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Einschleppung des Gelbfiebers

Anecho, 8. Februar

Das neue Jahr hat mit einer schweren Gefahr für uns begonnen. Seit 2½ Jahren hatten wir uns eines ausnahmsweise günstigen Gesundheitszustandes der Europäer zu erfreuen, denn kein einziger der an unserem Orte selbst Ansässigen ist während dieser Zeit gestorben. Nun haben sich in der kurzen Zeit vom 27. Januar bis zum 2. Februar drei Gräber auf einmal aufgetan. Das schlimmste dabei ist, daß uns ein heimtückischer Feind überfallen zu haben scheint, auf dessen Angriff niemand gefaßt sein konnte, denn er hat sich früher in Togo noch nie gezeigt, das Gelbfieber.

Dieser Tage trugen sie den ersten Toten hinüber nach Adjido, einen Bruder der katholischen Mission, der schon vier Jahre lang im Lande weilte und jetzt nach kaum eintägigem Kranksein verschied. Ich habe ihn ärztlich nicht zu sehen bekommen. Am 2. Februar starb eine Schwester der katholischen Mission, ebenfalls ohne ärztlich behandelt zu sein. Auf die wahre Natur der Krankheit, der sie erlagen, fiel außer durch nachträgliche Erkundigungen ein Licht durch die ebenfalls tödliche Erkrankung eines jungen Kaufmanns, der am 31. Januar im Krankenhause starb.

Während der beiden ersten Krankheitstage kam mir noch nicht die leiseste Ahnung, um was es sich handele. Wohl konnte ich Malaria mit großer Sicherheit ausschließen, aber alle vorhandenen Symptome sprachen anfänglich am ehesten für einen Anfall von Nierenkolik, der schon am zweiten Tage in Besserung überzugehen schien. Doch der dritte Tag änderte das ganze Bild. Eine auffällige Pulsverlangsamung bei hoher Temperatur, Blutbrechen und andere charakteristische Erscheinungen mehr mußten den schweren Verdacht auf Gelbfieber wachrufen. Ich nahm den Patienten ins Krankenhaus, wo er nach zwei Tagen verschied. Vier Jahre lang weilte er ohne Unterbrechung in Togo und wollte in einigen Wochen einen wohlverdienten Urlaub antreten. Er ahnte selbst nicht, wie schwer krank er war, nur wenige Stunden vor dem Tode kam ihm vorübergehend der flüchtige Gedanke von der Gefährlichkeit seines Zustandes. Auch für den Fernerstehenden machte er eher den Eindruck eines Genesenden, und die pflegende Schwester war erstaunt, als ich am Morgen seines Todestages den gewohnten Gang nach der Eingeborenen-Poliklinik unterließ, weil mir die sinkende Herzkraft und andere Zeichen das drohende Ende verrieten. Mit einem Lächeln in den Zügen trat er seinen ewigen Heimaturlaub an.

Hier in der einsamen Ferne, im kleinen Kreise, tritt auch dem Arzt der Tod eines Menschen härter an die Seele als daheim. Schwester F., die ihm in aufopfernder Pflege Tag und Nacht sein kurzes aber schweres Krankenlager erleichtert hatte, konnte sich, als er so plötzlich die Augen schloß, der Tränen nicht erwehren. Ich drückte ihr schweigend die Hand als Dank, den ihr der Verstorbene selbst nicht mehr abstatten konnte. Am 1. Februar begruben wir ihn. Für den gerade abwesenden Missionar R. kam Missionar O. Er starb selbst einige Monate später an Dysenterie in Lome. aus Lome herbei und sprach ihm die Grabesworte.

