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Die zwölfte Vision: Vom Jüngsten Gericht.

1. Dann sah ich alle Elemente und Kreaturen von grausiger Bewegung erschüttert. Feuer, Luft und Wasser brachen hervor, die die Erde bewegten. Blitze zuckten und Donner ertönten, Berge und Wälder fielen übereinander, so daß jedes sterbliche Wesen seinen Lebensodem aufgab. Alle Elemente wurden so sehr gereinigt, daß aller Schmutz in ihnen ganz und gar entschwand. Und ich vernahm eine Stimme über den ganzen Erdkreis rufen: »Stehet auf alle ihr Menschenkinder, die ihr auf der Erde liegt!« Und siehe! Alle Gebeine der Menschen, wo immer sie auch auf der Erde lagen, wurden im Nu gesammelt und mit ihrem Fleische bedeckt. Jedes Geschlecht erhob sich unversehrt in seinem Leibe und Gliedern; die Guten erstrahlten in großer Herrlichkeit, die Bösen erschienen in tiefe Dunkelheit gehüllt, so daß also eines jeden Werk geoffenbart wurde. Einige von ihnen waren mit dem Siegel des Glaubens bezeichnet, andere wiederum nicht. Ein Teil war vorne auf der Stirn mit einem großen Glanz ausgezeichnet. Ich sah aber auch welche, die dessen entbehrten. Plötzlich leuchtete vom Osten ein blendend heller Blitz auf, und in einer Wolke erschien der Menschensohn genau so, wie er auf der Welt aussah, mit entblößten und geöffneten Wunden. Engelchöre umgaben ihn auf seinem leuchtenden, jedoch nicht brennenden Throne. Nun begann der gewaltige Reinigungssturm der Welt. Jene, die bezeichnet waren, wurden ihm entgegen in die Luft wie in einen Wirbelwind gerissen. Die Guten wurden von den Bösen getrennt. Eine einladende Stimme pries die Gerechten des Himmelreichs würdig, wie es auch, im Evangelium bezeugt ist. Dieselbe Stimme überantwortete mit schrecklichem Tone die Ungerechten den ewigen Strafen,, wie es geschrieben steht: »Es wird keine Probe und Antwort mehr von ihren Werken gefordert außer der, die das Evangelium angibt, denn eines jeden Tun, sei es gut oder schlecht,, wird an ihm offenbar.« Jene Unbezeichneten aber standen weit: ab in der Teufelsschar gen Norden und wurden zu diesem Gericht nicht zugelassen. Aber auch sie sah ich in einem Wirbel stehen, weil sie das Ende des Richter Spruches erwarteten, und ich hörte sie bittere Seufzer ausstoßen. Als das Gericht beendet worden war, hörten Blitze, Donner, Winde und Stürme auf. Alles Vergängliche an den Elementen verschwand plötzlich und tiefste Ruhe trat ein. Die Auserwählten erstrahlten noch heller als die Sonne und eilten mit dem Sohne Gottes und den glückseligen Engeln voll Freude zum Himmel, während die Verworfenen mit dem Teufel und seinen Engeln heulend zur Hölle strebten. So nahm der Himmel die Auserwählten auf; die Hölle aber verschlang die Verworfenen. Bald erglänzten auch die Elemente in größter Heiterkeit, als wäre ihnen die schwarze Haut abgezogen worden. Sonne, Mond und Sterne, als der hauptsächliche Schmuck des Firmaments, strahlten voll Zier und Glanz; sie verharrten ohne Bewegung, so daß der Tag nicht mehr von der Nacht zu unterscheiden war, sondern immer Tag war. Wieder hörte ich die Stimme zu mir sprechen: »Diese Geheimnisse zeigen die jüngste Zeit an, in der die Zeit in das Leuchten der Ewigkeit übergeht, das ohne Ende ist. Die jüngste Zeit wird nämlich durch viele Gefahren beunruhigt und der Untergang der Welt durch verschiedene Zeichen deutlich gemacht. Wie nämlich den Menschen bei seinem Ende viele Schwächen befallen, und er in der Stunde des Todes unter großem Schmerz aufgelöst wird, so eilen auch dem Ende der Welt die größten Widrigkeiten voraus.«

2. Durch plötzliche unvorhergesehene Bewegung werden die Elemente am Ende gesprengt, die Kreatur erschüttert, Feuer bricht aus, die Luft löst sich auf, das Wasser sprudelt hervor, die Erde wird zertrümmert. Blitze zünden, Donner rollen, Berge bersten, Wälder stürzen zusammen, alles was da lebt und sterblich ist in der Luft, im Wasser und auf der Erde verliert das Leben. Das Feuer bewegt die ganze Luft, das Wasser erfüllt die Erde; auf diese Weise wird alles gereinigt.

