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Der Gerichtstag.

Gedichtet, als man 1887 den Ausbruch eines furchtbaren Krieges für unmittelbar bevorstehend glaubte. Immer noch starrt die Welt in Waffen und die Situation der Völker ist noch der Art, daß diese Dichtung nicht gegenstandslos geworden ist.

Erdenschatten im himmlischen Spektrum.


Peinlich stille war's im Himmel,
Und es schlichen gespenstische Schatten
Tödtlicher Langweil durch die Räume,
Kitzelnd die Sel'gen, daß mancher aufthat
Weit den Mund zu entsetzlichem Gähnen.
Wahr ist's, es reizt auch die Sel'gen noch öfters
Irdische Sehnsucht und Lust nach dem Neuen,
Und es verdrießet am Ende das Wandeln,
Dieses erhabene Wandeln zu Zweien,
Und die erhabenen, gleichen Gespräche
Ueber die Tugend, und stetes Trauern
Ueber der sündigen Menschheit Verderben.

Dann auch schallte vom Ort der Verdammten
Ueber den Abgrund seit etlichen Tagen
Wilder Gesang oft und schmetternd' Gelächter,
Beelzebubs Schaaren hielten jetzt wieder
Lärmende Fastnacht in selt'ner Verkleidung,
Und ihr Lachen erstickte selbst jenes
Heulen, Gestöhn und Geächz der Verdammten,
Das sonst Seliger Ohren erfreut.
Diese befiel drob empfindlicher Mangel,
Wie ihn der Sterbliche fühlet, wenn einstellt
Plötzlich die Uhr in der Stube ihr Ticktack,
Das zur Gewohnheit dem Ohre geworden.

Denn es dient das Geheul der Gequälten
Oft den Sel'gen zu großer Erbauung,
Gleichsam zur Würze der eigenen Tugend,
Die sie gerettet in irdischer Drangsal.

Da nun verstummt war der Seligen Loblied
Aus dem zuckenden Mund der Verworf'nen,
Minderte sich die selbstgefällige
Freud' und es dünkte sie öde der Himmel.

Manches der Englein, der leicht noch verirrten,
Die erst vor kurzem dies Glücksziel errungen,
Ward von dem Lachen der Teufel beinahe
Schwankend in Tugend und irdisch gesinnt.
Und es führte vom Rande des Abgrunds
Viele der Engelmentor zur Seite,
Streng sie ermahnend mit ernstem Gespräch.

Denn so laut und unbändig erschallte
Manchmal der Teufelchen Fastnachtgelächter,
Daß selbst Beelzebub, der doch dem Heere
Gerne die seltene Freude sonst gönnet,
Ernstlich bedachte, ob es nicht Zeit wär',
Schnell jetzt der Festlichkeit Schluß zu verkünden,
Denn es war ihm zu fröhlich das Völklein,
Schien ihm zu locker zu werden im Festbraus.

Ja, auch verweichlicht und mit den Verdammten
Streng zu verfahren unfähig, selbst menschlich.
Doch ihn beruhigte wieder der Anblick,
Daß auch im Jubel nicht pflichtvergessen
Waren die Diener. Der brennende Klagruf,
Schallt' er vereinigt, erhöhte die Freude,
Regte sie auf zu noch laut'rem Gelächter.
Jetzt gar umtanzten sie jauchzend den Neuling,
Der in den Qualen am lautesten aufschrie.

Lächelnd vom Throne der Höllenfürst schaute
Auf das Gewimmel. In gütiger Laune
Richtet' er manchmal scherzende Worte
An Mephistopheles, der wie ein Schatten
Um ihn herumstrich, erzürnt ob des Herrschers
Heiterem Wesen beim Leichtsinn des Volkes.
Da nun der Herrscher ihn auch noch ermahnte,
Fröhlich zu sein und das Tanzbein zu schwingen
Wie es das Volk that, versetzt' er unwillig:

Könnt' ich doch tanzen, den Schmerz zu betäuben,
Den mir des Volkes Verderben bereitet!
Tugend und Ernst sind der Hölle entschwunden,
Unseres Reiches errungene Herrschaft
Siehet ihr Ende bald nahe, so fürcht' ich.
Ihm mit Bedeutung entgegnet der Fürst jetzt,
Legend ihm traulich die Hand auf die Schulter:
Glaub mir, Getreuer, umsonst nicht heiter
Bin ich gestimmt, und gnädig dem Volke:
Wird unser Reich sich doch mächtig erweitern.
Unser wird bald die Erde, es höret
Auf dann der Kampf mit dem Herrscher des Himmels.
Neu und fester dann ordnen das Reich wir.

