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9. Ein Mädchenhandel

Nana Sahib hatte Grund, auf seine schöne Gemahlin Ayda nicht eifersüchtig zu sein; er empfand jetzt für sie ebensowenig Neigung wie für die anderen Haremsweiber, denn er hatte sich eine neue Lieblingsfrau erkoren.

Während er glaubte, Ayda benütze ihre Verführungskünste, dem Lord Canning ein Dienstgeheimnis zu entlocken, hielt er sich in einem halb verfallenen Schlosse auf, das etwa eine englische Meile von Akola entfernt im Gebirge lag.

Es war eine befestigte Burg gewesen; in ihr hatten vor vielen Jahrzehnten die Indier unter der Führung des alten Radschas den Engländern energischen Widerstand geleistet; sie war dann verwüstet worden, und Nana Sahib hatte sie nicht wieder aufbauen lassen. Einige wenige Schloßbewohner hüteten das alte Gemäuer, es wurde von niemandem besucht, und was für einen Beweggrund hätte der prachtliebende Radscha gehabt, sich hinter den düsteren Mauern zu verstecken. Niemand ahnte, daß er sich heute hier befand, wie er schon manche Nacht in letzter Zeit hier zugebracht hatte.

Unermüdlich schritt er beim trüben Scheine einer Öllampe in dem Turmgemache auf und ab, das nur verstaubte Spuren einer einstigen Herrlichkeit aufwies. Kam er an das offene Fenster, so blieb er einen Augenblick stehen, lauschte und blickte in die dunkle Nacht hinaus und setzte dann seinen Weg fort.

»Er muß diese Nacht kommen,« murmelte er einmal über das andere, »und kommt er nicht, so gebe ich die Hoffnung auf. Dann ist ihm ein Unglück zugestoßen oder der Kauf ist ihm nicht gelungen. Mein Körper verzehrt sich vor Aufregung, wenn ich mir die Sache nicht endlich aus dem Kopfe schlage.«

So hatte er jeden Tag gesagt, und doch fand ihn jede Nacht wieder in derselben Erwartung hier.

Da ließ ihn ein Geräusch zusammenschrecken; er sprang ans Fenster und sah, wie ein kleiner Trupp von Männern, zwischen sich eine Bahre tragend, eben das Hoftor passierte.

»Sie kommen!« jubelte Nana Sahib und wollte aus dem Zimmer dem Zuge entgegeneilen, als schon in der Tür eine vermummte Gestalt erschien.

»Sedrack, bist du's?«

»Ich bin's, Sahib,« entgegnete die Gestalt mit schnarrender Stimme unter einer tiefen Verbeugung, und hinter dem Kopftuch kam ein schlaues Gesicht mit starker Hakennase und listig blickenden Augen zum Vorschein. Es war unverkennbar ein Jude.

»Du bringst die Rose von Kaschmir mit?« rief der Radscha, seine Ungeduld kaum bemeistern könnend; Seine Augen hingen mit verzehrendem Feuer an den bärtigen Lippen des Juden.

»Nein, Sahib, der alte Sedrack kam trotz seiner Schnelligkeit zu spät.«

»Hund von einem Juden,« brauste der Indier auf, »du hast mich betrogen, du hast das Mädchen einem anderen verkauft!«

»Greife nicht nach dem Dolch! Was würde mein Leben dir nützen!« rief der Jude erschrocken, als er die drohende Handbewegung des Enttäuschten sah. »Ich betrüge nie, und am allerwenigsten würde ich es bei dir, dem mächtigsten Radscha, wagen. Der persische Sklavenhändler reiste sehr schnell, weil er den Verfolgungen der Engländer entgehen wollte; in Mahur hatte ich ihn fast eingeholt, als mir ein Hindernis in den Weg gelegt wurde, das mich tagelang aufhielt. Die Engländer sind daran schuld, daß ich das Mädchen nicht mitbringe. Doch ich komme nicht mit leeren Händen.«

Der Jude hatte diese Worte hastig hervorgestoßen, der Radscha kaum darauf gehört.

Zähneknirschend rannte er im Zimmer hin und her, er sah sich um eine Beute betrogen, und er besaß die Natur eines Tigers, der vor Wut aufbrüllt, wenn ihm die Gazelle durch einen schnellen Sprung entgangen ist.

Nana Sahib hatte vor einigen Wochen einen persischen Sklavenhändler gesprochen, der mit seinen Opfern, die er einem fernen asiatischen Stamme abgekauft, durch Indien reiste.

