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Achtundzwanzigstes Kapitel

Nach dem Aufruhr am St. Martins- und dem darauffolgenden Tage schien es, daß der Überfluß wie durch Zauber nach Mailand zurückgekehrt wäre. Die Brotläden waren reichlich versehen, der Preis wie in den fruchtbarsten Jahren; mit dem Mehl fand dasselbe Verhältnis statt. Wer an den beiden Tagen sich damit abgegeben hatte, zu brüllen oder noch etwas mehr zu tun, hatte jetzt – außer einigen wenigen, die eingefangen worden – Ursache, mit sich zufrieden zu sein. Und man glaube nicht, daß sie es dabei bewenden ließen, kaum daß nur der erste Schrecken wegen der Verhaftungen vorüber war. Auf den Plätzen, an den Straßenecken, in den Schenken gab es ein unverhohlenes Jubeln, ein halblautes Sichbeglückwünschen und Sichrühmen, daß man die Art und Weise ausgefunden, wie das Brot wieder wohlfeil zu machen sei. Inmitten jedoch des Übermutes und der Lust war – und wie hätte das nicht sein sollen? – eine Unruhe, eine Ahnung vorhanden, daß die Sache nicht von Dauer sein werde. Man belagerte die Bäcker und Mehlhändler, wie man schon in jenem künstlichen und vergänglichen Überflusse getan, den der erste Tarif Antonio Ferrers hervorgerufen. Wer etwas Geld liegen hatte, setzte es in Brot und Mehl um; in Kisten, Fässern, Fleischkesseln wurden Vorräte aufgehäuft. Indem sie also im Genüsse des gegenwärtigen Vorteils wetteiferten, machten sie, ich sage nicht die lange Dauer desselben unmöglich, denn das war sie schon an sich, sondern auch den augenblicklichen Fortbestand. Und siehe, da gab am 15. November Antonio Ferrer de orden de Su Excelencia eine Verordnung heraus, die einem jeden, der Korn und Mehl zu Hause hätte, untersagte, von dem einen oder anderen, wenn auch noch so wenig, und allen anderen, mehr als den Bedarf für zwei Tage einzukaufen »bei Geld- und Leibesstrafe nach dem Ermessen Sr. Exzellenz«, ließ er den Ältesten – einer Art von öffentlichen Beamten – bekanntmachen und jedermann dazu anhalten, die Übertreter anzugeben; den Richtern anbefehlen, in den Häusern, die ihnen etwa angezeigt würden, Nachsuchungen vorzunehmen; zu gleicher Zeit indessen den Bäckern aufs neue einschärfen, die Läden wohl mit Brot versehen zu halten, »im Übertretungsfalle bei fünf und nach dem Ermessen Sr. Exzellenz mehrjähriger Galeerenstrafe.« Wer sich eine solche Verordnung nun vollzogen denken kann, der muß eine schöne Einbildungskraft haben und, ganz gewiß, wenn alle die zu jener Zeit erscheinenden zur Ausführung gebracht worden wären, so hätte das Herzogtum Mailand wenigstens ebensoviel Leute zur See haben müssen, als jetzt nur Großbritannien haben kann.

Jedenfalls mußte man, wenn man den Bäckern so viel Brot zu backen befahl, auch eines und das andere Gebot erlassen, damit ihnen nicht ausginge, woraus Brot zu backen wäre. Man hatte ausfindig gemacht – gleichwie in Zeiten der Teuerung immer wieder daran gedacht wird, Nahrungsstoffe, die man sonst in anderer Gestalt zu verbrauchen pflegt, in Brot zu verwandeln –, man hatte, sage ich, ausfindig gemacht, unter die Masse des Brotes, das man Mengbrot nannte, Reis zu tun. Unterm 23. November stellte eine Verordnung zur Verfügung des Proviantverwalters und der Zwölfe die Hälfte des Reises in Hülsen, den ein jeder besitze, bei Strafe, daß, wer da irgend ohne Zustimmung der Herren darüber schalte, die Frucht verliere und eine Geldbuße von drei Scudi für den Scheffel zu entrichten habe. Dies ist, wie ein jeder einsieht, nicht mehr als billig.

Aber diesen Reis mußte man bezahlen und zu einem Preise, der dem des Brotes allzuwenig angemessen war. Die Obliegenheit, dies ungeheure Mißverhältnis auszugleichen, kam der Stadt zu; aber der Rat der Decurionen, der sie statt ihrer übernommen hatte, beschloß am selben Tage, dem 23. November, dem Statthalter die Unmöglichkeit vorzustellen, einer solchen Verpflichtung länger zu genügen, und der Statthalter setzte in einer Verordnung vom 7. Dezember den Preis des vorgedachten Reises auf zwölf Lire den Scheffel fest; einem jeden, der einen höheren Preis dafür verlangen, sowie dem der sich etwa weigern würde zu verkaufen, erkannte er den Verlust der Frucht und eine Geldbuße von gleichem Belange, ja »auch noch eine größere Geld- und sogar Leibes- bis zu Galeerenstrafe, nach dem Ermessen Sr. Exzellenz, den Beschaffenheiten des Ortes und der Menschen gemäß« zu.

Der Preis des gereinigten Reises war schon vor der Empörung bestimmt worden; wie denn wahrscheinlicherweise auch der Tarif, oder um den in den neueren Jahrbüchern höchlich berühmten Ausdruck zu gebrauchen, das Maximum des Weizens und der anderen gewöhnlichsten Getreidearten durch andere Verordnungen wird festgestellt gewesen sein, die uns zufällig nicht zu Gesicht gekommen sind.

War nun also in Mailand Brot und Mehl wohlfeil erhalten worden, so folgte daraus, daß von außenher die Leute eilig herbeiströmten, um sich damit zu versorgen. Diesem Übelstande, wie er es nannte, vorzubeugen, verbot Don Gonzalo in einer anderen Verordnung vom 15. Dezember, für mehr als zwanzig Soldi Brot zur Stadt hinauszuschaffen, bei Verlust des Brotes selbst und einer Buße von fünfundzwanzig Scudi und »im Falle der Unfähigkeit, bei Strafe, zweimal öffentlich gewippt zu werden, und auch noch Schlimmeres zu erleiden« – sowie gewöhnlich – »nach dem Ermessen Sr. Exzellenz«. Am 22. des nämlichen Monats – und man sieht nicht ein, weshalb so spät – erließ er einen ähnlichen Befehl in betreff des Mehles und Getreides.

