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21. Der erste Verdacht

Der Detektiv befand sich noch in dem Boudoir Emilys, als Jeremy über den Korridor schlenderte, eine Treppe hinaufstieg und an eine Zimmertür klopfte. Dabei änderte er nun sein Benehmen plötzlich.

Er wartete nicht erst den Hereinruf ab, sondern betrat das Gemach sofort.

Erschrocken fuhr Miß Woodfield vom Stuhle auf, rückte an der Brille und zeigte dem Eintretenden ein zorniges Gesicht.

»Was soll das heißen, Jeremy, auf solche Weise in das Zimmer einer Miß einzudringen?«

»Miß hin. Miß her! Die Sache hat Eile. Was ich Ihnen gesagt habe, hat sich bestätigt.

Mister Westerly und Hedwig spielen unter einer Decke; er schickt sie eben nach dem indischen Haus und macht dort bekannt, was hier vorfällt.«

Jetzt bemerkte die alte Dame die Hast, mit welcher der Diener sprach. Sie wurde aufmerksam.

»Was ist denn vorgefallen?«

»Sie wissen es noch nicht, natürlich nicht, aber mir hat es der Detektiv Wilkens schon anvertraut. Das Gerippe von Sir Carter ist gefunden worden und sein Trauring dazu.«

Die Miß machte den Mund vor Staunen auf.

»Was für Zeug schwatzen Sie da zusammen, Jeremy? Ich glaube, Sie sind betrunken!«

»Wie sollte ich denn betrunken sein, zumal es doch erst die zehnte Stunde ist? Es ist wahr, die Überreste Sir Carters sind gefunden worden, und Wilkens erzählt jetzt der Lady alles.

Westerly, der Schuft, freut sich natürlich darüber; als ich ihn vorhin sah, rieb er sich die Hände und war rot im Gesicht wie ein Puterhahn. Nun wird's nicht lange dauern, so ist er Herr im Hause, und dann geht Jeremy seiner Wege.«

»Es ist noch nicht aller Tage Abend. Was ist aber mit Hedwig?«

»Nun, Sie wissen doch, daß das indische Mädchen dicke Freundschaft mit den Dienerinnen unserer Nachbarschaft geschlossen hat. Jede freie Stunde läuft sie hinüber. Sie spioniert hier und erzählt drüben alles.«

»Westerly sollte sie hinübergeschickt haben?«

»Auf alle Fälle. Vorhin stehe ich am Korridorfenster hinter der Portiere, da kommt Westerly aus dem Zimmer der Lady, sieht sich scheu um, reißt ein Blatt Papier aus dem Notizbuch und schreibt etwas darauf. Gleich danach geht Hedwig vorbei. Er legt den Finger auf die Lippen, winkt sie heran und macht eine Bewegung nach dem Nachbarhause. Hedwig nickt, nimmt den Zettel und geht, während Westerly sich gemächlich nach seinem Zimmer begibt. Nun, Miß Woodfield, was ist daraus zu schließen?«

Die alte Dame hing sich schon ihre Mantille um und setzte den Hut auf.

»Wohin wollen Sie?«

»Hedwig nach, sie muß den Zettel herausgeben, oder ich nehme ihr ihn!«

»Sprechen Sie erst mit Wilkens!«

»Wer weiß, wann der herauskommt! Aber Sie können ihm alles erzählen.«

Damit rannte sie schon aus dem Zimmer, und Jeremy sah sie mit großen Schritten über den Hof eilen.

Er wartete auf Wilkens, hätte aber besser getan, wenn er das Treiben Westerlys beobachtete.

Dieser bewohnte im ersten Stock zwei Zimmer, von denen eins gerade über dem Gemache lag, in dem sich jetzt Emily und Wilkens befanden.

Mit Hilfe seines Taschenmessers hob Westerly eine Platte des Parkettfußbodens heraus, leise und vorsichtig, und es zeigte sich, daß an dieser Stelle die Füllung entfernt war – wahrscheinlich durch ihn.

Nachdem er sich überzeugt hatte, daß beide Türen gut verschlossen waren, legte er sich auf den Boden und lauschte. Kein Wort von dem Gespräch der unter ihm Befindlichen ging ihm verloren. Sein Gesicht nahm einen immer besorgteren Ausdruck an.

Als Westerly hörte, wie jemand, offenbar ein Mann, das Zimmer unter ihm verließ, erhob er sich und legte die Tafel wieder ein; er wollte den Detektiven beobachten und, wenn dieser dem Nachbarhause zuschritt, ihm vorauseilen.