Der Radscha erblickte dabei ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, und seine Leidenschaft für dasselbe wurde sofort erregt, er hätte im Augenblick alles geopfert, nur um in dessen Besitz zu kommen.

»Die Mädchen von Kaschmir sind berühmt wegen ihrer eigenartigen Schönheit, solange sie jung sind. Auch in Indien, Arabien und anderen exotischen Ländern findet man Jungfrauen, sogar Mütter von Zehn bis zwölf Jahren, aber sie gleichen schon erwachsenen Frauen – die südliche Sonne reift schnell. Die Töchter von Kaschmir dagegen behalten ihre Kindlichkeit, und doch sind sie schon vollkommen entwickelt. So hat die Natur ein sonderbares Verhältnis geschaffen; man glaubt ein Kind vor sich zu sehen, und doch ist es eine entwickelte Jungfrau, es ist also eine Art von Zwergin, und deshalb werden die Mädchen von Kaschmir in einigen Ländern vor allen bevorzugt.

Es war Nana Sahib nicht gelungen, die Schöne zu kaufen. Der Sklavenhändler ließ sich vorläufig nicht auf einen Handel ein, er fürchtete die Engländer, welche scharf hinter dem Sklavenhandel her waren, und bestimmte die Hafenstadt Madras als Treffpunkt. Dort kannte er versteckte Plätze, wo sorglos gefeilscht werden konnte, und wurde er ertappt, so war für ihn schon ein Schiff zur Flucht bereit.

Nana Sahib hatte Sedrack als Käufer dorthin geschickt; der Jude hatte für ihn schon oft ähnliche Geschäfte abgeschlossen, er sollte jeden Konkurrenten überbieten, und nun stand er mit leeren Händen vor seinem Auftraggeber.

Der Radscha raste vor Wut. »Wer war es, der das Mädchen erwarb?« fragte er endlich.

»Ein Bevollmächtigter des Radschas von Meisur.«

»Ah, schon zum zweiten Male ist er mir zuvorgekommen!« knirschte Nana.

»Als ich in Madras eintraf, war das Mädchen schon verkauft, und der Käufer wollte es mir um keinen Preis der Welt ablassen.«

»Warum kamst du zu spät nach Madras, verfluchter Hund?« fuhr ihn der Radscha an.

Der Jude nahm solche Bezeichnungen nicht übel, er war sie gewöhnt. Auch in Indien wird der Jude verachtet, doch man bedient sich seiner Schlauheit.

»Ich bin als ein Mann bekannt, der sich mit unsauberen Geschäften abgibt,« entgegnete der Jude mit zynischem Lächeln, »wenn man mich auch noch nie fassen konnte, denn Sedrack ist schlau. In Mahur stellten mich die Engländer und führten mich vor einen Mann, der mich kreuz und quer ausfragte. Die Untersuchung dauerte einige Tage. Darum, Sahib, zürne mir nicht – ich bin unschuldig.«

»Was fragte man dich?«

»Ob ich etwas über den Verbleib eines Kindes wüßte, das man in England geraubt und wahrscheinlich nach Indien entführt hat.«

Der Radscha horchte auf.

»Wie hieß der Mann, der dich ausfragte?«

»Ich hörte nur einmal seinen Namen nennen.«

»Und der war?«

»Sir Carter.«

Des Radschas Lippen entfuhr ein zischender Laut.

»So ist also dieser Schurke, der mich einmal tödlich beleidigte, auch schuld, daß mir dieses Mädchen entgangen ist. Er ist in Indien, und so soll er meiner doppelten Rache nicht entgehen. Sag, Sedrack, weißt du etwas über den Verbleib dieses Kindes?«

Diese Worte waren lauernd gesprochen, und sofort wußte Sedrack, daß der Radscha bei dem Kindesraub seine Hand im Spiele hatte.

»Ich habe nichts davon gehört, Sahib.«

»Die Zeitungen schreiben doch davon.«

»Sedrack rührt nicht jene Blätter an, welche der Teufel erfunden hat.«

Nana Sahib schritt wieder überlegend im Zimmer auf und ab. Seine Gedanken galten jetzt nicht mehr dem Mädchen aus Kaschmir, sondern Sir Carter. Dieser war in Indien und suchte sein Kind; der Radscha überlegte, wie er ihm von neuem Schaden zufügen konnte.

Ein Hüsteln ließ ihn aufsehen, der Jude stand noch demütig an der Tür.