Die Menge hatte den Überfluß mit Plündern und Brennen zuwegebringen wollen; die gesetzliche Macht wollte ihn mit Galeere und Folter aufrechterhalten. Die Mittel waren einander angemessen; was sie aber mit dem Zwecke zu schaffen hatten, sieht der Leser ein, und inwiefern sie in der Tat ihm förderlich waren, soll er augenblicklich sehen. Es ist dann auch leicht einzusehen und nicht unnützlich zu beobachten, wie zwischen jenen seltsamen Vorkehrungen doch ein notwendiger Zusammenhang stattfindet; eine jede war eine unausweichliche Folge der vorhergehenden und alle jener ersten, die für das Brot einen Preis bestimmte, so entfernt von dem, der aus der wirtlichen Lage der Dinge sich ergeben haben würde. Der Menge hat es immer geschienen und immer scheinen müssen, daß eine solche Vorkehrung, je mehr sie der Billigkeit gemäß, desto einfacher und leichter in Ausführung zu bringen sei: es ist darum etwas Natürliches, daß sie in den Drangsalen und in dem Leidwesen der Teuerung sie ersehnt, erfleht und, wenn sie kann, auferlegt. In dem Maße alsdann die Folgen ausbrechen, müssen diejenigen, die es angeht, einer jeden von diesen mit einem Gesetze Einhalt tun, das den Menschen untersagt, das zu tun, wozu sie von dem vorhergehenden ermuntert wurden. Man gestatte uns hier im Vorbeigehen auf ein seltenes Zusammentreffen hinzudeuten. In einem Lande und zu einer Zeit, die uns nicht fern, zu der geräuschvollsten und beachtenswertesten Zeit der neueren Geschichte, fanden unter ähnlichen Umständen ähnliche Vorkehrungen statt – die nämlichen, könnte man fast sagen, im wesentlichen, nur mit dem Unterschiede des Maßstabes, und ziemlich in der nämlichen Reihenfolge –, sie fanden trotz der so veränderten Zeiten und der Einsichten statt, die sich über Europa und in jenem Lande vielleicht mehr als anderwärts verbreitet haben, und dies ganz besonders darum, weil die große Volksmasse, in die jene Einsichten noch nicht eingedrungen waren, ihre Meinung auf lange geltend machen und, wie man sich dort ausdrückte, denen, die das Gesetz gaben, die Hand führen konnte.

Also, um wieder auf uns zu kommen, hatte der Aufstand, wenn man die Rechnung macht, zwei Hauptfrüchte getragen: Verwüstung und wirklicher Verlust an Lebensmitteln während der Empörung selbst; reichlicher, übermäßiger, und sozusagen übermütiger Verbrauch, solange der Tarif bestand, und Verringerung der spärlichen Kornvorräte, die doch bis zu der neuen Ernte ausreichen mußten. Zu diesen allgemeinen Wirkungen füge man die Verurteilung von vier Einwohnern, die als Häupter der Empörung aufgehängt wurden, zwei vor dem Krückenofen, zwei an dem Eingange der Straße, wo das Haus des Proviantverwalters stand.

Übrigens sind die geschichtlichen Berichte jener Zeit nur so gelegentlich niedergeschrieben, daß darunter nicht einmal die Nachricht vorkommt, wie und wann der Zwangstarif aufgehört habe. Wenn es, in Ermangelung bestimmter Nachrichten, erlaubt ist, Vermutungen zu äußern, so sind wir geneigt zu glauben, daß er kurze Zeit vor, oder kurze Zeit nach dem 24. Dezember, der der Tag jener Hinrichtung war, aufgehoben worden. Und was die Verordnungen betrifft, so finden wir nach der letzten, die wir vom 22. des, selben Monats angeführt haben, keine über die Kornvorräte weiter vor; sie mögen sich nun verloren haben oder unseren Nachforschungen entgangen sein; oder es mag endlich sein, daß die von der Unwirksamkeit ihrer Auskunftmittel entmutigte, wo nicht belehrte und von den Ereignissen übermannte öffentliche Gewalt diese ihren Lauf habe nehmen lassen.

Wir finden gleichwohl in den Angaben mehr als eines Geschichtsschreibers – geneigter wie sie waren, große Begebenheiten zu schildern als die Ursachen und den Verlauf anzugeben – das Gemälde des Landes und insbesondere der Stadt in dem vorgeschrittenen Winter und dem Frühlinge, wo die Ursache des Übels, das heißt das Mißverhältnis zwischen den Vorräten und dem Bedarfe, von den Hilfsmitteln, die seine Wirkungen nur eine Weile aufschoben, eher verstärkt als gehoben worden, und ihr auch nicht etwa durch eine hinlängliche Einfuhr auswärtiger Feldfrüchte abgeholfen war. Dieser standen die Unzulänglichkeit der öffentlichen und Privatmittel, die Teuerung in den angrenzenden Ländern, die Geringfügigkeit, die Trägheit und die Fesseln des Handels und die Gesetze selbst entgegen, die dahin zielten, eine gewaltsame Wohlfeilheit hervorzubringen und aufrechtzuerhalten: es war also die wahre Ursache der Teuerung, oder besser zu sagen, die Teuerung selbst uneingeschränkt und mit aller ihrer Kraft wirksam. Hier ist die Kopie jenes trübseligen Gemäldes.

Bei jedem Schritte geschlossene Läden, die Werkstätten großenteils leer, die Straßen ein unsäglicher Anblick, ein unaufhörlicher Korso des Elends, eine bleibende Stätte des Kummers. Die Bettler von altersher in der neuen Menge verwirrt und verloren, notgedrungen, das Almosen zuweilen denen streitig zu machen, von denen sie es in anderen Tagen empfangen hatten. Lehrburschen und Ladendiener, von den Krämern und Kaufleuten fortgeschickt, die, nachdem ihr täglicher Verdienst nachgelassen oder gänzlich aufgehört hatte, kümmerlich vom Kassenbestand und Kapital lebten; Krämer und Kaufleute selbst, die durch das Stocken der Geschäfte bankerott geworden und zugrundegegangen waren; Künstler und Handwerker jeder Art, der geringsten wie der kunstvollsten, der zum Leben unentbehrlichsten wie entbehrlichsten, von Tür zu Tür, von Straße zu Straße sich herumtreibend, in die Ecken gedrückt, auf die Quadern längs der Häuser und Kirchen hingestreckt, kläglich baten sie um Almosen oder schwankten zwischen der Notdurft und einer noch nicht überwundenen Scham, abgefallen, entkräftet, vor Hunger und Frost in den abgetragenen, leichten Kleidern schauernd, die aber bei vielen noch die Spur eines ehemaligen Wohlstandes an sich trugen, gleichwie in dem Müßiggange und der Erniedrigung noch gewisse Anzeichen eines unbefangenen und tätigen Wesens sich kundgaben. Unter den bejammernswertesten Schwarm mischten sich, als kein keiner Teil desselben, entlassene Bediente, deren Herren damals aus dem bemittelten Stande in Dürftigkeit versunken, oder auch, nachdem sie reich und groß gewesen, in einem solchen Jahre unfähig geworden waren, den hergebrachten Pomp ihres Gefolges beizubehalten. Endlich kam gewissermaßen auf einen jeden dieser verschiedenen Notleidenden eine Anzahl anderer, die gewohnt waren, von ihrem Verdienste zu leben. Söhne, Weiber, alte Eltern, ihre ehemaligen Erhalter umgebend oder anderwärts auf die Bettelei verstreut.

Es gab ferner, und sie unterschieden sich an den zerzausten Schöpfen, an den Fetzen prunkvoller Kleidungen, oder auch an einem gewissen Etwas in Haltung und Gebärden, an dem Gepräge, das die Gewohnheiten desto tiefer und deutlicher den Gesichtszügen eindrücken, je absonderlicher sie sind, viele von der bösen Brut der Bravi, die, nachdem der allgemeine Zustand sie um ihr ruchloses Brot gebracht, die Barmherzigkeit um solches ansprachen. Vom Hunger gezähmt, nur im flehentlichen Bitten mit anderen wetteifernd, kleinlaut zusammengeduckt, schleppen sie sich in der Stadt einher, die sie so lange mit erhobenem Haupte, mit wilden, verdächtigen Blicken, in prächtiger, abenteuerlicher Livree, mit reichen Waffen ausgerüstet, mit Federn bedeckt, ausgeschmückt, Wohlgerüche duftend durchschritten waren, und streckten demütig die Hand aus, die sie so vielmal unverschämterweise erhoben hatten, um zu drohen oder treuloserweise um zu verwunden.

