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I.

Der Tod im Angesichte des Landes. Tupia, der Insulaner. Sein braunes Weib. Die Palmenhütte.


Auf dem geräumigen Verdecke eines stolzen Schiffes, welches nach langer Seefahrt endlich die schöne Insel Tahiti in Sicht bekam, hatten sich die sämmtlichen Passagiere versammelt. Die Meisten spähten mit Fernröhren nach dem nahen Lande, welches Alle heiß ersehnten. Von jedem Theile des Schiffes ertönte lauter Freudenruf, und der Kapitän, welcher hoch auf dem Radkasten stand, schwenkte jubelnd seinen Hut.

Mitten in diese allgemeine Freude hinein ertönte plötzlich und unvermuthet ein furchtbares Krachen – das Schiff war mit voller Kraft auf einen Felsenriff gefahren, welcher sich unter der Oberfläche des Wassers herzog. Die stürmische Freude verwandelte sich urplötzlich in Schrecken; alle Gesichter waren kreideweiß geworden und auf einen Augenblick herrschte lautlose Todtenstille. Bald aber lösten sich die Zungen und von einem Ende des Schiffes bis zum andern erscholl ein allgemeines Wehgeschrei.

Der Kapitän war von dem gewaltigen Stoße umgeworfen worden. Rasch aber erhob er sich wieder und rief den Matrosen seine Befehle zu, hoffend, durch schnelle und zweckmäßige Maßregeln das Schiff wieder flott zu machen. Aber ein neuer, noch furchtbarerer Stoß war die Folge und ehe eine Stunde verfloß, fiel das Schiff in Trümmer auseinander und die Passagiere versanken mit lautem Wehgeschrei in den Fluthen.

Zur Zeit dieses Schiffbruches stand ein großer, wohlgewachsener, rothbrauner Mann auf dem hohen Felsufer der Bucht und schaute auf das Meer hinaus.

Seine ausdrucksvollen Augen, sein schlanker, kräftiger Wuchs, sein langes rabenschwarzes Haar, welches in reichen Wellen auf die Schultern herabfiel, machten ihn zu einer angenehmen Erscheinung, die sich in der Kleidung von Tapatuch noch mehr hervorhob.

Jedenfalls war ihm noch nicht oft ein so ungeheures Fahrzeug zu Gesichte gekommen, denn er verschlang es fast mit den Augen, die er vor Verwunderung weit aufriß. Da plötzlich gewahrte er, wie es fest saß, kurz nachher auseinanderborst und Ladung und Menschen vom Meere verschlungen wurden.

Ein jäher Schrei entfloh seinen Lippen, und mit den Worten: Tupia muß helfen, stürzte er den Fels hinab und der Bucht zu. Aber er kam zu spät; die wiederaufgetauchten Schiffstrümmer, Fässer und Ballen trieben in weiter Ferne durcheinander; von Menschen sah er keine Spur.

Tupia setzte sich bekümmert in den Strand nieder. Die Untergegangenen waren ihm zwar nur Fremdlinge, aber sie waren Menschen, und sein Herz betrauerte die unbekannten Brüder.

Während er in stummer Wehmuth über die Wellen schaute, fiel ihm ein Gegenstand in's Auge, der alle seine Sinne in Anspruch zu nehmen schien, denn er schnellte blitzschnell empor, warf noch einen scharfen Blick hinüber und stürzte sich dann in's Wasser.

Mit kräftigen Armen die Wellen theilend, hatte er bald den schwimmenden Gegenstand erreicht und hielt ihn mit der einen Hand über Wasser, während er mit der andern an's Ufer zurückruderte.

Die Gerettete war ein kleines deutsches Mädchen, Helene Heiling.

Tupia schüttelte das Meerwasser aus seinen langen Locken und legte das Kind auf den Rasen nieder. Ueber dasselbe hingebeugt, erwartete er die Rückkehr des Lebens, aber Helene lag regungslos vor ihm, der Athem schien aus der kleinen Brust entflohen zu sein.

Tupia legte sein Ohr auf ihr Herz, hielt es an ihre Lippen und betastete ihre starren Hände; aber seine Untersuchungen gaben ihm wenig Hoffnung. Traurig ließ er das Haupt sinken; doch bald schwand seine Befürchtung wieder. Das schöne, weiße Kind darf nicht todt sein, sprach er; ich will sie nach Hause bringen. Poma soll sie pflegen und in's Leben zurückrufen.

