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XXIV.
Canarias Fall.

. Nach Doramas Tode begann die zweite Periode des Kriegs. Antidamanas Enkel zu Galdar, Tenesor Semidan, war jetzt allein König von Canaria. Sein Volk nannte ihn den Guten: er war ein Friedensfürst und mild und sanftmüthig. Mit schwerem Herzen übernahm er den schweren Krieg.

Man merkte bald, daß den Unternehmungen der Canarier der ordnende und leitende Geist fehlte, leider auch der feste Zusammenhalt. Schon fingen die Krieger und Entschlüsse an, sich zu theilen. Die kühnsten Gesellen schaarten sich um den Bentawayre, den Schlauen und Rastlosen. Er überfiel die Schildwachen, drang in dunkler Nacht ins spanische Lager und erstach die Pferde in den Ställen. Wo sich eine Streifschaar blicken ließ, war er mit seinen Kriegern in der Nähe und fing die Spanier ab oder wußte ihnen die Pässe zu verlegen.

Vera sah ein, daß ihm nichts übrig bleibe, als den Plan, welchen das Ansehen und die Gewalt des Doramas so lange gegen die Spanier durchgeführt hatte, jetzt gegen die Canarier anzuwenden. Man mußte sie im Gebirge festhalten, darin aushungern, und dann jedesmal mit gesammter Hand ein Berglager nach dem andern stürmen. Vera erbaute deshalb ein Fort aus der Westseite, Agaete, und machte zu seinem Befehlshaber Alonso de Lugo, der später Teneriffa eroberte. Vera selbst drang in den Schluchten von Tirazana aufwärts. Blutig wurden seine Angriffe zurückgeschlagen. Erst nach wiederholten Vorstößen gelang es ihm, sich der verschanzten Stellung der Wandschen zu bemächtigen. Sofort aber hatten sie sich auf den Höhen rechts und links von Neuem verschanzt.

Da kam noch einmal der greise Rejon mit vier Schiffen und frischen Truppen und Lebensmitteln herangesegelt. Stets schimmerte ihm sein canarisches Königreich vor den Augen, er konnte nicht davon lassen. Wieder war er Oberfeldherr, aber wiederum widersetzte sich der General auf Canaria seiner Landung. Rejon mußte, weil die See zu stürmisch wurde, in Gomera an das Land steigen. Da aber wollte ihn der Kommandant Peraza selbst gefangen nehmen, und im Lärm und Streiten wurde Rejon erschlagen. Zur Sühne mußte sich jetzt Peraza an dem Kriege betheiligen.

Man ließ nun Wandschen von Gomera und Lanzarote kommen, und sie vorzüglich waren es, welche dem Krieg eine andere Wendung gaben. Denn sie waren eben so flink und listengeübt, und erkletterten eben so rasch die steilen Bergwände, wie ihre Landsleute auf Canaria. Der Krieg aber machte ihnen große Freude. Während Vera von der andern Seite heranmarschirte, zogen Lugo und Peraza mit ihren Spaniern und Wandschen auf Galdar und überfielen die Canarier bei Artenara. Nach hartem Kampfe gewannen sie den Sieg und zogen sofort weiter, bis sie in der Morgenfrühe des Königs Palast zu Galdar umringten, ihn mit vier Wayren und eilf Dienern ergriffen und wegführten. Die gefangenen Fürsten wurden sofort nach Spanien geschickt. Dort fühlte sich Tenesor in seinem Geiste besiegt von der holden Lehre der Christen, wie von den Wundern ihrer Kultur, und verstand sich dazu, Christ und spanischer Vasall zu werden. Als der Wandschenkönig aber Ferdinand von Aragonien die Hand küssen mußte, stürzten ihm die Thränen aus den Augen. In Toledo geschah die feierliche Taufe, der Kardinal nahm sie vor in seiner Kathedrale, und der König selbst war Pathe. Die Wandschenfürsten trugen dabei spanische Ritterkleidung in Sammet und Seide mit Halskrausen, Federhut und Stoßdegen, und alles wunderte sich, wie gut die schlanken Männer sich in der fremden Tracht zu benehmen wußten.