Das dichteste, schmutzigste, häßlichste Gewimmel aber bestand aus Landleuten, einzelnen, paarweisen, ganzen Familien; Ehemännern, Ehefrauen, mit kleinen Kindern auf den Armen oder auf den Rücken gebündelt, größere Kinder an der Hand führend, mit Greisen hinterdrein. Einige, deren Häuser von einquartierten oder durchmarschierenden Soldaten verwüstet und geplündert worden, waren verzweiflungsvoll daraus geflüchtet, und darunter gab es welche, die, zu stärkerer Erregung des Mitleids und zugleich als eine Auszeichnung des Elends, die braunen und blauen Flecke und Schmarren der Streiche zeigten, die sie erhalten, indem sie ihre geringe letzte Habe verteidigten oder noch gar einer blinden und rohen Zügellosigkeit entrannen. Andere, die mit dieser besonderen Plage verschont geblieben aber von jenen beiden vertrieben waren, von denen kein Winkel frei war, der Unfruchtbarkeit und den Steuern, die übermäßiger als jemals auferlegt waren, um dasjenige damit zu bestreiten, was man die Bedürfnisse des Krieges nannte, waren zur Stadt gekommen und kamen dorthin, wie zu dem alten Sitze und der letzten Zufluchtstätte des Reichtums und der frommen Mildtätigkeit. Man konnte die frisch Angekommenen mehr noch als an dem ungewissen Schritte und der Neuheit in ihrem Wesen, an der Miene unwilligen Erstaunens unterscheiden, einen solchen Haufen, einen solchen Überfluß, eine solche Nebenbuhlerschaft von Elend an dem Ziele zu finden, wo sie gewähnt hatten, als außerordentliche Gegenstände des Mitleids zu erscheinen und die Blicke und milden Gaben sich zuzuwenden.

Die anderen, die seit längerer oder kürzerer Zeit sich auf den Straßen der Stadt umhertrieben und da wohnten, indem sie ihr Leben mit den Beisteuern fristeten, die ihnen wie durch ein Glückslos in einem solchen Mißverhältnisse zwischen Hilfe und Not zugefallen oder erteilt worden wären, verrieten durch ihre Mienen und Gebärden eine noch tiefere und trübere Niedergeschlagenheit. Mannigfaltig an Kleidern oder Lumpen und auch von Antlitz, mitten in der allgemeinen Umwälzung bleiche Gesichter aus der Niederung, gebräunte aus dem Blachfelde und dem Hügellande, vollblütige der Gebirgsbewohner, alle mager und abgezehrt, mit hohlen Augen, mit stieren, halb sinnlosen, halb grimmigen Blicken, verwirrten Haaren, langen, gräßlichen Bärten; Körper, zur schweren Arbeit erzogen und abgehärtet, jetzt vom Ungemach erschöpft; die Haut auf den verbrannten Armen und auf den Beinen und der knochigen Brust, die durch die unordentlichen Lumpen hervorschienen, zusammengeschrumpft. Und verschieden von diesem Anblick gebeugter Kraft, wenn auch nicht minder betrübend, der Anblick einer schneller unterliegenden Natur, einer hilfloseren Ermattung und Ohnmacht in dem schwächeren Geschlecht und Alter.

Hier und da, auf den Straßen und an den Kreuzwegen, hart an den Mauern, unter den Dachrinnen etwa eine Schicht von zermalmtem und zertretenem Stroh und Stoppeln, mit unsauberem Plunder vermengt. Und ein solcher Unflat war noch die Gabe und Fürsorge der Barmherzigkeit, war das irgendeinem von diesen Unglücklichen bereitete Lager, um darauf zur Nacht sein Haupt niederzulegen. Von Zeit zu Zeit sah man auch am Tage einen und den anderen darauf hinsinken oder sich lang hinstrecken, dem Ermüdung oder Hunger den Atem entzogen und die Beine gelähmt hatten; zuweilen lag auf diesem traurigen Bett ein Leichnam: zuweilen stürzte der bis auf den Tod Erschöpfte unversehens nieder und blieb als Leiche auf dem Straßenpflaster liegen.

Zu manchem der so Daliegenden sah man auch wohl irgendeinen Vorübergehenden oder Nachbar, von einem plötzlichen Mitleid ergriffen, hinabgebeugt. An manchen Orten erschien eine geregelte Hilfe mit weiterer Voraussicht, von einer Hand gereicht, die an Mitteln reich und geübt war im großen wohlzutun, und es war des guten Federigo Hand. Er hatte sechs Priester auserwählt, in denen einer eifrigen und ausdauernden Menschenliebe eine rüstige Leibesbeschaffenheit zur Seite stand und zustatten kam; er hatte sie paarweise abgeteilt und einem jeden Paare ein Drittel der Stadt angewiesen, um es zu durchziehen, mit Lastträgern hinter ihnen drein, die mit mannigfachen Speisen, mit anderen feineren und wirksameren Stärkungsmitteln und mit Kleidungsstücken beladen waren. Jeden Morgen zogen die drei Paare nach verschiedenen Seiten hin auf die Straßen aus, näherten sich denen, die sie hilflos am Boden trafen, und reichten einem jeden den Beistand, der ihm zuträglich war. Der und jener, der schon mit dem Tode rang und nicht mehr fähig war, Nahrung zu sich zu nehmen, empfing die letzte Hilfe und die Tröstungen der Religion. Wem Speise noch heilsam sein konnte, den versorgten sie mit Suppe, Eiern, Brot, Wein; anderen, die ein längeres Fasten entkräftet hatte, reichten sie Kraftbrühe, Krankensuppen, edleren Wein, nachdem sie sie erst, wenn es nottat, mit Herzstärkungen und starkem Essig wieder zu sich gebracht hatten. Zu gleicher Zeit teilten sie Kleidungsstücke an diejenigen aus, die am schmählichsten und empfindlichsten entblößt waren.

Aber hiermit war ihre Hilfeleistung nicht zu Ende; der gute Seelenhirt hatte gewollt, daß wenigstens da, wohin sie gelangen könnte, eine kräftige, nicht bloß augenblickliche Hilfe gereicht würde. Die Armen, denen jenes erste Labsal Kräfte genug verliehen hatte, um sich aufzurichten und zu wandern, wurden von den Priestern selbst mit etwas Geld ausgestattet, damit das sich erneuende Bedürfnis und die Ermangelung anderer Hilfe sie nicht alsbald in den früheren Zustand zurückbrächte; für die übrigen suchten sie Schutz und Zuflucht in irgendeinem zunächstgelegenen Hause. Gehörte dies nur irgend Bemittelten, so ward die gastfreundliche Aufnahme meistenteils aus Erbarmen und auf die Verwendung des Kardinals gewährt; in anderen, wo dem guten Willen die Mittel gebrachen, verlangten die Priester, daß der Arme in Kost genommen würde, bedangen den Preis und bezahlten gleich ein Gewisses auf Abschlag bar voraus. Dann gaben sie von den derart Untergebrachten den Pfarrern Nachricht, die sie besuchten, und kamen auch selbst wieder, um nach ihnen zu sehen.