»Was willst du noch?« herrschte ihn der Radscha zornig an. »Verlangst du etwa gar Bezahlung dafür, daß ich durch deine Dummheit des Mädchens verlustig gegangen bin?«

»Der Gott meiner Väter weiß, daß Sedrack ein ehrlicher Mann ist, der nur für das bezahlt sein will was er geleistet hat.«

»So scher dich von hier fort, und laß meine Augen nicht noch einmal dein verfluchtes Gesicht erblicken.«

»Hat der Radscha nicht geruht, zu hören meine Worte, die ich vorhin zu ihm gesprochen?«

fragte der Jude ruhig.

»Was hast du gesagt?«

»Sedrack ist nicht mit leeren Händen gekommen.«

»Was soll das heißen?«

»Du hofftest deine Augen heute an dem lieblichen Mädchen aus Kaschmir weiden zu können. Gott hat es nicht gewollt; aber er gab dem Sedrack Schlauheit, daß er den mächtigen Radscha doch befriedigen wird.«

»Ah, du hast ein Mädchen gekauft?«

»Ja, Sahib.«

»Ich mag es nicht sehen,« entschied Nana kurz.

»Herr, verwirf nicht, was Gott dir beschert. Was war die Rose aus Kaschmir? Ein Kind, nicht würdig, dem mächtigsten Radscha Indien die Stunden zu kürzen. Was war Besonderes an ihr? Ihre Haare waren schwarz wie die der Frau eines Kulis, die Augen waren geschlitzt, die Lippen zu dick, die Nase zu klein – es war, o Herr, ein Geschöpf, wie es dir jeden Tag tausendfach zur Verfügung steht.«

Der Jude suchte die Schönheit des Mädchens herabzusetzen, und Nana Sahib wurde aufmerksam. Doch nein, der Jude wollte ihm nur eine andere Ware anpreisen; aber sie konnte gegen die Rose von Kaschmir nicht aufkommen.

»Will der Radscha die Tochter des Nordens nicht sehen?«

»Nein, nimm sie mit fort, wenn du sie hergebracht hast. Deine Mühe war vergebens.«

»Ich gehe nicht, bevor du sie nicht gesehen. Hast du schon von der Mitternachtssonne erzählen hören?«

»Von einer Sonne um Mitternacht? Geh, Sedrack, du bist ein Narr!«

»Es gibt eine Sonne, die um Mitternacht scheint. Reisende, die aus dem kalten Norden kommen, wo der Regen in weißen Körnern vom Himmel fällt und das Wasser hart wird, so daß es den Fuß trägt, haben mir davon erzählt. Es ist weit bis dorthin, wir können diese Erscheinung nicht sehen, doch die Mitternachtssonne ist zu uns gekommen. Gib acht es ist jetzt tiefschwarze Nacht, kein Stern steht am Himmel, die Lampe vermag die Finsternis kaum zu durchdringen, doch auf meinen Befehl soll dir die Sonne die Nacht zum Tag machen.«

Als hätte der letzte Satz ein Stichwort enthalten, so traten plötzlich vier vermummte Männer ins Zinnner, setzten eine Bahre nieder und entfernten sich stillschweigend wieder.

Auf ihr lag ein schwarzes Tuch, das eine Gestalt verhüllte.

»Es ist ein Mädchen,« sagte Nana Sahib, »doch du irrst, wenn du glaubst, ich kaufe es dir ab.«

Der Jude schlug das Tuch zurück.

»Die Sonne um Mitternacht!« sagte er, den Radscha fixierend.

Dieser konnte einen Ruf der Überraschung nicht unterdrücken; wie geblendet stand er vor der holdseligen Erscheinung, die sich seinen Blicken darbot.

Auf der Bahre lag ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren, keine voll entwickelte Südländerin, eine eben aufgebrochene Knospe, ihre Heimat muß der Norden sein. Sie glich einer Toten, wenn nicht das leise Heben und Senken des zarten Busens Leben verraten hatte.

Das Antlitz mit den Zügen eines Engels war von der Weiße des Alabasters, es wurde von einer unbändigen Fülle goldener Haare umrahmt; eine Locke schlang sich kosend um die kleine Hand mit den rosigen Fingernägeln, die auf dem Busen lag, die andere ruhte unter dem Haupte. Die schneeige Weiße der Haut wurde noch dadurch gehoben, daß ein Gewand von schwarzem Tuch die ganze Gestalt bis hinauf zum Hals umschloß, die zarten Formen eben erkennen lassend. Unten sah ein nacktes Füßchen hervor, ebenfalls weiß wie frisch gefallener Schnee.

Die Wangen zeigten ein leichtes Rot; es schimmerte nur durch die durchsichtige Haut hindurch, wie wenn die Morgensonne die schneeigen Gipfel der Berge vergoldete und wunderbar waren die bläulichen Linien, welche sich längs des Halses erstreckten.