Da auch die beiden anderen Todesfälle nach den eingezogenen Erkundigungen unter Erscheinungen eintraten, die auf gleiche Ursache schließen lassen, so stehen wir vor einer schweren Gefahr. Ist doch das Gelbfieber in seiner Gefährlichkeit nur noch mit der Pest oder Cholera in Vergleich zu stellen. Wo können wir den unheimlichen Gast herbekommen haben? Noch weiß ich es nicht mit Bestimmtheit. Der Verdacht lenkt sich auf einen französischen Dampfer Tibet, der unlängst die Togo- und Dahomeküste anlief und von den nordafrikanischen, französischen Besitzungen kam, in denen das Gelbfieber heimisch ist. Bereits vor zwei Jahren hatte ich deshalb dem Gouvernement eine genaue Überwachung des Schiffsverkehrs mit diesen Gelbfieberherden anempfohlen. Auf dem Dampfer Tibet starben auf der Reise zwei Personen, darunter der Schiffsarzt, unter gelbfieberverdächtigen Erscheinungen, was die französische Behörde veranlaßte, die ganze Besatzung des Schiffes in Dahome an Land einer fünftägigen Quarantäne zu unterziehen. Auch sonst sollen nach den Berichten dortiger Kaufleute während der letzten Zeit verdächtige Erkrankungen vorgekommen sein. Dies ist die nächste Spur, der ich nachzugehen habe. Die andere Möglichkeit wäre die Einschleppung der Seuche über Land auf einer der Karawanenstraßen des Hinterlandes, die aber nicht viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, weil wir wissen, daß das Gelbfieber die Schwarzen nur ausnahmsweise befällt.

Es besteht für uns die Pflicht, so rasch wie möglich umfassende und energische Maßregeln gegen die Weiterverbreitung des Gelbfiebers zu treffen. Andererseits glaube ich die Gemüter der Europäer nicht vorzeitig beunruhigen zu dürfen. Vielleicht könnte es doch nur ein sporadisches Erscheinen der Krankheit sein, das mit dieser kleinen Explosion erledigt ist. Beiden Pflichten hoffte ich dadurch am besten nachzukommen, daß ich möglichst unbemerkt über Nacht mit der Hängematte nach Lome reiste, um dort mit dem stellvertretenden Gouverneur H. und dem Kollegen Dr. Kr. gemeinsam zu beraten und festzusetzen, was für Maßregeln zu ergreifen seien, sobald durch einen neuen Fall die Gefahr sich vergrößerte. Wir einigten uns bis in die kleinsten Einzelheiten für diese hoffentlich ausbleibende Eventualität.

Anecho, 16. Februar

Unsere Hoffnung hat sich leider nicht erfüllt. Wenige Tage nach meiner Rückkehr von Lome erkrankte Pater L., ein junger, in der Vollkraft der Jahre stehender Priester, der seit mehr als drei Jahren im Lande weilte. Auch er stand unmittelbar vor einem Heimaturlaube. Er ahnte wohl selbst das Wesen seiner schweren Erkrankung und wollte durch beschleunigten Antritt der Seereise, zu der ihm ein gerade fälliger Dampfer Gelegenheit bot, Genesung suchen. Er hat sie nicht gefunden; schon in Lome verließ er das Schiff wieder und ist dort vorgestern gestorben.

Bereits gestern sind alle in Lome verabredeten Maßregeln in Kraft getreten. An erster Stelle steht eine strenge Landquarantäne für Anecho, den Herd der Seuche in Togo, durch die jeder Verkehr mit dem übrigen Land unmöglich gemacht wird. Natürlich ist es von großer Bedeutung, Lome frei zu halten, damit wenigstens einer unserer beiden Küstenplätze dem Handel geöffnet bleibt, denn es steht mit Sicherheit zu erwarten, daß die fremden Mächte, sobald sie von dem Ausbruch des Gelbfiebers in Togo erfahren, jedes Schiff, das einen verseuchten Platz angelaufen hat, unter strenge Quarantäne nehmen werden.

In der Nacht des 14. gingen von Lome aus Dr. Kr., Stationsleiter M. mit einem Aufgebote von 20 schwarzen Polizeisoldaten und der Bautechniker H. nach Porteseguro, das etwa 14 km von Anecho entfernt liegt, ab. Ich selbst brach gestern früh 5 Uhr ebenfalls dorthin auf und traf gegen 8 Uhr im Hause des Häuptlings Mensah mit den Vorhergenannten zusammen. Der schmale Streifen Landes von der See bis zur Lagune wurde durch Posten für jeden Verkehr gesperrt, desgleichen die Lagune selbst, die sich hier zum Togosee erweitert. Ebenso wurde ein Überschreiten des in die Lagune einmündenden Haho von Anecho aus verboten. Alle die, welche aus zwingenden Gründen trotzdem diese Quarantänegrenze überschreiten müssen, haben vorher eine fünftägige Landquarantäne zu absolvieren. Für Europäer wurde deshalb der Bau eines durch Drahtgazeschutz mückensicheren Quarantänehäuschens sofort in Angriff genommen. In ihm haben sie die angeordneten fünf Quarantänetage zuzubringen. Die Überwachung der Absperrung liegt in den Händen eines Europäers.

