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Urwaldzauber

23. Oktober

Nach zweitägiger Rast seit gestern Weitermarsch. Immer noch zieht sich die Straße durch dichtes Waldgebiet; nur wenige Schritte weit vermag das Auge seitwärts des Weges in ihn einzudringen; dabei steigt er ununterbrochen im hügeligen Gelände auf und nieder. Bis Lolodorf steigt man von der Küste an im ganzen auf 500 m. Jaunde liegt noch 200 m höher über dem Meere. Die Ansiedelungen auf den gerodeten Lichtungen am Wege werden dichter, aber wirkliche, zusammenhängende, große Dörfer, wie man sie in Togo überall trifft, habe ich auf dem ganzen Wege noch nicht gefunden. Seit heute marschieren wir zwar noch im Lolodorfbezirke, aber der Bevölkerung nach schon im Gebiete der Jaunde.

Meine heutige Rast halte ich auf einer kleinen Höhe zwischen einem halben Dutzend Hütten. Unterwegs waren viele Ansiedelungen völlig verlassen, und als Grund erfuhr ich, daß sich vor mir her das Gerücht verbreitet habe, ein weißer Mann käme und ließe von einem Soldaten alle Leute einfangen und mit nach Jaunde nehmen. Freilich lag zu diesem Gerücht scheinbar ein Grund vor. Ich habe tatsächlich von Lolodorf zur Begleitung einen Soldaten mitgenommen, aber lediglich um meine Träger zu beaufsichtigen und zu verhindern, daß die Leute ihre Lasten im Stich lassen und davonlaufen. Hier in Südkamerun soll es die Regel sein, daß von den angeworbenen Leuten in den ersten Tagen einige durchbrennen; hat man sie erst mehrere Tage im Marsch, dann wagen sie es nicht mehr. Trotz des mitgenommenen Soldaten waren mir nun über Nacht drei Leute ausgerückt. Um sie wieder einzufangen, hatte ich noch vor Sonnenaufgang den Soldaten ausgeschickt; aber er suchte vergeblich die nächsten Niederlassungen nach ihnen ab. Diese ergebnislose Razzia nach meinen Durchbrennern hatte das Gerücht veranlaßt. Noch am Orte der Rast bekam ich Ersatz für sie.

Auf dem heutigen Marsche kamen mir beim Passieren eines Dorfes auf einmal zwei Jungen laut rufend nachgelaufen. Ihre saubere Kleidung ließ vermuten, daß sie einmal in europäischer Zucht gestanden hatten, und als sie herankamen und mich begrüßten, erkannte ich in ihnen die beiden Jungen von Oberleutnant H. wieder, von denen der ältere den jüngeren in Kribi durch einen Pistolenschuß schwer verwundet hatte. Ich konnte nicht umhin, den ehemaligen Patienten gleich auf der Landstraße einer gründlichen Perkussion und Auskultation zu unterwerfen und freute mich, als sich ergab, daß sein Bluterguß, mit dem er eigenmächtig vor sieben bis acht Wochen das Weite gesucht hatte, völlig resorbiert war, und daß die Verletzung auch sonst keine dauernden Folgen für ihn gehabt hatte.

Seit meinem Aufbruch von Lolodorf herrscht wenigstens den größten Teil des Tages wieder Sonnenschein, ich habe hoffentlich den schlimmsten Regendistrikt hinter mir. Erst in trocknen Kleidern geht einem das Verständnis für die Reize des Urwaldes auf, deren er wahrhaftig nicht bar ist. Tausenderlei Leben herrscht in ihm, tausenderlei Formen und Farben der Tier- und Pflanzenwelt trifft man an, überall ist er verschieden, und wenn man als Wanderer vor seiner Karawane ihn durchpilgert, so wechseln bei aller Gleichartigkeit des Grundtones doch dauernd die einzelnen Szenerien auf beiden Seiten des Weges. Ehrwürdige Baumriesen mit vielhundertjährigem Alter überragen hie und da das Gesamtbild, ihre grünen Kronen bald mit wenigen starren Zacken zu den Wolken emporstreckend, bald mit verschlungenem Geäst ein schattiges, dichtgeflochtenes Kunstwerk bildend. Was würden sie erzählen können, wenn ihre Sprache verständlich wäre. Schlanke Lianen schlingen liebelechzend ihre Arme um den alten Recken, der sich geduldig die Liebkosung gefallen läßt. Doch wehe, wenn er nicht rechtzeitig ihre Netze zersprengt, erbarmungslos wird er von ihnen erdrückt. Manch sterbender Riese mit kahlem Haupte gibt Zeugnis davon, manch einer liegt bereits am Boden. Ein weiches Leichentuch aus samtnem, grünem Moose deckt den verwesenden Leib, Farnkräuter mit langen Wedeln halten die Totenwacht, bunte Falter umflattern ihn. Freilich ist es kein ewiger Tod für ihn. Die Berührung mit der mütterlichen Erde läßt gar bald neues Leben aus ihm erstehen. Aus seinen verwitternden Resten schießen üppig neue Gebilde empor. Wenn sie auch nicht die imposante Höhe des Gefallenen erreichen, so füllen sie doch seine Lücke reichlich aus.