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß Federigo seine Fürsorge nicht auf diesen äußersten Grad der Not beschränkte und ihn nicht etwa abgewartet hatte, um sich zu rühren. Diese heiße und leicht erregbare Menschenliebe mußte alles mit empfinden, für alles tätig sein, beispringen, wo sie nicht hatte zuvorkommen können, gewissermaßen ebenso viele Gestalten annehmen, als die Notdurft sie zeigte. Und in der Tat, indem er alle seine Mittel zusammennahm, eine noch strengere Sparsamkeit beobachtete, Ersparnisse angriff, die er zu anderen, gegenwärtig nur allzu geringere Wichtigkeit beanspruchenden Wohltaten bestimmt, hatte er auf alle Weise Geld zu machen gesucht, um alles zur Erleichterung der Dürftigkeit zu verwenden. Er hatte große Einkäufe in Korn gemacht und einen guten Teil davon an die notleidendsten Orte seines Sprengels gesendet, und da die Hilfe weit entfernt war, dem Bedürfnisse zu genügen, so sendete er auch Vorräte an Salz dorthin, »damit«, sagt Ripamonti, indem er die Sache erzählt, »das Gras der Wiese und die Rinden der Bäume in menschliche Nahrung zu verwandeln.« Getreide und Geld hatte er auch an die Pfarrer der Stadt verteilt, er selbst durchlief sie nach den Vierteln und spendete Almosen; er stand vielen bedürftigen Familien insgeheim bei; in dem erzbischöflichen Palaste wurde alltäglich eine große Menge Reis gekocht, und nach der Aussage eines gleichzeitigen Schriftstellers – des Arztes Alessandro Tadino in seinem » Ragguaglio«, den wir weiterhin öfters Gelegenheit haben werden anzuführen – wurden dort jeden Morgen zweitausend Näpfe voll ausgeteilt.

Aber diese Tatkraft der Menschenliebe, die wir sicherlich großartig nennen können, wenn wir annehmen, daß sie von einem einzelnen Manne ausging, der dazu nur eigene Mittel verwendete – denn Federigo schlug es aus Gewohnheit ab, der Verteiler der großmütigen Gaben anderer zu sein –, diese, samt der Freigebigkeit anderer Privathände, die, wo nicht so reich, doch zahlreich waren, samt den Beisteuern, die der Rat der Dekurionen der Hilflosigkeit ausgesetzt, und deren Spende er der Proviantstelle überlassen hatte, erwies sich im Verhältnis der Rot als karg und unzulänglich. Während einigen Gebirgs- und Talbewohnern, die nahe daran waren, zu verhungern, durch den Beistand des Kardinals das Leben gefristet wurde, gelangten andere an die äußerste Grenze des Elends. Die ersten fielen in dasselbe zurück, nachdem die zugemessene Hilfe verbraucht war; an anderen Orten, die nicht vergessen, aber als minder bedrängt von einer Menschlichkeit nachgesetzt worden waren, die gezwungen gewesen, eine Wahl zu treffen, ward die Not tödlich; allenthalben kamen die Menschen um, von allenthalben strömten sie nach der Stadt.

Hier, nehmen wir an, hatten zweitausend rüstigere Hungerleider, die geschickt genug gewesen, es ihren Mitbewerbern zuvorzutun und sich Platz zu machen, eine Suppe erlangt, die verhütete, daß sie an diesem Tage umkamen; aber noch andere Tausende blieben übrig, die, müssen wir sagen, jene Glücklicheren beneideten, wenn auch unter den Zurückgebliebenen oftmals deren Weiber, Kinder, Väter waren. Und während an dreien Punkten der Stadt einige jener Verlassenen und Verscheidenden wieder vom Boden aufgerichtet, neu ermutigt, für einige Zeit untergebracht und versorgt wurden, sanken an hundert anderen Punkten andere um, verschmachteten oder gaben auch ohne Pflege, ohne Erquickung ihren Geist auf.

Den ganzen Tag lang hörte man auf den Straßen ein verworrenes Geräusch von kläglichen und flehentlichen Anrufungen; nachts ein Gesumme von Ächzen und Stöhnen, das dann und wann von plötzlich ausgestoßenem Geheul, von dem lauten, langen Rufe des Schmerzes, von dem dumpfen Tone der Beschwörung unterbrochen wurde, die in einem hellen Ausschrei endigte.

Es ist merkwürdig, daß in so grenzenloser Not, unter so vielfältigen Klagen niemals ein Versuch, niemals ein Ruf zur Empörung vorkam und verlautete; wenigstens trifft man auch nicht auf die mindeste derartige Andeutung. Und dennoch war unter denen, die auf diese Art lebten und starben, eine große Anzahl Menschen, die zu ganz etwas anderem als zum Erdulden erzogen waren; es waren auch Hunderte von denen darunter, die am St. Martinstage sich so laut gemacht hatten. Und es ist nicht wohl anzunehmen, daß es etwa das Beispiel der vier Elenden war, die dies für alle abgebüßt hatten, was jetzt alle im Zaume hielt; denn welche Gewalt hätte nicht einmal die Gegenwart, sondern das bloße Gedenken der Todesstrafe über die Gemüter einer unstät umherirrenden, vereinigten Menge haben sollen, die sich gleichsam zu einem langsamen Tode verdammt sah, den sie bereits erlitt? Aber so sind wir Menschen nun im allgemeinen beschaffen, daß wir uns entrüstet und ingrimmig gegen die mäßigen Übel auflehnen und uns den äußersten schweigend unterwerfen; wir ertragen, nicht ergeben, sondern gefühllos, den höchsten Grad dessen, was wir im Anfange schon unerträglich genannt haben.

Die Lücke, die die Sterblichkeit Tag für Tag in diesen bejammernswerten Haufen riß, wurde täglich wieder und zwar mehr als genugsam ausgefüllt; es war ein unablässiger Zufluß, zuerst von den umliegenden Landgütern, dann aus der ganzen Gegend, später aus den Städten des Landes, endlich auch aus anderen Staaten. Und inzwischen verließen auch täglich alte Einwohner diese, einige, um sich dem Anblick so vieler Wunden zu entziehen, andere, nachdem sie, sozusagen, von den neuen Mitbewerbern aus dem Felde der Bettelei geschlagen worden waren, zogen zu einem letzten verzweifelten Versuche von dannen, anderswo, es sei wo es wolle, um Beistand anzusprechen, wo wenigstens das Gedränge und der Wetteifer der Ansprechenden nicht so dicht und ungestüm war. Es begegneten sich auf ihrem entgegengesetzten Wege diese und jene Wanderer; ein schauderhafter Anblick die einen den anderen und ein trauriger Vorgeschmack, ein verhängnisvolles Wahrzeichen des Zieles, dem die einen wie die anderen entgegengingen. Aber sie setzten die unternommene Wanderung fort, wenn nicht mehr in der Hoffnung, ihr Schicksal zu ändern, so doch wenigstens, um nicht unter einen ihnen verhaßt gewordenen Himmel zurückzukehren, um nicht die Orte wiederzusehen, wo sie verzweifelt waren. Nur daß einer und der andere, nachdem der Hunger seine letzten Lebenskräfte aufgerieben, unterwegs umfiel und entseelt liegen blieb, ein noch weit düsteres Wahrzeichen für seine Leidensgefährten, ein Gegenstand des Entsetzens, vielleicht des Vorwurfs für andere Wanderer.