Wie mochte der Anblick erst sein, wenn sich die langbewimperten Augen öffneten; welch blauer Himmel mochte aus ihnen lachen! Nana Sahib war außer sich, er war vor der Bahre auf die Knie gestürzt, wagte aber nicht, das Mädchen zu berühren. Er glaubte, ein Wesen aus himmlischen Höhen vor sich zu haben.

»O, wecke sie auf flüsterte er keuchend »Laß mich in ihre Augen schauen!«

»Sie ist leicht betäubt!« entgegnete der Jude. »Ich wollte nicht, daß sie erführe, wohin ich sie brächte, und so gab ich ihr vor wenigen Stunden einen Schlaftrunk »Du Scheusal, wie kannst du bei diesem reinen Wesen solche Mittel anwenden!«

Der Jude unterdrückte ein widerliches Lächeln; sonst fragte dieser Radscha nicht viel, wie er seine Opfer bekam, dieses Mädchen aber hatte es ihm angetan.

»Nicht lange mehr dauert es, so wird sie erwachen, und du kannst dich am Blick ihrer Augen erfreuen. Dann erst wirst du die Mitternachtssonne im vollsten Glanze schauen. Hatte ich nicht recht, als ich sie so nannte?«

»Ja, es ist hell um mich geworden, es ist eine leuchtende Sonne in der Nacht. Wie konnte mich Narren je ein anderes Weib fesseln sprich, Sedrack, woher kommt dieses Wesen? Ist es eine überirdische Erscheinung, die beim Erwachen in Nebel zerrinnt?«

»Es ist ein Wesen aus Fleisch und Blut, eine ungebrochene Knospe, welche die Liebe noch nicht kennt. In stiller Zurückgezogenheit ist sie aufgewachsen, noch kein Mensch hat sie berührt, ihre Lippen sind keusch. Sie hat das Wort Liebe noch nie aussprechen hören, sie weiß nicht, was es ist, aber wunderbar wird es sein, wenn sie zum Leben erwacht, wenn ihr das Blut heiß durch die Adern zu rinnen beginnt. Du, Nana Sahib, bist dazu auserwählt, sie dem Leben zu geben.«

Auf diese Weise priesen die Mädchenhändler zwar jedes Stück Ware an, diesmal aber machten die Worte auf den Radscha einen tiefen Eindruck, er glaubte an sie. Verzückt blickte er auf die holdselige Erscheinung und lauschte den Worten des Juden, als enthielten sie ein Evangelium.

»Denkst du noch an die Rose von Kaschmir?« fragte Sedrack jetzt mit schlauer Berechnung.

Dies gab dem Radscha das Bewußtsein wieder, er erhob sich und trat auf den Juden zu.

»Was verlangst du für sie?«

»Dasselbe, was man mir abforderte.«

»Wieviel war das?«

»Nichts.«

»Nichts?« wiederholte Nana Sahib erstaunt.

»Nein, ich schenke sie dir.«

»Jude, du lügst oder willst mir eine Falle stellen! Bei des Propheten Bart, hüte dich, mich zu verspotten, ein Dolchstoß macht dich stumm; deinen Leichnam fressen die Hunde, und die Mitternachtssonne gehört doch mir.«

»Der Gott meiner Väter sei dir gnädig, erhabener Radscha, denn du bist ein gerechter Mann und wirst nicht einen elenden Juden ums Leben bringen, und sonst würde dir auch das schöne Mädchen aus dem Norden wieder genommen werden.«

»Wer will es mir nehmen?«

»Der, dem das Mädchen gehört.«

»Wem gehört es?«

»Ich weiß nicht.«

»Unsinn, Jude, du sprichst Torheiten! Fordere den Preis und betrüg mich nicht zu sehr!«

»Ich schenke sie dir; doch sie bleibt nicht bei dir, wenn du nicht zugleich ihren Talisman kauft.«

»Ah, so steht die Sache! Das Mädchen schenkst du mir, doch den wertlosen Talisman soll ich kaufen. Schlau ausgedacht! Wieviel forderst du für ihn?«

»Dreimalhunderttaufend Rupien,« sagte der Jude ruhig.

»Mensch, du bist von Sinnen! Für das Geld kann ich mir ja einen Harem mit dreihundert Weibern einrichten!«

»Sieh erst den Talisman, und dann urteile!«

Der Jude brachte aus den Falten seines Kaftans ein Kästchen hervor und öffnete es. Es enthielt einen kostbaren Schmuck, aus Armband, Ohrringen und Halskette bestehend. Sehr sorgsam gearbeitet, mit Edelsteinen verziert und von einem ganz originellen Geschmack, aber den geforderten Preis längst nicht wert.

