Johann Gottfried Herder
Der Cid
Johann Gottfried Herder

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    Sancho, König in Navarra,
Zugenamt der Heldenmüt'ge,
Er, des großen Cids Urenkel,
Den ganz Spanien noch verehrt,
Mit Alfonso von Kastilien
Führet' er siegreiche Kriege,
Drang hinein bis über Burgos,
Überall gewinnend Beute,
Bis mit solcher reich beladen
Er hinwegzog, voll des Wahnes,
Niemand könn ihm widerstehn.

    So kam er auf seinem Rückzug
In das Kloster de Cardeña,
Wo begraben lag der Cid,
Hochverehrt; denn niemand glich ihm
Seit der Zeit an Mut und Stärke
Wie an Güt und Redlichkeit.

    Vorgesetzter dieses Klosters
War ein Abt, ein Mann von Jahren,
Der als Ritter einst in Waffen
Ehre sich und Ruhm erworben,
An Gestalt ein Mann von Ansehn,
Voll Gemüts; es drückt' ihn schmerzlich,
Daß der König von Navarra
Mit dem Schimpfe von Kastilien
Soviel Beute mit sich nahm.

    Als der König zum Altare
Trat, bewundernd seine Fahne,
Deren gleich er in ganz Spanien
Keine nirgend je gesehn,
Riß der Abt sie vom Altare
Und erhob die Fahne – Cids.

    »Wisse«, sprach er, »großer König,
Wiß, in diesem heil'gen Kloster,
Das mir anvertrauet ist,
Liegt ein Held, mit dessen Fahne,
Unter ihr darf ich mich messen,
Großer König, selbst mit dir;
Denn hier ist die Leichenstätte
Cids, genannt Campeador.

    Eine Gunst von dir zu bitten,
Herr, ergriff ich seine Fahne
Kühn und trage meine Bitte
Dir in tiefster Demut vor.
Laß den Raub zurück, o König,
Den du unserm Land entziehest!
Dir gereicht's zu höherm Ruhme,
Wenn du ihn der Heldenfahne
Weihest und dem Grabe Cids.«

    Einen Augenblick betroffen
Und nachdenkend stand der König
Über dieses Abtes Mut;
Dann sprach er: »Aus mehrern Gründen
Tu ich, Vater, was Ihr bittet,
Und laß meine Beute hier.

    Erstens, weil ich, aus dem Blute
Des Campeadors entsprossen,
Der Urenkel bin von Cid.
Seine Tochter Doña Elvira,
Die Gemahlin Don Garzias,
Rühm ich, ist Großmutter mir.

    Zweitens laß ich aus Verehrung
Gegen diese Heldenfahne
Und des hier Begrabnen Ruhm,
Eurer Obhut anvertrauet,
Gern die Kriegesbeute hier,

    Die ich dann auch, recht gesaget,
Wäre jetzt der Cid am Leben,
Wohl nicht mit mir nehmen dürfte;
Nie wär ich so weit gekommen,
Hätte nie sie mir erworben,
Nie ließ er vor seinen Augen
Sie hinziehn aus seinem Lande,
Lebte noch der tapfre Cid.
Also laß ich sie dem Toten,
Euch zu frommem Brauch, zurück.«

    Er befahl, und alle Beute
Blieb dem Kloster von Cardeña;
Sie ward eine fromme Stiftung.
Ein Wohltäter für die Armen,
Ein Beschützer der Verlaßnen
Ward der Cid auch in der Gruft.

 


 


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