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VI.
Stadt Ycod.

. Diese war des reichen Weinlandes, das früher hier blühete, Hauptstapelplatz. Der Weg dahin streifte einen Zipfel vom berühmten Pinar, einem Fichtenwalde, der noch immer in einer Ausdehnung von sieben spanischen Meilen die mittlere Höhe von Teneriffa umzieht, während die ganze niedere Länge der Insel nur zwölf Meilen mehr beträgt. Ich ließ den Diener mit dem Pferde halten, und stieg zwischen den prächtigen alten Stämmen eine Strecke hinauf. Es war gar schön im Walde. Die canarische Fichte ist ein wahrer Prachtbaum: sie vereinigt die Schönheit des Laubholzes mit dem hohen Wuchs und dem würzigen Dufte der Tannen. Obgleich die Sonne sich senkte zum Ozeansbade, hallte der ganze Wald noch vom Finkenschlag. Das Unterholz bestand aus Wald-Erica und Lorbeerbaum, und zwischen den Steinblöcken, die mit Moos und Flechten und Farrenkraut überzogen waren, schien hier eine malerische Gruppe von Birken, dort von Tannen, und wieder an anderer Stelle von Pinien zu stehen. Es war aber stets nur die canarische Fichte. In Menge boten sich Stämme dar, die zwei Männer nicht umspannen konnten, aber auch weite Lichtungen und ohne allen Nachwuchs.

Der ganze weite Wald hat nur ein paar Förster. Die kleinere Hälfte ist unter Eigenthümer vertheilt; jede Ortschaft hat ihren besondern Theil; die größere Hälfte gehört dem König d. h. Jedermann. Jeder kann hauen, so viel er will, nur verkaufen darf er das Holz nicht. Alle sagten: der Wald gehe zu Grunde, und der Schaden sei unermeßlich, – im Stillen aber dachte jeder: für mich und meinen Sohn wird's noch reichen. Es ist ein Stoff zum Nachdenken: in der ganzen Welt triumphiren jetzt die Waldverwüster. Selbst Deutschland, auch Bayern, auch Ungarn und Skandinavien darf man nicht mehr davon ausnehmen. Soweit ich auf meinen Reisen beobachtete, nichts war an allen Küsten, auf allen Inseln so gewiß, so gleichmäßig wiederzufinden, wie das Untergehen altbefestigten Erbadels und des schönen alten Waldes. Sollte Beides etwa in gewissem Zusammenhang stehen?

Die Waldverwüstung aber hat noch eine andere und sehr ernste Seite. Trotzdem in unserer Zeit unvergleichlich mehr, als früher, geschieht, um die Wasserläufe zu regeln und einzudämmen, ist es doch zweifellos, daß Ueberschwemmungen stets plötzlicher und um so gewaltsamer und verderblicher auftreten. Stets häufiger werden bei langen Herbst- und Frühjahrsregen die Erdbrüche, die von den Bergen stürzen und Äcker und Häuser begraben. Was anders ist die Ursache, als daß im Frühjahr, wenn bei dem ersten warmen Regen der Schnee schmilzt, die Gewässer rasch von den kahlen Bergen abfließen? Moos und Bäume und die tiefe schwammige Walderde saugen sie ja nicht mehr ein und halten sie nicht mehr zurück. Ist das nicht auch eine Lebensfrage für's Land, mit welcher sich der Reichstag beschäftigen sollte? Nicht bloß die Staatsforsten bedürfen Schutz und Sorge, ein strenges Gesetz muß auch den andern Waldbesitzern entgegentreten, daß sie nicht niederschlagen und abholzen, ohne für genügenden Nachwuchs gesorgt zu haben. Es handelt sich ja hier um das allgemeine Wohl, um die Sicherheit und Gesundheit des Landes, und deren Bedingungen muß der einzelne Grundbesitzer sich ebenso unterwerfen, wie den Anforderungen der Grundsteuer und der Weg- und Wasserbauten.