Während seines Lauschens war ihm entgangen, daß Miß Woodfield so eilig das Haus verlassen hatte. Unten bemerkte er den Detektiven nicht, er glaubte ihn schon unterwegs und ging daher so schnell wie möglich dem Walde zu. Daß sich Wilkens noch im Hause aufhielt, im Zimmer Jeremys, und mit diesem über ihn, Westerly, sprach, ahnte dieser nicht. – – – Hedwig, das indische Mädchen, befand sich noch immer im Dienste Lady Carters. Als sich der auf ihr ruhende Verdacht, an dem Kindesraube beteiligt gewesen zu sein, als grundlos erwiesen hatte, behielt Emily die Dienerin erst recht bei sich.

Hedwig war nach Art der meisten Indierinnen schnell gealtert, aus dem damals hübschen Mädchen, war jetzt, mit achtundzwanzig Jahren, ein häßliches geworden.

Als sie merkte, daß ihr Bleiben im Hause gesichert sei, änderte sie ihr Benehmen. Früher fleißig und bescheiden, wurde sie jetzt träge und anmaßend, denen, welche sie brauchten, eine Quelle des Ärgers, unbeliebt bei den anderen Dienern.

Sie hatte mit den Indiern im Nachbarhause Verkehr angeknüpft und verbrachte jede freie Stunde bei ihnen.

Emily fand es selbstverständlich, daß Hedwig mit ihren Landsleuten freundschaftlich verkehrte, und wehrte ihr nicht, obgleich sie oft länger ausblieb, als die Hausordnung es erlaubte.

Jetzt schritt Hedwig wieder langsam dem Hause Francoeurs zu, sich im Walde, aber in der Nähe der Landstraße haltend, summte ein Liedchen, pflückte hier eine Blume und steckte sie ins Busentuch, schlug da mit einer Rute Blätter vom Baum, kurz, benahm sich wie ein sorgloser Mensch, der nichts weiter in der Welt zu tun hat, als einen schönen Sommernachmittag zu genießen.

Eben bückte sie sich, um wieder eine Waldblume zu brechen, als sich eine Hand ihr hart auf die Schulter legte.

Erschrocken wandte sich Hedwig um und blickte in das eckige, energische Gesicht der Miß Woodfield.

Vor dieser allein hatte sie Respekt. Sie wich der strengen Miß so viel wie möglich aus, dieser aber gefiel es, gerade mit der getauften Indierin, welche den Katechismus von A bis Z hersagen konnte, ab und zu kleine Erbauungsstunden abzuhalten.

»Haben Sie mich aber erschreckt, Miß Woodfield,« rief Hedwig.

»So? Habe ich? Dann hast du wohl ein böses Gewissen?« entgegnete die alte Dame mit unheilverkündender Stimme.

»Ich habe nie ein böses Gewissen, mein Herzchen ist so rein wie das eines Engelchens, welches Halleluja singt.«

Die großen Augen begegneten denen der alten Dame mit unendlicher Offenheit; doch diese ließ sich nicht täuschen.

»Wohin gehst du?« examinierte sie scharf.

»Nach dem Hause des Radscha Tipperah.«

»Jetzt, kurz vor dem Mittagessen, obwohl du gebraucht wirst?«

»Ich werde nicht gebraucht, ich habe nichts zu tun.«

»Was willst du dort?«

»Meine Freundinnen besuchen, ich möchte sie bekehren. Die eine kann schon das Vaterunser beten, und Sonntags will sie auch schon nicht mehr arbeiten.«

Wie um ihren heiligen Eifer zu beweisen, griff Hedwig unter das Busentuch und zog ein Gesangbuch hervor.

»Das ist ein Gesangbuch; wo hast du den Zettel?«

»Welchen Zettel, Miß?« fragte Hedwig unschuldig.

»Den du für Mister Westerly nach dem Hause des Franzosen bringen sollst.«

»Er gab mir keinen Zettel,« rief Hedwig so bestimmt, daß die alte Dame förmlich erschrak.

Sie hatte geglaubt, das Mädchen würde durch die offene Behauptung niedergeschmettert werden.

»Lüge nicht! Er gab dir einen Zettel, den er auf dem Korridor geschrieben hat.«

»Wie können Sie sagen, ich lüge, wo doch Lügen eine Sünde ist?« rief Hedwig gekränkt.