Ihren kämpfenden Landsleuten aber war des sanften und zögernden Königs Wegführung nur von Nutzen. Ein neuer Geist belebte ihre Kriegführung. In großer Volksversammlung erkoren sie den jungen Benteguy, den Neffen Tenesors und Verlobten seiner Tochter, zu ihrem Kriegshaupt und die tapfern Wayren Tazarte und Hetser Hemenat zu ihren Generalen. Vera sandte nach Spanien ein Eilschiff, um Himmelswillen möge man die Rüstungen verdoppeln; sonst gehe alles wieder verloren, was durch so harte Blutarbeit gewonnen sei. Man hob 300 junge Männer aus dem Gebirge von Vizcaya und Burgos aus, weil sie besonders kräftig waren, und die heilige Hermandad von Andalusien stellte 250 Reiter und Schützen.

Mit dieser neuen Kriegsmacht mußte auch der canarische König, der sich nach der Taufe Don Fernando Wan Arteme nannte, zurückkehren, damit er seine Untertanen bewege, die Waffen niederzulegen. Als er aber zu seinen Verwandten ins Gebirge kam und sie anflehte: sie möchten die Könige Ferdinand und Isabella anerkennen, dann würden sie in Frieden und Ehren leben und all ihre Güter besitzen nach wie vor, da wiesen sie spöttisch auf seine glänzende Rittertracht, und meinten: das sei wohl die Kleidung vornehmer Höflinge und stehe ihm vortrefflich. Und dann fragten sie: ob denn gar kein Hauch von der Würde seiner fürstlichen Ahnherren mehr in ihm lebe? Die gemeinen Krieger aber kamen und umringten ihren alten König, indem sie bittere Thränen vergossen, und fragten ihn: auf welche Weise er gefangen genommen und weggeführt worden sei, und ob man ihn auch in dem fremden Lande mißhandelt habe? Auf das Rührendste baten sie alle: er solle bei ihnen bleiben und wieder ihr König sein, sie wollten ihn beschützen mit ihrem letzten Blutstropfen. Er aber antworteten »Ach, ich bin nur ein armer Kriegsgefangener, ich muß und werde mein Wort halten.«

Treu seinem Worte, aber traurig und niedergeschlagen, stellte sich der König bei Vera wieder ein, und rieth ihm mit beweglichen Worten vom ferneren Krieg ab; die steilen Berglager und die undurchdringlichen Verhaue der Wandschen werde er nimmermehr erstürmen. Auf diese aber war das Wort und Beispiel ihres alten Königs nicht ohne Einfluß geblieben. Erst kamen Einige, dann immer mehr, zuletzt viele Hunderte aus dem rauhen Gebirg herab, und siedelten sich wieder an auf ihren früheren Besitzungen. Die Spanier aber empfingen sie jetzt mit größter Freundschaft und hüteten sich wohl, ihnen ein Haar zu krümmen. Gleißendes Gold, prächtige Kleidung, öffentliche Ehren, großer Güterbesitz, noch größere königliche Verheißungen lockten die Häuptlinge heran, daß sie sich mit den Spaniern verbanden, um mit ihnen gegen ihre Landsleute zu kämpfen. Selbst der furchtbare Maninidra hörte auf die Lockungen.

In den Bergen aber begab sich ein herrliches Schauspiel. Alles was die Insel hegte an hochgemuther Jugend, an freiheitsstolzen Männern, an Bewahrern der alten Sagen und nationalen Lieder und Opfergebräuche, sammelte sich auf den Höhen, freudig entschlossen, zu kämpfen bis zum letzten Blutstropfen. Auch zwei Faycags waren dabei aus der königlichen Familie. Faycag hieß, wer das doppelte Amt hatte, bei den Volksversammlungen das Opfer zu bringen und am Tag des Gerichtes dessen Beschlüsse zu vollziehen. Den Helden aber fehlte nicht das treue Auge der Liebe, die wundenheilende Pflege des Weibes. Die schönsten und hochherzigsten Frauen und Mädchen sammelten sich in den hohen Berglagern, ihr Vorbild war die edle Wayarmina, Tenesors Tochter und des jungen Königs Benteguy Gefährtin, und ihre Nichte, die schöne Masequera.