Dann kann würdig ich lohnen den Treuen,
Und den Getreuesten kenn' ich gar wohl.
Längst schon erwart' ich das Zeichen vom Himmel,
Das mir der Alte nur zögert zu geben,
Weil ich jetzt rechtlich mein Reich mir kann fordern.
Diese Rede des Fürsten der Hölle
Freute den Kanzler des Reiches der Nacht.
Aber der Herrscher des Himmels saß traurig,
Tief im Ernste versunken, der Genien,
Die ihn trübe umstanden, nicht achtend.
Schwerer Entschluß durchfurchte das würdige
Antlitz, das tiefer Kummer beschattet.
Jetzt auf die Lehne des Throns schlug nieder
Mächtig die Hand, und es schallte der Donner
Bis in des Himmels entfernteste Räume,
Nirgends sich brechend, unheimlich ergrollend.

Und es hielten die Seligen ein im
Ruhigen Wandel und horchten erstaunend,
Schauten dann scheu zu dem Thron und bangten.

Hin zur Hölle auch schallte der Donner,
Bracht' in Verwirrung die scheckichten Schaaren,
Goß in das Feuer der Fröhlichkeit Wasser,
Weckte den Grimm der zur Unzeit Gestörten,
Wußten sie doch, daß nicht lang war zu säumen.
Wirr durcheinander stürzten nun alle,
Schafften noch größeres Gedräng in der Eile,
Stießen sich gar an die Köpfe, daß fluchend
Sie die bemaleten Nasen sich rieben.
Mancher Teufel versucht' noch in Eile
Von sich zu werfen die närrische Kleidung,
Um mit Würde vor Gott zu erscheinen.
Aber nicht war es jetzt Zeit, denn mächtig
Schallte Beelzebubs Stimme, sie sollten
Jetzt sich sputen, nicht liebe der Vater,
Auf die Versammlung so lange zu warten.
Und in seltenem Aufzug hinüber
Sprang, was um Beelzebubs Szepter sich scharrt.

Schon zur Rechten des Thrones versammelt
Standen die Engel und links von dem Vater
Stellte der Fürst sich der Hölle und nach ihm
Mephistopheles, dann, nach dem Range,
Alle die Teufel in halbem Bogen.
Und es berührten beinah' sich der Bogen
Enden der beiden verfeindeten Völker.
Bald verstummt war der Lärm, der entstanden,
Als die Teufel sich stellten zur Ordnung,
Und es herrschte nun heilige Stille.

Ei, wie beschauten verwundert die Engel
Jetzt die bunte Verkleidung der Teufel!
Und es reizte die selt'ne Gewandung
Selbst der Seligen Lippen zum Lächeln.

Manches der jungen, noch schwankenden Englein
Schlich sich hinweg bis ans Ende des Bogens,
Wo sich die Völker beinahe berührten,
Um den Aufzug recht nah zu beseh'n.

Mit Befremden auch schauten die Teufel
Hin zu der lieblichen Schaar, die nächst dem
Vater sich zeigte: die Genien, der Menschheit
Oberste Engel. Aber nicht lag jetzt
Auf dem Antlitz die ruhige Schönheit
Und im Blick die unendliche Liebe –
Unermessenes Weh durchdrang sie.
Fast die Teufel zum Mitleid bewegend,
Boten sie alle gar schmerzlichen Anblick.