Der Mond, dessen Strahlen zwischen die hohen Wipfel fielen, mahnte den Wald zu verlassen. Da lag nun die wundervollste Mondnacht vor mir in der milden Klarheit des Südens. Wie könnte ich nur versuchen, ihren heiligen Zauber, ihre Majestät und Größe zu schildern! Bei uns, auch wenn der volle Mond am hellsten scheint, umfaßt der Blick immer nur eine kleine Welt: hier aber scheinen Himmel und Erde weit aufgethan, und der Gedanke fliegt auf hohen Schwingen. Zur Rechten lag der stille dunkle Glanz des Ozeans, noch immer leise sich hebend und senkend, wie ein Weltgeheimniß halbverhüllt, in dessen Tiefen eine ungeahnte Schöpfung schlummert. Zur Linken stand in sanften Umrissen, hoch unter dem funkelnden Sternhimmel leuchtend, der hellweiße Teyde, dessen Schneestreifen tief herunter gingen. Wie ein Geist stand er feierlich über uns in unsäglicher Erhabenheit. Die milde Luft war voll köstlichen Wohlgeruchs, und jedesmal, wenn wir wieder aus einer Schlucht aufwärts stiegen, wehte ein Hauch vom Meere kühlend dazwischen.

Als wir in die Nähe der Stadt kamen, zogen Gruppen von Leuten vorbei, Männer und Frauen, weiß im weißen Mondlicht wie Nachtgespenster; denn auch die Männer trugen den weißen Mantel, der ein schlichtes langes Stück Wollzeug ist, das am Halse nur etwas zusammengezogen wird. Die abendliche Kirchenfeier müßte also, so dachte ich, schon vorbei sein. Eine lange dunkle Straße, welche durch die Stadt führte und nicht enden wollte, war wie ausgestorben. Endlich kamen wir auf den Marktplatz, und siehe da, von der obern Straße wogte eine Lichterfluth hoch herunter, viele Hunderte kamen mit Lichtern in den Händen, die kleinen Mädchen mit goldenen Flügeln und Blumenkränzen, die Straße lag voll hundertfältiger Blüthen, und mitten in der Prozession schwankte daher ein kleiner Berg von Rosen und Lilien und Lichtern, zwischen welchen das lebensgroße Bild des schlafenden Heilands lag. Ein strahlendes Blumen- und Lichterfest schien auf das Erwachen des holdesten Frühlings zu warten. Auf dem Markte wurde zweimal das feenhafte Gerüste niedergesetzt, der Priester sang einen lateinischen Vers, und dann fluthete der ganze Lichterstrom in die nahe dunkle Kirche hinein, während auf dem Thurme – denn Glockengeläute darf an diesem Tage nicht sein – auf das Schrecklichste gerasselt und geklappert wurde. In der Kirche hörte ich wieder die erschütternden Sätze des Klaggesangs Jeremias. Wie schön, daß zur selben Abendstunde dieselbe Klage ertönt, soweit die katholische Kirche sich über das Erdenrund verbreitet! Die halbbraunen Bauernweiber aber mit den dichten dunklen Augenbrauen über dem Elfenbeingebiß standen oder kauerten umher mit dem Anstande von Fürstinnen.

Noch einige Augenblicke trat ich hinaus auf die Terrasse hinter der Kirche, welche aufs Meer schaute. Die Naturgewalt einer Mondnacht ist in dieser Gegend, wo man den Tropen so viel näher ist, so groß, daß man ein paar Schritte von Menschengruppen sich wie in tiefer Einsamkeit befindet. Als ich dann nach der Richtung ging, wo das Gasthaus liegen sollte, wartete schon ein Freund des Wirthes auf der Straße, mich zu bewillkommnen und an den bereits sauber gedeckten Tisch zu führen. Juan war, während ich zur Kirche ging, mit dem Pferde in das Haus gekommen, da hatte die geängstigte Köchin die Frau, und diese, da ihr Mann noch in der religiösen Hermandad (Brüderschaft) zu thun hatte, einen Freund aus der Kirche heraus gerufen. Bald erschienen auch der Hausherr, die Köchin, die Frau, eines nach dem andern stellte sich dar, den Gast herzlich zu begrüßen, obwohl das eigentliche Wohnhaus ein paar Häuser oben lag. Der Wirth und sein Freund, wohlhabende und gesprächige Männer, bedienten mich nun auf das Freundlichste bei Tische. Es gab nur Fastenspeise: Sardinen, gräßlicher Stockfisch, Eier, Salate, Käse, der nach einem Stall voll Ziegen duftete und wie süße Milch schmeckte, ein guter Malvasier, und zum Nachtisch prachtvolle Bananen und die berühmten Ycoder Orangen, deren süßer Saft etwas Erregendes hat, wie Champagnerwein. Ich wüßte nicht, daß ich in Girgenti oder Jaffa, die ihrer Orangen wegen berühmt sind, so köstliche Orangen gegessen, und möchte wohl wünschen, ich könnte meinen Lesern zur Probe mit ein paar aufwarten.