3. Nach dem göttlichen Befehle werden die Gebeine, wo immer sie auch liegen mögen, schneller als es ein Augenaufschlag gestattet, für die Auferstehung gesammelt und mit ihrem Fleische bedeckt. So stehen also alle Menschen mit ihrer Seele und ihrem Leibe ohne irgendeine Veränderung des Körpers oder ihres Geschlechtes sofort auf. Dabei sind die Auserwählten von dem Glanze ihrer guten Werke überstrahlt, und die Verworfenen tragen die Finsternis ihrer unglückseligen Handlungen an sich.

4. Einige sind mit dem Zeichen des Himmels gekennzeichnet, andere aber nicht. Der ersteren Gewissen leuchtet vor Weisheit durch ihre Werke des Glaubens, die anderen aber erscheinen in der Finsternis ihrer Versäumnis. Einige sind ohne das Zeichen des Glaubens, weil sie es selbst ablehnten, entweder im alten Gesetz noch in der neuen Gnade die Kenntnis des lebendigen und wahren Gottes zu besitzen.

5. Dann wird der Sohn Gottes in Menschengestalt in der Klarheit des ewigen Lichts, aber trotzdem in einer Wolke erscheinen, unter der die himmlische Herrlichkeit den Verworfenen verborgen bleibt, um die Menschheit zu richten. Er trägt die Leidensspuren an sich, die er nach dem Willen des Vaters für das Heil des menschlichen Geschlechts erduldete; ein zahlreiches Engelsheer umgibt ihn. Der Vater übergab ihm dieses Gericht, das Sichtbare an der Welt zu richten.

7. Die Bezeichneten werden dem gerechten Richter ohne Mühe, sondern vielmehr in großer Schnelligkeit entgegengetragen.

8. Dort leuchten alle Blüten meines Sohnes; sowohl die Patriarchen und Propheten, welche vor seiner Menschwerdung lebten, die Apostel, die mit ihm in der Welt verkehrten, wie auch die Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen und Witwen, die ihm alle getreulich nachfolgten. Es finden sich darunter auch die Vorsteher meiner Kirche in zeitlichen und geistlichen Dingen. Besonders sind auch die Einsiedler und Mönche vertreten, die sich in Züchtigung und Abtötung ihres Fleisches ob des Namens meines Sohnes gering erachteten. Dieses bewiesen sie auch in ihrer Kleidung und ahmten in großer Demut und Liebe den englischen Stand nach.

9. Dann schweigt sich das Lob des Himmels lautlos aus, wenn der Sohn Gottes den Richterspruch auf Gerechte und Ungerechte herabsendet.

10. Nach Beendigung des Gerichts hören die Schrecken der Elemente, die Blitze, Donner, Winde und Stürme auf, und alles verschwindet, was hinfällig und vorübergehend war. Geradeso wie der Schnee, der von der Sonnenhitze geschmolzen wird, aufhört zu sein. Tiefe Ruhe steigt jetzt nach göttlicher Bestimmung herab.

11. Nachdem dies alles geschehen ist, werden die Elemente in größter Klarheit und Schönheit aufleuchten, denn aller behindernde Schmutz und Dunkelheit ist von ihnen abgefallen. Dann leuchtet das Feuer ohne Glanz wie die Morgenröte. Die Luft ist ohne Dichte und leuchtet ganz rein. Das Wasser steht klar und ruhig, weil es nicht hin und her bewegt wird, und die Erde erscheint ohne Vergänglichkeit und Ungleichheit stark und eben. Größte Ruhe und Schönheit herrschen dann. Sonne, Mond und Sterne sind wie kostbarste Steine aus Gold und schimmern am Firmament mit großer Klarheit und viel Licht. Die Nacht der Finsternis weicht sodann dem ewig jungen Tag.


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