Am dichtesten und undurchdringlich selbst fürs Auge schließen sich die Reihen in der niederen Region. Hier hausen die Scharen der Jungen und der Zwergvölker des Urwaldes, die niedrigen Gebüsche, die Gräser, die Sträucher. Was ihnen an Kraft und Wuchs fehlt, ersetzen sie durch Zahl und Fülle, durch Anmut und Farbenschönheit ihrer Blüte. Brennende Farben herrschen in der Tropenflora vor. Grellrote Dolden oder Tulpenblüten, die keck aus dem dunkeln Grün hervorbrechen, wechseln mit den mannigfach gefärbten bunten Kelchen der zahlreichen Ranken und Schlinggewächse, die im Gebüsch und über dem Boden entlangkriechen und ihre Ausläufer selbst auf den von Menschenhand mühsam gebahnten Weg aussenden, die aber auch hinauf ins dichte Laubwerk klettern und aus ihm heraus ihre Blütenköpfe der Sonne entgegenrecken. Und wenn ein Fluß den Urwaldboden durchquert oder sonst eine Wasserstelle sich findet, dann sprießt das Leben doppelt reich empor, hier gibt es dauernd frischen Trank in der Tropenhitze.

Hier sind die bevorzugten Stände. Aber auch die andern entbehren der Labung nicht. Häufig genug spendet ihnen der Himmel Erfrischung. Er kündigt sie an durch einen Vorläufer, den Wind, der zu mancher Jahreszeit eine gar unwirsche Sprache reden kann. Und wenn dann der Tornado mit Blitz und Donner durch den Urwald fährt, dann schwillt das Geflüster in ihm zu gewaltigen Tönen an. Ächzend murren die alten Herren, daß er so unsanft ihnen die ehrwürdigen Häupter zerzaust, die kleineren Nachbarn stecken die Köpfe zusammen und erzählen sich rauschend ihre Geschichten. Wohl bringt er einem morschen Alten den letzten Todesstoß, so daß er mit lautem Stöhnen zu Grabe sinkt; wohl raubt er gar manchem eine Zacke seiner Krone, aber er sorgt auch dafür, daß tausendfältiger Samen über den Waldboden verstreut wird, dem der nachfolgende Regen zu keimendem Leben verhilft.

Tausendfältig ist das Pflanzenleben des Urwaldes und tausendfältig auch das Leben der Tierwelt in ihm. Wennschon es sich den neugierigen Blicken der Menschen mehr entzieht und lieber versteckt im Waldesdunkel sich entfaltet, so trifft der Wanderer doch überall noch genug von ihm an. Wie viele Vögel scheucht er auf, oft mit schillerndem, buntem Gefieder, wie oft hört er einen Lockruf oder einen Warnungsschrei, wie oft schreckt er die laut kreischenden Papageien und den mit schwerem Flügelschlage davonrauschenden Nashornvogel auf. Zahlreiche Schmetterlinge, Käfer und sonstige Insekten fliegen vor ihm her, ungezählte Tausende geschäftiger Ameisen kreuzen in emsiger Arbeit seinen Weg, Eidechsen rascheln im Laub. Scheuer sind die Vierfüßler, Dreistigkeit und Neugier unter ihnen zeigt nur der Affe. Hat der Wanderer Glück, so sieht er auch wohl eine Antilope im Dickicht verschwinden, oder er hört nachts den Elefanten am nahen Wasser, den Eingeborenen höchst unwillkommene Gäste, die ihre Anpflanzungen, die sie auf mühsam gerodeter Stelle angelegt haben, erbarmungslos verwüsten. Welch ungeheurer Gegensatz zwischen unsern heimatlichen Forsten und dem afrikanischen Urwald! Dort nur wenige Arten in Reihen gehaltener, gepflegter Stämme, hier hundertfach wechselnde Vegetation. Dort das Bild wohlgepflegter, gleichmäßiger Ordnung, von Menschenhand gemeisterter Natur, hier das wilde Chaos, das kühn noch dem menschlichen Eingreifen trotzt.