Was jemals die Erde erblickte an Heldenmuth des Kriegs und an Poesie des Waldlebens, das entfaltete sich nun in den grünen Bergwäldern und den dunkeln Tiefschluchten von Canaria. Diese Wandschen kämpften, hungerten, starben. Aber die süße Luft der Freiheit und die innere Nöthigung, sich selbst zu achten, dünkte ihnen köstlicher, als alles Friedensglück ihrer Landsleute da unten auf den wieder ausblühenden Gefilden am Meere. Und wunderbar war es, wie ihre Kräfte sich verdoppelten und verzehnfachten durch ihren leichten Sterbemuth und durch ihre gegenseitige Treue bis in den Tod.

Der verschlagene Vera aber bereitete sich aus den Wandschen, die sich freiwillig unterworfen hatten, die beste Waffe. Auch sie kannten die Schleichwege und Schlupfwinkel im Gebirge, auch sie verstanden es, mit ihren Wurfspießen und langen Lanzen im Sprung über die Schluchten zu setzen und an den steilen Bergwänden empor zu klimmen. Nachdem sie einmal zum Krieg entflammt waren, hatten sie immer noch frischen Muth übrig, wo die Spanier wichen. Ohne ihre Hülfe wären die Freiheitskämpfer schwerlich überwältigt worden. Es blieb Vera ja nichts übrig, als die Bergfesten zu erstürmen, immer wieder zu stürmen, mochte noch so viel Blut fließen. Es entfloß doch hauptsächlich den Wandschen, denen die sich vertheidigten, und denen die sie angriffen. Je mehr fielen, um so mehr Platz gab es für die Spanier. So rieben die Wandschen, einmal in den Kampf verbissen, sich einander auf.

Die erste Bergfeste war auf der Höhe des Bentayga. Nachdem Vera sie zwei Wochen lang umlagert hatte, gab er den Befehl zum allgemeinen Sturm. Herzhaft griffen seine Wandschen und Spanier an, die einen wollten es den andern zuvorthun. Wüthender war die Gegenwehr, stürzende Baumstämme und prasselnde Felsstücke brachten Tod und Verderben in die Reihen der Angreifer. Vera mußte sich zurückziehen.

Ein anderes verschanztes Lager war auf dem Titana, dort hatten die freien Wandschen ihre Vorräthe. Vera ließ sich durch ihre Landsleute auf Schleichwegen auf die Höhe über dem Lager bringen, stürzte sich darauf und gewann es mit all seinen Vorräthen. Diese ließ er eilig abführen, und sie waren dahin, als Benteguy erschien und die Stellung wieder eroberte.

Blutiger noch war der Kampf um Cendra. Hier befehligte der alte Wandschenkönig Tenesor selbst 500 Mann seiner Leute, und seinem Erscheinen war es zuzuschreiben, daß im Gefechte 300 Krieger zu ihm übergingen, welche die Reihen des Faycag Aytami verließen und ihn zum Rückzug nöthigten.

Ein viertes befestigtes Lager, das auf dem Amodar, wurde ebenfalls durch glücklichen Ueberfall für die Spanier gewonnen. Und als sie darin waren, tödteten sie alle Männer, und schleppten die Frauen und Kinder fort in die Sklaverei. Da die blutige Zwietracht einmal in dem unglücklichen Wandschen-Volke wüthete, so kannten Haß und Grimm wider einander bald keine Gränzen mehr. Zwei Frauen, die man ergreifen wollte, stürzten sich von der Felshöhe dem Tod in die Arme.

So dachte auch der edle Tazarte, als seine Stellung bei Fataga nicht mehr zu halten war. Hier legte Aytami die Waffen nieder, und rieth Tazarte, das Gleiche zu thun. Dieser aber stürzte sich, da er alles verloren sah, vom Felsen ins Meer.

Jetzt entbrannte der Kampf um die Höhen von Ajodar. Vera und Tenesor wollten von der einen Seite, die Vizcayer von der andern angreifen. Letztere aber wagten zu früh sich vor; ihre Haufen wurden zerschmettert durch Steine und Stämme, dann stürmten die Wandschen hervor, und hätten alles niedergeschlagen, wenn nicht Vera und Tenesor eilig gekommen wären, den kleinen Rest noch schützend aufzunehmen. Während aber die Vertheidiger sich zur Schlacht herausdrängten, hatten in ihrem Rücken Tenesors Leute die Felsen erklommen, sich des Lagers bemächtigt und alles darin getödtet.