»Dieses Geschmeide soll als Zugabe gelten?« fragte der Radscha. »Ich mag es nicht!«

»Dann kannst du auch das Mädchen nicht behalten. Ich konnte es nicht anders bekommen, als daß ich den Schmuck mitkaufte.«

»Warum das?«

»Ohne das Mädchen ist dieser Schmuck absolut wertlos. Hat dein scharfer Geist nun erraten, warum der Schmuck der Talisman des Mädchens ist?«

»Ah, ich verstehe!« rief Nana Sahib. »Dieser Schmuck kann zum Verräter werden. Das Mädchen ist jedenfalls geraubt und hat den Schmuck getragen. Er ist sehr auffällig und würde, wenn er erkannt wird, bald auf die Spur der Geraubten führen. Man darf ihn nicht verkaufen, er ist also wertlos, wenn man nicht als Zugabe das Mädchen nimmt. Ist es nicht so?«

»Radscha von Berar, was ist der weise Salomo gegen dich!« rief der Jude mit Enthusiasmus, doch Nana Sahib blieb von dieser Schmeichelei ungerührt.

Mit Kennerblicken musterte er das Geschmeide. Die Steine und Perlen waren echt, das Ganze hatte etwas Fremdländisches an sich, das ihn anzog.

»100 000 Rupien mag es wohl wert sein, wenn es echt ist,« murmelte er.

»Gott der Gerechte, 100 000 Rupien! Sieh dieses Feuer, diese Fassung, diese Arbeit und,« fügte er schlau hinzu, »sieh dieses Mädchen. 500 000 Rupien sind beide unter Brüdern wert, ich lasse sie dir für 300 000 und will nichts verdienen, weil ich deine Hoffnung auf die Rose von Kaschmir getäuscht habe. Gib mir dein Wort, daß du zahlst, und das Geschmeide und die weiße Lilie sind dein.«

Es begann ein Feilschen, doch der Jude ließ nichts nach, weil er, wie er unter zahlreichen Anrufen Gottes versicherte, selbst so viel hätte bezahlen müssen, was der Radscha natürlich nicht glaubte.

Da stöhnte das Mädchen leise auf und bewegte die Hand. Dadurch wurde des Radschas Aufmerksamkeit abgelenkt, und seine Leidenschaft entbrannte aufs neue.

»Wie kommt Sie nach Indien?« fragte er.

»Ich kaufte sie einem Händler ab, der mich kannte. Ganz im geheimen ward das Geschäft abgeschlossen, du weißt warum. Sie ist keine Kriegsgefangene, die man wilden Barbaren abkauft, sie ist eine vom Zweige gestohlene Blüte.«

»Woher bekam sie dieser Händler?«

»Er hat sie als kleines Kind bekommen und sie großgezogen. Als er sie erhielt, trug sie diesen Schmuck, und er kann ihn nicht anders verkaufen als mit dem Mädchen. Was nützt der Schatz, wenn man ihn nicht zeigen darf? Doch nimm du ihn und schmücke damit die Lilie.«

»Was für Sprachen spricht sie?«

»Nur Türkisch und Arabisch. Du liest den Koran im Urtext, o, Herr, und kannst zu ihr also auch in ihrer Sprache von Liebe sprechen, und sie wird dir antworten.«

»300 000 Rupien!« murmelte der Radscha.

Da stöhnte das Mädchen nochmals, Nana Sahib wandte den Kopf und blickte in ihre geöffneten Augen. Ein Meer von Wonne und Liebe leuchtete ihm daraus entgegen.

»Fort!« herrschte er den Juden ungestüm an. »Her den Schmuck, ich nehme ihn!«

Er suchte den Juden hinauszudrängen, aber dieser stemmte sich gegen den Türpfosten.

»Fort, sagst du, aber wie steht's mit dem Bezahlen?«

»Komm morgen abend in meinen Bungalo, nein, komm hierher! Dann bezahle ich dich!«

»Und wenn du mich nicht bezahlst?«

»Beim Barte des Propheten, ich gebe dir 300 000 Rupien.«

»Und was bekomme ich für meine Mühe?«

»Du wolltest nichts haben.«

»Keinen Verdienst, aber eine Vergütung.«

»Ich lege 1000 Rupien zu.«

»Schwöre!«

»Beim Barte des Propheten!«

Jetzt ließ der Jude sich willig hinausschieben, und Nana Sahib kehrte zu der Bahre zurück, auf der sich das schöne Mädchen halb aufgerichtet hatte. Sie strich das goldene Haar aus der Stirn, schaute sich erst wirr um und heftete dann den ängstlichen Blick mit einem flehenden Ausdruck auf den Radscha.

