George Kennan
Zeltleben in Sibirien
George Kennan

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23. Kapitel.

Der Morgen des 13. Dezember dämmerte klar, kalt und still, mit einer Temperatur von einunddreißig Grad unter Null; aber da die Sonne erst gegen halb elf aufging, war es beinah Mittag, ehe unsere Leute beisammen und unsere Hunde zur Abfahrt gesattelt waren. Unser kleines Gefolge in gestickten Pelzröcken, roten Schärpen und gelben Fuchsfell-Kappen gewährte einen ganz neuen, malerischen Anblick, als es sich in corpore vor unserem Hause versammelte, um sich von dem Isprawnik und dem Major zu verabschieden. Acht schwer beladene Schlitten standen in einer Reihe vor der Thüre, und nahezu hundert Hunde sprangen wie toll in ihrem Sattelzeug und stimmten ein betäubendes Geheul an7 als wir aus dem Hause in die stille, eisige Atmosphäre traten. Nach eiligem Abschied, und mit einem herzlichen »Gott sei mit euch, Jungens!« von dem Major, sausten wir in einer Wolke fliegenden Schnees, der uns wie Funken im Gesicht brannte, dahin. Der alte Paderin, der Befehlshaber der Kosaken von Gischiginsk, stand mit weiß bereiftem Haar und Bart vor seinem kleinen, roten Blockhause, und winkte uns mit seiner Pelzmütze ein letztes Lebewohl zu, als wir in die große, ebene Steppe hinter der Stadt einbogen.

Es war gerade Mittag; aber obgleich die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hatte, glühte sie wie ein roter 208 Feuerball tief am südlichen Horizonte, und die weiße Winterlandschaft lag in einem eigentümlich düsteren Zwielichte. Ich hatte den Eindruck, als ob die Sonne eben aufgehe, und es nun bald Tag werden müsse. Ein weißes Schneehuhn flog dann und wann mit lautem Schwirren vor uns auf, stieß erschreckte Laute aus, ließ sich mehrere Ruten weiter entfernt im Schnee nieder und wurde plötzlich unsichtbar. Einige Elstern saßen regungslos auf niedrigen Kiefern; ihre Federn standen wie Krausen um ihre Köpfe; sie schienen von der intensiven Kälte ganz erstarrt und betäubt. Die Umrisse des fernen, blauen Waldgürtels am Ufer des Gischina zitterten und schwankten, als ob man sie durch heiße Luftströme betrachte, und die weißen, geisterhaften Berge, dreißig Meilen südlich, hoben und verzerrten sich durch die Strahlenbrechung in tausenderlei luftige, phantastische Gestalten, die unmerkbar in einander übergingen wie eine Reihe von Nebelbildern. Alles in der Scenerie war fremdartig, zauberhaft, arktisch. Die rote Sonne bewegte sich langsam am südlichen Horizonte weiter, bis sie fern im Südwesten auf einem Schneegipfel zu ruhen schien, und dann, während wir noch auf Tageslicht warteten, verschwand sie plötzlich, und das düstere Zwielicht verwandelte sich allmählich in Nacht. Seit Sonnenaufgang waren erst drei Stunden vergangen, und doch waren Sterne erster Größe bereits deutlich zu erkennen.

Die Nacht verbrachten wir im Hause eines russischen Bauern, am Ufer des Gischina, ungefähr fünfzehn Werst östlich von der Niederlassung Gischiginsk. Während wir Thee tranken, erschien ein Bote, der uns als Abschiedsgeschenk vom Major und der Civilisation zwei gefrorene Heidelbeerpasteten überbrachte. Aus Besorgnis, daß diesen Delikatessen etwas zustoßen könnte, aß Dodd die eine bis auf die letzte Heidelbeere auf, und damit er sich nicht in übertriebenem Pflichtgefühl aufopfere und die andere auch noch verspeise, sorgte ich selbst für deren Aufbewahrung und brachte sie gegen alle etwaigen Unfälle in Sicherheit.