Und doch, gehen wir zweitausend Jahre zurück, eine für die Äonen der Weltentwicklung kurze Spanne Zeit, so hatten auch unsere deutschen Gaue den Urzustand des Waldes, den Urzustand der Rasse, und auch in ihnen versuchte eine fremde Kultur das Werk der Kolonisation.

 

Am Njong, 25. Oktober

Wie in Togo so scheint auch hier bezüglich der Beschaffenheit der Wege ein paradoxes Gesetz zu gelten: ihre Güte nimmt zu proportional der Entfernung von der Küste. Das gibt zu denken! Anders könnte man dieses Gesetz auch so formulieren: je kleiner und ferner Büro und Büroarbeit, um so größer die Arbeit in der Erschließung des Landes, je weniger Tinte, um so mehr Wegebau! So ist die Straße des Lolodorfgebietes weit besser instandgehalten als an der Küste.

Ich raste am Njong, einem schon hier mächtigen Strom, der nördlich von Kribi bei Klein Batanga ins Meer mündet. Jenseits beginnt der Jaundebezirk.

Land und Leute in Jaunde

27. Oktober

Immer besser wurde die Straße, und augenblicklich – ich bin noch 60 km von der Station Jaunde entfernt – ist sie geradezu musterhaft. Ihre Instandhaltung ist die beste von sämtlichen Wegen, die ich in Togo und Kamerun bisher gesehen habe. Ferner ist die Trasse mit Sorgfalt und Geschick gewählt, denn sie vermeidet durchweg trotz des hügeligen Geländes jede übermäßige Steigung, so daß selbst mit Zugtieren bespannte Lastwagen ohne weiteres bequem auf ihr fahren könnten. Die Rodungen am Wege werden häufiger und die Niederlassungen sauberer, die Leute selbst freundlicher und sympathischer. Die Anlage der Ortschaften ist die von »Reihendörfern«.

Ohne Parallel- oder Seitenstraßen sind die großen Hütten nur an der Längsseite eines zwischen ihnen freien Dorfplatzes errichtet. Bedenkt man, daß hier eine Negerhütte oft 10 m lang und von der nächstfolgenden durch einen bisweilen ebenso großen Zwischenraum getrennt ist, so kann man ermessen, welche enorme Längsausdehnung ein solches Reihendorf hat, selbst wenn es nicht mehr als 50-60 Hütten zählt.

Die Jaunde sind meist große, ebenmäßig gebaute und kräftige Gestalten. In ihrer äußeren Tracht halten sie noch ziemlich fest an ihren altgewohnten Sitten, obwohl auch unter ihnen die häufige Berührung mit den Küstenplätzen, in die sie als fleißige Karawanenträger kommen, ihren modernisierenden Einfluß hie und da geltend zu machen beginnt. Besonders charakteristisch ist ihre Nationalhaartracht. Sie tragen das Haar nicht kurz, sondern wickeln und flechten es zu einem Onkos, der in mannigfachen Formen bei den einzelnen wechselt. Bevorzugt ist eine Frisur, die man am ehesten mit einer Raupe vergleichen könnte, wie sie früher den Kavalleriehelm zierte. Auf seiner Höhe wird oft ein bügelförmig gebogener Stab befestigt, und seine Konturen werden mit weißen oder rot bemalten Kauris, Knöpfen usw. ausstaffiert. Nur selten begnügen sie sich mit einer einzigen solchen Raupe, meist ist die Frisur eine dreiteilige, so daß die mittlere Haarwulst noch von zwei seitlichen flankiert wird. Ehe ein solches von Öl triefendes Kunstwerk in allen seinen Einzelheiten vollendet ist, können Jahre vergehen. Die Weiblichkeit variiert diesen Kopfputz noch weiter und ordnet das Haar häufig in einem halbmondförmigen, nach hinten offenen Schmuck. Auf diesem Diadem wird etagenförmig oft noch ein zweites, selbst drittes aufgesetzt.

