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VII.
Wie Giglio, nachdem er mehrere strafwürdige Abenteuer bestanden, eine Kriegslist ersann und die weiße Aline wiederfand.

Die Farm, welche Pausol und sein Page betraten, während die vierzig Tulpenträger vor dem Thor die Wache bezogen, war von einem Architekten erbaut, der seinen Theokrit vielleicht auswendig wußte, aber sich dadurch nicht beirren ließ. Die Gebäude und der mit Keramitplatten belegte Boden des Hofes vereinigten sich am Fuße der Mauern durch abgerundete Ecken, wo es selbst dem bescheidensten Bacillus, der erbärmlichsten aller Bakterien unmöglich war, ein ruhiges Leben zu führen, zu lieben und sich zu vermehren.

Aus den Ställen drang der Grasgeruch des Phénol und der Duft des Kupfersulphat gleichzeitig mit dem Geruch des frischen Heues. Im Hintergrunde des Hofes, unter einem aus Eisenträgern hergestellten Schutzdache, empfingen an dreißig abgesonderte Tränken das Wasser aus einem Filter und harrten der Ochsen, die jeder für sich ein eigenes Badebecken hatten, so daß eine Berührung unmöglich war.

– Ach, Sire, wo sind wir hingerathen! rief Giglio im Tone der Verzweiflung.

– In eine Milch-, Butter- und Hühnerfabrik! erwiderte der König. Ich finde, daß sie sehr gut aussieht und fühle mich sofort beruhigt in Betreff des Mahles, welches wir hier einnehmen werden. Eine solche Farm würden die Griechen erbaut haben, wenn sie gewußt hätten, was wir wissen. Sie ist sauber und geometrisch angelegt. Die Griechen, fuhr der König fort, übten übrigens tausend Vorsichtsmaßregeln, über welche wir uns seit achtzehn Monaten die Köpfe zerbrechen. In den Tractaten eines Arztes von Ephesus habe ich gelesen, daß sie ihr Trinkwasser aufsieden und dann wieder kalt werden ließen. Sie wußten, daß das Flußwasser das schlimmste von allen Wässern ist, daß die Brunnen in der Nachbarschaft der Heilquellen gefährlich sind und daß die Geburtshelfer, bevor sie in Aktion treten, sich die Hände waschen müssen. Was man heute Fortschritt nennt, mein Kleiner, ist nichts Anderes, als eine Rückkehr zu den Hellenen oder eine Fortentwickelung ihrer Grundsätze. Die Milchmeierei, in welche wir eintreten, ist den Griechen näher, als es den Anschein hat. Holla, da kommt auch schon der Milchmeier.

Ein alter Mann eilte herbei, den Strohhut in der Hand, zitternd, aufgeregt, stolz, glücklich. Wir überlassen es dem Leser, alle die Epitheta zu finden, die einen greisen Bauer bezeichnen, der den König und seinen Pagen empfängt.

Himeros und Macario, die Thiere der Krone, wurden in die besten Ställe geführt. Pausol stützte sich vertraulich auf die Schulter seines Unterthanen, denn er kannte keinen Stolz; und Giglio, der sich in vorzüglicher Stimmung befand, interessirte sich sofort für die Mägde der Farm.

Es kamen deren zuerst eine, dann zwei, sieben, zehn, zwölf; die häßlichen unter ihnen trugen Rock und Busentuch, die hübschen jedoch waren völlig unbekleidet, nach der Mode des Landes Tryphema.

Giglio bemerkte eine derjenigen, welche von den Pantoffeln bis zum Kopftuche völlig unbekleidet, ganz und gar geeignet schien, die Stunden eines Ruhetages auszufüllen. Und während König Pausol in leutseliger Weise den Farmer über seine Ernte-Vorräthe und über die Marktpreise des Getreides ausfragte, näherte sich der Page der Kuhmagd, welche ihn übrigens mit einem sehr freundlichen Lächeln betrachtete.