»Wo bin ich?« fragte sie leise, sich der türkischen Sprache bedienend.

»Bei mir, bei deinem Diener!« rief der Radscha leidenschaftlich, stürzte vor ihr auf die Knie und ergriff ihre kleine Hand. »O, sieh mich nicht so ängstlich an, fürchte dich nicht vor mir, du weiße Lilie, ich will dich pflegen und hüten und auf den Händen tragen, nur sieh mich freundlich an ... » Er wollte ihre Hand an die Lippen pressen, doch plötzlich riß sie sich von ihm los, schnellte wie eine Feder empor und floh in den entferntesten Winkel.

»Zurück, du Ungeheuer, rühre mich nicht an!« rief sie, und ihre silberne Stimme klang drohend. »Du glaubst eine türkische Sklavin vor dir zu haben, aber ich bin ein freies, weißes Mädchen, eine Christin. Man hat mich mit Gewalt fortgeschleppt, nachdem man mich betäubt; doch ich sterbe lieber, ehe ich mich herabwürdige. Ich weiß, wer ich bin, und die Zeit wird kommen, da man mich befreit und Rechenschaft von meinen Räubern fordert.«

Mit Bestürzung hörte Nana Sahib diese Worte. So hatte der Jude ihn belogen oder war selbst betrogen worden. Doch das Entzücken des Radschas wuchs nur, je länger er das Mädchen ansah. Die bis an die Knie herabwallenden Haare hüllten die schlanke Gestalt wie ein goldener Mantel ein; die blauen Augen blickten nicht mehr ängstlich, sie sprühten im Feuer des Zornes, und die Röte der Wangen stach wunderbar ab von der weißen Haut.

Nana Sahib sprang auf und stürzte auf die Schöne zu.

»Du bist mein!« keuchte er, sinnlos vor Begierde. »Ich habe dich gekauft, du bist meine Sklavin, und wenn du dich weigerst, brauche ich Gewalt!«

Er hatte sie erreicht und wollte sie umschlingen, da blitzte ein Dolch in ihrer Hand.

Vergebens! Gewandt wich der Indier dem tödlichen Stoß aus, preßte derb ihr Handgelenk, unter einem Schmerzensschrei ließ sie die Waffe fallen und war in seiner Gewalt.

»Sinkolin,« rief das Mädchen, sich in des Radschas Armen windend, »Sinkolin, rette mich!«

Schon beim Nennen dieses Namens ließ der Indier die Arme wie erstarrt sinken, fühlte sich alsbald von hinten mit eiserner Kraft ergriffen und wie ein Ball zurückgeschleudert.

Vor dem Mädchen stand eine kleine, magere Gestalt; Nana Sahib erblickte ein gelbes, faltiges Gesicht, aus dem die Augen drohend auf ihn geheftet waren.

»Sinkolin,« rief das Mädchen und stürzte dem Alten vor die Füße, »du hast mich zum zweiten Male gerettet!«

»Timur Dhar,« murmelte der Radscha bestürzt, seine Wut aber dennoch kaum bemeistern könnend, »warum trittst du zwischen uns?«

»Ändere deinen Ton oder trage die Folgen!« erklang es herrisch zurück.

Eine stumme Verbeugung war die Antwort.

»Nana Sahib,« fuhr der rätselhafte Mann fort, diesmal jedoch milder, »du vergißt über deinen Frauen unsere Bestrebungen.«

»Herr, ich bin Mohammedaner, mir sind so viele Frauen erlaubt, wie ich erhalten kann!«

»So suche sie unter deinesgleichen aus, aber wage dich nicht an fremde, wodurch du unsere Pläne schädigen kannst. Schon einmal hast du ein fremdes Weib genommen, und was ist sie dir jetzt? Sie wäre ein Spielball deiner Launen, wenn sie dir nicht gewachsen wäre.

Sag, wo befindet sich Ayda jetzt?«

»Sie erforscht das Geheimnis, was du gutgeheißen hast.«

»Nein, sie weiß es schon und befindet sich jetzt hier.«

»Hier? So hast du sie hergeführt?«

»Nein,« ertönte es abermals. »Sie selbst fand den Weg hierher. Sie ist klüger, als du denkst. Empfange sie und höre sie an, sie bringt dir freudige Botschaft. Das Mädchen hier,« er schlang den Arm um die Gestalt mit dem goldenen Haar, welche sich an ihn wie an einen Vater schmiegte, »gehört mir!«

»Dir?« rief Nana bestürzt.