Als weiteres, eigenartiges Schmuckstück trägt die gesamte Frauenwelt Jaundes einen um die Lenden gegürteten Roßhaarschweif. Freilich ist er nicht aus Roßhaar angefertigt, sondern aus einer bestimmten Grasart, deren getrocknete Stengel mehrfach in der Längsrichtung gespalten und rot oder schwarz gefärbt werden. In Form und Größe ähnelt er indessen täuschend den Helmbüschen unserer Soldaten. Dieser Pseudoroßhaarschweif erfüllt übrigens alle Bedingungen, die man an eine vernünftige Mode nur stellen darf: er ist kleidsam, praktisch und hygienisch. Setzt sich die Jaundedame nieder, so dient er von selbst als weiches Kissen und hält gleichzeitig Schmutz und Ungeziefer des Erdbodens von ihr fern. Besonders drollig sieht es aus, wenn kleine zwei- bis dreijährige Purzel mit ihrem auf und nieder wippenden Miniaturschweife angewackelt kommen. Zur Vervollständigung der Toilette einer Jaundefrau gehören nur noch Metallringe, die, aus blankgeputztem Messing oder Kupfer angefertigt, oft in 20 und mehr Windungen am Arm oder Unterschenkel getragen werden und im Verein mit dem phantastischen Haarputz und dem eben geschilderten Cul ihnen ein sehr martialisches Aussehen verleihen. Ihre reichen Tätowierungen sind meist in dunkelblauer Farbe gehalten.

Bei besonderen Festlichkeiten, bisweilen wohl auch aus arzneilichen Gründen zieht der Jaunde rote Strümpfe an, die oft hinauf bis zu den Hüften reichen: er beschmiert seine unteren Gliedmaßen mit einem hochroten, aus einem Rotholz gewonnenen Farbstoff. Die Trauerfarbe der Witwen ist weiß, und der ganze Körper, das Gesicht eingeschlossen, wird von ihnen mit einem weißen Farbstoff bemalt; außerdem dokumentiert sich ihre Trauer dadurch, daß sie ihren Roßhaarschweif ablegen und durch ein Büschel grüner, gespaltener Bananenblätter ersetzen.

Mein Zelt schlage ich schon seit einigen Tagen nicht mehr auf, weil sich fast immer eine wenig gebrauchte, neue Hütte findet, in der ich übernachten kann. Dazu sind die geräumigen, luftigen, aus den Rippen der Raphiapalme gebauten und mit Matten gedeckten Wohnungen kühler als das dumpfige Zelt. Nur das Ein- und Austreten macht bei der sonderbaren Konstruktion der Tür erhebliche Schwierigkeiten. Sie besteht aus einer erst gut ½m über dem Boden beginnenden Öffnung von nicht mehr als 75 cm Höhendurchmesser, so daß man eine ganze Reihe gymnastischer Evolutionen ausführen muß, ehe man seine Glieder durch sie hindurchgezwängt hat.

Volkskrankheiten scheinen hier weniger verbreitet zu sein als unter der Küstenbevölkerung, wenigstens sehe ich nicht mehr die Framboesie in so entsetzlicher Häufigkeit. Interessant war mir das Antreffen einiger Albinos, die überhaupt unter den Kameruner Bantus öfter vorzukommen scheinen als in Togo. In Duala bekam ich auch mehrere zu Gesicht. In Togo habe ich während meines 2½jährigen Aufenthaltes nur zwei gesehen, von denen merkwürdigerweise einer trotz seines sonstigen Pigmentmangels an einem bösartigen melanotischen Sarkom litt.

Jaunde, 31. Oktober

Seit drei Tagen sitze ich glücklich in Jaunde und bin damit beschäftigt, mich wieder einmal von neuem in neue Verhältnisse hineinzudenken und nach Möglichkeit hineinzuleben. Äußerlich angesehen wird sich's gut hier hausen lassen. Ein buntes und reges Leben beherrscht die Station, die seit einem Jahre zum Range eines Bezirksamtes erhoben worden ist. Das Treiben auf dem ummauerten großen Stationshofe spiegelt die Vielseitigkeit der Arbeit wider, die hier geleistet wird. Schwarze Arbeiter und Träger kommen und gehen vom Morgen bis zum Abend, Soldaten treten zum Exerzieren an, Scharen prozeßlustiger Schwarzer lagern vor den Stufen des Stationshauptgebäudes, um den Richterspruch des Bezirksamtes einzuholen. Dazwischen bevölkern als Zeugen des landwirtschaftlichen Betriebes Enten, Gänse, Hühner, Perlhühner und Tauben, an deren Futternäpfe sich auch einige graue, rotschwänzige Papageien drängen, den Hof. Als seltener Gast schleicht ein junger, zahmer Leopard bedächtig umher, der mit kühnem Sprunge durch ein offenes Fenster auch den Zimmern der Europäer bisweilen einen Besuch abstattet. Eine Herde gutgepflegter Rinder und ein halbes Dutzend Pferde gehören ebenfalls zum lebenden Inventar.