Am folgenden Tage erreichten wir die kleine 209 Holzjurte an dem Malmowka, wo wir auf unserem Wege nach Gischiginsk eine Nacht verbracht hatten; da die Kälte noch sehr intensiv, benutzten wir gerne dieses Obdach und lagerten uns dicht um das Feuer, das Jagor auf einer Art Lehmaltar in der Mitte des Zimmers angezündet hatte. Die Jurte bot nicht genügenden Raum für unsere ganze Gesellschaft, und unsere Leute machten im Freien ein großes Feuer von Tamarakklötzen, hingen ihre Theekessel darüber, tauten ihre gefrorenen Bärte auf, aßen getrockneten Fisch, sangen lustige russische Lieder und waren so geräuschvoll glücklich, daß wir uns versucht fühlten, den Luxus eines Daches aufzugeben, um uns an ihrer Ausgelassenheit zu beteiligen. Die Thermometer zeigten jedoch 35 Grad unter Null an, und wir wagten uns nur hinaus, wenn ein ungewöhnlich lautes Gelächter irgend einen wunderbaren sibirischen Scherz verkündete und unsere Neugierde reizte. Die äußere Luft schien gerade erfrischend genug, um auf unsere lebhaften Kosaken einen anregenden Einfluß auszuüben, aber für amerikanische Konstitutionen war sie nicht geeignet. Mit einem guten Feuer und viel heißem Thee gelang es uns jedoch, uns in der Jurte behaglich zu fühlen, und wir verbrachten den langen Abend mit Rauchen von kaukasischem Tabak und Kiefernrinde, mit Singen amerikanischer Lieder und Geschichtenerzählen und neckten gelegentlich unsern gutmütigen aber äußerst unschuldigen Kosaken Meroneff.

Es war ganz spät, als wir endlich in unsere Pelzsäcke krochen, um zu schlafen; aber noch lange hörten wir die Lieder, Scherze und das Gelächter unseres Gefolges am Lagerfeuer.

Am andern Morgen waren wir lange vor Tagesanbruch auf den Beinen, und nach einem eiligen Frühstück aus Schwarzbrot, getrocknetem Fisch und Thee, sattelten wir unsere Hunde, begossen unsere Schlittenläufe mit Wasser aus den Theekesseln, um ihnen einen Eisüberzug zu verschaffen, packten unsere Lagerutensilien, verließen den Schutz des die Jurte umgebenden Tamarakwaldes und fuhren in die große schneeige Sahara, welche 210 zwischen dem Malmowka und dem Penschinagolf liegt. Die Gegend war trostlos. Eine große, ebene Steppe, so schrankenlos für das müde Auge wie das Meer selbst, zog sich in jeder Richtung bis an den Horizont, ohne einen einzigen Baum oder Busch, der die endlose Schneefläche unterbrochen hätte. Nirgends erblickten wir ein Zeichen tierischen oder vegetabilischen Lebens, auch nicht die leiseste Erinnerung an Sommer, Blumen oder warmen Sonnenschein, um die traurige Wüste der vom Sturm gefurchten Schneefläche weniger schrecklich zu machen.