– Kannst Du die Kühe melken? fragte er.

– Ich kann gar nichts Anderes, erwiderte das junge Mädchen.

Der Klang ihrer Stimme war lebhaft und warm.

– Nun denn, sagte Gilles, führe mich. Wir werden eine Schale mit Milch für Se. Majestät füllen, welcher Durst hat, und eine zweite für mich, der ich aus Höflichkeit es ihm nachmache.

Sie lief voraus, wobei sie die Brüste mit den Händen hielt.

Er erreichte sie in einem Stalle, welcher so sauber war, wie ein Circusstall.

– Wie heißest Du?

– Thierrette, mein Herr.

– Thierrette, Deine Brüste haben einen Goldschimmer, wie frische Butter. Bringe dem König die Milch, welche Du willst; meine Lippen wollen nur von der Deinigen.

– Ich habe keine, sagte das braune Mädchen lächelnd, und ich thue nichts, damit welche komme.

– Du hast keine? Ich werde erfahren, ob das auch wahr ist.

– Versuchen Sie!

Er machte den Versuch rechts und links, mit einer Beharrlichkeit, welche dem Mädchen nicht zu mißfallen schien. Er sog mit hohlen Wangen, wie ein gieriges Kind und zwischen seinen Lippen wuchsen die Knospen der Brüste. Aber mit alldem brachte er nichts als ein wollüstiges Frösteln und eine erröthende Zufriedenheit hervor.

– Noch nichts! sagte er endlich. Du läßt mich warten. Komm näher! Du wirst mir in einem Jahr Milch geben.

– Das ist sehr spät, wenn Sie Durst haben! Trinken Sie vorerst von dieser Milch!

Sie setzte sich vor einer weißen Kuh nieder und molk diese geschickt mit dem Daumen und dem Zeigefinger, so daß der Milchstrahl schief in den Eimer schoß.

Giglio hielt sich in einiger Entfernung und wartete, daß sie zu ihm komme. Allein sie verließ mit langsamen, geraden Schritten den Stall, die mit dicker Milch gefüllte Porzellanschale vor der Brust tragend.

– Das will ich dem König bringen! sagte sie. Warten Sie, bis an Sie die Reihe kommt!

Er erwartete sie keinen Augenblick.

Kaum war sie aus dem dunklen Hintergrunde des Stalles in das helle Licht der Thüre getreten, wo ihre schwarzen Haare einen bläulichen Schimmer annahmen, hatte der Page schon durch einen anderen Ausgang den großen Raum verlassen. Er wanderte durch helle Gänge, durch gut gelüftete Hallen, durch Magazine, welche einer landwirthschaftlichen Ausstellung glichen und ihm mit sehr schlechtem Geschmack geordnet schienen.

Mit unermüdlichem Eifer schob und warf er Alles durcheinander, was er von der Stelle rücken konnte. Er warf die Walzen in die Erntemaschinen, die Schaufeln und Spaten in die Pflugmaschinen; die feinen Gabeln, die dünnen Schlippen, die starken Felghauen schleuderte er in den Heizraum und in den Schlot eines unglücklichen Lokomobils. Die Quadern des Estrichs behandelte er, als hätte er ein Stück Feld vor sich, indem er sie mit der Spitzhacke bearbeitete, daß die rothe Erde zum Vorschein kam.

– Ha! rief er, eine schöne Farbe.

So fuhr er fort, immer mehr Gefallen an seinem Werke findend; länger als eine Viertelstunde bemühte er sich, die Anordnung des Saales zu verändern. Eine Anzahl von Sensen ohne Schaft ordnete er mit künstlerischer Berechnung auf dem Boden; auf den blauen Klingen spielte das Oberlicht in allen Farben.

– Nicht übel, sagte er. Jetzt mag man kommen; Alles ist an seinem richtigen Platze.