Charfreitag wird auf den canarischen Inseln so hoch und festlich gefeiert, wie Gründonnerstag. Morgens früh schon standen mein Wirth und sein Freund vor meinem Bette: ich möge doch ja die Predigt und Prozession nicht versäumen. Nicht einmal den großen Drachenbaum ließen sie mich erst ansehen, ich mußte gleich mit ihnen. Da fand ich draußen vor der Stadt auf einem ummauerten Platze, dessen Höhe die Kapelle auf Stufen krönte, ganz Ycod versammelt, in der Mitte die Damen, ringsumher die Herren. Ich merkte bald, hier war das blaue Blut von Spanien vertreten, sowohl durch den Landadel als durch ein Patriziat, das noch von den alten guten Zeiten her in diesen Städten zahlreich sich einbürgerte. Die Ycoder rühmen sich, daß auf ihrer Stadtflur nicht bloß der feinste Malvasier und die würzigsten Orangen gedeihen, sondern auch ganz ausnehmend das Edelste und Lieblichste auf Erden: Frauenblüthe. Der Hausfreund meines Wirthes wollte ohne Zweifel, ich sollte mich durch den Augenschein überzeugen, und drang gleich bis in die Mitte des lebendigen Blüthenfeldes vor. Da mußte ich allerdings meinem Wirth, der drüben bei seiner Hermandad sich hervorthat, verständnißinnig hinübernicken, und seine Brust hob sich noch viel stolzer. Neben mir stand ein wahres Götterkind mit süßen unschuldigen Rehaugen, und es gab da noch viele Schönheiten, die vor fünf Jahren ebenso blüthenfrisch aussahen und jetzt mit dem stolzen, festen, ja etwas starren Blick der Spanierinnen umherschauten. Das Ergebniß aber meiner canarischen Studien in diesem Zweige vergleichender Völkerkunde ließe sich vielleicht in den Worten zusammenfassen: viel Adel und viel Fülle. – mit dem guten Rath dabei, um Himmelswillen sich mehr Bewegung zu machen. Eine böse Zunge würde vielleicht beifügen: man möge doch dann und wann ein Buch in die Hand nehmen.

Der Prediger, welcher nach den Gesängen am Altar vor der Kapelle auf den erhöhten Stufen erschien, hielt in der Hand ein Kruzifix und gab sich so viele Mühe mit heftigen Worten und Geberden, daß alle Augenblicke das blaugewürfelte Schweißtuch zum Vorschein kam. Zuletzt verglich er sogar des Papstes Leiden mit Christi Leiden und hieb mit dem Cruzifix förmlich um sich. Seine Zuhörer aber schienen das einfach für sein Geschäft zu halten, kein Auge, das sich trübte, und als die ganze Versammlung aufbrach und in langer Prozession zur Pfarrkirche wallte, da gingen Herren und Damen in kleinen Gruppen und unterhielten sich wahrscheinlich von hübschen Stadtneuigkeiten. Mir aber stellten sich der Alcalde und noch zwei Herren vor; denn ich hatte im Gasthause nach dem Ersteren, an welchen ich empfohlen war, gefragt, und da meinten die Andern: ich müsse wohl auch an sie eine Empfehlung haben, und alle Drei ladeten mich auf das Freundlichste in ihre Häuser ein, zum Frühstück, zum Mittag, zum Abend. Es kann gar kein gastfreieres Volk geben. Hier macht es Freude und Ehre, ebenso einen Fremden zu bewirthen, als ihn weiter zu empfehlen.