»Hat dir Mister Westerly etwa auch nicht gesagt, du sollst in das Haus des Franzosen gehen?«

»Nein, das hat er nicht getagt.«

Plötzlich faßte die alte Dame das Mädchen mit ihren knochigen Fingern am Arm und schüttelte es.

»Heraus mit dem Zettel, oder ich visitiere dich, bis ich ihn gefunden habe.«

Hedwig fing an zu weinen und zu schreien.

»Ich habe keinen Zettel; Mister Westerly hat mir nichts gesagt. Ich könnte es beschwören, aber Sie haben mir ja das Schwören verboten.«

Miß Woodfield ließ sich nicht irremachen, Sie begann mit der freien Hand das Mädchen zu visitieren; dieses sträubte sich aus Leibeskräften, aber vergebens, die alte Miß war stark.

»Ich habe keinen Zettel, den ich in das Haus des Franzosen bringen soll, Mister Westerly hat wir keinen gegeben,« rief Hedwig überlaut, und zwar mit gutem Grund.

Plötzlich erschien ihr ein Retter; Madame Dubois stand neben ihr. Hedwig hatte sie kommen sehen.

»Lassen Sie das Mädchen los, Miß Woodfield!« sagte Phöbe in befehlendem Tone. »Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß jene Zeiten vorüber sind, da Herrschaften ihre Diener wie Sklaven mißhandeln durften.«

»Ich das Mädchen mißhandeln?« rief die alte Dame, ohne Hedwig loszulassen, die Visitation aber einstellend. »Sie ist eine gottvergessene Lügnerin.«

»Das Mädchen schreit vor Schmerz, so fest halten Sie es. Lassen Sie es los!« wiederholte Phöbe.

»Fällt mir nicht ein! Was geht: Sie das überhaupt an?«

»So viel, wie jedem anderen Menschen, der Mitgefühl für seinen Nächsten hat. Noch einmal, lassen Sie das Mädchen los! Vergessen Sie übrigens nicht, daß Sie sich schon auf dem Gebiete des Marquis de Lacoste befinden!«

Diese Worte verfehlten nicht ihre Wirkung; Miß Woodfield ließ den Arm Hedwigs los.

Da fuhr deren jetzt freie Hand in eine verborgene Falte des Rockes und brachte ein Kuvert zum Vorschein, das sie schnell Phöbe hinreichte.

Miß Woodfield war einen Augenblick starr, dann hatte sie das Mädchen abermals gepackt.

»Schlange,« zischte sie, »so hast du mich also doch belogen!«

Wunderbarerweise blieb Hedwig jetzt ganz ruhig.

»Ich habe Sie nicht belogen,« verteidigte sie sich, »Mister Westerly hat mir keinen Zettel gegeben, sondern ein Kuvert; er hat mir auch nicht gesagt, daß ich nach dem Hause des Mister Francoeur gehen soll, sondern er hat nur in der Richtung hingenickt.«

»Was? Auf solche Weise suchst du mich zu hintergehen?« schrie Miß Woodfield außer sich.

»Was interessiert Sie überhaupt ein Brief Mister Westerlys an Monsieur Francoeur?«

fragte Phöbe.

»Sehr viel. Ich will wissen, was darin steht. Her mit dem Briefe!«

Die energische Dame machte Miene, sich auf Phöbe zu stürzen und ihr den Brief zu entreißen.

Diese nahm eine unnahbare Miene an und hielt ihr den Brief hin.

»Dieses Kuvert ist verschlossen und an Monsieur Francoeur adressiert. Nehmen Sie es, nehmen Sie es nur! Ich möchte doch sehen, ob Sie es in meiner Gegenwart zu erbrechen wagen. Es gibt allerdings Personen, die dies heimlich mit Vorliebe tun, ich aber verachte eine solche Handlung, die das Gericht überdies streng bestraft.«

Miss Woodfield fühlte sich zum zweiten Male geschlagen. Phöbe hielt ihr den Brief hin, doch sie nahm ihn nicht. Hätte sie übrigens darnach gegriffen, so würde Phöbe ihn schnell zurückgezogen und neue Einwände gemacht haben.

»Nun, wollen Sie nicht nachsehen, was Mister Westerly meinem Bruder zu schreiben hatte?« fragte Phöbe nochmals.

»Interessant müßte es sein, das zu wissen. Es ist oft nötig, gewisse Personen zu beobachten.«

»Verstehen Sie darunter Mister Westerly und meinen Bruder?« fragte Phöbe scharf.