Nahe dem Vater, gestützt auf die Lehne,
Stand Mephistopheles' Feind, der am meisten
Ihm war verhaßt: der Engel des Friedens.
Fast geknickt war die edle Gestalt.
Auf dem Gesichte, vom Grame durchfurchet,
Zuckte tödtliches Weh, es glänzte
Von verhaltenen Thränen sein Auge.
Ja, fast schien es zu brechen und blickte
Wie das Auge des Rehs, das, vom Jäger
Grausam verwundet, tödtliche Angst quält.
Oftmals ruhte das Auge des Vaters
Zärtlich mit bangender Sorg' auf dem Liebling.
Seltsam den Teufeln schien's, sie begannen
Lästernd zu flüstern. Ein donnernder Schlag doch
Stellte der Höhnenden Rauschen auf einmal.
Lang und mit Würde erhob sich der Vater,
Und so sprach er zum Fürsten der Hölle:

»Heut ist Gerichtstag wie Du verlangtest.
Künd' Dein Begehren. Was willst Du?« »Mein Recht!«
»Wenn es begründet, wird es Dir werden.
Was ist Dein Recht?« »Mein Recht sind die Menschen.«
»Sage, wie viele!« »Alle,« (es schallte
Mächtig jetzt Beelzebubs Stimme) »Alle,
Alle verlang ich, denn alle sind mein!«
Und ein Weh durchzuckte die Sel'gen.
Aber es staunten die Teufel voll Freude.
Doch es versetzte mit Ruhe der Vater:
»Eh' Du es forderst, beweise Dein Recht!«

»Wenn einst, so sprachst Du, als Frieden wir schlossen,
Wenn einst die Fackel, die als ein Führer
Ich in die Hand gab der Menschheit, verlöschet,
Wenn das Geschlecht, geweihet dem Licht, sich
Wendet vom Licht und in Nacht zurücksinkt,
Magst dann als Höllenraub Du es Dir nehmen.
Da ist die Zeit und die Fackel erloschen,
Siehe, der Genius hält sie gesenkt!
Sieh auch die Engel, die Du der Menschheit
Setztest zu Schützern! Wie sie gequält sind
Von dem Geschlechte, gehetzt und verletzet!
Mephistopheles mag es genauer
Dir berichten, er kehrt von der Erde.«
Vor trat Mephistopheles, tückisch
Blickend und also, hohnvoll, begann er:

»Wenn den Vertrag Du willst halten, o Vater,
Mußt Du dem Fürsten die Erde jetzt liefern.
Reif für die Hölle ist endlich die Menschheit,
Diese Frucht, die nur langsam allmälig
Unserer Ernte entgegengereift.

Denn ein zähes Geschlecht sind die Menschen.
Haben klüglich das Fünklein Lichtes,
Das als Vernunft Du ihnen gegeben,
Ziemlich lang im Brennen erhalten,
Ja, es vergrößert, versucht zu ringen
Selbst mit Deiner erhabenen Größe.
Haben die Erde erobert und haben
Als ein starkes Geschlecht sie beherrscht.
Mir zum Verdruß auch haben gestrebt sie,
Aehnlich zu werden in Liebe und Tugend
Dir, und sie hatten als Ziel sich gesetzt
Frieden der Völker, und jegliches Menschen
Ruhiges Glück, genossen mit Bildung.
Glücklich hat alles sich doch noch gewendet.
Sicher zur Hölle jetzt eilt das Geschlecht.
Blutig entbrannte der Kampf unter ihnen,
Schwelgten die einen, so darbten die andern,
Und die darbten, in sinnloser Wuth
Morden verzweifelnd sie alle die Glücklichern.
Sieh dort, sieh, wie die Menschlichkeit blutet!
Jüngst noch gaben in Knechtschaft die Mächt'gen
Hin ein Volk, das zur Freiheit sich wandte,
Haben ihm fester die Fesseln geschmiedet.

Sieh, die Gerechtigkeit hat sich verschleiert!
Der mit Stolz Dein Diener heißet,
Aber in Wahrheit uns nur stützet,
Auch sein Reich beginnt er zu weiten, –
Unser Reich, das Du Finsterniß nennest.
Breitet er aus zum Hohne der Bildung.
Ha! Wie der Engel des Lichtes verzweifelt!