Weiß, kalt und schweigsam lag sie vor uns wie ein gefrorener Ozean, von der Sichel des abnehmenden Mondes im Osten und den zauberhaften, blauen Lichtströmen der Aurora borealis, welche am nördlichen Horizont hin- und herzuckten, schwach erleuchtet. Selbst als die Sonne groß und feurig in einem Nebel gefrorenen Dunstes im Süden aufging, flößte sie der blassen Winterlandschaft weder Wärme noch Leben ein. Sie überwältigte bloß mit ihrem düster roten Schein die blauen, flackernden Lichtströme des Nordlichtes und den weißen Strahlenglanz von Mond und Sternen, warf einen matten Schimmer auf den Schnee und beleuchtete im Nordwesten eine wundervolle Luftspiegelung, die uns in ihrem feierlichen Hohne auf die uns vertraut gewordene Scenerie geradezu erschreckte. Der Stab des nordischen Zauberers hatte die unfruchtbare Schneesteppe berührt, und sie verwandelte sich plötzlich in einen blauen, tropischen See, an dessen Ufern sich die Mauern, Dome und schlanken Minarets einer orientalischen Stadt erhoben. Massen üppigen Blattwerks schienen über dem klaren, blauen Wasser zu hängen und aus seiner Tiefe zurückzustrahlen, während die weißen Mauern vom ersten rosigen Hauch der aufgehenden Sonne berührt wurden. Nie war die Illusion des Sommers im Winter, des Lebens im Tode greifbarer und vollkommener. Man schaute instinktiv um sich, um durch den Anblick bekannter Gegenstände sich zu vergewissern, daß man nicht in einem Traume befangen sei; schweifte dann das Auge wieder nach Nordwesten über den mattblauen See, so stiegen aus demselben die 211 großartigen, zitternden Umrisse der Luftspiegelung in ihrer überirdischen Schönheit; die in die Wolken ragenden Türme und prächtigen Paläste schienen in ihrer geheimnisvollen Feierlichkeit den Zweifel, der sie für Traumgebilde halten wollte, tadelnd zu widerlegen. Die glänzende Erscheinung verblaßte, glühte und verblaßte wieder zur Undeutlichkeit, und aus ihren Trümmern erhoben sich zwei kolossale Säulen aus rosigem Quarz, deren Kapitäle sich allmählich näherten und zu einem titanischen Bogen verbanden, gleich einem großartigen Himmelsportale. Dieses verschmolz in eine ausgedehnte Festung mit massiven Bastionen und Strebepfeilern, flankierenden Türmen, tiefen Schießscharten, aus- und einspringenden Winkeln, deren Schatten und Perspektive so natürlich wie die Wirklichkeit selber waren. – Und nicht nur in der Ferne entstanden diese täuschenden Luftspiegelungen. Eine Krähe, die zweihundert Meter weit auf dem Schnee stand, wurde zur Unkenntlichkeit vergrößert und verzerrt; einmal, als ich etwas hinter der übrigen Gesellschaft zurückgeblieben war, wurde ich durch eine lange Reihe schattenhafter Hundeschlitten erschreckt, die sich in einiger Entfernung in einer Höhe von acht bis zehn Fuß über dem Boden rasch durch die Luft bewegten. Die Scheinschlitten waren umgekehrt, und die Scheinhunde trabten mit ihren Füßen in der Luft; aber ihre Umrisse waren fast so klar wie die der wirklichen Schlitten und Hunde. Diese merkwürdige Erscheinung dauerte nur einen Augenblick, aber es folgten andere, ebenso seltsame, bis wir schließlich alles Vertrauen in unseren Gesichtssinn verloren und nicht mehr an die Wesenheit von irgend etwas glauben wollten, wenn wir es nicht mit den Händen betasten konnten. Jeder kahle, kleine Hügel oder dunkle Gegenstand auf dem Schnee war der Kern, um den sich diese Trugbilder woben, und einigemal machten wir uns mit unseren Flinten zur Verfolgung von Wölfen und schwarzen Füchsen auf, die sich bei näherer Besichtigung als Krähen entpuppten. Ich hatte bisher keine Ahnung davon gehabt, wie günstig Licht und Luft für Strahlenbrechung 212 sein können, und war nie so über Größe, Gestalt und Entfernung der Gegenstände auf dem Schnee getäuscht worden.