Helene wie eine kleine Leiche auf den Armen tragend, schritt er in einer engen Thalschlucht aufwärts, welche dem rauschenden Bächlein kaum Platz ließ, sich schäumend durchzuzwängen. Nachdem er zehn Minuten lang hastig emporgestiegen war, erweiterte sich die Schlucht zu einem lachenden Thale, in dessen Mitte eine mit Palmblättern gedeckte Hütte stand. Das war das Ziel von Tupia's Wanderung.

Auf der Schwelle trat ihm sein Weib, die brave Poma entgegen. Sie war rothbraun wie der Gatte, aber sie trug kein langes Lockenhaar wie Tupia, sondern war kurz geschoren.

Was bringst du? rief sie ihm verwundert entgegen.

Mit kurzen Worten erzählte er den Schiffbruch und Helenens Rettung und legte ihr dann das Mädchen in die Arme.

Poma's edle Züge verdunkelten sich wehmüthig, und die braunen Lippen niederneigend, küßte sie die kalte Wange und sprach: Es ist ein weißes Kind, es kommt aus dem Lande der weißen Leute, wovon du mir oft erzählt hast. Möge es in der Hütte Tupia's das Leben wiederfinden.

Die Hütte, in welche die beiden Gatten jetzt eintraten, war einfach und schmucklos. Drei Reihen Pfähle aus dem Stamme des Brodfruchtbaumes, von denen die mittlere die höchste war, trug das Palmdach, das war die ganze Wohnung. Glanz und Reichthum waren hier nicht zu finden, aber sie bot hinreichenden Schutz gegen jedes Wetter.

Ein Theil des Fußbodens war mit trockenen Pflanzen bestreut, über welche sich künstlich geflochtene Matten ausbreiteten. Das war das Bett der beiden Hüttenbewohner.

Poma legte das Mädchen auf die warme Streu und deckte sie mit Matten und Tapatuch zu.

Ich werde ihr einen Trank bereiten, sprach sie dann und eilte schnell hinaus. Nach wenigen Augenblicken kam sie mit Kräutern zurück, welche sie zwischen den Fingern zerquetschte. Aber ehe sie sich noch anschickte, Helenen denselben zu reichen, stieß diese einen Seufzer aus und schlug die Augenlider empor.

Sogleich waren Poma und Tupia an ihrer Seite und beugten die braunen Köpfe über sie.

Helene starrte sie einen Augenblick an, aber sie war offenbar noch nicht zum Bewußtsein zurückgekehrt, auch fehlte ihr noch die Kraft, denn sogleich fielen ihr die Lider wieder zu.

Sie lebt, flüsterte Poma, indem sie die braunen Fingerspitzen in den Pflanzensaft tauchte und ihr die Lippen damit bestrich. Jetzt wird sie schlafen und ehe die Sonne sich über die Palmbäume neigt und im Meere versinkt, gesund sein.

Tupia rieb sich vergnügt die Hände, denn das weiße Kind gefiel ihm so außerordentlich wohl, daß er sich über den Tod desselben nicht getröstet haben würde. Auch Poma, welcher der Himmel keine Kinder bescheert hatte, fühlte sich glücklich in dem Gedanken, Helene immer bei sich zu haben. Sie ist so schön und lieblich, sprach sie, wie keines der Kinder auf Tahiti und sie wird noch schöner werden, wenn ihre Jahre sich mehren.

Der glückliche Ausdruck in ihrem Gesichte aber verlor sich schnell wieder; die Besorgniß, Helenen's Angehörige würden kommen und sie zurückfordern, erfüllte ihr Herz.

Beruhige dich, antwortete Tupia; diejenigen, welche mit ihr zu Schiffe waren, sind alle ertrunken; keiner von ihnen ist an unserer Insel gelandet. Wir haben also ein Recht auf das weiße Kind und wir werden es behalten und ihm Gutes erweisen.

Da lächelte Poma wieder ganz vergnügt, legte ihre Hand auf Helenens Brust und horchte auf ihre Athemzüge, welche jetzt ruhig und gleichförmig einen gesunden Schlaf verkündeten.

Nicht allein die weiße Haut war es, welche der tahiti'schen Frau so fremd und lieblich vorkam, sondern auch das lange, seidenweiche blonde Haar und die fremdländische Kleidung. In ihrem Lande hatten alle Frauen rabenschwarzes Haar und dazu war dieses auf dem Kopfe kurz abgeschoren. Sie konnte gar nicht begreifen, daß es irgendwo in der Welt eine andere Sitte gab, und doch gefiel ihr Alles so ausnehmend wohl, daß sie sich nicht satt sehen konnte.