Gestern nachmittag kehrte ich nach Anecho zurück. Heute hatte der Bezirksamtmann, Oberleutnant Sch., alle Europäer im Zollgebäude versammelt, wo ich ihnen die vorhandene Gefahr und gleichzeitig die Abwehrmaßregeln, die uns gegen sie zu Gebote stehen, darlegte. Da wir wissen, daß die Übertragung des Gelbfiebers durch eine bestimmte Moskitoart, die Stegomyia fasciata erfolgt, so ist die wichtigste aller persönlichen Vorsichtsmaßregeln der Schutz gegen Moskitostiche. Außerdem müssen wir trotz der denkbar ungünstigen Verhältnisse, die Anecho als Lagunenort dafür bietet, wenigstens den Versuch machen, den Moskitoreichtum des Ortes zu verringern, und zwar durch Aufsuchen und Vernichten ihrer Brutstätten. Dabei kommt uns der Umstand zu Hilfe, daß gerade die Stegomya als Ablegeplatz ihrer Eier stehendes Wasser in den Häusern und Höfen der Eingeborenen, in Töpfen, Scherben, Blechbüchsen, Kalabassen, alten Flaschen usw. zu bevorzugen pflegt. Erst wenn sie diese nicht findet, geht sie auch zum offenen Wasser außerhalb der Wohnungen.

Ich habe nun folgenden Plan: ich will den ganzen Ort Anecho samt seiner nächsten Umgebung in vier Bezirke einteilen. Für jeden dieser Bezirke werde ich einen Eingeborenen anstellen, dessen ausschließliches Tagewerk darin besteht, alle Höfe und Eingeborenenhütten seines Distriktes nach Brutstätten und larvenhaltigem Wasser abzusuchen und diese zu vernichten. Den ersten Rundgang durch den ganzen Ort werde ich selbst mit diesen Moskitojägern vornehmen und später von Zeit zu Zeit ihre Tätigkeit revidieren. Natürlich müssen auch die Grundstücke der Europäer einer Kontrolle unterliegen. Nach der ersten Visite werden Europäer und Eingeborene unter Strafandrohung dazu verpflichtet, alle Brutstätten von selbst zu beseitigen. Wenn trotzdem solche bei ihnen vorgefunden werden, so tritt eine Geldstrafe ein, die sich im Wiederholungsfalle steigert.

Sollten neue Gelbfiebererkrankungen eintreten, so müssen natürlich spezielle Maßregeln zur Isolierung des Patienten während des ansteckenden Stadiums getroffen werden. Hoffentlich gelingt es, das Gelbfieber nicht nur auf Kleinpopo zu beschränken, sondern es auch hier möglichst rasch zu beseitigen, denn hat es einmal festen Fuß gefaßt, so ist, wie die Erfahrung anderer Länder, in denen es seinen Einzug hielt, zeigt, die Neigung der Seuche, endemisch zu werden, ungeheuer groß.

Für Togo würde das Gelbfieber als dauernder Gast eine schwere Bedrohung seiner bisher so glücklichen Entwicklung bedeuten, so daß wir verpflichtet sind, eher zuviel als zuwenig Vorsicht walten zu lassen. Der verständnisvollen und eifrigen Mithilfe des Bezirksamtes in diesen Fragen bin ich gewiß. Meiner Überzeugung nach ist es auch geboten, die französische Grenze für den Verkehr zu sperren, damit nicht eine neue Einschleppung von dort her droht, wenn wir selbst des Gelbfiebers Herr geworden sind. Da indessen der Gouverneur von Dahome auf eine telegraphische Anfrage von hier aus, ob verdächtige Todesfälle dort vorgekommen seien, verneinend geantwortet hat, und in Widerspruch zu meinen, von den dortigen deutschen Kaufleuten stammenden Nachrichten, den Gesundheitszustand für vorzüglich erklärt (»L'état sanitaire excellent ici«), so hat die deutsche Regierung vorläufig von dieser Maßnahme abgesehen.


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