»Ich sah,« schreibt Ripamonti, »auf der Straße um die Mauer den Leichnam einer Frau liegen ... Es hing ihr halb abgenagtes Gras aus dem Munde, und die verunreinigten Lippen bewegten sich langsam noch zu einer wütenden Anstrengung ... Sie hatte ein kleines Bündel auf dem Rücken und mit den Windeln ein kleines Kind an der Brust hangen, das mit Quäken danach verlangte ... Und es kamen mitleidige Menschen dazu, die den armen Wurm vom Boden aufnahmen und an eine Brust legten, indem sie so inzwischen die erste Mutterpflicht an ihm erfüllten.«

Der Gegensatz von Prachtkleidern und Lumpen, von Überfluß und Elend, ein gewöhnlicher Anblick gewöhnlicher Zeiten, hatte in dieser gänzlich aufgehört. Lumpen und Elend herrschten allenthalben vor, und was sich davon unterschied, war nicht mehr als ein Anschein von einfachem Mittelwohlstande. Man sah die Edelleute in einfacher, schlichter oder gar abgetragener, unangemessener Kleidung umhergehen; einige, weil die allgemeinen Ursachen des Elends auch ihre Glücksumstände so weit verändert oder einem schon zerrütteten Vermögen vollends den Rest gegeben hatten; die übrigen, weil sie entweder fürchteten, mit Prunk die öffentliche Verzweiflung zu reizen, oder sich schämten, das öffentliche Elend zu kränken. Jene verhaßten und geehrten Übermächtigen, gewöhnt, mit einem übergroßen Gefolge von Bravi aufzutreten, zeigten sich jetzt fast ganz allein, gesenkten Hauptes, mit Mienen, die Frieden anzubieten und zu fordern schienen. Andere, die auch im Wohlleben menschlicher gesinnt gewesen waren und sich höflicher betragen hatten, zeigten sich doch verwirrt, bestürzt, und wie von dem unablässigen Anblick eines Elends übermannt, das nicht nur die Möglichkeit der Hilfe, sondern, möchte ich fast sagen, die Kräfte des Mitleids überstieg. Wer mit etwas helfen konnte, mußte doch einen traurigen Unterschied zwischen Hunger und Hunger, Elend und Elend machen. Und kaum sah man eine mildtätige Hand sich in die Hand eines Unglücklichen senken, so entstand ringsumher ein Wettstreit anderer Unglücklicher; die da noch die meiste Kraft übrig hatten, drängten sich vor, um eindringlicher zu betteln; die Erschöpften, die Greise, die Kinder erhoben die fleischlosen, flachen Hände; die Mütter hielten die weinenden kleinen Kinder in die Höhe und streckten sie, nicht einmal notdürftig in die zerlumpten Windeln gewickelt und vor Mattigkeit in ihren Händen dahinsterbend, entgegen.

So ging der Winter und der Frühling hin, und schon seit einiger Zeit machte die Gesundheitsbehörde der Proviantbehörde Vorstellungen wegen der Gefahr der Ansteckung, die der Stadt von einem solchen in ihr zusammengedrängten und über sie verbreiteten Elende drohte und trug darauf an, die herumstreifenden Bettler in verschiedene Hospize aufzunehmen. Derweil man diesen Vorschlag hin und her überlegt, derweil man prüft, derweil man die Mittel und Wege und Orte bespricht, um ihn ins Werk zu setzen, werden der Leichname auf den Straßen von Tag zu Tag mehr; in eben dem Maße nimmt die ganze andere Anhäufung von Unlust, Pein, Gefahr zu. Bei der Proviantstelle kommt ein anderer Ausweg als leichter und fördersamer zur Sprache, nämlich alle Bettler, gesunde und kranke, an einem einzigen Orte, im Lazarett, zu vereinigen und sie dort auf öffentliche Kosten zu speisen und zu heilen, und so ward es auch beschlossen, trotz der Gesundheitsbehörde, die dagegen einwarf, daß durch eine solche Vereinigung die Gefahr, der man vorbeugen wollte, anwachsen würde.

Das Lazarett von Mailand – wofern diese Geschichte irgendwem zu Händen kommen sollte, der es weder aus dem Augenschein noch durch Beschreibung kennt – ist ein vierseitiger und fast quadratförmiger Bezirk außerhalb der Stadt, links von der sogenannten Porta Orientale, von der Bastei nur durch die Breite des Grabens eines ringsumlaufenden Schanzenweges und eines Bächleins getrennt, das um den Bezirk selbst läuft. Die beiden Hauptseiten ziehen sich ungefähr fünfhundert gewöhnliche Schritte weit hin, die anderen zwei etwa fünfzehn weniger; alle sind nach der Außenseite zu in kleine Kammern eines einzigen Stockwerkes abgeteilt; innerhalb sind sie zu dreien durch eine gewölbte, von kleinen, dünnen Säulen getragene Halle verbunden. Der Kammern waren zweihundertachtundachtzig, eine mehr oder weniger; in unseren Tagen hat eine große in der Mitte angebrachte Öffnung und eine kleine in einer Ecke der Seite, die längs der Hauptstraße hingeht, eine gewisse Anzahl davon weggenommen. Zur Zeit unserer Geschichte waren nur zwei Zugänge da, der eine, mitten in der Seite, die an der Stadtmauer liegt, und der andere gerade gegenüber in der anderen. Im Mittelpunkte des inneren Raumes, der ganz frei ist, stand und steht noch jetzt ein achteckiges Kirchlein. Die erste Bestimmung des ganzen Gebäudes, das im Jahre 1489 mit den Geldern eines Privatvermächtnisses angefangen und alsdann mit öffentlichen und denen anderer Erblasser und Schenkungen fortgesetzt wurde, war, wie es der Name selbst andeutet, im Falle der Not die an der Pest Erkrankten darin aufzunehmen, welche Seuche schon lange vor dieser Epoche und auch noch lange Zeit nachher gewohnt war, wohl zwei, vier, sechs, achtmal in einem Jahrhundert bald in dem, bald in jenem Lande von Europa zu erscheinen, zuweilen einen großen Teil desselben einzunehmen, oder auch es gewissermaßen durchweg, von einem Ende zum anderen, heimzusuchen. In dem Momente, von dem wir sprechen, diente das Lazarett nur zur Niederlage der der Kontumaz unterworfenen Waren.

Um es nunmehr zu der neuen Bestimmung einzurichten, überschritt man die gewohnten Vorschriften, stellte über Hals und Kopf die Reinigungen und angeordneten Versuche an und gab dann mit einemmal alle Waren heraus. Es ward in alle Kammern Stroh geschüttet, es wurden Lebensmittel herbeigeschafft, was und wieviel man davon haben konnte, und es erging an alle Bettler und Notleidende der öffentliche Aufruf, dahin ihre Zuflucht zu nehmen.

Viele strömten bereitwillig dort zusammen; alle, die auf den Straßen und Plätzen krank lagen, wurden hingetragen; in wenigen Tagen hatte man von den einen und den anderen mehr als dreitausend darin. Weit zahlreicher aber waren die Zurückgebliebenen. Mochte nun ein jeder von ihnen erwarten, die anderen fortgehen zu sehen und in kleiner Gesellschaft zurückzubleiben, um von dem Bettel in der Stadt den Nießbrauch zu haben, oder war es die natürliche Abneigung gegen die Einsperrung oder das Mißtrauen, das die Armen in alles setzen, was ihnen derjenige vorschlägt, der den Reichtum und die Macht besitzt – ein Mißtrauen, das immer im Verhältnis der gemeinsamen Unwissenheit dessen, der es empfindet, und dessen, der es einflößt, der Anzahl der Armen und der Dehnbarkeit der Verordnungen sieht – oder das sofortige Bewußtsein, wie es in der Tat mit der angebotenen Wohltat sich verhalte, oder war es alles dies zusammen, oder irgend etwas anderes: so viel ist ausgemacht, daß die meisten, ohne auf die Einladung zu achten, fortfuhren, sich kümmerlich und elend in der Stadt herumzuschleppen. Sobald man sich dessen versehen, befand man für gut, vom Aufruf zur Gewalt vorzuschreiten.