Sie fand noch eine Unterstützung.

»Was soll denn das heißen?« fragte plötzlich eine Männerstimme, und Mister Westerly, der die Unterredung gehört hatte, trat aus dem Gebüsch. »Ich sehe meinen Brief, den ich durch Hedwig an Monsieur Francoeur schicken wollte, in fremden Händen?«

»Miß Woodfield wollte ihn mir nehmen,« klagte die Indierin.

»Ich konnte kaum noch verhindern, daß sie ihr den Brief mit Gewalt entriß,« fügte Phöbe hinzu.

Wie erstaunt ließ Westerly seine Blicke bald auf Hedwig, die sich mit schmerzhafter Miene den Arm rieb, bald auf Miß Woodfield ruhen, die immer mehr in Verlegenheit geriet.

»Nun, Miß Woodfield, darf ich um eine Erklärung bitten? In solchen Sachen verstehe ich keinen Spaß.«

Miß Woodfield raffte ihre ganze Entschlossenheit zusammen.

»Was ich getan habe und was ich tun wollte, hätte ich verantworten können, und es wird schon noch die Zeit kommen, daß sich herausstellt, wie gut es ist, wenn man sich für gewisse Briefe interessiert.«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen,« entgegnete Westerly geringschätzend, »doch ich will Ihre Neugier befriedigen. Ich hatte Monsieur Francoeur aufgefordert, heute nachmittag mit mir einen Spaziergang zu machen; das traurige Ereignis aber, das Lady Carter betroffen, hat mir die Lust daran verleidet. Dieser Brief hier,« er nahm das Kuvert der Französin ab, »enthält die Absage und Entschuldigung. Ich kann nicht begreifen, Miß Woodfield, wie Sie jetzt an andere Sachen denken können, während Lady Carter in unermeßlichem Schmerze weint und jammert.«

Er wandte der alten Dame schroff den Rücken und schritt in der Richtung des indischen Hauses davon. Phöbe folgte ihm.

Sehr unangenehm berührt stand Miß Woodfield noch einige Augenblicke da. Sie hatte es so gut gemeint, und nun hackte man von allen Seiten auf sie los. Dennoch zweifelte sie nicht, daß Mister Westerly mit dem Franzosen in geheimer Verbindung stand, die etwas Schlimmes bezweckte, und Hedwig, dieses Mädchen – da stand sie ja noch und rieb sich den Arm.

Ehe Miß Woodfield den Mund öffnen konnte, hing jene sich schon an ihren Arm, als wären sie alte Freundinnen.

»Missis, habe ich wirklich gelogen? Habe ich nicht immer die Wahrheit gesagt? Mister Westerly gab mir keinen Zettel, sondern einen Brief, und er hat auch kein Wort zu mir gesprochen. Habe ich also gelogen?«

Die alte Dame schüttelte das Mädchen zornig von sich ab und ging heim. Sie konnte jetzt die Früchte ihrer Lehren genießen.

Jeremy empfing sie mit geheimnisvoller Miene.

»Ich habe mit Mister Wilkens gesprochen und ihm alles erzählt, auch daß Sie der Indierin den Zettel wegnehmen wollten. Wissen Sie, was er gesagt hat?«

»Nun?«

,Sie möchten die Nase nicht in Dinge stecken, die Sie nichts angingen.«

»Das hätte der freche Mensch gesagt?« rief Miß Woodfield entrüstet.

»Wenn auch nicht gerade mit diesen Worten, aber angedeutet hat er's. Er war gar nicht mit Ihrer Handlungsweise zufrieden. in für allemal, sagte er zuletzt, tun Sie, als wären Sie blind und taub. Beobachten, aber weiter nichts.«

Miß Woodfield nahm auch diese neue Demütigung geduldig hin. Sie beschloß, sich von jetzt an um nichts mehr zu kümmern.

*

Im Zimmer auf demselben Stuhle, auf dem einst Mister Westerly von Francoeur überraschende Sachen zu hören bekam, saß ein junger geckenhaft aufgeputzter Herr mit südländischem Abenteurergesicht. Diesmal aber wurde Monsieur Francoeur von dem Fremden ins Bockshorn gejagt.

Der kleine, zierliche Herr mit dem Knebelbart und den verlebten Zügen hatte sich als Monsieur Giraud aus Paris anmelden lassen, und Francoeur hatte den Landsmann empfangen.

»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?« begann Francoeur die Unterhaltung.

Der kleine Herr schaute sich argwöhnisch um.