Das Thermometer zeigte mittags -35°, bei Sonnenuntergang -38° und sank noch immer. Seit wir die Jurte an dem Malmowka verlassen, hatten wir kein Holz gesehen, und da wir nicht ohne ein Feuer zu kampieren wagten, fuhren wir noch während fünf Stunden in der Dunkelheit weiter, von den Sternen und einem bläulichen, zuckenden Nordlichte geleitet. Unter dem Einfluß der intensiven Kälte bildete sich auf allem, was mit unserm Atem in Berührung kam, eine Eisschicht. Die Bärte wurden wie steife, wirre Massen gefrorenen Eisendrahtes, die Augenlider schwer von einer weißen Eisberandung und froren zusammen, wenn wir blinzelten, und unsere, in dichte Dunstwolken gehüllten Hunde sahen wie schneeige Polarwölfe aus. Nur durch fortwährendes Laufen neben unseren Schlitten konnten wir ein Gefühl von Leben in unseren Füßen erhalten. Gegen acht Uhr hoben sich einige zerstreut liegende Bäume dunkel vom östlichen Himmel ab, und ein Freudenschrei unserer leitenden Führer verkündigte die Entdeckung von Holz. Wir waren an dem Usinowa, einem kleinen Flüßchen fünfundsiebzig Werst östlich von Gischiginsk in der Mitte der großen Steppe angekommen und hatten die Empfindung, als ob wir uns nach langer Seefahrt einer Insel näherten. Unsere Hunde hielten an und rollten sich in kleine, runde Ballen auf dem Schnee zusammen, als ob sie wüßten, daß die lange Tagereise zu Ende war, während unsere Begleiter sich anschickten, schleunigst und systematisch ein sibirisches Halblager zu errichten. Drei Schlitten wurden zusammengestellt, so daß sie auf drei Seiten einen Raum von zehn Quadratfuß begrenzten; der aus dem Innern geschaufelte Schnee wurde von außen gegen die drei geschlossenen Seiten als Damm aufgeschichtet, an der offenen Seite ein kolossales Feuer von Kiefernzweigen aufgestapelt und der Boden dieses kleinen Schneekellers drei bis vier Zoll dick mit Weiden- und Erlenzweigen bestreut. Hierüber 213 breiteten wir unsere Bärenfelle, die einen warmen, weichen Teppich bildeten, und machten unsere Pelzschlafsäcke für die Nacht zurecht. Auf einen kleinen, aus einer Lichterkiste improvisierten Tisch, in der Mitte, stellte Jagor bald zwei Tassen dampfenden, heißen Thee und einige getrocknete Fische. Wir streckten uns auf die Bärenfelle aus mit den Füßen nach dem Feuer, den Rücken von Kissen gestützt, und tranken in aller Behaglichkeit Thee, rauchten und erzählten Geschichten. Nach dem Nachtessen türmten unsere Leute trockene Kiefernzweige auf das Feuer, daß die Flammensäule zehn Fuß hoch züngelte, saßen dann in malerischer Gruppe um die Glut, sangen stundenlang melancholische, kamtschadalische Lieder und erzählten nicht endenwollende Geschichten von Beschwerden und Abenteuern auf den großen Steppen und an den Küsten des Eismeeres. Das Sternbild »Orion« mahnte uns, daß es Zeit zum Schlafengehen. Mit Knurren und Balgen empfingen die Hunde ihre tägliche Ration, einen getrockneten Fisch; wir zogen unsere von der Ausdünstung feuchten Pelzstrümpfe aus, um sie am Feuer zu trocknen, bekleideten uns mit unseren dicksten »Kukhlankas«, krochen, die Füße zuerst, in unsere Schlafsäcke von Bärenfellen, zogen dieselben über unsere Köpfe und schliefen ein.