Es wurden Häscher rundumher ausgeschickt, die Bettler ins Lazarett zu treiben und die Widerspenstigen gebunden dorthin zu führen, für einen jeden derselben ward ihnen ein Lohn von zehn Soldi ausgesetzt; so wahr ist es, daß, auch in den allerärgsten Drangsalen, die öffentlichen Gelder immer das Schicksal haben, schlecht verwendet zu werden. Und wenngleich, so wie die Proviantstelle vermutet, ja ausdrücklich beabsichtigt hatte, eine gewisse Anzahl Bettler aus der Stadt entliefen, um anderswo wenigstens in Freiheit zu leben oder zu sterben, so war es doch eine solche Jagd, daß die Zahl der halb als Gäste, halb als Gefangene Untergebrachten in kurzem bis nahe an die zehntausend stieg.

Frauen und Kinder, muß man annehmen, werden wohl in abgeänderten Bezirken beherbergt worden sein, obwohl die Denkwürdigkeiten der Zeit kein Wort davon erwähnen. Auch an Verordnungen und Vorkehrungen zur Einführung einer guten Zucht wird es gewiß nicht gefehlt haben; aber es stelle sich einmal jemand vor, welche Ordnung, besonders in jenen Zeiten und unter solchen Verhältnissen, in einer so ungeheueren und verschiedenartigen Versammlung festgestellt und aufrechterhalten werden konnte, wo die Gezwungenen sich mit unter den Freiwilligen befanden; unter denen, für die der Bettelstand eine äußerste Notwendigkeit, ein Herzeleid, eine Schmach, diejenigen, deren Gewerbe und Gewohnheit er war; unter vielen, die in rechtlicher Arbeitsamkeit auf den Feldern und in den Werkstätten aufgewachsen, viele andere, die auf den Straßen, in den Schenken, bei feilen Knechten zum Müßiggange, zur Gaunerei, zur Sittenlosigkeit, zur Gewalttätigkeit erzogen waren.

Wie dann alle miteinander beherbergt und beköstigt wurden, das könnten wir, so traurig wie es war, wohl mutmaßen, wenn wir auch keine gewissen Nachrichten darüber hätten; aber wir haben deren. Sie schliefen je zu zwanzig bis dreißig zusammengeschichtet und aneinandergedrängt in den engen Zellen oder unter den Säulenhallen, aus einer Streu von stinkendem, moderigem Stroh oder auf dem bloßen Pflaster, denn es war wohl anbefohlen, daß das Stroh immer frisch und zureichend sein und oft erneuert werden solle; aber in der Tat war es kärglich und schlecht beschaffen gewesen und wurde nicht gewechselt. Es war gleichfalls der Befehl gegeben, daß das Brot gut wäre, denn welcher Verwalter hat wohl jemals gesagt, es sollten schlechte Speisen zubereitet und verteilt werden? Aber wie hätte man das, was man unter gewöhnlichen Umständen, auch durch eine minder weitschichtige Verwaltung nicht würde haben durchsetzen können, in diesem Falle und in einem solchen Wirrsal zuwegebringen sollen? Man sagte damals, wie wir in den Geschichtsbüchern finden, das Brot des Lazaretts wäre mit Stoffen ohne Nährkraft verfälscht gewesen, und es ist nur zu glaubwürdig, daß dies nicht etwa eine aus der Luft gegriffene Klage war. An Wasser endlich war Mangel; ich will nämlich sagen, an gesundem Quellwasser; den gemeinschaftlichen Trank mußte der seichte, träge, stellenweise auch schlammige Mühlgraben abgeben, der sich um die Mauern der Bezirkung hinzieht, und der damals ebenso beschaffen war, wie ihn nur die Benutzung und Nachbarschaft einer solchen und so großen Menschenmenge machen konnte.

Zu allen diesen Ursachen der Sterblichkeit, die um so furchtbarer, als sie aus kranke oder ungesunde Körper wirkten, füge man auch eine große Ungunst der Jahreszeit, anhaltenden Regen, auf den eine noch weit anhaltendere Trockenheit und damit eine heftige Schwüle vor der Zeit erfolgte. Zu den Übeln geselle man das Gefühl der Übel, den Überdruß an der Gefangenschaft und die Wut darüber, die Sehnsucht nach den alten Gewohnheiten, den Schmerz über verlorene liebe Angehörige, die beunruhigenden Gedanken an liebe Abwesende, gegenseitige Belästigung und gegenseitigen Abscheu, so viele andere mit dorthin ein, gebrachte oder dort entstandene Regungen der Niedergeschlagenheit oder des Zornes. Dazu kam die fortwährende Furcht vor dem Tode und der fortwährende Anblick desselben, der infolge so vieler Ursachen häufig und wieder eine neue und mächtige Ursache seiner selbst geworden war. Und so wird es nicht in Erstaunen setzen, wenn die Sterblichkeit in diesem Bezirk bis zu einem Grade anwuchs und herrschte, daß sie den Anschein und bei vielen den Namen der Pest gewann. Sei es nun, daß die Vereinigung und Steigerung aller dieser Ursachen bloß die Tätigkeit rein epidemischer Einflüsse erhöhte, sei es – wie es auch in minder schweren und minder anhaltenden Teuerungen als diese sich zuzutragen scheint –, daß eine wahrhafte Seuche stattfand, die in den vom Mangel und von der Erbärmlichkeit der Nahrungsmittel, von schädlicher Witterung, von Unreinigkeit, von Trübsalen und Mutlosigkeit krankhaft gestimmten und vorbereiteten Körpern, gewissermaßen die Gelegenheit und ihre geeignete Zeit, kurz die notwendigen Bedingungen antraf, um zu entstehen, sich zu nähren und zu verbreiten; sei es ferner, daß die Seuche zuerst im Lazarett selbst ausgebrochen, wie, einem dunklen und ungenauen Berichte nach, die Ärzte der Gesundheitsbehörde geglaubt zu haben scheinen; sei es, daß sie schon vorher bestand und im Verborgenen einherschlich – was vielleicht dem noch wahrscheinlicher vorkommt, der bedenkt, daß das Ungemach schon alt und allgemein und die Sterblichkeit schon ansehnlich war – und eben, dort eingeschleppt, sich darin mit erneuter und furchtbarer Schnelligkeit, infolge der Zusammendrängung von Körpern verbreitete, die durch die erhöhte Wirksamkeit der anderen Ursachen noch empfänglicher dafür geworden waren; welche von diesen Vermutungen immer auch die wahre sei, die tägliche Zahl der im Lazarett Gestorbenen stieg in kurzer Zeit auf über hundert.

Während hier alles Niedergeschlagenheit, Angst, Schrecken, Klagen und Toben war, herrschte in dem Proviantamte Scham, Bestürzung, Ungewißheit vor. Man beriet sich, hörte das Gutachten des Gesundheitsamtes an, es war nichts anderes zu tun als dasjenige, was man mit so großen Anstalten, Ausgaben, Bedrückungen ausgeführt, wieder ungeschehen zu machen. Das Lazarett wurde geöffnet und allen gesunden Armen freigestellt, darin zu bleiben, oder mit wütender Freude daraus zu entrinnen. Die Stadt widerhallte abermals von dem alten Jammer, nur schwächer und mit mehr Unterbrechungen; sie sah jenen Schwarm, dünner und elender, wieder, sagt Ripamonti, in Gedanken darüber, wie er so abgenommen hatte. Die Kranken wurden nach Santa Maria della Stella, dem damaligen Armenkrankenhause, geschafft, wo sie meistenteils starben.