»Sieh, wie der Engel des Friedens geknickt ist!
Denn es stehen die Völker im Sprunge,
Aufeinander mit Wuth sich zu stürzen.
Und sie werden wie Tiger sich morden,
Millionen sich morden, besser
Als ich's vermag mit Hunger und Elend.
Alles das Licht, das Du ihnen gespendet,
Wurde verwendet zu Waffen der Mordlust –
Schreckliche Waffen, die zu erfinden
Nicht wir gütigen Teufel im Stand sind.
Hei! Wie die Ernte sie uns bereiten,
Wie wir's nimmer zu hoffen gewagt!
Ah, wie der Engel des Friedens laut weinet!

»Siehe, so weit hat Dein Licht sie geführt, nach
Tausend und tausend Jahren des Strebens!
Uns gehören gewiß sie mit Recht jetzt.«
Also der Kanzler. Und wild begehrend
Rief jetzt Beelzebub und heischte:

»Gib mir das Recht, das nun ich erlanget!
Heute noch send' ich die Teufel zur Ernte,
Um mit Feuer und Schwefel den Weltbrand
Anzulegen, zu tilgen die Menschheit;
Nicht bis die Erde zertrümmert und jeglicher
Mensch ist zerschmettert, werde ich ruhen.«
Rasender Schmerz durchzuckte die Engel,
Und der Genius des Friedens, bebend,
Sank in die Knie. Aber es jauchzten
Freuden- und Siegesgeheul die Teufel.
Dann in drückender Stille die Augen
Aller sich wandten erwartend zum Vater.
Und der Engel, mit sterbendem Blicke,
Schrie unendliches Wehe zu ihm auf.
Endlich erhob sich der Vater, es dröhnte
Weithin der Himmel und bebten die Geister:

»Tückischer Satan, Du hast kein Recht!«
(Wüthend stampften die Teufel). »Du hast kein
Recht, nicht gelinget Dir, mich zu verblenden.
Groß ist, das weiß ich, der Kinder Verirrung.
Aber Du weißt auch, daß oft sie gestrauchelt
Und in Finsterniß sanken, sich hebend
Wieder mit frischerem Streben zum Licht.
Daß auch jetzt sie nicht sanken für immer
In den Abgrund der Sünde, das weißt Du.
Noch besitzen sie herrliche Kräfte.
Ewig wirket der Keim, der geleget
In sie zum Guten. Nachdem sie gestrebt und
Wieder ins Elend gesunken, ersteht ein
Herrlich Geschlecht, ein großes, auf Erden,
Deiner Bosheit für immer enthoben.
Allzu frühe hast Deine Gier Du
Deine gefräßige Tücke verrathen.
Gehe, Du hast mich ernstlich erzürnet!
Meide den Ort mir und gehe sogleich!«

Und von den Seligen löst' in Entzücken
Mächtig ein Schrei sich zum Jubelchor auf.
Aber es stampften im Grimme die Teufel,
Rauschten gewaltig und Beelzebub selbst ward
Wüthend und öffnet' den Mund, um zu sprechen.
Aber er hatte nicht Zeit. Ein Donner
Scheuchte die Teufel hinunter zur Tiefe.
Hurtig zerstoben sie über den Abgrund,
Hielten die närrischen Kleider zusammen,
Daß die kleineren Engelchen lachten.
Beelzebub selbst, der den Zorn des Herrschers
Merkte und fürchtete, rannte in Sprüngen.

Und es weinte der Engel des Friedens,
Als die Erstarrung gewichen, Thränen
Hoher Freude. Gelöst in Entzücken
Sank er dem gütigen Vater zu Füßen,
Schluchzend, das thränende Antlitz schmiegend
Auf des Herrlichen Schooß, und der Vater
Legte mit Rührung auf des Lieblings
Scheitel die Hand und streichelt' ihn zärtlich,
Bis sich der Krampf ihm gelöst und ruhig,
Durch die Thränen erfrischt im Antlitz,
Gleich wie die Flur durch den Thau, zum Vater
Auf der Gequälte blickte mit Lächeln.


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