älter als Alfonzo, aber sie ist schön, unermeßlich reich und von einem höheren Grad als die Rodrigandas. Alfonzo hat sie gesehen und schwärmt für sie. Ich hoffe, daß es meinem Einfluß auf den Herzog gelingt, diese glanzvolle Verbindung zustande zu bringen, und werde Dir, sobald ein Resultat erzielt ist, das Weitere mitteilen.

Dein Bruder
Gasparino Cortejo.«

 

Während der letzten Hälfte des Briefes hatte Josefa sich entfärbt. Sie war blaß geworden, und als sie jetzt zu Ende war, knirschte sie wild die Zähne zusammen, ballte das Papier zu einem Knäuel, warf diesen auf den Boden und stampfte mit dem Fuß darauf.

»So wie diesem Papier soll es ihnen gehen, wenn Alfonzo nicht Wort hält!« rief sie voller Wut. »Ich zertrete, ich zermalme sie!«

Sie bildete in ihrem Grimm einen Anblick, der nichts weniger als schön genannt werden konnte. Ihr Vater legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter.

»Nur ruhig, noch ist es nicht soweit!« sagte er.

Josefa warf den Kopf stolz in den Nacken und antwortete:

»Ja, noch ist's nicht soweit, und es soll auch nie soweit kommen! Aber schon, daß sie einen solchen Gedanken hegen können, das ist ein schmählicher Verrat an mir!« – »Auch das nicht!« – »Wieso? Willst du sie etwa in Schutz nehmen?« – »Den Bruder ja, nicht aber Alfonzo. Gasparino wird gar nichts davon wissen, daß Alfonzo uns sein Wort gegeben hat, gegen ihn also darf sich dein Zorn nicht richten.« – »Aber desto mehr gegen den Treulosen. Ich gebe ihn nicht los. Er ist mein, er ist mein Eigentum, und keine andere soll ihn haben. Ich will Gräfin von Rodriganda werden, und was ich will, das weiß ich auch durchzusetzen, mit allen Mitteln, verstehst du?«

Sie stand wie eine Furie vor dem Vater. Dieser aber erwiderte in möglichster Ruhe:

»Ich werde Gasparino schreiben.« – »Ja, schreibe ihm, und verlange sofortige Antwort.« – »Und wenn er nein sagt?« – »Dann ist er verloren, das schwöre ich dir!« – »Josefa, er ist mein Bruder!« – »Eben deshalb sollte er desto eher auf unseren Willen eingehen, und desto strafbarer ist es, wenn er es nicht tut. Du weißt, daß ich das Testament in der Hand habe.« – »Du wirst es nicht gegen ihn gebrauchen!«

Sie stieß ein höhnisches Lachen aus, trat frech auf den Vater zu und sagte:

»Wie kommst du mir vor? Dein Bruder hat einen Sohn, und du hast eine Tochter. Wir alle sind Diebe, Betrüger, ja, auch Mörder geworden, um Rodriganda zu erlangen. Soll es sein Sohn allein besitzen, soll deine Tochter leer ausgehen? Nein, es gehört ihm und mir. Wenn er Graf wird, so werde ich Gräfin, das ist die einzig richtige Lösung der Frage, und davon gehe ich nicht ab.«

Cortejo hielt es für geraten, einzulenken.

»Ich gebe dir ja recht«, sagte er, »nur halte ich es hier nicht für am Platz, dich unnötig zu ereifern. Wir haben ja genug Veranlassung, zunächst an das Nähere zu denken.« – »So? Und was ist denn wohl jetzt das Nähere?« fragte sie erbost. – »Ich meine dieser Doktor Sternau.« – »Ach so«, sagte Josefa, nun endlich an den ersten Teil des Briefes denkend. »Ja, was sagst du dazu? Also dieser Mensch hat Deutschland verlassen, um den Kapitän Landola zu finden? Pah, ein Arzt, eine Landratte! Macht euch nicht lächerlich!« – »Beurteile die Deutschen nicht falsch. Sie haben harte Köpfe. Sie sind lange Zeit still und geduldig, aber wenn sie einmal einen Entschluß gefaßt haben, so führen sie ihn auch aus.« – »Und du meinst, daß der Sternau, der sich jetzt hier befindet, und jener Sternau ein und dieselbe Person seien?« – »Ich halte es für möglich.« – »So muß man dies untersuchen.« – »Aber wie? Man kann doch nicht bei Lord Lindsay anfragen!« – »Nein«, lachte sie. »Laß mich machen! Ich werde dafür sorgen, daß wir eine Einladung bekommen und ihn sehen.« – »Ist er dir beschrieben worden?« – »Ja.« – »Nun?« – »Er ist ungewöhnlich hoch und stark gebaut, ein Riese unter allen übrigen.« – »Er ist es. Gasparino schrieb uns ja, daß er ein wahrer Goliath sei.« – »Das beweist noch nichts. Sie können Brüder oder sonstige Verwandte sein. Ich habe gehört, daß es in diesen nördlichen Gegenden viele Menschen geben soll, die zum Geschlecht der Riesen gerechnet werden könnten. Es bleibt dabei, ich besorge uns eine Einladung, und das übrige wird sich finden.«

Sternau war auf ein solches Zusammentreffen gefaßt. Er konnte sich denken, daß er dem Namen nach Pablo Cortejo bekannt sei, er wußte, daß er der Gegenstand der Unterhaltung sei und daß auch Cortejo von ihm hören werde, und so war das Verlangen des letzteren, ihn zu sehen, ja vorauszusetzen.

So erwartete er bei jedem Besuch, den er machte, Cortejo zu treffen. Er hatte sich erkundigt und erfahren, daß Cortejo als Vertreter des Grafen Rodriganda auch in höheren Kreisen angenommen werde. Sich ausfragen zu lassen, war seine Absicht nicht.


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