Er betrachtete zufrieden sein Werk und sagte sich, daß ein Sergent-Major in der Kaserne mit ähnlichen Objekten seine Trophäen arrangire.

Weiterhin öffnete sich eine von Düften erfüllte Obstscheune.

Er trat daselbst ein.

– Guten Tag, gnädiger Herr! sprach eine jugendliche, helle Stimme.

Und Giglio bemerkte hinter den über einander gelegten Gittergestellen die weiße Linie eines weiblichen Körpers, welcher durch braune Streiflichter gehoben wurde.

Diese würde sich vielleicht zärtlicher oder weniger schlau erweisen, als Thierrette, sagte er sich. Er hielt sich nicht damit auf, sie um ihren Namen zu fragen, sondern erklärte, indem er näher trat:

– Rosa oder Liliane oder Margarethe, oder wie immer der blumengleiche Namen sei, den Ihr unter Euren Schwestern führet: wenn ich der Herr dieses Ortes wäre, wünschte ich keine anderen Früchte, als diejenigen Eures Körpers, welcher sammtgleich angehaucht ist wie eine Pflaume. Gebt mir Euere Orangen, Euere Erdbeeren, Euere Prunellen und diesen Granatkern, welcher so fest geschlossen ist!

Das junge Mädchen, an welches diese schönen galanten Worte gerichtet wurden, hatte niemals in ihrem Leben schönere gehört. Sie erröthete und senkte ihren Kopf mit kindlichem Lächeln und da ihre erste Bewegung die war, daß sie die Thüre schloß, begriff Giglio, daß er seine Ballade bis zu Ende fortsetzen könne. Er ergriff das junge Mädchen aufrecht zwischen seinem linken Arm und seinem blauen Wamms mit einer Hand, welche unsichtbaren Zuschauern eine Sammlung von Gartenfrüchten zu zeigen schien, berührte zunächst den Mund, welcher zu einer Pfirsichblüthe wurde, dann die Brüste, welche in Fortsetzung dieses Bildes zwei Pfirsiche mit ihren Kernen wurden.

Die Hüterin der Früchte vernahm mit sinnlichem Behagen diese ganz und gar orientalische Poesie. Unvermögend, ihren schwachen Widerstand dem Verlangen eines jungen Mannes entgegenzusetzen, welchen sie sehr scharfsinnig fand, ließ sie sich ohne Widerstreben zu einem Garten-Kanapé führen und fand eine Ehre darin, edelmüthig zu geben, was man von ihr verlangte.

– Wann werden Sie wiederkommen? seufzte sie nachher.

Giglio erwiderte mit unverwüstlicher Ruhe:

– Morgen, heute Abend, übermorgen, immer.

– Haben Sie Freundinnen?

– Keine einzige!

– Werden Sie deren haben?

– Niemals!

– Schwören Sie es mir!

– Ich schwöre es Ihnen!

Beruhigt überließ sie sich ihm noch einmal und entließ ihn dann vertrauensselig.

Der Page durchschritt den Hof. Durch die Fenster des Saales, wohin man den König geführt hatte, sah er Pausol neben dem Pächter in einem breiten, ledernen Lehnsessel schlafen. Als er sich umwandte, sah er am Eingang des Flurs Thierrette, die mit drohend erhobenem Finger ihm verbot, näher zu treten, jedoch dabei vergaß, nicht zu lachen.

– Folgen Sie mir nicht! rief sie ihm zu, indem sie davoneilte.

Er lief herbei.

Ihr folgend, stieg er eine Treppe empor, durchschritt einen weißen Korridor und trat in ein kleines Zimmer ein, das hell und glatt war wie die anderen.

Sie verrammelte sich hinter einem Serviettenschrein.

– Oh, das ist schlecht von Ihnen, daß Sie mich bis in mein Zimmer verfolgen! Wollen Sie hinausgehen oder ich rufe!

