Victor Hugo
Victor Hugo's sämmtliche poetische Werke. Zweiter Band
Victor Hugo

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An Louis Boulanger.

Louis Boulanger, dem die beiden Balladen (Die beiden Schützen. Achte Ballade, Die Legende von der Nonne. Dreizehnte Ballade) gewidmet sind, hat sich schon in früher Jugend zum Rang eines der ersten Maler dieser neuen Generation aufgeschwungen, die unsere Schule auf die gleiche Höhe mit den herrlichen Schulen von Italien, Spanien, Flandern und England zu heben versprechen. Boulangers Ruhm stützt sich bereits auf eine größere Zahl von Meisterwerken ersten Rangs, unter denen wir nur an das schöne Gemälde: »Mazeppa«, das auf dem letzten Salon so viel Aufmerksamkeit erregte, und auf die gigantische Lithographie verweisen, in die er so viel Leben, Wahrheit und Poesie hineingelegt hat: »der Hexensabbath.« Der Dichter hat ihm diese beiden Balladen gewidmet zum Zeichen seiner Bewunderung, Dankbarkeit und Freundschaft.
(»Die Jagd des Burggrafen« und den »Waffengang des König Johann« haben wir, nicht als unübersetzbar, sondern als der Uebersetzung völlig unwerth, übergangen. Der Dichter selbst bemerkt zu der »Burggrafenjagd«: der Gegenstand dieser Ballade [seinen »Rheinsagen« entnommen], sei vielleicht in der Form allzu gothisch. D. Uebers.)

Die beiden Schützen.

Dames, oyez un conte lamentable.

Baif

Ihr Damen, hört die klägliche Geschichte.

Achte Ballade.

Es war die Zeit, wo schwarz die Nacht und voller Schrecken,
Wo man bei jedem Schritt meint Geister zu entdecken,
Vom Hexensabbath her noch trunkenes Gezücht,
Der Augenblick, wo sein Gebet der Wandrer endet,
Und aus dem dunkeln Forst sich nach der Lichtung wendet,
    Die Stunde, wo man leise spricht.

Im Grund des Thales gehn zwei Schützen, tief im Schweigen,
Dort, wo ihr einen Thurm seht in die Höhe steigen,
Den in der Zeit, wo man noch zog ins heilge Land,
Einst in drei Nächten hat ein Eremit errichtet,
Der Steine durch sein Wort zur Mauer aufgeschichtet,
    Des Kreuzes Zeichen in der Hand.

Hier ist's, wo aus dem Stein die Schützen Feuer wecken,
Ihr Mahl bereiten sie, vor Geistern ohne Schrecken,
Sie legen ab ihr Horn, sie setzen Beide hin
Sich auf ein Heil'genbild, roh aus Granit gestaltet,
Die Stirne tief im Staub, die Hände fest gefaltet,
    Als wär's ein Beter auf den Knien.

Und auf den Thurm, den Wald, den Berg, den Teich der Unken
Warf ihres Feuers Glut phantastisch grelle Funken,
Die Eulen fuhren aus den Mauern auf, den grau'n,
Beim Hexensabbath muß es Fledermäuse geben,
Die Flammen fliehn zurück, die flatternd sie umschweben
    Mit ihren schwarzen Flügelklau'n.

Der ältre Schütze sprach zum Jüngern unter'm Rasten:
»Trägst Du Dein hären Hemd?« – »›Hältst Du denn Deine Fasten?‹«
So scherzen höhnisch sie und ihr Gelächter schallt.
Da hören plötzlich sie von Fern ein andres Lachen;
Das Thal war öd und leer, das Dunkel tief. Sie sprachen:
    »Es lacht das Echo nur im Wald!«

Da kriecht ein Feuerstreif mit bläulich grüner Flamme
Im Zickzack windend sich hin auf dem Hügelkamme;
Sie lachen abermals mit lautem, frechem Schall,
Ins Feuer werfen sie noch Aeste dürrer Eichen,
Und sprechen: »Siehe da den Widerschein, den bleichen,
    Der Glut im nahen Wasserfall!«

Was war das Echo? – Mag sein Kreuz hier Jeder machen! –
Des Teufels Stimme war's, vom Berg herab sein Lachen.
Der bleiche Schimmer war's, der Lucifer umschlingt,
Der blaue Schwefeldunst in mitternächt'ger Stunde,
Die fahlen Flammen, die er aus dem Höllenschlunde
Im bösen Traum vor's Aug' uns bringt.

Wie das gottlose Paar hohnlachend so sich freute,
Da rannt' er wie ein Wolf herbei nach seiner Beute,
Und zu den Schützen flog sein Feuerauge hin:
– »Ja, lacht und lästert nur! Ich will die Lust euch dämpfen!
Bald soll mir euer Mund in schmerzhaft wilden Krämpfen
    Zum Zähneklappern sich verziehn!«

Und in der Asche war am Morgen drauf zu schauen
Die Spur von einem Fuß, breit, mit gespaltnen Klauen.
Den ganzen Tag war's öd im Thal, und Alles schwieg.
Ein Hirt um Mitternacht, der schaute nach der Stelle,
Sah irrer Flämmchen Glut, die strahlt' in blauer Helle,
    Doch nicht hinauf zum Himmel stieg.

Und wie am Boden hin er sah das Flämmchen wallen,
Ein langes Lachen hört' er durch das Dunkel schallen,
Vor Schauer zitternd stand der Hirt in finstrer Nacht.
Den Satan sah er nicht, er sah nicht die Verdammten,
Den Schlund der Hölle nicht, in der die Armen flammten
    Und heulten, weil sie frech gelacht.

So sieht man jede Nacht am Berg, bekränzt mit Eichen,
Die Flämmchen funkeln und dahin am Boden schleichen,
Die Eulen fahren aus den Mauern auf, den grau'n,
Beim Hexensabbath muß es Fledermäuse geben,
Die Flammen fliehn zurück, die flatternd sie umschweben
    Mit ihren schwarzen Flügelklau'n.

Ja, Kinder, eh' den Berg des Morgens Strahlen röthen,
Vermag des Himmels Thau die Flamme nicht zu tödten.
Wenn unter Blitzen auch der Regen strömt' ins Thal,
Das Lachen überschrie den Donner, wenn er grollte,
Die Flamme drehte sich vom Staub empor, als wollte
    Umschlingen sie des Himmels Strahl.

Einst ward, in dunkler Nacht, bewegt das Steingebilde;
Der Heilige stand auf, der Skapulier-umhüllte,
An seinem heil'gen Stab vortrat er Schritt für Schritt.
Der Hölle Gaukelspiel, er wußt' es zu bezwingen,
Er öffnete den Mund: »Herr, laß es mir gelingen!«
    Und hob die Arme von Granit.

Verschwunden war der Spuck, die Flämmchen und das Lachen,
Die todten Schützen fand man Morgens, beim Erwachen
Der Sonne, sitzend auf dem heil'gen Steingebild.
Man legte sie ins Grab, zur Messe für die Seelen
Gab dann drei Denier's, wie die Chroniken erzählen,
    Der Herr des Dorfes, fromm und mild.

Birgt eine Lehre wohl die heilige Geschichte? –
Nicht richten soll man sie, nur Glauben führt zum Lichte.
Doch, ach, wer glaubt denn noch? Die Zeit ist längst dahin.
Des halben Glaubens nur ist alle Welt beflissen,
Und, blind und eitel auf ein nichtig hohles Wissen,
    Liegt Niemand mehr auf beiden Knie'n.

Juli, 1825.


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