Vor der Kirche entwischte ich und fragte mich durch nach dem berühmten Drachenbaum, welcher der größte auf der Welt ist. In Leibeshöhe können ihn acht Männer umspannen, an der Wurzel reichen nicht zwölf dazu hin. Er hat eigentlich nur die Form eines Binsenstraußes, aber das Einfache bei dem ganz Ungeheuren macht einen angenehmen Eindruck: ein herrlicher Rest aus den Wäldern der Urwelt. Ycod besitzt auch eine Höhle, die eine halbe Stunde bis zum Meere niedergeht, wo sie sich wieder öffnet. Sie soll domartige Säle enthalten, mit Gebeinen der Wandschen besäet sein, und nach dem Volksglauben bis ins Innere des Teyde sich erstrecken. Ich bin nicht darin gewesen, sondern machte, daß ich fortkam, ehe alles wieder aus der Kirche heimkehrte. In meinem Gasthaus – und es war doch wirklich eine – wollte man mir aber keine Zeche machen. Zuletzt hieß es: ich möchte geben nach Belieben.

Es ging nun an der Wand einer offenen Schlucht steil hinunter bis zum Meere. Schon von weitem scholl der Donner der Brandung, die mit schäumendem Wellenschlag das Küstenriff peitschte, soweit sich seine dunkle Linie absehen ließ. Das rollte und brüllte immer heran in so regelmäßigen Schlägen, wie eine ungeheure Stampfmühle, und hörte niemals auf.

Auf einem Hügel lag dort am Meer eine Villa, zu welcher eine Allee von hohen Cypressen führte, und das grün umbüschte weiße Wohnhaus war überragt von elf Palmen, zwischen deren hohen Schäften die prachtvollste Seebläue durchschimmerte, ein Bild von Glück und Frieden mitten zwischen der Ozeansgröße und dem höchsten Vulkan.

Nie habe ich lockendere Landsitze gesehen, als an den canarischen Küsten. Hätte man hier beständig jene geistige Anregung, wie sie nur bedeutendere Geselligkeit geben kann, so ließe sich kein schöneres Leben denken. Freilich kommt auch noch das Klima in Rechnung. Denn schon vom Juli an verdorren Gras und Kräuter; im August fangen die Blätter an, durch die Hitze ausgedorrt von den Bäumen zu fallen; im September steht der Wald entlaubt wie bei uns im Winter. Alles ist dann grau und todt und ausgebrannt, und in der strahlenden Helligkeit, die alles umgibt, entwickelt sich eine Gluth, daß man nicht Wasser genug verspritzen kann, um die Luft ein wenig anzufeuchten. Dann aber kommt das Aergste, das sind die Winde aus den afrikanischen Wüsten, welche alles, was zwischen Himmel und Erde ist, mit bleichem Dunst erfüllen, bei Tag den Athem, bei Nacht den Schlummer nehmen. Dann werden die Nerven überreizt, das geringste Denken macht Kopfweh, und die Stunden bekommen eine qualvolle Länge. Wer es irgend vermag, entflieht zu einigen Stellen an der Küste, wo ein frischer Gegenwind von der See her sich einzustellen pflegt. Denn nicht selten wird selbst die höhere Zone, von 2500 bis 5000 Fuß über dem Meere, auf welcher sonst immer die Wolken ruhen und das Laub beständig frisch und grünglänzend erhalten, von den trüben Gluthwinden noch entsetzlicher heimgesucht. So ungefähr lauteten die Schilderungen von Freunden, und sie waren ganz danach, um das lachende Frühlingsparadies und die bezaubernde Frische und Lichtfülle, die mich entzückten, mit trübem grauen Hintergrunde zu umziehen.


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