Giglio, der ein guter Schauspieler war, nahm die Stimme einer Dame an, die eine Junggesellenwohnung betritt und sagte:

– Es ist sehr hübsch bei Ihnen. Oh, die schönen Blumen!

Er berührte mit dem Finger die bemalte Papiertapete, wo unwahrscheinliche gelbe Vergißmeinnichte ihre gespaltenen Kinne niederhängen ließen.

Sie machte Miene, sich bekleiden zu wollen. Er hielt sie mit einer Hand auf, und während er sein federgeschmücktes Barret mit der anderen gesenkten Hand hielt, sagte er ihr zärtlich:

– Schöne Thierrette, ich bete Sie an!

– Ist's wahr?

– Nur zu sehr. Diese Liebe macht mich zum Narren. Lesen Sie sie nicht in meinen Augen?

Sie sah Alles, was sie sehen wollte und dennoch fragte sie:

– Werden Sie mich auch morgen noch lieben?

– Immer.

– Immer: das ist lange. Sagen Sie mir weniger, damit ich Ihnen glaube.

– Achtzig Jahre.

– Noch weniger.

– Neunundsiebzigeinhalb Jahre … Ich spreche zu Ihnen aus dem Grunde meines Herzens, Thierrette. Ich biete Ihnen eine lange Liebe an, weil ich sehr alt zu werden hoffe und Sie mein ganzes Leben lang lieben will.

Thierrette ließ sich überzeugen. Ihr unwürdiger und reizender Liebhaber begriff sofort, warum sie sich eine Stunde lang geweigert hatte, ihm ihre Arme zu öffnen. Es war, weil sie niemals vorher es schicklich gefunden hatte, diese Gunst Jemandem zu gewähren.

Hatte sie Recht, Giglio als Ersten den leeren Platz an ihrer Seite einnehmen zu lassen? Der Leser kann nicht daran zweifeln. Thierrette jedoch hatte Bedenken darüber und wenn sie dennoch an jenem Juni-Nachmittag – mit biegsamer Taille und harten Brüsten – sich plötzlich den Liebkosungen des Mannes zugänglich fühlte, so war es deshalb, weil in der geheimnißvollen Stille ihres Gemaches ihre Sinne kampflos den letzten Rest ihrer Energie überwanden.

In Ermangelung moralischer Kraft zeigte Thierrette nach einander Muth, Leidenschaft und Eifer. Die Gesammtheit dieser Eigenschaften überflügelte weitaus das bescheidene Niveau, auf welchem das junge Mädchen der Obstscheuer sich gehalten hatte. Giglio wurde mit Liebe überschüttet.

Dies hinderte nicht, daß der kleine Page in dem Augenblick, da sie in seinen Augen forschte und sicher wähnte, dort eine Liebe zu sehen, die ebenso heftig war wie die ihrige, bereits zerstreut war und an ganz andere Dinge dachte.

Er sagte sich, daß er mit beklagenswerther Ungebundenheit seine Zeit vertrödle; daß er nicht blos der Lieblingspage, sondern auch der Berather des Königs Pausol geworden sei und daß er in dieser Stellung vor Allem den Einfluß des unheilvollen Nixis lahmlegen müsse. Dazu genüge nicht, daß er diesen ernsten Mann unter den albernsten Vorwänden sechs Meilen weit zurückschicke, sondern er müsse in dessen Abwesenheit handeln, ohne ihn die Untersuchung führen, den Ereignissen die Richtung geben und ihn bei seiner Rückkehr mit einer höflichen Geberde vor das Unabänderliche stellen.

Diese Erwägungen führten zu einem Resultate. Das Resultat war eine glückliche Idee. Die glückliche Idee war eine Art Kriegslist, die ihm zwar ein wenig verwickelt, aber dennoch durchführbar schien.

– Mein Schatz, sagte er plötzlich, ich habe Dich geliebt vom ersten Augenblick, doch jetzt könnte ich Dich auch nicht einen halben Tag verlassen.

