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Der Spaziergang.

Einer neuen Dichterschule gewidmet.


Motto: Der Menschheit Würde ist
in eure Hand gegeben ...

( Schiller, Künstler.)

Fröhlich entstieg der Sonntagsmorgen dem rauschenden Rheine,
Thaufrisch glänzend und weckend in Wald und Flur das Gezwitscher
Fröhlicher Vögel, die kurz nur der nächtlichen Ruhe gepflogen.
Träumend wandelt' ich längs des alten heiligen Stromes
Hin durch den Wald, vom würzigen Athem des Wassers erfrischet,
Sinnend, daß einstmals an solchem Morgen ein Dichter gegangen
Aehnlichen Weg und daß sich entwunden der wogenden Seele

Klingend ein jubelnder Sang zu des Rheines begeistertem Lobe.
Aller der Dichter auch dacht' ich, die aus dem Strome getrunken
Glüh'nde Begeisterung, ihn im politischen Rausche besungen.
Und ich spann den Gedanken (mich hatte mein Liebchen erzürnet)
Daß der heilige Strom, obschon vom Geschlechte er männlich,
Mehr fast als Beatrice und Laura besungen war worden.
Auch des Poeten dacht' ich, der nicht nur verehrte des Rheines
Herrliche Pracht und seine Bedeutung für mächtige Völker –
Der auch verehrte der Ufer goldnes Gewächs, den Rheinwein,
Ach! zu feurig es liebte und den dann die Liebe verzehrte,
Wie so manchen herrlichen Dichter die Liebe der Frauen.
Höher am Himmel thronte die Sonne. Als glänzende Perlen

Hingen die Thränen der Nacht noch von leise erschauernden Sträuchern
Und es dampfte vom Wasser in röthlichem Schimmer. Mich dünkte
Vor mir zu sehen das Bild eines niederländischen Meisters.
Zwischen des Buchwald's mächtigen Stämmen schritt ich mit Andacht.
Plötzlich die Schritte nun hielt ich, kaum traut ich den Augen,
Denn mich hätte der prächtigste Anblick beinahe verwirret;
Schlafend auf schwellendem Moose, lag vor mir die schönste der Frauen,
Lehnend ihr Haupt, auf die Rechte gestützt, an die mächtigste Buche.
War es die griechische Muse, erwacht aus olympischer Erstarrung,
Kunde zu holen, ob endlich das Reich der Schönheit erstanden,
Wie im Kyffhäuser Rothbart harrte des einigen Deutschland?
(Kürzlich waren ja griechische Musen durch Deutschland gewandelt!)

Leichtlich mocht' ich es glauben, des Kopfes herrliche Bildung
Zeigte griechisches Gleichmaß, wie von einer erstandenen Statue
Waren die Glieder. Doch hatte das flüchtige Schau'n mich getäuschet.
Zierte sie doch das prächtigste Blondhaar und im Gesichte
Saß recht kecklich ein deutsches, doch zierlich und reizendes Näschen.
Lange stand ich bewundernd und schaute die herrlichen Formen.
Mich ergriff die Begierde, das seltene Weib zu erwerben.
Nicht unmöglich erschien es, denn einem bettelnden Weibe
Mehr glich die Schlafende, als einer Göttin. Von köstlicher Seide
War das Gewand, nur lose die herrlichen Formen verhüllend.
Jetzt doch war es zerrissen und zeigte häßliche Flecken,
Gleich als wäre durch Pfützen das Weib noch kürzlich gewandelt.

Aber es mieden die Augen die Flecken und schauten die Formen.
Wieder durchzuckt mich die Ahnung, als säh' ich ein göttliches Wesen.
Und es ward mir zum Tempel der Wald, zu korinthischen Säulen
Wurden die Stämme der mächtigen Buchen – ich glaubt' mich in Hellas.
Jetzt die Treppe des Tempels hinan begann ich zu steigen –
Aber es knackte mißtönig, ich hatt' ein Reislein zertreten.
Und es erwachten das Weib und ich im germanischen Buchwald.
Nie wie die Augen so blau, aus unergründlicher Tiefe
Blicket ein Waldsee. Es weckte der Anblick der Augen mir Sehnsucht:
Große nordische Märchen d'rin ruhten und Träume des Waldsee's.
Und aus der dämmernden Ahnung jetzt brach sich freudige Klarheit:
»Deutsche Muse!« so rief ich entzückt und sank auf die Knie.