»Mir! Widersprich nicht!«

»Ich habe sie gekauft!«

»Noch nicht!«

»Ich habe beim Heiligsten geschworen, den Juden zu bezahlen.«

»So bezahle ihn!«

»Timur Dhar, es ist mir nicht um den Verlust des Geldes, aber ich liebe dieses Mädchen!«

Der Gaukler stieß ein verächtliches Lächeln aus.

»Was verstehst du unter Liebe, Nana Sahib? Du glaubtest die Rose von Kaschmir, wie du Sie nennst, zu lieben; du branntest vor Sehnsucht, sie wiederzusehen, und nun, da dir eine andere untergeschoben worden ist, bist du sofort für diese entflammt. Dies Mädchen hier ist zu gut, um zum Spielball deiner Launen zu dienen. Ich nehme es mit mir.«

»Und wo bleibe ich?« fragte der Radscha, sich trotzig aufrichtend. »Ich muß das Geld bezahlen.«

»Ja; es sei denn, der Jude kommt nicht wieder. Doch er soll wiederkommen und dein Geld empfangen, denn wir brauchen ihn noch.«

»So habe ich diese Summe verloren!«

»Dort liegt das Geschmeide, das du mitkauftest. Das Mädchen war nur eine Zugabe.«

Timur Dhar schien alles zu wissen.

»Das elende Geschmeide?« lachte Nana grimmig. »Das Mädchen war die Hauptsache.«

»Behalte den Schmuck und schenke ihn deiner Lieblingsfrau.«

»Wem?«

»Derjenigen, die du dir gewünscht hast.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Höre mich an. Nana Sahib. Ich bin nicht gekommen, dich im Zorn zurückzulassen. Das Geschmeide ist dein; ich schenke es dir. Geh morgen nach deinem Bungalo, greife unter das zweite Kissen des Diwans, auf welchem du des Nachmittags ruhst, und du wirst englische Banknoten im Werte von 400 000 Rupien finden.«

»Dies Mädchen ist mir mehr wert, Geld ist kein Ersatz dafür.«

»So will ich dir einen dafür geben. Morgen nacht sei hier; der Jude wird kommen, und du bezahlst ihn mit meinem Gelde. Nach Mitternacht wird ein Trupp Männer eintreffen und die Rose von Kaschmir bringen. Bist du nun zufrieden?«

Der Radscha war vor Staunen starr.

»Das ist nicht möglich,« stammelte er endlich.

»Was ist Timur Dhar nicht möglich?«

»Der Radscha von Meisur hat sie schon gekauft.«

»Auf meinen Befehl hin hat er bereits zu deinen Gunsten auf sie verzichtet.«

»Sie kann morgen nacht noch nicht hier sein; der Weg erfordert viele Tagereisen.«

»Wenn Timur Dhar will, so wird sie zur bestimmten Stunde hier sein. Sei treu und eifrig!«

Der rätselhafte Mann winkte mit der Hand und verließ, das Mädchen mit sich führend, das Gemach.

Geblendet schaute Nana Sahib der wie von einem goldenen Mantel umgebenen Gestalt nach, bis sie am Arme des Gauklers verschwunden war. Auch dann noch stand der Radscha lange Zeit da, vergebens bemüht, seine Gedanken zu sammeln. Er hätte das eben Erlebte für einen Traum gehalten, wenn dort nicht noch das Kästchen mit dem blitzenden Inhalt gestanden.

Ein Geräusch weckte ihn aus seinem Brüten; wieder betrat jemand das Gemach. Es war Ayda; eine triumphierende Freude leuchtete aus ihren Augen.

»Nana Sahib, wach auf, wach auf!« rief sie. »Ich bringe dir eine freudige Botschaft, die dich über den Verlust, den du eben erlitten, noch mehr trösten wird, als die Rose von Kaschmir.«

»Was weißt du davon?« entgegnete der Radscha dumpf.

»Alles, wie du siehst. Meine Schuld ist es nicht; warum sprecht ihr so laut, daß jeder es hören muß?«

»Wie kommst du hierher?«

»Zu Fuß.«

»Allein, um Mitternacht?«

»Du bangst doch nicht etwa für mich?« war die spöttische Entgegnung.