Eine Stunde mochte vergangen sein, als Helene sich regte und die Augen aufschlug. Die fremde, unbekannte Umgebung kam ihr wie eine Erscheinung im Traume vor; langsam wanderten ihre Augen durch die Hütte und an den offenen Seiten hinaus in den Wald. Sie betastete die Matte, auf welcher sie lag, starrte das Dach an und ließ dann ihren Blick auf den beiden Gestalten ruhen, welche an ihrer Seite kauerten.

Ihre rothbraune Haut und die fremde Gesichtsbildung jagten ihr Furcht ein; sie bedeckte die Augen mit den Händen und rief laut und ängstlich: Vater, Vater, wo bist du? Komm zu mir!

Weder Tupia noch Poma verstanden die Worte, welche so wohlklingend ihr Ohr berührten, aber sie begriffen, daß Helene sich vor ihnen fürchtete; Poma redete ihr deßhalb in der Landessprache zu, verhieß ihr Liebe und schöne Tage und gab sich alle erdenkliche Mühe, das Zutrauen des weißen Kindes zu gewinnen; doch dieses rief nur um so lauter nach dem Vater.

Sie muß großen Durst haben, sprach Poma und das Weinen macht ihre Kehle noch trockener.

Tupia stand auf und langte von der Fata, einem stangenartigen Gestell, eine Schaale herab, welche mit der süßen Milch der Kokosnuß gefüllt war, und hielt sie ihr an die Lippen.

Kaum berührte das kühlende Naß ihre Zunge, als sie auf einen Augenblick ihren Kummer vergaß und die Milch gierig hinabschlürfte.

Die Wohlthat, welche ihr die beiden Fremden erwiesen, verminderte ihre Furcht, sie hörte auf zu weinen; aber in flehendem Tone bat sie immerfort, sie zum Vater zu führen.

Poma, welche kein Mittel wußte, sich dem armen Kinde verständlich zu machen, nahm sie von den Matten, schloß sie in ihre Arme und trug sie liebkosend vor die Hütte, wo der frische Wald seinen würzigen Duft aushauchte.

Durch das Flußthal hinab sah man auf das Meer. Helene breitete ihre Arme nach demselben aus und begann von Neuem zu schluchzen.

Jetzt verstand Tupia, daß sie nach ihren Angehörigen rufe und suchte ihr durch anschauliche Zeichen deutlich zu machen, daß sie alle untergegangen seien.

Helene war ein kluges Kind; sie verstand seine Zeichen, aber ihr Herz preßte sich vor Leid zusammen und sie umschlang den braunen Hals der tahitischen Frau, gleichsam, als ob sie andeuten wolle, daß Poma nun ihre Mutter sei.

Ach, die gute Poma, wie wohl that ihr diese kindliche Zuneigung! Lachend sprang und hüpfte sie unter den Bäumen umher und bedeckte das so wunderbar erhaltene Kind mit Küssen. Tupia stand seelenvergnügt dabei und streichelte zuweilen Helenens blondes Haar.

Es war natürlich, daß in der jungen Seele des Kindes eine tiefe Trauer herrschte, welche auch die zärtlichen Liebkosungen der braunen Leute nicht ganz zu bannen im Stande waren. Sie hatte ja auf einen Schlag Alles verloren, was ihr lieb und theuer war, und in die neuen Verhältnisse konnte sie sich erst nach und nach einleben, wie wir das in der Folge hören werden.

Ehe wir aber in unserer Geschichte fortfahren, sei es uns erlaubt, einen kurzen Rückblick zu thun. Vor vielen Jahren war Helenens Vater, ein Deutscher, nach Mexico ausgewandert. Dort hatte er sich verheirathet, eine glückliche Ehe geführt und großen Reichthum erworben. Als Helene auf die Welt kam, starb die Mutter und Heiling, ihr Gatte, versank in düstere Trauer. Er stellte seine Geschäfte ein und lebte einzig dem Kinde; aber je höher das Gras auf dem Grabe seiner Gattin wuchs, desto größer wurde seine Trostlosigkeit. Die Aerzte riethen ihm eine Luftveränderung an. Diesen Vorschlag ergriff er mit großem Eifer; das Land, wo er das Liebste verloren hatte, wurde ihm verhaßt, und sein altes, liebes Deutschland, wo er eine fröhliche Jugendzeit verlebt hatte, kam ihm wieder in Erinnerung. Mit jedem Tage wuchs die Sehnsucht nach der Heimath, zuletzt war sie nicht länger zu bewältigen. Er machte deßhalb sein Eigenthum rasch zu Geld und schiffte sich mit seiner Tochter ein.