– Nein, nein! verlaß mich nicht!

– Du weißt, daß ich königlicher Page bin. Meine Tracht macht mich überall kenntlich. Wie soll ich ausgehen und wie soll ich mich verbergen? Höre mich. Du bekleidest Dich doch wohl im Winter: wo sind Deine Kleider?

– Warum?

– Gib mir einen Rock und ein Busentuch, ferner ein Kopftuch, um meine kurzen Haare zu verdecken, endlich den Strohhut mit breitem Rande, welchen Du aufsetzest, um auf die Felder zu gehen. Gib mir auch einen Eimer Milch in die Hand und laß mich so fortgehen. Draußen werde ich warten, bis man die ganze Farm durchsucht und bis der König ohne mich wieder abgereist sein wird; dann werde ich zurückkehren, wohin Du willst und wir werden uns die ganze Nacht nicht mehr verlassen.

– Es ist wahr, sagte Thierrette, wir können uns hier nicht treffen. Des Tags ist das Stockwerk leer und ich habe heute nichts zu thun, da der König in der Meierei ist; aber wenn man Dich heute Abends hier träfe! …

Sie erhob sich.

– Kleide Dich an, rasch! Die Sonne ist schon untergegangen.

Sie half ihm, warf ihm den Rock um, zog Ärmel von feiner Leinwand über jene des blauen Wammses, band ihm das Busentuch, stopfte ihn vorn aus, wickelte ihm das Kopftuch um den Scheitel, setzte ihm den breitkrämpigen Strohhut auf und sprach:

– Geh! Die Milcheimer sind in der ersten Kammer des Erdgeschosses. Nimm deren zwei. Es ist fast Nacht. Ich bin sicher, daß Niemand Dich erkennen wird. Heute Abends erwarte mich neben der Heerstraße, in dem Olivenwäldchen, rechts, wenn man nach dem Palaste geht. Wirst Du dort sein?

– Ich werde dort sein.

– Alle Abende?

– Alle Abende.

– Ach, wie liebe ich Dich!

Sie nahm ihn wieder in ihre Arme und Giglio hatte Mühe, eine stumpfe Miene anzunehmen, um nicht zu errathen, daß dieser Abschiedskuß Folgen haben wollte.

Er ging hinaus, stieg mit müden Schritten eine Treppe hinab, die ihm nicht sehr fest schien und fand die kleine Milchkammer, wo die Abendmilch, noch warm und schäumend, der Versendung und Aufarbeitung harrte.

Er faßte einen Eimer am Henkel und begriff sofort, nachdem er das schwere Gefäß erhoben hatte, daß er nicht im Stande sein werde, zwei volle Milcheimer auf der Schulter zu tragen. Rasch entschlossen goß er den Inhalt von zwei Eimern vor der offenen Thür aus und improvisirte so eine kleine Milchstraße. Dann hob er die zwei Gefäße mit der Leichtigkeit eines Akrobaten.

– Für meinen Zweck wird es genügen, die Ränder der Eimer mit Sahne zu bestreichen, sagte er.

Keck ging er bis zu dem vorhanglosen Fenster, durch welches er den schlafenden König Pausol gesehen halte. Der König schlief noch immer; das Haupt bis auf den Bart herabgesunken.

Es war Nacht, obgleich noch nicht acht Uhr, als Giglio in der Verkleidung einer Bäuerin, mit seinen zwei leeren Milcheimern bei den vierzig Garden vorüberkam, die vor dem Thor des Pachthofes Wache hielten.

In dem Augenblicke, als er die Straße erreichte, sah er sich dem staubbedeckten, wüthenden Nixis gegenüber.

– He, Herr! rief Giglio. He, Herr!

Nixis erkannte ihn nicht, denn die Stimme war ebenso verstellt, wie die Kleidung und die Haltung.