Ein Lager in einer klaren, dunkeln Winternacht bietet einen seltsamen, ungewöhnlichen Anblick. Bald nach Mitternacht weckten mich meine kalten Füße; ich stützte mich auf den Ellenbogen und streckte meinen Kopf aus dem Pelzsack, um nach den Sternen zu beurteilen, wie viel Uhr es sei. Das Feuer war zu einem roten Haufen rauchender Asche zusammengebrannt. Es war gerade hell genug, um die dunkeln Umrisse der beladenen Schlitten, der in Pelz gehüllten Gestalten unserer Begleiter, die hier und da um das Feuer gruppiert lagen, und der wie hundert haarige Ballen auf dem Schnee zusammengerollten Hunde zu unterscheiden. Jenseits des Lagers dehnte sich die trostlose Steppe in einer Reihe langgezogener Schneewellen aus, die allmählich zu einem großen, weißen Ozean verschmolzen und in der Ferne 214 und Dunkelheit der Nacht verschwanden. Hoch über unsern Häuptern an einem fast schwarzen Himmel funkelten die Sternbilder des Orion und der Plejaden, der himmlischen Zeitmesser, welche die langen, einförmigen Stunden zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang bezeichnen. Die blauen, geheimnisvollen Lichtströme der Aurora borealis zitterten im Norden, schossen bald in hellen, klaren Linien zum Zenith empor, bald wogten sie in großen, majestätischen Kurven über das stille Lager dahin, als ob sie waghalsige Reisende vor den unbekannten Regionen am Pol warnen wollten. Es herrschte tiefes, unheimliches Schweigen. Nichts als das Pulsieren des Blutes in meinen Ohren und der Atem der zu meinen Füßen schlafenden Menschen unterbrach die allgemeine Stille. Plötzlich ertönte ein schwacher, langgezogener Klageruf, wie der Aufschrei eines in äußerster Not befindlichen menschlichen Wesens. Allmählich schwoll derselbe an und wurde stärker, bis er die ganze Atmosphäre mit seinem Trauerklang zu erfüllen schien, und erstarb endlich in einem leisen, verzweifelten Seufzer. Es war das Signalgeheul eines sibirischen Hundes; aber es klang so schauerlich, so geisterhaft in der einsamen, arktischen Nacht, daß ich meinte, das Blut müsse mir vor Schrecken in den Adern erstarren. In demselben Augenblicke wurde der Klageruf vor einem andern Hunde aufgenommen in etwas höheren Tonlage, zwei, drei andere fielen ein, dann zehn, zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, bis alle hundert in einem höllischen Chor zusammenheulten, daß die Luft davon erschüttert wurde, wie von den Baßnoten einer mächtigen Orgel. Eine Minute lang schienen Himmel und Erde von heulenden, kreischenden Furien erfüllt zu sein. Dann beruhigte sich einer nach dem andern, der entsetzliche Tumult wurd schwächer und schwächer, bis er zuletzt in einem langgezogenen, unaussprechlich traurigen Klageruf ausklang, dann war alles stille. Der eine oder der andere unserer Leute warf sich im Schlaf unruhig hin und her, als ob das traurige Geheul unangenehme Traumgebilde bei ihm hervorgerufen; aber 215 keiner erwachte, und ringsum herrschte Todesstille. Plötzlich strahlte das Nordlicht in erhöhtem Glanze; seine zuckenden Schwerter fegten in großen Halbkreisen über den dunkeln, gestirnten Himmel und beleuchteten die Schneesteppe mit flüchtigen Lichteffekten, als ob die Himmelsthore bald weit aufgethan, bald geschlossen würden. Dann verblaßte es zu einer schwachen Glut am nördlichen Firmament, und nur ein blaßgrüner Lichtstrom schoß langsam gegen den Zenith auf, bis er mit seiner durchsichtigen Spitze den Brillantengürtel des Orion berührte; dann verschwand auch dieser, und nur ein weißer Schein am nördlichen Horizont bezeichnete den Ort des himmlischen Zeughauses, aus dem die arktischen Geister die glühenden Schwerter und Lanzen entlehnen, die sie allnächtlich über den einsamen, sibirischen Steppen schwingen. Als die Aurora borealis erloschen war, kroch ich in meinen Pelzsack zurück und schlief fast bis zum Morgen. Mit dem ersten Dämmerschein kam Leben in das Lager. Die Hunde krochen aus den tiefen Löchern, die durch ihre warmen Körper in den Schnee geschmolzen waren; die Kosaken streckten ihre Köpfe aus ihren bereiften Pelzröcken hervor und entfernten mit kleinen Stöcken das Eis, das sich um die Luftlöcher ihrer Umhüllung gebildet hatte. Nun wurde Feuer gemacht, Thee bereitet, und wir kamen auch aus unseren Schlafsäcken hervor, um am Feuer vor Kälte zu schaudern und ein eiliges Frühstück von Roggenbrot, getrocknetem Fisch und Thee einzunehmen. In zwanzig Minuten waren die Hunde gesattelt, die Schlitten bepackt, die Läufe mit Eis überzogen, und einer nach dem andern fuhr in raschem Trabe davon, um eine neue Tagereise auf der öden Steppe anzutreten.

Fahren, Lageraufschlagen, auf dem Schnee schlafen, das war die ganze Abwechslung, welche jeder Tag brachte, bis wir am 20. Dezember im Korjäkendorf Schestakowa in der Nähe des Penschinagolfes ankamen. Von hier aus sollten unsere Kosaken aus Gischiginsk nach ihrem Dorfe zurückkehren und wir die bestellten Schlitten von 216 Penschinsk erwarten. Wir spedierten unser Bettzeug, unser Lagergerät und unsere Vorräte durch den Kamin der geräumigsten Jurte des kleinen Dorfes, richteten auf der hölzernen Plattform, die sich an der einen Seite der Wand hinzog, alles so geschmackvoll wie möglich her und machten es uns so behaglich, wie die Dunkelheit, der Rauch, die Kälte und der Schmutz es erlauben wollten. 217

 


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