Wer eine Seereise macht, schwimmt auf trügerischen Balken und nur in Gottes Hand steht sein Leben und sein Eigenthum. Das Schiff, auf welchem er Mexico verließ, wurde vom Sturme erfaßt und trieb steuerlos monatelang auf dem Ocean umher, bis es endlich auf ein Schiff traf, das sich seiner Passagiere annahm. Auch dieses zweite Schiff sollte seinen Bestimmungsort nicht erreichen. Vor dem Eilande, wo es frisches Wasser und Nahrungsmittel einnehmen wollte, ging es zu Grunde, und wie Tupia glaubte, war Niemand gerettet worden, als Helene.

Dem armen Kinde schwebte unaufhörlich der schreckliche Schiffbruch vor Augen; immer wieder erinnerte sie sich des furchtbaren Augenblickes, wie das Schiff krachte, wie das Wasser eindrang, wie sie dann den Vater ergriff, und wie sie beide versanken. Von da ab wußte sie nichts mehr, als daß sie in der Hütte Tupia's erwachte und nun allein in der Welt stand.

Als Helene endlich zu weinen aufhörte, erinnerte sich Poma, daß sie Hunger haben würde. Tupia erstieg deßhalb einen Brodfruchtbaum und holte eine der wohlschmeckenden und nahrhaften Früchte herunter, welche seine Frau schälte und briet. Es war das erstemal, daß Helene die südliche Frucht sah und sie wußte nicht, daß man sie essen konnte. Tupia aber zeigte es ihr und nun langte sie mit Heißhunger darnach und verzehrte einen Theil derselben.

Die überstandene Gefahr, die Gemüthsbewegung und die Menge der fremden Eindrücke übten eine erschlaffende Wirkung auf Körper und Geist, und bald versank sie in den Armen Poma's in festen Schlummer.

Fürchtend, den Schlaf des Kindes zu stören, ließ sich die braune Frau sanft auf einen Stein nieder, sang eine einförmige, einschläfernde Landesweise und wiegte die Schlafende zärtlich in ihren Armen.

Bisher hatte sie gleichsam ohne Zweck gelebt; die Insel bot Nahrung und Lebensbedürfnisse in reicher Ueberfülle. Man brauchte nur den Arm auszustrecken, um ohne Arbeit Alles zu haben, was zum Leben erforderlich war, und weiter gab es keine Sorgen.

Jetzt wurde das auf einmal anders; Helene öffnete ihr eine neue Welt; an die Stelle des täglichen langweiligen Einerlei trat die Abwechselung der Erziehung, die sie als den größten Segen ansah. Das fremde Kind war ihr in der ersten Minute lieb geworden; sie fühlte, daß es ihr schwer werden würde, sich jemals von demselben zu trennen.

In Tupia's Kopfe drängten sich ähnliche Gedanken; auch sein Leben war ja bisher nur ein Hindämmern ohne Zweck und Ziel gewesen. Jetzt hatte er ein Kind, einen kostbaren Schatz, mit dessen sorglicher Hütung sein Dasein plötzlich eine Bedeutung erhielt.

Er trat in die Hütte; zum erstenmale fiel es ihm auf, daß sie nackt und kahl war und außer der Streu und den Schlafmatten nichts zur Bequemlichkeit enthielt, wie er es früher in den Hütten der Häuptlinge gesehen hatte.

Ihm deuchte, das weiße Kind habe noch größere Ansprüche auf Bequemlichkeit, als ein brauner Häuptling, und doch fehlte Alles, nicht einmal ein Kopfkissen war vorhanden. An der Stelle, wo Helene vorhin geschlafen hatte, schüttelte er die trockenen Kräuter auf, häufte sie sorglich unter dem Kopfe und bedeckte das Lager mit Matten.

Unterdeß war die Nacht hinabgesunken; Poma brachte das Kind zur Ruhe und legte sich an seine Seite. Wenn Helene nur einen Arm oder einen Fuß bewegte, richtete sie sich leise auf, setzte sich mit gekreuzten Beinen auf die Matte und lauschte auf ihren Athem. Auch Tupia konnte den Schlaf nicht finden, und als endlich die Natur ihre Rechte geltend machte, da schreckte ihn im Traume noch lange der Schiffbruch.


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