– Was wollt Ihr von mir? schrie er.

– Sind Sie es, der den König sucht?

– Das geht Euch nichts an!

– Gewiß nicht. Ich sagte es nur, weil, wenn Sie ihn suchen und weil er gerade in den Palast zurückgekehrt ist …

– Er?

– Ja! Und er war sehr zornig, weil Sie nicht zur Stelle waren … Doch auch das geht mich nichts an. Gute Nacht, Herr! Es ist heute Abend sehr schwül. Wir müssen zu Gott beten, daß er wieder ein wenig regnen lasse.

Nixis machte eine Handbewegung, welche bedeutete:

– »Das ist verdrießlich, sehr verdrießlich.«

Er ließ sein fügsames Pferd Kosmon Kehrt machen und trabte zum zweiten Mal auf der Straße davon.

Inzwischen folgte Giglio mit gleichmäßigen und wiegenden Schritten der Straße des kleinen Dorfes. Seine Arme hielt er so steif, als hätte er in jeder Hand ein Gefäß mit 20 Litern Milch getragen. Er schritt an den dunklen Häusern vorbei, vermied die Begegnungen mit den Passanten, und um seinem neuen Kostüm ein entscheidendes Zeichen hinzuzufügen, hielt er sich im Schatten, wie ein Mädchen, welches einen Fehltritt zu verheimlichen trachtet.

Der Gasthof »zum Hahn«, wo er eintrat, war eine kleine Herberge, inmitten eines alten Gartens. Der Eingang war durch die Küche, und da es eben die Stunde des Bratens war, wurde er weder von der Patronin, noch von den Mägden näher beachtet.

Nach seinen ersten Grüßen, welche man kaum erwiderte, erklärte er mit blöder Stimme:

– Ich bin neu im Dienste auf dem Pachthof. Ich bringe Milch für die kleine Dame und den Herrn, welche in ihrem Zimmer speisen.

– Geht hinauf, es ist im ersten Stockwerk, die Doppelthüre, sagte eine vielbeschäftigte Magd.

– Es ist doch wohl die kleine Dame in grünem Kleide? wiederholte er ruhig.

– Ja, wenn man Euch sagt; macht Platz!

Giglio seufzte erleichtert auf. Sein Nachdenken in den Armen von Thierrette war nicht nutzlos gewesen.

Unter den verschiedenen Muthmaßungen, welche man inmitten des Zweifels aufstellen konnte, hatte er die richtige getroffen: die weiße Aline hatte im Vertrauen auf die Apathie des Königs das Hotel ihrer ersten Liebesnacht nicht verlassen. Stand dies einmal fest, dann mußte man nicht besonders scharfsinnig sein, um zu errathen, daß sie sich in der Intimität ihres Zimmers verberge, daß sie dort im Geheimen ihre Mahlzeiten nehme und daß in einer bescheidenen Herberge an der Heerstraße dieser Umstand allein schon genügte, um sie zu bezeichnen.

Schon wandte er sich der Treppe zu, als die Köchin ihn zurückhielt und mit den Fingern auf die zwei Milchzuber zeigend, sprach:

– Ihr werdet doch nicht alldas hinauftragen. Da ist Milch für 25 Personen.

– Lassen Sie gut sein, das ist nicht schwer. Die Dame wird so viel trinken, als ihr beliebt.

– Auch kommt Ihr mit Eurer Milch zu spät. Sie haben vor zehn Minuten ihr Diner beendigt. Man hat schon abgedeckt.

– Umso besser, dann bleibt die Milch für die Nacht.

Ohne die geringste Aufregung stieg er mit dem nämlichen schwankenden, schweren Tritt die Treppe empor, fand die Doppelthüre, schlug wie von ungefähr die zwei leeren Zuber an einander und schrie, indem er mit dem Finger klopfte:

– Madame, man kommt, um das Zimmer aufzuräumen!

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