Währenddessen fingen jedoch die gesegneten Felder an, gelb zu werden. Die Notleidenden vom Lande zogen fort, ein jeder seines Weges, der so ersehnten Ernte entgegen. Der gute Federigo entließ sie mit einer letzten Anstrengung und einem neuen Gruße des Erbarmens; jedem Landmanne, der sich in dem erzbischöflichen Palaste meldete, ließ er einen Giulio und eine Sense zur Ernte reichen.

Mit der Ernte hörte endlich die Teuerung auf; die von Tag zu Tag abnehmende epidemische und kontagiöse Sterblichkeit zog sich jedoch bis in den Herbst hinein. Sie war nahe daran aufzuhören, als eine neue Geißel sich erhob.

Viele wichtige Ereignisse jener Art, denen man insbesondere den Namen geschichtlicher beilegt, waren in dieser Zwischenzeit vorgefallen. Der Kardinal Richelieu, nachdem er, wie gesagt, Larochelle eingenommen und, so gut es sich in der Eile tun ließ, einen Frieden mit dem König von England zustande gebracht, hatte im Rate des Königs von Frankreich vorgeschlagen und mit seinem mächtigen Worte durchgesetzt, daß dem Herzog von Nevers wirksame Hilfe geleistet würde; auch hatte er den König zugleich beredet, diesen Kriegszug persönlich anzuführen. Während man die Rüstungen dazu traf, kündigte der Graf von Nassau, als kaiserlicher Bevollmächtigter in Mantua, dem neuen Herzog an, daß er die Staaten Ferdinand zu übergeben habe, wofern dieser nicht ein Heer aussenden solle, um sie zu besetzen. Der Herzog, der in noch verzweifelteren Umständen vermieden hatte, eine so harte und unzulässige Bedingung anzunehmen, weigerte sich jetzt dessen um so mehr, als ihn die nahe Hilfe Frankreichs ermutigte, wenngleich in Ausdrücken, in denen das Nein, so sehr es nur anging, umwunden und geschraubt wurde, und mit Vorschlägen zu einer noch mehr in die Augen fallenden, aber weniger kostbaren Unterwerfung. Der Bevollmächtigte hatte sich entfernt, indem er ihn bedeutet, daß man zur Gewalt schreiten würde. Im März war dann der Kardinal wirklich mit dem Könige an der Spitze eines Heeres herab, gestiegen; er hatte vom Herzog von Savoyen den Durchzug verlangt, man hatte unterhandelt, war aber nicht zum Schlüsse gekommen; nach einem Treffen, zum Vorteile der Franzosen, hatte man von neuem unterhandelt und einen Vertrag abgeschlossen, in dem der Herzog unter anderen Dingen versprochen, Cordova solle die Belagerung von Casale aufheben, und sich anheischig gemacht hatte, falls er sich dessen weigere, sich mit den Franzosen zu vereinigen, um in das Herzogtum Mailand einzufallen. Don Gonzalo, der noch meinte, wohlfeilen Kaufs davon zu kommen, hatte sein Lager vor Casale abgebrochen, in das unverzüglich ein französischer Heerhaufe zur Verstärkung der Besatzung eingerückt war.

Bei dieser Gelegenheit war es, wo Achillini sein berühmtes Sonett an den König Ludwig:

Oh, Feuer, glühet, Erze einzuschmelzen

und ein anderes schrieb, mit dem er ihn ermahnte, gleich zur Befreiung des Heiligen Landes auszuziehen. Aber es ist ein Schicksal, daß die Ratschläge der Dichter nicht befolgt werden, und wenn man in der Geschichte ihren Eingebungen irgend entsprechende Begebenheiten vorfindet, so mag man nur getrost annehmen, daß es schon vorher ausgemachte Dinge waren. Der Kardinal Richelieu hatte statt dessen beschlossen, wegen Angelegenheiten, die ihm dringender vorkamen, nach Frankreich zurückzukehren. Girolamo Soranzo, der Abgesandte der Venetianer, konnte immerhin die stärksten Gründe anführen, diesen Entschluß rückgängig zu machen, der König wie der Kardinal gaben doch auf seine Prosa nicht mehr als auf die Verse des Achillini, und kehrten mit dem Hauptheere um, indem sie bloß sechstausend Mann zur Besetzung des Passes und zur Aufrechterhaltung des Vertrages in Susa zurückließen.

Während dieses Heer sich auf der einen Seite entfernte, näherte sich das Ferdinands unter den Befehlen des Grafen Collalto von der anderen; es war in Graubünden und in das Veltlin eingedrungen und schickte sich an, in das Mailändische herniederzuziehen. Außer all den Schrecken, die die Kunde von einem solchen Durchzuge verbreitete, ging das traurige Gerücht, und hatte man sogar ausdrückliche Nachrichten, daß in dem Heere die Pest herrsche, mit welcher die deutschen Truppen damals immer in etwas behaftet waren, wie Varchi bei Besprechung derjenigen sagt, die, ein Jahrhundert früher, durch sie nach Florenz geschleppt worden. Alessandro Tadino, einer der Konservatoren des Gesundheitsamtes – es waren ihrer sechs außer dem Präsidenten, vier obrigkeitliche Personen und zwei Ärzte – ward von demselben beauftragt, wie er selbst in seinem schon gedachten » Ragguaglio« erzählt, dem Statthalter die entsetzliche Gefahr vorzustellen, die dem Lande bevorstände, wenn jenem Kriegsvolke der Durchzug zugelassen würde, um, wie das Gerücht ginge, nach Mantua vorzudringen. Nach Don Gonzalos ganzem Verhalten scheint es, daß er ein unwiderstehliches Verlangen trug, sich einen Platz in der Geschichte zu erwerben, die in der Tat nicht umhin konnte, von seinem Tun und Lassen Vermerk zu nehmen; aber– wie es ihr nicht selten damit geschieht – sie kannte jene Handlung von ihm nicht oder trug nicht Sorge, sie aufzuzeichnen, die des Andenkens und der Aufmerksamkeit am würdigsten war, die Antwort, die er dem Arzte bei der Gelegenheit erteilte. Er antwortete, er wisse nicht, was er dabei tun solle, die Gründe des Vorteils und des Ruhmes, zwecks denen sich jenes Heer in Bewegung gesetzt, wögen schwerer als die vorgestellte Gefahr; bei alledem werde man bestmöglichst zu helfen suchen und müsse auf die Vorsehung bauen.

Um bestmöglichst zu helfen, schlugen die beiden Ärzte des Gesundheitsamtes – der obengedachte Tadino und der Ratsherr Settala, der Sohn des berühmten Lodovico – vor, daß man unter den allerschärfsten Strafen verbieten solle, Sachen irgendeiner Art von den Soldaten, denen der Durchzug zu gestatten, zu kaufen. Aber es war unmöglich, die Zweckmäßigkeit einer solchen Anordnung dem Präsidenten einleuchtend zu machen, »einem grundguten Manne,« sagt Tadino, »der nicht glauben konnte, es werde aus dem Verkehr mit diesen Völkern und ihren Sachen so vielen tausend Menschen Lebensgefahr erwachsen.« Wir führen diesen Zug als eine Eigentümlichkeit jener Zeit an; denn ganz gewiß begegnete es, so lange es Gesundheitsämter gibt, noch keinem Präsidenten eines derselben, so zu folgern, wofern man dies eben folgern nennen darf.