»Können wir unbesorgt sprechen?«

»Vollkommen! Sie machen mich neugierig.«

»Nun denn, ich bin ein Abgesandter der schwarzen Maske. Ich bringe Ihnen deren Empfehlungen.«

Francoeur wollte erst erschrocken aufspringen, beherrschte sich aber noch rechtzeitig.

»Ich dachte es mir fast,« lächelte er. »Schickt mir dieser Herr vielleicht den Schmuck zurück, den er mir vor einigen Wochen geraubt hat?«

»Ich weiß nichts davon, daß die schwarze Maske Ihnen einen Besuch abgestattet hat.«

»Was haben Sie mir zu bestellen?«

»Ich will ganz offen mit Ihnen sprechen« denn so hat es mir die schwarze Maske aufgetragen; auch ich bin – ganz wie Sie es zu nennen belieben – ein Räuber, Bandit, Wegelagerer oder Dieb. Die menschliche Gesellschaft hat mich ausgestoßen, und ich sehe mich genötigt, mein Brot anders als durch ehrliche Arbeit zu verdienen. Mein Chef ist die schwarze Maske. Er schickt mich zu Ihnen, um Sie zu warnen, aus welchem Grunde, weiß ich nicht. Es handelt sich um einen versprochenen Gegendienst, sagte er einmal.«

»Warum kommt er nicht selbst?«

»Er ist jetzt nicht in England.«

»Und was für eine Warnung ist das?«

»Betreffs eines Mister Wilkens, eines Londoner Detektivs; dieser Mann hat sich seit vielen Jahren unausgesetzt bemüht, den Verbleib einer bestimmten Fünfzigpfundnote aufzuspüren, und es ist ihm dies auch nach unendlicher Mühe gelungen.«

»Ich verstehe nicht, was dies mit mir zu tun hat.«

»Diese Note, welche die Nummer 1475 trägt, war im Besitze eines indischen Juden und Mädchenhändlers namens Sedrack.«

Jetzt horchte Francoeur hoch auf.

»Nun, und?«

»Dieselbe Note wurde vor einigen Tagen von Ihnen am Hauptpostamt in London eingezahlt – nach Indien.«

Francoeur atmete schwer.

»Ist es gut, daß die schwarze Maske Sie vor diesem Wilkens warnen läßt?« fragte Giraud.

»Es scheint mir fast so.«

»Ja, ich bin Ihnen sehr dankbar. Woher hat Ihr Chef davon Kenntnis erhalten, da die Detektivs doch so geheim arbeiten?«

»Ein Zufall verriet es ihm.«

»Und woher wissen Sie, daß ich die betreffende Note auf der Post eingezahlt habe?«

»Als Räuber haben wir Spione dort, um über eingehende größere Geldsendungen orientiert zu sein. Wilkens hat die Banknote in Beschlag genommen. Gleich, nachdem Sie dieselbe am Schalter eingezahlt hatten, wurde er gerufen.«

»Weiß man, daß sie mir gehört?«

»Natürlich, man stellte fest, wer Sie sind.«

»Ich danke Ihnen für die Mitteilung,« sagte Francoeur nach langer Pause.

»Nicht mir, sondern der schwarzen Maske haben Sie zu danken. Darf ich meinem Chef sagen, daß Sie mit diesem Gegendienste zufrieden sind?«

»Ja, sagen Sie ihm, wir seien quitt. Ich muß vor diesem Wilkens also auf der Hut sein.«

»Ebenso wie wir,« lächelte der noble Bandit. »Ferner läßt mein Chef durch mich fragen, ob er weiterhin für Sie tätig sein darf.«

»Ich wüßte nicht wie,« entgegnete Francoeur zerstreut.

»Sie sollen eine Andeutung gemacht haben, daß Sie sich vielleicht einmal eines Dolchstoßes bedienen müßten.«

»Ah!«

»Ich glaube, es handelte sich damals um einen gewissen Reihenfels.«

»Was wissen Sie davon?«

»Nichts, gar nichts. Mein Chef gebot mir nur, derartige Andeutungen zumachen, wenn Sie sich nicht erinnern sollten.«

Francoeur blickte durchs Fenster und sah, wie auf der Landstraße Bega und Reihenfels sich ergingen. Jetzt blieben sie stehen, gaben sich die Hand, sprachen noch einige Zeit zusammen, lachten und trennten sich dann. Bega ging dem Hause zu, Reihenfels auf der Landstraße weiter.