So kam der letzte Frühling des Krieges heran. Die letzten Freien hatten sich im Hochthal von Ansito verschanzt. Es waren nur noch 600 Männer und 1500 zitternde Weiber und Kinder, sämmtlich abgehärmt vor Hunger und Wunden und Leiden aller Art. Die übrigen alle waren unter den Schwertern und Kugeln gefallen, oder im Hunger und Elend hier und dort in den Schluchten und Wäldern umgekommen, wie nach einer großen Jagd angeschossene Edelhirsche im unzugänglichen Gebirge verenden. Der Freiheitskampf war zum gräßlichsten Vertilgungskrieg geworden. Niemand gab, Niemand nahm Pardon mehr.

Vera hielt eine große Musterung. Auch er hatte nur noch 1000 streitbare Männer, alle Spanier und Canarier zusammengerechnet. Am 29. April 1483 stellte man sich zum Sturm auf das letzte Lager. Da bat Tenesor, der alte König der Wandschen, noch einmal wolle er mit den Unglücklichen reden, die vordem seine treuen Unterthanen gewesen. Er arbeitete sich in der Thalschlucht empor, und als er die Erbarmungswürdigen erblickte, erbleichte er und war einer Ohnmacht nahe. Dann sprach er zu ihnen und flehte aus dem Grunde seines Herzens: sie möchten ihm vertrauen, er wolle und werde sicherlich sie retten. Die Männer sahen auf die zitternden Weiber und Kinder, denen Tod und Zehrfieber in den Augen saß. Plötzlich warfen sie die Waffen weg und riefen: »Ja, ja! wir gehen mit Dir!« Sie ordneten sich und zogen ab, nur der junge König Benteguy und der greise Faycag von Telde blieben stehen. Lange sahen sie den Abziehenden nach, dann gingen sie auf die Spitze des Berges, umschlangen sich, und mit dem Rufe, mit welchem man sich dem göttlichen Wesen weihte, »Atis Tirma!« stürzten sie sich in die Tiefe.

Tenesor aber näherte sich an der Spitze des Jammerzugs dem spanischen Lager, führte ihn vor Vera und sprach: »General, diese wenigen Insulaner, freigeboren, übergeben ihr Vaterland den katholischen Königen und stellen Leib und Leben, Gut und Blut unter deren mächtigen Schutz. Sie hoffen, man werde gestatten, daß sie in Freiheit unter dem Schutze der Gesetze leben.« Da stimmte der Bischof Frias ein Tedeum an, und als man nach dem Standlager, aus welchem die Palmenstadt erwuchs, zurückgekehrt war, stieg der Bannerträger Alonso Jaimez auf die Thurmplatte, schwang die Standarte und rief dreimal: »Gran Canaria für die allerhöchsten und großmächtigsten katholischen Könige Ferdinand und Isabella, unsere Herren!«

Was aber geschah nun den Wandschen? Man ließ sie wieder sich ansiedeln in ihren Hütten, und dann entriß man ihnen die besten Ländereien, belud sie mit Steuern und Frohnden, ließ ihnen kaum das nackte Leben. Natürlich erwachte zu Zeiten die alte Freiheitsliebe. Dann standen wieder Schaaren von Freiheitskämpfern auf den Berghöhen, und wieder erneuerten sich die blutigen Kämpfe, und die Erstürmung von verschanzten Zufluchtsplätzen in den höchsten Bergschluchten. Nach jedem dieser Aufstände trieben sich noch lange in den Wäldern Gesetzlose umher, gerade wie zu den Zeiten Robin Hoods freie Angelsachsen.

Und als die letzten Aufstände im Blut erstickt waren, da kam die spanische Inquisition, um noch den letzten Freiheitsathem in den Geistern auszubrennen. Die Canarier wurden spanisch, das letzte germanische Lied verstummte. Nur etwas konnte ihnen der finstere Spanier nicht rauben, das frohsinnige Wesen, das herzige Auge, und die kräftige und schmiegsame Gestalt.


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