»Woher wußtest du, daß ich hier bin?«

»Hältst du dir deine Spione, die mich beobachten, so kann ich ja vielleicht mich ähnlicher Mittel bedienen.«

»Weib, benutze deine Freiheit nicht allzusehr!«

»Fängst du wieder Streit an, mein Lieber? Tu's nicht! Ich bringe wunderbar gute Nachrichten; meine Rache soll einen neuen Triumph feiern.«

»Du hast diese Nacht bei Lord Canning verbracht.«

»Pfui, wie das klingt! Als wäre ich eine Bajadere! Mein befehlender Wunsch rief Lord Canning zu mir, er war für mich entflammt, und im Taumel der Leidenschaft entriß ich ihm sein Geheimnis.«

Der Radscha schaute das Weib mit großen Augen an; dann murmelte er etwas und wandte ihr wie verächtlich den Rücken. Plötzlich wurde sein Arm gepackt und heftig geschüttelt; vor ihm stand Ayda mit zusammengebissenen Zähnen.

»Ist das dein Dank?« sagte sie mit heiserer Stimme.

»Hast du mich nicht selbst dazu aufgefordert, solch eine erbärmliche Rolle zu spielen? Und nun willst du mir verächtlich den Rücken wenden, du, der innerhalb von fünf Minuten zwei Weiber kaufen wollte? Aber du irrst, wenn du glaubst, ich wäre deinem Wunsche nachgekommen, wenn du glaubst, ich sei schon so tief gesunken!«

»Was hast du getan?«

»Lord Canning genießt jetzt die Früchte seines Verrats, die ich ihm versprach, ich aber stehe hier.«

»Deine Worte sind mir unklar.«

»Hahaha!« lachte Ayda. »Ist das nicht einfach? Als ich den schmachtenden Jüngling so weit hatte, daß er mir alles gestand, durfte ich mit der Belohnung nicht länger zögern. Ich führte ihn an der Hand in das dunkle Nebenzimmer, ich verschwand, und die Bajadere, der das Haus gehört. spielt meine Rolle weiter. Wenn Lord Canning heute früh aufwacht, wird er nicht schlecht verdutzt sein, weder in den Armen der schönen Haremsdame, noch in denen seiner Königin zu liegen. sondern sich an der Seite einer allgemein bekannten, käuflichen, frechen Bajadere wiederzufinden.«

Ayda verschwieg also, daß Lord Canning ihrer Einladung nicht gefolgt war, und daß Westerly seine Rolle übernommen hatte. Einmal wollte Sie sich der Demütigung nicht aussetzen – denn das war es für sie, daß Canning ihre Liebe verschmäht hatte, wie Westerly wenigstens gesagt – und dann hoffte sie zugleich, dadurch, daß sie jetzt und fernerhin Lord Canning für den nächtlichen Besucher ausgab, an ihm noch einmal Rache für die angetane Beleidigung nehmen zu können.

Kein Weib, und wäre es noch so tief gefallen, läßt seine Liebe abweisen, ohne mit Bitterkeit erfüllt zu werden.

»Und was hat er gesagt?« fragte der Radscha.

»Ich weiß, wer der geheime Kurier ist.«

»Nun?«

»Rate!«

Nana Sahib sah die Augen des Weibes vor dämonischer Freude glänzen.

»Wie soll ich den betreffenden Mann kennen?« entgegnete er.

»Es ist Sir Carter!«

Der Radscha stieß einen Ruf der Überraschung aus.

»Ja, er kommt, er ist schon in Indien,« fuhr Ayda fort, deren sich eine furchtbare Erregung bemächtigt hatte; »die Person des geheimen Kuriers ist äußerst schlau gewählt. Der unglückliche Vater reist von Land zu Land, er besucht jedes Gouvernement, läßt sich Geleitsbriefe ausstellen; überall empfängt man den beklagenswerten Mann mit offenen Armen, selbst alle Radschas werden ihm behilflich sein, und niemand ahnt, daß er sich dabei ganz unbemerkt seiner geheimen Depeschen entledigt.«

»Wir müssen sie haben!« knirschte der Indier.

»Überlaß ihn mir,« rief Ayda, »und so sicher, wie ich die erste Entdeckung gemacht habe, liefere ich euch auch die geheimen Depeschen aus.«

»Er kann seinen Auftrag auch mündlich ausrichten.«

»So soll er mir ihn erzählen. Ich weiß einen Preis, für den er mir alles verraten würde.«

»So mach mit ihm, was du willst! Aber bedenke, er wird dich erkennen!«

»Das soll er gerade,« rief Ayda in wildem Jubel, »sonst werde ich mich ihm zu erkennen geben, wenn mich Indiens Sonne zu sehr verändert hätte. Mein Fluch wird schneller in Erfüllung gehen, als ich zu hoffen gewagt habe.«


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