»Sie drückten sich sehr deutlich aus,« begann Francoeur wieder, nachdem er diese Szene stirnrunzelnd beobachtet hatte. »Mit dem Dolchstoß meinen Sie einen Mord.«

»Nicht ich, sondern die schwarze Maske.«

»Ich bin geneigt, auf sein Anerbieten einzugehen. Darf ich Ihnen gegenüber offen sein?«

»Als wäre ich die schwarze Maske selbst! Ich bin hier, um mit Ihnen zu verhandeln, ich habe unbedingte Vollmacht, und Sie sollen sich mir anvertrauen. Wenn Sie Bedenken hätten, so soll ich Sie an den Brief erinnern, den mein Chef Ihnen eines Morgens zugleich mit fünf Banknoten geschickt hat.«

»Es ist gut, ich glaube Ihnen. Ich bedarf jedoch seines oder Ihres Dolches nicht.«

»Desto besser; auch ich arbeite nicht gern mit blanken Waffen. Ich nehme an, daß Sie einen Auftrag für mich haben.«

»Werden Sie ihn erfüllen können?« fragte Francoeur zweifelnd.

»Bitte, machen Sie mich mit ihm bekannt.«

Die beiden sprachen lange und leise zusammen, bis Giraud erklärte, Francoeur solle mit ihm zufrieden sein.

»Wie lange gedenkt Reihenfels in London zu bleiben?,« fragte er.

»Zwei bis drei Tage.«

»Wohnt er dort im Hause seiner Eltern?«

»Nein, er steigt in dem Hotel gegenüber dem britischen Museum ab.«

»Ich kenne es. Wie alt ist Mister Reihenfels?«

»Einundzwanzig Jahre.«

»O, da ist er noch sehr jung! In diesem Alter hat man den Freuden der Welt noch nicht entsagt. Schon daß er sich so schnell in Fräulein Bega verliebt hat, verrät mir seinen eigentlichen Charakter.«

»Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen. Nur vergessen Sie nicht, daß sein Leben nicht bedroht werden darf.«

»Seien Sie ohne Sorge! Sie werden über meine Leistungen staunen.«

»Und was fordert Ihr Chef für seine Hilfe?«

»Das kann ich nicht bestimmen.«

»Er wird doch nicht umsonst arbeiten.«

»Sicherlich nicht,« lächelte der Bandit.

»Also die Bezahlung erfolgt postnumerando. Hat Ihr Chef keine Angst, daß ich ihn um seinen Verdienst prelle?«

»Überlegen Sie sich, Monsieur, wie wir zueinander stehen. Haben Sie noch etwas zu sagen? Meine Zeit ist gemessen.«

»Ich wüßte nicht.«

Der kleine Herr empfahl sich; Mister Westerly trat ins Zimmer.

»Eilige und wichtige Nachrichten!« rief er. »Ich konnte kaum erwarten, bis Sie Ihre Unterredung beendet hatten. Ich glaube, Ihnen droht eine Gefahr.«

Westerly berichtete die erlauschte Unterhaltung.

»Lieber Mister Westerly,« sagte Francoeur herablassend, »plagen Sie sich nicht mit Vermutungen! Kümmern Sie sich überhaupt nicht um das, was zu beobachten Sie keinen Auftrag haben. Wenn Sie glaubten, mich erschrecken zu können, so haben Sie sich getäuscht.

Ihre Mitteilung läßt mich völlig kalt.«

»Dort kommt Mister Wilkens,« sagte Westerly, nach dem Fenster deutend.

Auf der Landstraße rollte ein leichter, zweirädriger Wagen heran. Der einzige Insasse lenkte das Pferd selbst.

Francoeur schrak zusammen. Doch gleich atmete er wieder auf – der Detektiv fuhr an der Villa vorüber.

Westerly erzählte auch noch die Szene von vorhin im Walde.

»Was enthielt der Brief?« fragte Francoeur.

»Ich wollte Ihnen mitteilen, daß die Nachricht von dem Tode Sir Carters eingetroffen ist, und daß Lady Carter Sie zu hören bekommt.«

»Bedienen Sie sich des indischen Mädchens nicht mehr als Boten,« entschied Francoeur, »und vermeiden Sie alles, was den Verdacht erwecken kann, wir ständen in anderem als nur freundschaftlichem Verkehr. Lassen Sie uns lieber auch diesen abbrechen, besuchen Sie uns nicht mehr. Wir können uns oft genug in London treffen oder durch Briefe miteinander verkehren.«


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