Was Don Gonzalo betraf, so war jene Antwort eine seiner letzten Handlungen hier, denn die schlechten Erfolge des großenteils von ihm angestifteten und geführten Krieges verursachten, daß er in diesem Sommer von seinem Posten abberufen wurde. Bei seiner Abreise von Mailand widerfuhr ihm etwas, das ein gleichzeitiger Schriftsteller als das erste derartige Ereignis anführt, das sich mit jemand seinesgleichen zugetragen. Als er nämlich vor dem genannten Palaste der Stadt inmitten eines großen Geleites von Edelleuten erschien, traf er auf einen großen Schwärm von Einwohnern, die ihm teils den Weg verrannten, teils hinterdrein liefen und schrien und ihm unter Verwünschungen den Hunger vorwarfen, den sie, wie sie sagten, durch die Schuld der von ihm bewilligten Ausfuhr von Getreide und Reis erlitten hätten. Seine Kutsche, die ihm folgte, fielen sie mit noch schlimmeren Dingen als Worten an, mit Kieseln, Mauersteinen, Krautstrünken, Schalen aller Art, kurz mit dem gewöhnlichen Schießbedarfe in solchen Feldzügen. Von den Wachen zurückgetrieben, entfernten sie sich zwar; aber nur um, unterwegs durch viele neue Genossen verstärkt, sich an der Porta Ticinese aufzustellen, zu der er bald darauf in der Kutsche hinausfahren mußte. Als diese mit einem Gefolge von vielen anderen ankam, warfen sie auf alle mit Händen und Schleudern einen Hagel von Steinen. Weiter wurde die Sache nicht getrieben.

An seiner Statt wurde der Marchese Ambrogio Spinola abgeschickt, dessen Name bereits in den flandrischen Feldzügen den kriegerischen Ruhm erlangt hatte, der ihm verblieben ist.

Indessen hatte das deutsche Heer den bestimmten Befehl erhalten, zu dem Unternehmen gegen Mantua aufzubrechen, und im Monat September langte es im Herzogtum Mailand an.

Die Kriegsheere bestanden dazumal noch größtenteils aus Abenteurern, die von den Kondottieri vom Handwerk in Auftrag dieses oder jenes Fürsten, manchmal auch für ihre eigene Rechnung, um sich zusammen mit ihnen zu verkaufen, angeworben wurden. Mehr als von der Besoldung wurden die Leute von der Hoffnung auf Plünderung und auf alle Freuden der Zügellosigkeit zu jenem Gewerbe hingezogen. Dauernde, allgemeine Manneszucht gab es in einem Heere nicht; auch würde sie sich nicht so leicht mit dem unabhängigen Ansehen der verschiedenen Kondottieri vertragen haben. Diese insbesondere nahmen es dann mit der Manneszucht eben weder sehr genau, noch begreift man, wenn sie das auch gewollt, wie sie es hätten anfangen können, sie einzuführen und aufrechtzuerhalten; denn Soldaten dieses Schlages würden sich entweder gegen einen Kondottiere, der sich die Neuerung in den Kopf gesetzt, das Plündern abzuschaffen, empört, oder ihn wenigstens alleingelassen haben, die Fahne zu behüten. Ja, da die Fürsten, indem sie jene Scharen sozusagen in Pacht nahmen, überdies mehr darauf sahen, Truppen genug zu bekommen, um ihre Unternehmungen sicherzustellen, als etwa deren Anzahl ihrer gewöhnlich sehr geringen Zahlungsfähigkeit anzupassen, so ging der Sold meistenteils erst im Rückstände, wenig davon auf einmal, in Abschlagszahlungen ein und die Beute der bekriegten oder durchzogenen Lande wurde gleichsam nach stillschweigendem Übereinkommen Ersatz dafür. Nicht viel minder berühmt als der Name Wallenstein, ist sein Ausspruch: daß es leichter sei, ein Heer von hunderttausend als eines von zwölftausend Mann zu erhalten. Und das, von dem wir sprechen, bestand großenteils aus Truppen, die, unter seinen Befehlen, in jenem sowohl an und für sich als durch seine Folgen verrufensten Kriege Deutschland verwüstet hatten, der späterhin nach seiner dreißigjährigen Dauer genannt wurde, und damals in sein elftes Jahr ging. Es war sogar sein eigenes, von seinem Stellvertreter angeführtes Regiment dabei; von den übrigen Kondottieri hatten die meisten unter ihm gedient, und es befand sich mehr als einer von denen unter ihnen, die, vier Jahre darauf, mit helfen sollten, ihm jenes schlimme Ende zu bereiten, das ein jeder kennt.

Es waren achtundzwanzigtausend Mann Fußvölker und siebentausend Pferde, und indem sie aus dem Veltlin herunterkamen, um sich in das Mantuanische zu begeben, hatten sie mehr oder weniger den ganzen Lauf der Adda durch zwei Arme des Sees, und dann von neuem als Fluß bis zu ihrer Mündung in den Po zu verfolgen; worauf sie noch eine gute Strecke an diesem hinziehen und im ganzen acht Tagemärsche im Herzogtum Mailand machen mußten.

Ein großer Teil der Einwohner flüchtete in die Berge, nahm seine beste bewegliche Habe mit und trieb sein Vieh vor sich hin; andere blieben zurück, entweder zur Pflege irgendeines Kranken, oder um das Haus vor Feuerschaden zu behüten, oder um verborgene, vergrabene Kostbarkeiten im Auge zu behalten; andere, weil sie nichts zu verlieren hatten; böses Gesindel auch wohl, um etwas zu gewinnen. Als die erste Schwadron in dem Rastorte anlangte, verbreitete sie sich alsbald über dies und die angrenzenden Dörfer und begann sie rein auszuplündern: was irgend zu genießen und fortzuschleppen war, verschwand; ohne der Zerstörung dessen, was sie übrig ließen, der verwüsteten Felder, der abgebrannten Bauerngehöfte, der Schläge, Wunden, Schändungen zu gedenken. Alle Erfindungen, alle Vorkehrungen, um Hab und Gut zu erretten, waren oft nutzlos und führten mitunter gar desto ärgere Nachteile herbei. Die Soldaten, Leute, die mit den Kriegslisten dieser Art von Feldzug schon weit erfahrener waren, störten alle Winkel der Häuser durch, brachen Wände auf, rissen ein; spürten in den Gärten leicht die frischgegrabene Erde auf, stiegen bis auf die Gipfel der Berge empor, um das Vieh zu rauben; drangen, von losem Gesindel, wie wir gesagt haben, geführt, in die Klüfte, um irgendeinem an Geld Reichen nachzustellen, der sich darin verkrochen hatte, beraubten ihn, schleppten ihn nach seinem Hause und zwangen ihn durch Drohungen und Schläge, den verborgenen Schatz anzuzeigen.

Sie zogen endlich ab, waren fort, man hörte die Trommeln oder Trompeten in der Ferne verhallen, es erfolgten einige Stunden banger Ruhe, und darauf kündigte ein abermaliges verwünschtes Getrommel, ein abermaliges verwünschtes Geschmetter eine neue Schar an. Da diese nichts mehr zu erbeuten fand, so zerschlug und zertrümmerte sie das übrige mit um so größerer Wut, verbrannte Hausgeräte, Türen, Balken, Fässer, Wannen, dann und wann auch die Häuser; vergriff sich mit desto wilderem Ingrimm an den Menschen und mißhandelte sie, und trieb es so immer ärger und ärger, zwanzig Tage lang, denn in so viele Geschwader war das Heer abgeteilt.

Colico war die erste Ortschaft des Herzogtums, über die diese Teufel herfielen; danächst warfen sie sich auf Bellano; und von dort drangen sie in die Valsassina ein und ergossen sich darüber, bis sie von hier aus das Gebiet von Lecco betraten.


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