In der Mitte des Hofes steht das Hauptgebäude der ganzen Anlage, ein massiver, aber luftiger, mit gebrannten Tonziegeln gedeckter Bau. Außer dem vielbeschäftigten Bezirksamtmann v. Krosigk hause ich selbst in ihm. Die übrigen Stationsbeamten: ein Sekretär, eine landwirtschaftliche Hilfskraft und ein Polizeimeister bewohnen ein zweites großes Gebäude. Unterkunftsräume für die schwarzen Soldaten und die sonst im Dienste des Bezirksamtes stehenden Eingeborenen, Vorrats- und Geräteschuppen, die militärische Wache u. a. verteilen sich über die Peripherie des Platzes.

Für meinen ärztlichen Betrieb stehen mir vorläufig zwei Räume eines Seitengebäudes zur Verfügung. In einem von ihnen ist bereits im Laufe der vergangenen Jahre eine recht stattliche Sammlung fertiger Arzeneien, Tabletten, Lösungen, Pillen, Verbandmittel usw. aufgestapelt worden, die nach und nach von den Europäern teils für eigenen Bedarf, teils zur Abgabe an Schwarze bestellt wurden. Meine erste Aufgabe wird die sein, aus der Menge dieser Vorräte – ich zähle allein über 300 Flaschen und Fläschchen – die verdorbenen herauszusuchen, das Brauchbare übersichtlich zu ordnen und durch meine von der Küste mitgebrachten Vorräte zu ergänzen. Der zweite Raum soll als provisorisches Untersuchungs- und Operationszimmer dienen, bis die erbetenen und hoffentlich nach nicht allzu langer Zeit bewilligten Mittel uns erlauben, einen geregelten ärztlichen Betrieb aufzunehmen.

Außer den Regierungsbeamten wohnen in Jaunde ungefähr zehn europäische Kaufleute in den Zweigfaktoreien, die von den an der Küste ansässigen Firmen hierher vorgeschoben worden sind. Auf einer dreiviertel Stunde entfernten Anhöhe liegt die Missionsniederlassung der Pallotiner mit acht Weißen: Priestern, Laienbrüdern und Schwestern. Nicht weit von der Station breitet sich eine große Hausaniederlassung aus, etwas entfernter die Langhütten der eingeborenen Jaunde. Die nächste Umgebung außerhalb der Stationsmauern ist völlig freigeschlagen und zu einem großen Teile in Ackerland umgewandelt, auf dem Mais, Baumwolle, Planten u. a. angepflanzt sind; aber auch alles europäische Gemüse, selbst Kartoffeln gedeihen sehr gut. Der erste Gesamteindruck, den ich gewonnen habe, ist der einer weitverzweigten, angestrengten, aber wohlgeregelten Arbeit.

Eine freudige Überraschung war mir's, als heute mittag Freiherr v. S., ein alter Togobekannter, zu kurzer Rast auf der Station einrückte. Er hatte in Togo die Grenzvermessungsarbeiten geleitet und erledigt und war vor kurzem von einem Heimaturlaube, gekommen, um nunmehr in Kamerun als Leiter der deutschen Abteilung der deutsch-französischen Grenzregulierungskommission an die Vermessung der Ostgrenze zu gehen. Seine schwere Aufgabe wird ihn und seine Mitarbeiter zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen und ihn durchweg in unwegsames, ungesundes und wenig erschlossenes Gebiet führen. Von Jaunde aus wird er ostwärts nach Bertua ziehen, um dort mit den übrigen deutschen und französischen Teilnehmern der Kommission, die auf einer andern Route ihrem Ziele zustreben, zusammenzutreffen. In seiner Begleitung befinden sich als Lastenträger über 100 Togoleute. Da er mit ihnen durch Gebiete ziehen muß, in denen gerade jetzt Pocken herrschen sollen, so will ich alle Ungeimpften unter ihnen schleunigst hier impfen.


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