Langsam richtet' das Weib sich jetzt auf und sprach, mich betrachtend:
»Deutsche Muse? Ich bin es! Wer bist Du, daß vor mir Du kniest?
Lange vermiß ich die Huldigung. Deine erglänzenden Augen
Sagen, Du seiest der wenigen einer, denen ich traue.
Ach! So bin ich besudelt, daß vorhin, ich merkt' es im Traum,
Du für ein irdisches Weib mich hieltest und meiner begehrtest.
Immer sind Flüchtende arm und werden gefahrlos beleidigt.«
»Flüchtig!« so rief ich erschrocken, »die Muse vertrieben aus Deutschland?
Kürzlich doch wurdest mit Pauken (es mußten die Harfen verstummen)
Du als Herrscherin laut verkündigt und höchlichst gepriesen.«
»Alle die Schreier mich haben mißhandelt, das Kleid mir besudelt,
Mir die herrliche, deutsche Heimat für lange verleidet.«

»Gönne doch mir, Dich zu schützen in Deutschland!« so rief ich mit Pathos:
»Dürft' ich Dir dienen, o Göttin, wie vormals die Ritter den Frauen!«
» Du mich beschützen!« so rief mit ungläubigem Lächeln die Göttin.
»Mir zu helfen, besitzen nur größere Künstler die Kräfte.«
Mich zu beschwichtigen, sprach, da den Kopf ich gesenket, die Göttin:
»Nimmer will ich Dich kränken, ich lieb' Dich wie alle die Jünger,
Die mich begeistert verehren. Doch darf auf sie ich nicht bauen.
Dilettanten vermögen nicht kräftig mich zu beschützen.
Nicht beklage mein Schicksal! Ich bin nicht gänzlich verlassen
Und es trennet der Strom mich nur von der schönem Heimat.
Längst schon begehrt' ich zu wandern, zu schauen die heilige Stätte,
Wo mein Klopstock einst wandelt' und sang, an den Ufern des Sees,
Welchen die Götter geschmücket.« Sie wies auf die schneeigen Gipfel:
»Dort ist mein Tempel, dort wohnet die Schönheit und auch die Freiheit!
Später doch geh' ich zur ernsteren Schwester in größerer Ferne,
Jetzt zu den lieblichen Ufern, die herrlich mein Sänger besungen!
Dort zu besuchen gedenk' ich den Jünger, welcher mir lebet
Einsam im Stübchen und mächtig ist, mich vor Beschimpfung zu schützen.
Gerne erlaub' ich den Dienst ihm, dem herrlichen,
redlichen Sänger.
Immer nur schaut er auf mich, nicht nach dem Beifall der Menge.
Gottfried Keller, ich nenne Dich einen der treuesten Jünger!
Ja, Helvetien, du trotzigstes meiner rauheren Kinder,
Mehr sonst dienend der Schwester, der ernsten auf eisigem Throne,
Bist mir das treuste der Kinder, zur zweiten Heimat geworden!

Denn ein anderer Sänger noch dient mir an jenen Gestaden.
Liebt er auch mehr als mich die verstorbene, ältere Schwester,
Welche im andern Geiste gewandelt auf schöneren Fluren –
Bin auch ich in der Schwester geehrt und werde ihm danken.
Konrad Ferdinand Meyer, ich grüß Dich als Sänger des Hutten!
Dann (hier sank ihr die Stimme zum Flüstern) gedenk' zu besuchen
Ich das Grab des edelsten Sängers, der je mir gedienet,
Der mich zu glühend geliebt und ach! an der Liebe gestorben.
Ob mir Helvetien sein Grab hat gehütet, gedenk' ich zu schauen.
Wenn die Abendröthe verglommen, und milde am Himmel
Luna erschienen, die Nacht die Thränen geweint auf die Gräber,
Soll im Gebüsche die Nachtigall singen ihm schluchzende Lieder,
Und auf den Hügel hinsinkend dann weih' ich ihmköstliche Thränen.«

Mächtig erschüttert' der Schmerz jetzt die Göttin: »Mein Sänger gestorben!
Leuthold, Du großer, knorriger Mann mit der kindlichen Seele,
Mit der Nachtigall schmelzendstem Tone, mein herrlicher Jünger!
Wie entbrennte der Zorn der schönheitsdurstigen Seele,
Sähest gequält und mißhandelt die Göttin, die glühend Du liebtest,
Von den lüsternen Herrchen, die eine der käuflichen Dirnen
Mich im Rausche gehalten und frech mich nöthigen wollten,
So daß eckelnd, mit trauernder Seele ich floh aus der Heimat,
Wo ich gelassen in Trauer so viele der treuesten Freunde.«
Stürmisch wogte der Busen der Göttin, es blitzten die Augen.
Endlich beruhigt sie sich: »Es steiget die Sonne am Himmel,
Will ich heute noch klagen am Grabe des Todten mein Leiden,
Muß ich mich eilen.« Es war die Göttin mir plötzlich entschwunden.
Lange zur Stelle noch bannt' mich ihr Zauber, mir wogte die Seele,
Und ich sah mit dem Auge des Geistes die herrliche Heimat,
Blühend im Frieden. Vom Rheine und Jura bis hin zu den Alpen
Emsiges Regen der Kräfte und edles Streiten der Geister. –
Weit im Osten noch flammte das Frühroth und schien mir das Zeichen,
Daß die Weihe der Heimat zum Tempel der Schönheit begonnen.


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